Aussaat

›Natürliche Aussaat‹.

Die natürliche Aussaat wird bei vielen Samenpflanzen durch Schleudervorrichtungen bewirkt, die auf einer im Innern der reifenden Frucht eintretenden starken Gewebespannung beruhen und ein Ausschleudern der Samen bewirken. Bei der Eselsgurke (Ecballium Elaterium) spritzt nach ihrer Ablösung vom Fruchtstiel aus einer dadurch entstehenden Öffnung der die Samen einschließende Fruchtbrei explosionsartig hervor (Fig. 1). Bei dem Sauerklee (Oxalis acetosella) wird das Ausschleudern durch ein Schwellgewebe des Samens (Fig. 2), bei Impatiens noli tangere durch ein ähnliches Gewebe der Fruchtwand (Fig. 3) bewirkt. Die Austrocknung der Frucht ruft bei manchen Pflanzen, wie Geranium (Fig. 5), eine ruckweise Einkrümmung gewisser Fruchtteile hervor, welche die Samen fortschleudert. Bei der tropischen Hura crepitans erfolgt die Eröffnung der Frucht mit einem pistolenschußartigen Knall, wobei die ziemlich schweren Samen viele Meter weit fortgeschleudert werden. Die Stengel und Fruchtstiele vieler Kompositen und Labiaten bilden elastische Wurfmaschinen, die bei Berührung im Reifezustand ausgelöst werden; auch bedingt in einzelnen Fällen, wie z.B. bei Scutellaria und Teucrium Scorodonia (Fig. 4), der Bau des Kelches eine Führung des Wurfgeschosses. Die mit steifen hygroskopischen Borsten versehenen Früchte des Grases Aegilops ovata (Fig. 12), der Komposite Crupina vulgaris (Fig. 13), der Papilionazee Trifolium stellatum (Fig. 14) und andrer mehr führen bei wechselnder Feuchtigkeit kriechende Bewegungen aus, durch die sie in einer bestimmten Richtung fortgeschoben werden. Als Verbreitungsagens spielt für viele Früchte und Samen der Wind eine wichtige Rolle. In Zusammenhang damit existieren zahlreiche Einrichtungen, die das Fliegen und Schweben der Früchte und Samen in der Luft vermitteln (Flugeinrichtungen). Samen von staubartig winziger Kleinheit, wie die der Orchideen, oder flache, breithäutig gerandete Samen werden leicht vom Wind emporgewirbelt. Sehr verbreitet sind flügelförmige Fortsätze an Früchten und Samen wie beim Ahorn (Fig. 6). Bisweilen sind, wie bei der Hainbuche (Fig. 7), auch Hochblätter bei der Ausbildung eines solchen Flugapparates beteiligt. Bei Clematis (Fig. 8) trägt die Frucht einen haarigen Schwanzfortsatz, an den Früchten der meisten Kompositen (Taraxacum, Fig. 9) sind Haar- oder Federkronen ausgebildet, die das Schweben in der Luft ermöglichen; bei Pappeln und Weiden, bei der Baumwolle und vielen ändern sind die kleinen Samen ganz in eine flaumige Haarflocke eingehüllt. Manche Früchte sind durch Leichtigkeit und kugelige Gestalt zum Fortrollen auf dem Erdboden geeignet. In ändern Fällen werden, besonders in Steppengebieten, ganze Pflanzenrasen (z.B. Plantago cretica, Fig. 10, Gundelia Tournefortii, Alhagi camelorum, Phlomis herba venti u.a.) durch Absterben ihrer Pfahlwurzel beweglich gemacht und bilden dann große, aus verflochtenen Ästen bestehende Ballen, die der Wind in weiten Sprüngen über die Steppen dahinjagt (Windhexen, Steppenhexen). Bei Trifolium nidificum (Fig. 11) und andern trägt der Blütenstand neben wenigen fruchtbaren Blüten eine Anzahl unfruchtbarer, deren Kelchzähne sich durch nachträgliches Wachstum verlängern und die reifen Früchte in einen leichten rundlichen Ballen einhüllen, der als Ganzes von dem Fruchtstiel abfällt und leicht vom Winde fortgerollt wird. Die Tragkraft des Wassers wird bei der Samenausbreitung nur selten in Anspruch genommen. Die Früchte einiger Strandpalmen, wie Cocos und Nipa, werden durch eine luftführende Schicht ihrer Hülle schwimmend erhalten. Unter den einheimischen zeigen einige Wasser- und Uferpflanzen, wie Carex ampullacea, Alisma, Butomus, Nymphaea u.a., Schwimmeinrichtungen an ihren Früchten oder Samen. Auch der Regen kann bei der natürlichen Aussaat beteiligt sein. Bei der Jerichorose (Anastatica hierochontica) z.B. strecken sich die im trocknen Zustande knäuelförmig zusammengebogenen Äste bei Befruchtung gerade, wobei die Fruchtschalen sich öffnen und die Samen ausstreuen. Auch einige am Kap heimische Mesembryanthemum-Arten (Fig. 15 u. 16) u.a. öffnen ihre Früchte nur bei Benetzung, so daß die Samen durch den Regen fortgespült werden können.

