A. Der Königssohn und Messeria.

[255] Aus Süd-Småland.


Es war einmal ein König und eine Königin, die keine Kinder hatten. Hierüber grämten sie sich sehr, und der König wünschte nichts so sehr, als einen Erben für die Krone und das Reich zu bekommen. Jahre aber kamen und Jahre vergingen, und noch immer wollte seine Hoffnung nicht in Erfüllung gehen.

Die Königin, die Gemahlin dieses Königs, hatte ihre größte Lust, auf der See herumzufahren, wenn das Wetter schön war. Es ergab sich einmal, daß ihr Schiff plötzlich im Meere stille stand, und die Seeleute vermochten es nicht zu bewegen, weder vor-, noch rückwärts. Nun konnten wol Alle begreifen, daß irgend Etwas im Wasser war, was das Schiff festhielt. Die Königin ging daher auf das Schiffsverdeck, und fragte nach dem, was ihre Fahrt verhindere. Da vernahm man unter dem Kiel eine Stimme, die sagte: »Nie kommst du mehr auf die grüne Erde, wenn du mir nicht das gibst, was du unter[255] deinem Gürtel trägst.« Die Königin willigte ein, denn sie wußte nicht, daß sie schwanger war. Sie warf daher ihren Schlüsselbund in's Meer, der am Ende des Gürtels hing. Sogleich wurde das Schiff wieder flott, und begann über Wellen und Wogen zu gehen, bis es endlich in den Hafen im Reiche des Königs einlief.

Einige Zeit hierauf merkte die Königin, daß sie ein Kind unter dem Herzen trage. Da herrschte große Freude über das ganze Land, und der König freute sich am allermeisten, daß er seinen theuersten Wunsch erfüllt sehen sollte. Die Königin aber selbst freute sich nicht, denn sie fürchtete sich, daß sie unwissend ihre eigene Frucht versprochen habe.

Als der König ihren geheimen Kummer merkte, kam es ihm wunderlich vor, und er fragte, warum sie allein betrübt wäre, während alle Anderen sich freuten. Die Königin erzählte ihm nun Alles, wie es sich auf der Seereise zugetragen hatte. Der König aber bat sie getrost zu sein, und ihren Kummer sich aus dem Sinn zu schlagen, er werde schon sorgen, daß das Meerweib nie ihr Kind in die Hände bekäme.

Nach Monaten kam die Königin in die Wochen, und gebar einen kleinen Sprößling. Der junge Prinz nahm an Alter und Kraft zu, und wurde stärker und schöner, als andere Kinder. Hierüber empfanden der König und die Königin eine große Herzensfreude, und sie hüteten den Knaben, wie ihren Augapfel. Es währte so eine geraume Zeit, und der Prinz ging in sein zwölftes Jahr. Da ereignete es sich, daß der König von seinem Bruder Besuch[256] erhielt, der über ein anderes Reich herrschte, und der fremde König hatte zwei Söhne mit sich. Die drei Königssöhne hatten ihre größte Lust, zusammen zu spielen.

Eines Tages unterhielten sich die fremden Prinzen, im Hofe zu reiten, der vor dem Hause lag; der Königssohn aber stand darinnen, und sah ihrem Vergnügen zu. Er fühlte nun eine heftige Begierde, am Spiele Theil zu nehmen; und schlich daher von seinen Wächtern hinweg, sprang in den Hof hinaus, und bestieg ein Pferd.

