Sechstes Kapitel
Reise nach Schloßhof und mein erster Aufenthalt daselbst • Tragikomische Wolfsjagd • Privat-Schützengilde • Reisende Komödianten • Pergolesis Serva padrona in einer Wagenremise

[44] Schloßhof, wohin der Prinz und der gesamte Hofstaat Anfang Juni abging, war ein herrlicher Sommeraufenthalt. Schloß und Garten waren prächtig, und der Ort schien eine halbe Stadt zu sein. Held Eugen von Savoyen, der im Gedächtnisse jedes patriotischen Östreichers lebt und der seinen Geschmack in der Baukunst an dem Palais Belvedere zu Wien, das jetzt dem Kaiser gehört, bewährt hat, hatte dieses Schloßhof von Grund aus erbaut und eingerichtet. Ein Beweis seiner vorzüglichen Schönheit ist, daß Kaiser Franz so viel Wohlgefallen daran fand, daß er die ganze Herrschaft dem Prinzen abkaufte und sie der Erzherzogin Christine, die er vorzüglich liebte, verehrte.

Einige Tage später kam Herr Trani und mit ihm Herr Pompeati. Letzterer war in seinen jüngeren Jahren einer der ersten Solotänzer; als er aber älter wurde und das Theater verließ, gab er Lektion im Tanzen und auch in der italienischen Sprache. Dieser unterrichtete mich und den Pagen, Baron Ende, im Tanzen und im Italienischen. Letzterer zeigte viel Fähigkeit in beiden; dies war ein Sporn für mich, und ich begriff alles so gut wie er.

Trani brachte mir eine außerordentlich schöne Violine mit, die der Prinz für mich durch ihn hatte kaufen lassen. Ich habe sie, soviel Käufer ich auch von jeher dazu[45] fand, lebenslang behalten und erst vor zwei Jahren meinem ältesten Sohne geschenkt.

Meine Lehrstunden, zu welchen noch das Reiten kam, worin mir wechselsweise der Kavalier des Prinzen, Baron Beust, und der Stallmeister Unterricht gaben, gingen hier wie in Wien ihren ordentlichen Gang fort. Überdies mußte ich bei der Tafel abwechselnd mit dem Pagen aufwarten. Da nun bei derselben wegen der Mad. Tesi größtenteils italienisch gesprochen wurde, so kam mir dieses so wohl zu Statten, daß ich mit ihr in einigen Monaten schon ziemlich fertig sprechen konnte. Mit dem Prinzen aber durfte ich keine andere Sprache als die französische reden, um mich auch darin zu üben. Wenn ich nun manchmal ein Wort oder eine Konstruktion nicht recht vorbrachte, so war er immer so gnädig, mich zu verbessern und mich dasselbe noch einmal sagen zu lassen.

Bei dieser Gelegenheit erinnere ich mich eines komischen Vorfalls, den ich zum Kurzweil meiner Leser etwas weitläuftig erzählen muß.

Trani hatte die Erlaubnis, zuweilen Hasen und Rebhühner zu schießen; Fasanen aber und anderes Wild zu erlegen war ihm untersagt. Die Tesi erzählte zufälligerweise an der Tafel, daß sie ihn heute früh mit der Flinte habe auf die Jagd gehen sehen. Da ich gerade die Aufwartung hatte, so fragte mich der Prinz auf französisch, ob er schon zu Hause wäre. »Je crois qu'oui«, antwortete ich. »Eh bien, allez le demander s'il a pris quelque chose!« – Ich ging auf Tranis Zimmer und fand ihn im Bette. Er lag auf der rechten Seite und hatte einen Schlafrock an. Da er nun von der Wut besessen war, immer deutsch sprechen zu wollen, so jämmerlich er es auch radbrechte, so begann folgender Dialog unter uns.[46]

Ich: Sind Sie krank?

Er: Bin ik justament nik krank, aber bin ik müdcome un can da caccia (wie ein Jagdhund), weil ik aben lauff wie der Teuff.

Ich: Aha! Sie liegen nur im Bette, um auszuruhen.

Er: Ma! Muß ik dock in die Bett lieg, weil kann ik nik sitz.

