VIII.

Vollendung des ›Tristan‹.

[187] Mit Karl Ritter nach Venedig. – Bemühungen für ›Rienzi‹. – Arbeit am ›Tristan‹. – Krankheit. – Unbeendeter ›Brief‹ an Schopenhauer. – Mißverständnis mit Liszt. – Vergebliche Schritte zu seiner Amnestie. – Luzern: Schweizerhof, Einsamkeit – Besuche: Wesendoncks, Felix Dräseke, A. Sseroff. – Vollendung des ›Tristan‹. – Von Luzern nach Paris.


Alles was mir die Welt noch gewähren kann, ist Ungestörtheit, Fernhalten des Gemeinen von mir, Einsamkeit, Ruhe, um in ihnen meine Geisteskräfte zu pflegen und meinem einzigen Triebe, Kunstwerke zu schaffen, nachhängen zu können.

Richard Wagner.


Noch ungewiß, wohin er sich für die Zeit bis zur Vollendung seines ›Tristan‹ wenden sollte, schwankte der Meister anfangs zwischen Venedig und Florenz. ›Wunderbar war es‹, schreibt er an Frau Ritter, ›daß Karl meiner Einladung, mich zu besuchen, gerade zu jener Zeit folgte, wo ich mich für einen Aufenthalt in Italien zu entscheiden hatte. Er bestimmte mich durch seine enthusiastische Schilderung für Venedig.‹ Ähnlich äußert er sich gegen Liszt: ›Eine der interessanten großen Städte Italiens ist ganz das, was ich suche. In solcher Umgebung kann man sich am leichtesten ganz ungeschoren erhalten; jeder Ausgang zerstreut auf bedeutsame Weise und befriedigt das Bedürfnis nach Menschen und Dingen. Ganz unerträglich ist mir aber in großen Städten namentlich das Wagengeräusch geworden: es macht mich rasend. Nun ist Venedig die stillste, d.h. geräuschloseste Stadt der Welt; dies bestimmt mich entscheidend für sie. Außerdem sind mir durch Dr. W(ille)s und K. R(itter) die anziehendsten Berichte über das dortige Leben zugekommen. Endlich aber liegt Venedig so bequem für meinen doch immerhin starken Verkehr nach Deutschland, wie keine andere Stadt Italiens.‹ Um seine Übersiedelung vorzubereiten, begab er sich zunächst nach Genf, wo [187] er für acht Tage im dritten Stocke der Maison Fazy (dem späteren Hôtel de Russie) Wohnung nahm.1 Hier erreichten ihn die ersten Nachrichten über die enthusiastische Aufnahme seines ›Lohengrin‹ in Wien. Bereits im Laufe des Sommers hatte sich Kapellmeister Heinrich Esser behufs mündlicher Vereinbarung über den Erwerb der Partitur bei ihm in Zürich eingefunden. Am Tage seines Einzuges in die Maison Fazy (18. August) ging die Wiener Aufführung als Eröffnungs-Vorstellung des umgebauten Hofoperntheaters unter Essers Leitung vor sich: das Publikum nahm gleich den ersten Akt mit endlosem, enthusiastischem Jubel auf.2 Von Genf aus wandte er sich auch gleich in den ersten Tagen an Liszt, der ihm durch Vermittelung des Großherzogs einen ›ungehudelten‹ Aufenthalt in der, damals österreichischen, wenn gleich nicht zum ›deutschen Bunde‹ gehörigen, Lagunenstadt erwirken sollte Liszt mahnte ab. Der Aufenthalt in Venedig sei für ihn nicht gesichert. Desto beruhigender lautete die Auskunft des österreichischen Gesandten in Bern: gefährliche Flüchtlinge würden der Gesandtschaft zum Nichtvisieren ihrer Pässe signalisiert, dies sei bei dem Meister nicht der Fall. Er halte demnach, wenn er auch nichts garantieren könne, dessen Absicht für unbedenklich und sei moralisch überzeugt, daß er nicht belästigt werden würde.

Bereits Ende des Monates August traf demnach Wagner, mit der ihm eigenen Furchtlosigkeit, in Begleitung seines jungen Freundes Karl Ritter, der ebenfalls den Winter in Venedig verbringen wollte, an dem Orte seiner Wahl und Bestimmung ein. Hier also sollte, nach dem Eintreffen seines Erard, die so traurig unterbrochene Arbeit an seinem Werke zu Ende geführt werden. Nichts anderes wünschte er, als daß ihm die dazu unerläßliche Muße ungestört erhalten bleibe. Seine Erwartungen hinsichtlich der Örtlichkeit waren nicht betrogen. Die wunderbare Abgeschiedenheit, ohne alles Wagengeräusch, die höchst interessante Stadt und Bevölkerung, alles sagte ihm zu und stimmte sein Gemüt nach den vorausgegangenen Spannungen zur nötigen Ruhe. In den weiten Räumen eines jener alten stattlichen Paläste am Canal grande fand er das erwünschte Unterkommen. Es war der ehrwürdig altertümliche Prachtbau des Palazzo Giustiniani (Campiello Squillini No. 3228). Die melancholische Stille des großen Kanals war ihm sympathisch; [188] Zerstreuung und angenehme Ableitung der Phantasie gewährten ihm der tägliche Ausgang auf den Markusplatz, die Gondelfahrten nach den Inseln, Promenaden daselbst etc. Das gänzlich Fremde und doch Interessante der Umgebung war ihm angenehm; die schöne Luft, der immer heitere Himmel mit den wundervollen Abenden wirkten vorteilhaft auf seine Gesundheit, und vor allem war es ihm lieb, hier in vollständiger Zurückgezogenheit und Ungestörtheit sich erhalten zu können. Er sah und empfing niemanden, mit Ausnahme der regelmäßigen Besuche seines jungen Freundes. Leider konnte er nicht verhindern, daß sein dortiger Wirt seine Anwesenheit bei ihm ausposaunte und somit die Öffentlichkeit schneller, als ihm lieb war, darauf aufmerksam machte. Die Polizei ließ sich daraufhin nochmals seinen Paß geben, stellte ihm denselben jedoch mit dem Bemerken zurück, seinem ferneren ungestörten Aufenthalt in Venedig stehe nichts im Wege. Um so mehr mußte es ihm ein Lächeln entlocken, als ihm vierzehn Tage nach seiner Ankunft, nachdem er sich an dem neuen Orte schon ganz eingelebt, noch nachträglich ein nach Genf adressierter, daselbst liegen gebliebener Brief Liszts zukam, der ihn angelegentlich vor den Gefahren einer Übersiedelung nach Venedig warnte. Der Großherzog, dem er den letzten Brief Wagners mitgeteilt, beauftrage ihn, ihm von dieser Reise abzuraten und ihm dagegen – Genua oder Sardinien anzuempfehlen.3 Im übrigen entnahm er diesem Briefe recht deutlich, daß Liszt von der ganzen tragischen Katastrophe, die er soeben durchgemacht, und den wahren Gründen seiner Niederlassung in Venedig keine Ahnung hatte4 und sich über deren Zweck in ganz abliegenden Vermutungen erging. Mußte er dasselbe doch auch von anderen Seiten her erfahren. Kein Mensch unter seinen auswärtigen Freunden begriff, was ihn denn von dem kaum gewonnenen Boden vertrieben! Der gute alte Fischer hielt es für angebracht, ihm doch eine Ermahnung zur Ruhe zukommen zu lassen. ›O Gott, was liebe ich die Ruhe, wenn sie nur Andere hätten!‹ mußte ihm der Meister erwidern. ›Im Ernste, meine Frau ist sehr leidend: sie hat eine Herzkrankheit, und was das sagen will, muß man erfahren haben! An Ruhe ist da für den Leidenden, wie für die Umgebung nicht mehr zu den ken.‹ Unmöglich ließ sich alles darauf bezügliche Nähere brieflich erörtern. Wie lieb wäre es ihm dagegen gewesen, sich gerade Liszt mündlich darüber mitzuteilen.5 Um so leichter schien dies zu ermöglichen, als letzterer um die Zeit durch nichts eigentlich an einem solchen Besuche verhindert war. Er hielt sich im Lauf des September mit der Fürstin und ihrer Tochter ›vagierend‹ zuerst in den Tyroler Bergen auf und ging von hier, aus dem stillen Ötztal durch schlechtes [189] Wetter verscheucht, nach München zurück, um dort den ganz gleichgültigen Festlichkeiten der, mit einer Gemäldeausstellung etc. verbundenen ›siebenfachen Centennialfeier‹ der bayerischen Residenz als Zuschauer beizuwohnen und mit Kaulbach und – Lachner zu verkehren. Erst in der zweiten Hälfte des Oktober kehrte er nach Weimar zurück.6 Er hätte nur ›diesseits der Tyroler Berge herabzusteigen‹ nötig gehabt, um bei Wagner zu sein, wozu ihn dieser herzlich und dringend einlud.7 Offenbar lag zwischen Beiden noch ein anderer, unfaßbarer Einfluß, als die bloße Alpenscheidewand. ›Grüße die Fürstin und das gute Kind‹, schließt Wagner seinen nächsten Brief, ›sie sollen mir über nichts in der Welt böse sein, sondern mich lieb haben, so viel sie können.‹8 Und doch bleibt es schwer zu beklagen, daß gerade damals, wo sich im Leben beider Meister so ernst entscheidende Wendungen zutrugen, wesenlose Hindernisse ihre Zusammenkunft vereitelten und sich wie ein trügerischer Schleier zwischen Beiden herabsenkten. Es wären dadurch so manche beiderseitige Mißverständnisse vermieden worden!

Es war gut, daß die neue Umgebung ihm so manche erfrischende Anregung bot, denn während des ganzen Monats September konnte er die höhere Erquickung seiner künstlerischen Arbeit nicht genießen. So sehr war er durch äußere Angelegenheiten in Anspruch genommen. Auch traf der von Zürich aus erwartete Flügel sehr verzögert ein. Um sich für später einige Ruhe zu sichern, versuchte er es, nach Möglichkeit seine unvermeidliche vielseitige Theaterkorrespondenz in diese vorbereitende Periode zusammenzudrängen. Erfreulich berührten ihn die ferneren Nachrichten über die Wiener Schicksale seines daselbst mit so lebhafter Begeisterung aufgenommenen ›Lohengrin‹. Dem Hauptdarsteller Ander sprach er in einem verbindlichen und herzlichen Schreiben seinen besonderen Dank aus; er brachte darin zugleich die Hoffnung zum Ausdruck, bald in nähere persönliche Beziehungen zu ihm zu treten. Auch in Wien selbst hatte man bereits seit länger die Aussicht ins Auge gefaßt, den Künstler, mit dessen Schöpfungen das Publikum nach lange verzögerter Bekanntschaft desto schneller und enthusiastischer sich befreundet hatte, im Hoftheater eines seiner Werke dirigieren zu sehen. Doch vergingen noch Jahre, bis er die Erlaubnis zur Betretung des deutsch-österreichischen Bodens erhielt Einstweilen waren es die drängenden Bedürfnisse des Augenblicks, die ihn dazu nötigten, eine erneute Beziehung zu diesen Theatern aufzusuchen. Hatte er doch in seiner nunmehrigen Lage nicht allein für seine eigne Existenz, sondern daneben noch für diejenige seiner von ihm getrennten kranken Frau zu sorgen! ›Meine arme Frau macht mir viel Not: ich fürchte lange Zeit einzig ihrer Gesundheit leben zu müssen. Das ist ein [190] unversiegbarer Quell des Leidens für mich!‹9 Bei der hierdurch bedingten Notwendigkeit außerordentlicher Hilfsmittel konnte er nicht anders, als seinen bereits zu Beginn dieses Jahres gehegten Gedanken aufs neue erfassen: nämlich für die Zeit seiner Arbeit am ›Tristan‹ so viel als möglich aus seinem ›Rienzi‹ Vorteil zu ziehen. Den Plan, einen Agenten zu finden, der ihm gegen einen Gewinnanteil die Mühe der unvermeidlichen Korrespondenzen abnahm, hatte er aufgegeben. Dagegen hatte die damals erwünschte Dresdener Aufführung nun mit allem Glanze stattgefunden. Ein rührender Dankesbrief an Tichatschek vom 27. Sebtemper gibt den Empfindungen einen warmen lebendigen Ausdruck, die ihn jedesmal bei der Rückerinnerung an jene erste Dresdener Zeit und Tichatscheks schöne Freundschafts-Verdienste um die Gestaltung seines Werkes überkamen.10 Wo er an den Theatern befreundete Dirigenten hatte, gab er selbst die Anregung dazu. ›Es ist mir sehr damit gedient,‹ heißt es bei solchem Anlaß, ›wenn mein Jugend-Unband Rienzi diesen Winter rasch über die Theater kommt, und – mein Gott! – ich kann's nicht anders glauben, er muß Spektakel machen, wenn ich am Ende betrachte, was ihm sonst in diesem Genre jetzt zur Seite steht.‹ Auch in einem Briefe an den alten Fischer heißt es: ›nun gebe nur Gott, daß mir der Rienzi etwas einbringt!‹ Trotzdem ist es doch verhältnismäßig eine sehr geringe Anzahl von Theatern, an denen die Anregung bereits für diesen sorgenvollen Winter ihre Wirkung tat; uns ist einzig Breslau (11. Dezember) bewußt. Darmstadt, Prag, Hannover verzögerten sich bis weit in die nächstfolgende Saison; die unglaublichsten Gründe wurden dafür ins Feld geführt. München, wo schon alles wohl reguliert schien und von wo er nur noch seine fünfzig Louisd'or Honorar erwartete, lehnte plötzlich ›aus religiösen Gründen‹ ab; Hannover, weil – Niemann sich nicht an die Partie des Tribunen getraute, nachdem er Tichatschek darin gehört! Mit Prag gab es endlose Verhandlungen, bei denen sich der dortige Theaterdirektor Thomé so wenig zuvorkommend erwies, daß Wagner zuletzt schon gar nicht mehr direkt mit ihm, sondern nur noch durch Vermittelung eines ergebenen Prager Freundes mit ihm verkehrte, des vortrefflichen Dirigenten des dortigen Cäcilienvereins, Anton Apt, der ihn bereits im vorigen Herbst in Zürich besucht hatte.11 [191] Eine jede dieser Verschleppungen brachte ihn mit einem Schlage um fünf und zwanzig bis dreißig Louisd'or, und er mochte zusehen, wie er sich ohne dieselben durchhalf!

