[110] 16. Marsi.

Marsi war viele Jahre Soldat, konnte es aber zu weiter nichts bringen, als daß er bei all seinen Kameraden für einen lustigen Bruder galt, weil er so freigebig, war daß er den letzten Heller mit ihnen theilte; darum nahm er zuletzt seinen Abschied, und zog heim zu seinen Verwandten.

Hier kam er gerade dazu wie sie sich in seines Vaters Nachlaß theilten, der erst ein Paar Tage vorher gestorben war. Nun hatte Marsi freilich niemals ein solches Erbe erwartet. aber wunderlich wars ihm doch; daß er nicht mehr und nicht weniger kriegte als einen blanken Pfennig. Doch nahm er ihn ohne Murren, kehrte seiner Heimat wieder den Rücken und zog von dannen nicht schwerer als er gekommen war.

Seinen Weg nahm er durch Wies' und Feld,[110] und ging ohne Ruft fürbaß bis er an einen Wald kam. Da trat ihm ein eisgrauer Bettler entgegen und bat um eine milde Gabe. Marsi ohne sich zu bedenken. griff in die Tasche und schenkte dem alten Manne sein ganzes Erbtheil. Der dankte ihm gar freundlich und sagte: »Deine Gabe soll dir reichlich vergolten werden, Glück und Segen mögen Dich begleiten auf jedem Deiner Wege! Sprich, was wünschest du auf Erden?« Marsi wunderte sich sehr solche Worte von dem Bettler zu hören, antwortete aber ohne langes Bedenken: »Nun guter Alter, etwas rechtes oder gar nichts! Das Liebste wäre mir wenn ich die Gabe bekäme, mich wenn ich wollte in eine Taube, einen Hasen oder einen Fisch verwandeln zu können!« – »Diese Fähigkeit sei Dir verliehen!« erwiderte der Greis, »zieh hin in meinem Namen und gedenke mein!« Und kaum hatte er diese Worte gesprochen, so war er auch verschwunden.

Diese Erscheinung und die Worte des Greisen beschäftigten Marsis Gedanken so sehr daß er unvermerkt die Grenzen seines Vaterlandes überschritt, und noch vor Sonnenuntergang war er in eine fremde Königsstadt gekommen. Auf dem Hauptplatze sah er Jung und Alt versammelt und[111] laut tönte ihm Jubel und lustiger Gesang entgegen, denn gerade hatten sich eine Menge Werber eingefunden um bei Tanz und Becherklingen für den König der eben einen Krieg angefangen hatte, Rekruten zu sammeln. Das lustige Aussehn der Werber, die schmucke Kleidung, der blinkende Thalerhaufen auf dem Tische um den sie tanzten und von dem jeden der sich anwerben ließ das Handgeld gereicht wurde, dazu das Schwirren der Fideln und die vollen Becher, alles das behagte dem alten Soldaten sowohl, daß er sich so müde wie er war gleich mitdrehte in dem muntern Reigen und ein Glas ums andere auf des Königs Gesundheit trank. Eh er sichs versah, hatte er einen Tschako mit wehendem Federbusch auf dem Kopfe und ein Dutzend blanke Thaler klirrten in seiner Tasche.

Schon am Tage drauf stand er wieder wie vor ein Paar Wochen in Reih und Glied, und nicht lange, so ging es im alten Tact dem Feinde entgegen ins Feld. Weil er aber von schöner kräftiger Gestalt war und im Kriegswesen kein Neuling mehr, so stellte man ihn bald in die Leibcompagnie ein, welche des Königs Person bewachte. Das machte ihm aber viele Feinde und[112] Neider, denn er war ein Ausländer und hatte sich sonst bei seinem neuen Herrn noch keine Verdienste erworben.

