27. Die Geige.

[267] Die Mutter des weisen Salomo betrauerte ihren lieben Mann nicht lange. Am Hofe lebte ein schöner, junger Bursche. Abends, nachts koste sie mit dem, küsste sich mit ihm. Einst merkte das ein Verräter und erzählte es ganz geheim dem weisen Salomo.

Der König grämte sich, härmte sich und schämte sich. Sollte er's glauben, sollte er's nicht glauben? Er dachte sich: Ich will prüfen, ob das wahr ist. Er verschaffte sich einen Mantel des Burschen. Eines Abends schickte er ihn plötzlich in irgend einer Sache fort. Er konnte die Frau nicht mehr benachrichtigen, dass sie ihn nicht erwarte. Der weise Salomo hingegen legte des Burschen Mantel an und ging ins Gemach seiner Mutter. In der grossen Dunkelheit erkannte sie ihn nicht. Sie umarmte und küsste ihren Sohn. Da wurde der weise Salomo sehr traurig. Doch er dachte: Vielleicht kommt sie doch noch zur Vernunft.

Am andern Morgen, als sie im grossen Speisezimmer frühstückten, begann er wie von ungefähr zu reden, dass die Wallachen wohl recht hätten: Mintea muierii cumpeneşte cu[267] un câcat de câne, nämlich: so und so viele Weiber es auch auf der Welt gibt, keine will auf ihren eigenen Füssen stehen!

»Bin ich etwa auch so eine?« begehrte seine Mutter auf.

»Ihr seid ebenso! Denn ich war gestern Abend in Euerm Schlafgemach.«

Da ergrimmte die Frau sehr und begann zu schreien:

»So treffe dich mein Fluch! Irre flüchtig umher auf dem Erdenrund! Niemand soll dich aufnehmen! Und selbst, wenn du dich an einen Baum lehnst, soll der dich verschlingen und nicht fortlassen, bis der dürre Baum in deinen Händen tönt wie der Nachtigallen Sang und noch schöner!«

Der weise Salomo wusste, dass der Mutterfluch sicher den Menschen trifft. Seines Bleibens war nicht mehr, unstät und flüchtig zog er von dannen. Er wanderte und wanderte. Er geriet in einen dichten Wald. Die Nacht brach ein. Kalt war es auch, und das Wetter stand auf Regen. Da fand er einen grossen, hohlen Baum. Er legte sich in die Höhlung. Er war müde und schlief flugs ein. Als er morgens erwachte, sah er, dass er eingeschlossen war. Über Nacht war die Öffnung des Baumes zugewachsen.

Sieben Jahre gingen vorüber. Alle glaubten ihn schon tot. Nach sieben Jahren hörten Holzhacker, die dort im Walde arbeiteten, herrliche, schöne Musik aus dem Baum. So etwas Schönes hatten sie ihr Lebtag nicht gehört. Zuerst erschraken sie ein wenig. Doch dann begannen sie den Baum abzusägen. Sie sägten und sägten, und auf einmal springt der weise Salomo heraus. In seinen Händen hielt er ein wunderbares Gerät, darauf strich er die schöne Musik. Mit seinem Taschenmesser hatte er es dort in der Baumhöhlung geschnitzt, sieben Jahre lang während seiner Gefangenschaft, um sich damit zu zerstreuen.

Seitdem kennen die Menschen die Geige. Er spielte so schön darauf, dass ihm nicht nur seine Mutter verzieh sondern auch der erzürnte Herrgott.

Quelle:
Róna-Sklarek, Elisabet: Ungarische Volksmärchen. Neue Folge. Leipzig: Dieterich 1909, S. 267-268.
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