Ich: Der Prinz läßt Sie fragen, ob Sie etwas auf Ihrer Jagd bekommen haben.

Er: Ab' ik schissen eine – eine – wie eißt man una lepre?

Ich: Ein Hase.

Er: Si, si! An Aas, an Aas. Un wenn ik ab schissen, der Aas ab mak an Purzel, un is bleib lieg, un da ab ik lauf hin, um den Aas zu nemm; aber der Aas is aufspring un is marschier ein Stückl, un der ane Fuß aben mack (hier schlenderte er mit der Hand) wickele wackele, un is wieder bleiben sitz, un da aben ik wieder lauff, un da hat die Aas wieder aufspring un is lauff in die dicke Wald, un da ab ik die Aas nimmer find un verlier. Un weil is geweßt so warm un ik ab lauff wie ane Rebock, ab ik schwitz wie an Bratl bei die Feuer, un statt daß ab ik bekomm ane Aas, ik ab bekomm ane großmächtge Wolf. – Wenn Sie geh nunter, suk Sie die Ausneck, soll mir bring an frische Wasser un ane – ane – wie eißt man spunga?

Ich: Spunga? Das versteh ich nicht.

Er: Aspettate! will ik explizier: Spunga is ane Ding, wenn man leg in Wasser, trink alle Wasser aus, un wenn man darnak nimm in die Hand un druck, spei alle Wasser wieder von sick.

Ich: Vielleicht meinen Sie einen Schwamm?[47]

Er: Si, si, caro figliuolo! Ane Schbom, ane Schbom.

Ich ging, bestellte alles an den Hausknecht, und während dem Gehen überlegte ich, wie ich das, was ich gehört hatte, dem Prinzen auf französisch sagen sollte. Ich begriff wohl, daß Trani keinen Wolf geschossen haben könne; was er aber damit hatte sagen wollen, verstand ich nicht und war in Verlegenheit. Unterdes, dacht' ich, ich will es anbringen, so gut ich kann; werde ich fehlen, so wird mich der Prinz zurechtweisen. Kaum kam ich zur Tafel zurück, so rief mir der Prinz entgegen: »Eh bien?«

Ich: Mr. Trani est au lit.

Er: Est-il malade?

Ich: Pas justement malade, mais il dit qu'il est fatigué comme il fait chaud aujourd'hui.

Er, mich korrigierend: Parce qu'il fait chaud.

Ich: Parce qu'il fait chaud.

Er: A-t-il tué, a-t-il pris quelque chose?

Ich: Il a tué une lièvre, et la lièvre est tombée. Il est couru pour prendre la lièvre, et quand il est arrivé, la lièvre est courue de nouveau, et son pied était en deux.

Er: Fracassé.

Ich: Fracassé. Enfin, la lièvre est entré au bois, et il a perdu la lièvre. Mais au lieu de la lièvre il a pris un très grand loup.

Er: Alle Wetter! das ist charmant! Ganz gewiß ist das der Wolf, den meine Jäger im vorigen Jahre gespürt haben und nie zum Schuß bringen konnten.

»Hört Ihr!« sprach er zum Büchsenspanner, der ein Schwabe war: »Trani hat einen Wolf geschossen. Selbst hat er ihn nicht können nach Hause tragen. Geht hinauf, fragt ihn, wo er liegt; laßt ein paar Meier-Pferde anspannen,[48] fahrt mit und bringt den Wolf gerade ins Schloß, ich will ihn sehn.«

»I so schlag der Hagel drein!« sagte der Schwabe, indem er gehen wollte. »Wer hätte solle denke, dasch es so einem Fliegeschütz gelinge sollt, mit seinem Spritzbüchsel den Wolf zuschieße?« – Ich sprang ihm aber nach, hielt ihn beim Rocke und sagte, er möchte nur bleiben; darauf wandte ich mich mit den Worten zum Prinzen: »Verzeihen Ew. Durchlaucht! Ich habe es vielleicht auf französisch nicht so ausgedrückt, wie es Herr Trani sagte.« – »Nun sage es auf deutsch, aber gerade so, wie Trani geantwortet hat.« – »Ja, da möchte es herauskommen wie mit dem Hausknecht Matthes.« – »Wie das?« – »Wenn ich sein Deutsch so wiedersage, so wird man glauben, ich wolle ihm nachspotten.« – »Für diesmal erlaube ichs dir; rede!«

