Viertes Kapitel
Geschichte der Vittoria Tesi • Der Papagoy in der heiligen Inquisition • Ein Herzog wird vom Theaterfriseur ausgestochen.

[28] Vittoria Tesi-Tramontini (Tesi war ihr Geburts-, Tramontini aber der Name ihres Ehegatten; denn in Italien ist es nichts Ungewöhnliches, daß man Virtuosen, Sängerinnen und Tänzerinnen auch noch nach ihrer Verheiratung nach ihrem bekanntern Geburtsnamen nennt), also Madame Tesi war schon in der Blüte ihrer Jahre die erste Sängerin und Aktrice ihrer Zeit in ganz Europa, und diesen Ruhm erhielt sie sich bis in ihr spätes Alter.

Hingerissen von ihrer außerordentlichen Stärke im Agieren, schrieb Pater Metastasio seine Zenobia, Didone und Semiramide eigens für sie. Die vornehmsten Bühnen in Italien wetteiferten nun um ihre Person und belohnten sie so reichlich, daß sie ein ansehnliches Kapital sammelte. Auch wurde sie nach Madrid berufen, wo sie mit Farinelli, dem berühmtesten Kastraten, der je lebte, debütierte, und den bekanntlich der König von Spanien nicht nur wegen seines außerordentlichen Talents in der Musik, sondern auch seiner anderweitigen Kenntnisse wegen so ehrenwert hielt, daß er ihn endlich sogar zum Staatsminister erhob und ihm das Ordensband von Calatrava erteilte. Dieser war von den Fähigkeiten der Tesi so entzückt, daß er, wie er dem Könige freimütig sagte, solange er lebe, mit keiner andern Sängerin aufzutreten wünsche. Sie wurde demnach auf einige Jahre engagiert, bis endlich Farinelli, dessen Stimme Alters halber immer schwächer wurde, das Singen einstellte und sich nach[29] Bologna begab. Hier in Spanien erntete sie nicht nur außerordentliche Belohnungen an Gelde, sondern wurde auch nach jeder neuen Oper vom Könige mit den ansehnlichsten Präsenten an Juwelen und Nippes beschenkt. Kurz, den beträchtlichsten Teil ihres Vermögens hat sie in Spanien erworben. Unter Kaiser Karl dem Sechsten ward sie endlich mit einem ansehnlichen Gehalt nach Wien verschrieben.

Ich muß meinen Lesern eine Anekdote von ihr erzählen, die zugleich ein Beweis des hohen Grades von Fanatismus ist, der damals in Spanien herrschte.

In Neapel hatte sie sich einen sehr seltenen Papagoy angeschafft und ihn mit der unglaublichsten Geduld abgerichtet, daß er ganz natürlich wie ein Mensch lachen und eine Menge Fragen im besten Italienisch beantworten konnte. Ich habe ihn selbst gesehen, diesen außerordentlichen Vogel, und wenn der Prinz seine Tafelgesellschaft recht vergnügt machen wollte, so ließ er den Käfig hereinbringen und den Vogel seine Künste machen. Vorzüglich amüsant war es, wenn er, sobald seine Gebieterin nach irgend einem lustigen Schwank, der aufgebracht wurde, kicherte, seine Lache aufschlug. Die ganze Gesellschaft mußte dann schlechterdings mitlachen, und da dies eine Ermunterung für ihn war, es noch immer weiter zu treiben, so brach ein so grausames und anhaltendes Geschrei und Gelächter aus, daß man hätte glauben sollen, Herrschaften und Bedienten wären sämtlich dem Tollhause entlaufen.

