I.

Wahnfried.

Die Bestimmung von ›Wahnfried‹. – ›Bayreuth und meine Familie.‹ – Die Dichtung des ›Parsifal‹. – Beginn der Komposition. – Herausgabe der ›Parsifal‹-Dichtung und des ›Siegfried-Idylls‹. – Gesundheitsverhältnisse. – Vertagung des Schulplans. – ›Bayreuther Blätter.‹ – Hans v. Wolzogen als Hausgenosse. – Häusliche Lektüre und Musik. – Beglückung im Schaffen.


Wer kann ein Leben lang mit offenen Sinnen und freiem Herzen in diese Welt des durch Lug, Trug und Heuchelei organisierten und legalisierten Mordes und Raubes blicken, ohne zu Zeiten mit schaudervollem Ekel sich von ihr abwenden zu müssen? Verdankte ja auch der ›Parsifal‹ selbst nur der Flucht vor derselben seine Entstehung und Ausbildung.

Richard Wagner.


Die Erhabenheit des Genius über seine Zeitumgebung hat wohl nie und in keiner Kulturepoche der Menschheit eine so vollendete Offenbarung erhalten, als in der Persönlichkeit Richard Wagners. Immer machtvoller, abgeklärter, tiefer und reicher, unerschöpflicher erhebt sie sich in seinen verschiedenen Lebensepochen von einer Entwickelungsstufe zur andern, um auf der letzterrungenen trotz aller ihm bereiteten Leiden in der vollen ungetrübten Reinheit und Größe des siegreichen Überwinders dazustehen. Mit allem blöden und gehässigen Widerstande hatte jene Zeitumgebung es nicht verhindern können, daß er ihr in seinen Schöpfungen wie in seiner Person ein dauerndes Dokument und Abbild dessen hinterließ, was er ihr hätte sein und werden können, wenn sie – anstatt ihn konsequent zu bekämpfen – auf sein Wollen eingegangen wäre und ihm ihre fördernde Unterstützung dargebracht hätte. Noch mehr: Er, dessen ›Reich nicht von dieser Welt‹ war,1 stand sogar im Begriff, ihr den lebenskräftigen Keim einer neuen [3] Welt, einer ›Welt in der Welt‹ zu hinterlassen, in welcher sein Wollen und Ringen über die Grenzen seines persönlichen Daseins hinaus weiterlebte. Mußte auch das seiner Kunst errichtete edle Gehäuse mehr als ein volles Lustrum im stillen Bayreuth leer und verödet dastehen; war seine Gesundheit durch die ihm bereiteten Nöte und aufreibenden Anstrengungen schwer geschädigt: so sammelte er doch nun seine edelsten künstlerischen Kräfte zu seiner letzten weihevollsten Schöpfung, in welcher der innerste Geist dieser Weltüberwindung zum verklärten Ausdruck gelangte.

Mochte ihm der Neid jener Zeitumgebung seine – in ihren Augen – alles Maß überschreitenden ›Erfolge‹ mißgönnen, – nicht in dem Glanz dieser Erfolge hatte von je sein Sieg über sie bestanden, sondern in seiner stolzen Gleichgültigkeit gegen sie, die ihm nichts bot und nichts zu bieten hatte, und in der Abkehr von ihr Sie hatte genügend dafür gesorgt, daß seine ›Erfolge‹ für ihn selbst mit den schmerzhaftesten Stacheln versehen waren: der innerste Hort, das strahlende Zentrum seiner Schöpferkraft lag glücklicherweise außer ihrem Bereich, unnahbar in ihm verschlossen Abwendung von ihr hieß daher von je das Losungs- und Zauberwort seiner Siege; aus dieser Abwendung einzig quoll ihm die stete Erneuerung der Kraft seines Wollens und Könnens.