Endlich (etwa Anfang Oktober) hatte er nun auch seinen Erard. Er stand in dem großen, hallenden Saale, der ihm als Arbeitszimmer diente. In bezug auf seine, soeben näher berührten, materiellen Aussichten hatte sich noch nichts eigentlich Ungünstiges angekündigt; noch durfte er hoffen, durch seine mehrseitigen direkten Anknüpfungsversuche sich für diesen Winter vor der gröbsten Entbehrung gesichert zu haben. Allein München, Hannover, Weimar hätten annähernd dazu ausgereicht. In dieser Hoffnung nahm er zunächst den, bis dahin nur in der Skizze angefangenen, zweiten Akt seines ›Tristan‹ vor. ›Meine Arbeit ist mir teurer als je geworden: sie fließt mir wie ein sanfter Strom aus dem Geiste‹, schreibt er am 19. Oktober an Liszt. ›In allen meinen Beziehungen zur leidenden Welt leitet und bestimmt mich nur Eines – das Mitleiden. Ich darf mich nur rücksichtslos ihm hingeben, da ist all eigenes Leiden überwunden.‹ Wenige Tage darauf (22. Oktober) beging er mit Karl Ritter gemeinschaftlich Liszts Geburtstag durch ein festliches Zusammensein. ›Nachdem ich mit R(itter) am 21. abgemacht, wir wollten gemeinschaftlich Dir zum Geburtstage gratulieren, kam er am 22 und berichtete, er habe soeben schon telegraphiert. Dafür hatte ich mich zu rächen und veranstaltete für uns ein Diner am Markusplatze, mit Austern und Champagner, wozu uns auf dem Platze die »Rienzi«-Ouvertüre vom Militär ganz vortrefflich gespielt wurde. Wir stießen dabei auf Dein Wohl an und feierten so einen ganz wunderhübschen Abend.‹ Die erwähnte ›Militärmusik‹ auf dem Markusplatze war die vortreffliche österreichische Militärkapelle des in Venedig residierenden Erzherzogs Maximilian, zu dem für diesen Winter in Venedig stationierten ›Regiment Sachsen‹ gehörig und ausschließlich aus tüchtigen böhmischen Instrumentisten bestehend. Ihr Kapellmeister, ein intelligenter Böhme, hatte nicht sobald die Anwesenheit des Meisters entdeckt, als er ihn auch, aus eigenem Antrieb, wiederholt durch den schwungvollen Vortrag von Bruchstücken aus ›Rienzi‹, ›Tannhäuser‹ und ›Lohengrin‹ erfreute. Für die Fragmente aus dem letztgenannten Werke entlehnte er sich sogar von Wagner selbst dessen, von dem Züricher Musikfest herrührende, Einrichtung derselben für den Konzertgebrauch. Für den Meister knüpfte sich daran die einzige Unannehmlichkeit, daß dieser ›schlimme Kapellmeister‹ leider später die Rückgabe der entliehenen Partitur vergaß, so daß er sie im folgenden Jahre, als er ihrer für seine Pariser Konzerte bedurfte, erst mühsam und auf Umwegen wieder erlangen mußte.12 Im Übrigen hatte er mit der Venediger [192] Öffentlichkeit nichts zu tun, und sie drängte sich ihrerseits ihm nicht auf. In diesem Sinn spricht er wiederholt seine Zufriedenheit aus. ›Mir sagt Venedig fortwährend vortrefflich zu; meine Wahl war instinktiv und glücklich. Die Zurückgezogenheit ist mir hier so angenehm wie möglich: ich sehe genug um meine Phantasie angenehm zu zerstreuen; nichts stört mich.‹ Über die Art, wie er einsam in dem schönen ›hallenden‹ Saale seines alten Palazzo an seinem zweiten Akte, dem wundervollen Liebesgespräch Tristans und Isoldens, schuf, äußerte er sich wenige Jahre später, es gebe ›kein größeres Wohlgefühl, als die vollkommenste Unbedenklichkeit des Künstlers beim Produzieren, wie er sie bei der Ausführung dieser Arbeit empfand.‹ Jeder abstrakte kunsttheoretische Zweifel war ihm entnommen; mit voller Zuversicht versenkte er sich nur noch in die Tiefen der inneren Seelenvorgänge und ›gestaltete zaglos aus diesem intimsten Zentrum der Welt ihre äußere Form.‹ ›Leben und Tod, die ganze Bedeutung und Existenz der äußeren Welt, hängt hier allein von der inneren Seelenbewegung ab; die ganze ergreifende Handlung kommt nur dadurch zum Vorschein, daß die innerste Seele sie fordert.‹ ›An dieses Werk‹, durfte er daher sagen, ›er laube ich die strengsten, aus meinen theoretischen Behauptungen fließenden Anforderungen zu stellen; nicht weil ich es nach meinem Systeme geformt hätte, sondern weil ich hier mit der vollsten Freiheit und mit der gänzlichsten Rücksichtslosigkeit gegen jedes theoretische Bedenken in einer Weise mich bewegte, daß ich während der Ausführung selbst inne ward, wie ich mein System weit überflügelte.‹ Bis in ferne Zeiten blieb ihm aus dieser Periode neben anderen Venezianischen Erinnerungen besonders auch ein wunderbarer nächtlicher Eindruck im Gedächtnis haften, den er noch elf Jahre später (1870) in seiner ›Beethoven‹-Schrift erwähnt. ›In schlafloser Nacht trat ich einst auf den Balkon meines Fensters am großen Kanal in Venedig: wie ein tiefer Traum lag die märchenhafte Lagunenstadt im Schatten vor mir ausgedehnt. Aus dem lautlosesten Schweigen erhob sich da der mächtige rauhe Klageruf eines soeben auf seiner Barke erwachten Gondoliers, mit welchem dieser in wiederholten Absätzen in die Nacht hineinrief, bis aus weitester Ferne der gleiche Ruf dem nächtlichen Kanal entlang antwortete. Ich erkannte die uralte, schwermütig melodische Phrase, welcher seiner Zeit auch die bekannten Verse Tassos untergelegt worden, die aber gewiß an sich so alt ist, als Venedigs Kanäle mit ihrer Bevölkerung. Nach feierlichen Pausen belebte sich endlich der weithin tönende Dialog und schien sich im Einklang zu verschmelzen, bis aus der Nähe wie aus der Ferne sanft das Tönen wieder im neugewonnenen Schlummer erlosch. Was konnte mir das von der Sonne bestrahlte, bunt durchwimmelte Venedig des Tages von sich sagen, das jener tönende Nachttraum mir nicht unendlich tiefer zum Bewußtsein gebracht gehabt hätte?‹

Wo so Vieles sich gut und fördernd anließ und über alles Unzureichende [193] und Ungewisse das Wohlgefühl seiner Arbeit ihn hinwegtrug, war es kein Wunder, daß er zu Zeiten wohl aufatmete und sich der so unwillkürlich naheliegenden Hoffnung hingab, für jetzt nur noch diesen einen schwierigen Winter überstehen zu müssen, um dann – vielleicht schon zu Ostern – der Aufführung seines neuen Werkes gewärtig sein zu dürfen. Von dessen Verbreitung über die Bühnen konnte er sich Vorteile versprechen, die ihm für mehrere Jahre, bis zur Vollendung seiner Nibelungen, die Existenz sicherten. Die durch den ›Tannhäuser‹ und ›Lohengrin‹ nun allenthalben eröffnete Bahn mußte seinem baldigen Rundgange über die deutschen Theater förderlich sein. ›Meinem äußeren Schicksal sehe ich mit voller Geduld und klaren, besonnenen, ruhig tätigen Jahren entgegen. Der zweite Akt wird sehr schön und soll spätestens mit diesem Jahre fertig und im Druck sein. Bis März folgt dann auch der letzte Akt, und, fügt sich alles nach Wunsch, so wohne ich gegen Ostern einer ersten Aufführung bei.‹ Hierfür vertraute er den edelsinnigen Bemühungen des Großherzogs Friedrich, der seine vorübergehende Berufung zu diesem Zwecke entweder beim Bundestag durchsetzen oder auf seine eigene persönliche Verantwortung nehmen wollte; und für die weiteren Geschicke des Werkes durfte es ihm wohl aussichtsvoll erscheinen, daß nächst Weimar, das ihm durch Liszt gesichert schien, bereits auch andere Bühnen, wie Prag, schon im voraus darum sich bewarben.13 Mit dieser hoffnungsvollen Stimmung ging ein erträgliches physisches Wohlbefinden Hand in Hand.

Leider gestaltete sich bereits der Monat November in mancher Beziehung bei weitem ungünstiger. Infolge klimatischer Einwirkungen stellte sich, mit hartnäckig verschlimmerter Andauer, ein gastrisch-nervöses Leiden bei ihm ein, das ihn an jeder Beschäftigung hinderte. Die Hauptursache scheint in dem üblen Trinkwasser der Lagunenstadt gelegen zu haben, wie er denn später selbst einmal sagt, er habe in Venedig eine wahre Sehnsucht nach frischem Trinkwasser, das es dort nicht gab, empfunden: ›das abscheuliche Wasser habe ihn von dort vertrieben.‹14 Die ganze erste Hälfte des Monats hindurch war er krank und wurde dadurch auf das empfindlichste in seiner Arbeit unterbrochen. Als das Befinden sich besserte und er die Arbeit wieder aufnehmen konnte, erfolgten dann aber Schlag auf Schlag jene zuvor erwähnten, ganz unerwarteten Ablehnungen des ›Rienzi‹ aus München und Hannover, [194] und auch Weimar bediente sich gegen ihn, unter Dingelstedts Regime, zum ersten Male eines ganz ungewohnten Tones der Verhandlung. Der dadurch veranlaßte sehr unvermutete Ausfall von mehreren tausend Francs, auf die er bestimmt gerechnet, war gerade unter den damaligen Umständen nicht so leicht zu verschmerzen. ›Dingelstedt, der mir 51/2 Zeilen geschrieben hat, frug mich um meine Honorarforderung‹, meldet er Liszt. ›Hätte mir der Unmensch doch lieber sogleich Geld geschickt! Gott, was seid Ihr alle für wohlbestallte Menschen! In die Lage so eines armen Teufels, der jede Einnahme wie einen Lotteriegewinn zu betrachten hat, kann sich, scheint es, keiner versetzen!‹ Unter diesen obwaltenden Verhältnissen konnte er dem Drängen seiner edlen Dresdener Freundin, die seit sieben Jahren von ihr bezogene Rente noch einmal von ihr entgegenzunehmen, kaum einen Widerstand entgegensetzen. In einem Briefe vom 19. November 1858 spricht er ihr noch für dieses eine Jahr den gerührten Dank für ihr Anerbieten aus, zugleich mit dem bestimmten Verzicht für alle folgende Zeit und mit der Hoffnung, dieser Unterstützung übers Jahr auch nicht mehr zu bedürfen. Zwei Tage später (21. Nov.) verließ ihn früh morgens auch sein junger Freund Ritter, der ihm bis dahin eine gern gesehene Gesellschaft geleistet, und sich nun auf ein paar Monate nach Deutschland begab, zunächst um seiner Mutter in Dresden zum Geburtstag zu gratulieren. ›Dafür bleibt mir W(interberger),15 der seit vier Wochen mit einer russischen Familie von Wien herkam, um den Winter hier zu verbringen. Glücklicherweise hält er sich bescheiden und belästigt mich nicht. Denn Für-mich-alleinsein ist das Glück, das ich genieße und mit peinlicher Sorge bewache. Auf dem Platze laufen mir bereits die fremden Fürsten buchstäblich nach; einen von ihnen, der Dich (Liszt), auch persönlich kennt, konnte ich nicht ganz abweisen. Er wohnt dort, wo ich zu Mittag speise, und überfällt mich da zu Zeiten. Er ist ein drolliger und, wie es scheint, gutmütiger Kauz. Heute‹ (21. Nov.) ›fiel er mir enthusiastisch zwischen die Suppe und das Kotelett, um mir zu sagen, daß er soeben eine Deiner symphonischen Dichtungen sehr gut auf dem Klavier gehört habe. Und von wem? einem venezianischen Musiklehrer,16 der Enthusiast für die deutsche Musik, Dich und mich, sei. Das ist doch recht amüsant, was willst Du mehr? Und das alles am Markusplatz, beim Mittagessen, und bei infamer Kälte!‹17

