12. Der goldbärtige Mann.

[114] Es war einmal, ich weiss nicht wo auf der Welt, ein sehr, sehr mächtiger König, der hatte eine Gemahlin und einen kleinen Sohn. Einmal liess der König seine Gemahlin zu sich rufen: »Meine liebe Frau, ich fühle, dass meine Todesstunde nahe ist; darum habe ich dich rufen lassen, damit du mir geloben sollst, dich niemals zu verheiraten, wenn ich gestorben bin, sondern treulich für mein Kind zu sorgen.«

Die Königin gelobte ihm, dass sie niemals ans Heiraten[114] denken werde, für den kleinen Sohn, aber so Sorge tragen werde, dass ihm auch nicht ein Härchen gekrümmt werden solle. Darauf starb der König.

Aber die Königin dachte bei sich: »Versprechen und Halten ist zweierlei.« – Kaum hatten sie die letzte Schaufel Erde auf den König geworfen, so heiratete sie gleich einen reichen Mann aus fremdem Lande, den liess sie zum König machen. Dieser neue König aber war ein schrecklicher, gottverlassener Geizhals; er hielt den armen Königssohn wie seinen letzten Knecht, liess ihn in Lumpen gehen, auch gab er ihm kaum zu essen – er hätte den Armen den letzten Bissen vom Munde fortgenommen.

Dort auf dem Königshof war ein Brunnen, in dem war statt des Wassers Milch; aus diesem Brunnen konnten bei Lebzeiten des verstorbenen Königs Gross und Klein so viel Milch schöpfen wie sie brauchten, so dass damals im Reich niemand melkte, – jetzt dieser König stellte Wachen neben dem Brunnen auf und gab niemandem auch nur einen Tropfen Milch und hatte doch weder Schaden noch Nutzen davon; denn die Milch wurde weder mehr noch weniger dadurch.

Da geschah es einmal, dass die Wachen dem König die Kunde brachten, dass jeden Morgen bei Tagesgrauen ein goldbärtiger Mann mit einem Eimer zum Brunnen gehe, den Eimer vollschöpfe und damit verschwinde wie der Hauch, ehe sie ihm nahen könnten.

Der König wollte ihrer Rede nicht Glauben schenken. Anderntags in der Frühe stellte er sich selbst auf die Lauer, und er wurde ganz geblendet, als der goldbärtige Mann in grossem Schimmer erschien. Der füllte den Eimer und verschwand damit, als habe ihn die Erde verschluckt.

Der König konnte sich gar nicht vorstellen, was für ein Mensch das wohl sein könnte; er stand nur so da mit offenem[115] Mund und Augen in grossem Erstaunen. Aber von da an sann er immer darüber nach, wie er ihn greifen lassen könne; denn in seinem grossen Geiz grämte er sich um die Milch; ausserdem hätte er gern den Mann gehabt. Er dachte, wie grossen Ruhm ihm das bringen würde, wenn er ihn in einen Käfig einschlösse; dergleichen hatte kein König auf dem Erdenrund. Er sann also auf allerlei Weisen, wie er ihn fangen lassen könne; aber vergeblich war alles Sinnen, vergeblich liess er eine Unmenge Wachen aufstellen, sie konnten ihn nicht greifen; wenn sie schon ganz nahe waren und dachten, dass er schon in ihren Händen sei, verschwand er, und war nichts zu hören und zu sehen von ihm. Die Wut tötete fast schon den König; er verhiess demjenigen eine grosse Belohnung, der ihm einen guten Rat gebe, wie er den goldbärtigen Mann einfangen lassen könne.

Da kam einmal ein ausgedienter Soldat zu ihm:

»Erlauchter Herr, ich rate Euch eins: Lasst neben den Brunnen Brot, Speck, Braten und auch noch eine Flasche Wein legen. Wenn dann der goldbärtige Mann morgens kommt, isst er den Braten und trinkt den Wein; davon wird er sicherlich betrunken werden, denn er ist gewöhnt nur Milch zu trinken; solch einer aber verträgt den Wein nicht.«

Der König that alles, wie es der ausgediente Soldat gesagt hatte; er liess neben den Brunnen Brot, Speck, Braten, Wein legen; rings von allen Seiten stellte er die Wachen auf die Lauer.

