Vierundzwanzigste Geschichte
Vom Bauer und seinem Sohn

[137] Ein andermal sagte der Graf Lucanor zu seinem Rate Patronius, wie er wegen eines gewissen Vorhabens in großer Not und Sorgen stehe, denn führte er es aus, würden, wie er im voraus wisse, ihn viele darum tadeln, unterließe er's aber, so wäre er nach seiner eignen Überzeugung höchst tadelnswert. Er erzählte ihm hierauf, was es betraf, und bat ihn, ihm hierin zu raten. Herr Graf Lucanor, entgegnete Patronius, Ihr fändet sicherlich viele, die Euch besser raten können als ich, zudem hat Euch selber Gott so große Einsicht verliehen, daß Ihr wahrlich meines Rates wenig bedürft; da Ihr's aber so haben wollt, so will ich sagen, was ich von der Sache verstehe. Und so wünschte ich denn, Ihr merktet auf eine Geschichte, die einmal einem Manne mit seinem[138] Sohne begegnet ist. Der Graf bat, sie ihm zu erzählen, und Patronius fuhr fort:

Ein Bauer hatte einen Sohn, der, wiewohl noch jung an Jahren, schon einen ausbündigen Verstand zeigte. Sooft nun der Vater etwas unternehmen wollte, wandte der Sohn ihm ein, er sehe voraus, daß die Sache (und in welcher könnte nicht irgend etwas Widriges begegnen?) leicht gerade zum Gegenteil aus schlagen könnte, und auf diese Weise brachte er den Vater von vielem ab, das ihm sehr zuträglich gewesen wäre. Denn fürwahr, gerade junge Leute von seinem Verstande sind recht wie gemacht dazu, sich tüchtig zu verfahren, weil sie zwar Einsicht genug haben, eine Sache anzufangen, sie aber nicht zu Ende zu führen wissen und daher grobe Verstöße machen, wenn sie nicht jemand haben, der sie davor bewahrt. Und so war auch jener Bursch durch seine Spitzfindigkeit und praktische Ungeschicklichkeit dem Vater in vielen nötigen Dingen hinderlich. Eine geraume Zeit lebte der Vater so mit ihm fort, endlich aber, teils des Schadens wegen, der ihm aus den Bedenklichkeiten des Sohnes erwuchs, teils aus Ärger über seine Redensarten, und insbesondere, um ihn für die Zukunft durch eigne Erfahrung zu witzigen, nahm der Vater zu einer List seine Zuflucht, die Ihr sogleich hören sollt.

Vater und Sohn waren nämlich Landleute und wohnten nicht weit von einer Stadt. Eines Tages nun, da dort eben Markt war, sagte der Vater zum[139] Sohn, sie wollten sich auch hinbegeben, um einiges Nötige einzukaufen. Zu diesem Behufe beschlossen sie einen Esel mitzunehmen, den sie unbeladen hinter sich her führten. So begegneten sie mehreren, die aus derselben Stadt kamen, und nachdem sie ein Weilchen mit ihnen gesprochen und sich dann wieder getrennt hatten, fingen jene untereinander zu plaudern an und sagten: Die sind wohl auch nicht recht gescheit, haben einen ledigen Esel und laufen zu Fuß nebenher! Da der Bauer das hörte, fragte er den Sohn, was er dazu meine. Der Sohn erwiderte: die Leute hätten recht, denn da der Esel leer gehe, sei es in der Tat nicht sehr verständig, daß sie beide zu Fuß gingen. Da hieß der Bauer den Sohn sich aufsetzen; als dieser aber so des Weges daherritt, begegneten sie andern, die sagten im Vorbeigehen: Seht doch den alten Narren, rennt zu Fuß und läßt den rüstigen Burschen reiten! Da fragte der Bauer wieder seinen Sohn, was er hiervon halte. Und da der Sohn meinte, sie schienen ihm ganz vernünftig zu sprechen, ließ er ihn absteigen und bestieg selbst den Esel. Eine Strecke weiter aber kamen wieder Leute und sagten: das sei doch recht verkehrt, der arme Junge, der noch zu zart zu solchem Marsche sei, müsse laufen, und der Bauer, an Strapazen gewöhnt, säße auf dem Esel! Der Bauer fragte nochmals den Sohn, was er dazu sage. Der Sohn erwiderte: Nach seiner Meinung hätten sie recht, und so nahm er ihn denn mit auf den Esel, damit[140] keiner von ihnen zu Fuß ginge. Als sie aber so weiterzogen, begegneten ihnen abermals andere und sagten: das Tier sei so dürre, daß es sich selber kaum fortschleppen könnte, sie täten doch sehr unrecht, beide darauf zu reiten. Nun fragte der Bauer seinen Sohn, wie ihm denn dieses bedünke. Und da der Sohn erwiderte, es schiene ihm ganz wahr, so redete der Vater ihn folgendermaßen an: Mein Sohn! Du erinnerst dich gewiß noch, daß wir bei unserm Auszug vom Hause beide zu Fuß gingen, den Esel ledig hinter uns her führten, und du damals sagtest, es wäre gut so; nachher aber begegneten wir Leuten unterwegs, die sagten, es wäre nicht gut so, und ich befahl dir daher, den Esel zu besteigen, und ging zu Fuß, und du sagtest, es wäre gut; darauf trafen wir jedoch andre Leute, die sagten, es wäre nicht gut, und darum stiegst du ab und ich auf, und du sagtest, so wäre es besser; weil aber wieder andre sagten, es wäre doch nicht gut, nahm ich dich mit auf den Esel, und du sagtest, so wäre es gescheiter, als wenn du liefest und ich ritt, und nun sagen die dort wieder, wir wären töricht, beide zu reiten, und du sagst abermals, sie sprächen wahr. Ist dem aber also, so bitte ich, sage mir, was in aller Welt sollen wir jetzt tun, damit uns die Leute nicht schelten? Denn wir gingen beide zu Fuß, und sie sagten, wir täten nicht gut daran, ich war zu Fuß und du zu Esel, und sie sagten, wir machten's nicht recht, ich zu Esel, du zu Fuß, sie sagten, wir hätten[141] weit gefehlt, und nun wir beide reiten, haben wir's wieder schlecht gemacht.

