Dreizehnte Geschichte
Handelt von dem, was einem Dechanten von St. Jago mit dem Zauberer Don Illan in Toledo begegnet ist

[92] Als der Graf Lucanor am andern Tage mit seinem Rat Patronius sprach, erzählte er ihm folgendes: Es hatte jemand in einer Angelegenheit, wo er meiner bedurfte, sich meinen Beistand mit dem Versprechen erbeten, daß er dagegen auch mein Bestes möglichst fördern wolle. Ich säumte nun nicht, ihm nach Kräften beizustehen, doch bevor die Angelegenheit noch beendigt war, merkte[92] er, daß inzwischen seine Ansprüche dabei schon erledigt seien. Da bekam auch ich einen Streit, in welchem ich seinen Beistand nötig hatte; als ich ihn nun aber darum anging, entschuldigte er sich, und als der Fall wiederkehrte, hatte er abermals neue Ausflüchte, und so machte er's bei allem, was er für mich tun sollte; jene Angelegenheit aber ist bis heute noch nicht abgemacht und wird es auch nimmermehr, wenn ich sie nicht selbst ausfechte. Bei dem Vertrauen nun, das ich zu Euch und Eurem Verstande hege, bitte ich Euch um Euren Rat in dieser Sache.

Herr Graf, sagte Patronius, damit Ihr hiebei handelt, wie sich's gebührt, wünschte ich, Ihr hörtet, was einem Dechanten von St. Jago mit Don Illan, dem großen Zauberer von Toledo, begegnet ist. Was ist das? fragte der Graf, und Patronius erwiderte:

In St. Jago war ein Dechant, der hatte große Lust zur Magie, und da er hörte, daß Don Illan von Toledo darin der Erhabenste jener Zeit wäre, so reiste er, um diese Kunst zu erlernen, nach Toledo und begab sich gleich am Tage seiner Ankunft daselbst in das Haus des Don Illan, den er in einem abgelegenen Gemache lesend antraf. Dieser nahm ihn sehr gut auf, wollte aber nicht eher etwas von seinem Anliegen hören, als bis er erst gespeist hätte, dann versorgte er ihn aufs beste, ließ ihm die schönsten Gemächer mit allem Zubehör anweisen, und suchte ihm auf diese Weise[93] zu erkennen zu geben, wie gern er ihn sehe. Nachdem sie aber abgespeist hatten, nahm der Dechant ihn auf die Seite, erzählte ihm, weshalb er gekommen, und bat ihn angelegentlichst, ihn in seiner Wissenschaft zu unterweisen, wonach er große Sehnsucht verspüre. Doch Don Illan entgegnete, er sei Dechant und ein Mann von großem Ansehen, der noch zu hohen Würden gelangen könnte, vornehme Männer aber, denen alles nach Wunsch gehe, vergäßen gar schnell, was andere für sie getan, und so befürchte er, daß auch er, wenn er erst erfahren, was er wissen wollte, es ihm nicht so vergelten werde, wie er verheißen. Der Dechant beteuerte jedoch, wie hoch er auch noch steigen möge, er würde jederzeit nur auf die Erfüllung seiner Versprechungen bedacht sein. In solchem Zwiegespräch verblieben sie vom Mittag bis zum Abend, und als sie endlich alles miteinander fest abgemacht hatten, sagte Don Illan zum Dechanten, seine Wissenschaft ließe sich nur in sehr abgelegenen Orten lehren, er wolle ihm daher gleich diese Nacht zeigen, wo sie sich aufhalten müßten, bis er das Gewünschte erlernt hätte. Darauf führte er ihn bei der Hand in ein anderes Zimmer, und nachdem er alle seine Leute fortgeschickt hatte, rief er eine Magd und befahl ihr, Rebhühner zum Nachtessen zu besorgen, sie aber nicht eher zu braten, bis er's ihr sage. Jetzt winkte er dem Dechanten, und beide stiegen lange Zeit eine schön gearbeitete steinerne[94] Treppe immer tiefer und tiefer herab, daß ihnen war, als hörten sie den Strom Tagus über sich rauschen.