[195] Aus Zürich erreichte ihn um diese Zeit durch eine Mitteilung Wesendoncks die betrübende Kunde, daß die Freunde auf dem ›grünen Hügel‹ soeben einen Sohn, einen blühenden Knaben, durch den Tod verloren. ›Mein letztes Wort an Ihre Frau‹, lautet sein wehmütiger Zuruf an Wesendonck, ›war mein Segen zur Erziehung Ihrer Kinder! Ihre Nachricht hat mich tief erschüttert. Nehmen Sie die reiche Träne des Freundes als Steuer seiner Liebe! Ich werde den kleinen Guido schmerzlich vermissen, wenn ich an Euer Haus denke. Wie gern flöge ich sogleich zu Euch, um Euch zu trösten! – O Himmel, es ist alles so ernst, so ernst! Uns liegt nichts ob, als diesem Ernst Weichheit und Milde zu geben, aber bekämpfen wir ihn nicht! Er ist unsere Erhebung, und wird unser Heil werden!‹ Mit diesem tiefen Ernst versenkte er sich auch in die weitere Förderung seiner Arbeit. Daneben beschäftigte ihn doch fast ununterbrochen eine unruhig störende Korrespondenz nach außen hin, hauptsächlich wegen seines ›Rienzi‹. Wir sehen daraus noch heute mit Schmerzen, wie die einfachsten Dinge, sobald sie irgend fördernd in sein Leben eingreifen sollten, sich so über alles Erwarten ermüdend und weitläufig in die Länge zogen, und das geringste, oft nur vorgeschobene Hindernis für die Bühnenleitungen Grund genug war, um von seinen Wünschen abzusehen. Nicht anders erging es ihm mit seinen, im Verlauf dieses Herbstes und Winters wieder aufgenommenen und in großen Pausen fortgeführten Verhandlungen mit Härtels über die Herausgabe der Nibelungen-Partituren. Sie waren erbötig, die nicht geringen Kosten der Drucklegung, resp. des Stiches der Partituren (ca. 10000 Taler) auf sich zu nehmen; jedoch ohne Zahlung eines Honorares, und nur gegen die Verpflichtung, den zukünftigen Gewinn der Herausgabe mit ihm zu teilen. ›Wie schwer ich mich auf diesen letzteren Vorschlag einlassen kann, liegt auf der Hand. Unter allen Umständen fällt der Gewinn, der sich mit den Jahren bei einem solchen Werke immer steigern kann, und wahrscheinlich erst nach meinem Tode sehr ergiebig sein wird, in eine Lebensperiode für mich, für die ich jetzt, wo ich der Hilfe und Befreiung von Sorgen so unumgänglich nötig habe, zu sorgen als Torheit ansehen muß, und – Erben habe ich gar nicht.18 So war und blieb der Besitzer unermeßlich reicher Goldlager (selbst im rein materiellen Sinne), in denen Millionen und aber Millionen ruhten, auch während der Arbeit an seinem ›Tristan‹ fortgesetzt auf Not, Sorge und Bedrängnis angewiesen.

Der tiefe, aber versöhnende Ernst seiner Grundstimmung half ihm in den Stunden zauberhafter Versenkung in sein Schaffen über diese Nöte hinweg. Wie er ihm unmittelbar aus seinem Werke, der weltüberwindenden Gesinnung seiner nacht- und todgeweihten Liebenden, entgegenquoll, so nährte [196] er sich außerdem an der fortgesetzten Beschäftigung mit der Lektüre Schopenhauers. Wir haben schon bei früherer Gelegenheit hervorgehoben, wie sehr gerade die Liebesszene des zweiten Aktes als vollendetster poetischer Ausdruck der ihm durch Schopenhauer erweckten Weltanschauung gelten darf. Man vergegenwärtige sich als Beispiel die in Tristans Ausführungen (›Stürb' ich nun ihr, der so gern ich sterbe‹) ohne jeden entfernten Anklang einer abstrakt philosophischen Terminologie in die Verklärung reinster Poesie aufgegangene Unsterblichkeitslehre des Philosophen. Wieder trat ihm um diese Zeit der Wunsch und das Bedürfnis nahe, sich mit dem dankbar verehrten Denker – über jenen einmaligen Annäherungsversuch durch Zusendung seiner ›Ring‹-Dichtung hinaus (S. 105) – in eine geistige Relation zu setzen. Wir besitzen aus dieser Venediger Periode das unvollendete, unabgesandte Bruchstück einer Abhandlung in Form eines Briefes an Schopenhauer. An einen Gedanken in dessen ›Metaphysik der Geschlechtsliebe‹ anknüpfend,19 schickt er sich zur Ergänzung einer darin bemerkten Lücke an. Der erwähnte, in vollem Wortlaut an die Spitze seiner Erwägungen gestellte Passus handelt von den, bei Schopenhauer als unerklärtes Problem hingestellten, häufig vorkommenden Fällen gemeinschaftlichen Selbstmordes liebender Paare. ›Es reizt mich anzunehmen‹, so beginnt das erwähnte Fragment, ›daß Sie hiervon wirklich keine Erklärung gefunden hätten, weil es mir schmeichelt an einen solchen Punkt anzuknüpfen, um Ihnen eine Anschauung mitzuteilen, in der sich mir selbst in der Anlage der Geschlechtsliebe ein Heilsweg, zur Selbsterkenntnis und Selbstverneinung des Willens, und zwar nicht eben nur des individuellen Willens, darstellt. Sie einzig geben mir das Material der Begriffe, durch die meine Anschauung auf philosophischem Wege mitteilbar wird, und versuche ich mich darüber deutlich zu machen, so geschieht es nur im Vertrauen auf das durch Sie Erlernte. Sehen Sie es meiner Ungeübtheit, vielleicht auch Unbegabtheit zur Dialektik nach, wenn ich nur auf Umwegen, und namentlich erst durch Darstellung der vollkommensten und höchsten Erscheinung der von mir gemeinten Willensentscheidung, zur Erklärung des von Ihnen angezogenen Falles gelange, den ich eben nur als einen unvollkommenen und niederen Grad jener verstehen kann.‹20 Ob in der Tat nicht mehr als die hier mitgeteilten, zufällig erhaltenen Eingangszeilen zur Aufzeichnung gelangt seien, muß mindestens zweifelhaft erscheinen. Wie so manches bedeutsame Blatt von seiner Hand, den keine pietätvoll aufbewahrende [197] Liebe umgab, ist, seiner gelegentlichen Entstehung entsprechend, wieder verloren gegangen! Für gewiß darf nur gelten, daß die philosophische Studie nicht zum Abschluß gelangt ist. Jene darin beabsichtigte ›Darstellung der vollkommensten und höchsten Erscheinung der von mir gemeinten Willensentscheidung‹, von welcher die durch Schopenhauer berührten Fälle21 nur als ›unvollkommener und niederer Grad‹ recht verstanden werden können, bildet ja den entscheidenden Inhalt des zweiten Aktes von ›Tristan und Isolde‹. Die Möglichkeit der Vereinigung der Liebenden begründet sich hier ganz und gar auf die gewonnene Erkenntnis beider von dem täuschenden Charakter der Erscheinungswelt und die daraus fließende Verneinung derselben. ›Nun ihnen die Liebe die Einheit ihres Wesens offenbart hat, erkennen sie auch die trügerische Beschaffenheit der individuellen Begehrungen und treibt es sie mit unwiderstehlicher Gewalt, dem täuschenden Tage zu entfliehen und in das »Wonnereich der Nacht« hinabzutauchen.22 Jene »Nacht«, von welcher beide sprechen, ist nichts anderes als der Tod, das gänzliche Erlöschen aller Willensfunktionen. Aber nur auf dem Standpunkte der Individualität, für denjenigen, der noch mit seinen Hoffnungen und Wünschen in der Erscheinungswelt, um Sansara, wurzelt, erscheint das Nirwana als Nacht und Tod. Wer dagegen die illusorische Beschaffenheit jener Welt durchschaut, wer sich von dem Wahne freigemacht hat, als ob die Individualität etwas Wesenhaftes und Substantielles wäre, dem erscheint es vielmehr als das höchste Leben. Dies ist aber nun eben der Fall mit Tristan und Isolde. Darum zürnen sie dem »Tage«; denn unter diesem Begriffe stellt sich ihnen die »Welt als Erscheinung« dar, welche schuld daran ist, daß sie sich als zwei verschiedene Existenzen gegenüberstehen und nicht zueinander gelangen, nicht miteinander unmittelbar verschmelzen können, und erblicken sie in ihm einen neidischen Feind ihrer Liebe‹.23 Die schließliche Unterlassung der beabsichtigten literarisch-metaphysischen Digression haben wir gewiß nicht so sehr in dem vielzitierten: ›ich kann nur in Kunstwerken reden‹, begründet [198] zu finden (alsdann hätte sich das Bedürfnis dieser Abschweifung von seiner gleichzeitigen künstlerischen Darstellung gar nicht erst in ihm geltend gemacht!) sondern vielmehr in den bis zum Ende des Jahres sich häufenden äußeren Störungen, unter deren Einwirkungen ihm die Lust dazu verging! Zum Überfluß gesellte sich zu diesen gegen Ende November auch noch die Belästigung durch ein, anfangs vernachlässigtes Beingeschwür. Er mußte das Zimmer hüten und konnte, wegen unerhörter Schmerzen, mehr als vierzehn Tage hindurch nicht einmal von dem Stuhle aufstehen, auf den er sich morgens gesetzt. ›Beim Arbeiten, während der Musik‹, so scherzt er darüber, ›schreie ich zuweilen laut auf, was sich oft sehr effektvoll ausnimmt‹.24

