64. Der Morgenstern.

Szekler Märchen.


Es lebte einmal irgendwo auf dieser Welt, siebenmal sieben Königreiche weit von hier, aber auch noch jenseit des großen Meeres, ein alter König. Dieser hatte einen Sohn, der schon in die Jahre gekommen war, wo er ans Heiraten denken konnte. Nun, so wolle er denn gehen und sich eine Frau suchen, dachte der Königssohn bei sich selbst, denn das würde ja doch schließlich sein Los sein.

Er machte sich also auf, sich in der Welt umzuschauen und sich von irgendwoher ein passendes schönes Mädchen zu holen. Er wanderte die Kreuz und die Quer, doch nirgends traf er ein Mädchen, das für ihn paßte, und zwei ganze Jahre um und um ging er von einem König zum anderen.

Da grämte er sich, der arme Königssohn. Denn da er keine gefunden hatte, so mußte er dem Willen seines Vaters und seiner Mutter gehorchen und eine mordshäßliche, lahme, schieläugige, dicke Nachbarsprinzessin zur Gemahlin nehmen, die ihm seine lieben Eltern mit Gewalt an den Hals hängen wollten. Ob er wolle oder nicht, danach fragten sie nicht.

Wie er so in schwerer Sorge und tiefem Kummer versunken seines Weges geht, spricht ihn ein schneeweißer, ehrwürdiger alter Mann an: ›Was für eine Weltenlast, was für ein Gram kann, so jung wie du bist, deine Schultern drücken, du schöner, sanfter Königssohn?‹ ›Ach, lieber Großvater,‹ sagte der Königssohn, ›groß ist mein Kummer, ich sehe keine Hilfe für ihn!‹

Doch der Alte wußte ihm so gut zuzureden und ihn zu trösten, daß er ihm seinen Kummer erzählte.

›Nun höre, du schöner, sanfter Königssohn,‹ begann der Alte, ›ich werde dir helfen, soweit es in meiner Macht steht. Geh nur heim, laß ein Schiff rüsten, und in allem anderen verlaß dich nur auf mich!‹[82]

Nun gut! Der Königssohn ließ ein Schiff rüsten. Und als das bereit war, setzten sie sich mit dem Alten hinein und fuhren mit dem Strom an siebenmal sieben Königreichen vorüber. So fuhren sie, bis sie nicht weiter konnten und am Fuße einer schönen Seidenbrücke anlangten, welche einen Stock hoch war. Da sprach der Alte:

›Nun, du schöner Königssohn, in dieser Stadt, jenseit der Brücke, wohnt der Kupferkönig, und der hat eine weit und breit berühmte schöne Tochter. Jeden Morgen, den Gott werden läßt, pflegen die Kammermädchen am Fuß der Brücke Waschwasser zu holen für die ruhmreiche schöne Jungfrau. Drum wollen wir hier bleiben. Aus dem Schiff werde ein Zelt aus Gold, Seide und Sammet, ein Tisch aus Edelsteinen darin und darauf goldene, silberne und demantene Gewänder, und du wirst sie feilbieten! Das werden die Kammermädchen der ruhmvollen schönen Jungfrau sehen und es ihrer Herrin erzählen. Das schöne Mädchen wird herabkommen, um unter all den prächtigen Sachen etwas auszuwählen. Doch wenn das schöne Mädchen an den Tisch getreten ist, so umarme sie, küsse sie und sprich: Du bist mein, ich bin dein, ich nehme dich zur Gemahlin!‹

Nun gut, der Königssohn stieg aus dem Schiff, das Schiff verwandelte sich in ein Zelt, und viele schöne Gewänder und Stiefelchen hingen an den Haken. Kaum erfuhr die ruhmreiche schöne Jungfrau, daß ein Kaufmannsjüngling hier wäre und kostbare Gewänder feilböte, so kam sie gleich aus ihrer Stadt, sich etwas auszusuchen. Und wirklich, als sie kam, ging sie auch in die Falle; denn kaum war sie an den Tisch getreten, da fühlte sie schon einen Kuß auf dem Antlitz, und in einem Augenblick wurde das schöne Zelt zu einem Schiff und schwamm heimwärts mit Windeseile, und kaum war eine Minute um, da gab's zu Hause keine Kupferprinzessin mehr. Na, das war nun mal geschehen, und da das Mädchen nichts anderes tun konnte, fügte sie sich in ihr Geschick, – ja, sie freute sich sogar, denn schon im ersten Augenblick hatte sie den schönen Königssohn sehr lieb gewonnen.

Da war eitel Freude im Schiff, denn auch der Königssohn hatte die schöne Kupferjungfrau sehr lieb gewonnen. Sie aßen, tranken und freuten sich ihres großen Glückes. Doch jener Alte aß nicht, trank nicht, saß nur draußen auf dem Schiff im Regen, im Schnee, im Winde,[83] in der Kälte, allezeit rastlos, und hatte Acht auf das Schiff und das junge Paar.

Eines Abends in der Dämmerung ließen sich drei Schwäne auf dem Schiffe nieder, und der kleinste sprach: ›Ach Gott, zwei schöne Seelen sind in diesem Schiff! Ach wie schön, ach wie hold und liebreizend! Doch was nützt ihre Schönheit, ihre Holdseligkeit? Denn wenn sie heimkommen, schicken die Eltern des Prinzen einen königlichen Wagen; aber dieser Wagen ist mit Gift-Tod gehärtet, und wenn sie sich hineinsetzen, werden sie eines schrecklichen Todes sterben, – und wer ihnen das erzählt, der wird zur Steinsäule bis zum Knie.‹

Gut also, die Zeit kam und schwand. Das junge Paar war fröhlich, aß und trank, doch der Alte aß nicht, trank nicht, saß nur draußen auf dem Schiff und steuerte es im Winde, im Frost, im Regen, im Schnee, allezeit rastlos.

Eines Abends in der Dämmerung ließen sich wieder drei schöne Schwäne auf dem Schiffe nieder, und der mittelste sprach: ›Ach Gott, was für ein glückliches Paar ist in diesem Schiff! Ach wie schön, ach wie hold! Doch was nützt ihre Schönheit, was nützt ihre Holdseligkeit? Denn wenn sie heimkommen, schicken die Eltern des Prinzen ein Gewand zum Schiff, aber dies Gewand ist mit Gift-Tod genäht, und wenn sie das anlegen, so schlagen Flammen aus ihren Leibern, und sie werden den Flammentod sterben, – und wer ihnen das sagt, wird sogleich zur Steinsäule bis zum Gürtel.‹ Damit flogen die Schwäne weiter.

Gut also, die Zeit kam und schwand, das Schiff fuhr fort und fort. Das junge Paar aß und trank fröhlich, doch der Alte aß nicht, trank nicht, saß nur draußen auf dem Schiff in Kälte, in Glut und steuerte es. Eines Abends in der Dämmerung ließen sich wieder drei Schwäne dort nieder, und der größte sprach: ›Ach Gott, ein so fröhliches, schönes Paar ist in diesem Schiff! Ach wie schön und lieb! Doch was nützt ihre Schönheit, was nützt ihr Liebreiz! Denn selbst wenn sie heimkehren könnten und sich niederlegten auf ihr nächtliches Lager im königlichen grauen Marmorpalaste, dann kommt um Mitternacht der siebenköpfige Drache und tötet sie dort, erstickt sie mit Schwefelflammen. Wer das hört und weiter sagt, wird ganz zur Steinsäule.‹ Damit flogen die Schwäne weiter.[84]

Anderentags, als im Schiff der Morgen graute, ging der Alte zum Königssohn und sprach: ›Drei Vergehen seien mein Vorrecht nach unserer Heimkehr, und du, schöner Königssohn, gib mir die Hand darauf, daß du sie mir verzeihen wirst!‹ ›Ich verzeihe sie im voraus, hier meine Hand drauf, herzliebster Großvater, mein lieber, guter Beschützer!‹ sprach der Königssohn.

Nun gut! Von da an verlief ihre Heimkehr ohne Störung. Und kaum waren sie angelangt, da schickte ihnen der König wirklich den demantenen königlichen Wagen, daß der Sohn seine Braut darin heimführe. Doch da sprach der Alte: ›Ich bin der Erste.‹ Damit nahm er seinen Pfeil, und in einem Augenblick durchschoß er den Wagen, daß der sogleich auseinander barst, Flammen sprühte und Kutscher und Pferde, alles verbrannte.

›Und warum tatest du dies, herzliebster Großvater, mein lieber, guter Beschützer?‹ fragte der Königssohn. ›Ich sagte dir, daß nach unserer Heimkehr drei Vergehen mein Vorrecht seien; du aber solltest sie vergeben.‹

Nun gut! Da brachten sie die wunderschönen königlichen Gewänder[85] daß das schöne junge Paar sie anlege. Ja, da trat der Alte vor, nahm seinen Pfeil, und in einem Augenblick durchschoß er das königliche Gewand, daß es Flammen sprühte und auf der Stelle zu Asche ward.

›Und warum tatest du dies, lieber Großvater, mein lieber, guter Beschützer?‹ fragte der Königssohn. Antwortete der Alte: ›Ich sagte dir, daß drei Vergehen mein Vorrecht seien, du aber solltest sie mir verge ben.‹

So langten sie denn am Königshofe an.

Ach, mein Herr und Schöpfer! Wie ergrimmten der König und die Königin insgeheim, daß ihr ungehorsamer Sohn nicht umgekommen war samt seiner Braut, weder auf seinen Wanderungen, noch durch das Gift, das sie ihm bereitet. Denn sie waren gar böse Seelen und zürnten, weil ihr Sohn nicht jene häßliche Nachbarsprinzessin genommen, die sie ihm zugedacht; weder das holde Wesen der wunderlieblichen Kupferkönigstochter, noch die kindlichen Bitten des schönen Königssohns konnten diese zwei Geschöpfe beschwichtigen.

Als der Abend anbrach, schlich sich der Alte in das königliche Marmorschloß. Sie geleiteten dort gerade das junge Paar zur nächtlichen Lagerstätte. Doch die, vom langen Wege ermüdet, schliefen gleich ein, kaum daß sie sich niedergelegt hatten.

Plötzlich, so um Mitternacht, hört der Alte ein starkes Brausen. Und siehe, da kommt der siebenköpfige Drache, das junge Paar zu töten. Doch der Alte nicht faul, zog im Augenblick das Schwert, und wie die Drachenschlange ihr Haupt aufrichtete, hieb er ihr mit einem gewaltigen Schlage alle sieben Köpfe ab.

Ein Tropfen Drachenblut spritzte auf das Antlitz der jungen Frau. Der Alte wollte es abwischen. Gerade in diesem Augenblick – wer weiß, wie's geschah! – erwachte der Königssohn und sah den Alten, wie er seiner Gemahlin Antlitz streichelte. O da geriet er in maßlose Erregung; er schrie ihn furchtbar zornig an: ›Nun Alter, viel tatest du mir zuleide; du vernichtetest unseren Hochzeitswagen, unser Brautgewand. Ich verzieh es dir für die Wohltaten, die du mir erwiesen; doch daß du dein Netz nach meiner Gemahlin wirfst, das verzeihe ich nimmer.‹

Auf der Stelle rief er den Rat zusammen und ließ den Alten zum Galgentod verdammen, und zwar sollte er sofort zum Galgen geführt werden.[86]

Da sprach der Alte:


›Ich bin bereit zum Galgentod.

Straft mich, wenn ihr mich dazu verurteilt habt.

Doch eine Bitte in meiner Todesstunde

Gewähret mir: laßt mich erzählen, warum ich's getan –

Dann möge mich von Gott der Tod treffen –

Damit du siehst, o Königssohn:

Nicht Sünde war's,

Daß ich der schönen Königin Antlitz berührte.

Du aber Königssohn, da du nicht Wort gehalten:

Sieben Jahre sollst du büßen, bis du deine Sünden

aus ganzer Seele bereut hast.‹


›Nun wohl, Großvater,‹ sprach der Königssohn, ›du tatest mir so viel Gutes, daß dein letzter Wunsch erfüllt werden soll.‹ Da erzählte der Alte, was die Schwäne auf dem Schiff geredet hatten. Als er des er sten Schwanes Rede erzählte und bis dahin gekommen war: wer dies sage, der würde bis zum Knie zur Steinsäule, da ward der Alte allsogleich zur Steinsäule.