Frühmorgens ging wirklich der goldbärtige Mann hin, ass, trank, bekam einen Rausch und schlief ein; sogleich nahmen ihn die Wachen fest und führten ihn zum König. Der König freute sich schrecklich, liess ihn in einen Goldkäfig sperren und zeigte ihn so den vielen weithergereisten Gästen, denn es strömten nur so aus allen Ländern die Könige, Kaiser, Herzöge, Grafen herbei zu dem Wunder. Dem armen goldbärtigen[116] Mann konnte man aber niemals einen Laut abgewinnen; er sprach zu niemandem. Sie meinten schon, er könne überhaupt nicht sprechen und sei nur solch wilder Mensch. Er ass auch nicht ordentlich; vergebens gaben sie ihm allerlei köstliche Speisen in seinen Käfig. Er trauerte nur und grämte sich.

Da geschah es einmal, dass der König in den Krieg ziehen musste. Er überlegte, wem er den goldbärtigen Mann anvertrauen könne, wer gute Sorge für ihn tragen und aufpassen würde, dass er nicht entfliehe; schliesslich blieb er dabei, dass es am besten sein würde, seinen Stiefsohn damit zu betrauen. Er liess ihn also zu sich rufen:

»Nun, mein Sohn, ich muss jetzt in den Krieg ziehen; dir vertraue ich den goldbärtigen Mann an. Trage gut Sorge für ihn, gieb ihm zu essen und zu trinken, doch gieb Acht! Wenn du ihn auf irgend eine Weise heraus lässt oder ihn entfliehen lässt, so musst du eines schrecklichen Todes sterben.«

Damit zog der König in den Krieg. Der junge Königssohn war immer beim Käfig des goldbärtigen Mannes, damit er nicht irgendwie entfliehen könne; sogar zum Spielen ging er dorthin.

Einmal, als er dort spielte und mit einem silbernen Bogen schoss, fiel ein schöner, silberner Bolzen in des goldbärtigen Mannes Käfig.

Der Königssohn ging hin zum Käfig:

»Gieb meinen Bolzen heraus, mein goldbärtiger Oheim!«

»Ich gebe ihn dir keineswegs,« sagte der goldbärtige Mann. »Lass mich aus dem Käfig hinaus, dann gebe ich ihn dir.«

»Ich kann dich nicht heraus lassen, mein Oheim,« antwortete der kleine Knabe, »denn ich würde sonst eines schrecklichen Todes sterben, sagte mein königlicher Vater, als er in den Krieg zog. Gieb mir meinen Bolzen; so kann er dir doch nichts nützen.«[117]

Der goldbärtige Mann gab ihm also seinen Bolzen heraus; aber dann flehte er noch mehr. Er bat und flehte ihn so lange an, bis das Herz des Königssohns bewegt wurde, denn er war ein sehr gutherziger Knabe. Er öffnete die Thür des Käfigs und liess ihn hinaus.

»Nun, mein kleiner Sohn, für deine gute That erwarte Gutes; ich werde dir's vergelten,« sagte der goldbärtige Mann, und damit verschwand er. Der kleine Königssohn begann zu überlegen, was er wohl thun solle; wartete er ab, bis sein Stiefvater vom Krieg heimkehrte, liefe er nicht davon, so würde er eines schrecklichen Todes sterben; es wäre besser für ihn, schon jetzt in die weite Welt zu flüchten.

So wanderte und wanderte also der kleine Königssohn auf ungebahnten und auf gebahnten Pfaden über Berg und Thal. Einmal erblickte er eine Wildtaube; geschwind nahm er seinen Pfeil, dass er sie niederschiesse.