Die Aussaat von Pflanzen durch Vermittlung der Tiere erfolgt auf sehr mannigfache Weise. Zahlreiche Früchte und Samen werden von Säugetieren und Vögeln gefressen, die dann die unverdauten hartschaligen Samen wieder von sich geben. Fleischfrüchte locken durch Farbe, Geruch und Geschmack die Tiere an, die dann zur Aussaat derselben beitragen. Auch durch Tiere, die sich Vorratskammern in der Erde anlegen, wie Eichhörnchen, Hamster und Eichelhäher, können Früchte und Samen verbreitet werden. Mehrere Ameisenarten pflegen mit Vorliebe Samen, die sich durch eine fleischige Nabelschwiele auszeichnen, in ihre Bauten einzutragen. Samen von Wasserpflanzen bleiben an den Beinen der Wasservögel hängen und werden durch diese verbreitet. Das Anheften der Früchte am Pelz von Säugetieren oder an dem Gefieder der Vögel wird meistens durch widerhakige Fortsätze bewirkt (Klettfrüchte), z.B. Torilis (Fig. 17), Bidens (Fig. 18), Xanthium (Fig. 20), Geum (Fig. 21), Lappa (Fig. 22). Die Hakenstacheln des afrikanischen Harpagophyton procumbens erreichen die Größe von Krähenfüßen und umklammern unter Umständen die Füße darauftretender Springböcke, die sich oft erst nach längerm Umherlaufen von diesen Marterwerkzeugen befreien können. Die Früchte von Tribulus orientalis (Fig. 19) bohren sich durch gerade, spitze Stacheln in die Sohle von Herdentieren ein. Bisweilen dienen zur Befestigung der Früchte am Tierpelz auch klebende Drüsen oder kleberige Überzüge (Klebfrüchte), wie z.B. bei Linnaea borealis (Fig. 23).

Auch bei den kryptogamischen Gewächsen, deren Verbreitung durch die Ausstreuung von einzelligen Sporen bewirkt wird, finden sich vielfach besondere Einrichtungen für die natürliche Aussaat. Elastische Schleudervorrichtungen sind die zerreißenden Sporangienwände der Farne und der Selaginellen sowie die Springfasern (Elateren) in den Sporenkapseln vieler Lebermoose. Die Sporenmasse der Torfmoose wird beim Abspringen des Deckels mit einem Knall explosionsartig aus der Urne herausgeworfen. Die Kleinheit der Sporen macht bei den meisten Kryptogamen eine Verbreitung durch den Wind möglich. Bei den im Wasser lebenden Algen besitzen die Sporen teils eigne Bewegungsorgane, teils werden sie passiv durch die Strömung des Wassers fortbewegt. Auch bei den mit besondern Schwimmvorrichtungen versehenen Sporen der Wasserfarne übernimmt das Wasser die natürliche Aussaat. Manche Pilze locken durch aasartigen oder süßlichen Geruch Insekten an, die unfreiwillig die klebrigen Sporen zu neuen Wohnplätzen tragen.


Natürliche Aussaat.
Natürliche Aussaat.
Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1905.
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