Karakterzüge aus seinem Leben.

[79] Joseph Heydn gebürtig aus Rohrau, einem Dorfe an der österreichischen Gränze gegen Ungarn, 1732. den 1ten April – in der Nacht vom 31sten März, ist unstreitig der Vater des guten Geschmaks in der Musik unsers Zeitalters. Er bahnte den Weg, auf dem Mozart zur Unsterblichkeit eingieng. Allgemein ist er gekannt, allgemein geschäzt und geliebt, und sicher erfreute sich noch kein Tonsezzer eines größern und allgemeinern Beifalls, als unser Haydn. Keiner lebte so lange in Herrlichkeit und Kraft eines ewig jugendlichen Geistes unter seinen Zeitgenossen, als Er; und so wird er[79] auch leben unter den Nachkommen für alle Zeiten.

Schwer wird es zwischen Haydn und Mozart den Rang zu bestimmen, wenn er sich anders unter diesen großen Geistern bestimmen läßt. Wer unter den Zeitgenossen ihrer Kunst steht über ihnen, der das könnte? wer anders als sie könnten sich die kompetentesten Richter seyn? und wie jeder den andern ehrte, wie jeder vor dem andern zurüktrat, jeder dem andern den Vorzug über sich einräumte, geht aus den Karakterzügen beider hervor. Wie kräftig sich beide unter ihren Zeitgenossen hervorgehoben, ist eben so bekannt.

Wenn wir eine Gallerie der großen Tonkünstler aufstellen, so können wir sie nur durch Mozart und Joseph Haydn eröffnen. Aber schwer wird die Wahl, wen man von beiden voranstellt. – Ein heiliges untrennbares Zwillingsgestirn der Dioskuren – deshalb erscheinen auch beide unter einer gemeinschaftlichen Ueberschrift – in einem Bilde vereinigt.

Daß Mozart die rechte Seite behauptet, geschieht lediglich auf den bescheidnen Ausspruch des großen Haydn, der als Vater der Musik volles Gewicht haben muß, und dessen man sich[80] aus den Karakterzügen Mozarts in den vorhergegangenen Blättern noch erinnern wird.

Daß auch von Joseph Haydn, so wie von Mozart blos Karakterzüge und keine vollständige Biografie und Darstellung seiner Werke hier erscheint, hat dieselbe Ursache wie bei Mozart. – Es ist schon ein Werk über ihn, und zwar in derselben Verlagshandlung vorhanden, zu welchem gegenwärtige Karakterzüge sich als Nachträge einer spätern Blummenlese verhalten; – es führt den Titel:


Joseph Haydn, seine kurze Biografie und ästhetische Darstellung seiner Werke, Bil dungsbuch für junge Tonkünstler. Seitenstük zu Mozarts Geist von demselben Verfasser. 1810. Auf welches sich hier bezogen wird.


Selten hat ein Künstler so viel und so vieles geleistet, wie unser Haydn. Sein spätestes Alter, wie seine frühe Jugend, waren gleichthätig, gleich stark.

Ruhmvoll ist es für den Künstler, der Stolz seiner Nazion zu seyn. Haydn ist es für Deutschland und England – er ist es für die[81] ganze kultivirte Welt in beiden Hemisphären. Kräftig blühte er in seinem Vaterlande auf. Aber der fruchtbare Baum breitete seine Zweige über den Ozean, und ließ die Früchte auch auf den Boden seines Vaterlandes dankbar zurükfallen – von England aus verbreitete sich sein Ruhm in seinem Vaterlande. Auch England kann ihn sein nennen und stolz auf ihn seyn. – Aber er bleibt doch unser, denn in Deutschland ist er geboren, und in Deutschland starb er – wie das heilige Gestirn des Tages, so viele Länder es auch auf seiner Reise mit seinem Blik erheitert, ruhig und glänzend zurükkehrt von wannen es kam. Allbeleuchtend, allerfreuend wie der Sonne Licht durchdringen die ewigen Gluten seiner Harmonien alle gebildeten Gemüther. – Seine Tonstükke – besonders seine Simfonien sind allgemein erklärte Lieblingsstükke. In Petersburg wie in Neapel, in Moskwa wie in Madrid, in Paris und London, wie in Lissabon oder Stokholm, durch ganz Deutschland, Frankreich wie in Philadelphia – wer kann sich einer solchen Zelebrité rühmen, als Joseph Haydn?

Dennoch blieb er gegen sein Vaterland am dankdarsten, und ehrte es dadurch, daß er seine größten und schönsten Werke in ihm schuf – die Jahrszeiten, wie die Schöpfung sind in Deutschland[82] nach seiner Rükkehr aus London geschrieben.

Quelle:
Arnold, Ignaz Ferdinand Cajetan: Wolfgang Amadeus Mozart und Joseph Haydn. Nachträge zu ihren Biographien und ästhetischer Darstellung ihrer Werke. In: Gallerie der berühmtesten Tonkünstler des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts. Erster Teil, Erfurt 1810, S. 79-83.
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