»Schiesse nicht, erlauchter Königssohn,« sagte die Wildtaube, »ich habe zwei kleine Söhne zu Hause; die sterben Hungers, wenn ich ihnen nicht Speise bringen kann.«

Der Königssohn hatte Erbarmen mit ihr und schoss sie nicht.

»Nun, Königssohn, für deine gute That erwarte Gutes! Ich werde dir's vergelten,« sagte die Wildtaube.

»Du arme Wildtaube, wie könntest du mir das vergelten?« antwortete der Königssohn.

»Zwar sagt man, erlauchter Königssohn,« sprach die Wildtaube, »dass Berg und Berg niemals zusammentreffen; aber das eine lebende Wesen kann wohl mit dem anderen zusammentreffen.«

Der Königssohn lachte nur darüber; dann ging er weiter.

Wie er dahinschlenderte, erblickte er wiederum eine[118] Wildente; wiederum zog er seinen Pfeil hervor, dass er sie niederschiesse.

Da sprach die Wildente zu ihm:

»Schiesse nicht, erlauchter Königssohn, ich habe zwei kleine Söhne zu Hause; die sterben Hungers, wenn ich ihnen nicht etwas zu essen bringen kann.«

Der Königssohn hatte auch mit dieser Erbarmen und schoss auch diese nicht.

»Nun, Königssohn, für deine gute That erwarte Gutes! Ich werde dir's noch vergelten,« sagte die Wildente.

»Du arme Wildente, wie könntest du mir das vergelten?« antwortete der Königssohn.

»Zwar sagt man, erlauchter Königssohn,« sprach die Wildente, »dass Berg und Berg niemals zusammentreffen; aber das eine lebende Wesen kann mit dem anderen überall auf der Welt zusammentreffen.«

Der Königssohn lachte wieder nur und ging wieder weiter. Wie er so dahinschlenderte, erblickte er einen Storch. Auch auf diesen legte er seinen Pfeil an; aber auch dieser begann ihn anzuflehen:

»Schiesse nicht, erlauchter Königssohn, ich habe zwei kleine Söhne zu Hause; die sterben Hungers, wenn ich ihnen nicht Essen bringen kann.«

Auch dieser rührte das Herz des Königssohns; auch diesem that er nichts zu Leide.

»Nun, erlauchter Königssohn,« sagte der Storch, »für deine gute That erwarte Gutes; ich werde dir's noch vergelten.«

»Du armer Storch, wie könntest du mir das vergelten?« antwortete der Königssohn.

»Zwar sagt man, Königssohn,« sprach der Storch, »dass Berg und Berg niemals zusammentreffen, aber das eine lebende Wesen kann mit dem anderen irgendwo zusammentreffen.«

Der Königssohn lachte nur darüber; damit ging er weiter.[119] Er ging langsam seines Weges; einstmals traf er auf zwei verabschiedete Soldaten.

»Wohin gehst du, mein Brüderchen,« fragte der eine Soldat.

»Ich gehe einen Dienst suchen,« antwortete ihm der Königssohn.

»Nun, so gehe mit uns! Wir haben dasselbe Ziel.«

Sie wanderten dann, durchstreiften zu dritt siebenmal sieben Königreiche. Einstmals kamen sie auf den Hof eines Königs. Der König war gerade draussen auf dem Hof.

»Na, meine Söhne, wohin des Wegs?« fragte er sie.

»Nun, wir suchen einen Dienst.«

»So geht nicht weiter! Ich brauche eben jetzt zwei Kutscher und einen Gespan; wenn ihr euch verdingt, nehme ich euch an.«

Sogleich verdingten sie sich, der Königssohn als Gespan, die beiden verabschiedeten Soldaten als Kutscher. Aber die beiden Verabschiedeten waren schrecklich neidisch auf den Königssohn, dass man ihn zum Gespan gemacht hatte, sie hingegen nur zu Kutschern; denn das wussten sie auch nicht, dass er ein Königssohn war. Auf jede Weise waren sie darauf aus, dass sie ihm ein Bein stellten.