Unbewehrt, ohne jeden materiellen Rückhalt, z.B. den eines namhaften Vermögens oder sonstiger günstiger Konstellationen, wie etwa einer vorhandenen Bühne oder vorhandener Organe seiner Kunst, war er einst in diese Welt gestellt worden, der er durch Tat und Lehre, Leben und Beispiel, Schaffen und Wirken, die Würde der Kunst erst zu lehren hatte. Und dazu war die durch ihn vertretene Kunst nicht etwa die der bloßen Literatur und Musik, der Malerei oder Plastik, nicht die Kunst der Studierstube, des Ateliers oder Konzertsaales, in deren abgeschlossenen Räumen der dichtende, bildende oder auch musizierende Meister sich getrost über jede Gemeinheit seiner Zeitumgebung hinwegtäuschen kann:2 nein, es war die öffentliche Kunst der Bühne, des Theaters, von dessen Brettern zwar die größten, weitestreichenden Wirkungen erzielt werden können, welches aber andererseits von jedem seiner Beherrscher erst erobert werden muß; die verderbteste, entartetste aller modernen Künste, die trotz aller hingebungsvollen Bemühungen edler Meister noch nie zu irgendwelcher idealen Höhe und Reinheit gelangt, sondern immer wieder in den Pfuhl der industriellen Spekulation hinabgezerrt war Mit[4] seinem großen Ideal im Geiste und Herzen war er einst als junger Mensch in die dürftige Enge, das Elend deutscher Provinzialbühnen gedrängt: die ihn umspinnende äußere Not des fahrenden Komödiantentums vermochte dieses stolze Ideal nicht zu unterdrücken: er blieb der königlich Freie auch in dieser niederen Umgebung als Musikdirektor eines Provinzialtheaters. Aber sein erstes entscheidendes Werk war bereits durch diesen Geist der Abwendung eingegeben: er legte seinen ›Rienzi‹ von vornherein so an, daß es ›unmöglich war, ihn an einem kleinen Theater zur Aufführung zu bringen‹, und ›kümmerte sich wenig darum, wo und wann sich einst das bedeutende Theater zu dieser Aufführung finden würde‹. Und als er dieses nach allem Umherirren, nach allem Drang seiner Pariser Nöte gefunden, als er an das Dresdener Kapellmeisterpult tritt, an welchem einst K. M. v. Weber als sein Vorgänger gestanden, da geschieht dies einzig in der festen Absicht, mit dem heiligen Vorsatz durchgreifender Reformen zur Verwirklichung seines Ideales. Er schafft hier seinen ›Tannhäuser‹ und ›Lohengrin‹, deren volle künstlerische Bedeutung und Größe zu erkennen erst fernen Zeiten vorbehalten blieb. Bereits ›Lohengrin‹ war in seiner ganzen Entstehung das Kind der Einsamkeit, Zurückgezogenheit und Weltentrücktheit gewesen. Als man ihm aber zumutet, statt jener geplanten durchgreifenden Reformen sich mit dem bloßen Dienstverhältnis eines kgl. sächsischen Hofkapellmeisters zu begnügen, da ist es wiederum der Geist der Abkehr, der ihn mit jenen faulen und morschen Verhältnissen brechen läßt. Ehe er sich in diese Enge pressen ließe, flüchtet er lieber als politisch Verfolgter, heimat- und obdachlos; aber in dieser Heimat- und Obdachlosigkeit konzipiert er sein übergroßes Lebenswerk: den ›Ring des Nibelungen‹. Bis auf die bitterste Hefe durchkostet er den Leidensbecher der Verbannung: er flüchtet aus der Schweiz nach Venedig, aus Venedig nach Paris, und als er endlich sein Vaterland wieder betreten darf, wird es ihm durch seine frostige Haltung nur zu einem neuen Exil. Ein König nimmt den Verzweifelnden in seinen Schutz, aber immer tragischer gestalten sich dessen Schicksale; die begeisterte Hilfsbereitschaft eines edelgesinnten Monarchen muß an dem feindseligen Widerstande seiner eigenen Beamten und Untergebenen scheitern, an der Stumpfsinnigkeit einer Bevölkerung, die sich das unter aller Augen gewobene Intriguengespinst gegen seinen großen künstlerischen Mitbürger ruhig gefallen läßt und es behaglich zum Gegenstand seines Residenzklatsches macht. Jeder andere an seiner Stelle hätte sich, an diesem Punkte angelangt, durch den Geist der öffentlichen Feindseligkeit für besiegt erklärt: ihm wird die aufgedrängte Einsamkeit und Zurückgezogenheit nur zum Quell neuen Schaffens, neuer mächtiger Pläne und Entwürfe. Was selbst ein Monarch mit aller ihm verliehenen Macht gegen den stumpfen Widerstand nicht durchzusetzen vermochte, das unternimmt er nun aus eigener persönlicher Kraft an einem unabhängigen, jungfräulich [5] unberührten Orte, der nichts mit der Verderbnis großstädtischen Kunstbetriebes gemein hat. So entsteht am späten Abend seines Lebens endlich jenes durch ihn begründete Gralskönigreich der Kunst, in welchem der Künstler selbst und keine weltlich materielle Macht die autoritativen Gesetze erteilt, – so entsteht Bayreuth. Die Tat wird vollbracht, nach sechs langen Jahren unausgesetzten Ringens und Kämpfens, der äußersten übermäßigen Anspannung seines Wollens, seiner geistigen und moralischen Kräfte. Das letzte Opfer war – nach den Festspielen und um ihretwillen – das Londoner Konzertunternehmen mit seinen maßlosen Ansprüchen und grausamen Enttäuschungen gewesen. Nun nichts mehr gemein mit dieser ganzen ihn umgebenden Welt! – – –