Die Knaben ritten zum Strande hinab, ihre Füllen zu wässern. Kaum aber war das Pferd des Prinzen zum Wasser gekommen, als es in die See lief, und in den Wogen verschwand. Die fremden Königskinder kehrten sogleich zum Königshofe heim, und erzählten dies große Unglück. Da kann man sich wol vorstellen, wie man dort jammerte und trauerte, und der König schickte seine Mannen aus, den Prinzen zu suchen. Alle Forschungen aber waren umsonst; der Knabe war und blieb verschwunden. Der Junge setzte unterdessen seinen Weg fort, und fand einen grünen Pfad, der zu einem schönen Schlosse führte, weit unten im Meeresgrunde. Das schöne Schloß glänzte überall von Gold und kostbaren Steinen, so daß Niemand deßgleichen gesehen hatte, und darin wohnte die Meerfrau, die über Wind und Wogen herrschte. Als der Prinz in's Schloß kam, sah ihn das Weib mit sanften Augen an, und grüßte, und sagte: »Willkommen! schöner Junge! zwölf Winter habe ich auf dich gewartet. Du sollst nun hier bleiben, und mein Page werden. Wenn du mir treu und gut dienst, sollst du Erlaubniß erhalten, wieder zu[257] deinen Verwandten zurückzukehren, wenn du aber nicht thust, was ich dir befehle, gilt es dein Leben.« Bei dieser Rede ward dem Jungen schlimm zu Muthe, denn er dachte an seine Eltern daheim, wie es die jungen Knaben gewohnt sind. Er mußte sich aber in sein Schicksal fügen, und verweilte so eine geraume Zeit bei der Meerfrau, in dem schönen Schlosse im Meeresgrunde.

Eines Tages ließ die Meerfrau den Prinzen zu sich rufen, und sagte: »Es ist Zeit, daß du deinen Dienst beginnst, und folgende soll deine erste Probe sein. Hier sind zwei Garne, ein weißes und ein schwarzes. Nun sollst du das weiße Garn schwarz, und das schwarze Garn weiß waschen. Alles aber muß am Morgen fertig sein, wenn ich erwache, sonst gilt es dein Leben.« Der Jüngling nahm die beiden Garne, wie die Meerfrau befohlen, ging hinab zur See, und begann sie zu waschen, so gut er konnte; wie er sich aber auch abmühen mochte, das weiße Garn war, und blieb weiß, und das schwarze Garn war, und blieb schwarz. Als der Prinz nun merkte, daß er seine Probe nicht bestehen könne, wurde er sehr betrübt, und weinte bitterlich.

In demselben Augenblicke kam eine junge, sehr schöne Jungfrau gegangen. Die schöne Maid ging zum Königssohn hin, grüßte freundlich, und fragte, warum er so betrübt sei? Der Prinz antwortete: »Ach, ich muß wol weinen, die Meerfrau hat mir befohlen, das weiße Garn schwarz, und das schwarze Garn weiß zu waschen. Wenn ich es bis am Morgen nicht gethan habe, wenn sie erwacht, gilt es mein junges Leben.« Die Jungfrau entgegnete: »Wenn[258] du versprichst, mir treu zu sein, will ich dir helfen, und dir auch immer treu sein.«

Der Jüngling willigte gerne ein, denn die Jungfrau war so schön, daß Niemand sich vorstellen kann, wie schön sie war. Sie gelobten sich einander, nie zu hintergehen. Da ging das junge Mädchen zu einem unbeweglichen Stein hin und sagte: »All' ihr Däumlinge meiner Frau Mutter, kommt hervor, und helft, das weiße Garn waschen, bis es schwarz wird, und das schwarze, bis es weiß wird.« In demselben Augenblicke kam eine Schaar kleiner Leute oder Däumlinge hervor, deren Anzahl Keiner zählen konnte; jeder Däumling nahm ein Ende eines kleinen Fadens und begann sehr fleißig, sehr fleißig zu waschen, und sie ließen nicht eher davon ab, bis das weiße Garn schwarz, und das schwarze weiß wurde. Als Alles fertig war, krochen die Däumlinge unter den Stein, und Niemand sah sie mehr. Das junge Mädchen aber setzte sich, um mit dem Königssohn zu plaudern, und erzählte, daß sie eine Prinzessin sei, und Messeria heiße; sie warnte ihn zugleich, daß er es Niemanden wissen lasse, daß sie sich einander getroffen.

Früh am Morgen, ehe die Sonne aufging, ging der Prinz zu seiner Herrin, wie sie befohlen hatte. Als er hinkam, fragte die Meerfrau, ob er ihrem Verlangen nachgekommen sei. Der Junge bejahte es, und wies die beiden Garne. Da wunderte sich die Meerfrau sehr, und sagte: »Wie ist dies zugegangen? Hast du eine von meinen Töchtern getroffen?« Der Junge aber sagte, daß er Niemand gesehen, und so schieden sie für diesmal.[259]

Einige Zeit darauf ließ die Meerfrau den Königssohn wieder zu sich rufen, und sagte: »Ich will dir nun eine andere Probe auferlegen. Hier ist eine Tonne Weizen, und eine Tonne Korn mit einander vermischt. Du sollst das Getreide jedes nach seiner Art sondern, so daß das Korn von dem Weizen geschieden wird, und der Weizen vom Korn. Alles aber soll am Morgen fertig sein, wenn ich erwache, sonst gilt es dein Leben.« Der Junge nahm nun das Korn und den Weizen, wie ihm befohlen war, und begann zu klauben, so viel er konnte.