Einstmals gingen sie zum König:

»Erlauchter König, dieser neue Gespan sagte uns, wenn Eure Majestät ihn zum Rentmeister machen würden, so würde nicht ein Körnchen Weizen unter seiner Hand verloren gehen. Denn er verstünde sich so darauf, dass, wenn Eure Majestät früh morgens, wenn Sie zur Kirche gehen, einen Sack Weizen mit einem Sack Gerste zusammenschütten liessen, er alles auseinander lesen würde, bis Sie zurückkommen, dass auch nicht ein einziges Körnchen Weizen unter der Gerste sei. Darum möge Eure Majestät ihn rufen lassen und ihm befehlen, dass[120] er also thue. Wenn er leugnen sollte, so glauben Sie ihm nicht, drohen Sie ihm lieber mit irgend etwas.«

Sogleich liess der König den armen Königssohn rufen.

»Nun, mein Sohn,« sagte er zu ihm, »ich habe gehört, dass du das und das gesagt hast; darum werde ich in der Frühe, wenn ich in die Kirche gehe, einen Sack Weizen und einen Sack Gerste vor dich hinschütten lassen. Wenn du diese mir nicht, bis ich aus der Kirche zurückkomme, ausgelesen hast und zwar so, dass unter dem reinen Weizen auch nicht ein armseliges Körnchen Gerste bleibt, so wirst du auf der Stelle eines schrecklichen Todes sterben; wenn es dir hingegen gelingt, sie glücklich auszulesen, so mache ich dich zum Rentmeister.«

Der arme Königssohn beteuerte vergebens, dass er das nie mit einem Wort gesagt habe; es nützte nichts. Sie sperrten ihn in ein leeres Zimmer ein. Als der König zur Kirche ging, schütteten sie ihm eine Unmenge Weizen und Gerste auf die Erde, mischten sie gut zusammen, damit er sie nun von einander scheide.

Der arme, unglückliche Königssohn wagte nicht anzufangen; aber er hätte auch umsonst begonnen; wenn tausend Seelen sein gewesen wären, er hätte dies nicht einmal in einer Woche auseinanderlesen können, geschweige denn in so kurzer Zeit. Er setzte sich also in einen Winkel nieder und barg sein Haupt in seinen Händen; dort grämte er sich und weinte sehr bitterlich.

Wie er dort trauerte, flog auf einmal eine Wildtaube durch das Fenster herein.

»Warum betrübst du dich, erlauchter Königssohn?«

»Wie sollte ich nicht betrübt sein, wenn doch der König gesagt hat, dass ich das und das thun soll; denn wenn ich es nicht thue, werde ich eines schrecklichen Todes sterben.«

»Darum sollst du wahrlich kein bischen betrübt sein; wenn[121] es weiter nichts ist,« erwiderte die Wildtaube. »Erkennst du mich denn nun? Ich bin der König der Wildtauben, mit dem du einstmals Erbarmen hattest; darum will ich jetzt deine Güte vergelten.«

Damit flog der Wildtaubenkönig wieder von dannen; nach kurzer Zeit kam er zurück mit einer Menge Wildtauben, die stürzten sich sogleich auf den Weizen. Der König war noch nicht aus der Kirche gekommen, bis sie ihn so auseinander gelesen hatten, dass auch nicht ein Korn Weizen zwischen der Gerste blieb, noch Gerste zwischen dem Weizen; darauf erhoben sie sich und gingen zurück, wie sie gekommen waren.

Als der König aus der Kirche kam, ging er zu allererst zum Königssohn, wie weit der wohl mit dem Weizen sei, ob er ihn auslesen konnte oder nicht. Da blieb er nur so mit offenem Mund stehen, als er sah, dass der schöne, reine Weizen dort abgesondert auf einem Haufen lag, die Gerste auf einem zweiten und der Kehricht noch auf einem dritten. Er lobte den Königssohn und machte ihn auch sogleich zum Rentmeister.