Am Ausgang der Treppe kamen sie endlich in ein wohleingerichtetes, zierliches Gemach, wo die Werkstatt war und Bücher zum Lesen umherstanden. Sie setzten sich und überlegten soeben, mit welchem Buch sie den Anfang machen sollten, da traten plötzlich zwei Männer herein und brachten dem Dechanten einen Brief von seinem Oheim, dem Erzbischof, worin er ihm zu wissen tat, daß er gefährlich krank darniederliege, und ihn bat, sogleich zu ihm zu kommen, wenn er ihn noch am Leben finden wollte. Diese Neuigkeit betrübte den Dechanten sehr, teils seines Oheims wegen, teils weil er befürchtete, daß sie nun ihre Studien so schnell würden abbrechen müssen, und so verfaßte er denn ein Antwortschreiben und sandte es an den Erzbischof. Vier Tage darauf aber kamen wieder drei Fußboten an und überbrachten dem Dechanten abermals einen Brief, darin meldete man ihm, daß der Erzbischof gestorben und das Kapitel in der Wahl begriffen sei, die, wie sie zu Gott hofften, auf ihn fallen würde. Darum möchte er sich nicht die Mühe machen, jetzt hinzukommen, denn es sei angemessener für ihn, während der Wahl sich von der Kathedrale entfernt zu halten. Und kaum waren acht Tage vergangen, so erschienen auch schon zwei prächtig gekleidete und gerüstete Edelleute,[95] küßten dem Dechanten die Hand und zeigten ihm die Urkunde, wonach er zum Erzbischof erwählt worden.

Als Don Illan dies vernahm, begab er sich sogleich zu ihm, drückte ihm über die gute Zeitung seine Freude aus und bat ihn dringend, da Gott so Großes an ihm getan, die nun erledigte Dechantenstelle seinem Sohne zukommen zu lassen. Doch der Erwählte entgegnete, er möge doch zugeben, daß diese Dechanei einem seiner Brüder zuteil würde, er wolle ihn hernach bei seiner Kirche schon anderweit zufriedenstellen; und zu diesem Behufe bat er ihn, ihm nach St. Jago zu folgen und seinen Sohn mitzunehmen.

Don Illan willigte ein, und sie reisten nach St. Jago, wo sie mit großen Ehrenbezeugungen empfangen wurden. Hier hatten sie eine Zeitlang verweilt, da kamen eines Tages Abgesandte des Papstes zum Erzbischof und meldeten ihm, wie er ihn zum Bischof von Toulouse ernannt habe, mit der Vergünstigung, sein Erzbistum abzutreten, an wen er wolle. Als Don Illan dies hörte, hielt er ihm angelegentlichst vor, was sie untereinander abgemacht hätten, und drang in ihn, nunmehr das Erzbistum seinem Sohne zu verleihen. Der Erzbischof dagegen bat ihn um seine Zustimmung, dasselbe einem Oheim von väterlicher Seite zuwenden zu dürfen. Don Illan entgegnete, er sehe wohl, daß ihm großes Unrecht geschehe, wollte aber unter der Bedingung, daß[96] man es in Zukunft wieder gutmachen werde, darein willigen. Das versprach der Erzbischof auf alle Weise zu bewerkstelligen, und ersuchte ihn, ihn nebst seinem Sohne nach Toulouse zu begleiten. In Toulouse wurden sie von den Grafen und Herren des Landes prächtig empfangen, und nachdem sie beinahe zwei Jahre dort gewesen waren, kamen wieder Gesandte vom Papst an ihn mit der Meldung, daß der Papst ihn zum Kardinal ernannt und ihm vergönne, das Bistum von Toulouse nach Belieben zu verleihen. Da verfügte sich Don Illan zu ihm und sagte: er habe ihn nun schon so oft getäuscht, daß ihm keine Ausflucht mehr übrigbleibe, wenn er jetzt nicht eine jener Würden seinem Sohne erteilte. Der Kardinal bat jedoch, ihm zu gestatten, daß ein Oheim von mütterlicher Seite, der ein guter alter Mann sei, das Bistum erhalte; da er aber Kardinal geworden, so solle er nur mit ihm an den Hof kommen, dort fände sich Gelegenheit genug, etwas für ihn zu tun.