Wie er sich aber auch plagen mochte, als es gegen die Nacht ging, hatte er noch nicht mehr als einen kleinen Theil gesondert. Da wurde er sehr betrübt, und weinte bitterlich. In demselben Augenblicke kam die schöne Messeria gegangen, grüßte herzlich, und fragte nach der Ursache seines großen Schmerzes. Der Prinz antwortete: »Ach, ich muß wol weinen, und kann nicht fröhlich sein. Die Meerfrau hat mir befohlen, all' dieses Getreide nach seinen verschiedenen Gattungen zu sondern, so daß das Korn vom Weizen geschieden wird, und der Weizen vom Korn. Habe ich es aber nicht bis am Morgen gethan, wenn sie erwacht, gilt es mein junges Leben.«

Die Jungfrau entgegnete: »Wenn du versprichst, mir treu zu sein, so will ich dir helfen, und dir auch immer treu bleiben.« Der Königssohn versicherte, daß er nie eine andere in der Welt lieben werde, außer ihr. Da ging das Mädchen zu einem unbeweglichen Stein, klopfte darauf und sagte: »All' ihr Däumlinge meiner Frau Mutter kommt hervor, und helft, das Korn vom Weizen sondern, und den Weizen vom Korn.« Sogleich kam eine unzählbare[260] Schaar Däumlinge herbei, jeder Däumling nahm ein Korn, und sie klaubten sehr fleißig, sehr fleißig, bis zuletzt alles Getreide gesondert war, das Korn für sich, und der Weizen für sich. Als Alles fertig war, krochen die Däumlinge wieder unter den Stein, und Keiner sah sie mehr. Messeria ging ebenfalls ihres Weges; sie warnte aber den Königssohn, daß er Niemanden wissen lasse, daß sie sich einander getroffen.

Früh am Morgen, ehe der Tag graute, ging der Prinz zu seiner Herrin, wie sie befohlen hatte. Als er hinkam, fragte die Meerfrau, ob er ihren Auftrag vollzogen. Der Jüngling bejahte es, und wies das Getreide, das gesondert war, jede Gattung für sich. Da verwunderte sich das Weib sehr, und sagte: »Wie hast du es gethan? Hast du irgend eine von meinen Töchtern getroffen?« Der Prinz aber antwortete, daß er keine gesehen, und so schieden sie diesmal.

Als wieder einige Zeit vergangen war, sandte die Meerfrau einen Boten zu dem jungen Königssohn. Sie sagte: »Ich will dir jetzt eine dritte Probe auflegen. In meinem Stalle sind hundert Ochsen; und dieser war an zwanzig Jahre nicht gereinigt worden. Du sollst hingehen, und ihn reinigen. Wenn du es am Morgen gethan hast, wenn ich erwache, will ich dir eine von meinen Töchtern geben, und dir erlauben, zu deinen Verwandten heim zu gehen. Wenn du es aber nicht vollzogen, wie ich dir sagte, gilt es dein Leben.« Der Junge ging hin zum Stall der Meerfrau, und begann auszumisten; wie er sich aber auch Mühe geben mochte, es war leicht zu sehen, daß er[261] nie fertig werden würde, denn der Unrath wuchs nur mehr an, als er vermindert wurde. Da wurde dem Prinzen schlimm zu Muthe, und er weinte bitterlich. In demselben Augenblicke kam die schöne Messeria gegangen, und fragte nach der Ursache seines großen Schmerzes. Der Knabe antwortete: »Ach, ich muß wol weinen, und kann nicht fröhlich sein. Die Meerfrau hat mir den Stall zu reinigen befohlen, wo sie ihre hundert Ochsen hat. Wenn ich es bis zum Morgen gethan, wenn sie erwacht, will sie mir eine von ihren Töchtern und Erlaubniß geben, zu meinen Verwandten heim zu ziehen, wenn ich es aber nicht gethan habe, gilt es mein junges Leben.« Das Mädchen entgegnete: »Wenn du mir versprichst, treu zu sein, so will ich dir helfen, und dir auch immer treu bleiben.« Der Königssohn wiederholte, daß er nie eine Andere in der Welt lieben werde.