Diesen Papagoy hatte die Tesi nun nach Spanien mitgenommen, und sein Standort war ihm in ihrem Empfang- oder Besuchzimmer angewiesen. Eines Abends war große Gesellschaft bei ihr, die größtenteils aus Personen von[30] hohem Range bestand. Die Rede kam auf den Papagoy und seine Künste. »Spricht er aber auch wohl?« fragte ein vornehmer Spanier. »O ja«, antwortete Tesi, »Sie sollen es gleich hören.« Sogleich stand sie auf und schwatzte eine Menge gewöhnlicher Dinge mit dem Vogel. Der Kapellmeister, der die Oper, in welcher Tesi in Madrid zum erstenmal auftrat, komponiert hatte und ein Neapolitaner war, machte die scherzhafte Anmerkung, als der Papagoy in Provinzialismen sprach, daß man wohl hören könne, daß der Gelehrte in Neapel studiert habe. »O ich bitte um Vergebung«, fiel Tesi ein, »er spricht auch toskanisch wie der beste Römer. Sie könnens glauben. Gleich, meine Herren und Damen, will ich Sie davon überzeugen.« – Sie klingelte, und ihr Kammermädchen mußte ihr Biskuits bringen. Mit diesem Kuchen hatte sie ihn ein ganzes Jahr lang dermaßen abgerichtet, daß sie des Erfolgs gewiß sein konnte. Der Papagoy beantwortete wirklich alle ihre Fragen, wie sichs gehört und gebührt. Sie hatte sie geflissentlich so eingerichtet, daß es beinahe glaublich scheinen mußte, der Vogel habe Menschenverstand. Freilich, der vernünftig war, machte der Tesi Komplimente über die Geduld und Geschicklichkeit, die sie an den Vogel gewendet hatte; aber die fanatischen Dummköpfe in der Gesellschaft murmelten unter sich, daß die Sache nicht mit natürlichen Dingen zugehen könne, sondern eine veritable Zauberei dahinter stecken müsse.

Tesi, welcher dies abergläubige Erstaunen nicht wenig Spaß machte, bat die Gesellschaft, sich wieder in den Zirkel zu setzen. Als dies geschehen war, fing sie einen Diskurs an und würzte ihn geflissentlich mit ihrer angebornen muntern Laune, um dadurch der Gesellschaft Stoff[31] zu witzigen Einfällen zu geben. Sie paßte so lange, bis irgend jemand einen erträglich lustigen Einfall vorbrachte, alsdann gab sie durch ihr Kichern dem Papagoy das Signal zum Lachen, worauf dieser nach seiner Art loslachte und ein ebenso toller Auftritt erfolgte, als vorhin erzählt worden ist.

Nicht lange darauf empfahlen sich ein paar Herren unter dem Vorwande, Geschäfte zu haben. Indem ihnen Tesis Bedienter, der Spanisch verstand, mit einer Fackel die Treppe hinab leuchtete, vernahm er deutlich, daß einer von ihnen sagte: »Sie haben recht, mein Freund! Es ist Pflicht, die Sache dem Großinquisitor heute noch anzuzeigen.« Da er aber nicht wußte, wovon die Rede war, so achtete er nicht weiter darauf.

Am andern Morgen traten zwei Männer in das Vorzimmer und hinter ihnen her zwei Träger, die einen großen Tragkorb niedersetzten, der mit einem schwarzen Tuche bedeckt war. Man begehrte die Dame des Hauses zu sprechen. Tesi war gerade im Besuchzimmer beschäftigt, ihrem Lieblinge sein Futter zu geben. »Haha!« fuhren die Schwarzmäntel heraus: »Ist das der Papagoy, der die gestrige Gesellschaft in so großes Erstaunen gesetzt hat?« – »Zu dienen«, erwiderte Tesi. »Wer sind Sie? Was ist Ihnen gefällig?« – »Wir sind Diener der heiligen Hermandad«, war die Antwort, »und haben von dem Großinquisitor den Befehl, Ihren Papagoy an die Inquisition abzuliefern.« Alles Protestieren seiner Gebieterin half nichts. Sie griffen rasch nach dem Käfig, setzten ihn mit geheimnisvollem Gesicht in den Tragkorb, bedeckten ihn darauf mit dem schwarzen Tuche, und so zogen sie in Prozession von dannen.