Nun hatte der König von einem alten Zauberer einen Ring geerbt, welcher die Kraft hatte, den der ihn trug unüberwindlich zu machen. Unglücklicher Weise aber geschah es, daß der König gerade das Mal wo er es mit einem sehr mächtigen Feinde zu thun hatte, seinen Ring zu Hause ließ und es erst kurz vor dem ersten Angriff den er erwarten mußte merkte. Das Heer des Feindes griff ihn aber mit solchem Ungestüm an, daß er sich zurückziehen mußte neue Kräfte zu sammeln; aber obgleich er seine Reihen bald wieder herstellte und dem Feinde entgegenführte, auch den Muth seiner Soldaten durch das Beispiel seiner eigenen Tapferkeit und durch glänzende Versprechungen zu wecken suchte, so war dennoch alle seine Mühe um sonst. Das Glück das ihn sonst stets begleitete hatte ihn dies Mal ganz verlassen wie es schien, und das Heer sah sich plötzlich in einer so gefährlichen Lage, daß der König befürchten mußte mit ihm umzingelt und gefangen zu werden.

Da rief er in der höchsten Noth: »Wer mir[113] den Ring schafft ehe der Feind uns noch ganz überwältigt hat, der soll zur Belohnung meine einzige Tochter haben!« Aber die drohende Gefahr war schon so nahe und die Entfernung von der Hauptstadt so weit, daß auch der schnellste Reiter sich nicht zutrauen konnte, zu rechter Zeit wieder zurück zu sein, denn auch der hatte sieben Tage gebraucht alle die Gewässer und Berge zu passiren welche auf dem Wege nach der Königsstadt liegen. Das bedachten Alle und darum zuckten sie bedenklich die Achseln und kein Einziger wagte es den Auftrag zu übernehmen.

Da gedachte Marsi der drei Wundergaben die ihm der Bettler verliehen, trat vor den König und sprach: »Dein Ring, o König, soll bald zur Stelle sein, gedenke du dann deiner Zusage!« – Und sogleich rüttelte er und schüttelte sich, und floh in Gestalt eines Hasen über Stock und Stein, ja er lief so schnell, daß der Staub in großen Wolken hinter ihm ausflog, worüber sich alle die es sahen sehr wunderten.

Als er an den Theißfluß kam, rüttelte er sich wieder und schwamm als silberner Hecht hinüber; und wie er das Ufer drüben erreicht hatte, rüttelte er sich zum dritten Mal, schwang sich als[114] Taube in die Luft und flog schneller als der Wind über Berg und Thal. Ehe sichs der König im Lager träumen ließ, hatte Marsi die Burg erreicht, schwebte durchs Fenster in das Gemach der schönen Prinzessin und setzte sich ihr auf den Schoos. Die Königstochter liebkoste die zahme Taube, reichte ihr Milch und Zuckerbrot; aber die Taube rüttelte sich plötzlich und Marsi stand in seiner natürlichen Gestalt vor der erstaunten Prinzessin. Er entdeckte ihr sogleich in welcher Absicht er gekommen wäre, und wie die Prinzessin das Alles hörte, freute sie sich sehr einen so hübschen braven Soldaten zum Bräutigam zu haben. Sie gab ihm den kostbaren Talisman und warnte ihn zugleich, sich auf dem Heimwege vor der Hinterlist seiner neidischen Kameraden in Acht zu nehmen.

Damit er nun, wenn er des Ringes beraubt wurde oder ihm sonst etwas Schlimmes begegnete, ein Zeugniß vor dem Könige hätte, bat er die Prinzessin drei Pfänder von ihm zu nehmen. Er rüttelte sich, saß der Prinzessin wieder als Taube auf dem Schoos und sprach:


»Zieh jetzt zwei Federlein

aus meinen Flügelein!«[115]


Das that die Prinzessin und zog zwei schöne Federn heraus aus den Taubenflügeln. Da rüttelte sich auch die Taube und ein schöner silberner Hecht lag vor ihr, der sagte:


»Nimm mit dem Fingerlein

acht von den Schuppen mein!«


Da zog die Prinzessin acht schöne Silberschuppen heraus. Nun rüttelte sich aber auch der Hecht und verwandelte sich auf der Stelle in einen Hasen, der sprach:


