283. Das halbierte Kind.

[189] Mit einer Bristnerin hatte ein Jüngling von Gurtnellen Bekanntschaft. Ein guter Freund warnte ihn vor dieser Person; sie gefalle ihm nicht, sie habe so etwas Besonderes, sagte er. Dennoch heiratete sie der Gurtneller, und sie liess sich ganz gut an. Sie bekam auch ein Kind, »gsund und grächt« wie jedes andere. Eines Abends fragte die Frau ihren Mann: »Sage mir, wem ist dieses Kind?« Der Mann schaute sie verwundert an und sagte: »Eh! das Kind gehört mir und dir.« Nun waren in der Wand zwei alte, grosse Holznägel, wie man sie in alten Häusern oft findet, und die Frau bat öfters den Mann, er solle diese Holznägel ausziehen, sie zerreisse ihre Kleider daran. Eines Abends gab der Mann nach und zog die Holznägel heraus. Am nächsten Morgen fragte ihn die Frau, wie schon mehrmals: »Und jetzt sage mir aufrichtig und bestimmt: Wem gehört dieses Kind?« »Ach, das weisst du doch,« entgegnete er, »das Chind isch mys und dys.« Als er am Abend vom Felde kam, war die Frau verschwunden, und auf dem Tische lag die eine Hälfte des Kindes. Mit der andern Hälfte war die Frau davon, und sie kam nie mehr zum Vorschein.


Frau Furger-Mattli, Gurtnellen.

Quelle:
Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945, S. 189.
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