Börsengebäude

›Börsengebäude‹.

Das älteste Börsengebäude stand wohl in Antwerpen, und zwar in Verbindung mit dem Gildenhause der Kurzwarenhändler am Großen Markte. Gegen Ende des 15. Jahrh. wurden die Zusammenkünfte der Antwerpener Kaufleute in die Rue du jardin verlegt, und 1531 wurde in derselben Straße durch Dominikus van Waghemakere ein neues Börsengebäude errichtet, das in der Hauptsache aus einem offenen, rechteckigen und an allen vier Seiten mit Arkaden umgebenen Hofe bestand, eine Anlage, die, in veränderter Gestalt, als Kern der jetzigen Antwerpener Börse auch heute noch besteht. In Deutschland erhielt Hamburg frühzeitig, 1578, ein Börsengebäude in dem Hause seiner Gewandschneider (Tuchhändler). Berühmte jetzt Börsenzwecken dienende Gebäude, wie der Artushof in Danzig und die zum Rathause gehörende Lübecker Börse, hatten ursprünglich andre Bestimmung. Die Mehrzahl der altern Börsengebäude entstand im 17., in erweiterter und veränderter Gestalt auch im 18. Jahrh. Eins der bemerkenswertesten von ihnen ist die alte Börse am Naschmarkt in Leipzig von 1678, die 1887 durch einen Neubau an andrer Stelle ersetzt worden ist.

An den meisten andern Plätzen haben diese frühern bescheidenen Börsengebäude anspruchsvollern Bauten Platz gemacht. Zu den ältesten von ihnen gehören in Deutschland die von Zwirner 1832 errichtete Börse in Stettin, die ältere Börse in Hamburg (1837–41 und 1842 von Wimmel und Forsmann), Stülers Börse in Frankfurt a.M. (1844) u.a. Von den Börsengebäuden des Auslandes sind die bedeutendsten, Paris, London, Antwerpen, Wien, auf den Tafeln abgebildet.

Unter den neuzeitlichen deutschen Börsengebäuden steht an Größe und architektonischer Bedeutung das in Berlin von Hitzig 1859–64 erbaute, 1880–83 erweiterte Börsengebäude obenan (Tafel I, Fig. 1, u. Tafel II, Fig. 5). Es enthält drei durch Arkadenstellungen geschiedene große Säle (zwei für Fonds-, einen für Warenbörse) und dazu einen Sommerbörsenhof. Die Bestimmung der Nebenräume geht aus dem Grundriß hervor. Die Produktenbörse dient hauptsächlich dem Getreidehandel. Unter einem der Fondsbörsensäle liegen über 100 Fernsprechkammern, das Büfett befindet sich hier in einem besondern Saale. Im Obergeschoß liegen noch ein Lesesaal, Bureaus für die Verwaltung, ein Sitzungssaal für die Ältesten der Kaufmannschaft und dergleichen Nebenräume mehr.

Bedeutende Börsengebäude mit drei Sälen besitzen auch Frankfurt a.M. und Hamburg. Bei der durch Burnitz und Sommer erbauten Frankfurter Börse liegt vor dem Hauptsaal ein geräumiges Garderobevestibül, hinter ihm befinden sich Räume für das Maklersyndikat und für die Telegraphie. Zu Seiten des Nebensaals für die Effektensozietät ist eine Restauration angelegt, im Obergeschoß liegen Räume für die Handelskammer und Bureaus. In Hamburg wurde dem alten Gebäude 1880–84 der Nordflügel mit dem Fondsbörsensaal angefügt (Tafel II, Fig. 1, und Tafel ›Hamburger Bauten‹, Fig. 3). Die drei Säle, von denen der mittlere und der nördliche in das Obergeschoß durchreichen, sind im Erdgeschoß durch offene Arkaden verbunden und bieten zusammen eine nutzbare Fläche von etwa 3400 qm. Rings um die Säle sind vermietbare Kontore gewonnen, oben liegen Zimmer und Säle für die Handelskammer, für die Kaufmannschaft Altona etc.

Hervorragende Börsengebäude mit nur je einem Saale besitzen von deutschen Städten unter andern Bremen, Königsberg und Breslau. Eine Anlage mit zwei größern Sälen, einem Hauptsaale von 600 qm und einer Getreidebörse von 280 qm, hat Leipzig in seiner neuen Handelsbörse. Als Beispiel einer kleinen Anlage, wie sie z.B. Chemnitz und Dresden aufweisen, ist die der letztgenannten Stadt auf Tafel II, Fig. 3, gegeben. Der beschränkte Bauplatz hat bei ihr zur Anordnung des Börsensaals im Obergeschoß geführt. Im Untergeschoß befinden sich eine als Sommerbörse dienende Halle und eine Anzahl Kontore.