Wiederum konnte nur aus dem Geiste der Abwendung von ihr das Heil für den Schaffenden, die Möglichkeit und Fähigkeit zur Einkehr in das eigene Innere gewonnen werden. Nur mit Schaudern konnte er an das Überstandene zurückdenken. Ruhe, Stille, Zurückgezogenheit waren für ihn von jetzt ab das einzige Daseinselement. Nur von ihrer heilenden Macht war die erneuerte Wiedergewinnung unersetzlicher, schmählich vergeudeter Lebenskräfte zu erhoffen. Durch eine tiefe Kluft von einer unwürdigen Zeitgenossenschaft getrennt, die – statt der von ihr angesprochenen tätigen Förderung seines künstlerischen Zieles und seiner heißen Bemühungen es zu erreichen – bloß giftigen Spott und Hohn, im besten Fall stumpfe teilnahmlose Gleichgültigkeit für sein Werk und Wirken gehabt; getrennt von der, geräuschvoll und dünkelhaft ihn umgebenden modernen politischen und Kulturwelt, vermochte er dieser letzteren nur aus der Ferne, über die bestehende Kluft hinweg und im rettenden Bewußtsein dieser Kluft, sein beobachtendes Interesse zuzuwenden Was er da gewahrte, hatte nichts mit seinem Wesen und Wollen gemein: überall Symptome des Verfalles, der Zersetzung und Auflösung. Noch vor sechs Jahren, unter den unerwarteten Erschütterungen jenes großen Krieges, hatte er an die Möglichkeit einer inneren Erneuerung, eines nachhaltigen Sichaufraffens der deutschen Natur geglaubt. Viel, allzuviel an bitteren Erfahrungen lag dazwischen, um diesen Glauben anders als in einem streng persönlichen, idealistischen Sinne aufrecht zu erhalten: als einen Glauben an sich selbst und an die unversiegliche Kraft seines eigenen schöpferischen Innern, nicht aber an ein Entgegenkommen seitens irgendeiner jener glänzenden Erscheinungen da draußen, alles dessen, was in dieser Mitwelt hochgepriesen war, was in ihr Macht, Ehre, Ansehen und Einfluß genoß Jener Glaube hatte sich als eine Täuschung erwiesen: ›lernt Deutschland und das deutsche Publikum kennen! da ist alles – alles verloren!‹ – So zitierte er das verhängnisvolle Wort Mac Mahons in der Schlacht von Sedan: ›Des Cuirassiers, il n'y en a plus‹ mit der hinzugefügten Variante: ›Des Allemands, il n'y en a plus.‹ ›Wenn es noch Deutsche gäbe‹, sagte er [6] ein anderes Mal (3. März 1879) mit Bezug auf den fliegenden Holländer, ›so hätte schon dieses Werk einen großen Eindruck machen müssen, denn es war ohne Vorgänger in der deutschen Oper. Aber es gibt keine Deutschen.‹ Jene Täuschung hatte ihn vor sechs Jahren – allerdings in Verbindung mit dem eigenen heiligen inneren Müssen! – aus der Triebschener Abgeschiedenheit in den heftigen Drang des Wollens und der Betätigung hervorgelockt; die schwere Pflicht war erfüllt, die in diesen Kämpfen empfangenen frisch blutenden Wunden konnte einzig die stille Einsamkeit von ›Wahnfried‹ wieder zur Heilung bringen. Nun erst mochte diese häusliche Umfriedung vollauf ihre Bestimmung erfüllen: dem edelsten künstlerischen ›Wahn‹, statt jener unausgesetzten täglichen Erregungen, den tief ersehnten ›Frieden‹ des Schaffens zu bringen.