Von einer Vollendung des noch nicht instrumentierten, sondern in der Kompositionsskizze fortwährend unterbrochenen zweiten Aktes bis zum Jahresschluß und des ganzen Werkes bis zum März oder April, wie er sie noch vor kurzem erhofft, konnte nun schon bestimmt keine Rede mehr sein. Im Gegenteil brachte der Monat Dezember, in dessen Beginn er noch unter heftigen Schmerzen getreten war, nach kaum überstandenen Krankheitsanfällen jeder Art, in seinem weiteren Verlauf noch den Höhepunkt seiner finanziellen Beschwernisse mit sich. Gegen Ende desselben war er buchstäblich so weit gelangt, daß er, bloß um von einem Tage zum andern seine Existenz zu fristen, seine wenigen Wertsachen ins Versatzamt schicken mußte. Es waren dies jene, bei der Luzerner Begegnung vom Großherzog von Weimar empfangene Dose, eine Bonbonniere von der Fürstin Wittgenstein und – seine Uhr! ›Verzeihe mir die gütige Welt diesen Luxus!‹ rief er dazu aus. Am letzten Tage des Jahres hatte er von dem dadurch erlösten Gelde gerade noch anderthalb Napoleons übrig. So trat er am Sylvesterabend in seine einsame Wohnung, um daselbst zu seiner großen Freude einen Brief Liszts auf seinem Tische liegend zu finden, worin dieser für die ›himmlische Weihnachtsbescherung‹ dankte, die ihm Härtels durch Zusendung der fertig gestochenen Partitur des ersten ›Tristan‹-Aktes bereitet. Die längst mit Spannung erwartete Wohltat dieser Sympathie-Bezeigung ›flammte ihn schnell zu einer konvulsivischen Ausgelassenheit um‹. Es ging nicht anders, er mußte seinen letzten Napoleon auf dem Telegraphenbureau wechseln, um seinem Herzen Lust zu machen! Diesem vorläufigen Lebenszeichen ließ er alsdann noch an demselben Abend eine weitere briefliche Mitteilung folgen. Veranlaßt wurde diese durch Dingelstedts, nach Liszts Ausdruck, ›brutalen Merkantilismus‹ in Sachen der Weimarer ›Rienzi‹-Aufführung.25 Nachdem [199] sich Dingelstedt in dieser Angelegenheit so übel als möglich benommen, hatte Wagner dem Freunde noch vor kurzem durch eine ostensible Zurückziehung seiner Partitur, als ›Schreckschuß‹ und Demonstration gegen das Verhalten des großen ›politischen Nachtwächters‹ und nunmehrigen Intendanten, die beste Waffe zur Einwirkung eines prompteren, anständigeren Benehmens desselben gegen ihn in die Hand zu drücken vermeint. Und so gesteht er diesem noch nachträglich die Schwachheit ein, mit der er an diesem Abend von seinem Briefe verhofft, er zeige ihm die bevorstehende Sendung der 25 Louisd'or für den ›Rienzi‹ an, infolge einer geglückten Demonstration, wie er sie durch seine offizielle Zurücknahme der Partitur eingeleitet zu haben hoffte. Statt dessen traf er darin die vermeintliche Tatsache dieser Zurückziehung ganz ernsthaft akzeptiert und Liszts Zustimmung dazu durch eine bittere Auseinandersetzung seines Verhältnisses zu Dingelstedt begründet, und sah damit die letzte heimliche, aber desto sicherere Hoffnung auf eine Geldsendung für jetzt gescheitert. Unter anderen Umständen hätte ihn die große Pein der Enttäuschung, wie in so unzähligen früheren Fällen, eher schweigsam zurückhaltend gestimmt, – anders unter der gleichzeitigen Einwirkung der längst ersehnten ersten enthusiastischen Kundgebung über sein neues Werk! Seine helle Freude über diese Freude des Freundes, das erhebende Bewußtsein, so vollkommen von ihm erfaßt und verstanden zu sein, machte ihn so sicher, auch mit seiner gegenwärtigen Lage von ihm begriffen zu werden, daß er ihm nach Aufklärung des Irrtums selbst den humoristischen Vorwurf nicht ersparte, seine Politik gegen Dingelstedt ›viel zu ernst und pathetisch genommen‹ und ihn darüber mit dem erwarteten ›bischen Gelde‹ sitzen gelassen zu haben. ›An meinem Übermutsparoxismus ist Deine Freude über den Tristan schuld‹, schloß er die einsame Sylvesternachtsdiatribe, mit der er dem Freunde, als er sie tags darauf auf die Post gab, ein rechtes Stück seines Seelenzustandes übermittelt zu haben meinte. Wie seltsam, daß gerade diese Mitteilung zu einem ersten ernsteren Mißverständnis zwischen beiden Meistern Veranlassung gab! Und zwar ohne daß Wagner, längere Zeit hindurch, auch nur eine Ahnung davon gehabt hätte. Es hätte ihm ja sonst nicht das Mindeste gekostet sie – un abgesendet zu lassen, denn schon zwei Tage später drängte ihn der Ernst seiner Lage zu einem eingehenderen Exposé darüber.26 Der Gedanke, auf den letzteres hinauslief, war ihm mit den Jahren immer wiedergekehrt: es war der einer ihm zuzuweisenden reichlichen und festen Pension durch eine Verbindung mehrerer deutscher Fürsten. Zehn Jahre früher27 hatte er hierfür nur die Großherzogin von Weimar, den Herzog von Koburg und die Prinzessin von Preußen vorzuschlagen gehabt, jetzt war mindestens noch der Großherzog von Baden hinzugekommen. ›Wer irgendwelche wirkliche Erkenntnis [200] von der Beschaffenheit meiner Arbeiten hat‹, heißt es in dieser Darlegung, der wir als einem historischen Dokumente an dieser Stelle eine ausführlichere Reproduktion schuldig sind, ›wer das Besondere, sie Unterscheidende fühlt und achtet, muß bei einiger Gerechtigkeit einsehen, daß gerade ich, und eben einem Institute wie unserem Theater gegenüber, nun und nimmermehr darauf angewiesen sein dürfte, meine Werke zur Ware zu machen. Soll es mit mir recht beschaffen sein, so muß ich von der Notwendigkeit dieser Einnahmen gänzlich befreit und in eine Lage gebracht werden, in der ich sie als einen zufälligen, diese oder jene weitere Lebensannehmlichkeit mir ermöglichenden Überschuß betrachten kann: den ich mir aber, unbeschadet meines übrigen guten und anständigen Auskommens, auch versagen können muß, wenn es sich darum handelt, diesem oder jenem Theater, dem ich nicht die Kräfte oder den redlichen Eifer zutrauen darf, meine Opern zu verweigern. Soll die gewährte Pension vollkommen ihrem Zweck und meinen, ich gestehe, etwas empfindlichen und nicht ganz ordinären Bedürfnissen entsprechen, so muß sie sich mindestens auf 2–3000 Taler belaufen. Ich erröte nicht, eine solche Summe zu nennen, weil ich einerseits die Erfahrung dessen, was gerade ich, wie ich nun eben bin und – vielleicht auch: wie ich nun einmal meine Werke ausstatte! – mit nicht weniger bequem auskomme, andrerseits aber sehr wohl erlebt habe, daß man Künstlern, wie Mendelssohn (trotzdem dieser an und für sich vermögend war) keine geringeren Ehrengehalte – und zwar von ein er einzigen Seite her – aussetzte.‹ ›Also: hast Du Gründe, nicht auf mein Gesuch einzugehen, Dich nicht persönlich damit einzulassen, so zeige mir das bestimmt und definitiv sofort an. Sage mir dann, ob Du mir rätst, selbst mich an den Großherzog v. W(eimar) zu wenden, um diesen zu vermögen, sich zur Aufforderung an die anderen Fürsten, an die Spitze zu stellen. Findest Du auch dies nicht ratsam, so bin ich dann entschlossen, D(evrient) zu befragen, ob er dieselbe Vermittelung bei einem anderen Fürsten übernehmen wolle. Schlägt auch er ab, so ist dann mein letzter Vorsatz, mich an den Fürsten selbst zu wenden. Jedenfalls, sei es an Dich, oder D(evrient), oder an einen der Fürsten selbst, werde ich mein Gesuch mit einer sehr klaren und überzeugenden Auseinandersetzung meiner Lage, meiner Stellung zur Kunstwelt, und meiner besonderen persönlichen Eigenschaften und Bedürfnisse begleiten.‹ ›Antworte mir sehr bald – aber bestimmt und für allemal entscheidend, denn ich wiederhole, daß ich mein Gesuch durchaus in keine Verbindung mit Amnestie gebracht wissen will.‹

Wir nannten dieses Memorandum an seinen vertrautesten und einflußreichsten Freund ein historisches Dokument; denn als solches ist es durchaus zu betrachten, selbst wenn es damals noch nicht, sondern erst nach fünf weiteren leidensschweren Jahren sich verwirklichen sollte, und dann doch nicht durch eine – – Vereinigung deutscher Fürsten! Das Große und Entscheidende, [201] der einzig würdige Schutz seiner Person und seines Schaffens, wäre er allein durch solch eine ›Vereinigung‹ möglich gewesen, – er hätte eher den völligen Untergang des Künstlers in Not und Elend abgewartet, als daß er sich rechtzeitig verwirklichte! Klar und präzise, wohlerwogen und ungebeugt durch alle bisherigen Erfahrungen, legt er inzwischen seine Forderungen dar. ›Ich kann und werde nie eine Anstellung, oder was dem irgend gleich käme, annehmen. Was ich dagegen beanspruche, ist die Fixierung einer ehrenvollen Pension, lediglich zu dem Zweck, ungestört und unabhängig von äußeren Erfolgen, meine Kunstwerke schaffen zu können.‹ Was bisher eine einzelne Familie (Ritter) durch ein freudig gebrachtes liebevolles Opfer sieben Jahre hindurch aus ihren privaten Mitteln ermöglicht, das sollten nun in einem angemessenen größeren Maßstabe seine regierenden Zeitgenossen zu ihrer Aufgabe machen. Es war ein Appell an das Ehrgefühl derer, die seinen Werken ihre Achtung und Bewunderung nicht versagten, diesen Werken, die selbst in ihrer notgedrungenen Verstümmelung allüberall eine völlige Umwälzung der Theatergewohnheiten hervorriefen. Schon die bloße Absendung des Schriftstückes hatte für ihn etwas Beruhigendes; dazu trafen glücklicherweise in den ersten Tagen des neuen Jahres (1859), lang erwartete, und deshalb bereits bezweifelte Geldsummen ein. Namentlich aus Wien, wo ›Lohengrin‹ unter steten Wiederholungen das Ereignis der Saison geblieben war.28 Für einige Zeit wieder versorgt, konnte er sich ohne neue besondere Störungen seines Auskommens der Instrumentation seines in der Skizze endlich vollendeten zweiten Aktes widmen. Auch für soviel täglichen Umgang, als er bedurfte, um sich nicht ganz in sich selbst zu verschließen, war gesorgt, seit – ebenfalls in der ersten Januarwoche – der junge Ritter, nach kaum sechswöchentlicher Abwesenheit, wieder in Venedig eintraf. Unmöglich zwar konnte seinem tiefdringenden Blick schon damals entgehen, was Ritters später aufgefundene Briefe aus Venedig zu unserem Erstaunen uns nachträglich bekunden: dieser begabte, aber unglückliche, in sich zerfallene Mensch besaß in Wahrheit weder für ihn noch für Liszt, mit dem er sich nur notdürftig wieder versöhnt, [202] eine wahre Verehrung. Als Dirigent hatte er sich seinerzeit am Züricher Theater29 schlecht bewährt; als Komponist ist er nicht eigentlich als Schüler Wagners, vielmehr Hillers und Schumanns30 zu betrachten. Liszt lobt seine bei Härtel erschienenen Sonaten, indem er sie ›aufrichtig gut heißt‹;31 Wagner selbst nennt ihn einmal einen verschlossenen Schacht, aus dem lauter Gold zutage komme. Doch fügt er den Wunsch hinzu: ›wäre er nur erst mit seiner Gesundheit im Reinen!‹ Dieser üblen Gesundheit schrieb er in Rechnung, was ihn an dem jungen Manne unbefriedigt ließ; alles andere blieb für ihn durch die edle Handlungsweise seiner Mutter ein für allemal zugedeckt, so daß wir in keiner seiner Erwähnungen je das leiseste Wort eines Tadels über ihn treffen, und er vielmehr bis zum Schluß der Venediger Zeit sehr gut mit ihm ausgekommen zu sein scheint.

Über Liszt erfuhr er mit dem Umweg über Berlin durch Bülow, wie tief derselbe von Ärger und Kummer über Undank, Untreue und Verrat erfüllt sei. Wirklich erhielt er erst nach längerem Schweigen ein Lebenszeichen von ihm; aber eines, das von furchtbarer innerer Gereiztheit zeugte. Gerade der letztverflossene Winter hatte ihm in Weimar die schwersten Prüfungen gebracht. Der längst im Verborgenen wühlende Widerstand der Stumpfheit und Gemeinheit hatte in einer besonderen Katastrophe seinen durch nichts zu überbietenden Höhepunkt erreicht. Liszt hatte große Hoffnungen auf die erste Aufführung von der Cornelius'schen Oper ›Der Barbier von Bagdad‹ gesetzt; bei der ersten Aufführung (15. Dezember 1858) unter seiner persönlichen Leitung war das Werk unter großem und verletzendem Toben von dem Weimarischen Publikum abgelehnt worden. ›Wer den Lärm gemacht, wer den Widerstand gegen seine Unternehmungen geschürt hatte, war gleichgültig. Das Publikum als solches konnte noch nicht das Verständnis für diese Neubelebung der Kunst besitzen. Die Hofgesellschaft war teils gefühllos, teils neidisch und erbost auf die bevorzugte Stellung eines Künstlers. Der neue Theaterleiter, Dingelstedt, wollte eigene Wege gehen. Vielleicht haben sich auch noch andere widerstrebende Kräfte mit den genannten vereinigt.‹32 Die Folge davon war, daß Liszt auf dem Kapellmeisterstuhle des dortigen Theaters den Dirigentenstab nicht mehr in die Hand nahm. Von dieser Wendung der Dinge hatte nun zwar der Meister durch Karl Ritter manches Nähere vernommen, die Wirkungen davon aber sollte er schließlich noch an sich selbst erproben. In einer damaligen Stimmung hatte nämlich Liszt mit all seiner großen Herzensgüte, [203] die selbst ein wirkliches Unrecht von einem Freunde ertragen konnte, dessen, nach Wagners eigenen aufklärenden Worten, in ›desperat-lustiger‹ Stimmung geschriebenen Sylvester-Brief einen unrichtigen Sinn untergelegt, den selbst das ihm auf dem Fuße folgende ernste Memorandum vom 2. Januar nicht wieder auslöschen konnte. Er schwieg somit gerade um die Zeit, wo Wagner von ihm eine sofortige Antwort erwartete. Erst nach einer nochmaligen Mahnung33 erfolgte, wie es scheint Anfang Februar, sein bereits erwähnter ›erschreckender Neujahrsgruß‹, den Wagner dann auf der Stelle mit den Worten erwidert34: ›mein Freund, jetzt bist Du es, den ich leidend und trostbedürftig sehe‹. Liszts versöhnte Antwort spricht nur noch von dem ›zaubervollen Vergessen dessen, was uns immer ferne bleiben soll‹. Es ist das erste und einzige Mißverständnis in dem ganzen brieflichen Verkehr zwischen den beiden, in jedem Sinne großen Freunden, und Wagners in seinen nächstfolgenden Briefen mehrfach wiederholte Selbstanklagen wegen seiner ›Heftigkeit‹35 zeugen doch nur von seiner liebevollen Großmut gegen den Freund. Gerade im Punkte der Heftigkeit stand gewiß keiner der beiden Großen hinter dem andern zurück, wie dies Wagner oft zu seinem Erstaunen anderen Personen gegenüber an Liszt beobachtet. Nur ging die Aufsammlung des elektrischen Stromes und wiederum seine Entladung bei Wagner schneller vor sich; bei Liszt waren die Ausbrüche eines Gewitters länger vorbereitet und schlugen dann um so heftiger ein, aber nie ohne eigenes schweres inneres Leiden. Eine besondere Erfahrung machte er übrigens gerade um die Zeit dieser kurzen Spannung in seinen Unterhaltungen mit Karl Ritter hinsichtlich seines, vor kaum zwei Jahren veröffentlichten ›Briefes über Franz Liszts symphonische Dichtungen‹ (S. 138). Karl Ritter hatte diesen noch nicht gelesen; Wagner fand ihn glücklich [204] noch unter seinen Papieren und gab ihm denselben. Nachdem ihn Ritter gelesen, entdeckte er dem Meister das Seltsame: er habe, von Personen selbst, die Liszt nicht fern stünden (also ersichtlich der Fürstin), über diesen Brief gehört, Wagner äußere sich darin ausweichend und bemühe sich, nichts Rechtes, Bestimmtes über die Schöpfungen des Freundes zu sagen. Er selbst sei dadurch beklommen geworden, und nun, nach der Lektüre, dagegen hoch erfreut, die enorme Bedeutung begriffen zu haben, die er Liszt darin zuspräche. Sogleich las auch Wagner, voll Staunen über die Möglichkeit eines üblen Verständnisses, seine eigene Schrift wieder durch, und mußte nun allerdings in Ritters herzliche Ergüsse über die unglaubliche Stumpfheit, Oberflächlichkeit und Trivialität der Menschen mit einstimmen, welchen es möglich gewesen, die eigentümliche Bedeutung gerade dieses Zeugnisses zu verkennen.