Ich wiederholte also den obigen Dialog so getreulich als möglich, und der Prinz schmunzelte nicht wenig dabei. Als ich aber endlich auf den »großmächtigen Wolf« kam, da platzte der Prinz mit einem hellen Gelächter heraus und schrie: »Nein, nein, den mag ich nicht sehen – den mag der Teufel sehen!« Alles brach mit ihm aus, und diese Geschichte divertierte den Prinzen so sehr, daß er den Trani, sooft er ihn zu Gesichte bekam, immer fragte, wieviel er schon Wölfe seit dem großmächtigen geschossen habe.

Der Prinz war ein passionierter Liebhaber und großer Kenner von der Jagd, daher war es kein Wunder, daß auf seiner Herrschaft sowohl die hohe als niedere Jagd im blühendsten Zustande war. Doch konnte er selbst für seine Person seine Jagdlust nicht sonderlich mehr befriedigen, denn das Laufen und Gehen behagte seinen[49] schwachen Füßen nicht mehr. Daher liebte er die Treibjagd auf Rotwildpret am meisten, weil er dabei ruhig auf einem Feldsessel sitzen konnte. Weil nun außer dem Prinzen, der Madame Tesi und dem Baron Beust, die sich dem Wild nicht sonderlich furchtbar machten, niemand jagte, so nahm das Wild überhand und brach durch. Der Prinz ließ daher von sieben aus der Kapelle, worunter Trani und mein Bruder waren, sonntags nachmittags ein Scheibenschießen halten, um sie zu Schützen zu bilden und sie gegen die übermütigen Hirsche zu führen. Da ich mich am ersten Sonntage ebenfalls auch auf dem Platze einfand und über die Maneuvres meine große Freude bezeugte und Lust äußerte, mit zu schießen, so ließ der Prinz aus der Gewehrkammer von den Markus Zellnerischen Kugelbüchsen Nummer eins holen und war selbst so gnädig, mich zu unterrichten, wie ich mir den Auflegebalken einpassen sollte, zeigte mir, wie man das Pulver auf die Batterie schütten und wie man Absehen und Korn besehen sollte, und siehe, als ich losdrückte, traf meine Kugel einen Zirkel im Fleck. »Ei bravo!« sagte der Prinz; »du triffst ja mehr als Noten!«, und sogleich nahm er mich in die Schützengesellschaft auf. Es wurde späterhin aus freier Hand geschossen, und Strümpfe und Schnupftücher wurden als Prämien ausgesetzt. Ich bekam ebenfalls auch meinen Teil davon.

Auch in meiner Lektion im Reiten ging es so gut, daß ich bald des Morgens mit dem Baron Beust, der ein vortrefflicher Reiter war, und nachher sogar mit dem Prinzen selber ausreiten durfte. Ich war wie im Himmel. Dazu kam noch eine Unterhaltung, die für mich das non plus ultra war und unstreitig meinem kleinen Talent zur dramatischen Musik den ersten Anlaß gab, so wie[50] sich meine entschiedene Vorliebe für das Theater, die sich zu allen Zeiten meines nachherigen Lebens gleich stark äußerte, sich mit in den ersten Eindrücken gründen mag, die ich in dieser sorglosen, heitern Jugendzeit und bei diesem Zusammenfluß von Umständen und an einem so reizenden Orte wie Schloßhof, bei den ersten Vorstellungen empfand.