Don Illan beschwerte sich sehr, fügte sich aber endlich den Wünschen des Kardinals und ging mit ihm nach Rom. Als sie dort anlangten, empfingen die Kardinäle und alle Hofleute sie auf das beste; sie blieben dort lange Zeit, und täglich setzte Don Illan dem Kardinal wegen des Sohnes zu, und immer machte der Kardinal neue Ausflüchte. Da starb der Papst, und sämtliche Kardinäle wählten diesen Kardinal zum Papste.[97] Nun ging Don Illan zu ihm und sagte, jetzt hätte er durchaus keine Ausrede mehr, sein Versprechen nicht zu erfüllen. Der Papst aber erwiderte, er solle ihn nicht so drängen, denn nun hätte er allezeit Gelegenheit, ihm nach Recht und Billigkeit eine Gunst zu erweisen. Doch Don Illan begann mit Heftigkeit sich zu beklagen und rückte ihm vor, wie er ihm goldne Berge verheißen, ohne je das geringste zu halten, das habe er aber gleich befürchtet, als er ihn das erstemal gesprochen, und da er nun wirklich so hoch gestiegen sei, ohne sein Versprechen zu erfüllen, so habe er auch keinen Grund weiter, noch etwas Gutes von ihm zu erwarten. Darüber wurde der Papst ganz entrüstet und fing an zu schimpfen und sagte: er würde ihn in den Kerker werfen lassen, wenn er ihn noch länger belästige, denn er sei ein Ketzer und Schwarzkünstler, und er wisse wohl, daß er in Toledo nichts anderes treibe und von nichts andrem lebe als von der Zauberei. Da nun Don Illan sah, wie schlecht ihm der Papst vergolten, was er für ihn getan, nahm er Abschied von ihm, und der Papst mochte ihm nicht einmal Zehrung mit auf den Weg geben. Da sagte Don Illan zu ihm, da er nichts zu essen habe, so wolle er nur wieder zu seinen Rebhühnern zurückkehren, die er zur Nacht bestellt, und rief die Magd und hieß sie die Rebhühner braten. Und als Don Illan dies ausgesprochen, sah sich der Papst wieder in Toledo als Dechant von St. Jago nach wie vor[98] und schämte sich so, daß er kein Wort hervorbringen konnte. Don Illan aber sagte, er sei nur froh, daß er so gut erprobt, was er an ihm habe, denn nun würde ihn jedes Rebhuhn gereuen, das er mit ihm geteilt hätte.

Und wenn Ihr, Herr Graf Lucanor, nun sehet, daß jener Mann die ihm geleistete Hilfe so schlecht vergilt, so meine ich, Ihr hättet eben nicht Ursach, Euch weiter abzumühen und das Eurige auf das Spiel zu setzen, um von ihm gleichen Dank zu ernten wie Don Illan vom Dechanten.

Dem Grafen gefiel der Rat, er befolgte ihn und fuhr wohl dabei. Don Juan aber, dem diese Geschichte vortrefflich schien, ließ sie in diesem Buche aufschreiben und machte folgenden Vers:


Kann Hilfe in der Not nicht seinen Dank erkaufen,

Und stünde er auch noch so hoch, so laß ihn laufen.

Quelle:
Don Juan Manuel: Der Graf Lucanor. Übertragen von Joseph von Eichendorff. Leipzig: Insel, 1961, S. 92-99.
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