Die beiden verabschiedeten Soldaten aber waren seitdem noch neidischer, dass er nun gar der Rentmeister, und sie noch immer nur Kutscher waren; wieder begannen sie nachzusinnen, womit sie seine Ehre vor dem König zu schanden machen könnten. Und einmal traten sie wieder vor ihn.

»Erlauchter König, dieser unser Reisekamerad, der neue Rentmeister, hat uns jetzt gar gesagt, wenn Eure Majestät ihm alle Ihre Schätze anvertrauen würden, damit er sie bewache, würde er sie so zu behüten wissen, dass auch nicht eine Nadel unter seinen Händen verloren gehen würde; denn er verstünde sich so darauf, dass, wenn Eure Majestät ihn auf die Probe stellen wollten und den Ring der Königstochter in den Brunnen werfen liessen, wenn Sie zur Kirche gehen, er ihn herausholen würde, bis Sie zurückkommen.«[122]

Wieder liess also der König den Königssohn rufen.

»Nun, mein Sohn, ich habe jetzt gehört, dass du das und das gesagt hast; darum werde ich den Ring meiner Tochter in den Brunnen werfen lassen, wenn ich in die Kirche gehe; aber wenn du ihn nicht herausholst, bis ich zurückkomme, musst du eines schrecklichen Todes sterben.«

Wieder nützten die Beteuerungen nichts; der König hörte gar nicht darauf, sondern liess wirklich, als er in die Kirche ging, der Königstochter Goldring in einen Brunnen werfen.

Der arme Königssohn sass nun dort am Brunnenrand, härmte und grämte sich, dass er nun umkommen müsse. Wie er dort trauerte, flog auf einmal eine Wildente daher.

»Warum betrübst du dich, Königssohn?«

»Wie sollte ich nicht betrübt sein, wenn doch der König das und das befohlen hat; wenn ich es nicht thue, hat mein Leben ein Ende.«

»Deswegen sollst du wahrlich kein bischen betrübt sein,« antwortete die Wildente, »denn weisst du, wer ich bin? Ich bin der König der Wildenten, mit dem du einmal Erbarmen hattest; darum will ich jetzt deine Gefälligkeit vergelten.«

Damit flog der Wildentenkönig von dannen; aber bald kam er zurück mit einem grossen Haufen Wildenten. Auf! Alle in den Brunnen! Wie der Königssohn nach ihnen schaute, was sie machten, da brachten sie auch schon den Ring.

Als der König von der Kirche nach Hause kam, lobte er ihn noch mehr und machte ihn sogleich zu seinem allerobersten Schatzmeister.

Jetzt aber platzten die beiden Verabschiedeten beinahe vor Neid; sie überlegten, was sie ihm wohl einbrocken könnten, was er nicht verrichten könne. Sie gingen also wieder zum König.

»Erlauchter König, jetzt hat dieser Mensch gesagt, wenn Eure Majestät es erlauben würden, so solle die Königstochter[123] in einer Nacht ein Kind haben, das alle Sprachen sprechen und ausserdem noch musizieren könne.«

Da wurde der König nun sehr zornig, dass er es wagte, so etwas von seiner Tochter auch nur zu sagen. Zuerst liess er ihn ins Gefängnis werfen. Aber dann dachte er, dass man doch auch sehen müsse, ob er dies Wunder verrichten könne. Er veranstaltete also eine grosse Hochzeit; dann liess er das junge Paar in ein Zimmer zusammen einschliessen; dem Königssohn aber sagte er:

»Wenn du nicht thust, was du gesagt hast, so lasse ich dich an einen Rossschweif binden und so durch die Stadt schleifen.«

Der arme Königssohn wagte nicht einmal mit der Prinzessin zu reden; er trauerte nur und grämte sich, dass nun sein Leben zu Ende sei. Die Prinzessin schlief neben dem blöden Kavalier, der nicht mit ihr zu reden wagte, schön ein; aber der Königssohn kümmerte sich nicht darum, schaute sie auch nicht an; er weinte nur und jammerte. Wie er so weinte und jammerte, öffnete sich auf einmal das Fenster von selbst, und herein flog ein Storch.