Der Vollständigkeit wegen haben wir an dieser Stelle ein um diese Zeit an ihn gelangtes Anerbieten zu erwähnen, für den nächsten Winter nach New-York zu kommen und seine Opern dort aufzuführen. Ein amerikanischer Direktor hatte ihm seine Ankunft ansagen lassen, um mit ihm über diese Anerbietungen von jenseit des Ozeans näher zu unterhandeln. Und das in demselben Winter, der über das Schicksal von ›Tristan und Isolde‹ in Deutschland entscheiden sollte! ›Ich halte sie hin,‹ meldet er am 1. Februar brieflich an Klindworth, ›habe aber im Sinne, Sie – als meinen Stellvertreter – zum Dirigenten zu empfehlen. Was meinen Sie dazu?‹ Um jene Zeit arbeitete Klindworth am Klavierauszug des ersten Aktes von ›Siegfried‹. Darauf bezieht sich die weitere Erwähnung: ›Ihre Freude am Siegfried kam mir wie aus einer verschollenen Welt zu: ich habe davon rein Alles vergessen. Aber es wird wiederkommen, deß bin ich gewiß. Wohl wird's auch mich sehr erfrischen. Nur muß erst der Schmerzenskelch ausgetrunken werden. Wenn man so recht mit dem Leben fertig ist, geht das Spiel besser. Von Weimar weiß ich nichts, doch ist das Ihnen zugekommene eigentlich eine alte Geschichte: es ist Liszts point d'honneur‹. Gemeint sind die um diese Zeit wieder aufkommenden Gerüchte über den Bau eines eigenen Nibelungen-Theaters in Weimar (S. 180, Anm.). Die Errichtung desselben und die erreichte Aufführung, hätte er den Großherzog wirklich dazu bestimmen können, war ja für Liszt selbst eine künstlerische Lebensfrage. Sie hätte, trotz aller erlittenen Niederlagen, seinen endlichen und dauernden Sieg über alle Intriguen seiner Gegner bedeutet. ›In Venedig lebe ich fortwährend ganz zurückgezogen, Karl Ritter besucht mich allein. Meine Arbeitslaune hängt immer an einem Faden: der kann jeden Augenblick durchschnitten werden. Jetzt bin ich über der Instrumentation des zweiten Aktes vom »Tristan«. Ich arbeite sehr langsam – dafür aber schreibe ich nur das Beste nieder, was mir einfallen kann. So ein Musikstück, wie diesen zweiten Akt, habe ich nun doch wohl noch nicht [205] gemacht; es wird Ihnen gefallen Geht alles gut, so beendige ich den »Tristan« im Juni, und bleibe so lange hier.‹36

Noch war indes die Instrumentation des zweiten Aktes kaum über die Hälfte gediehen, als eine neue Wendung sein Schicksal bedrohte. Hatte er in seinem Pensionsprojekt an deutsche Fürsten gedacht, deren edelsinnige Bemühungen zu seinen Gunsten, deren mehr oder minder einsichtsvolle Teilnahme an seinem Schaffen ihm nun hon in mehreren schönen Beispielen verheißungsvoll entgegengetreten war, so sollte er nun auf der anderen Seite auch den besonderen Edelsinn und die Versöhnlichkeit der eigentlichen deutschen Machthaber an sich erfahren. Bereits kurz nach Beginn des neuen Jahres war ihm seitens der venezianischen Behörden die überraschende Aussicht eröffnet, daß er auf Reklamation der Sächsischen Regierung aus Venedig ›ausgewiesen‹ werden sollte. Man gab ihm ein, sich unbedingt zu unterwerfen, jedoch ein ärztliches Attest an den Generalgouverneur einzusenden, mit der Bitte, aus dringenden Gesundheits-Rücksichten ihn noch einige Monate am Orte zu lassen. Das half, und er konnte bleiben. Nun wurde ihm aber auch von Dresden aus, auf seine mehrfachen Amnestie-Bewerbungen im Laufe der letzten Jahre, die Mitteilung gemacht: der König würde nie von der einmal getroffenen Bestimmung abgehen, die Begnadigung nur für solche sich vorzubehalten, die der Untersuchung und Beurteilung seiner Gerichte sich gestellt haben würden. Auch hier riet man ihm Unterwerfung; nach reiflicher Erwägung aber entschied er sich fest und bestimmt, auf diese Bedingung ein für allemal nicht einzugehen. Unmöglich konnte er sich in seinem werten Vaterlande für längst vergangene Vergehungen, über die er längst seine Meinung geändert, den Chancen einer richterlichen Untersuchung stellen, sich ein paar Monate lang verhören und wohl auch gar nachträglich als politischen Märtyrer einstecken lassen! Um jedoch das Äußerste nicht unversucht zu lassen, wandte er sich noch einmal an den Justiz-Minister, einfach in dem Sinne seiner jüngsten, hier am Orte gemachten Erfahrung: sein Arzt habe ihm wegen seiner reizbaren Gesundheit unbedingt von einer ähnlichen Probe abgeraten. Er erkenne seine ›Strafbarkeit‹ und die Gerechtigkeit des gegen ihn eingehaltenen Verfahrens rückhaltlos an und ersuche Se. Majestät einzig, auf Grund seines Gesundheitszustandes die ausnahmsweise Rücksicht zu nehmen, ihm die Bedingungen der Begnadigung huldreichst zu erlassen. Für den Fall einer Weigerung blieb ihm dann noch die Möglichkeit, sich, ohne jede Anklage seines Landesvaters, an die einzelnen ihm geneigten Fürsten mit Einschluß des Prinzen von Preußen und des Kaisers von Österreich, mit der Bitte zu wenden: in denjenigen Fällen, wo er zum Zwecke der Aufführung seiner Werke ein deutsches Bundesgebiet betreten wollte, nach vorheriger Übereinkunft mit [206] Sachsen den Auslieferungsvertrag zu suspendieren. Wirklich war es auf diese und keine andere Art, daß er in der Folge (nach elfjährigem Exil!) den deutschen Boden wieder betrat! Einstweilen meldete ihm Devrient aus Karlsruhe, der Großherzog rechne mit Sicherheit auf seine Anwesenheit bei der ersten dortigen ›Tristan‹-Aufführung. Er beabsichtige nämlich, ihn auf seine Verantwortung für die nötige Zeit in seine Residenz zu berufen; seine Anwesenheit solle dann zu einer einfachen Tatsache werden, für die er, der Großherzog, die Verantwortung sich persönlich vorbehalte. ›Ich finde das sehr fürstlich‹, fügt Wagner seiner an Liszt gerichteten Mitteilung dieser Nachricht hinzu, ›und – dieser junge Souverän hat mein Vertrauen.‹37

Die Orchesterpartitur des zweiten Aktes von ›Tristan und Isolde‹ trägt an ihrem Schlusse das Datum des 9. März 1859. Unter der Miteinwirkung der Kgl. Sächsischen Reklamation hatte er den Plan, Venedig gegen einen anderen Aufenthalt zu vertauschen, reiflich erwogen. Gegen ein längeres Verweilen in der Lagunenstadt, etwa bis in den Sommer hinein, wie es noch in dem Briefe an Klindworth heißt, erhoben sich u.a. auch klimatische Bedenken. Schon im Oktober hatte er außerdem dem alten Fischer von seinem Verlangen nach einem definitiven Aufenthalt in einer großen Stadt mit vielen Kunstmitteln geschrieben, um wenigstens von Zeit zu Zeit etwas hören und namentlich aufführen zu können.38 Denselben Wunsch hatte er nun kürzlich wieder in einem Briefe an die Prinzessin Marie Wittgenstein zum Ausdruck gebracht, und Liszt ihm daraufhin Paris als den immerhin bequemsten, zweckmäßigsten und sogar wohlfeilsten Ort empfohlen, insbesondere auch häufigere Besuche da selbst in Aussicht gestellt, was für Wagner in dem ganzen, an sich keineswegs sonnigen Zukunftsgemälde einer nochmaligen dauernden Pariser Niederlassung der eigentliche Lichtstrahl war. ›Denke, wie jammervoll wir immer auseinandergehalten sind! In den nun so tröstlich langen Jahren unserer Freundschaft, wie wenige Wochen, daß wir uns wirklich Auge zu Auge sahen? Versprichst Du mir für Paris dies Gute, so betrachte meinen Entschluß dorthin zu gehen für fest und bestimmt.‹39 Einstweilen galt es die Vollendung des noch ausstehenden dritten Aktes seines ›Tristan‹. Hierfür hatte er sich Luzern ausersehen: ›Du weißt, wie sehr ich den Vierwaldstätter See liebe: Rigi, Pilatus usw. sind meinem Blute jetzt heilende Notwendigkeiten geworden. Ich werde dort ganz einsam sein, finde um die jetzige Zeit leicht die wünschenswerteste Wohnung‹ etc. Auf alle Fälle bestimmte ihn bei der schnell getroffenen Entscheidung für einen Ortswechsel auch die Notwendigkeit, in der Komposition seines dritten Aktes keine Unterbrechung stattfinden zu lassen. Er mußte sich deshalb entschließen, diesen Akt da, wo er ihn beschließen konnte auch anzufangen. Dies sollte nun Luzern sein. Dorthin dirigierte er alsbald [207] seinen Erard, um ihm dann ohne weitere Umwege nachzureisen. Von dem jungen Ritter, der in Italien zurückblieb, nahm er herzlichen Abschied, um ihn, ganz wider Erwarten, nie wieder zu sehen. Ritters vielseitige musikalische und dichterische Begabung hatte stets sein lebhaftes, wohlwollendes Interesse erregt und wach erhalten; leider nahm es mit ihm von jenem Zeitpunkte an eine, innerlich wohl seit länger vorbereitete, betrübende Wendung. ›Welche psychischen und physischen Einflüsse mitwirkten, um aus dem genial veranlagten Künstler einen menschenscheuen Sonderling zu machen, der Ende der 50er Jahre, von allen bisherigen Beziehungen seines Lebens sich trennend, Italien zu seinem bleibenden Wohnort machte, ist mit Sicherheit nicht festzustellen‹.40 Aber schon seine von Venedig, aus dieser Zeit eines traulichen und regelmäßigen Verkehrs mit dem Meister herrührenden, bereits zuvor von uns erwähnten Briefe an Bülow machen durch ihre böse und gehässige Art einen betrübenden Eindruck.41