In dieser neu errungenen Umfriedung belebte sich Triebschen aufs neue. Auf die Einsamkeit am blauen Vierwaldstättersee war die abgeschiedene Stille des entlegenen oberfränkischen Städtchens gefolgt, das ihn in seiner ganzen Eigenart befriedigte und erfreute. In Not und Drang war es seinem Herzen nahegetreten; nun machte es seine selbstgewählte neue Heimat aus. ›Der Name Bayreuth nennt mir das Liebste, was mir neben meiner Familie zuteil geworden ist‹, in diesem Satz faßt der Schöpfer des ›Parsifal‹ die beiden einzigen belebenden Momente zusammen, die sich zu seinem Dasein als freudige Kräftigung und Bejahung verhielten, während jene geschäftige Welt der Politik, des Handels und Wandels, der Museen und Operntheater, es in ihrem ganzen Wesen verriet und verneinte. ›In Deutschland ist wahrhaftig nur der »Winkel«, nicht aber die große Hauptstadt produktiv gewesen. Was wäre uns von je von den großen Marktplätzen, Ring- und Promenadenstraßen zugekommen, als der Zurückfluß des dort durch »Gestank und Tätigkeit«3 verdorbenen einstigen Zuflusses der nationalen Produktion? Ein guter Geist waltete über unseren großen Dichtern und Denkern, als er sie aus diesen Großstädten Deutschlands verbannt hielt. Hier, wo sich Roheit und Servilismus gegenseitig den Bissen des Amusements aus dem Munde zerren, kann nur wiedergekäut, nicht aber hervorgebracht werden. Und nun gar eben unsere deutschen Großstädte, wie sie unsere nationale Schmach uns zum Ekel und Schrecken aufdecken! Wie muß es einem Franzosen, einem Engländer, ja einem Türken zumute werden, wenn er solch eine deutsche Parlamentshauptstadt beschreitet, und hier überall, nur in schlechtester Kopie, eben sich wiederfindet, dagegen nicht einen Zug von deutscher Originalität antrifft? Und nun diese ausgebreitete Nichtswürdigkeit wiederum von einer »allgewaltigen« Tagespresse, vor welcher die Minister ihrerseits bis in die Reichskanzlei hinein sich fürchten, zum Vorteil von Staatsschuldenaktionären um- [7] und umgewendet, gleichwie um dem nachzuspüren, ob der »Deutsche« wirklich, wie es Moltke gelehrt hat, einen Schuß Pulver wert sei? – Wahrlich, wer in diesen Hauptstädten nicht wiederum nur den »Winkel« aufsucht, in welchem er etwa unbeachtet und nichts beachtend über die Lösung des Rätsels »was ist der Deutsche?« ruhig nachzudenken vermag, der möge uns für würdig gelten, zum Ministerialrat ernannt und im Auftrage des Herrn Kulturministers gelegentlich auf das Arrangieren von hauptstädtischen Musikzuständen ausgeschickt zu werden.‹4