Da ging Messeria zu einem unbeweglichen Stein hin, klopfte darauf, und sagte: »All' ihr Däumlinge meiner Frau Mutter kommt hervor, und helft, den Stall der Meerfrau reinigen.« Sogleich kam da eine so große Schaar Däumlinge hervor, daß der ganze Boden wimmelte, und die kleinen Männer arbeiteten so fleißig und emsig, und hörten nicht früher auf, bis der ganze Stall gereinigt war. Als nun Alles fertig war, krochen die Däumlinge wieder unter den Stein, und Niemand sah sie mehr. Messeria aber setzte sich nun mit dem Prinzen, um zu plaudern und warnte ihn, daß er Niemanden wissen lassen solle, daß sie sich einander getroffen. Sie sagte ihm auch, daß die Töchter des Meerweibes eigentlich Königstöchter seien,[262] welche in verschiedene Thiere verwandelt worden. »Daher,« setzte sie hinzu, »wenn du mich nicht betriegen willst, dann erinnere dich, daß ich in eine kleine Katze verwandelt bin die auf der Seite gebrannt, und an einem Ohr beschnitten ist.« Der Junge bewahrte diese Worte genau in seinem Gedächtniß, und sagte, daß er nie ihren Rath vergessen wolle. Hierauf nahmen sie einen herzlichen Abschied von einander.

Zeitlich am Morgen, ehe es tagte, ging der Prinz zu seiner Herrin, wie ihm befohlen worden. Als die Meerfrau ihn gewahrte, fragte sie, ob er ihren Auftrag vollzogen. Der Junge bejahte es, und sie gingen zusammen hin, wo der Stall lag. Als nun das Weib sah, daß Alles fertig war, wie sie befohlen, verwunderte sie sich über die Maßen, und fragte: »Wie ging dies zu? Ist Jemand hier gewesen und hat dir geholfen?« Der Königssohn antwortete, daß er Niemand getroffen. Die Meerfrau erwiederte: »Wenn es so ist, will ich mein Wort, und auch mein Versprechen wol halten, wie ich es gegeben. Du sollst eine unter meinen Töchtern wählen, und sodann wieder zu deinen Verwandten heimziehen.«

Der Königssohn ging nun mit der Meerfrau, und sie kamen in einen großen Saal, wo der Prinz nie früher gewesen. Der Saal war sehr schön, und auf das allerkostbarste mit Gold und Silber geschmückt, und darin war eine große Schaar Thiere von verschiedenen Gattungen wie Schlangen, Kröten, Wiesel und andere versammelt, die Niemand aufzählen konnte. Die Meerfrau sagte: »Hier siehst du alle meine Töchter, wähle nun, welche du willst.«[263] Als aber der Junge die häßlichen Thiere sah, ward ihm schlimm zu Muthe, und er wußte nicht recht, wohin er sich wenden sollte, so abscheulich erschienen sie ihm. Während dem, sah er eine kleine Katze, die auf der Seite gebrannt war, und ein beschnittenes Ohr hatte. Die Katze aber ging im Zimmer umher, wedelte mit dem Schwanze, und sah sehr traurig aus. Da erinnerte sich der Prinz dessen, was Messeria gesagt hatte, er ging daher zu der kleinen Katze hin, strich sie mit der Hand, und sagte: »Diese will ich haben, und keine andere.«

In demselben Augenblicke veränderte das Thier seine Gestalt, und es wurde eine schöne Jungfrau daraus, und der Jüngling erkannte das schöne Mädchen wieder, welches ihm geholfen hatte. Die Meerfrau aber wurde sehr übellaunig, und sagte: »Warum willst du gerade sie wählen? Sie war mir die Liebste von allen meinen Töchtern.«

