962. Der Geist in der Brunnialp.

[321] Wenn im Herbst die Alpen von Mensch und Vieh verlassen sind, kommt der Alpgeist und nimmt Besitz von der verlassenen Hütte. Man hat ihn früher in der Alp Brunni im Maderanertal oft gesehen. Hatte jeweilen im Herbst der letzte Besuch die Brunnialp hinter sich gelassen, so betrat dieser Geheimnisvolle die felsichte Anhöhe, Sennenbocki genannt, am Nordrand der Alp, schaute den Davoneilenden nach[321] und jauchzte. Dann konnte man sicher sein, dass nach ihm kein Mensch mehr die Alp betreten werde bis zum nächsten Frühling. Später liess der Geist sich weiter hinaus in's Tal, und das Hoch-Egg bei Rinderbüel spielte jetzt die nämliche Rolle wie das Bocki. Anfangs war dieser Geist, der die Gestalt eines Älplers angenommen, schwarz gewesen, wurde allmählich von Jahr zu Jahr heller, und als er zum letzten Mal gesehen worden war, war er weiss bis über die Schulter. Man glaubt, er sei erlöst worden.


Franz Epp u.a.

Quelle:
Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945, S. 321-322.
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