Dies war nun der ›Winkel‹ im Herzen Deutschlands, der ihn mit seinem großen Kunstgedanken gastlich aufgenommen und den er zum Danke dafür zur dauernden Weltbedeutung erhoben hatte. Man hatte ihm hier Vertrauen entgegengebracht, und sein eigenes noch höheres, in den gesunden Geist der Bevölkerung und ihrer Behörden gesetztes Vertrauen damit erwidert. Als Zeuge dieses beiderseitigen Vertrauens stand aber nun nicht allein jenes erhabene Haus auf dem Festspielhügel da, sondern auch das eigene persönliche Heim des Künstlers und Meisters, in dem er sich nun für alle Zeiten niedergelassen und in dessen friedvollem Schutz und Schirm er das Teuerste hegte, was ihm in dieser Welt gehörte und für sein Bewußtsein auf das engste mit seinem Lebenswerk vereint und verbunden war: seine Familie. Wäre nicht bei der großen Entscheidung seines Lebens die allesbesiegende hochherzigste Liebesmacht in Gestalt jener einzigen hochgesinnten, in jeder Stunde seines Daseins dankbar von ihm vergötterten edlen Frau in dieses sonst leere und öde Dasein getreten, um dem Heimatlosen, überall Verkannten und Vertriebenen durch ihre Hingabe Haus, Heim und alles zu bereiten, dessen er als Künstler bedurfte: alle Großmut seines königlichen Beschützers wäre zu spät gekommen und vergeblich gewesen! Nie hätte die Welt ein Bayreuth erblickt, nie wäre der ›Ring des Nibelungen‹ vollendet, nie der ›Parsifal‹ gedichtet worden! Ihre Liebe zu ihm hatte recht eigentlich den Grundstein des Festspielhauses gelegt, sie hatte das Haus Wahnfried mit allem darin Lebenden errichtet. Sie hatte ihm die drei Kinder: Isolde, Eva und Siegfried geboren, in denen sein eigenes Blut, dem ihren vermählt, als edelste Auslese des Menschlichen, in froher Verjüngung weiter pulsierte und deren adelig echte Art, deren kindliche Frische und Lebenslust ihm, dem Schaffenden, neben der Beseligung durch dieses Schaffen selbst, ein täglich sich erneuernder Quell der Lebensfreude wurden. Von ihnen stand damals Siegfried im achten Lebensjahre, das getreue Abbild seiner eigenen Kinderperiode, auf dem sein Auge mit stolzem Wohlgefallen ruhte. Seine ungewöhnliche geistige Regsamkeit, wie die auf ihn gesetzten Hoffnungen des Vaters, werden durch das schon früh über ihn geäußerte Wort charakterisiert: [8] ›wenn er mit vierundzwanzig Jahren seinen »Götz von Berlichingen« schreibt, so werde ich es noch erleben‹. Neben ihm, dem Knaben mit der ›hohen Stirn und dem klaren Auge‹,5 erblühten in lieblich knospender Verheißung die beiden Schwestern, alle drei in Spiel und Ernst voneinander unzertrennlich. Dazu die beiden Töchter Bülows, Daniela und Blandine, im Alter von sechzehn und vierzehn Jahren, die einst ihr leiblicher Vater selbst noch nach Triebschen entsandt6 und denen der Meister seitdem in jedem Sinne ein liebender und geliebter väterlicher Beschützer gewesen war; ihrer aller Erzieherin und Lehrerin die edelste der Frauen, unter deren Anleitung sie größtenteils im Hause selbst ihre ungewöhnliche Bildung auf allen Gebieten des Wissens sich angeeignet hatten.

Ja, Triebschen mit all seinen verschwiegenen Reizen und Freuden war nach aller unruhvollen Zwischenzeit wieder lebendig geworden Bayreuth und seine Familie, oder in umgekehrter Folge: seine Familie und Bayreuth – für ihn, der die neuzugestaltende Welt der Zukunft in sich trug, war dies, ›Welt‹ genug, und jedes Mehr wäre ein Überfluß gewesen. Jeder auswärtige Besuch war ihm fast nur störend Bitterkeit konnte ihn jetzt nur anwandeln, wenn er über diese Grenzen hinaus blickte: innerhalb seines Hauses gab es für ihn nur eine Beseligung des Schaffens, wie er sie bisher noch nicht in dieser Weise gekannt. Immer wieder drängte es ihn auszusprechen, wie dies die ›glücklichste Zeit seines Lebens‹ sei, wie er noch an keinem seiner früheren Werke mit so inniger Befriedigung habe arbeiten können; ja selbst den Ausdruck ›Arbeit‹ wollte er nicht dafür gelten lassen, denn ›das was aus der Seele quillt, kann man doch nicht als Arbeit rechnen‹.