Am 25. März treffen wir Wagner bereits unterwegs auf einem kurzen Erholungsaufenthalt in Mailand. Er besuchte den herrlichen Dom und die Gemäldesammlung der Brera; ferner das ›Abendmahl‹ des Leonardo da Vinci im Kloster alle Grazie, und begab sich spät abends, trotz aller Reiseermüdung, nicht eher zu Bett, als bis er an Liszt ›tausend Herzensgrüße‹ entsandt. Wenige Tage darauf war er in Luzern, um sich und seinem sterbenden ›Tristan‹ im Hotel Schweizerhof die Heimstätte zu bereiten. Für diesen letzten traurig schweren Akt verlangte es ihn innig nach irgend einer Aufmunterung von außen. Sie sollte ihm nicht zuteil werden. Nicht einmal ein seiner Natur so nötiger lachender Frühlingssonnenschein in der Natur! Von seiner Ankunft an gab es acht Wochen hindurch, bis gegen Ende Mai, ein schlechtes rauhkaltes Wetter, das ihm nicht einmal vergönnte, ›durch erfrischende Exkursionen sein trübes Blut etwas aufzurütteln‹.42 Er starrte hinaus in die undurchdringlichen Nebel-und Regenwolken, war absolut einsam und kam selten zu günstiger Stimmung. Und doch war er sich bewußt, einzig nur noch in seinem Schaffen eine Erquickung zu finden. ›Der einzige Grund meines Jetzt-noch-fort-Lebens liegt in dem unwiderstehlichen Drange, eine Reihe [208] von Kunstwerken zu vollenden, die in mir noch Lebenskraft haben.‹ Nur dieses Schaffen und Vollenden konnte ihn befriedigen und mit einem Lebenshang erfüllen, der ihm selbst oft unbegreiflich war. Seine begeisterte Empfindlichkeit gegen die große Mangelhaftigkeit der ihm zu jeder denkbaren Vorführung seines Werkes einzig gebotenen Mittel flößte ihm mehr Bangen davor, als Verlangen danach ein, bei dem so bedeutungsvollen Anlaß der ersten Aufführung seiner alten, ihm so neu gewordenen Wirksamkeit auf der Bühne und im Orchester sich wieder zuzuwenden. Somit war er auch gegen seine Amnestie, so nötig sie ihm war, durch zehnjährige Gewöhnung an sein Exil fast gleichgültig geworden. ›Oder sollte es mir als ein Glück erscheinen, mich irgendwie wieder mit einem Herrn von Lüttichau, selbst einem Tichatschek und derartigen künstlerischen Größen und wohlwollenden Menschen in einen Verkehr zu bringen, der mich einen Aufwand von Geduld, Herabstimmung und Erniedrigung kostet, wie ich ihn jetzt, selbst um der besten Zwecke willen, immer weniger zu zahlen imstande bin?‹ So schreibt er (7. April) an Frau Julie Ritter, mit der er die briefliche Verbindung aus eigenem innerem Triebe immer noch aufrecht erhielt, obwohl er schon von Venedig aus, unter ihrem rührendsten Widerstreben, dem von ihr bezogenen Jahrgelde bestimmt für alle Zeiten entsagt hatte.43 Dazwischen drohte ihn dann, immer unter den tief erregenden ernsten Eindrücken seiner Arbeit am dritten und schmerzlichsten Akte seines Werkes, die Einsamkeit zu übermannen. Dann wünscht er sich Liszt herbei, oder er sehnt sich nach der Anregung durch eine seiner neueren im Druck besindlichen Partituren. ›Außer den Dienstboten sehe und spreche ich keinen Menschen; denke Dir einmal ein wenig, wie wohl mir zumute sein muß. Kinder! Kinder! ich fürchte, man läßt mich zu lang im Stich, und das »Zu spät« wird Euch auch einmal in bezug auf mich zu Gemüte kommen. Da heißt's denn nun: »mach' den Tristan fertig, den wollen wir sehen!« Wie aber, wenn ich den Tristan nun nicht fertig machte, weil ich ihn nicht fertig machen könnte? Mir ist, als sollte ich nun vor dem Ziele (?) – endlich verschmachtend zusammenbrechen.‹ ›Ich stehe mit dem letzten Akte dieses Schmerzenskindes jetzt am äußersten Rande des »to be or not to be«, – ein kleiner Druck irgendwelcher Feder des gemeinen Zufalles, dem ich so erbarmungslos preisgegeben bin, kann dieses Kind in den letzten Geburtswehen töten.‹ Freudige Stimmungen werden immer seltener; selbst die so sehr von ihm geliebte, nun endlich in Partitur vorliegende ›Dante-Symphonie‹, mit ihrer tiefempfundenen Widmung, entlockt ihm bei ihrem Eintreffen nur einen Brief, [209] den Liszt in seiner Antwort ganz mit Recht einen ›schauerlichen Sturm‹ nennt, der alles ›verzweifelt herumpeitscht und niederschlägt‹.44 Trotzdem erleichterte es ihm das Ertragen seines freudlosen Zustandes, wenn er (nach seinen eigenen, einst an Uhlig gerichteten Worten) seinen Schmerz da hinausschreien durfte, wo er sich verstanden wußte.45

Wiederholt machte er von seinem einsamen ›Schweizerhof‹ aus kurze Besuche in Zürich bei Wesendoncks: er sah sein freundliches Häuschen wieder und freute sich, daß es ihm erhalten blieb. Er hoffte noch in späterer, günstiger Zeit, vielleicht selbst von Paris aus, wenn er doch dahin verschlagen werden sollte, es im Sommer wieder bewohnen zu können und versprach sich davon einen angenehmen Wechsel.46 So ladet er auch die Züricher Freunde dringend zu einem Gegenbesuch in Luzern ein. ›Pfingsten, das liebliche Fest‹ war dafür in Aussicht genommen, und es kam auch wirklich zu diesem Luzerner Besuch. Nach den Erinnerungen von Frau Wesendonck sogar mehr als einmal: ›man kam herüber, hinüber, unzählige Zettelchen wurden gewechselt.‹47 Bei einer dieser Gelegenheiten war seinerseits auch in dem obigen Sinne von seiner Amnestie die Rede, aus welcher die deutschen Regierungen für ihn eine solche Gnade machten, und die ihm selbst immer weniger als ein begehrenswertes Glück erschien. Mit ganz richtiger Empfindung äußerte sich dabei Frau Wesendonck: er dürfte jetzt eigentlich unter keiner anderen Bedingung nach Deutschland zurückkehren, als wenn man ihn – ›im Triumph von dort einhole‹. Wirklich war dies im Innersten ganz sein eigenes Gefühl von der Sache; er erinnert Wesendonck noch einige Zeit darauf an diesen Ausspruch seiner Frau, und daß er sie mit Unrecht deshalb verspottet habe. ›Lassen Sie sich im Vertrauen sagen, das mir wirklich zumute wird, als sollte ich das in Wahrheit abwarten – wobei ich höchstens den Triumph schenke, und zwar sehr gern!‹ ›Ach wie bin ich voll Enthusiasmus für den deutschen Bund germanischer Nation!‹ ruft er gegen Liszt aus. ›Daß mir um Gottes willen der Frevler Louis Napoleon nichts an meinem lieben deutschen Bunde betaste: ich wäre zu tief betrübt, wenn da etwas anders würde!‹ Und mit sarkastischer Ironie fährt er dann in betreff der ihm empfohlenen Pariser Niederlassung fort: ›es ist doch schrecklich unpatriotisch, sich mitten im Hauptnest des Feindes der germanischen Nation es behaglich machen zu wollen. Übrigens kann ich wirklich in Paris recht hübsch von meinen deutschen Ressourcen [210] abgeschnitten werden! Und doch werde ich in der Lage sein, mich dort an einen möglichst hohen Ort zu wenden, um meine dauernde Niederlassung zu erhalten. So will mich denn Deutschland mit Gewalt dem Feind zuschanzen! Auch gut!!‹ Ganz buchstäblich gingen die hier verlautbarten Voraussagungen nachmals in Erfüllung. Sowohl die, daß es erst des Frevlers Louis Napoleon bedürfe, um in dem deutschen Bunde germanischer Nation ›etwas anders werden zu lassen‹; wie nicht minder die schnöden Verhetzungsversuche der deutschen Judenpresse, die noch nach langen Jahren48 einen angeblichen ›Brief Richard Wagners an Napoleon‹ (erlogenen Inhaltes) mit denunziatorischem Eifer an die Öffentlichkeit brachte und ›so weit die deutsche Zunge klingt‹, durch die Zeitungen zirkulieren ließ, um das deutsche Publikum über die Gesinnungen seines nationalsten Künstlers zu täuschen!

Hatte er das Jahr zuvor auf seinem ›grünen Hügel‹ in der ›Enge‹ fast schon ein Übermaß der Geselligkeit genossen, so sah er sich hingegen während dieser ganzen Luzerner Periode umgekehrt zu sehr auf Alleinsein angewiesen. Liszt, der ihm seinen Besuch (›nach Luzern, oder wo Du mich hin haben willst‹) zugesagt, blieb aus; ebenso Tausig, den er sich eigens bei Liszt bestellt hatte.49 Mehrere Einladungen dieses Sommers sind auch an Herwegh gerichtet. ›Bis Ende dieses Monates (Juni)‹, heißt es in einer derselben, ›habe ich Raum, um Dich bei mir zu bequartieren; dann wird's schwerer. Wollen wir einmal ein paar Tage klatschen, so bring' Dir nur für den Vormittag etwas Lektüre mit; im übrigen sei mein Gast.‹ Die Unterschrift dieses Briefchens (vom 17. Juli 1858) lautet humoristischerweise: ›Ein Abonnent des Intelligenzblattes‹, mit Beziehung darauf, daß er kurz zuvor in dem genannten Züricher Blatte einen – ununterzeichneten – politischen Artikel Herweghs, wie manchen ähnlichen vorher, an Stil und Ausdruck erkannt und sich daran erfreut hatte: ›mir hat er wieder ungeheuer gefallen; der Ton ist ganz famos getroffen.‹ Er bezog sich auf die damaligen Vorgänge des österreichisch-italienisch-französischen Krieges, mit ihren schnell aufeinander folgenden Schlägen (4. Juni: Schlacht bei Magenta; 24. Juni: bei Solferino; 11. Juli: Friedenspräliminarien zu Villafranca). ›Irre ich demnach nicht, so bist Du jetzt in vollem Eifer. Auch ich bekümmere mich um den Spektakel [211] mehr, als er eigentlich wert ist. Wollen wir einmal das Zeug ein wenig diskutieren?‹ Gegen Ende Juli traf, durch Liszt an ihn entsendet, der junge (damals vierundzwanzigjährige) Felix Dräseke zum Besuch des verbannten Meisters in Luzern ein. Eben jene Aufführung des ›Mazeppa‹ und der ›Préludes‹ im Leipziger Gewandhause, deren stürmischen Verlaufes wir zuvor gedachten (S. 166), hatte ihn zwei Jahre zuvor zum begeisterten Verehrer und Anhänger Liszts gemacht. Er kam ganz frisch von jener denkwürdigen Leipziger Tonkünstler-Versammlung, die bekanntlich auf Liszts und Brendels Anregung einberufen, zur Gründung des ›Allgemeinen Deutschen Musikvereins‹ führte. ›Lache mich nicht zu sehr aus, daß ich mich immer für ähnliche Dinge interessiere‹, hatte Liszt fast entschuldigend darüber an Wagner geschrieben, da er dessen bestimmte Ansicht wohl kannte, daß ›nie Vereinigungen von noch so viel gescheiten Köpfen ein Genie oder ein wahres Kunstwerk der Welt bringen können.‹ Auch entsinnt sich Dräseke, durch die große Gleichgültigkeit, mit welcher der Meister seine interessanten Neuigkeiten aufnahm, anfänglich fast bestürzt worden zu sein. Er habe sich bloß über die Teilnahmlosigkeit der Versammlung gegenüber sei nem Kunstschaffen beklagt: ›sie hätten musiziert, gegessen und getrunken, ohne sich seiner zu erinnern.‹ Nichtsdestoweniger habe er den jungen Freund schließlich auf das Liebenswürdigste aufgenommen und während dessen vierwöchentlichen Aufenthaltes am Vierwaldstättersee in den nahezu vollendeten ›Tristan‹ eingeweiht. Bei einem späteren Rückblick bekennt Dräseke selbst, wie sehr er damals in seinen eigenen Arbeiten, aus Furcht trivial zu werden, Gefahr gelaufen sei, sich in das Geschraubte, Bizarre, Bombastische zu verirren. Von dieser Selbstkritik des Autors sind wohl auch diejenigen seiner jugendlichen Kompositionen nicht ganz ausgeschlossen, welche damals infolge einer gewissen phantastisch-kühnen Originalität innerhalb der ›neudeutschen‹ Musikerpartei einiges Aufsehen erregt und von Liszt auch in seinen brieflichen Empfehlungen Dräsekes an Wagner als seine Lieblinge gepriesen wurden.50 Nun scheint ihn damals der Meister neben der Einführung in die Tiefen seines ›Tristan‹ in mündlichen Unterredungen eingehend und wiederholt mit ähnlichen Gedanken vertraut gemacht zu haben, wie er sie später in der Abhandlung ›über die Anwendung der Musik auf das Drama‹ über den Unterschied des dramatischen und symphonischen Musikstiles und die plastischen Schranken der absoluten (selbständigen) Instrumentalmusik niedergelegt hat. Wenigstens gesteht Dräseke bei Gelegenheit jenes Rückblickes: ›Wenn ich irgend Jemandem persönlich zu danken habe für die Rückleitung auf den richtigen Weg und zu gesunder künstlerischer Betätigung, so war [212] dies niemand anders als Richard Wagner. Indem derselbe mich auf das Wesen der Beethovenschen Melodie, des durch die Symphonie fast unaufhörlich zu verfolgenden melodischen Fadens aufmerksam machte, und mir zur Anschauung zu bringen verstand, wie hierin das eigentlich interessierende Moment sich kundgebe, daß es also der harmonischen, rhythmischen, koloristischen Ungeheuerlichkeiten keineswegs bedürfe, gab er mir einen Fingerzeig, den ich nie vergessen konnte und dem ich zögernd und zweifelnd, aber von Jahr zu Jahr mit mehr Zuversicht und besserem Gelingen zu folgen bemüht war.‹51 Auch blieb dem jugendlich begeisterten Zuhörer lebhaft im Gedächtnis, wie ihm der Meister in jenen tief belehrenden Gesprächen seine Erinnerungen an die Konservatoire-Konzerte während seiner ersten Pariser Periode,52 und im Zusammenhang damit auch eine besondere akustische Erfahrung zum besten gegeben habe. Einmal sei er zu einem dieser Konzerte zu spät gekommen und hätte in einem Raume warten müssen, der durch eine ziemlich hohe, aber nicht die Decke des Saales erreichende Schallwand vom Orchester getrennt gewesen. Die Wirkung des an dieser Schallwand hinaufgeleiteten Orchesterklanges hätte ihn im höchsten Grade überrascht. Der Ton sei, von allen hervortretenden Einzelwirkungen gereinigt, als gewissermaßen kompakte und verklärte Einheit an sein Ohr gedrungen; und dies hätte ihn auf den Gedanken gebracht, allen Orchesteraufführungen eine ähnliche Wirkung zu sichern. In seinem, schon damals geplanten, Theater hoffte er zuerst dieser Neuerung, eines unsichtbaren Orchesters, Eingang schaffen zu können.53 ›Dräseke ist noch bei mir‹, schreibt der Meister (19. August) an Liszt, ›sein Besuch macht mir Freude. Bald wird auch er jedoch gehen.‹

