1004. Das unverschliessbare Häuschen.

[11] a) Bifang-Hansis zu Gurtnellen besassen nebst ihrem Heimwesen zu Waldi auch das Berggütchen Lehn. Darinnen steht ein kleines Häuschen, das sie aber nur zur Zeit von Heuet und Emdet bewohnten. Dieses Häuschen mochten sie nun verschliessen, wie sie wollten, immer war die Türe wieder unverschlossen, stand oft sogar ganz offen. Die verständige[11] Frau sagte, es sei gewiss eine arme Seele, die hier wandle; der etwas hartköpfige Hansi hingegen wollte solches um den Gugger nicht glauben; er meinte, es seien Diebe oder übermütige Nachtbuben oder sonst g'schändige Leute, welche die Türe wieder öffneten. Eines Tages arbeitete Hänsi im Lehn; da sah er auf einmal eine Weibsperson in der offenen Türe des Häuschens stehen. Er hielt sie für seine Frau und ging hin, um zu fragen, wie und warum sie auf einmal hiehergekommen. Als er hinkam, war niemand mehr in der Türe und im ganzen Häuschen kein Mensch zu finden. Auch Nachforschungen in der Nachbarschaft ergaben keine Aufklärung. Daheim, zu Waldi, stellte er am Abend seine Gattin zur Rede, musste aber erfahren, dass sie den ganzen Tag zu Hause geblieben. Nun gab auch er zu, dass im Lehnhäuschen eine arme Seele wandle (19. Jahrhundert).


Josefa Walker, Amsteg.


b) Im untern Stockbergli in Attinghausen konnten die Insassen beim Ausgehen die Türe schliessen, wie sie wollten, immer war sie wieder sperrangelweit offen, wenn sie heimkamen. Endlich verleidete es ihnen, und sie sagten: »Wennd's doch will offä ha, so soll's darzüe lüegä-n-äu«! Seit dieser Zeit schlossen sie nie mehr, und es kam ihnen nie etwas fort.


Jos Anton Imhof.

Quelle:
Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945, S. 11-12.
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