Ein gewisser Piloti, Direkteur einer Komödianten-Truppe, kam mit seiner Frau und noch einem Akteur in die Taverne gefahren und ließ sich beim Prinzen melden. Er wurde vorgelassen und erzählte, wie er in Preßburg vom November bis Ende Mai spiele, im Sommer aber mit einigen seiner Gesellschaft die kleinern Städte in Östreich bereise; er bitte sich die Erlaubnis aus, auf vierzehn Tage herkommen und vor dem Hofstaat spielen zu dürfen. Auf die Frage, welche Gattung von Stücken er zu geben im Stande sei, nannte er eine Menge Lustspiele, auch, setzte er hinzu, habe er die Serva padrona von Pergolesi in Bereitschaft, die er auf vieles Begehren über dreißigmal in Preßburg habe aufführen müssen und wobei er jedesmal das Haus voll gehabt; mit seiner Frau und dem einen Schauspieler sei er im Stande, heute noch dies Intermezzo aufzuführen, weshalb er auch die nötigen Kleider dazu schon mitgebracht habe. Obschon beide keine Italiener wären, so wenig als er, wiewohl er von einem italienischen Vater abstamme, so sprächen sie beide doch im besten Nationalakzent, denn er habe sich dieserhalb um sie viele Mühe gegeben. »Wenn denn also«, fuhr er fort, »Ew. Durchlaucht das Stück noch heute zu hören befehlen, so kann ich es in jedem Zimmer, wenn ich nur etliche spanische Wände habe, aufführen.« –[51] »Meinetwegen«, sagte der Prinz, und sofort ließ er den Haushofmeister kommen und bestimmte die sala terrena dazu, auch befahl er, die drei Gäste anständig zu bewirten.

Nachdem nachher das Intermezzo, der Tempos wegen, mit einigen Violinen durchlaufen war, ward es gegeben, und niemand, weder der Prinz, Mad. Tesi und Bonno noch die ganze Kapelle konnten der Aufführung ihren verdienten Beifall versagen. Nach Endigung desselben ging der Prinz mit dem Direkteur in den Garten und ward mit ihm einig, daß er vom ersten Juli bis letzten Oktober in Schloßhof um einen gewissen Preis täglich, außer jenen vom Hofe verbotenen Tagen, spielen sollte. Der Platz wurde ihm in einer Wagenremise, die Prinz Eugen so schön gebauet hatte, daß sie vielmehr einem Salon glich, angewiesen.

Welche frohe Aussicht für mich! Mit klopfendem Herzen harrte ich der Ankunft der Gesellschaft, von der ich bis dahin so viel ungekannte Freude erwartete, und zählte Tage und Stunden, und es war mir, als wenn der Juni gar nicht zu Ende gehen wollte. Meine Zerstreuung in den Lektionen nahm überhand, und es war hohe Zeit, daß Piloti nicht länger als einige Tage noch auf sich warten ließ. Er brachte eine Gesellschaft von acht Mitgliedern mit, schlug sein Theater auf, das wirklich recht artig und noch im Geringsten nicht abgenutzt war, so daß man ihm, wie so oft bei herumwandernden Truppen, überall die Drangsale des Zufalls hätte ansehen können. Mit dem ersten Juli begann richtig die erste Vorstellung, und täglich bis zu Ende Oktober wurde gespielt. Der Prinz, der nie froh war, wenn er nicht auch Andere an seinen Vergnügungen Teil nehmen lassen[52] konnte, erlaubte den freien Zutritt nicht nur seinem gesamten Hofstaat und den Wirtschaftsbeamten, sondern auch jedem Fremden, ja selbst dem Bauernvolk, jedoch letztern nur an Sonn-und Feiertagen.

Bei allen diesen abwechselnden Unterhaltungen, die mir den Aufenthalt in Schloßhof zum Paradiese machten, kann ich doch nicht sagen, daß ich in meinen Studien darüber nachlässig geworden wäre. Sie munterten mich vielmehr auf, und wenn ich dadurch auch keinen Beweis der angeflammten Genialität gegeben haben sollte, die nicht ruht und rastet und selten tut, was sie soll, so bin ich damit sehr wohl zufrieden, und meine Rechtlichkeit, mit der ich mich in Zeit und Geschäfte fand, ist mir in meinem Leben sehr wohl zu Gute gekommen.

Quelle:
Dittersdorf, Karl Ditters von: Karl Ditters von Dittersdorf Lebensbeschreibung, Seinem Sohne in die Feder diktiert. München 1967, S. 44-53.
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