Bereits in den Herbstmonaten des Jahres 1877 hatte dieses geheimnisvolle Weben und Schaffen, das innerliche Keimen, Sprossen, Blühen, Reisen seinen Anfang genommen, bei dessen Walten sich der Künstler gleichsam bloß als das ausführende Werkzeug des in ihm Lebenden fühlt. In den allgemeinsten Zügen haben wir diese Herbst- und Winterzeit, den Übergang von 1877 zu 78, bereits am Schluß des vorigen Bandes zu schildern versucht und kehren nunmehr – mit näherem Eingehen auf das dort mehr nur angedeutete Einzelne – zu jenem Schlußpunkt unserer früheren Betrachtung zurück. Der ursprüngliche ›Entwurf‹ der ›Parsifal‹-Dichtung vom August 18657 ist kürzlich zur Veröffentlichung gelangt8 und es sei uns daher zunächst vergönnt, im Anschluß an den hieraus gewährten klaren Einblick in das Werden und [9] Wachsen der poetischen Idee des Werkes die wesentlichen Ausgestaltungen ihrer früheren Fassung im Verhältnis zu derjenigen der vollendeten Dichtung nochmals einer Übersicht zu unterziehen.

Unter den schöpferischen Eingebungen, die, jahrzehntelang in seiner gestaltenden Einbildungskraft vorbereitet, bei der Ausführung des ›Parsifal‹-Gedich tes schließlich hell an das Licht traten, haben wir bereits an früherem Orte als einen ganz hervorragend wesentlichen Zug das poetische Motiv der Wiedergewinnung des geraubten Speeres hervorgehoben.9 Gerade in diesem Punkte, als einem durch die vorliegenden Quellen der Sage noch unberührten und unbezeugten, war der dichterischen Phantasie der größte Spielraum geboten und seiner Erfindung die größte Aufgabe gestellt; mit anderen Worten: seine Erfindung mußte hier mehr als je ein Auffinden, ein Entdecken des im ideellen Sinne Ursprünglichen, Echten sein, fern von jeder absichtsvoll bewußten Willkür. Der Mythendichter konnte auch diesen Zug der Sage nur in demselben mythischen Natursinne erfassen, wie er allen mittelalterlichen Sagen zugrunde liegt: der durch Klingsor der Gralsgemeinde geraubte, durch Parsifal wiedererrungene Speer ist seinem ideellen Ursprunge nach offenbar der in winterlicher Leidensnacht der Natur abhanden gekommene Sonnenstrahl, sein Wiederbringer aber der Frühlingsgott. Aber wie unter dem Einfluß des Christentums die Symbolik des alten Volksmythos einen anderen Weg einschlug und sich mit einem neuen Inhalte sättigte; wie beispielsweise die altgermanische Weltesche in den Rätselfragen des Wartburgkrieges zum weltüberschattenden ›Kreuzesbaum‹ sich gewandelt hat, der Gral selbst – als ursprünglich heidnisches Symbol der Erde und ihrer unerschöpflichen Fruchtbarkeit – nunmehr zum Inbegriff des christlichen Heils, zur Abendmahlsschüssel, oder zum Kelch sich vertiefte: so macht nun auch dieser, den alten Überlieferungen abhanden gekommene, neu wieder aufgefundene uralte Mythenzug im Geiste des schöpferischen Mythendichters noch nachträglich jene zwei Stufen der Auffassung durch, vermöge deren er deutsch und christlich zugleich ist, jene erhabene Wandlung von der echten alten Naturvorstellung des Sonnenstrahles zum christlich legendarischen Longinusspeer, der ›dort dem Erlöser die Wunde stach‹. ›Wirklich‹, so hatte er, im Hinblick auf Wolfram als seinen Vorgänger, schon vor achtzehn Jahren geschrieben,10 ›man muß nur einen solchen Stoff aus den echten Zügen der Sage sich selbst so innig belebt haben, wie ich dies jetzt mit der Gralssage tat, und dann einmal schnell übersehen, wie so ein Dichter, wie Wolfram, sich dasselbe darstellte, um sogleich von seiner Unfähigkeit schroff abgestoßen zu werden.