Von den Börsengebäuden des Auslandes ist die 1808–27 errichtete Börse von Paris (Tafel I, Fig. 3, und Tafel II, Fig. 2) sehr bezeichnend für den Typus der ältern Börsengebäude, entspricht freilich heutigen Bedürfnissen sehr unvollkommen. Der mit Oberlicht beleuchtete Hauptsaal enthält 1250 qm; hinter ihm liegt der Saal der Wechselmakler mit besonderm Vestibül und Eingang. An der einen Langseite des Gebäudes befinden sich Bureaus, an der andern die Räume der Courtiers; das Obergeschoß enthält die Räumlichkeiten des Handelsgerichts. In London wurde, nachdem die alte (1666) Börse abgebrannt war, 1841–44 von Tite das jetzige Börsengebäude erbaut, wobei der alte offene Börsenhof möglichst genau nachzubilden war. Daher der große, 545 qm messende Mittelhof mit den Arkaden (Tafel III, Fig. 1), der später mit Glas überdeckt worden ist. Rund um diesen Hof sind nach außen hin Läden angeordnet. Das Obergeschoß (Tafel III, Fig. 2) enthält Geschäftsräume für drei Versicherungsgesellschaften. Die jetzige Antwerpener Börse ist auf Tafel III, Fig. 3 u. 5, dargestellt. Sie zeichnet sich durch ihren von J. Schadde mit Eisen und Glas überdeckten Hof aus. Ein Börsengebäude von besonders hervorragender architektonischer Bedeutung hat in den Jahren 1875–79 Wien durch Th. Hansen erhalten (Tafel I, Fig. 2 und Tafel III, Fig. 4). Der mit hohem Seitenlicht beleuchtete einzige Hauptsaal bedeckt 1564 qm Grundfläche. Davor liegt das Garderobevestibül, dahinter ein Saal für Geschäftsabschlüsse. Die Seitentrakte, in denen sich Kursräume für Makler, Telegraphie, Journalisten und Staatskommission, rechts eine Restauration und Bureaus der Börsenkammer befinden, sind durch schmale Höfe vom Mittelbau abgetrennt. Die Räume des Obergeschosses sind teils, wie die Zwischengeschoßräume, vermietet, teils für die Handelskammer bestimmt, im Untergeschoß befinden sich eine Restauration, eine Warenbörse, Kurszetteldruckerei etc. Das Börsengebäude der Handelskammer in Chicago enthält neben einem sechsgeschossigen Geschäftshaus einen Börsensaal von 2150 qm Fläche, ist mit einem hohen Turm ausgestattet und in kühner Eisenkonstruktion errichtet.

Die den Börsengebäuden für besondere Geschäftszweige zugehörende kleine Minenbörse in San Francisco (Tafel II, Fig. 4) dient ausschließlich dem Umsätze von Minenpapieren, ist auf nur 100 Mitglieder beschränkt und enthält als Hauptraum einen Saal mit festen, in Kreisform angeordneten Sitzen (100 für Mitglieder, dahinter 100 für Makler und dahinter weitere Sitze für Börsenbesucher). An der Rückwand dieses Saales befinden sich die Sitze des Präsidenten, der caller, der Sekretäre und der Stockreporter; oben läuft eine Galerie herum. Im vordern Teile des Gebäudes befinden sich über den Räumen des Präsidenten etc. vermietbare Geschäftsräume.


Börsengebäude I.
Börsengebäude I.
Börsengebäude II.
Börsengebäude II.
Börsengebäude III.
Börsengebäude III.
Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1905.
Lizenz:
Ähnliche Einträge in anderen Lexika

Meyers-1905: Börsengebäude

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Fräulein Else

Fräulein Else

Die neunzehnjährige Else erfährt in den Ferien auf dem Rückweg vom Tennisplatz vom Konkurs ihres Vaters und wird von ihrer Mutter gebeten, eine große Summe Geld von einem Geschäftsfreund des Vaters zu leihen. Dieser verlangt als Gegenleistung Ungeheuerliches. Else treibt in einem inneren Monolog einer Verzweiflungstat entgegen.

54 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon