22.

Die Thronbesteigung Leopolds II, der am 13 März 1790 in Wien eintraf, schien für die Pflege der Musik und der Oper nicht viel Gutes zu versprechen. Noch im Juli war er nicht im Theater gewesen, hatte keine Musik bei sich gehabt, noch sonst irgend ein Merkmal von Liebhaberei für Musik gezeigt; nur seine Gemahlin die Kaiserin Louise besuchte die Oper, sie schien Einsicht zu verrathen, aber von der[551] Wiener Musik wenig befriedigt zu sein, auch die Prinzen wurden in Musik unterrichtet1. Die Verschiedenheit von Kaiser Joseph, welche sein Nachfolger so sichtlich an den Tag legte, bewährte sich auch in seinem Geschmack; die Ballets wurden wieder eingeführt, neben der opera buffa die opera seria von Neuem begünstigt. Es hieß, ein neues Hoftheater solle erbaut werden, worin man die Logen zum Kartenspiel einrichten wolle, aus Unzufriedenheit darüber sei Salieri entschlossen seinen Abschied zu nehmen und Cimarosa werde an seine Stelle kommen2. Wer sich der Gnade Josephs zu erfreuen gehabt hatte durfte mit einiger Sicherheit auf die Ungunst Leopolds rechnen, das zeigte sich auch beim Theater. Graf Rosenberg wurde der Direction enthoben, die dem Grafen Ugarte übertragen wurde3, da Ponte mit der Ferraresi in Ungnaden entlassen4, Salieri hielt es für gerathen sich von der Direction der Oper zurückzuziehen, und an seine Stelle wurde Jos. Weigl gesetzt, »um im Schüler den Meister zu ehren«5.

Mozart war doch wohl von Joseph schon zu sehr begünstigt worden um auf die Gnade Leopolds Anspruch [552] machen zu können; sein Gesuch um die zweite Kapellmeisterstelle fand so wenig Gehör als seine Bitte ihm den Klavierunterricht der Prinzen zu übertragen (III S. 188f.). Einen positiven Beweis der Geringschätzung von Seiten des Hofes erhielt er bei der Anwesenheit des Königs Ferdinand von Neapel, der mit der Königin Caroline nach Wien gekommen war um der Vermählung seiner Töchter Maria Theresia und Louise mit den Erzherzögen Franz und Ferdinand (19 Sept. 1790) beizuwohnen. Er hatte außer für die Jagd nur für Musik ein lebhaftes Interesse, das Instrument welches er selbst cultivirte, war die Leier. Es wurde ihm zu Ehren eine neue Oper von Weigl La cafetiera bizarra (15 Sept.) aufgeführt; der Kaiser erschien mit ihm zum erstenmal in der Oper, wo Salieris Axur gegeben wurde (21 Sept.); zur Feier der Vermählung war während der offnen Tafel im großen Redoutensaal ein Concert unter Salieris Direction, in welchem die Cavalieri und Calvesi, sowie die Gebrüder Stadler sich hören ließen, auch wurde eine Symphonie von Haydn aufgeführt, welche der König auswendig wußte und laut mitsang; Haydn wurde ihm vorgestellt, von ihm nach Neapel eingeladen und mit Aufträgen beehrt6Mozart blieb unberücksichtigt und erhielt nicht einmal eine Aufforderung vor dem König von Neapel zu spielen, was ihn tief verletzte (III S. 487).

Seine Lage war sehr traurig, die Kränklichkeit seiner Frau dauerte fort und während seine Ausgaben größer wurden, nahmen seine Erwerbsmittel ab; im Mai hatte er nur zwei Schüler und mußte seine Freunde bitten, ihm behülflich zu sein daß er es auf acht bringen könne. Seinen wiederholten dringenden Verlegenheiten konnte auch die Bereitwilligkeit [553] des braven Puchberg nicht dauernd abhelfen, er mußte seine Zuflucht zu Wucherern nehmen und sich auf Speculationen einlassen, die seine Finanzen noch tiefer zerrütteten (III S. 493f. 485f.). Der Druck dieser Verhältnisse lähmte auch, wie er selbst klagt, seine Arbeitskraft, kein Jahr seines Lebens ist so arm an künstlerischen Erzeugnissen als dieses7.

Offenbar in der Hoffnung einer guten Einnahme faßte Mozart von Neuem den Plan einer Kunstreise; die Krönung Leopolds, welche am 9 October Statt fand und eine Menge von Fremden nach Frankfurt zog, ließ diesen Ort als besonders günstig er scheinen8. Den Musikern sich anzuschließen, welche als zum Gefolge des Kaisers gehörig nach Frankfurt geschickt wurden und dort alle Vorzüge des unmittelbaren kaiserlichen Schutzes genossen, war ihm nicht verstattet9; er reiste, nachdem zu diesem Zweck das Silberzeug hatte versetzt werden müssen (III S. 248f.) mit seinem Schwager, dem Violinspieler Hofer, den er aus Mitleiden mitnahm um ihn an den gehofften Vortheilen der Reise Theil nehmen zu lassen, im eigenen Wagen am 23 Sept. ab [554] und kam nach einer sechstägigen Reise glücklich in Frankfurt an, wo sie bei der Ueberfüllung mit Fremden nur mit Mühe ein Unterkommen fanden. Am 14 October gab Mozart im Stadttheater sein Concert10, welches um Mittag Statt fand. Der vormalige, seit längerer Zeit schon verstorbene Contrabassist Ludwig, welcher bei demselben mitgewirkt hatte, erinnerte sich daß der Flügel auf der Bühne stand, und wie der kleine, sehr lebendige und bewegliche Mann: während der Probe, die am Morgen vorher gehalten wurde, öfters von der Bühne über den Souffleurkasten hinweg in das Orchester gesprungen sei, dort sich sehr lebhaft und freundlich mit den Orchestermitgliedern unterhalten habe und ebenso rasch wieder auf die Bühne geklettert sei. Auch in diesem Concert kamen nur Compositionen von Mozart zur Aufführung11. Uebrigens ist von diesem Aufenthalt in Frankfurt nichts Näheres bekannt als daß er mit dem alten Papa Beecké (II S. 77), mit welchem er hier wieder zusammentraf ein Klavierconcert zu vier Händen spielte12; daß man ihn freundlich und artig aufgenommen habe, meldet er seiner Frau, der Tradition nach soll er mit dem Concertmeister[555] Hoffmann näher sich befreundet und gewöhnlich abends mit ihm die Weinwirthschaft von Gran (in der Bleidenstraße, der kl. Sandgasse gegenüber) besucht haben13.

Von Frankfurt aus besuchte Mozart auch Mainz, und es wird eine rührende Liebesgeschichte erzählt, welche ihm dort Veranlassung gegeben habe die Arie Io ti lascio zu componiren, welche erweislich gar nicht von Mozart, sondern von Gottfried v. Jacquin in Wien componirt ist (III S. 331). Bei seinem Aufenthalte dort malte Tischbein das Portrait Mozarts, welches in den Besitz des kurfürstl. Hofgeigers Stutzl kam, und aus dessen Nachlaß von den Gebrüdern André erworben wurde, und das, wenn es auch in gewisser Hinsicht wie man zu sagen pflegt verschönert sein sollte, eine Mischung von Sinnlichkeit, Laune und Schwermuth zeigt, die dem Wesen Mozarts sehr wohl entspricht14.

[556] Auf der Rückreise kam Mozart nach Mannheim und erneuerte mit den alten Freunden, soviel er deren noch vorfand, das Andenken früherer Zeiten. Der ehemalige Hoforganist an der Trinitatiskirche Schultz erinnerte sich noch als achtzigjähriger Greis mit hoher Freude daran, wie er Mozart, der bei seinem Vater aus und einging, auf die Orgel begleitete und mit ihm zusammenspielte, wie dieser im Theater in der Probe zum Don Giovanni die langsamen Tempi welche der Kapellmeister Fränzel nahm rügte und selbst lebhaftere angab.

In München, wo Mozart am 29 Oct. eintraf und bei seinem alten Freund Albert, Weingastgeber zum schwarzen Adler in der Kaufingergasse, sein Quartier nahm15, fand er der guten Freunde noch mehr; der Brief an seine Frau legt Zeugniß dafür ab, wie wohl er es sich in ihrer Gesellschaft werden ließ. Und hier wurde ihm die Auszeichnung zu Theil daß der Churfürst ihn aufforderte in dem Concert zu spielen, welches dem König von Neapel, der sich auf der Rückreise von Frankfurt zwei Tage in München aufhielt16, bei Hofe gegeben wurde17. »Eine schöne Ehre für den Wiener Hof«, schreibt er »daß mich der König in fremden Landen hören muß«18.

[557] Nicht lange nach seiner Rückkunft kam Salomon aus London nach Wien und bewog Haydn durch ein für jene Zeit glänzendes Engagement ihm dorthin zu folgen und für die Concerte der philarmonischen Gesellschaft eine Reihe von Compositionen zu liefern, wodurch zu Haydns Ruhm und Wohlstand der eigentliche Grund gelegt wurde. Auch mit Mozart traf Salomon vorläufige Verabredungen, daß er nach Haydns Rückkehr unter ähnlichen Bedingungen nach London kommen sollte. Mit schwerem Herzen ließ er seinen lieben Papa Haydn ziehen, den einzigen Künstler in Wien, der ihn verstand und es ganz wohl mit ihm meinte (III S. 315f.).

Daß er von seiner Reise nicht mit einem gefüllten Seckel zurückkehrte läßt sich mit voller Bestimmtheit behaupten, auch durch seine anderen Finanzoperationen erreichte er nicht, was er seiner Frau so rührend als seinen sehnlichsten Wunsch ausspricht, ungestört durch drängende Verlegenheiten arbeiten, nur arbeiten zu können. Zwar gearbeitet hat er nach seiner Heimkehr, und das letzte Jahr seines Lebens zeigt uns eine Thätigkeit, die allen Glauben übersteigt; allein ein Blick auf das Verzeichniß seiner Compositionen beweist, wie er von verschiedenen Seiten in Anspruch genommen bald auf Bestellung bald aus Gefälligkeit schrieb was man von ihm verlangte19.

[558] Für sich selbst schrieb er das Klavierconcert in B-dur, das ohne Zweifel für eine von ihm gegebene Akademie bestimmt war, und das wie die meisten Compositionen dieser Zeit sich durch eine ernst milde Haltung und einen herrlichen Wohlklang auszeichnet. Die beiden schönen Quintetts für Streichinstrumente wurden »auf eine sehr thätige Aneiferung eines Musikfreundes« geschrieben (S. 96), der ohne Zweifel mit Mozarts bedrängter Lage bekannt war und ihm eine würdige Veranlassung bieten wollte seine Kunst nutzbringend zu machen. In welchem Sinne aber Mozart auch solche Aufträge auffaßte, die nur untergeordneter Natur zu sein scheinen, zeigen am besten die für das Orgelwerk [559] einer Spieluhr geschriebenen Compositionen, welche in der ernsten Stimmung welche sie wiedergeben und der gründlichen technischen Behandlung wahrhaftig nichts von bestellter Arbeit verrathen.

Eine Gelegenheitscomposition ist der mit Saitenquartett begleitete wunderschöne Chor Ave verum corpus, welchen Mozart in Baden, wo seine Frau wiederholt die Bäder gebrauchte, bei einem Besuch im Juni 1791 componirte. Dem Chorregent Stoll, welcher ihm manche Gefälligkeit erwies, half er dafür wiederum mit seinen Compositionen aus (III S. 249f.), und auf seine Bitte wild der kleine Satz entstanden lein, der sichtlich rasch hingeschrieben ist, aber den Ausdruck einer innigen, kindlich reinen Empfindung mit einer so herzgewinnenden Einfachheit und einem so zauberischen Wohlklang wiedergiebt, daß man auf Augenblicke allen irdischen Zweifeln und Sorgen entrückt und in einen höheren Frieden aufgenommen wird20.

In eine ganz andere Region führt uns die Baßarie mit obligatem Contrabaß, welche Mozart für zwei befreundete Kunstgenossen componirte; der berühmte Contrabaßspieler Pischlberger war im Orchester Schikaneders angestellt, auf dessen Theater Gerl Sänger und seine sehr artige und liebenswürdige Frau, früher Dem. Reisinger, Sängerin war; man behauptet, daß Mozart dieselbe sehr gern gesehn und ihr den Hof gemacht habe. Jedenfalls läßt schon diese Composition auf einen lebhafteren Verkehr Mozarts mit dem Schikanederschen Theater schließen, der folgenreich für ihn wurde.

Emanuel Schikaneder, geb. in Regensburg 1751 in dürftigen Verhältnissen, mußte sich in seinen Knabenjahren [560] als vagirender Musikant das Leben fristen und wurde durch die Vorstellungen einer wandernden Schauspielertruppe in Augsburg so begeistert daß er sich derselben anschloß und später, nachdem er die Pflegetochter des Principals geheirathet hatte, die Direction derselben übernahm und nicht bloß als Schauspieler und Sänger, sondern auch als dramatischer Dichter mit Dreistigkeit und nicht ohne Geschick auftrat. Seine Gesellschaft hatte ihren wechselnden Aufenthalt in Insbruck, Laibach, Gratz, Preßburg, Pesth und Salzburg, wo er schon im Jahr 1780 mit der Familie Mozart näher bekannt wurde und Wolfgang zu Compositionen veranlaßte (III S. 379f.). Wie wenig wählerisch er in den Mitteln war um das Publicum zu gewinnen kann der einzige Zug beweisen, daß er in Salzburg bei der Aufführung der Agnes Bernauer um das moralische Gefühl seiner Zuschauer zu befriedigen durch öffentlichen Anschlag bekannt machen ließ: »Heute wird Vicedom über die Brücke gestürzt«, was abends unter großem Jubel ausgeführt wurde21. Er erreichte auch seinen Zweck, denn er brachte es zu einer ansehnlichen Wohlhabenheit; allein eine unglückliche Speculation in Preßburg ruinirte ihn. Er hatte ein Stück geschrieben, in welchem neben einer Gans, welche die Hauptrolle spielte, nur Hähne und Hühner auftraten; die Kosten für Decorationen und Garderobe waren sehr groß, und da das Stück gänzlich durchfiel, wurden seine Finanzen so zerrüttet daß er seine Gesellschaft entlassen mußte. Er fand ein Engagement beim Nationaltheater in Wien, wo er am 1 April 1785 als Maler Schwindel in Glucks Pilgrimmen von Mecca auftrat; als er aber sich auch in größeren Rollen des ernsten Schauspiels versuchte, wurde er ausgezischt und[561] mußte im Februar 1786 Wien verlassen22. Nun übernahm er das Theater in Regensburg und suchte auch hier dem Geschmack des Publicums für das Niedrigkomische auf alle Weise zu genügen ohne indessen auf die Länge befriedigen zu können, so daß er auch diese Unternehmung im Sommer 1787 aufgab23 und nach Wien zurückging, wo seine Frau bei dem Theater im Stahrenbergschen Freihause auf der Wieden24 zurückgeblieben war und dessen Direction von Friedel übernommen hatte. Diese ging nun in seine Hände über und in diesem engen Local, das nicht viel besser als eine Holzbude war, wußte er das Wiener Publicum durch drastische Zugmittel aller Art, besonders durch komische Opern, von denen einige außerordentlichen Erfolg hatten, zu gewinnen. Was ihm, der in allen Beziehungen Naturalist war, an Bildung abging – sogar Schreiben und Rechnen ward ihm schwer mußten ein gesunder Mutterwitz, praktische Erfahrung und Bühnenroutine ersetzen, seine Dreistigkeit wetteiferte mit seinem Leichtsinn, und in jeder Verlegenheit wußte er ein Mittel zu finden um sich herauszufinden. Er war dem sinnlichen Genuß sehr ergeben, ein Schwelger und Mädchenfreund, je nach Umständen ein Parasit und ein leichtsinniger Verschwender, und nicht selten trotz großer Einnahmen von seinen Gläubigern hart bedrängt25.

In einer solchen dringenden Verlegenheit nahm er im [562] Frühjahr 179126 – man giebt sogar den 7 März als Datum an – seine Zuflucht zu Mozart, mit dem er die alte Bekanntschaft erneuert hatte, und stellte ihm vor daß er verloren sei, wenn nicht eine Oper von großer Anziehungskraft ihm wieder empor helfe; einen vortrefflichen Stoff zu einer glänzenden Zauberoper habe er entdeckt, Mozart sei der rechte Mann die Musik dazu zu schreiben. Mozarts unwiderstehlicher Neigung für die dramatische Mußt kam seine natürliche Gutmüthigkeit und Bereitwilligkeit zu helfen und wie man sagt auch der Einfluß der Mad. Gerl zu Hülfe, er erklärte sich bereit den Versuch zu machen: »wenn wir ein Malheur haben, so kann ich nichts dazu, denn eine Zauberoper habe ich noch nicht componirt.« Schikaneder theilte ihm darauf den Text der Zauberflöte mit, welcher aber erst durch wesentliche Veränderungen die gegenwärtige Gestalt erhielt, und da er wohl wußte daß Mozart bei allem Eifer schwer zum Schreiben zu bringen war, so räumte er ihm, um auf ihn einwirken zu können, den kleinen Gartenpavillon im mittleren großen Hofe des Freihauses dicht neben dem Theater ein. Hier hat Mozart einen guten Theil der Zauberflöte geschrieben27, wobei Schikaneder ihm viel zur Hand war um das Einzelne zu besprechen, die etwa nöthigen Veränderungen zu machen und vor allem sich seine Rolle [563] paßlich zu machen. Er hatte eine sehr unbedeutende Baßstimme ohne eigentliche Ausbildung, war aber nicht unmusikalisch und verstand seine Lieder in drastischer Weise vorzutragen. Da er sehr wohl wußte womit er Effect machte, bestand er auf volksmäßig einfachen Melodien und Mozart war gefällig genug so lange umzuschreiben bis jener zufrieden gestellt war. Das Lied »Ein Mädchen oder Weibchen« soll er nach mehreren Versuchen aus einer von Schikaneder ihm vorgebrummten Melodie eigener Erfindung hergestellt haben28; auch die Duetts »Bei Männern welche Liebe fühlen« und »Papageno« sollen wiederholte Umarbeitungen nach Schikaneders Eingebungen erfahren haben29.

Allein Schikaneder war auch dafür besorgt seinen Componisten bei guter Laune zu erhalten. Nicht allein zu Mittag, wo gut gegessen und getrunken wurde, mußte er häufig sein Gast sein, er zog ihn überhaupt in das Genußleben der lockeren und leichten Gesellschaft, in welcher er verkehrte, zu der auch jener Anton Stadler gehörte, der sich in Mozarts[564] Nähe zu drängen wußte und seine Gutmüthigkeit auf so schmähliche Weise mißbrauchte (III S. 248f.). Man kann sich wohl erklären, wie der Druck der äußeren Verhältnisse, die wachsende Noth im Hause, die bittere Stimmung über die Erfolglosigkeit aller seiner Bestrebungen den leicht erregbaren und für gesellige heitere Unterhaltung an sich empfänglichen Mozart für den Augenblick noch geneigter machen konnte sich in den Strudel des genußsüchtigen Lebens hineinziehen zu lassen, welchem die Gesellschaft, mit der er durch seine Oper näher zusammengeführt wurde, ergeben war, selbst die Abwesenheit seiner Frau, welche auch diesen Sommer in Baden zubrachte (Beil. XX, 6)30, mochte dazu beitragen. Und doch sind es diese Monate des Verkehrs mit Schikaneder, welche zu den übertriebenen Schilderungen von Mozarts lockerem Leben die Veranlassung gegeben und seinem Namen einen unverdienten Makel angehängt haben.

Während Mozart mit der Zauberflöte beschäftigt war, suchte da Ponte, welcher Wien verlassen mußte, ihn zu bereden mit nach London zu gehen, um dort mit ihm bei der italiänischen Oper thätig zu sein; allein dieser verlangte einen Aufschub von sechs Monaten um die Vollendung und Aufführung seiner Oper abzuwarten, worauf sich da Ponte nicht einlassen konnte (mem. II p. 123).