Inzwischen war der letzte Akt von ›Tristan und Isolde‹ am 8. oder 9. August zu völliger Vollendung gelangt und zum Stiche der Partitur nach Leipzig abgesandt. Das Wetter war bereits wieder rauh und unfreundlich geworden, und Luzern hatte für ihn nichts mehr, was ihn zu längerem Verweilen eingeladen hätte. Was ihn noch in dieser Umgebung fesselte, war einzig das Ungewisse seiner äußeren Lage und seiner ferneren Schicksale. In diese Augustwochen fällt außer dem Verkehr mit Dräseke noch die erste Beziehung zu dem geistvollen russischen Komponisten Alexander Sseroff. Diesen hatte die Bekanntschaft mit des Meisters Werken von Deutschland aus, wo er soeben mit Entzücken den ›Lohengrin‹ gehört, eigens in die Schweiz getrieben, um den Schöpfer dieser wunderbaren Musik persönlich kennen zu lernen. Die sehr originelle und dabei doch unvollständige und unklare Schilderung dieser Begegnung durch Sseroff erklärt sich daraus, daß sie erst längere Zeit nach Sseroffs Tode von dessen Witwe im Zusammenhang [213] anderer Lebenserinnerungen an den Meister in der Weise beiläufig aufgezeichnet worden ist, wie sie sich entsann, dieselbe einst mündlich von ihrem Manne gehört zu haben. ›Ich komme in ein Hotel, sitzt da ein kleiner Mann ganz zusammengekauert und geärgert; man nagelt bei ihm Teppiche an die Türen, er empfängt mich mit der Klage über das verfluchte Klavierspielen, das ihn im Denken und Schreiben stört.‹ Dann kam irgend ein Künstler zu ihm, und er flüsterte mir mit tragikomischem Lächeln zu: ›jetzt werde ich ausgehauen und bemalt.‹ Das ist alles, was wir über die erste Anknüpfung eines zwar in seinen Folgen nicht weittragenden, aber dennoch andauernden und herzlichen Verhältnisses erfahren. Durch seine verständnisvoll enthusiastische Verehrung und noble uneigennützige Ergebenheit verdiente es Sseroff wohl, nebst Dräseke als einer der Ersten persönlich durch den Meister in die Wunder des ›Tristan‹ eingeführt zu werden. Von den beiden ersten Akten lag bereits die gestochene Partitur vor. Sobald auch der letzte im Stich vollendet und die Stimmen ausgeschrieben waren, sollte das Einstudieren in Karlsruhe beginnen und das Werk alsdann zum 3. Dezember, dem Geburtstage der Großherzogin Luise, erstmalig in Szene gehen. Er erwartete dafür nur die besondere Einladung des Großherzogs von Baden. Noch während der letzten Arbeit am ›Tristan‹ hatte er den jungen Herrscher auf das Inständigste angegangen, ihm statt des in Aussicht gestellten temporären Aufenthaltes in seinem Lande sofort eine dauernde Niederlassung daselbst zu erwirken. Die Erfüllung seiner Bitte war – unmöglich.

Jetzt trat die Reaktion gegen die Anstrengungen seiner Ausdauer ein, welcher von keiner Seite her eine Stärkung zugeführt worden war. Zehn volle Jahre war er von der Möglichkeit ausgeschlossen, sich durch Beteiligung an guten Aufführungen seiner Werke, wenn auch nur periodisch, zu erfrischen; nur unter den größten Mühen war es ihm möglich gewesen, sich zuweilen auch nur den Klang eines Orchesters zu Gehör zu bringen. Er fühlte sich endlich gedrängt, seine Übersiedelung an einen Ort ins Auge zu fassen, der ihm die notwendigen lebendigen Berührungen mit den Organen seiner Kunst ermöglichte. In Paris konnte er – bei größter Zurückgezogenheit – doch wenigstens von Zeit zu Zeit ein vorzügliches Quartett, ein ausgezeichnetes Orchester hören; auch die Aussicht, dort öfter, als in der Schweiz, Besuche Liszts zu empfangen, fiel für seine Entscheidung ins Gewicht. Seltsamerweise stieß er selbst bei der Durchführung dieses, ihm so ganz von außen her aufgedrängten Übersiedelungsplanes sofort auf die unerwartetsten Schwierigkeiten. Der französische Gesandte weigerte sich, seinen Paß nach Frankreich zu visieren. Auf Wagners dringende Vorstellungen schrieb der Mann nach Paris; es vergingen aber acht, zehn, vierzehn Tage und darüber, ehe nur die Antwort eintraf. ›Vermutlich hält man mich für einen hartnäckigen Konspirator‹, meldet er inzwischen an Liszt, ›wozu die Behandlung, die ich von [214] seiten Deutschlands erfahre, allerdings Grund zu geben scheint.‹ Auch hatte er den Pariser Aufenthalt zu seiner Wiedervereinigung mit Minna bestimmt. Wohl durfte er hoffen, daß die Pflege ihrer Gesundheit, der sie während ihrer nunmehr einjährigen Trennung ausschließlich gelebt, einigermaßen zur Milderung ihres Herzübels geführt hätte; mindestens lauteten ihre Nachrichten beruhigend. Immerhin war er sich dessen bewußt, daß von einer eigentlichen Heilung nicht die Rede sein konnte und sie fortgesetzt der größten Schonung und Entfernthaltung jeder Aufregung bedurfte. In Paris mit ihr wieder, wie in jenen schrecklichen alten Tagen, ein ›halb hungerleidendes Leben zu führen‹, war jetzt nicht mehr möglich. Auch für sich selbst bedurfte er einiger Bequemlichkeit und freien Bewegung. Und doch war er nun, bevor sein ›Tristan‹ über die deutschen Bühnen geschritten, von allen Mitteln entblößt. Nichtsdestoweniger war es ihm peinlich, sich, wie zuweilen in früherer Zeit, von Wesendonck helfen zu lassen: als dieser ihm, mit seiner Lage wohlbekannt, von sich aus ein Darlehn anbot, lehnte es Wagner in einem Briefe vom 24. August dankend ab.54 In diese Zeit fällt nun aber der endliche definitive Abbruch der Verhandlungen mit dem Hause Breitkopf & Härtel über die Herausgabe der vollendeten und noch ausstehenden Teile seines ›Ring des Nibelungen‹. Jetzt zögerte er nicht länger, eben dasselbe ›Geschäft‹, das mit Leipzig nicht zustande kommen wollte, dem bereitwilligen Züricher Freunde anzutragen. Es geschah dies in Form eines rechtskräftigen Vertrages, vermöge dessen Wesendonck, gegen die sofortige Auszahlung der von Härtels vergeblich geforderten und verhofften Summe, in den einstweiligen Besitz des (damit gleichsam ihm verpfändeten) musikalischen Verlagsrechtes gelangte, wobei dem Autor nur die durch theatralische Aufführungen zu erzielenden – nicht die Erträgnisse des Musikalienverlages – als sein freies Eigentum verblieben. Dieser Vertrag kam zustande und bot dem Meister die erste und notwendigste Grundlage für seine Pariser Niederlassung, an die er sonst kaum hätte schreiten können. Daß es sich dabei von Wesendoncks Seite nicht um eine geschäftliche Spekulation (!) handelte, ja daß er in die dem gemeinsamen Übereinkommen gegebene Form nur deshalb einwilligte, um ›Wagners Selbstgefühl zu schonen und ihm das drückende Bewußtsein einer Schuld zu benehmen‹,55 braucht wahrlich nicht erst hervorgehoben zu werden. Vorgänge dieser Art sind überhaupt, unter dem Gesichtspunkt einer späteren Zeit, deren Erfahrung die rein pekuniäre, schier unermeßliche Kapitalkraft dieser Geistesschöpfungen erst nachträglich dokumentiert hat, nur mit Vorsicht zu beurteilen. Selbst dem aufrichtigst ergebenen Freunde und Bewunderer mußte es damals gestattet sein, bei aller überragenden Erhabenheit dieser Werke gerade ihre nachmalige internationale Popularität zu bezweifeln. Wer, [215] außer Wagner selbst, hätte damals einen klaren Begriff von der Lebens- und Ertragsfähigkeit seiner Werke gehabt? Er war auch in dieser Hinsicht der einzige Sehende unter Blinden. Er hätte ja sonst selbst von solchen, die der ideellen und kulturellen Bedeutung seines Schaffens innerlich ganz fern standen, und denen bloß im Sinne des materiellen Vorteils, der geschäftlichen Spekulation daran liegen konnte, ihr Kapital an die Vollendung seines größten Werkes, die Errichtung seines projektierten Theaters zu wagen, unaufhörlich und von allen Seiten her mit Anerbietungen verfolgt und bedrängt sein müssen, anstatt daß er in die Lage kam, sein Werk erst Anderen anzutrag ein, und ihm darüber ein unschätzbares Lebensjahr um das andere, im höheren Sinne ungenutzt, in niederen Sorgen um das tägliche Dasein verging. Auch Wesendoncks edler Glaube begründete sich – darin wenig verschieden von den übrigen Züricher Freunden! – weit mehr in seinem persönlichen Wohlwollen für den befreundeten Meister, als daß er in ihm den Schöpfer einer neuen Welt erkannt hätte, von deren lebendigem Dasein nur der Vorhang wegzuziehen war, um ihre unbegrenzte Wirkungs- und Lebensfähigkeit zur Geltung zu bringen. Wer wollte den schlichten Mann deshalb tadeln, dem doch gerade dieses einfache persönliche Vertrauen zur Ehre gereicht? Er war in der beneidenswerten Lage, dem verehrten Künstler und Freunde einen Dienst leisten zu können, und hat es in der entscheidenden Stunde mit rühmlichem Zartgefühl getan; sowie umgekehrt der Meister sich bewußt war, für alle Fälle des Lebens und Sterbens den höchsten Ertrag seines gesamten künstlerischen Schaffens als Sicherheit in seine Hände niedergelegt zu haben.

Vier freundliche ›helle‹ Tage verbrachte er noch im Kreise der eigens für ihn zusammenberufenen Züricher Freunde auf dem gastlichen Hügel in der Enge. Dann ging es nach Paris, immer in der Hoffnung, noch vor Schluß des Jahres eine Einladung nach Karlsruhe zur dortigen Aufführung von ›Tristan und Isolde‹ zu erhalten. ›Es wird mir wohl nichts übrig‹, schreibt er darüber (2. September) an Frau Ritter, ›als von Karlsruhe mich dann – für immer – nach Paris zurückzuwenden. Doch will ich nicht verschweigen, das ich im Stillen die Hoffnung nähre, es könne, ja es müsse sich aus meiner persönlichen Berührung mit dem jungen Fürstenpaare, und aus dem Erfolge meines neuen Werkes unter solchen Berührungen, ein Ergebnis herausstellen, das mich von der Notwendigkeit, in dem mir ganz antipathischen Paris meine letzte Heimat zu erwählen, entbinde. Hoffen wir denn auch hierfür!‹

Fußnoten

[216] 1 Maison James Fazy, an der Ecke des Quai du Léman und der rue du Montblanc. –


2 ›Ein solcher Erfolg, eine derartig weihevolle Aufnahme war, wenn man den bisherigen Wiener Geschmack vor Augen hatte, kaum vorauszusehen; ein Erfolg, der sich weniger in den bekannten lärmenden Beifallsbezeigungen, als vielmehr in der Ausdauer kundgibt, mit welcher das Publikum in gedrängten Massen von Anfang bis zu Ende der Oper aushält. Ein so konzentriertes Interesse hatten selbst die schwärmerischesten Verehrer der neuen Richtung nicht erwartet. Über diese Tatsache die Augen verschließen, hieße den Vogel Strauß nachahmen, der seinen Kopf in den Sand steckt, um ein ihn treffendes Unglück zu vermeiden.‹ (Signale für die musikalische Welt 1858, S. 337.)


3 Briefwechsel zwischen Wagner und Liszt II, S. 207.


4 Ebenda S. 208: ›Schreibe mir, warum eigentlich Du nicht ein paar Tage länger in Zürich verbleiben mochtest, wo ich Dich am 20. d. M. spätestens besuchen wollte.‹


5 Ebendaselbst, Band II, S. 209. 210.


6 Briefwechsel zwischen Wagner und Liszt II, S. 213. Vgl. ›Liszt-Briefe‹, herausg. von La Mara I, S. 312. 313; III, S. 112.


7 An Liszt II, S. 209. 210.


8 Ebenda S. 216.


9 An Klindworth, 1. Februar 1859.


10 In dem ihm so eigenen hinreißend gemütlichen Tone heißt es darin: ›ich will in meinem Testamente bestimmen, daß man uns Beiden in Dresden beim Theater ein Monument setzt; wir beide müssen da ausgehauen werden, und in Zukunft soll man sagen, wenn man auf unsere Statuen weist: »Da stehen sie alle Beide, – besonders der Tichatschek!«‹


11 An Fischer, 29. Okt. 1857: ›Nun, da war auch unser Prager Enthusiast, Apt; es freute mich, durch ihn von Dir zu erfahren. Er wollte absolut eine Partitur des »Rienzi« kaufen, und ich versprach ihm, Dir deshalb zu schreiben.‹ Briefe an Apt im Betreff der Prager, Rienzi-Aufführung vom 26. September, 15. Okt. 1858; 12. Febr., 29. Febr., 4. März 1859. Auch Thomé war dem Meister bereits durch einen im Januar 1858 in Zürich gemachten Besuch persönlich bekannt, wobei er sich um das Recht einer erstmaligen Aufführung von ›Tristan und Isolde‹ beworben hatte. Vgl. Briefwechsel mit Liszt II, S. 196. 198.