Was bleibt uns also übrig? So oder so müssen wir doch weiter, denn wir haben bereits alle Arten durchgemacht, und keine war ihnen recht. Nun wisse aber, ich habe dies alles nur getan, damit du dir daran für die Zukunft ein Beispiel nehmest, da ich gewißlich weiß, daß du es nimmermehr allen recht machen wirst; denn ist die Sache gut, so werden die Schlechten und die keinen Vorteil davon haben, schlecht davon reden, und ist sie schlecht, so können doch die Gerechten und die am Guten Freude haben, unmöglich gutheißen, was du schlecht gemacht. Willst du daher in deinem Vorteil handeln, und bist erst mit dir selbst im reinen, was das Zuträglichste für dich sei, so laß dich – sofern es sonst nichts Schlechtes ist – durch Furcht vor dem Gerede der Leute nicht davon abbringen, denn wisse, die Menschen schwatzen über alles in den Tag hinein, ohne zu untersuchen, was dir am dienlichsten.

Und wenn Ihr, Herr Graf Lucanor, bei Eurem Vorhaben, Ihr mögt es nun ausführen oder nicht, üble Nachrede befürchtet und demnach meinen Rat in der Sache verlangt, so rate ich Euch dies: Erwäget, bevor Ihr's anfangt, reiflich Vorteil und Schaden, die daraus entstehen könnten, und vertrauet Euch selbst, hütet Euch aber, daß Euch die Begierde nicht täusche, sondern beratet Euch erst mit gescheiten Männern, die Ihr als ehrlich und[142] verschwiegen erprobt; fändet Ihr aber solche Ratgeber nicht, so wartet, um Euch nicht zu übereilen, wenigstens vierundzwanzig Stunden ab, wo nicht etwa Gefahr im Verzuge, denn ist dies letztere der Fall, dann tut rasch, was zu tun ist, und kümmert Euch nicht, was die Welt dazu sagen könnte.

Der Graf fand den Rat des Patronius gut, befolgte ihn und fuhr wohl dabei. Als Don Juan aber jenes Beispiel hörte, ließ er es in dieses Buch schreiben und folgende Verse dazu, welche den kurzen Inbegriff desselben enthalten und also lauten:


Um der Menschen Lob und Tadel

Sollst du nimmer blöde zaudern,

Ist dein Tun von rechtem Adel,

Fecht es aus und laß sie plaudern.

Quelle:
Don Juan Manuel: Der Graf Lucanor. Übertragen von Joseph von Eichendorff. Leipzig: Insel, 1961, S. 137-143.
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