253. Die Frau Ratsherrin.

[169] 1. a) Zu Gurtnellen im Gute Grossprächtigen an der Reuss wohnte ein Ratsherr, dessen Frau mit zwei Schwestern, deren jede einen Ratsherrn heiratete, über den Waldstätter-see hereingekommen war. Der Grossprächtiger hatte ob Gurtnellen ein Berggut. Auf diesem Berg musste er schrecklich[169] leiden. Alle Knechte, die er dahin tat, starben in kurzer Zeit, und so geschah es, dass gar keiner mehr sich herbeiliess, und auch das Gut nicht verkauft werden konnte. Da herrschte grosse Verlegenheit. Endlich kamen zwei Walliser, junge Burschen, mutvoll und kräftig, welche nicht wussten, was fürchten sei, und wünschten beim Ratsherrn Anstellung. Die Leute sagten ihnen, da würden sie bald tot sein, und der Meister selbst gestand den Knechten, es sei halt gefährlich auf diesem Berge, und mehrere seien dort einem Gespenst unterlegen. Die rüstigen Walliser liessen sich's nicht verleiden und meinten, das Gespenst wollten sie schon jaiken. Frohen Mutes gingen sie auf den Berg. Am dritten Abend, als der einte kochte, warf's ihm Russ durch das Kamin herab. Er lief mit der Pfanne in die Stube und fragte seinen Kameraden, ob sie zuerst essen oder das Gespenst jaiken wollten. Sie wurden einig, erst zu jaiken und dann zu essen. Da ergriff der eine einen Knebel und der andere einen Säbel aus heidnischer Zeit. Ersterer begab sich auf die Russdiele, um das Gespenst hinunter zu jagen, und als er herauf kam auf den obern Gang, wo man zur Diele gelangt, da riss ihn das Unding bei den Haaren hinauf. »Zieh nur hinauf!« sagte er, »bin ich droben, so will ich dich schon hinabtreiben.« Und kaum ist er oben, so treibt er das Gespenst vor sich her an das einzige Loch hin, welches von der Russdiele hinaus führte. Aber eben an dieser gefährlichen Stelle passte entschlossen der mit dem Säbel. In Gestalt einer schwarzen Katze springt das Ungeheuer durch diesen Engpass, und im Nu holt der Tapfere einen furchtbaren Streich aus, welcher der Katze den rechten vordern Fuss abschlug. Wie sie ihn aber näher betrachteten, war es eine Menschenhand, an deren einem Finger noch ein Ring steckte. Doch fürchteten sie sich nicht. Am vierten Tage kam der Ratsherr, um zu sehen, ob die Knechte noch am Leben seien. Sie erzählten ihm, was vorgefallen, und zeigten ihm die Hand, die sie aufbewahrt hatten. Er erkannte den Ring als denjenigen seiner Frau, die seit gestern daheim krank im Bette lag und immer den rechten Arm verborgen und verbunden unter der Decke hielt. Es tauchte in ihm eine furchtbare Ahnung auf, die leider sich bestätigte, als er nachher zu Hause die Untersuchung machte. Die Frau Ratsherrin wurde als Hexe verbrannt.[170]

b) Der Bauer wohnte in den Rainen hinter Intschi. Berg auf Arni. Russ ins Milchreis. Die zwei Walliser Burschen bereiteten zwei tannene Knebel, die sie zuspitzten, und bohrten unter der Haustürschwelle ein Loch, durch das der eine die zwei Katzen hinaustrieb. Pfote der einen und Schwanz der andern abgeschlagen. Meisterin und Tochter. Hand mit Ring der Mutter und Haarzopf der Tochter.


Hans Zurfluh, Amsteg, alter Senn.


2. Damals lebten in Uri drei Ratsherrenfrauen, die alle Hexen waren, nämlich eine zu Flüelen am Urnersee, eine in der Blüemlismatt an der Reuss gegenüber Silenen und die dritte zu Göschenen. Der Ratsherr in der Blüemlismatt hatte einen Berg auf Arni, heute ds Melkä Bärg genannt. Auf diesem Berg tohlete es ihm gar keinen Knecht, bis er wieder einmal zwei Walliser Burschen einstellen und hinaufschicken konnte. Als deren einer am zweiten Abend ihres Bergaufenthaltes das Milchreis kochte, schleuderte es einen Weltshaufen Russ ab der Russdiele herab grad in den prächtigen Brei. Mit dem Pfännchen in den Händen lief er in die Stube und fragte den Mitlandsmann, ob sie's zuerst wollen staiken oder zuerst manschen. Der entschied sich für's Erste, um nachher Ruhe zu haben. Der eine ergriff einen Knebel, der andere ein altes Schwert, auf dem das St. Johannes-Evangelium eingegraben war. Der mit dem Knebel eilte auf die Russdiele hinauf und trieb die Katze, die er dort antraf, über die Kammerstiege hinab und durch eine zufällige, heute noch sichtbare Öffnung unter der Haustürschwelle zum Hause hinaus; dort passte der andere und schlug mit seinem Schwert dem Flüchtling den einen Fuss ab, der sich am folgenden Morgen als Weiberhand mit Fingerring entpuppte. Am nächsten Sonntag erkannte sie der Ratsherr als die Hand seiner Gattin, die so entlarvt war und dem Feuertod überliefert wurde. Auf dem Holzstoss bekannte sie, das tue ihr am wirschesten, dass sie ein Fässlein Flöhe hinterlasse, die noch nicht gebeindelt seien; die wären für die Urner gerüstet gewesen. Auch die zwei andern Hexen, von denen jene zu Flüelen Wetter machte und jene zu Gösehenen beim Ankeneinsieden den Böllen zu Mailand holte, wurden verbrannt. Die zu Göschenen sah man nie zur Haustüre aus- und eingehen; selbe verkehrte nur durch das Kamin mit der Aussenwelt, sie setzte sich jeweilen[171] rittlings auf einen Besenstecken und sprach: »Chämi üff und drüß und fort und niänä-n-a!«


Franz Josef Zurfluh, Intschi, 75 J. alt.