Nachdem wieder einige Zeit vergangen war, schickte die Meerfrau nach dem Königssohne, und sagte: »Ich will nun deine Hochzeit veranstalten; vorher aber sollst du die Hochzeitskleider für deine junge Braut holen. Gehe daher zu meiner Schwester, und grüße sie von mir, so erhältst du Alles, was du brauchst.« Als nun der Prinz erfahren, daß er zu der Schwester der Meerfrau reisen sollte, wurde er sehr betrübt, denn er konnte wol erkennen, daß dies eine gefährliche Fahrt war. Er setzte sich daher nieder, und weinte bitterlich. Als er so saß, kam die schöne Messeria gegangen, und fragte, warum er so traurig sei; der Prinz antwortete: »Ach, ich muß wol weinen, die Meerfrau hat mir befohlen, zu ihrer Schwester wegen[264] der Hochzeitskleider fortzuziehen, und ich kann wol denken, daß es eine gefährliche Reise sein wird.« Messeria sagte: »Wenn du mir versprechen willst, mir treu zu sein, will ich dir helfen, und dir auch immer treu bleiben.« Der Königssohn versicherte von Neuem, daß er nie seine Treue, und sein Versprechen gegen sie brechen werde. Da nahm die Jungfrau das Wort: »Wenn du dich auf den Weg begibst, so kommst du zuerst zu einem Gatterthor, welches in jenem Theil des Landes ist, der die Schätze der Meerfrau birgt. Das Gatterthor ist alt, und schwer aufzumachen. Bestreiche es mit der Salbe aus diesem Horn. Sodann kommst du zu zwei Männern, die eine Eiche am Wege behauen; die Männer haben hölzerne Aexte, gib ihnen diese Aexte von Eisen. Hernach kommst du zu zwei anderen Männern, die stehen im Hofe und dreschen. Sie haben Dreschflegel von Eisen, gib ihnen diese Dreschflegel von Holz. Sodann kommst du zu zwei Adlern, die werden sich drohend aufrichten, wenn du vorbeigehst. Gib ihnen diese beiden Fleischstücke. Bei der Schwester der Meerfrau aber bin ich nie gewesen, und kann dir daher nichts rathen. Sei jedoch vorsichtig, und esse nichts.« Der Prinz dankte sehr für diesen guten Rath, und versprach, ihn genau zu befolgen. Hierauf nahm er Abschied von Messeria, und begann seine Wanderung.

Als er einige Stunden gereis't war, kam er zu einem Gatterthor, welches in derselben Landmark sich befand, wo die Schätze der Meerfrau eingeschlossen waren. Das Thor aber war alt, und bewegte sich schwer in seinen Angeln. Da that der Prinz, wie Messeria ihn gelehrt[265] hatte, er nahm sein Horn mit der Salbe hervor, und bestrich die Angeln. Hierauf ging er weiter, und kam zu zwei Männern, die Holz hauten. Sie hatten Aexte von Holz. Der Königssohn aber gab einem jeden von ihnen eine eiserne Axt. Er kam ferner dahin, wo die Drescher standen. Sie hatten schwere Dreschflegel von Eisen. Der Prinz aber gab ihnen hölzerne Dreschflegel. Endlich kam er zu zwei Adlern, die sich drohend aufrichteten, als er vorbeiging. Der Prinz aber gab einem jeden ein Stück Fleisch, und kam so ungehindert zu dem Hofe, wo das Ziel seiner Reise war.

Als der Königssohn hineinkam, blieb er vor der Schwester der Meerfrau stehen, und brachte sein Anliegen vor. Er wurde auf das allerbeste empfangen. Das Weib aber hatte ein häßliches Aussehen, und der Junge konnte wol begreifen, daß sie nicht Alles so meinte, wie sie sagte. Die Meerfrau bat ihn nun, sich niederzusetzen, sie aber bereitete die Hochzeitssachen zu und ließ Speisen herbei bringen, damit er esse. Der Prinz erinnerte sich aber des Rathes seiner Liebsten, und wollte die Speise nicht kosten, sondern wartete die Gelegenheit ab, und verbarg sie im Bette. Nach einer Weile trat die Meerfrau ein, und fragte, ob ihr Gast gegessen habe. Der Jüngling bejahte es. Da lachte das Weib heimlich, und sagte: »Menschenhaupt! wo du bist du?«

Die Speise antwortete:


»Ich stehe bei den Füßen des Bettes.

Ich stehe bei den Füßen des Bettes.«


Nun wurde dem Jüngling schlimm zu Muthe, denn[266] er merkte die Bosheit des Weibes. Die Meerfrau aber wurde erzürnt, holte die Speise und sagte, daß der Prinz davon essen müsse, ob er wolle, oder nicht.

Das Weib ging das zweite Mal hinaus, und der Junge sah sich nach einem Versteckplätzchen um. Er steckte nun die Speise in's Ofenloch und verbarg sie, so gut er es vermochte. Es dauerte aber nicht lange, als die Meerfrau zurückkam, und fragte, ob er gegessen. Der Prinz bejahte es. Da lachte das Weib boshaft, und sagte:

»Menschenhaupt! wo bist du?«

Die Speise antwortete:

»Ich stehe im Ofenloch!«

»Ich stehe im Ofenloch!«

Als nun die Meerfrau vernahm, daß der Junge, auf seiner Hut gegen ihre Ränke war, wurde sie über die Maßen erzürnt, holte die Speise, und sagte, der Prinz solle davon essen, oder es gelte sein Leben. Das Weib ging hierauf zum dritten Mal fort. Da wußte der Junge nicht in seiner Noth, wo er die Speise verstecken solle, sondern verbarg sie in der Brust unter seinen Kleidern. Als die Meerfrau zurückkam, fragte sie wie früher, ob er gegessen hätte. Der Knabe bejahte es. Da sagte das Weib:

»Menschenhaupt, wo bist du?«

Die Speise antwortete:

»Ich liege im Busen.«

»Ich liege im Busen.«

Nun lachte die Meerfrau, und erwiederte:

»Liegst du im Busen,[267]

Kommst du schnell in die Gedärme!«

Hierauf gab sie dem Jungen viele Grüße an seine Herrin auf, reichte ihm eine Schachtel mit Hochzeitssachen, wünschte ihm Glück auf die Reise, und so schieden sie von einander.

Der Junge begab sich nun auf den Rückweg, und war froh, was nicht zu wundern ist. Aber man muß nicht eher jubeln, bevor man über den Bach kommt, wie das alte Sprichwort sagt. Denn der Prinz war nicht weiter als zu den beiden Adlern gekommen, als das Weib rief:

»Adler zerreißt ihn!«

Da erschrak er sehr. Als die Adler aber sahen, wer es war, wollten sie ihm keinen Schaden zufügen, sondern antworteten:

»Nein, er hat uns gespeis't,

Er hat uns gespeis't.«

Der Prinz ging so vorbei, und kam zu den Männern, die droschen. Da rief die Meerfrau:

»Drescher! schlagt ihn todt!«

Nun fürchtete sich der Junge wieder, als die Männer aber sahen, wer es war, wollten sie ihm keinen Schaden zufügen, sondern antworteten:

»Nein, er hat uns hölzerne Dreschflegel für eiserne gegeben.«

»Hölzerne Dreschflegel für eiserne Dreschflegel?«

Der Königssohn eilte so weiter, und kam zu den Männern, die Holz hauten. Da rief die Meerfrau:

»Holzhauer! schlagt ihn todt.«[268]

Als die Männer aber sahen, wer es war, wollten sie ihm keinen Schaden zufügen, sondern sagten:

»Nein, er hat uns eiserne Aexte für Holzäxte gegeben.«

»Eiserne Aexte für Holzäxte?«

Nun eilte der Prinz weiter, und lief so schnell als er vermochte, bis daß er an die Gränze des Landes kam. Da rief die Meerfrau:

»Gatterthor! drücke ihn zu Tode.«

Das Gatterthor aber antwortete:

»Nein, er hat mich geschmiert,«

»Er hat mich geschmiert.«

Der Jüngling kam so auf das Gebiet seiner Herrin, und Niemand wunderte sich, daß er sehr müde nach einer solchen Fahrt war. Als der Königssohn sich eine Weile ausgeruht hatte, setzte er seine Heimreise wieder fort. Wie er aber eine Weile gegangen, kam es ihm in den Sinn, daß es wol gut sein könnte, zu wissen, was für Hochzeitssachen in der Schachtel verborgen wären. Zwar dachte er an seine Liebste und ihre Warnungen, wie es aber zu geschehen pflegt: Jugend und Weisheit reisen nicht zusammen, und so wurde, je mehr er grübelte, desto größer seine Neugierde. Zuletzt konnte er seine Begierde nicht länger beherrschen, sondern öffnete an der einen Seite ein wenig den Deckel der Schachtel. Er sah aber nun ein großes Wunder, denn die Schachtel war, wie es ihm schien, voll mit Funken, und als er den Deckel ein wenig öffnete, fuhr ein Feuerstromm aus der Oeffnung, und die Funken flogen, wie aus einem Ofenloche, umher. Da bereute der Prinz seine Unbedachtsamkeit, es war aber zu spät, und zuletzt konnte er vor Furcht weder vorwärts,[269] noch zurückgehen, sondern setzte sich nieder, und weinte bitterlich. Endlich fiel es ihm ein, daß er wol versuchen könnte, ob die Däumlinge Messeria's ihm helfen wollten. Er ging daher zu einem unbeweglichen Stein, klopfte darauf, und rief: »All' ihr Däumlinge meiner Frau Mutter kommt hervor, und helft mir, die Brautkleinodien hineinlegen.« Sogleich kam eine unzählige Menge von Däumlingen hervor, und die kleinen Männer zerstreuten sich in alle Fernen, und jagten nach den Funken über Berg und Thal. Nach einer Weile kam die ganze Schaar zurück, jeder hatte einen Funken gefangen, und legte ihn wieder in die Schachtel. Hierauf krochen sie unter den Stein. Der Königssohn aber gedachte ein andersmal klüger zu sein, und wanderte fröhlich zur Burg, wo seine Herrin wohnte.

Als ihn nun die Meerfrau erblickte und vernahm, daß er alle Gefahren wol bestanden, verwunderte sie sich sehr, und empfing ihn auf das beste. Sie ließ die Hochzeit des Prinzen feiern mit großem Pomp, und Lustbarkeit, und alle ihre Töchter waren bei dem Gastmale. Messeria aber war unter allen Königskindern das schönste, und der Bräutigam hielt sie höher als alle Kostbarkeiten, die er in dem schönen Schlosse gesehen.

Als die Hochzeit zu Ende war, erhielten der Prinz und seine schöne Braut Erlaubniß, ihres Weges zu ziehen. Sie nahmen von der Meerfrau Abschied, und wünschten von ganzem Herzen, sie nie mehr zu treffen.

Hierauf setzten sie sich in einem goldenen Wagen, und fuhren über viele grüne Ebenen, bis sie aus dem[270] Meere heraufkamen, nicht weit vom Königshofe. Nun aber fühlte der Junge eine große Sehnsucht, zu sehen, wie es daheim bei seinen Verwandten stehe. Messeria stemmte sich dagegen, und sagte, daß es sich mehr schicke, wenn sie zuerst zu ihrem Vater führen, der auch ein König war. Der Prinz bestand gleichwol fest auf seiner Meinung, und so behielt er Recht.

Als sie sich nun trennen sollten, nahm Messeria ihrem Bräutigam das Versprechen ab, daß er keine Nahrung nehmen solle, während er von ihr getrennt war, sondern sogleich zurückkehre. Der Königssohn versprach ihr, hierin zu gehorchen, und zog hierauf in die Stadt. Die junge Braut aber setzte sich nieder, und weinte bitterlich; denn sie konnte wol voraussehen, wie seine Fahrt ablaufen werde.

Als nun der Junge zum Hofe seines Vaters kam, herrschte eine große Freude, wie man sich wol denken kann, und am allermeisten freute sich der König und seine Gemahlin die Königin. Da wurde ein prächtiges Gastmal zubereitet, und alle bewillkommten den Prinzen in seiner Heimat. Der Junge aber wollte weder essen, noch trinken, sondern sagte, daß er sogleich seines Weges wieder ziehen wolle. Dies fiel der Königin auf, und sie wollte ihn nicht so nüchtern von sich ziehen lassen. Der Prinz wurde solchergestalt mit vielen Bitten überredet, und ließ sich endlich bewegen, ein Pfefferkorn zu kosten.