‹ Wie dieser ›oberflächliche Tiefsinnige‹11 unter allen vorhandenen Deutungen des Grales gerade [10] die ›nichtssagendste‹ sich auswählte, wonach dieser nichts mehr als ein ›kostbarer Stein‹ ist, der mit den bloßen Eigenschaften eines Tischleindeckedich die fromme Ritterschaft ernährt:12 so erscheint bei ihm auch die ›blutige Lanze‹ (die sein Vorgänger Chrestiens de Troyes bereits als den Speer des Longinus gedeutet hatte!) ohne irgendwelche ausgesprochene Beziehung zu ihrer christlich legendarischen Bedeutung; ebensowenig aber in ihrem ursprünglichen Natursinne als geraubter Sonnenstrahl, denn sie wird ja nach Wolframs Schilderung noch zugleich mit dem Grale selbst hereingetragen und ist demnach im ununterbrochenen Besitze der Gralsbrüderschaft. Dem vorherbestimmten Erretter aus aller Not bleibt also, da ihre Wiedergewinnung – als seine Hauptaufgabe – von Hause aus wegfällt, nur die problematische ›Frage‹ des Mitleids an den leidenden König übrig. Hier hieß es somit: ›Dichter, schaffe!‹13 Und dieses Neuschaffen und zugleich Wiederherstellen des im ideellen Sinne Ursprünglichen konnte, wie gesagt, kein Akt der bewußten poetischen Willkür sein, sondern hat sich im Geiste des Dichters im Laufe der Zeit ganz unwillkürlich, fast unmerklich, aus der inneren Anschauung vollzogen. Noch in seinen eigenen früheren Aufzeichnungen ist die Waffe, mit welcher Amfortas verwundet wird, keineswegs mit der von Klingsor geraubten Lanze identisch, sondern ›der Speer eines Nebenbuhlers bei einem leidenschaftlichen Liebesabenteuer‹.14 Selbst im Entwurfe von 1865 tritt dieser entscheidende Zug bloß zögernd in die Erscheinung: noch bei der Niederschrift des ersten Aktes wird diese Identität gar nicht erwähnt: es ist bloß von einem ›durch Klingsor empfangenen Speerstich‹ die Rede, an welchem der Gralskönig dahinsiecht Erst im zweiten (einen Tag später geschriebenen) Akt ›erkennt‹ Parsifal mit der Inspiration des durch Mitleid wissend Gewordenen die Lanze, mit welcher Amfortas verwundet ward: ›es ist die Lanze, mit welcher einst Longinus des Heilands Schenkel durchstach und deren sich Klingsor als wertvollstes Zaubermittel bemächtigt hatte‹.15 Auch wird sie hier, während Klingsor sich oben auf der Höhe des Turmes zeigt, erst nur einem der hereinstürzenden Gewaffneten durch Parsifal ›entrissen‹; der längst schon aus indischer Sagenüberlieferung16 in seinem Gedächtnis haftende Zug von ihrem Schwebenbleiben über dem Haupte des Helden ist also noch keineswegs mit dem gesamten Vorgang ihrer Wiedergewinnung in eine organische Einheit verschmolzen. Endlich fehlt noch die Erklärung, durch welche Macht der heidnische Zauberer überhaupt in den Besitz des göttlichen Heiltums gelangen konnte, indem die ursprüngliche Erzählung[11] vom Überfall Klingsors noch nicht die Bedeutung einer göttlichen Strafe dafür hervortreten läßt, daß Amfortas die Gralswaffe wider Gottesgebot in den Kampf mitführt, mithin auch noch nicht das in dieser Übertretung liegende ›verstärkende Schuldmotiv für den sündigen König‹.17 Es fehlt somit aber auch die motivierende Grundlage für den Zug des dritten Aktes, daß Parsifal auf seinen Irrfahrten eher ›Wun den jeder Wehr‹ sich gewinnt, als daß er den Frevel beginge, sich des heiligen Speeres als Angriffs- oder Verteidigungswaffe zu bedienen.