3. a) »Bei den Häusern« in Silenen wohnte ein angesehener Ratsherr mit seiner Frau und einem Töchterlein. Auf Vorder-Arni besass er einen schönen Berg, der ihm aber keine Freude bereitete. Er liess ihn durch Knechte bearbeiten, und jedes Mal, wenn diese ihr Milchreis bereiteten, warf es ihnen Russ hinein. Das verleidete ihnen, und es kam so weit, dass der Meister keine Knechte mehr auftreiben konnte und den Berg musste verwildern lassen. Nach mehreren Jahren kamen zwei Walliser Burschen und suchten Arbeit. Der Ratsherr erklärte ihnen, er hätte Arbeit genug in seinem Berggut, aber es sei eben ein Gespenst dort, das die Knechte belästige und verdränge. Sie meinten, das fürchten sie nicht, sie werden's schon jaiken, wenn eines sei. Und sie nahmen den Platz an und stiegen in den Berg hinauf. Am ersten Abend liess sich nichts merken. Am zweiten Abend hingegen, als der eine bei dem Kupferchessli sass und den Reisbrei kochte, warf es ab der Russdiele herab einen millionischen Haufen Russ in das köstliche Gericht. Schnell packte er das Chessli, lief damit in die Stube und zeigte das verunreinigte Reis dem andern Knecht, indem er fragte: »Aschischi, nuschischi! wem-mer-sch z'erscht jäikischi uder wem-mer z'erscht manschischi!« Schnell entschlossen, entschied dieser: »Z'erscht wem-mersch jäikischi, de chenne-mer nachhär mit Rüehwä manschischi!« Der eine ergriff einen Knebel und lief damit auf die Russdiele, wo er zwei Katzen, eine alte und eine jüngere, traf, die er über die Kammerstiege hinabstaikte; unten passte der andere Knecht mit einem Schwert, auf dem das St. Johannes-Evangelium eingeritzt war, und schlug tapfer drein; der ältern Katze hieb er die rechte Vorderpfote und der jüngern den Schwanz ab. Als sie diese Dinge am folgenden Tage sich näher ansahen, hatte sich die Pfote in eine Weiberhand mit Ehering und der Schwanz in einen blutigen Mädchenzopf verwandelt. Sie konnten sich das nicht erklären, und einer stieg sogleich zu Tal und zeigte alles dem Meister. Der erkannte sofort die Hand und den Ring seiner Frau, die seit dem letzten Abend krank im Bette lag und den rechten Arm unter der Decke verborgen hielt. Auch die Tochter lief ohne ihren[172] Zopf herum. Da ging der Ratsherr sofort ins Stübli; die Frau musste ihren Arm zeigen, und jetzt kam es aus, dass die rechte Hand fehlte, und dass die Mutter und die Tochter Hexen waren.


Jos. Maria Zberg, 75 J. alt.


b) Der Meister war ein Ratsherr Walker, Fottigers, und der Berg lag auf Schwandi. Die Knechte kochten eine Schweizebrühe. Es ist bald von zwei, bald einer Hexe (der Frau) die Rede und nur von einem gewöhnlichen Schwert.


Joh. Wipfli, Chucheler, Erstfeld, u.a.


c) Der Meister wohnte auf dem Halbenstein, die Knechte arbeiteten im Fygstuehl oder in den Siessbergen, kochten ein Milchreis. Bald heisst es, sie seien von einem Gespenst getötet, bald, sie seien nur durch die Verunreinigung der Kost oder Belästigung bei der Arbeit verdrängt worden. Es ist von einem gewöhnlichen Schwert oder Säbel, seltener von einem Beil (Breitbiäl) oder Gertel die Rede. Statt »manschischi« lautet hier das Wort »äschischi«, statt »jäikischi« hört man auch »stäikischi«.


Frau Gamma-Gamma; Heinrich Zgraggen, Schattdorf.


d) Der Meister war ein Herr Schmid von Altdorf, der in Bürglen viele Güter besass, unter andern auch den Berg Schindlern, auf dem die Geschichte sich ereignet haben soll. Die Knechte kochten Milchreis. Zwei Hexen. Am Sonntag gingen die Knechte nach Altdorf. Herr Schmid war nicht fröhlich etc.


Zäzilia Gisler-Walker.


e) Der Meister wohnte im Bürgler Boden. Berggut auf den Schattdorfer Bergen. Die Knechte kochten sich weissen Milchbrei. Russ. Zwei Katzen. Mit einem Scheit jagten sie die Katzen durch ein Loch unter der Haustürschwelle hinaus, nachdem sie vorher alle andern Löcher verstopft hatten. Mutter und Tochter. Hand mit Fingerring und Haarzopf.


Xaver Marty, Bürglen, u.a.


f) In Bürglen, Schattdorf und im Schächental waren der Spruch: »Asisi, nusisi, wem-mers z'erscht jäikä uder wem-mer z'erscht ässä?« und die Antwort darauf geradezu sprichwörtlich, man brauchte sie scherzweise hauptsächlich vor dem Essen. »Äs müess also doch eppis a der Sach sy!« schliessen daraus soviele Leute. Nach der Erzählart im Schächental verletzte der Knecht die Katze mit einer Mistgabel und hatte die kranke Meisterin die Wunde, die der Knecht der Katze beigebracht hatte.


Rosa Brand, 20 J. alt, u.a.

Quelle:
Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945, S. 169-173.
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