12 Wagner an Franz Aptin Prag (21. Nov. 1859).


13 Vgl. die bereits zitierten Stellen über Direktor Thomé im Briefwechsel mit Liszt II, S. 196. 198 und die Briefstelle an Apt vom 15. Oktober: ›Entscheidet sich Herr Thomé für alsbaldige Aufführung des »Rienzi«, so gebe ich ihm gern die Versicherung, daß ich der Aufführung des »Tristan« in Prag nur diejenige vorausgehen lassen werde, die ich persönlich dirigieren darf, und da ich die Gunst, Deutschland zu diesem Zweck zu betreten, nur dem Großherzog von Baden zu verdanken haben werde, so bin ich aus diesem Grunde auch ihm schuldig, die erste Aufführung in Karlsruhe stattfinden zu lassen.‹


14 Brieflich an Luise Otto-Peters, April 1859, aus Luzern.


15 Alex. Winterberger, dem Meister bereits von Zürich her bekannt (S. 123), hatte dank seiner Befreundung mit Ritter, in jenen Wintermonaten wiederholt das Glück, trotz aller Zurückgezogenheit des Meisters zuweilen mit ihm verkehren zu dürfen. Gelegentlich einer Besprechung Palestrinascher Musik gedenkt er noch i. J. 1877, wie Wagner in Venedig über diesen Gegenstand mit Begeisterung zu ihm gesprochen: er habe als Dresdener Kapellmeister ›bei dem Studium dieser Musik und ihrer Vorführung die Schauer heiligster Andacht durchkostet und einen unbeschreiblich erhebenden künstlerischen Genuß empfunden.‹ (Mus. Wochenblatt 1877, Seite 701/702).


16 Luigi Tessarini.


17 An Liszt, Band II, Seite 221/222.


18 An Liszt, Band II, Seite 242/243.


19 ›Die Welt als Wille und Vorstellung‹ B. II, S. 607.


20 ›Bruchstück eines Briefes an Schopenhauer. Metaphysik der Geschlechtsliebe.‹ Abgedruckt im ›hundertsten Stücke‹ der ›Bayreuther Blätter‹ (1886, IV, S. 101). Das Nachwort Hans von Wolzogens gibt, wie uns dünkt, irrtümlich, das Jahr 1857 als Entstehungszeit an; es liegt uns vielmehr ein bestimmtes Zeugnis dafür vor, es in die Venezianische Zeit, und zwar ganz genau in die bezeichnete Periode (Spätherbst 1858: Arbeit am 2. Akt von ›Tristan und Isolde‹) zu verlegen.


21 Vgl. als Illustration dazu Gottfried Kellers ›Romeo und Julia auf dem Dorfe‹.


22 Arthur Drews, der Ideengehalt von Richard Wagners ›Ring des Nibelungen‹ (Leipzig 1898), S. 38.


23 A. Drews, a. a. O. S. 37. Vgl. daselbst, S. 38/39: ›So offenbart sich in Tristan und Isolde die Allgewalt jener Liebe, der Wagner bereits als Anhänger Feuerbachs die Rolle zuerteilt hatte, daß sie den Menschen über die Individualität hinaus zur Allgemeinheit emporheben und ihn durch sein Wissen um die Allgemeinheit willfährig zur Überwindung des Egoismus machen sollte. Aber was er damals in bloß empirischem Sinne verstanden hatte, das erscheint nun hier ins Metaphysische umgedeutet: die Allgemeinheit ist nicht mehr die Gesamtheit aller übrigen Existenzen außer der meinigen, sondern sie ist zum alleinen metaphysischen Grunde der Welt geworden, dessen Erscheinungen die vielen Einzelexistenzen bilden; die Liebe aber zieht gleichsam den Schleier der Maja von den Augen der Individuen fort und veranlaßt sie dadurch, ihren individuellen Willen zu verneinen und in jenen einheitlichen Grund ihres Daseins, der zugleich ihre ursprüngliche Heimat ist, zurückzukehren. Darin, daß sie die Vielheit der Erscheinungswelt, des »Wähnens Graus«, den Schein des Tages auslöscht, besteht also nunmehr die »welterlösende Bedeutung der Liebe«.‹


24 An Liszt, B. II, S. 223. Vgl. S. 224.


25 Wer die seltsame Leidensgeschichte des ›Rienzi‹ in Weimar, bevor er endlich, nicht mehr von Liszt dirigiert, auf die dortige Bühne gelangte, in all ihren wechselnden Phasen, vom Nov. 1857 an bis zum Dezember 1860 durch ihre volle dreijährige Dauer hindurch verfolgen will, kann es im Briefwechsel II. S. 181. 191. 194. 196. 201. 214. 218. 219. 221. 222. 223. 224. 225. 227. 233/35. 267. 268. 270. 278. 282. Was hätte er nun erst für den ›Tristan‹ in Weimar sich erwarten dürfen?


26 Briefwechsel mit Liszt Band II, S. 230. 231/32.


27 Ebendaselbst Band I, S. 25.


28 Daß übrigens Wagner damals für die Wiener Aufführungen seines ›Lohengrin‹ keineswegs eine regelmäßige Tantieme (wie von Berlin aus) bezog, sondern sich mit einer einmaligen Abfindungssumme begnügen mußte (!), beweist ein späterer Brief an J. Herbeck: ›bloß weil zu jener Zeit vor dem Umbau der Hofoper ein dürftiges Theaterlokal bestand, mit dessen geringem Einnahme-Ertrag man sich entschuldigte, glaubte man die Tantieme vorläufig mir abschlagen zu müssen!‹ In demselben Brief heißt es weiter: ›Es war mir nicht leicht, der buchstäblichen Erfüllung meiner Befürchtung kaltblütig zuzusehen und zu gewahren, daß, während meine »Meistersinger«, für welche die Tantieme zu zahlen war, trotz des Zudranges zu den Vorstellungen derselben, gänzlich vom Repertoire des Hofoperntheaters verschwanden, dagegen meine älteren drei Opern, für deren Wiederholungen mir nichts vergütet zu werden brauchte, fortwährend mit glänzenden Einnahmen gegeben wurden.‹ (Joh. Herbeck, ein Lebensbild, Wien 1885, S. 39 des brieflichen Anhanges.)


29 Band II, S. 375/78.


30 Als solchen bezeichnet ihn ausdrücklich Bülow in einem Aufsatz für die ›Neue Zeitschr für Musik‹ (1858, 5. März), der auch in dessen ›Gesammelten Briefen und Schriften‹ Bd. III, S. 226/31 zu erneutem Abdruck gelangt ist (Carl G. Ritter, ein Schüler Robert Schumanns). Vgl. Schumann an Hiller brieflich: ›Den jungen Ritter hab' ich, denk' ich, ein Stück vorwärts gebracht. Eine entschieden musikalisch organisierte Natur.‹


31 Briefwechsel II, S. 215.


32 Ed. Reuß, Franz Liszt, ein Lebensbild, S. 304.


33 Ohne Datum: ›Hast Du mir denn auch nur garnichts mitzuteilen?? woher soll ich's endlich nehmen, wenn mich Alles ignoriert?‹


34 Dieser Brief Wagners trägt seltsamerweise das Datum des 7. Januar: es kann aber wohl nur der 7. Februar gemeint sein! An dieser Stelle des Briefwechsels fehlen zwei Briefe gänzlich, indem sie wohl von den Empfängern selbst nicht aufbewahrt wurden. Doch stellt sich das Verhältnis der teils fehlenden, teils ungewissen Daten dieses Briefwechsels trotzdem ziemlich deutlich heraus wie folgt: 131. Dez. Telegramm W.s (nicht erhalten), beantwortet durch Liszt mit Nr. 279 v. 1. Jan. 2) 31. Dez. Brief Wagners (›du antwortest mir viel zu ernst und pathetisch‹) nicht erhalten, und auch (durch Liszt) nicht beantwortet. 3) 2. Jan. ernster Brief Wagners über seine Lage, Nr. 280. nicht beanwortet. 4) Mitte Januar (oder noch später?): kurzer Mahnruf W.s, Nr. 281. Aus dieser Zeit auch noch ein Brief an Prinzessin Marie Wittgenstein (erwähnt Briefwechsel II, S. 237. 239. 243). 5) Liszts nun endlich erfolgende erschütternde Antwort vom 2. Februar (?), noch unter dem Eindruck des Sylvesterbriefes; nicht erhalten. 6) W.s Antwort vom 7. Februar (?), wohl gleich nach Empfang. Nr. 282. 7) Liszts Antwort vom 17. Februar, Nr. 283, die am 22. Febr. in Venedig eintrifft, vgl. Nr. 284 Anf.


35 ›Eher werden wir über uns nicht ganz klar, als bis wir uns im Spiegel sehen‹, ›in Deiner Verletztheit erkannte ich meine Häßlichkeit,‹ ›diese Krämpfe wütender Laune sollten doch endlich in mir zur Ruhe kom men‹ etc.


36 Brieflich an Karl Klindworth, 1. Februar 1859


37 An Liszt, II, S. 242.


38 Brief an Fischer S. 351.


39 An Liszt, II, S. 244.


40 H. v. Bülows Ges. Briefe und Schriften III, S. 226 Anm. Der schwer errungenen erstmaligen Aufführung des, gleichsam unter seinen Augen entstandenen ›Tristan‹ im Juni 1865 wohnte er nicht bei: dagegen brachte er eben um dieselbe Zeit seine inzwischen entstandene Oper: ›Dea Risorta‹ in Florenz mit Erfolg zur Aufführung, wandte sich dann aber doch endgültig von der Musik ab und ausschließlich literarischer Tätigkeit zu. Er schrieb eine ›Theorie des deutschen Trauerspiels‹ und viele Dramen (C. G. Naumann in Leipzig: ›Der milde Welf‹, ›König Roderich‹ etc. etc.), † 1891 in Verona.


41 Sie zeugen von einem schlechten Herzen, das an allem, was heilig ist, Verrat übt: Bülow aufreizend und ihm schmeichelnd, während über Liszt und den Meister, dessen freundschaftlichen Umgang er damals täglich genießt, verleumderisch berichtet wird.


42 An Liszt, Briefwechsel II, 247. 249.


43 Erst in den nachfolgenden, immer düsterer umwölkten Phasen seiner heftigsten Lebenskrisis stockte dieser Briefwechsel, da es seinem Zartgefühl endlich wie eine unnötige Grausamkeit erschien, gerade dieser edlen, aufopfernden Freundin dasjenige direkt zu melden, was sie ja ohnehin durch ihren dem Meister enthusiastisch ergebenen Sohn Alexander über ihm erfuhr!


44 Die zuletzt angeführten Zitate sind ihm entnommen, vgl. Briefwechsel II, 248/49. 250. 252.


45 Was er an ›guter Laune‹ austreiben konnte, hatte er hingegen dahin zu verschwenden, wo er nicht verstanden wurde, für seine gleichzeitigen Briefe an Minna: ›sie wird von mir gehätschelt und gepflegt, wie ein Flitterwochenkind.‹ ›Dafür habe ich dann die Genugtuung, sie gedeihen zu wissen; mit ihrem bösen Leiden bessert es sich zusehends, sie kommt wieder auf und wird hoffentlich auch etwas vernünftig auf ihre alten Tage.‹ Ebenda S. 252.


46 An Liszt II, S. 243.


47 Allg. Musikzeitung 1896, S. 38.


48 Nämlich 1871, nach dem deutsch-französischen Kriege, wo bei der allgemeinen Erregung der Gemüter das ausgestreute Gift am besten wirken konnte, andererseits aber Wagner soeben zur Begründung seines Bayreuther Werkes um das Vertrauen eben desselben deutschen Publikums sich bewarb. – Ja, noch ganz vor kurzem, i. J. 1895, versuchte es ein Hanslick, seinem urteilslosen Leserkreise die gehässige Fabel aufzubinden: als sei damals Wagner aus reinem Wohlgefallen daran ›nach dem musikalischen Babel gepilgert, um den verachteten Parisern seinen Tannhäuser französisch vorzuführen,‹ wie wenn ›Luther nach seinem Bruche mit dem Papsttum sich neuerlich nach Rom begeben hätte, um dort Messe zu lesen


49 Briefwechsel mit Liszt, Band II, Seite 253. 255.


50 Briefwechsel II, S. 258: ›Es freut mich sehr, daß Du ihn (Dräseke) lieb gewonnen, er ist ein prächtiger Mensch. In unserem ganz kleinen Kreis von Vertrauten wird er »der Recke« genannt. Hat er Dir seine Ballade »König Helge« gezeigt? – es ist ein herrliches Ding.‹


51 Vgl. Allg. D. Musikz. 1884, S. 190. N. Mus. Zeitg. 1886, Nr. 11. 12. Mus. Wochenblatt 1887, S. 39.


52 Vgl. Band I, S. 354/56.


53 Mus. Wochenblatt 1896, S. 550.


54 A. Heintz, Allg. Musikztg. 1897, S. 129.


55 A. Heintz a. a. O.

Quelle:
Glasenapp, Carl Friedrich: Das Leben Richard Wagners in 6 Büchern. Band 3, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1905, S. 187-217.
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