Da veränderte sich sein Sinn, so daß er seine schöne Braut vergaß, und Alles, was ihm widerfahren, während er bei der Meerfrau war. Er begann hierauf zu essen,[271] und zu trinken, und that sich mit seinen Verwandten gütlich. Messeria aber saß im Walde, und wartete, bis die Sonne unterging. Hierauf zog sie mit großem Schmerz zu einer kleinen Hütte hin, und bat um Herberge bei den armen Leuten, die dort wohnten.

Es verstrich so einige Zeit, und der König wünschte, daß sein Sohn sich ein Weib nehmen solle. Der Prinz hatte nichts dagegen, sondern fuhr zu einem andern Reiche fort, und freite um eine schöne Königstochter. Hierauf wurde ein Gastmal zubereitet, und die Hochzeit mit Lust und Spiel begangen. Die schöne Messeria aber wanderte zum Königshofe hin, und bat, als eine Dienstmagd dort bleiben zu dürfen. Sie ging im Hochzeitssaal aus und ein, und man kann wol denken, daß es mit schwerem Herzen geschah. Sie verbarg aber ihre Thränen, und unter der allgemeinen Freude war dort Niemand, der auf ihren Schmerz achtete.

Als die Hochzeit einige Zeit gedauert hatte, setzten sich die Gäste zu Tische, und Messeria trat herein, die Speisen aufzutragen. Sie hatte mit sich zwei Tauben, die im Saale hin und herflogen. Als nun das erste Gericht hineingetragen wurde, nahm das Mädchen drei Weizenkörner, und warf sie den Tauben vor. Der Tauber aber flog hin, pickte alle drei Körner, und ließ seinem Weibchen nichts übrig. Da sang die kleine Taube:


»Schäme dich!

Du betrügst mich!

Wie der Königssohn Messeria betrog.«


Da entstand Schweigen im Saale, und die Gäste[272] verwunderten sich über die kleinen Vögel; der Bräutigam aber wurde sehr gedankenvoll, lockte die Tauben zu sich und liebkos'te sie.

Nach einer Weile wurden die anderen Gerichte auf den Tisch gesetzt, und Messeria half die Speisen hineintragen. Sie warf nun wieder drei Weizenkörner ihren Tauben vor, es ging aber wie früher; der Tauber pickte alle drei Körner auf, und ließ seinem Weibchen nichts übrig. Da sang die kleine Taube.


»Schäme dich!

Du betrügst mich!

Wie der Königssohn Messeria betrog.«


Nun herrschte wieder Stille im Saale, und alle Gäste horchten auf die Worte des Vogels. Dem Königssohn aber ward wunderlich zu Muthe, und er lockte die kleinen Tauben und liebkos'te sie.

Als die dritte Tracht hineingetragen wurde, warf Messeria wieder drei Weizenkörner ihren Tauben vor. Der Tauber aber flog hin, und pickte alle drei Körner auf, ohne daß er etwas seinem Weibchen übrig ließ. Da sang die kleine Taube:


»Schäme dich!

Du betrügst mich!

Wie der Königssohn Messeria betrog.«


Nun herrschte eine tiefe Stille im ganzen Gastmahlssaale, und Keiner wußte, was er von diesem Wunderzeichen denken sollte. Als aber der Königssohn die Worte der Taube hörte, erwachte er wie aus einem Traume und es ging ihm zu Gemüthe, wie schlecht er der schönen[273] Messeria all' ihre Liebe gelohnt. Er sprang vom Tische auf, nahm das junge Mädchen an seine Brust, und sagte, daß sie und keine Andere seine Braut werden solle. Dabei erzählte er, welche Treue ihm Messeria bewiesen, und was ihm noch Anderes widerfahren, während er bei der Meerfrau war.

Als dies der König und die Königin, und die übrigen Hochzeitsgäste hörten, konnten sie sich kaum von ihrer Verwunderung erholen. Die fremde Prinzessin wurde nun wieder zu ihren Verwandten geschickt, Messeria aber als Braut geschmückt und dem jungen Königssohn vermählt. Sie lebten so viele gute Tage zusammen in Zucht, und in Ehren. Der Prinz aber vergaß nie mehr die schöne Messeria.

Quelle:
Hyltén-Cavallius, Gunnar/Stephens, George: Schwedische Volkssagen und Märchen. Wien: Haas, 1848, S. 255-274.
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