»Warum betrübst du dich, Königssohn?«

»Wie sollte ich nicht betrübt sein, da der König doch gesagt hat, dass ich das und das thun soll; wenn ich es nicht thue, so lässt er mich an einen Rossschweif binden und so zu Tode martern.«

»Wenn's weiter nichts ist; deswegen sollst du wirklich kein bischen betrübt sein,« sagte der Storch, »ich hole dir schon solch ein Kind. Denn weisst du, dass ich der König der Störche bin, mit dem du einmal Erbarmen hattest? Jetzt will ich das vergelten.«

Damit flog der Storch von dannen, aber nicht lange darauf kehrte er zurück und brachte ein Wickelkind. Der Königssohn[124] wickelte es aus den Windeln, und das Kind begann gleich zu musizieren und in allen Sprachen zu reden.

Nun freute sich der Königssohn; nun grämte er sich nicht mehr; nun liess er die Prinzessin nicht schlafen.

»Stehe auf, mein schönes Herzlieb; das Kind ist schon da.«

Die Prinzessin stand auf und erblickte das Kind; sie hörte, wie es musizierte, und wunderte sich darüber. Doch der Königssohn unterhielt sie mit vielen Scherzen; sie wurden fröhlich, lachten und verbrachten die Zeit wie Liebende; sie verliebten sich so ineinander, dass sie sich gleich ewige Treue schwuren.

Morgens, als der König das Kind sah, konnte er sich nicht fassen vor Staunen; doch die Prinzessin liess es dabei nicht bewenden.

»Nun, erlauchter königlicher Vater, wenn Ihr mir die grosse Schande angethan habt, so mögt Ihr mich jetzt auch mit diesem Jüngling vermählen; denn meine Augen brennen, so schäme ich mich.«

Der König widersetzte sich auch nicht; denn er sah, dass dies möglichst schnell geschehen müsste; auch so war die Taufe schon früher als die Hochzeit. Er liess sogleich Priester, Henker, Eisenhut rufen, sie hielten den Hochzeitsschmaus, assen und tranken; sie drückten fast die Wände ein.

Nach der Hochzeit fragte der König seinen neuen Schwiegersohn:

»Nun, mein lieber Sohn, jetzt bist du mein Sohn; nun sage mir auch, was für Künste weisst du, dass du all die vielen Wunderthaten verrichten konntest, die ich dir auftrug?«

»Ach, mein erlauchter königlicher Schwiegervater, Gnade meinem Haupte! Ich weiss gar keine Künste, sondern nur so und so bin ich dem Tode entronnen.«

Nun erzählte er ihm alles, auch dass er ein Königssohn sei, wie er vor seinem Stiefvater habe fliehen müssen, wie er[125] die drei Vögel gefunden habe; aber er erzählte auch, dass er den verabschiedeten Soldaten niemals irgend etwas gesagt habe; die hätten das nur erdichtet, damit sie ihn ins Verderben stürzten. Der König wurde nicht nur nicht böse auf ihn, sondern er freute sich sogar, dass sein Schwiegersohn nicht irgend ein hergelaufener Mensch, sondern ein Königssohn war. Aber über die Verabschiedeten geriet er in heftigen Zorn; er jagte sie gleich aus seinem Haus fort.

Die beiden Verabschiedeten aber wussten auch, was sie thun sollten. Sie gingen geradewegs zum Stiefvater des Königssohns und erzählten ihm, wo sein Sohn sei. Dieser nämlich liess auch jetzt noch den Königssohn überall auf Mord suchen, so zornig war er auf ihn, weil er den goldbärtigen Mann frei gelassen hatte. Als die beiden Verabschiedeten ihm die Kunde brachten, setzte er sie darum sogleich in hohe Ämter ein. Dem anderen König aber, bei dem der Königssohn war, schrieb er einen Brief, dass er entweder diesen Galgenstrick sogleich in Ketten nach Hause sende oder als Lösegeld für den goldbärtigen Mann ihm zwölf goldene Widder mit zwölf Mutterschafen und zwölf goldenen Lämmern schicke. Denn sonst würde er mit einem Heer in sein Land kommen und es so zerstören, dass auch nicht ein Stein auf dem anderen bleibe.