Tesi weinte bittere Tränen über den Verlust ihres geliebten [32] amico, wie sie ihn gewöhnlich nannte. Endlich aber faßte sie sich, ließ sich ankleiden und fuhr zu Farinelli, um ihn zu Rate zu ziehen. Sogleich meldete er dem Könige den Vorfall, versicherte unter Aufwand von vieler Beredsamkeit, daß die Geschicklichkeit des Papagoy sehr natürlich zuginge; allein ohnerachtet der König endlich allen den vielen Gründen nachgab und sich ins Mittel schlug, so vergingen doch über acht Tage, ehe Tesi ihren geliebten amico aus den Händen der Inquisition zurückbekommen konnte.


Nun wieder zurück zu ihrer Lebensgeschichte. Sie sang viele Jahre hindurch auf dem Wiener Hoftheater und ward kaiserlich belohnt. Als sie endlich bald an das fünfzigste Lebensjahr kam, entfernte sie sich vom Theater und beschloß, den Rest ihrer Tage in Ruhe zu verleben. Prinz Hildburghausen, der ihr außerordentliches Talent von jeher zu schätzen wußte, bot ihr sein Haus, seine Tafel und einen angemessenen Gehalt an. Die beiden erstern Offerten nahm sie an, die letztere aber schlug sie gänzlich aus, so wie jedes Geschenk, das ihr der Prinz anbot. Man glaube ja nicht, als wenn zwischen ihr und dem Prinzen noch mehr als bloße Freundschaft und Kunstliebhaberei existiert habe. Der Erfolg wird das Gegenteil davon beweisen.

Sie war eine vortreffliche Frau von Charakter und weit über die Operistinnen von gewöhnlichem Schlage erhaben. Ich könnte sehr viele Züge zu ihrer Ehre anführen, aber ich will mich bloß damit begnügen, ihre Heiratsgeschichte zu erzählen, die wenigstens von keinem gemeinen Charakter zeugt.

Überall, wo sie sang, war sie gewohnt, von jedermann[33] Besuche anzunehmen; allein sie wußte allen und jeden Liebesanträgen dergestalt vorzubeugen, daß es nicht leicht einer wagte, damit herauszurücken. Unter den vielen Liebhabern, die für sie schmachteten, war auch der Duca di N. Eines Abends, als er zufälligerweise bei ihr allein war, benutzte er die Gelegenheit und machte ihr eine förmliche Deklaration. Tesi wies ihn auf eine sehr feine und elegante Art ab. Da er aber diese Abweisung für eine gewöhnliche Grimasse hielt, so ward er nur um so zudringlicher und machte enorme Verheißungen. Mit Würde und Anstand wußte ihm Tesi darauf zu antworten und sich in solchen Respekt zu setzen, daß sich der Duca beschämt zurückzog und keinen fernern Angriff zu machen mehr wagte. Aber seine Leidenschaft blieb darum dieselbe und wuchs noch eher mit jedem Tage. Je öfter er dies reizende Geschöpf auf dem Theater sah und hörte, desto mehr loderte seine Flamme auf. Er vertrauete sich einem seiner Höflinge. Dieser versuchte es, für seinen Herrn zu negozieren, wurde aber ebenso ernstlich abgewiesen, so daß sowohl er als der Herzog endlich einsehen mußten, es sei ihr schlechterdings auf diese Art beizukommen unmöglich. »Nun, so muß ich sie denn besitzen«, fuhr der Herzog heraus, »und sollte ich mich öffentlich mit ihr trauen lassen! Morgen abend will ich sie mit einem förmlichen Heiratsantrag überraschen. Hüte dich aber, ihr etwas davon merken zu lassen!« – Der geschmeidige Höfling gelobte, wie sich denken läßt, die strengste Verschwiegenheit, ging aber, um sich nach seiner Meinung bei seiner künftigen Herzogin in Gunst zu setzen, sogleich zur Tesi und entdeckte ihr unter dem Siegel der strengsten Verschwiegenheit das große und schwere Geheimnis.[34]

