330. Der Zauberhaspel.

[225] 1. Vielleicht ein halbes Jahrhundert ist verflossen, seitdem ein Berner Oberländer zu Leweren im Meiental Enzenschnaps brannte. Auf rätselhafte Weise wurden ihm aber[225] von Zeit zu Zeit bedeutende Mengen des köstlichen Saftes entwendet. Das konnte nur mit Zauber zugehen. Er hatte einen Haspel, und eines Tages sagte er zu seinem Gehilfen, dem Gehren-Mariä: »Nummä geng, tryb m'r ä chly a dem Haspel!« Der Mariä fing an zu treiben, immer schneller, bis der Berner sagte: »Nummä geng, tryb nid äso raas, susch tüet si-si verderbä.« Da trieb er langsamer, und bald kam keuchend, fast erstickend, mit Schweiss bedeckt, ein Weibervolk gelaufen mit dem noch übrigen Enzenwasser. Es war das sogenannte Golzner Loch aus dem Dörfli, gebürtig ab Golzer im Maderanertal, die Mutter des »Teufel« und des »Satan«. Das soll wahr sein. Ich habe es zuerst nicht glauben wollen, aber der Gehren-Mariä hat es mir für eine gewisse Wahrheit erzählt. Ja, das hat man immer gesagt, die Berner können mehr als andere, bestellen, zurücktreiben, Menschen und Vieh Krankheiten und den Tod anwünschen. Das Golzner Loch starb später eines schrecklichen Todes.


Jos. Baumann, 55 J. alt, Meien.


2. Als sie in der Gegend von Intschi an der Erbauung der Gotthardstrasse arbeiteten, war ein Vorarbeiter dabei, der die Werkzeuge über Nacht im Freien liess. Die Kameraden warnten ihn vor Dieben. Er aber meinte, die fürchte er nicht. Es solle ihm nur einer etwas stehlen; er wolle es schon zurücktreiben. Richtig kam bald darauf ein Hebeisen abhanden. Da gab er einem Freunde einen Haspel in die Hände, mit der Weisung, ihn umzudrehen, während er selber in einem Büchlein las. Noch hatte der Gespane nicht lange an seinem Haspel getrieben, so kam schon der Dieb mit dem gestohlenen Hebeisen in rasendem Laufe durch die Raine herunter gesprungen und warf es atemlos und erschöpft dem Bestohlenen zu.


Jos. M. Baumann, 68 J. alt, Gurtnellen.

Quelle:
Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945, S. 225-226.
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