Geister wie Laubsäcke und Ähnliches.

428. Das Wäuti zu Bolzbach.

[6] a) Am westlichen Ufer des Urnersees, in der Gemeinde Seedorf, im saftigen Grün der fetten Wiesen, im Schatten eines windgeschützten Obstbaumwaldes schmiegt sich an den Fuss des Gitschenstockes der Weiler Bolzbach. Die Güter daselbst, so hört man von den Alten erzählen, wie die ganze Umgegend samt den Gütern Tann-Ei, Böschenrütti, Mettlen, Bodmi, Plattenberg und Biel gehörten in frühern Zeiten einem einzigen Besitzer, dem Ratsherr Wipfli, wie die einen behaupten, oder einem Lorenz Wipfli († 1715), wie mir eine 80 jährige Seedorferin berichtet. Man habe ihn nur den »reichen Wipfli« genannt, und mit bloss 5 Gulden habe er alle diese Besitzungen verzinsen können.

Wenn dieser Ratsherr (oder Lorenz) aus der Ratssitzung heimkehrte, stellte sich ihm jedesmal an einer bestimmten Stelle zwischen Seedorf und Bolzbach, beim Kalkofen, »äs furchtbars Wäuti wiën-nä Läubsack« entgegen und versperrte ihm den schmalen Weg. Die Sache verleidete ihm nach und nach, und er fasste den Entschluss, das Ungeheuer zu beseitigen.[6] Er ging zur Beicht und Kommunion und liess sein Seitengewehr durch den Pfarrer segnen. Alsdann griff er eines Abends mit dem gesegneten Schwert das Ungetüm an und wollte es durchbohren. Doch der Hieb sauste zischend wie durch die leere Luft. Das unverletzte Gespenst nahm seinen Widersacher auf den Rücken und trug ihn wohl eine halbe Stunde über Bolzbach hinaus bis Engisort und wieder zurück bis an sein Haus. Dann entliess es ihn, rief ihm aber noch zu:


O weh! o weh! o Wipfli weh!

Solang Bolzbach staht, gitt's dert kei Fridä meh!


Seit dieser Zeit wurde das Gespenst nicht mehr gesehen, aber in Bolzbach waltet immer noch Streit und Zank bis auf den heutigen Tag, und die Seedorfer Kinder rufen nicht selten ihren Kameraden von Bolzbach den obigen Spruch ins Gedächtnis zurück.


Fr. Hartmann-Wipfli, 80 J. alt, u.a.


b) Eines Nachts sah man ein Wäuti oder ein Guschi auf dem Hausdach zu Bolzbach, das an einem fort schrie:


O weh! o weh! o Wipfli weh!

Solang Bolzbach staht, gitt's dert kei Fridä meh!


Was weiter geschehen, weiss die Erzählerin nicht.

Quelle:
Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945, S. 6-7.
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