[143] Mary'r Elor, Mary von der Todtenbahre.

Vor nun ungefähr dreißig Jahren, als Mary Lewis durch Cwm Pergwm auf ihrem Wege nach der Farm Blaen Pergwm gieng, erschien vor ihr in der Nähe der oben beschriebenen Brücke Pont Rhyd y Resg eine weibliche Gestalt, ganz in Weiß gekleidet, ohne Kopf. Obgleich sie auf das Mädchen zuzugehn schien, so kam sie ihr doch nicht näher. Umsonst kehrte Mary um, – bei jedem Schritt, den sie vorwärts that, folgte ihr die Frau ohne Kopf auch. Mary beschloß daher vorwärts zu gehn. Aber die Frau hielt auch jetzt mit ihr Schritt und blieb, etwa zwei Ellen von der armen Mary, in voller Sicht. Mary sagte, das entsetzliche Gespenst sei etwa fünf Fuß hoch gewesen und habe, bis auf den fehlenden Kopf, einen in jeder Hinsicht vollständigen und sogar schönen weiblichen Körper gehabt. Ihr Kleid war schneeweiß und ein Mantel von blendender Helle und mit ausgezackten Kanten fiel über ihre Schultern. Die Gestalt machte Mary'n nicht das geringste Zeichen oder sonst eine Bewegung; begleitete sie aber bis auf sechs Schritt von dem Farmhaus, und verschwand dann.

Sobald das arme Mädchen die Schwelle erreicht hatte, ward sie ohnmächtig – und so oft sie erwachte und sich anstrengte, die Ursache ihrer Aufregung anzugeben[143] und das Gespenst zu beschreiben, schreckte sie schon bei der bloßen Erinnerung zusammen und bekam Krämpfe. Sie blieb zwei Tage lang in diesem Zustande und war darauf fast leblos vor Erschöpfung. Das gute Weib, in deren Haus sie lag, glaubte sie sei wirklich todt, und schickte zu ihren Verwandten, welche eine Todtenbahre (Elor) mitbrachten, um sie nach Haus zu schaffen. Ein langer Zug folgte der Bahre bis nach Mary's Haus. Als man sich anschickte, sie herunter zu legen, zeigten sich Spuren zurückkehrenden Lebens, langsam erholte sie sich wieder und erzählte alsdann, was ihr in den Tagen vorher zu sagen unmöglich gewesen war: daß ihr nämlich die Frau ohne Kopf erschienen sei!

Seit jenem Vorfalle heißt das Mädchen nicht anders als Mary'r Elor, Mary von der Todtenbahre.

Quelle:
Rodenberg, Julius: Ein Herbst in Wales. Land und Leute, Märchen und Lieder. Hannover: Rümpler, 1857, S. 143-144.
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