286. Vom Doktor Hans Tüet.

[195] 1. a) Er lebte noch zu Menschengedenken im Kanton Glarus und dokterte mit Sympathie. Ein ausgezeichneter Wasserkenner, wurde er oft von den Urner Älplern auf den Urnerboden berufen. Einst schickten sie aus Jux einen Lappi mit dem Wasser einer Filimährä zu ihm und liessen fragen, was dieser Frau fehle, und um eine Medizin bitten. Der Doktor betrachtete das Wasser; dann verpackte er ein Bündelchen Heu und Haber schön in ein Papier, gab es dem Boten, indem er ihn scharf fixierte, und sagte: »Säg däheimä, sy sellet de seelig Dummheitä nur nimmä machä! D'Narrä syget ufem Bodä-n-obä, nit z'Glaris unnä. Gännd iähr der Filimährä brav Haber und guets Heiw; si wird a dem und dem Tag filälä, ä Hängst mid-ämä rotä Stryffä (mid-ämä großä Hälm, d.h. Fleck, Bleß) uber dä Chopf appä.« Und so kam es heraus. Doch das Heu und den Haber mussten sie dem Tüet teuer bezahlen.

Aber gleichzeitig mit dem Tüet lebte auch ein Doktor Füsti. Der hatte es mit dem Bösen und traktierte den Tüet im Geheimen (auf Distanz) so, dass er zeitlebens kränkelte.

b) Die Urner Doktoren waren dem Tüet aufsässig und, um ihn zu blamieren, schickten sie etc. wie oben.


Max Albert, 75 J. alt; Kaplan Truttmann u.a.


2. Einst kam ein Schächentaler zu ihm und traf ihn an einem Tische sitzend, seinen Kopf separat vor sich auf[195] dem Tische rasierend. »Gält, ich ha's kummod a'greisets zum Rassiärä,« meinte Tüet. Der Schächentaler zog sich zurück, und, als er nach einigen Minuten wieder eintrat, trug Tüet seinen Kopf, fein rasiert, wieder nach aller Leute Art auf dem Rumpfe.


Fr. Nell-Gisler, von Spiringen, 50 J. alt.


3. Ein Mädchen aus dem Butzen zu Spiringen sollte für seinen kranken Vater zum Dr. Tüet. Beim Ankleiden geriet es in Streit mit der Schwester, deren bessere Schuhe es anzog. Auch der Vater wurde darüber aufgeregt. Als es mit dem Wasser zum Doktor kam, sagte er gleich, es habe den Vater erbost, was es bestritt, worauf er schliesslich sagte, ein anderes Mal solle es Schuhe anlegen, die an die Füsse und nicht an den Kopf passen.


Fr. Nell-Gisler. – Schriftl. v. Kaplan Truttmann.

Quelle:
Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945, S. 195-196.
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