»Schneid, Königstöchterlein,

nur ab mein Schwänzelein!«


Die Prinzessin nahm die Scheere und schnitt ihm das Schwänzchen ab; alle drei Pfänder that sie in ein Schächtelchen und legte es zu ihren Schmucksachen unter Schloß und Riegel. Unterdessen hatte sich auch der Hase wieder gerüttelt, stand als Marsi da und nahm jetzt von der Prinzessin Abschied. Darauf verwandelte er sich wieder in eine Taube, nahm den Zauberring in den Schnabel und flog in aller Eile zum Fenster hinaus. Aber der lange Weg den er zurücklegen mußte und die ungewohnte Last des Ringes ermüdete ihn allmählich; doch nahm er alle seine Kräfte zusammen und steuerte muthig der Gegend[116] des Lagers zu, wo ihn der König bereits mit großer Sehnsucht erwartete. Nur noch ein paar hundert Schritt war er ab vom Lager, da erhob sich auf einmal ein Wind der ihm so heftig entgegenwehte, daß er seinen Flug ausgeben mußte und sich in einen Hasen verwandeln. Er rüttelte sich, nahm den Ring ins Maul und floh so schnell er konnte dahin über Stock und Stein.

Aber bald erfuhr er, wie sehr die Prinzessin Grund gehabt hatte ihn zu warnen. Einer von seinen Kriegskameraden, der ihn als Hasen hatte fortlaufen sehen, entbrannte dergestalt vor Neid, daß er sich vornahm ihm bei seiner Heimkehr aufzulauern und das Glück zu entreißen, das ihm der König zugesagt hatte. Er versteckte sich hinter ein Zelt, und wie der Hase herankam, schoß er ihn auf der Stelle todt, nahm ihm den Ring aus dem Maule und ging zum Könige. Der freute sich ungemein seinen Talisman wieder zu haben, steckte ihn gleich an den Finger und bekräftigte dem der ihn gebracht hatte sein gethanes Versprechen. Noch war keine Stunde vergangen, da wandte sich das Glück des Krieges wieder auf des Königs Seite: das ganze feindliche Heer wurde geschlagen, sein Fürst getödtet, alles[117] Kriegsgeräthe sammt vielen Schätzen und Kostbarkeiten erbeutet und das Land ohne große Anstrengung erobert.

Da nun der Krieg ein Ende hatte, so kehrte der König mit seinem siegreichen Heere wieder heim und zog unter dem Jubel des Volkes in seine Burg ein. Die Prinzessin freute sich von Herzen über seine Ankunft, aber ihr Blick suchte vergebens ihren Bräutigam in den Reihen tapferer Krieger welche die Burg umgaben und jubelnd und jauchzend die Fahnen schwenkten. Da trat ihr der König entgegen mit festlichem Geleite und führte ihr Marsis Mörder, den falschen Bräutigam vor, indem er sagte: »Hier ist der dem ich deine Hand versprochen habe, der brave Soldat der mir den Ring gebracht und damit uns Alle gerettet hat. Morgen soll eure Hochzeit gefeiert werden zugleich mit der Siegesfeier.«

Die Prinzessin aber erschrak heftig wie sie das hörte, brach in heiße Thränen aus und weinte Tag und Nacht. Und der Gram ging ihr so zu Herzen, daß sie schwer erkrankte; aber den Grund sagte sie nicht, nahm auch keine Nahrung zu sich sondern weinte ohne Aufhören; darum konnte auch weder die Siegesfeier gehalten werden[118] noch die Trauung vollzogen. Da ward der König auch von Tage zu Tage ernster, weil ihm seiner Tochter Leiden nahe ging, aber weder er noch die Aerzte wußten den Grund davon zu sagen.