Im Juli 1791 war die Arbeit soweit vorgerückt daß er die Oper als im Wesentlichen vollendet in sein Verzeichniß eintragen konnte, die Proben wurden schon nach der Partitur begonnen, als nur erst die Singstimmen mit dem Baß ganz eingetragen waren, die Ausführung der Instrumentation blieb wie gewöhnlich der späteren Zeit aufbehalten. Da erhielt Mozart einen unerwarteten Auftrag auf ungewöhnliche [565] Weise31. Ein ihm unbekannter Bote – es war ein langer, hagerer, grau gekleideter Mann mit ernstem Gesichtsausdruck, eine auffallende Erscheinung, ganz geeignet einen befremdlichen Eindruck zu machen32 – überbrachte ihm einen anonymen Brief, in welchem er unter schmeichelhafter Anerkennung seiner künstlerischen Leistungen gefragt wurde, um welchen Preis er eine Seelenmesse zu schreiben übernehmen wollte und in wie kurzer Zeit er dieselbe vollenden könnte. Mozart theilte seiner Frau den Auftrag mit und gestand ihr daß ihm die Aufgabe eine sehr willkommne sei, daß es ihn verlange sich in dieser Gattung zu versuchen33 und einmal mit allem Fleiß ein Werk auszuarbeiten das seine Freunde und Feinde noch nach seinem Tode studiren sollten. Auf ihr Zureden erklärte er sich bereit dazu, ohne den Termin der Vollendung genau bestimmen zu können und verlangte den Preis von 50 (nach andern 100) Ducaten; worauf der Bote sich wiederum einstellte und den bedungenen Preis mit dem Versprechen einer Zulage für die fertige Arbeit auszahlte. [566] Er brachte ihm die Weisung, ganz nach seiner Stimmung und Laune zu schreiben, übrigens solle er sich keine Mühe geben den Besteller zu erfahren, indem dies gewiß vergebliche Mühe sein würde34.

Ehe noch Mozart diese Arbeit ernstlich fördern konnte, erhielt er Mitte August einen neuen Auftrag, der keinen Aufschub litt. Bei der bevorstehenden Krönung Leopolds II zum böhmischen König in Prag sollte auch eine Festoper aufgeführt werden; man wählte Metastasios Clemenza di [567] Tito, und wiederum waren es die Prager, welche gut machten was man in Wien versäumte; die Stände beriefen Mozart diese Oper zu componiren. Aus nicht bekannten Gründen war dieser Entschluß lange verzögert worden, es war keine Zeit mehr zu verlieren, denn um die Oper zu schreiben und einzustudiren standen Mozart nur noch einige Wochen zur Verfügung. Nachdem er die allernothwendigsten Vorbereitungen getroffen hatte, machte er sich auf den Weg nach Prag. Als er im Begriff war mit seiner Frau in den Reisewagen zu steigen, stand der unbekannte Bote unerwartet da, zupfte die Frau am Rock und fragte, wie es nun mit dem Requiem aussehen werde. Mozart entschuldigte sich mit der Nothwendigkeit dieser Reise und der Unmöglichkeit den ihm unbekannten Besteller davon zu benachrichtigen, versprach übrigens daß es seine erste Arbeit nach der Rückkehr sein solle, wenn man ihm bis dahin Frist geben wolle, womit sich auch der Bote befriedigt erklärte.

Schon während der Reise arbeitete Mozart an der Oper, skizzirte im Wagen und führte des Abends im Wirthshaus aus, in Prag wurde mit gleichem Eifer fortgearbeitet, so daß nach Verlauf von 18 Tagen die Oper vollendet und einstudirt war35. Zu seiner Unterstützung hatte er einen jungen Componisten Süßmaier, der sich ihm als Schüler angeschlossen hatte, mitgenommen und von diesem soll das Seccorecitativ geschrieben sein36. Die Oper wurde am 6 Sept., [568] dem Tage der Krönung nach der Tafel, vor einem eingeladenen Publicum im Beisein der Majestäten37 mit großer Pracht38 im Nationaltheater aufgeführt39, gefiel aber bei den ersten Aufführungen nur wenig, wie Niemtschek (S. 74) meint, weil das von den glänzenden Vergnügungen der Krönungsfeierlichkeiten berauschte Publicum für die Schönheit Mozartscher Musik nicht gestimmt war40. Mozart, der in [569] dem enthusiastischen Beifall der Prager Entschädigung für so manche Unbill zu finden gewohnt war, wurde dadurch um so mehr niedergeschlagen, als er unwohl dorthin gekommen war und durch die übermäßige Anstrengung sein Uebelbefinden vermehrt hatte. Er gebrauchte dort fortwährend Arznei, sah blaß aus und seine Miene war traurig, obschon sich, wie Niemtschek erzählt (S. 34), sein Humor in der Gesellschaft seiner Freunde doch noch oft in fröhlichen Scherz ergoß, allein beim Abschied von dem Cirkel seiner Freunde wurde er so wehmüthig daß er Thränen vergoß.41

Wenn wir sahen daß Così fan tutte sich der altenopera buffa in den wesentlichsten Beziehungen näherte, so finden [570] wir uns im Titus auf den Standpunkt der opera seria zurückgeführt. Metastasio hatteLa clemenza di Tito im Jahr 1734 gedichtet, wo sie von Caldara componirt am Namenstage Carls VI aufgeführt worden war; seitdem war sie von einer ganzen Reihe angesehener Componisten in Musik gesetzt worden42. Zwar hatte sich der Geschmack so weit verändert daß es nicht thunlich schien sie unverändert aufzuführen, allein die Veränderungen, welche Mazzola, der sächsische Hofpoet, mit dem Libretto vornahm43, konnten den Charakter der Oper im Wesentlichen nicht ändern. Zunächst wurden die ursprünglichen drei Akte in zwei zusammengezogen, indem man die nicht eben glücklich erfundene Episode, in welcher Annius durch Vertauschung der Mäntel als der Schuldige erscheint, ganz beseitigte; der Gang der Handlung wurde dadurch zweckmäßig vereinfacht. Ein lebhaftes dramatisches Interesse konnte man allerdings derselben nicht nachträglich verleihen, auch an dankbaren musikalischen Situationen ist sie nicht reich, und unter den handelnden Personen ist Vitellia die einzige, welche wenigstens durch Leidenschaft erregt wird, obgleich diese weder groß noch edel ist, und der Ueberfluß von Tugend und Edelmuth in der ganzen Oper kann das dramatische und musikalische Interesse nicht ersetzen. Ein zweites Augenmerk der Bearbeitung war die große Zahl [571] meist rhetorisch sententiöser Arien zu beschränken, theils durch mehr lyrische zu ersetzen, besonders aber an passender Stelle Ensemblesätze einzuführen, welche Metastasio gar nicht hat, deren man aber nach der Ausbildung der opera buffa auch hier nicht entbehren mochte. Dies ist mit möglichster Schonung der ursprünglichen Anlage, mit möglichster Benutzung von Metastasios Worten ausgeführt, so daß ungeachtet aller Neuerungen Anlage, Charakter und Colorit der alten opera seria, als eines höfischen Festspiels, wohl erhalten geblieben ist44. Die Handlung ist in kurzem Abriß diese.

Vitellia, die Tochter des von Vespasian entthronten Kaisers Vitellius, hat in ihrer Hoffnung getäuscht daß Titus sie als seine Gemahlin auf den Thron ihres Vaters erheben werde einen jungen Römer Sextus, der von der heftigsten Leidenschaft für sie ergriffen ist, obgleich er ein Freund des Titus ist dahin vermocht daß er eine Verschwörung gegen Titus einleitet um durch seinen Sturz ihre Hand zu gewinnen. Wir sehen sie im Beginn der Oper den Zagenden und Schwankenden zur That anspornen, als Annius die unerwartete Nachricht bringt, Titus habe seine Geliebte Berenice, welche ihre Eifersucht erregt hatte, aus Rom entfernt; er verlangt von Sextus daß er von Titus die Einwilligung zu seiner Vermählung mit Servilia, der lange von ihm geliebten Schwester des Sextus, erbitten möge, was dieser zusagt. Nach einer prachtvollen Volksversammlung, in welcher sich die Großmuth des Titus glänzend offenbart [572] hat, bittet der Kaiser Sextus um die Hand seiner Schwester Servilia; da dieser betroffen schweigt, bestärkt Annius edelmüthig durch das Lob der Geliebten den Kaiser in seinem Entschluß. Allein als Servilia von Annius selbst das Glück erfährt das ihr bevorsteht, versichert sie ihn ihrer unveränderten zärtlichen Liebe, eilt zu Titus und gesteht ihm die volle Wahrheit, worauf dieser großmüthig auf ihre Hand verzichtet und sie mit Annius vereinigt. Vitellia, durch die Nachricht von Servilias Erhebung auf den Thron im höchsten Grade erbittert, befiehlt Sextus sogleich mit den Verschwornen aus Werk zu gehen, er gehorcht. Kaum ist er fort, so erscheint Publius, der Anführer der Leibwache mit Annius, und meldet Vitellia daß Titus sie in ihrem Pallast aufsuche um ihre Hand zu verlangen, in der größten Verwirrung eilt sie ihm entgegen. Vor dem Kapitol, das durch die Verschwornen in Flammen gesetzt ist, treffen sich alle in aufgeregter Stimmung wieder, welche Sextus durch die Nachricht daß Titus, den er selbst getödtet zu haben glaubt, erschlagen sei, zum höchsten Schmerz und Entsetzen steigert.

Sextus, von Gewissensangst gefoltert, gesteht Annius seine Schuld, der ihn beschwört zu fliehen, auch Vitellia treibt ihn um ihrer eigenen Sicherheit willen zur Flucht; da kommt Publius ihn auf die Aussage gefangener Verschwörer zu verhaften. In einer Senatsversammlung, welche Titus Tod beklagt, tritt dieser aus dem Volk hervor, wirst die Verkleidung ab, in welcher er sich gerettet hat und giebt sich zur allgemeinen Freude zu erkennen45. Er weiß daß Sextus ihn ermorden wollte, den der Senat auf sein eigenes Geständniß zum Tode verurtheilt hat, allein er läßt ihn vor [573] sich kommen und erwartet von ihm nur offenes Vertrauen um ihm verzeihen zu können. Um Vitellia nicht zu verrathen beobachtet dieser der Güte des Titus gegenüber hartnäckiges Schweigen, so daß dieser das Todesurtheil bestätigt. Von Servilia angefleht vom Kaiser Gnade für Sextus zu erbitten rafft sich endlich Vitellia auf, entsagt ihren Hoffnungen und entschließt sich um Sextus zu retten ihre Schuld zu gestehen. Im Amphitheater ist alles bereit die Strafe an Sextus zu vollziehen, als Vitellia hereinstürzt und sich als die Urheberin der Verschwörung anklagt; Titus verzeiht ihr, dem Sextus und den Verschwornen und alle preisen seine Güte.

So wenig diese Handlung geeignet ist ein lebhaftes Interesse zu erregen, ebenso wenig können die einzelnen Charaktere dasselbe in Anspruch nehmen. Die abstracte Güte des Titus, der unter allen Umständen zu verzeihen und zu resigniren bereit ist, erweckt schon an sich keine Theilnahme46 und wirkt dramatisch schädlich, da sie von vornherein alle Spannung aufhebt. Publius, Annius und Servilia sind lediglich Stützen der Handlung, Personen ohne alle Individualität. Sextus ist eine rein passive Natur, zwischen Liebe und Reue hin und her schwankend, ohne Kraft des Entschlusses, den man bemitleiden würde, wenn seine Liebe zu Vitellia von dieser erwiedert würde und eine wahre, tiefe Leidenschaft einen kräftigen Impuls zu seinem Verbrechen gäbe. Allein seine Schwäche, welche ihn nicht einmal fühlen läßt, wie er nur das Werkzeug ihres egoistischen Ehrgeizes ist, hebt jede Theilnahme auf, während Vitellia durch ihre [574] nackte Ehrsucht, der sie jedes Gefühl, jede Pflicht zu opfern bereit ist, ohne daß man eine große Eigenschaft gewahr wird, welche dieselbe rechtfertigen könnte, nur zurückstößt; denn ihre Reue kommt zu spät um für etwas mehr als eine den Schluß nur um so bestimmter vorbereitende Dissonanz zu gelten.

Diese innere Schwäche wurde durch die eigenthümliche Weise von Metastasios poetischer Behandlung nur noch stärker hervorgehoben. Seine zierliche und elegante Rhetorik war für eine eigentliche Hofpoesie durchaus angemessen und rief einen entsprechenden musikalischen Ausdruck in einer Zeit hervor, für welche diese Auffassung volle Gültigkeit hatte, sowie die Gewandtheit und Geschmeidigkeit, mit welcher er die einmal vorgeschriebene Form handhabte, dem Componisten, der an ebenso bestimmte Formen gewiesen war, sein Werk außerordentlich erleichterte. Auch ohne sich den vollständigen Umschwung zu vergegenwärtigen, welchen die Auffassung des Dramatischen überhaupt seitdem erfahren hatte, darf man sich nur an Figaro und Don Giovanni erinnern um zu begreifen, daß das was zu Metastasios Zeit ein Vorzug war, jetzt für den Componisten zu einer Fessel werden mußte, die ihn wie unwillkührlich an Satzungen band, die keine wahre Geltung mehr hatten. So begegnen uns denn auch überall im Titus unter leichter Verhüllung die Spuren der althergebrachten Formen der opera seria, welche Mozart früher bereits aufgegeben hatte. Und fast noch schädlicher wirkte die anmuthige Zierlichkeit Metastasios ein, weil sie der Neigung zu spielender, angenehmer Unterhaltung begegnete, welche man damals in der Oper suchte und die, wenn sie schon in der opera buffa einer scharfen Charakteristik entgegenwirkte, der opera seria, welche wenn auch nicht tragisches Pathos doch Ernst und Würde verlangt, [575] eine unziemliche Weichheit zum Grundton gab und ebensowohl in leichte Tändelei als in äußerlichen Pomp auszuarten Gefahr lief.

Nimmt man hinzu daß Mozart die bestimmte Aufgabe hatte eine Gelegenheits-, eine Festoper zu schreiben, zu welcher man zwei Sängerinnen aus Italien hatte kommen lassen, welche sich in ihrem Glanze zeigen sollten47, und daß zu der Kürze der ihm zugemessenen Zeit noch Kränklichkeit hinzukam, so läßt das Zusammenwirken so mancher ungünstiger Umstände ein unbedingtes Gelingen nicht erwarten.

Den Charakter eines glänzenden Festsoleis deutet die Ouverture an, welche mit einer feierlichen, in lang ausgesponnener Steigerung anwachsenden Intrade würdig beginnt48. Das so bedeutend angekündigte zweite Thema entspricht aber dieser Erwartung nicht, es ist klein und schwächlich49, und auch das darauf zu harmonisch-contrapunktischer Durchführung aufgenommene Motiv


22.

[576] ist nicht bedeutend genug um trotz der gewandten und glänzenden Behandlung ein tieferes und nachhaltiges Interesse einzuflößen, so daß der zu einem effectvollen Schluß verwendete Eingang nun auch mehr den Eindruck der Pracht als pathetischen Ernstes hinterläßt.

Auch der Marsch (4) und die Chöre (5. 24)50 sowie der Schlußsatz (26), Sestetto con coro, in welchem kleine Solostellen mit dem Chor abwechseln51, behalten diesen Charakter des Festlichen bei; sie sind glänzend und zum Theil rauschend, gefällig und wohlklingend, auch ihrem Zweck und der Situation entsprechend ohne das Verdienst einer eigenthümlichen Erfindung und Charakteristik in Anspruch zu nehmen; nur der Chor, mit welchem Titus empfangen wild, ehe er das Urtheil über Sextus spricht (24)52, hat einen schönen Ausdruck von feierlicher Würde erhalten53, den nicht sowohl die ziemlich trivialen Textesworte, sondern der richtig empfundene Charakter der Situation veranlaßt hat54.

Die Tenorpartie des Titus zeigt den Einfluß der alten opera seria am entschiedensten, wie auch bei seinen drei Arien (6. 8. 20) die Worte Metastasios beibehalten sind, [577] die sich in allgemeinen Sentenzen bewegen. Die beiden ersten sind kurz gehalten und zwar von angenehm melodiösem Charakter, aber ohne irgend tiefere Bedeutung55; die letzte aber zeigt noch die alte Arienform mit einem langsamen Mittelsatz, auf welchen die Wiederholung des ersten Allegro folgt und eigentliche Bravurpassagen von altem Zuschnitt56.

Die Arie der Servilia (2), nach alter Weise mittempo di Minuetto bezeichnet, die beiden Arien des Annius (13. 17)57, sowie die des Publius (16) sind sämmtlich der Anlage und Behandlung nach eigentliche Secondatpartien ohne höhere musikalische Bedeutung und individuelle Charakteristik.

Das Hauptgewicht fällt also ganz nach alter Weise auf die beiden ersten Sängerinnen, welche Sextus und Vitellia vorstellten. Daß die Liebhaber, Sextus wie Annius, Sopranpartien sind ist wiederum eine bedenkliche Erbschaft der alten opera seria, und wenn Sextus nicht einem Castraten sondern einer Sängerin anheimfiel, so war dadurch [578] viel für Humanität und Sittlichkeit aber nichts für das Drama gewonnen. Eine wahre Charakteristik ist unmöglich, wenn ein Frauenzimmer in Mannskleidern den Liebhaber macht, und daß Sextus ein weibisch schwankender Mann ist, macht die Sache nicht besser; das Hauptmoment, seine Leidenschaft für Vitellia, wird zur Unnatur, welche die dramatische Auffassung je tiefer sie greifen würde nur um so greller hervorkehren müßte. So tritt denn fast mit Nothwendigkeit die Gesangskunst in den Vordergrund. Die erste Arie des Sextus58 Parto! (9) kann schon deshalb kein eigentlich dramatisches Interesse erregen, weil die Situation daß er Vitellias Aufforderung zur Rache Gehorsam verspricht, wenn sie ihm nur einen Blick der viele schenken wolle, sich bereits wiederholt hat, also nicht mehr den Culminationspunkt seiner leidenschaftlichen Stimmung bildet. Die musikalische Anlage und Ausführung ist die einer großen Bravurarie; in zwei Sätzen (Adagio und Allegro von verschiedenem Takt), spricht sich die vorwiegend zärtliche und nur durch einen Anflug von Heroismus gehobene Stimmung ausführlich aus. Der Singstimme geht eine obligate Clarinette zur Seite und die im eigentlichsten Sinn concertirende Behandlung derselben zieht an sich schon das Hauptinteresse auf die musikalische Ausführung. Diese nimmt aus der Situation und dem Charakter der Person soviel auf, um dem Ausdruck des Gefühls eine bestimmtere Färbung zu geben, ohne aber eine scharfe individuelle Charakteristik anzustreben; sie steht den Concertarien gleich, welche auch die gegebene Situation nur als eine allgemeine Grundlage für die Entwickelung der musikalischen Kräfte ansehen. Als solche betrachtet [579] ist sie von außerordentlicher Schönheit, die Melodien sind edel und ausdrucksvoll, die Klangwirkung der Singstimme und der concertirenden Clarinette vortrefflich, nur die Triolenpassagen und der lang ausgedehnte Schluß sind eine dem brillanten Effect gemachte Concession. Die zweite Arie (19) ist durch die Situation schärfer charakterisirt; Sextus, der sich gegen Titus freundschaftliches und gütiges Entgegenkommen mit Mühe verschlossen hat, wird von seinem Gefühl überwältigt, als dieser ihn kalt entläßt um ihn zum Tode führen zu lassen. Auch diese Arie zerfällt in zwei Sätze; im Adagio spricht Sextus seinen Schmerz über das verlorne Vertrauen des Titus, im Allegro die Verzweiflung aus, mit welcher er dem Tode entgegen geht59. Der Ausdruck des ersten Satzes ist wahr und innig und die Weichheit, welche ihn charakterisirt, ist der Situation wie der Person entsprechend, während der zweite Satz60 zwar in einigen Partien eine gewisse leidenschaftliche Aufwallung [580] ausdrückt, im Ganzen aber doch zu wenig Energie entwickelt und namentlich in seinem Hauptmotiv selbst für einen weiblichen Sextus zu zart ist, obgleich nur durch falschen Vortrag etwas Spielendes hineinkommen kann61.

Vitellia ist, wie schon bemerkt, die einzige Person der Oper, welche eine kräftige, leidenschaftliche Empfindung äußert62. In der ersten Arie (2) kommt davon freilich nichts [581] zum Vorschein; Metastasios Text enthält eine frostige moralische Betrachtung, wie sie häufig bei ihm vorkommen, die kaum einen musikalisch charakteristischen Ausdruck zulassen. Die Arie zerfällt in die beiden herkömmlichen Sätze, deren keiner durch Erfindung sich auszeichnet, die Melodien sind weder charakteristisch noch reizend, und auch die Bravurpartie ist unbedeutend, das Ganze so gewöhnlich und trocken daß es begreiflich ist, wenn man hier Süßmaiers Arbeit zu erkennen glaubte. Dagegen ist die zweite Arie der Vitellia (22. 23) die Perle der Oper und unbestreitbar eine der schönsten Arien die je geschrieben sind. Im entscheidenden Moment rafft sich Vitellia zu dem Entschluß auf die theuersten Hoffnungen, ja ihr Leben den edleren Regungen ihrer Seele, deren ehrgeiziges Streben nur zu lange auf ein falsches Ziel gerichtet war, zu opfern, und hebt sich zu wahrer Größe empor. Die musikalische Charakteristik hält sich durchaus an diese Situation und entwickelt von dieser aus ein psychologisches Gemälde, das seine selbständige Bedeutung in sich hat und mit den früheren Voraussetzungen der Oper, insoweit sie den Charakter der Vitellia bedingen, nur in losem Zusammenhang steht. Allerdings tritt auch sie dadurch aus dem Rahmen der Oper heraus und stellt sich mehr auf den Boden der Concertmusik, wie dies auch in der Anlage und Behandlung hervortritt, theils durch den Umfang, indem beide Sätze breit angelegt und ausgeführt sind, theils durch[582] die Einführung des concertirenden Bassethorns, das zwar nicht durch Bravur glänzt, aber der Singstimme entsprechend ganz als Soloinstrument behandelt ist63. Hier sind indessen alle Elemente zu einer so vollkommenen Einheit verschmolzen, der höchste Reiz des Wohlklangs, die vollendete Schönheit der musikalischen Form, die scharfen Contraste der einzelnen Motive gehen in dem allgemeinen Charakter dessen Detailzüge sie bilden so völlig auf, das Ganze ist von einem so edlen, tief poetischen Hauch durchweht und zugleich von solchem Glanze, daß die künstlerische Befriedigung welche es hervorruft vergessen macht daß es aus seiner Umgebung als ein Fremdartiges hervorragt. Schon das einleitende Recitativ ist ein Meisterstück treffenden Ausdrucks, in der Arie selbst ist die stolze Schönheit der einzelnen Motive von einer tiefen, fast düsteren Schwermuth durchdrungen, welche den Reiz der edlen Züge noch erhöhet, daß wie beim Anschauen der Niobe das Gefühl der Rührung durch den Eindruck des Erhabenen gereinigt und verklärt wird.

Die Ensemblesätze, mit welchen die Oper ausgestattet worden ist, sind nur zum Theil von dramatischer Bedeutung, wodurch wesentlich die musikalische bedingt wird; namentlich die Duetts sind weder dem Umfange noch dem Gehalt nach hervortretend. Um das Duettino zwischen Sextus und Annius (3) zu übergehen, das zwar durch seine leichte Gefälligkeit beim Publicum großes Glück machte, aber an sich unbedeutend und dem Charakter einer heroischen Oper durchaus nicht entsprechend ist, so erhebt sich das erste Duett zwischen Sextus und Vitellia (1), namentlich im ersten [583] Satz zu bestimmterer Charakteristik, aber auch hier tritt das Ansprechende in den Vordergrund und gewinnt in den Terzengängen und leichten Imitationen des Allegro ganz die Oberhand. In dem kleinen Duett zwischen Annius und Servilia (7) ist eine zarte Empfindung der Situation und den Personen schon angemessener und die Lieblichkeit und Innigkeit des musikalischen Ausdrucks läßt den tragischen Ernst hier weniger vermissen.

Die drei Terzetts sind allerdings bestimmter in die dramatische Situation hineingestellt und treten an bedeutsamen Momenten ein, aber auch sie bezeichnen nicht einen dramatischen Conflict in der Art, daß die verschiedenen Personen in gleicher Weise wahrhaft thätigen Antheil nähmen. So tritt im ersten Terzett (10) Vitellia nicht nur sehr in den Vordergrund, sondern sie ist allein von lebhaften Empfindungen beseelt, zu denen Annius und Publius sich rein beobachtend verhalten. Im Augenblick, wo sie Sextus zum Morde des Titus entsandt hat, erfährt sie daß dieser sie zur Gemahlin erwählt hat, vergebens sucht sie Sextus zurückzurufen, sie selbst ist es, die im entscheidenden Moment ihr Glück zerstört. Eine unruhige Violinfigur zu einer rasch wechselnden, durch Vorhalte geschärften Harmonie drückt ihre Verwirrung und Aufregung vortrefflich aus, die in einzelnen, abgebrochnen Ausrufen sich Luft macht; allein die ruhige Betrachtung der beiden anderen


ah, come un gran contento,

come confonde un cor!


erkältet nothwendig auch den Ausdruck der Vitellia, so daß mit dem Zusammentreten der Stimmen nicht, wie es sein müßte, eine Steigerung, sondern eine Abschwächung der leidenschaftlichen Bewegung eintritt, die nur in einigen schönen stark ausgeprägten Accenten sich momentan wieder erhebt.

[584] Das zweite Terzett (14) beginnt mit dem zärtlichen Abschied, welchen Sextus von Vitellia nimmt64, die von Gefühlen der Scham und Furcht bestürmt wird; dieser Contrast wäre vortrefflich für die musikalische Darstellung, wenn durch Publius ein neues bedeutendes Element hinzuträte, welches auf fester Grundlage die Einigung vermittelte; allein er ist auch hier fast nur passiver Zuschauer und steigert das Pathos der Situation nicht. Wie vorhin Vitellia, so bestimmt hier Sextus den Ton des Ganzen, der dadurch eine zarte Weichheit annimmt, welche den Gehalt der Situation nicht völlig zur Geltung kommen läßt; indessen ist dies Terzett durch die freiere Entfaltung der Singstimmen dem ersteren überlegen65. Das dritte Terzett (18) ist im [585] ersten Satz ebenso schön als ausdrucksvoll, der zweite ist zu leicht angelegt und zu wenig ausgeführt um die Situation zu erschöpfen.

Indessen ist auch hier ein Satz, in dem sich Mozart rein und voll offenbart, das erste Finale. Zwar ist dasselbe bei weitem nicht so groß angelegt und reich ausgeführt, wie die Finales der früheren Opern, es ist vielmehr nur eine Situation die zur Darstellung kommt, aber diese ist ernst und bedeutend ihrem Gehalt nach und in großen Zügen von unübertrefflicher Schönheit ausgeführt. Eingeleitet wird dasselbe durch einen Monolog des Sextus, in welchem er die Zweifel und Selbstvorwürfe von welchen seine Seele gequält wird ausschüttet; ein begleitetes Recitativ drückt diesen Zustand mit einer Wahrheit und Energie aus, wie sie in der Partie des Sextus sonst nicht zum Vorschein kommt. Als er das Kapitol in Flammen sieht und sich überzeugt, daß seine Reue zu spät kommt, wird seine Empfindung gesammelter und das Quintett beginnt mit dem schön ausgedrückten Wunsch den Titus zu retten oder mit ihm zu sterben; dann entzieht er sich den Fragen des theilnehmend herbeieilenden Annius. Nach einander treten darauf von Unruhe und Entsetzen erfüllt Servilia, Publius und Vitellia auf; ein charakteristisches Motiv des Orchesters, das in verschiedenen Wendungen die neu eintretenden Personen begleitet, bildet den Faden der Entwickelung, die einzelnen Ausrufe des unsichtbaren Chors, welche in immer sich steigernden dissonirenden Accorden dazwischen treten, sind die Angeln der fortschreitenden Harmonie; mit dem wieder erscheinenden Sextus schließt sich dieser in strenger Symmetrie aufgebaute Satz ab. – Ein kurzes Recitativ, in welchem Sextus die Ermordung des Titus verkündigt, leitet in das Andante über, mit welchem das Finale ganz gegen die Sitte [586] der lebhaft bewegten Schlußsätze abschließt. Alle Anwesenden einigen sich in dem Gefühl des tiefen Schmerzes, der durch das Entsetzen über das furchtbare Verbrechen des Kaisermords eine gemessene Feierlichkeit bekommt, der Chor ist soweit näher gekommen, daß man seine Klagen im Zusammenhange vernimmt; die Solostimmen und der Chor greifen selbständig in einander und bilden ein Ganzes von erhabener Würde und ernster Schönheit, dessen tief ergreifender Ein druck zugleich die reinste Versöhnung mit sich bringt. Hier zeigt es sich, zu welcher Höhe auch dieopera seria durch eine großartige Durchbildung ihrer eigenthümlichen Elemente erhoben werden konnte, aber leider ist dieser Satz im Titus der einzige von dieser Art.

Ein vergleichender Rückblick auf Idomeneo, der nahe genug liegt66, muß der älteren Oper in vielen und wesentlichen Punkten den Vorrang einräumen. Freilich sind die conventionellen Formen deropera seria dort noch strenger bewahrt, aber zugleich offenbart sich ein frisches und kräftiges Streben dieselben mit dem reichsten Gehalt zu erfüllen und wo möglich die eng gezogenen Schranken zu überschreiten, während wir im Titus gewahren, wie der Componist zufrieden ist durch die Vortheile einer ausgebildeten Technik sich mit diesen Formen abzufinden. Dies zeigt sich nicht allein in der kurzen und leichten, oft flüchtigen Behandlung der ursprünglich auf größere Dimensionen angelegten Formen, z.B. der Theilung in zwei Sätze, welche im dramatischen Interesse[587] schon fast ganz aufgegeben war und hier nur äußerlich beibehalten ist, sondern noch empfindlicher in der durchgehenden Abschwächung einer ernsten und tragischen Auffassung, wie sie im Idomeneo sich überall geltend macht, zu möglichst gefälliger Anmuth. Die Vorzüge eines freieren und leichteren Melodienflusses, des sicherer ausgebildeten Geschmacks, welche in dem Werke der späteren Zeit unverkennbar hervortreten, können doch nicht entschädigen für den Mangel einer tief greifenden Kraft der musikalischen Gestaltung, welche man um so mehr vermißt, da auch durch Metastasios Bearbeitung hindurch der große Hintergrund fühlbar wird, den noch die römische Kaiserzeit darbietet und der unter anderen Umständen genügt haben würde Mozart zu einer bedeutenden Schöpfung zu begeistern. Bezeichnend für die ganze Haltung der Oper ist auch die Behandlung des Orchesters, das zwar in einzelnen Stücken den vollen Glanz und die reiche Pracht entfaltet, mit welchen Mozart dasselbe ausgestattet hatte, auch da, wo die musikalische Darstellung sich zu dramatischer Bedeutung erhebt, dieselbe unterstützt und erhöht, im Ganzen aber über eine leichte Begleitung der Singstimmen wenig hinausgeht. Es versteht sich daß die Klangwirkung des Orchesters gegen die alte opera seria gehalten unendlich viel voller, reicher und seiner nuancirt ist, allein eine selbständige Betheiligung an der dramatischen Charakteristik durch Ausführung psychologischer Detailzüge tritt nur ausnahmsweise ein, die Bewegung des Orchesters beruht meistens auf rein musikalischen Motiven, wie denn auch das Hervortreten eigentlicher Soloinstrumente hiefür bezeichnend ist. Auffallend ist auch nach dieser Richtung hin der Unterschied gegen Idomeneo, wo eine Ueberfülle von instrumentaler Detailausführung von dem Bestreben zeugt, die selbständige Kraft des Orchesters in der Oper zu voller Geltung zu [588] bringen, während im Titus die reiche Fülle eines völlig ausgebildeten Orchesters wie absichtlich geschwächt und verdünnt erscheint. Auch mit dem Glanz und der Feinheit der Orchesterbehandlung in Così fan tutte kann Titus im Allgemeinen keinen Vergleich aushalten.

Die Urtheile über diese Oper fielen außerordentlich verschieden aus. Niemtschek zufolge (S. 73) ward Titus »in ästhetischer Hinsicht als schönes Kunstwerk für die vollendeteste Arbeit Mozarts gehalten. Mit seinem Sinn« sagt er »faßte Mozart die Einfachheit, die stille Erhabenheit des Charakters des Titus und der ganzen Handlung auf und übertrug sie ganz in seine Composition. Jeder Theil, selbst die gemäßigte Instrumentalpartie trägt dieses Gepräge an sich und vereinigt sich zu der schönsten Einheit des Ganzen.« Die volle Reise des Geschmacks offenbart sich nach seinem Urtheil nirgends schöner als in dieser Oper (S. 68), die ihm auch als das schönste Muster von Mozarts treffender dramatischer Charakteristik gilt (S. 47). Ein Aufsatz (A. M. Z. IV S. 822ff.), welcher die Unzulänglichkeit des Libretto von Metastasio hervorhebt, rühmt die musikalische Charakteristik um so lebhafter, durch welche Titus den Charakter sanfter Liebenswürdigkeit erhält, Vitellia in ihrer Erhabenheit rein und kräftig dargestellt, die Freundschaft zwischen Sextus und Annius zur idealischen Zartheit erhoben wird. »Jener namenlose Zauber«, heißt es »der wie ein leiser Blüthenhauch aus dem Lande, wo die Citronen blühen über dem Ganzen schwebt und alles einigt und bildet und in sich selbst vollendet, von ihm läßt sich nur sagen daß er da ist, aber man kann nicht drauf hinzeigen wie auf das Unpoetische und Unmusikalische. Wie in Goethes Torquato Tasso – mit dem sich dieses Mozartsche Kunstwerk wohl vergleichen lassen dürfte – ist hier die Synthese so rein und beschlossen daß [589] der Kritiker es kaum wagen darf zu analysiren. Ihm bleibt nichts übrig als auszusagen, daß jede mögliche kritische Analyse sich damit enden werde gestehen zu müssen daß der Künstler nicht analysirt habe.« Dagegen meint Schaul (Briefe üb. d. Geschmack S. 59), außer einigen Stücken sei alles Uebrige so trocken, so langweilig daß man es viel mehr für den ersten Versuch eines aufkeimenden Talents als für das Product eines vollendeten Geschmacks halten sollte, und führt das Urtheil eines Italiäners an, der in Neapel für einen der ersten Kenner gelte und ohne Rücksicht auf die Königin, welche deutsche Musik in Schutz nahm, geäußert habe, nur in den ernsthaften Arien leuchten hie und da einige Genieblitze hervor, welche zeigten, was Mozart bei einer besseren Leitung hätte werden können. Mit der größten Strenge und Herbigkeit wurde im Journal Deutschland 1796 in zwei Aufsätzen über Titus geurtheilt, welche man Reichardt zuschrieb und die große Indignation hervorriefen, des rücksichtslosen Tons wegen nicht mit Unrecht, obwohl der Tadel in wesentlichen Punkten begründet war67. Mit billiger Rücksicht auf die bestimmten Verhältnisse, unter welchen Mozart diese Oper componirte, urtheilte Rochlitz (A. M. Z. I S. 154): »Er sah sich gezwungen, da er kein Gott war, entweder ein ganz mittelmäßiges Werk zu liefern [590] oder nur die Hauptsätze sehr gut, die minder interessanten ganz leicht hin und bloß dem Zeitgeschmack des großen Haufens gemäß zu bearbeiten; er erwählte mit Recht das Letztere.«

Vielleicht war es diese Accommodation der Musik an den Geschmack des Publicums und die Befriedigung, welche durch Decorationen und Aufzüge der Schaulust desselben geboten wurde, die Titus auf den deutschen Bühnen bald heimisch machte und dauernd, wenn gleich nicht mit dem Erfolg des Don Giovanni, Figaro und der Zauberflöte, erhalten hat. In London wurde die Oper im Jahr 1806 zum erstenmal zum Benefiz der Mad. Billington aufgeführt und zwar als die erste Oper von Mozart, welche dort zu Gehör kam68, in Paris wurde sie im Jahr 181669 und in Mailand im teatro Rè im folgenden Jahr zuerst mit Beifall gegeben70.

Fußnoten

1 Mus. Corresp. 1790 S. 30.


2 Mus. Wochenbl. S. 15. vgl. Lange Selbstbiogr. S. 167.


3 Müller Abschied S. 286.


4 Die pikanten Erzählungen da Pontes (mem. II p. 114ff.) mögen etwas lebhaftes Colorit tragen, im Wesentlichen scheinen sie wahr zu sein.


5 Mosel, Salieri S. 138. Mus. Wochenbl. S. 62. Die härtesten Aeußerungen Leopolds über Salieri theilt da Ponte mit (mem. II p. 135): Io lo conosco abbastanza. So tutte le sue cabale, e so quelle della Cavalieri. È un egoista insopportabile, che non vorrebbe che piacessero nel mio teatro che le sue opere e la sua bella; egli non è solo nemico vostro, ma lo è di tutti i maestri di cappella, di tutte le cantanti, di tutti gl' Italiani e sopra tutto mio, perche sà che lo conosco.


6 Mus. Corresp. 1790 S. 145ff. Griesinger biogr. Not. S. 36.


7 Das eigenhändige Verzeichniß weist nach der Vollendung von Così fan tutte im Januar 1790 nur nach


Mai. Quartett für 2 Violin Viola u. Violoncello

(B-dur S. 91ff.).

Juni. Quartett (F-dur ebend.)

Juli. Händels Cäcilia und Alexandersfest bearbeitet.


8 Nähere Nachrichten über diese Reise, welche nur durch sehr spärliche Notizen ergänzt werden, finden sich in Mozarts Briefen an seine Frau (Beil. XIX, 6–8).


9 Salieri war als Hofkapellmeister am 21 Sept. nach Frankfurt abgereist (mus. Corr. 1790 S. 146. Mosel, Salieri S. 138); er, Jgn. Umlauf als Substitut und 15 Kammermusici werden im Wahl- und Krönungs-Diarium (2 Ankg. S. 5) als anwesend aufgeführt.


10 Im Raths- und Schöffenraths-Protocoll der Reichsstadt Frankfurt zur Wahl und Krönung des Kaiser Leopold II findet sich S. 400 folgende Notiz: »Mittwoch 13 Oct. 1790. Als vorkame, daß der Kayserl. Conzert-Meister Mozart um die Erlaubniß nachsuche Morgen Vormittag im Stadtschauspielhaus ein Concert geben zu dörfen: solle man ohne Consequenz auf andere Fälle hierunter willfahren.« – Ich verdanke diese wie die übrigen Angaben der Mittheilung meines Freundes W. Speyer.


11 Auf dem Titel der alten Andréschen Ausgabe des Concerts in F-dur (S. 52, 9) findet sich die Notiz: Ce concert à été executé par l'auteur à Francfort sur le Mein à l'accasion du couronnement de l'Empereur Leopold II. Da sonst das brillante Concert in D-dur (S. 52, 16) als Krönungsconcert bezeichnet wird, so ist wohl anzunehmen daß er beide in Frankfurt gespielt habe.


12 Lipowsky Baier. Mus. Lex. S. 16.


13 Hesse berichtet (Bresl. Ztg. 1855 N. 210 S. 1366) daß er in Frankfurt einen alten pensionirten Organisten der Katharinenkirche habe kennen lernen, der im Jahr 1790 als ein Knabe der Schüler seines Amtsvorgängers gewesen war. »Eines Sonntags« erzählte derselbe »nach beendigtem Gottesdienste kommt Mozart auf das Orgelchor zu St. Katharina und bittet sichs bei dem alten Organisten aus, etwas auf der Orgel spielen zu dürfen. Er setzt sich auf die Bank und folgt dem kühnen Fluge seiner Fantasie, als ihn plötzlich der alte Organist in der unhöflichsten Weise von der Orgelbank stößt und zu dem Schüler sagt: Merke dir diese letzte Modulation, welche Herr Mozart gemacht; das will ein berühmter Mann sein, und macht so grobe Verstöße gegen den reinen Satz?« Der Schüler hatte sich dieselbe gemerkt, und Hesse fand sie schön und nicht einmal ungewöhnlich.


14 Das Bild ist in den Bildnissen berühmter Deutschen (Breitkopf u. Härtel, 4 Lief.) gestochen und dem dritten Bande dieser Biographie vorgesetzt. Die Authenticität desselben, welche wegen der großen Verschiedenheit von den gewöhnlichen Porträts wohl bezweifelt wurde, ist dadurch festgestellt daß Prof. Arentz in Mainz und Hoforganist Schultz in Mannheim, welche Mozart auf dieser Reise hatten kennen lernen, die Aehnlichkeit bezeugten. Vgl. Grenzboten 1853 IV S. 460f.


15 So weist es das Kurfürstl. gnädigst privil. Münchner Wochen u. Anzeigeblatt 1790 N. 44 nach.


16 Nach den Berichten der Kurs. gn. priv. Münchner Zeitg. 1790, N. 173–175 war bei Ankunft des Königs von Neapel (welche am 4 Nov. Mittags erfolgte) Hofgala und Hofakademie, am folgenden Tage eine große Hofjagd, abends Lustspiel im Theater und Souper.


17 Der König hatte Raaff von seinem Aufenthalt in Neapel her noch in so gutem Andenken, daß er, als er ihn in dem Concert bei Hofe gewahr wurde, auf ihn zulief und ihn vor dem ganzen Hofe mit herzlichem Eifer in seine Arme schloß (Reichardts mus. Ztg I S. 278).


18 Eine Münchner Tradition daß Mozart den Don Giovanni dort dirigirt habe ist unbegründet, weil diese Oper damals nicht in München gegeben wurde. Eine »Feuilletonstudie« im Sammler (Beil. zur Augsb. Abendzeitg. 1857 N. 1) läßt nicht allein Mozart zur ersten Aufführung von Wien, sondern auch den Assessor E. T. A. Hoffmann aus Posen nach München kommen »nur um sich Mozart vorstellen zu lassen«, und zugleich in Folge dieser Aufführung Sennefelder den Steindruck erfinden.


19 Das eigenhändige Verzeichniß weist nach


1790 Dec. Ein Quintett für 2 Violin 2 Viola u.

Violencello (D-dur S. 96).

Ein Stück für ein Orgelwerk in eine

Uhr (F-moll III S. 387ff.).


1791


5 Jan. Ein Klavierconcert (B-dur S. 52, 17).

14 Jan. Drei teutsche Lieder (III S. 346).

23. 29 Jan. 5. 12. 28 Febr. 6 März. Tänze

(S. 455).

3 März. Ein Orgelstück für eine Uhr

(F-Moll III S. 388).

8 März Eine Baß-Aria mit obligatem Contre-

baß für Hrn. Görl und Pischlberger

Per questa bella mano

(III S. 281, 7). Variationen

auf das Klavier über das Lied

»Ein Weib ist das herrlichste Ding.«

12 April Ein Quintett für 2 Violin 2 Viola

u. Violoncello (Es-dur S. 96).

20 April Schlußchor in die Oper

Le gelosie villane von Sarti

für Dilettanti Viviamo felici

in dolce contento (ist unbekannt

geblieben).

4 Mai Andante für eine Walze in eine

kleine Orgel (F-dur III S. 389).

23 Mai Adagio und Rondeau für Harmonica

Flauto Oboe Viola u. Violoncello

(C-moll III S. 290f.).

18 Juni in Baaden Ave verum corpus.

Juli Eine kleine teutsche Cantate für

eine Stimme am Klavier »Die ihr

des unermeßlichen Weltalls Schöpfer«

(III S. 413).


20 Die Partitur ist bei André in Offenbach gedruckt.


21 Berliner Litt. u. Theat. Ztg. 1783 I S. 94.


22 Müller Abschied S. 273f. Berl. Litt. u. Theat. Ztg. 1785 I S. 304: »Schikaneder, den man in Wien bei der deutschen Oper als Buffon engagirt hat, wird auf dem Nationaltheater den Martin in den Glücksrittern, Essex, Odoardo geben!«


23 Journal der Moden 1790 S. 149ff.


24 Hormayr Wien VI, S. 75.


25 Seyfried giebt diese Charakteristik von ihm, die nicht übertrieben sein kann, da sie apologetische Tendenz hat (N. Ztschr. f. Mus. XII S. 180).


26 Ueber die näheren Umstände bei der Composition und ersten Aufführung der Zauberflöte ist mancherlei berichtet von Treitschke (Orpheus mus. Taschenb. 1841 S. 242ff.), im illustr. Familienbuch des österr. Lloyd 1852 II S. 119f., in der Monatsschr. f. Theater u. Musik 1857 Sept. S. 444ff.; überall sind gute alte Traditionen mit erweislich Falschem gemischt.


27 Auch in Josephsdorf bei Wien zeigt man im Casino noch ein Zimmer in welchem Mozart die Zauberflöte geschrieben haben soll (allg. Wiener Mus. Ztg. 1841 S. 128).


28 C. F. Becker hat darauf aufmerksam gemacht (N. Ztschr. f. Mus. XII S. 112) daß der Anfang dieses Liedes übereinstimmt mit der siebenten und achten Zeile des Chorals »Nun lob mein Seel den Herren« von Scandelli (st. 1580)


22.

und daß auf dieselbe Melodie auch Höltys »Ueb' immer Treu und Redlichkeit« gesungen wird. Das spricht gewiß für ihre Popularität.


29 Wie sicher sich Schikaneder dabei fühlte beweist folgendes Billet von ihm, das Al. Fuchs in seiner Sammlung aufbewahrte. »Lieber Wolfgang! Derweilen schicke ich dir dein Pa-Pa-Pa- zurück, das mir ziemlich recht ist. Es wirds schon thun. Abends sehen wir uns bei den bewußten beweisen – Dein E. Schikaneder.«


30 Am 26 Juli wurde der jüngste Sohn Wolfgang geboren.


31 Die Geschichte des Requiems ist den näheren Umständen und Personen nach vollständig bekannt geworden, alles Geheimnißvolle und Räthselhafte ist allmählich aufgeklärt; einige Umstände, die man zu veröffentlichen ein Bedenken gefunden hat, sind mir in Wien vom Custos A. Schmid und Al. Fuchs als vollkommen verbürgte mitgetheilt. Auf den Bericht der Frau Mozarts gründet sich die einfache Erzählung bei Niemtschek (S. 32ff., auch bei Nissen S. 554f.) und die in gewohnter Weise lebhaft colorirte von Rochlitz (A. M. Z. I S. 149ff. 177ff.), die den späteren zu Grunde liegen.


32 Der Bote war Leutgeb, Verwalter des Grafen Walsegg, – nicht zu verwechseln mit dem Hornisten (III S. 292ff.) – dessen Aeußeres mir von Grillparzer, der ihn wohl gekannt hat, geschildert wurde.


33 In seinen Gesuchen an den Kaiser Leopold II, wie an den Magistrat von Wien hebt Mozart seine Vertrautheit mit dem Kirchenstil hervor (III S. 188. 198), und es mochte ihm auch in dieser Hinsicht erwünscht sein sie zu bewähren.


34 Es ist erwiesen daß Graf Walsegg zu Stuppach das Requiem bestellte um das Andenken seiner im Januar 1791 verstorbenen Gemahlin, geb. Freyin von Flammberg, zu feiern. Er war ein eifriger Musiker, selbst mittelmäßiger Violoncellspieler und hatte die Laune für einen Componisten gelten zu wollen; seine Bestellung ließ er deshalb so geheimnißvoll ausrichten um die Partitur abschreiben und die Musik als sein Werk aufführen zu können und führte diesen Plan auch aus. J. Zawrzel, welcher damals als Musiker im Dienste des Grafen stand, bezeugt in einem Brief an André (25 Juli 1826), daß er in des Grafen Schreibkabinet ein bis zum Sanctus fertiges Requiem, sehr nett geschrieben, gesehen und dabei erfahren habe daß es dessen eigene Composition sei; auf sein Bedenken daß dort keine Bassethörner zu haben seien, habe der Graf erwiedert, er werde sie, wenn das Ganze fertig sei, von Wien kommen lassen (André Vorbericht zu Mozarts Requiem und danach Cäcilia VI S. 212). Krüchten, der mit allen Verhältnissen genau bekannt war, berichtet wie das vom Grafen abgeschriebene Requiem als dessen eigene Composition in Wiener-Neustadt im Hause des Dr. Obermayer probirt und in der Cistercienser Abtei feierlich aufgeführt worden sei (Cäcilia VI S. 217ff.). Beide irren sich nur, wie so oft, in ihren genauen Zeitangaben und in einigen Nebenumständen, die aber leicht zu controliren sind. Abschriften des Requiem, auf deren Titel Graf Walsegg als Componist genannt ist, sind in seinem Nachlaß gefunden (Mosel üb. d. Orig. Part. des Req. S. 32). Krüchten erzählt auch, eine Symphonie, welche Graf Walsegg für die seinige ausgegeben, habe man als eine Mozartsche anerkannt (Cäcilia S. 223f.); Niemtschek (S. 38f.) sah ein kurzes Billet des Anonymus, in welchem Mozart ersucht wurde das Requiem zu senden und eine Summe zu bestimmen, für welche er jährlich eine bestimmte Anzahl Quartetts schreiben wolle.


35 In dem eigenhändigen Verzeichniß ist eingetragen: »Den 5 September, aufgeführt in Prag den 6 Sept«.La clemenza di Tito Opera seria in due atti per l'incoronazione di sua Maestà l'imperatore Leopoldo II, ridotta a vera opera dal Sgre. Mazzoli, poeta di sua A. S. l'Elettore di Sassonia – 24 pezzi. (In der gedruckten Partitur finden sich, die Ouverture nicht mitgezählt, 26 Stücke, allein die obligaten Recitative sind hier besonders gezählt, im Original nicht.)


36 Die Originalpartitur ist in Andrés Besitz (Verz. 47); es sind gar keine Seccorecitative in derselben vorhanden, wodurch die Tradition bestärkt wird, daß sie von Süßmaier herrühren. Sonst fehlen in derselben das erste Finale (11. 12), welches sich auf der Kön. Bibliothek in Berlin befindet, die erste Arie der Vitellia (2) und das Duettino (3), das aber in einer »vom Abbé Stadler revidirten Abschrift des Mozartschen Originals« beiliegt, und das begleitete Recitativ des Titus vor dem letzten Finale (25). Dagegen ist hier noch ein begleitetes Recitativ des Titus nach der Arie des Annius (17) che orror! che tradimento! welches in der in Leipzig bei Breitkopf u. Härtel gedruckten Partitur fehlt. Die ganz von Mozart geschriebene Originalpartitur, welche in ihrer ganzen Einrichtung und Ausführung von den anderen nicht abweicht, erweist Seyfrieds Bericht (Cäcilia IV S. 295), nur die Hauptstücke habe Mozart eigenhändig aufgeschrieben, die übrigen seien von Süßmaier in Partitur gesetzt, der die Arien der Servilia, des Annius und Publius ganz componirt habe, als unbegründet, obwohl er sich auf Duschek beruft, in dessen Hause Titus componirt worden sei.


37 In Prag hat sich die Tradition erhalten daß die Kaiserin sich sehr geringschätzig über die porcheria der deutschen Musik geäußert habe.


38 Die ersten drei Decorationen waren von P. Travaglia, im Dienste des Fürsten von Esterhazy, die vierte von Preisig aus Coblenz erfunden.


39 J. Debrois Urkunde über die Krönung Sr. Maj. des Königs von Böhmen Leopolds II S. 110.


40 Im musik. Wochenbl. wird aus Prag berichtet (S. 70), La clemenza di Tito habe den Beifall nicht gefunden, »den der sonst hier so beliebte Componist erwarten konnte«; und später (S. 94): »Bei der hiesigen Krönung waren zwei musikalische Arbeiten merkwürdig. Die eine bestand in einer großen, oder vielmehr mittler, ernsthaften Oper, einer abermals componirtenClemenza di Tito, die aber, wiewohl die Musik von Mozart war, nicht gefiel. Dieser sonst große Componist schien dasmal des Wahlspruchs vom Octaviusfestina lente vergessen zu haben. Auch waren nur die Arien und die Chöre von seiner, die Recitative von einer anderen Hand. Die zweite bestand in einer großen von Kozeluch gesetzten Cantate; diese Tonsetzung fand Beifall.« Kozeluch trat in Prag damals so heftig als Mozarts Gegner auf, daß es ihm allgemein verdacht wurde (A. M. Z. II S. 516).


41 In Prag war nach der Erzählung in der Bohemia (1856 N. 23 S. 122) ein alter Harfenist Hoffmann, der stets mit wohl gepudertem entblößtem Haupt, in Schuh und Strümpfen einhertrippelte, in allen Kaffeehäusern eine wohlbekannte Erscheinung, von den Studenten Copanek (Zöpfel) genannt. Mozart, dem er durch sein Spiel aufgefallen war, hatte ihn, als er im Gasthof »das Neuwirthshaus« (jetzt »der goldne Engel«) wohnte, auf sein Zimmer kommen lassen und ihm ein Thema auf dem Pianoforte vorgespielt mit der Aufforderung es aus dem Stegreif zu variiren, was dieser, nachdem er sich das Thema hatte wiederholen lassen, zu Mozarts Zufriedenheit leistete. Bis ins späteste Alter bildete dieses Thema das Prachtstück des Virtuosen, das er nur auf besonderes Verlangen vortrug; dann erging er sich auch wohl in Erinnerungen an Mozart und wollte sich in seiner Behauptung daß dieser ein geborner Böhme sei und sein müsse durch keine Einrede irre machen lassen.


42 Sie ist unter andern von Leon. Leo 1735, von Hasse 1737, von Jomelli, von Perez 1749, von Gluck 1751, von Jos. Scarlatti 1760, von Naumann 1769 componirt.


43 Es wird Mozart ein nicht begründetes Verdienst beigelegt, wenn man ihm selbst die Umgestaltung des Libretto beilegt (A. M. Z. I S. 151f. Cäcilia XX S. 191). Caterino Mazzola – Mozart nennt ihn Mazzoli, denn Marroli ist ein Druckfehler –, ein geborner Venetianer und Freund da Pontes (mem. II p. 16ff.) wurde an Migliavaccas Stelle 1782 als Hofpoet nach Dresden berufen, wo er für den jährlichen Bedarf an Opern und Cantaten sorgte.


44 Unverändert aus Metastasio herübergenommen sind N. 2. 5. 6. 8. 9. 11. 16. 29. 21. 25, und die obligaten Recitative 11. 17. 22. 24. Neu gedichtet sind die Arien des Annius (13. 17), Sextus (19) und der Vitellia (23), die Duetts (1. 3. 7), Terzetts (10. 14. 18.), das Quintett (12), Sextett (26) und der Chor (15), meistens mit theilweiser Benutzung von Metastasios Motiven, auch wohl mit Beibehaltung einzelner Verse und Wendungen.


45 Diese Scene ist ganz von Mazzolas Erfindung, aber nicht zu einem größeren Ensemblesatz benutzt, wozu die Situation wohl die Veranlassung gegeben hätte.


46 »Solch ein Titus soll denn auch noch geboren werden,« schreibt Zelter an Goethe (III S. 26) »der in alle Mädchen verliebt ist, die ihn todtschlagen wollen.«


47 Die Besetzung bei der ersten Aufführung war folgende


Tito Vespasiano,

imperator di RomaSgre. Baglione.

Vitellia, figlia del

imperator VitellioSgra. Marchetti-

Fantozzi

Servilia, Sorella di SestoSgra. Antonini.

Sesto, amico di TitoSgra. Car. Perini.

Annio, amico di SestoSgra. Bedini.

Publio, prefetto del pretorioSgre. Campi.


48 Die ersten Takte erinnern an die Ouverture zu Idomeneo, welche aber durch Ernst und Würde der Stimmung wie durch die Originalität der Erfindung der zum Titus weit überlegen ist.


49 Merkwürdigerweise ist grade dies Motiv ein Typus geworden für eine ganze Reihe von Ouverturen und Symphonien der nächsten Nachfolger, und ist sogar in Beethovens erster Symphonie und Prometheus-Ouverture noch erkennbar.


50 Das Tempo des ersten ist nicht Presto sondern Allegro angegeben.


51 Sämmtliche Blasinstrumente sind auf einem Extrablatt geschrieben.


52 In der gedruckten Partitur fehlen die Trompeten und Pauken, welche Mozart auf einem Extrablatt geschrieben hat.


53 Man hat in der durchgehenden breiten Violinfigur und dem Harmoniengang Händelsche Manier zu erkennen geglaubt, an die man kaum äußerlich erinnert wird.


54 Ein seiner Zug ist es auch daß der Chor nach Titus Errettung (15) nicht in lauten Jubel ausbricht, sondern eine stille, durch die unerwartete Ueberraschung noch wie gedämpfte Freude ausdrückt; nur ist dieser Chor für eine solche Situation zu leicht und flüchtig gehalten.


55 Die zweite Arie (8) ist offenbar später componirt, denn sie ist in die laufenden Nummern nicht eingereiht und die Partitur ist auf demselben Papier geschrieben, wie der gleichfalls unbezifferte Marsch (3), die obligaten Recitative, und die Ouverture welche ebenfalls erst nach Vollendung der anderen Stücke, die alle auf gleichem Papier geschrieben sind, hinzugefügt wurden.


56 Seyfried erzählt (Cäcilia XX S. 193f.) die Sage, daß der Tenorist Baglione schon vor Mozarts Ankunft sich darüber aufgehalten habe, daß dieser und nicht ein italiänischer Componist berufen worden sei, zur Strafe dafür habe Mozart ihn so ungünstig bedacht; er vermuthet sogar, daß die Bravurarie eine Jugendarbeit Süßmaiers sei. Dies letztere widerlegt die Originalpartitur, das erstere wird dadurch nicht wahrscheinlicher daß Baglione derselbe Sänger ist, für welchen Mozart den Don Ottavio geschrieben hat (S. 420 vgl. S. 430).


57 Die zweite Arie (17), von Mazzola gedichtet, ist nachträglich eingeschoben und mit der Nummer 131/2 bezeichnet.


58 Ueber die Sängerin Carolina Perini habe ich nichts Näheres in Erfahrung gebracht.


59 Metastasios Text drückte nur das letztere Gefühl aus, Mazzola bildete aus den Worten des Dialogs den ersten Theil der Arie. Im Original war ursprünglich gar kein Ritornell, dieses ist auf einem eingelegten Blatt von einer Copistenhand hinzugefügt, welche auch das Schlußritornell zugesetzt hat. Vermuthlich ging die Arie ursprünglich in ein begleitetes Recitativ des Titus über, das aber nicht vorhanden ist. Ueber die Aenderung der Takteintheilung s. III S. 450.


60 Schaul führt es als einen Beweis an daß Mozart oft gegen die gesunde Vernunft gesündigt habe, daß Sextus von Gewissensbissen gefoltert seine Qual Titus durch ein Rondo vortrage (Briefe üb. d. Geschmack S. 51). »Wenn es ein Rondo von Pleyel oder Clementi wäre«, bemerkt C. M. v. Weber dazu (hinterl. Schr. II S. 18f.) »möchte es allerdings eine lächerliche Wirkung geben, aber man höre die herzliche innige Arie, deren göttlicher Ausdruck besonders bei den Stellen pur saresti men severo, se vedesti questo cor, nicht schöner gedacht und gefühlt sein kann, und wie sehr wird die niedre Kritik erlahmen, verstummen.«


61 Ursprünglich hatte Mozart ein anderes Allegro concipirt, dessen erste Takte skizzirt noch im Original vorhanden sind


22.

Das Blatt geht damit zu Ende, und auf einem neuen ist das jetzige Allegro angefangen; es laßt sich nicht entscheiden, ob das erste Allegro nur angefangen oder zu Ende gebracht war, jedenfalls war die Instrumentation nicht ausgeführt worden.


62 Maria Marchetti, geb. 1767, seit 1788 mit dem Tenoristen Fantozzi vermählt, hatte sich in Italien und zuletzt in Mailand großen Ruhm erworben, von wo sie nach Prag berufen wurde. Man rühmte nach Gerber (N. Lex. II S. 75) ihre schöne volle Stimme, ihren vortrefflichen empfindungsvollen Vortrag und ihre treffliche Action, die durch ihre schone Gesichts- und Körperbildung und edlen Anstand gehoben wurde (vgl. A. M. Z. IV S. 318f. Reichardt mus. Ztg. 1805 I S. 112). Mit diesem Lobe contrastirt freilich auffallend ein Bericht aus Berlin, wo sie seit 1792 engagirt war (Schneider Gesch. d. Berl. Oper S. 61), vom Jahr 1799, in dem sie als eine Karikatur geschildert wird (A. M. Z. I S. 348f.).


63 Der Umstand daß Clarinette und Bassethorn allein als obligate Instrumente und zwar unter Voraussetzung bedeutender Virtuosität verwandt sind, läßt vermuthen daß Stadler ebenfalls zur Krönungsfeier nach Prag gekommen war.


64 Die Arie Metastasios Se mai senti spirarti sul volto, deren Worte hier nur leise umgebildet sind, ist von den älteren Componisten mit besonderer Verliebe behandelt werden. Die Composition Gluck's gab durch einen auffallenden Orgelpunkt zu großen Debatten Veranlassung; er verwendete sie später in derIphigenie en Tauride zur Schlußarie im zweiten Akt (Schmid Gluck S. 48f. 353f.).


65 Die charakteristische, unruhige Figur in den Saiteninstrumenten am Schlusse des Andantino ist von Mozart erst nachträglich an die Stelle der ursprünglichen, viel einfacheren Figur der beiden Violinen


22.

gesetzt worden.


66 Man hat darauf hingewiesen daß das erste Finale im Titus an die große Scene im Idomeneo (24) erinnere (A. M. Z. I S. 54. 152), und dies damit zu entschuldigen gemeint, daß Idomeneo damals ein vergrabener Schatz gewesen sei, dessen Benutzung Mozart frei gestanden habe; allein die angebliche Reminiscenz wird bei näherer Würdigung des Wesentlichen aufhören als eine solche zu gelten.


67 Das Wesentliche ist in Beilage XXVI mitgetheilt. Reichardt erklärte (mus. Ztg. 1835 I S. 6) daß die Rochlitzsche Recension von Mozarts Bearbeitung des Messias, welche Reichardt zugeschrieben worden war, ebenso wenig von ihm sei als manche andre Beurtheilung von Mozartschen Werken, über die man ihn seit mehreren Jahren, sogar mit pöbelhafter Wuth angefallen habe. Er lehne jene tadelnde Anzeige nicht etwa deshalb von sich ab um nur die Hetze nicht weiter hinter sich her zu ziehen; er sei aber der Meinung daß, so groß der Meister auch immer sei, nur knechtischen Jüngern der Glaube an seine Unfehlbarkeit Bedürfniß sei.


68 Reichardt mus. Ztg. II S. 123. Parke mus. mem. II p. 3f.


69 A. M. Z. XVIII S. 463.


70 A. M. Z. XIX S. 174ff. 190f.


Quelle:
Jahn, Otto: W.A. Mozart. Band 4, Leipzig: Breitkopf und Härtel, 1859, S. 1.
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