Allein, was tat die Tesi? Um der Zudringlichkeit des Herzogs ein für allemal loszuwerden, ohne ihn jedoch vor den Kopf stoßen zu dürfen, ließ sie denselben Abend noch den Theaterfriseur, einen schönen Mann, zu sich kommen und trug sich ihm förmlich zur Frau an. »Wollen Sie mich«, sagte sie zu dem angenehm bestürzten Tramontini, »so ist hier auf der Stelle meine Hand, und morgen früh werden wir getraut. Ich setze Ihnen ein artiges Kapital an barem Gelde aus, mit dem Sie nach Belieben negozieren können. Es soll wie alles, was Sie dadurch gewinnen, Ihr vollkommenes Eigentum bleiben. Die Haushaltung nehme ich allein auf mich, so wie alles, was Sie an Kleidung und Meubels bedürfen. Übrigens soll Ihnen – dem versprochenen Kapitale unbeschadet – annoch der dritte Teil meines bereits erworbenen und noch zu erwerbenden Vermögens an Geld und Geldeswert gerichtlich zugesichert werden; jedoch ist meine Hauptbedingung, von welcher ich ein für allemal nicht abgehe, daß Sie auf eheliche Gemeinschaft mit mir Verzicht tun. Ein körperliches Gebrechen, das ich mir nicht durch Ausschweifungen zugezogen, sondern mit auf die Welt gebracht habe, macht mich derselben durchaus unfähig. Können Sie nach dieser Erklärung sich entschließen, mir Ihre Hand zu geben, so sind wir morgen mittag ein Paar. Bis morgen früh gebe ich Ihnen Bedenkzeit.« –

Man kann denken, daß der entzückte Friseur ihr auf der Stelle, statt einer, beide Hände gereicht haben werde. Kurz, den andern Tag um neun Uhr fuhren beide zum Bischof, um sich die Erlaubnis auszuwürken, sich sogleich in der nächsten Pfarrkirche kopulieren lassen zu dürfen. Sie erhielten sie, nach jenen Eröffnungen, ohne[35] Umstände, und um eilf Uhr war die Trauung vollzogen, so wie auch das Instrument vom Notar, der ihrer bereits zu Hause harrete, sogleich darnach ausgefertigt und unterzeichnet wurde. Nach dem festlichen Mittagsmahle wurden Tramontinis Habseligkeiten in ihr Quartier geschafft, und sie zählte ihrem nunmehrigen Gatten, der nun im Himmel war, bar und richtig zweitausend Zechinen auf.

Man kann sich das Erstaunen und die Verlegenheit des Herzogs vorstellen, als er am Abend den transmutierten, festlich geschmückten Tramontini neben seiner angebeteten Tesi vertraulich sitzen sahe und endlich gar von ihr den Aufschluß eines für ihn schrecklichen Rätsels erfuhr. So schonend sie dabei zu Werke ging, und so viel Gewalt er sich antat, sich in den Grenzen der Feinheit und einer anständigen Gleichgültigkeit zu halten, so konnte er doch das Gefühl seines gekränkten Stolzes nicht verbergen; sondern empfahl sich bald darauf kalt und vornehm, und kam nie wieder.

Übrigens lebte sie mit ihrem Manne ganz glücklich. Viele Jahre lang wohnte sie mit ihm im Palais des Prinzen, bis letzterer nach Hildburghausen zog, woselbst er die Vormundschaft über den damals noch unmündigen Herzog übernahm. Die Tesi durfte Alters und Kränklichkeits halber so eine Reise nicht mehr unternehmen, deshalb separierte sie sich von ihrem durchlauchtigen Freunde, blieb in Wien und starb daselbst einige Jahre darauf. Ihr Vermögen, das sie hinterließ, belief sich auf beinahe dreimalhunderttausend Gulden. Laut Kontrakt erbte ihr Mann davon das Drittel, und das Übrige fiel – ich weiß nicht mehr an wen, der aber die Verbindlichkeit auf sich nehmen mußte, ihrer Dienerschaft lebenslänglich doppelten[36] Lohn und ihre ganze zurückgelassene Garderobe zur gleichen Teilung abzureichen.

Ruhe sanft, verklärtes Weib! Bis zu meinem letzten Hauche will ich deine Asche verehren.

Quelle:
Dittersdorf, Karl Ditters von: Karl Ditters von Dittersdorf Lebensbeschreibung, Seinem Sohne in die Feder diktiert. München 1967, S. 28-37.
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