Der König erschrak sehr, denn jener König war um vieles mächtiger als er; er liess sogleich seinen Schwiegersohn rufen und fragte ihn, was sie wohl thun sollten.

»Wahrlich, mein erlauchter königlicher Schwiegervater, ich will nicht, dass Euer Reich um meinetwillen Schaden leide,« antwortete der Königssohn, »darum mache ich mich jetzt auf den Weg; so lange will ich wandern, bis ich die zwölf goldenen Widder, goldenen Schafe, goldenen Lämmer einbringen kann, oder ich kehre nicht wieder zurück.«

Er nahm Abschied von seiner Frau und zog in die Welt hinaus.[126]

Er wanderte und wanderte durch siebenmal sieben Königreiche, auch über das Operenzmeer, und auch noch darüber hinaus; auf einmal gelangte er in einen Wald. Auch dort wanderte und wanderte er; auf einmal rief ihn jemand an:

»Wohin gehst du, mein Sohn?«

Er schaute dorthin, und wen erblickte er? Keinen anderen als den goldbärtigen Mann. Der Königssohn erzählte ihm sogleich, was ihn herführe und dass er jetzt gerade deshalb umherirren müsse, weil er ihn frei gelassen hatte.

»Nun, mein Sohn, ich werde dir schon beistehen,« sagte der goldbärtige Mann, »ich gebe dir, was du suchst. Denn wisse, dass ich der König der goldenen Tiere bin; darum komm, wähle dir aus meiner goldenen Schafherde, was du brauchst.«

Der Königssohn wählte die zwölf goldenen Widder, zwölf goldenen Mutterschafe, zwölf goldenen Lämmer aus und trieb sie sehr fröhlich heimwärts. Wie er zu Hause angelangt war, schickten sie sogleich alles zum anderen König als Lösegeld. Sie gaben ein grosses Gastmahl und meinten, dass nach diesem ihnen nun kein Leid geschehen werde.

Aber der andere König gab sich damit fürwahr nicht zufrieden; denn er war selbst schon ein knauseriger Geizhals; aber ausserdem setzten ihm die beiden Verabschiedeten immer zu. Deshalb liess er wieder in einem Brief zurücksagen, dass es ihm mit diesen noch nicht genug sei, sondern entweder sende der König noch zwölf goldene Stiere mit zwölf goldenen Kühen und zwölf goldenen Kälbern, oder er jage jenen Bengel nach Hause. Denn sonst würde er mit Feuer und Schwert das Land verheeren.

Was war da zu machen! Sie wussten, dass er um vieles mächtiger war und dass sie sich nicht mit ihm messen konnten. Wieder machte sich darum der Königssohn auf die Reise, die zwölf Goldstiere, Goldkühe, Goldkälber aufzutreiben.[127]

Er wanderte durch siebenmal sieben Königreiche; auf einmal gelangte er wieder in jenen Wald und traf wieder den goldbärtigen Mann.

»Was führt dich denn jetzt her, mein Sohn?« fragte der goldbärtige Mann.

»Ich suche zwölf Goldstiere, Goldkühe und Goldkälber; denn jetzt verlangt mein Stiefvater das auch noch; sonst wird er mit Feuer und Schwert unser Reich verheeren.«

»Nun auch das gebe ich dir,« sagte der goldbärtige Mann, »mögen sie es ihm schicken, dem geizigen Hund! Komm, wähle aus meiner Goldherde!«

Der Königssohn wählte auch diese aus und trieb sie sehr fröhlich heimwärts. Wie er zu Hause angelangt war, sandten sie auch diese sogleich dem anderen König, auf dass sie ihn damit vielleicht zum Schweigen brächten.

