1. Gründung und Namen der Stadt Arlon.
Der Dianentempel auf dem dortigen Ravensberg

[3] (Nach Sage und Geschichte.)


Obschon Arlon bereits in den ältesten Zeiten ein Ort von großer Bedeutung war, so hüllt die Geschichte dieser Stadt sich doch größten Teils in tiefes Dunkel, welches nur das grelle Aufleuchten furchtbarer Feuersbrünste, in denen die meisten geschichtlichen Urkunden verloren gingen, von Zeit zu Zeit erhellt. Manches, was von Arlons Vorzeit erzählt wird, gehört ins Reich der Sage und läßt nur ahnen, was geschehen ist. Der Spruch »Glücklich die Völker, die keine Geschichte haben!« scheint hier wie herber Spott zu klingen. Das ehemalige Arloner Volk war keineswegs glücklich zu nennen, denn endloses Elend und Widerwärtigkeiten aller Art suchten dasselbe zu jeder Zeit heim.

Der Sage nach fällt Arlons erstes Entstehen, wie das der Stadt Trier, in die Zeiten Abrahams, also etwa in das Jahr 1300 vor Christi Geburt, und wurde in der Folge Orolaunum genannt. Der Mittelpunkt der ehemaligen Stadt soll, wie alte Leute versichern, dort gewesen sein, wo heutzutage der Waschbrunnen an der Bastnacher Straße liegt.

Als die siegreichen Römer in das Ardennerland eindrangen, war Arlon längst gegründet, und sie nannten es Arlunum. Auf der die Stadt überragenden Anhöhe bauten sie drei gewaltige, hohe Türme, um ihre von Reims nach Trier und hier durchziehende Heerstraße verteidigen und in der Ferne überwachen zu können. Von der Spitze dieser Türme konnte man bei klarem Wetter zehn Stunden weit die umliegenden Lande überschauen und die sechzehn Stunden entfernte Stadt Trier sehen. Um diese hohen Warttürme flogen fortwährend zahllose Raben mit heiserem Gekrächze herum, weswegen Berg und Türme, und zuweilen auch die Stadt, Ravensburg genannt wurden.[3]

Der Name Arlon ist, wie die Gelehrten behaupten, eine Entstellung des ältesten und der keltischen Sprache entnommenen Namens Orolaunum. Was aber das Wort Orolaunum bedeutet, darüber sind die Gelehrten unter sich selbst nicht recht einig. Je nach ihren Meinungsverschiedenheiten bezeichnet dieser Name eine Höhe im Wald, einen Bergwald, eine Anhöhe an einer Quelle oder auch noch eine Ortschaft im Wald.

Alle gelehrte Forschungen vermochten jedoch bis heute noch nicht, die beim Volk so tief eingewurzelte Ueberlieferung zu verdrängen, zufolge deren Arlon eine Ableitung des römischen Namens Arlunum, von Ara (Altar) und Lunæ (des Mondes, d.h. der Mondgöttin) sei.

Als nämlich die Heiden im Arloner Lande hausten, stand auf dem Gipfel des jetzigen Kapuzinerberges außer den drei hohen Warttürmen ein prachtvoller, der jungfräulichen Mondgöttin Diana geweihter Altar. Die Göttin Diana wurde in jenen Zeiten ganz besonders in dem großen Ardennerwalde, der das ganze damalige Luxemburgerland bedeckte, verehrt; und andre ihr geheiligte Altarstätten befanden sich zwischen Bollendorf und Echternach, zwischen Ivoix und Virton, zu Dinant, zu Malmedy, zu Trier u.s.w. Auf dem Altar im Arloner Tempel hatte Dianens Steinbild die Gestalt einer holdseligen Jungfrau, die in ihren Händen ein Abbild des Mondes hielt.

Lange Zeit genoß Diana der göttlichen Ehren in den Ardennen. Als aber die h.h. Glaubensboten Eucharius, Valerius und Maternus die Lehre des Heilandes im Lande der Trevirer verkündeten, sank das Ansehen der alten Götter, und das Christentum fand, wie überall, auch zu Arlon zahlreiche Anhänger. Die Neubekehrten thaten sich zusammen, erstiegen die Ravensburg, zerstörten das alte Heiligtum und vergruben die wenigen Überreste[4] des Dianenaltars in den Berg; die drei Türme blieben stehen und machten teil von dem Schlosse, das später dort erbaut wurde. Auf den heidnischen Ruinen erhob sich bald eine dem h. Bischof und Martyrer Blasius geweihte Kapelle .... .... ....

In der Nacht vom 5. August 1558 wurde die Stadt von dem französischen General, dem Herzog von Guise, überrumpelt, geplündert und angesteckt. Die Kapelle des h. Blasius, der letzte der drei alten Türme, der noch stand, sowie alle Gebäulichkeiten, die von dem Schlosse der Grafen übrig geblieben waren, wurden von den Feinden vollständig niedergerissen. Die Reliquien des h. Blasius hatte man in das nun gänzlich verschwundene Kloster der Karmelitenpatres gebracht, die, um das Andenken an die Ravensburg zu wahren, fortan drei Türme in ihrem Siegel führten. Und als die Kapuzinerpatres, deren Kloster heutzutage als Militärspital dient, im Jahre 1654 die Verehrung der jungfräulichen Gottesmutter in ihrer Kapelle, d.h. an dem Orte, wo früher die jungfräuliche Heidengöttin angebetet wurde, allgemein eingeführt hatten, wählten sie als Klostersiegel eine Abzeichnung der hehren Gottesmutter, wie dieselbe den Mond unter ihre Füße tritt.

Quelle:
Warker, N.: Wintergrün. Sagen, Geschichten, Legenden und Märchen aus der Provinz Luxemburg. Arlon: Willems, 1889/90, S. 3-5.
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