642. Der Pfarrer am Kreuzstein im Etzliboden.

[112] Ein grosser, freistehender Felsblock im hintern Etzliboden heisst der Kreuzstein, weil er lange Zeit zur Erinnerung an einen Unglücksfall ein hölzernes Kreuz getragen, und ein Ortskundiger erzählt mir darüber:

Mein Grossvater mütterlicherseits, Lussmann von Geschlecht, war Bergführer. Nun geschah es mehreremal, dass er in aller Eile, in Schweiss gebadet, gegen das Etzlital dahergerannt kam und die Leute auf der Herrenlymi, die am Eingang des Tales liegt, fragte: »Habt ihr nicht soeben einen Herrn gesehen da vorbeimarschieren?« Wahrheitsgemäss antworteten sie ihm mit Nein, und er erwiderte: »Doch, doch, grad jetzt muss einer da vorbei sein!« und wurde bös, wenn sie es ableugneten, und eilte weiter. Endlich traf es sich doch, dass er einen Herrn Berther, der nach Disentis an die Primizfeier seines geistlichen Bruders reisen wollte, begleiten musste. Aber beide, Herr und Führer, kamen in Sturm und Unwetter ums Leben, Berther in der Nähe des Kreuzsteins.

Das Unglück hatte sich also vorausgekündet.


Jos. Maria Epp, Wärter der Etzlihütte.

Quelle:
Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945, S. 112.
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