Darob erschrak der Königssohn, denn eine Ahnung ging ihm auf. Er bat den Alten flehentlich: ›Sprich nicht weiter, herzliebster Großvater, ich verzeihe dir all deine Vergehen.‹

Doch der Alte entgegnete ihm: ›Du hieltest dein Wort nicht; nun kommt die Reue zu spät. Ich sage, was ich dir zu sagen habe, und du siehe zu, wie du deinen Wortbruch bereust!‹

Er erzählte weiter von des anderen Schwanes Rede, und als er bis dahin gekommen war: wer dies sagte, der würde bis zum Gürtel zur Steinsäule, wurde der Alte auf der Stelle bis zum Gürtel zur Steinsäule.

Da erschrak der Königssohn noch mehr, denn jetzt sah er ganz klar, daß sein Vater und seine Mutter seine Feinde waren, und nur einzig der Alte ihm wohlwollte. Er weinte bitterlich, seine Tränen stürzten so, daß sie ein Mühlrad hätten treiben können. Flehentlich bat er den Alten: ›Sprich nicht weiter,‹ doch der Alte ließ sich nicht halten. Er berichtete aus des dritten Schwanes Rede und erzählte, als er des Drachen Köpfe abgehauen, sei Blut auf das wellenschaumweiße Antlitz der schönen[87] Königin geträufelt, das habe er abgewischt; da ward er auf der Stelle ganz und gar zur Steinsäule.

Der arme Königssohn weinte, schluchzte und härmte sich, daß das ganze Land Mitleid hatte mit seinem großen Kummer. Seinen Vater und seine Mutter sperrte er ins Kloster, denn wie kann ein solcher König gut zu seinem Volke sein, wenn er schon zu seinem eigenen Fleisch und Blut, zu seiner schönen, liebevollen Schwiegertochter so steinernen Herzens, so voll tödlicher Bosheit ist?

Sieben Jahre um und um beweinte er den Alten. Jeden Tag, den Gott werden ließ, ging er zur Steinsäule und bat mit bitterlichem Klagen und Weinen den Alten, daß er ihm vergebe. Die Kupferkönigin hatte einen Sohn geboren. Den nahm er auch mit zur Bildsäule, erzählte ihm und klagte ihm traurig seine große Sünde, und immer schloß er damit: ›Urteile nicht übereilt!‹

Sieben Jahre waren vorüber, als der König wieder einmal bei der Säule weinte und seinen Sohn unterwies, da stieß sich der Knabe, sein Blut floß und tropfte auf die Säule. Und da, – wer weiß, wie's geschah! – sprang der Stein in die Höhe, der Alte begann zu reden und sprach zum Königssohn: ›Nun höre, schöner Königssohn! Weil du so treu warst und die Wohltaten nicht vergessen hast und her zu mir gekommen bist und jeden Tag, den Gott gab, mich beweint hast, siehe, so segne ich, der bisher ein Engel Gottes war, dich im Namen Gottes, daß kein Leid, kein Kummer dich mehr treffe auf dieser Welt. Lebe glücklich! Mit mir wirst du hienieden nicht wieder sprechen, doch wenn du Verlangen hast mich zu sehen, gehe in der Morgendämmerung hinaus, dann kannst du mich stets am östlichen Himmel erblicken.‹ Damit stieg er gen Himmel, und siehe da, anderentags in der Morgenröte glänzte dort ein strahlender Stern, unter allen Sternen der strahlendste, am östlichen Himmel. Wenn du's nicht glaubst, schau nur selbst nach, Kamerad, denn dort leuchtet er auch jetzt noch alle Morgen.

Der Königssohn aber lebte lange in Frieden, gesegnet und glücklich mit der Kupferprinzessin, und vielleicht leben sie jetzt noch, wenn sie nicht gestorben sind.[88]

Quelle:
Dähnhardt, Oskar: Naturgeschichtliche Märchen. 7. Aufl. Leipzig/Berlin: 1925, S. 45-46,82-89.
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