Aber Gott bewahre! Sie brachten ihn nicht zum Schweigen. Statt dass er sich zufrieden gab, kam er erst auf den Geschmack, als er sah, dass diese nichts gegen ihn zu thun wagten. Wieder schrieb er sogleich einen Brief zurück, dass entweder dieser Galgenstrick sich ohne Verzug nach Hause trolle, oder sie sollten ihm den goldbärtigen Mann selbst als Lösegeld senden; denn andernfalls würde er das ganze Volk ausrotten und auch des Säuglings nicht schonen.

Darüber erschrak der arme König, der des Königssohns Partei ergriffen, furchtbar. Sie hielten Rat, sie überlegten, was sie thun sollten; schliesslich kamen sie überein, dass es am besten sei, den goldbärtigen Mann selbst um Rat zu fragen, der ihnen schon zweimal beigestanden hatte; vielleicht hilft er ihnen auch zum dritten mal. Deshalb ging der Königssohn geradewegs dorthin, wo er ihn schon zweimal gefunden hatte; dort fand er ihn auch jetzt in jenem Walde.

Der goldbärtige Mann sprach ihn sogleich an:[128]

»Nun, mein Sohn, was führt dich her? Will vielleicht dieses unersättliche Schwein schon wieder etwas?«

»Ja fürwahr,« antwortete der Königssohn, »und jetzt hat er sogar sagen lassen, dass sie entweder Euch selbst ihm schicken oder er würde das Reich ausrotten und auch nicht des Säuglings schonen.«

Jetzt ging auch dem goldbärtigen Mann die Galle über.

»Geh heim, mein Sohn,« sagte er zum Königssohn. »Sobald du zu Hause angelangt bist, mögt ihr diesem unersättlichen Hunde melden lassen, dass er sich mit dem, was er bekommen, begnügen solle, und er bekomme nicht einmal ein räudiges Schwein mehr. Setze er den Fuss in euer Land, dann werde er es bereuen, er und auch sein Geschlecht. Dies schreibt ihm in einem Brief! Ihr selbst denkt dann nicht weiter darüber nach; esst, trinkt, und was ihr an Soldaten habt, entlasst alle auf Urlaub nach Hause! Das weitere überlasst mir.«

Der Königssohn ging heim und erzählte, was der goldbärtige Mann sagen liess, und sie folgten ihm in allem. Sie schrieben den Brief an den König, dass er einen Dreck, aber keinen goldbärtigen Mann (kann warten, bis er schwarz wird!) haben solle; sie selbst assen, tranken, waren fröhlich und was sie an Soldaten hatten, schickten sie auch alles fort.

Der andere König rüstete nun das grosse Heer und machte sich damit auf den Weg, um den benachbarten König mit Land und Volk zu Grunde zu richten; er war auch schon nahe der Grenze, und dieser König, der alle seine Soldaten auf Urlaub entlassen hatte, erschrak sehr; er hatte auch nicht eine Menschenseele, die er den unendlich vielen Feinden entgegen senden konnte, – als plötzlich der goldbärtige Mann mit einem grossen Heer vor ihm erschien. Alle waren eitel goldene Ritter, auf goldenen Rossen, in goldener Rüstung, und auch das Hufeisen vom Pferd des untersten Gemeinen war von Gold.[129] Sie gingen auf den Feind los, metzelten alle Reihen nieder, dass auch kein Bote mehr blieb, den König und die beiden Verabschiedeten fingen sie lebendig, banden sie an Pferdeschweife und liessen sie so durch die Stadt schleifen, bis sie starben.

Der Königssohn aber eroberte das Reich, das nach Recht und Billigkeit auch immer sein hätte bleiben müssen, zog mit seiner Gemahlin zusammen in seines lieben Vaters Königsschloss ein, und wenn sie nicht gestorben sind, leben sie noch glücklich bis heute.

Quelle:
Sklarek, Elisabet: Ungarische Volksmärchen. Einl. A. Schullerus. Leipzig: Dieterich 1901, S. 114-130.
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