8. Der Schutzengel

[580] Es war ein reicher Mann, genannt Anania. Jetzt weil er reich war, kam ein Kaufmann aus einem fremden Land zu ihm und verlangte von ihm drei Pfund Dukaten leihweise. Dieser gab sie ihm. In jedem Pfund waren neunhundert Dukaten. Der Kaufmann nahm sie und ging fort, aber er kam nicht wieder, und Anania bekam sie nicht mehr.

Die Jahre vergingen, und Anania wurde alt und blind. Aber er hatte einen Sohn, der hieß auch Anania und war sehr kräftig. Nun ereignete es sich, daß in der Stadt[580] Jahrmarkt war, da sagte der Vater zu seinem Sohne: »Mein Sohn, geh du auf den Jahrmarkt und sieh dich um, ob du nicht irgendeinen Mann siehst in Kleidern aus dem fremden Land, dem Lande der Kaufleute, den sollst du ein wenig zu mir rufen.« – »Gut, ich gehe«, sagte der Sohn, und ging. Als er gegangen war, traf er einen Menschen aus dem fremden Lande und rief ihn zu seinem Vater. Als er zu Anania kam, wünschte er ihm einen guten Tag. Der Alte dankte und fragte, ob er nicht den und den Kaufmann kenne. »Oh, ich kenne ihn.« – »Würdest du nicht mit meinem Sohn bis zu ihm gehen, sieh, so und so ist es mir mit ihm ergangen.« – »O ja, ich gehe.« Na, gut. Er brach auf mit dem Jungen. Was er dafür verlangte, hatten sie nicht ausgemacht. Nun gingen sie beide und gingen, bis sie an ein großes Wasser kamen. Es nahte die Nacht heran. Sie legten sich an das Ufer und schliefen. Am Morgen erhob sich der Jüngling Anania, bückte sich über das Wasser, um sich zu waschen. Wie er sich bückte, stand ein Fisch da mit offenem Munde, um ihn zu verschlucken. Er sprang erschrocken zurück. »Du Kind, warum wäschst du dich nicht?« – »Sieh, es steht da ein Fisch mit offenem Mund, mich zu verschlucken.« Darauf lachte der Fremde über solche Angst und sprach: »Du hättest ihn am Genick erwischen sollen, ach, was für einen Fang hätten wir getan.« Er schämte sich und bückte sich trotz der Angst über das Wasser und packte den Fisch am Halse und warf ihn zur Erde. Der fremde Mann nahm die Leber heraus und das Fett und gab es dem Jüngling in den Busen und sagte ihm, er solle es gut aufbewahren, er würde es noch brauchen. Dann machte er ein Feuer an und briet den Fisch auf den Kohlen. Dann frühstückten beide, bis sie satt waren, was übrig blieb, ließen sie liegen. Nur einmal fing der Fremde an: »Du Anania, weißt du, was ich gedacht?« – »Nein, aber sag es mir, dann weiß[581] ich's.« – »Ich habe mir gedacht – ein wenig weiter von hier ist ein Mädchen, die sollst du heiraten, sie hat denselben Glauben wie du.« – »Ich will sie nehmen, trotzdem mein Vater nichts weiß.« Gut.

Abends erreichten sie das Haus, in dem das Mädchen wohnte. Der Fremde klopfte ans Fenster. »Wer ist da?« rief die Wirtin. »Wir, zwei Menschen auf dem Wege ins fremde Land. Die Nacht hat uns ereilt, wir bitten um Quartier für diese Nacht.« – »Tretet ein! Wie sollte ich euch nicht geben.« Als sie ins Zimmer eintraten, wünschten sie einen guten Abend. Die Hausfrau dankte. »Setzt euch.« Sie bereitete das Abendessen. Als es fertig war, setzten sie sich alle an den Tisch und aßen. Nur einmal fing der Fremde an zur Hausfrau: »Wir sehen, daß ihr tüchtig seid und eine Frau, aber von dieser hier wissen wir nicht, ob wir zu ihr Mädchen oder junge Frau sagen sollen?« – »Es ist unsere Tochter.« – »Ihr sollt sie diesem Burschen zur Genossin geben.« – »Ich würde sie ihm gerne geben, aber ich muß euch sagen, wie es ist: Dieses Mädchen, das ihr hier seht, hat sieben Männer gehabt, und doch ist sie ein Mädchen. Am Hochzeitsabend, wenn das junge Paar in sein Zimmer kam, starb der Mann.«

Der Fremde sagte darauf: »Aber die Macht ist bei Gott, der wird doch größer sein als der Teufel, wir werden doch Hochzeit machen.« Darauf hielten sie Hochzeit.

Die Hausfrau gab dem Jüngling Anania eine Schafherde, eine Pferdeherde und eine fette Ochsenherde. Jetzt, als die Hochzeit beendigt war und der Abend sich näherte, sprach der Fremde zum Bäutigam: »Nimm die Leber aus dem Busen, brate sie und iß sie mit deiner jungen Frau, dann erst geht in euer Haus. Gib mir den Schuldschein, ich gehe und hole dir die Schuld von dem Kaufmann.« Anania tat, wie ihm der Fremde gesagt. Aber dieser war ein Engel, nur wußte es niemand. Er ging schnell wie der[582] Gedanke zum Kaufmann, und dieser gab ihm die Gelder alle. Am Morgen war er wieder bei der Hausfrau. Diese stand mit der ganzen Hochzeit wie erstarrt, als Anania gesund und vergnügt herauskam mit seiner jungen Frau. Na, jetzt machten sie sich fertig für die Reise nach Hause. Anania mit seiner jungen Frau und dem Schutzengel setzten sich auf den Wagen. Die Schaf-, Pferde- und fette Ochsenherde trieben die Knechte.

Als der alte Anania diese Mär hörte, rief er: »Ihr sollt mich in die Mitte des Hofes führen und auf einen Stuhl setzen. Nachdem ich ohne das Augenlicht geblieben, will ich wenigstens mit den Ohren hören, was sich bei mir ereignet hat.« Gut.

Als sie angekommen, fing die Hochzeit von neuem an, und sie hochzeiteten sieben Tage. Nach diesem sprach der Alte zu seinem Sohn: »Mein Kind, wir haben mit diesem Mann aus dem fremden Lande nicht gedungen, und er hat geholfen, daß du so viel Gutes erreicht hast. Was wird wohl recht sein, daß wir ihm geben?«

»Väterchen, ich habe mir gedacht, wir sollen alles mit ihm teilen, nur meine Frau kann ich nicht teilen.«

»Gut hast du gesagt, mein Sohn, geh und ruf ihn ein wenig heraus.« Er ging. Als er mit ihm herauskam, sagte der Alte so und so, darauf antwortete der Fremde: »Ihr guten Leute, ich brauche gar nichts, ich bin kein Mensch, ich bin der Schutzengel, und nur, weil ihr es wert seid, habe ich geholfen, ihr solltet alles Gute erlangen.«

Kaum hatte er diese Worte vollendet, so hatte er sich aus ihren Augen verloren. Aber der alte Anania mit seinem Sohne ließen sich auf die Knie und dankten Gott und dem Schutzengel.


Iuon Vuga, Rucăr[583]


Quelle:
Schullerus, Pauline: Rumänische Volksmärchen aus dem mittleren Harbachtal. Bukarest: Kriterion 1977, S. 580-584.
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