Indeß war Marsi der arme Hase auf dem Felde liegen geblieben und nahe daran, ein Fraß der Naben zu werden. Da geschah es aber, daß der graue Bettler der ihm einmal für seinen Pfennig die drei Wundergaben verliehen hatte, wiederum über das Feld kam und ihn starr am Boden liegen fand. Er erkannte ihn gleich und sprach: »Hase steh auf und lebe! Rüttele und schüttle dich und eile auf die Königsburg, denn ein Anderer steht an deinem Platze; säume nicht, sonst kommst du zu spät.« Da sprang der Hase wieder munter und lebendig auf seine Füße, eilte so schnell er konnte über Feld und Haide, und als er an das Ufer der Theiß kam, tauchte er in die Fluth und schwamm als silberner Hecht hinüber. Dann wurde er wieder zur Taube und flog rasch über Berg und Thal, bis er an die Hofburg des Königs gelangte. Da rüttelte er sich, nahm seine natürliche Gestalt an und erschien vor des Herrschers Angesicht. Der König wollte ihn aber nicht anerkennen, schalt ihn einen unverschämten[119] Lügner und stellte ihm den Mann gegenüber der den Zauberring gebracht hatte. Diese Begegnung krankte den armen Marsi so, daß er die Thränen kaum zurückhalten konnte; doch aber faßte er wieder Muth und sprach zum Könige: »Willst du gewähren daß ich mich rechtfertige, so laß mich vor der Prinzessin erscheinen; aus ihrem Munde wirst du hören wer dir den Ring gebracht hat, ob ich oder jener Schurke von Betrüger.« Der König betrachtete ihn genauer und immer mehr erinnerte er sich je länger er ihn ansah, daß es kein Anderer als Marsi gewesen war, der sich erboten hatte den Ring zu holen; er sagte aber nichts und führte ihn gleich selber zu seiner Tochter.

Sie fanden die Prinzessin noch immer in tiefem Kummer, kaum aber erblickte sie Marsi, als sie vergnügt aufsprang, ihm entgegen lief und ausrief: »Das ist mein rechter Bräutigam, ihm Hab' ich den Ring gegeben, und er ist es dem wir den Sieg verdanken.« Alle Anwesende wunderten sich sehr über diese Worte, der König aber wurde sehr verlegen, denn jetzt wußte er bestimmt, daß der Eine den Ring hatte holen wollen und der Andere ihn gebracht hatte.[120]

Da holte die Prinzessin das Schachtelchen worin sie Marsis Pfänder aufgehoben hatte und sagte zu ihrem Vater: »Befiehl doch einmal dem Betrüger da sich in einen Hasen, einen Hecht und eine Taube zu verwandeln.« Der König befahl es, aber der falsche Bräutigam stand unbeweglich und wie gelahmt vor Angst und Schreck. Mit einem Male aber rüttelte sich Marsi und saß der Prinzessin als Taube auf dem Schoos, und die Taube sagte:


»Fasse die Federlein

wieder mir ein!«


Da nahm die Prinzessin die beiden Federn aus der Schachtel, hielt sie an die Flügel der Taube, und Jeder mußte erkennen, daß sie der Taube gehörten. Nun rüttelte sich die Taube, ein silberner Hecht lag an ihrer Stelle und sagte:


»Nun, Königstöchterlein,

setz mir die Schuppen ein!«


Da nahm die Prinzessin die acht Silberschuppen, und Aller Augen konnten sehen, daß sie am Fische gefehlt hatten. Endlich rüttelte sich auch der Hecht, sprang als Hase zu den Füßen der Königstochter und sagte:


»Nun setz mein Schwänzelein

wieder mir ein!«[121]


Da überzeugten sich Alle daß dem Häschen das Schwänzchen fehlte und es paßte prächtig. Zuletzt schüttelte sich der Hase wieder und Marsi stand in seiner wahren Gestalt da.

Als der dem Könige erzählt hatte was ihm widerfahren war, ließ dieser den Betrüger sogleich ergreifen und an den Galgen hängen. Am nächsten Tage aber ward die Königstochter dem braven Soldaten vermählt. Das war eine Hochzeit! Jedermann war vergnügt; der König aber schenkte seinem Eidam das Reich das er erobert hatte zur Mitgabe. Dort wurde Marsi als König gekrönt und Alle lebten nun froh und glücklich bis an ihr Ende.

Quelle:
Stier, G.: Ungarische Sagen und Märchen. Berlin: Ferdinand Dümmlers Buchhandlung, 1850, S. 110-122.
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