942. Baschi Frech.

[311] 1. Dieses ereignete sich vor mehr als dreihundert Jahren. Auf einer Alp im Tale Meien, Eistner Alp genannt, sennete viele Jahre ein gewisser Baschi Frech, der in der Tat ungemein frech war und nie etwas fürchtete. Es war ihm wohl bekannt, dass während des Winters in seiner Alp auch gesennet werde und zwar von solchen, welche im Leben als Sennen ihre Sache nicht recht gemacht hatten, sei es, dass[311] sie Molken oder das Vieh vernachlässigten, oder einem der Mithaften mehr zuschöpften als dem andern. Diese mussten nachher im Winter dort wandeln. Alle Älpler wussten zudem, dass, wenn einmal die Alphütte im Herbste verlassen sei, man nicht mehr in dieselbe zurückkehren dürfe bis im Frühling, sonst gehe es einem, dass Gott erbarm, und das glauben sie noch jetzt im Berner Oberland.

Aber Baschi Frech hatte einmal in seiner Alp etwas vergessen, was er notwendig brauchen sollte. Da sagte er zu vielen seiner Kameraden, er müsse wieder in die Alp, ob nicht einer oder zwei mit ihm wollten. Doch um 100 Kronen ging keiner. Der Baschi hingegen, der ging dennoch mutterseelenallein. Alle hielten ihn für verloren und sprachen in den Abendstuben von der entsetzlichen Frechheit. Im Gehen sagte er noch, die dort werden ihn jetzt einmal nicht fressen. Es war schon spät, als er in die Alp kam, und er blieb selbigen Abend dort übernacht. Er ass etwas und legte sich in die gewöhnliche Gutsche, in welcher er im Sommer auch sein G'liger hatte, obwohl nur noch altes Heu darin geblieben war. Es war kalt und feucht und unlustig; doch eine Nacht wird mich nicht umbringen, dachte Frech. Er schlief nicht gut, nur aus Müdigkeit fielen ihm bisweilen die Augen zu. Aber holla! gegen 12 Uhr hörte er schon von Weitem eine Schar Sennen und Alpknechte in den Holzschuhen gegen die Hütte daher trappen. Baschi Frech dachte bei sich selbst: »Das ist nicht zum Schlafen, aber zum Aufpassen, was da gespielt wird«. Sie schlugen die Türe auf, unter schrecklichem Gerassel traten sie in die Hütte, redeten kein Wort, fingen an zu sennen, hängten das Chessi an, feuerten darunter, trugen Milch aus dem Speicher hervor und warfen sie in das Chessi; es rauschte und schäumte, und sie ankten und machten Käse, sehr viele, und alles ging schnell. Baschi hatte ihnen gut aufgepasst, und manchmal stellten sich seine Haare zu Berge, aber er wehrte sich gegen alle Furcht. Jetzt hatten die Sennen dreierlei Schotten: rote, grüne und gelbe. Zu seinem grössten Erstaunen riefen sie ihm, er solle herunter kommen und mit ihnen Schotten trinken. Er ging frech hinunter zu den Wintersennen, denen er durch die Rippen hindurch sah. Aber Baschi Frech war nicht verlegen. Da fragten sie ihn, von welcher Süffi er wolle? Er antwortete schnell, frech und laut, er wolle von der grünen; und er[312] trank, aber sie war nicht so gut wie jene, die er selbst gemacht hatte. Da sagten sie ihm, es bekomme ihm wohl, dass er von der grünen begehrt habe, sonst wäre es ihm schlecht genug gegangen. Einer von den Unheimlichen ging und klopfte den Sauen, und die Sauen kamen und hatten einen Lärm. Baschi ging wieder auf sein Lager und liess sein Messer dort liegen, wo er Schotten getrunken, denn er hatte Brot aus dem Sack genommen und zu der Schotte gegessen. Einer von den Wintersennen nahm das Messer des Baschi und beschnitt damit den Käse, und als er dies getan hatte, so stiess er das Messer dem Baschi in ein Bein, dass es tief drinnen steckte. Der Baschi musste mit dem Messer im Bein am Morgen früh nach Hause gehen, nachdem die geisterhaften Sennen verschwunden waren. Aber niemand, kein Doktor konnte ihm das Messer aus dem Bein bringen. Die Doktoren von Altdorf gaben ihm den Rat, er solle nochmals dorthin gehen, und wenn dann dieser wieder Käse beschneide, so werde er wohl sein Messer neuerdings brauchen. Sobald der Geist dann das Messer ihm wieder aus dem Bein zöge, solle er sich augenblicklich davon machen. Baschi Frech befolgte diesen Rat, ging nochmals fort in die Alphütte und wurde von dem Messer befreit; als der Geist wieder die Käse beschnitt, eilte er schnell davon.

2. Ein Senn zu Oberalp im Schächental, der gewöhnlich kein Abendgebet verrichtete, hatte sein Nischt gerade über dem Chäslad. Öfters kam ein Geist in Gestalt eines Senns in die Hütte, machte Feuer, erwellte, tat den Käse ins Lad und schnitt mit dem Messer des Senns, das in einem Dillbaum eingesteckt war, von einem andern Käse Käsmettel ab. Das Messer aber steckte er eines Nachts nach dem Gebrauch dem Senn, der oben zu äusserst auf seiner Nischte lag, ins Bein. Dann ging er davon. Der Älpler aber wäre, wie man sich denken kann, das Messer gerne wieder losgeworden. Er selber war nicht imstande, es herauszuziehen, und ging daher zu einem Doktor, der wohl alles mögliche probierte, aber nicht helfen konnte. Auch ein Kapuziner wusste nicht zu raten. Da nahm er seine Zuflucht zu einem fahrenden Schüler. Der sagte ihm, der Geist werde wohl wieder etwa kommen und dann das Messer brauchen, die Käsmettel abzuschneiden. Darum solle er zuvorderst in seinem Nischt liegen, dass der Geistersenn bequem hinauflangen könne.[313] Diesen Rat befolgte der geplagte Älpler, und richtig! Der Geist erschien auch wieder, erwellte, langte dann mit seiner Hand hinauf, nahm das Messer aus dem Bein und schnitt Käsmettel von einem älteren Käse ab. Der Älpler aber rückte rasch in seinem Gliger nach hinten, und der Geist steckte dann das Messer in den gewohnten Dillbaum.


Franz Müller.

Quelle:
Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945, S. 311-314.
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