Die Verfolgung dieses einzelnen, wenngleich entscheidenden Zuges belehrt uns über das organische Entstehen der Dichtung in dem Geiste ihres Schöpfers, die sich in so manchen Punkten noch während der musikalischen Ausführung fortsetzte. Selbst der Umstand, daß die Wortdichtung bereits vorher durch den Druck fixiert, wider seine eigentliche Absicht der Öffentlichkeit übergeben werden mußte, konnte seiner ausgestaltenden Phantasie keinen Zwang, keine Fesseln anlegen, besonders wenn es nun galt, aus dem Bereich der frei schaltenden Einbildungskraft heraus in eine immer engere Beziehung zur szenischen Darstellung zu treten Sehr lebhaft hörten wir ihn einmal seine Abneigung gegen alles bloß äußerlich Mirakelhafte in den Vorgängen aussprechen: selbst der von oben herab auf den Gral fallende blendende Lichtschein sollte nicht so ohne weiteres als übernatürliche Erscheinung aufzufassen sein, sondern als das Licht der Sonne vorgestellt werden können, die – beim Erreichen ihres höchsten Standes um die Mittagszeit – durch die Öffnung der Kuppel, über welcher sie nun steht, auf das heilige Gefäß herabstrahlt und das vorhin diffuse Licht auf den einen Punkt konzentriert, während alles übrige in um so stärkeren Schatten tritt. Mit dem Wiedereintritt der vorigen Tageshelle sind, nach dem Wortlaut der Dichtung, die Becher, ›jetzt mit Wein gefüllt, wieder sichtbar geworden; neben jedem liegt ein Brot‹. Die göttliche Speisung der Ritter durch den Gral wird hierbei ebenfalls durch ein geheimnisvolles ›Mirakel‹ herbeigeführt, mithin durch einen Vorgang, der, wenn seine Beibehaltung dem Dichter irgend erwünscht geblieben wäre, durch eine der gewöhnlichsten szenischen Täuschungen dem Auge des Zuschauers leicht vorgespiegelt werden konnte. Aber es war ihm, in diesem geweihtesten Moment, alles unerwünscht, was an irgendwelche rein äußerliche szenische Taschenspielerei gemahnen konnte; weshalb er vielmehr die sichtbar hereingetragenen zwei Weinkrüge und zwei gefüllten Brotkörbe recht augenfällig von Amfortas durch das Schwenken des Grales segnen läßt, worauf die vier Knaben das Brot an die Ritter verteilen und die vor diesen stehenden Becher vor den Augen des Zuschauers mit Wein füllen. – In gleichem Sinne kam bei der endlichen Ausführung die szenische Vorschrift am Schlusse in[12] Wegfall, wonach der tote Titurel, für diesen Augenblick wieder belebt, sich segnend im Sarge erheben sollte.

Alles dies vollzog sich ganz in dem gleichen großen und bedeutenden Sinne, wie er in ›Oper und Drama‹, ein volles Vierteljahrhundert früher, den Gegensatz zwischen dem dogmatischen ›Mirakel‹, als grundsätzlicher Verneinung des Verstandes und dem ›Wunder‹ der Dichtung, als notwendigstem Erzeugnis des künstlerischen Anschauungs- und Darstellungsvermögens aufgestellt und durchgeführt hatte.18 Als Reaktion gegen den Mirakelglauben habe sich selbst an den Dichter die rationell prosaische Forderung geltend gemacht, dem Wunder auch für die Dichtung entsagen zu sollen, und zwar sei dies in den Zeiten geschehen, wo ›die bis dahin nur mit dem Auge der Phantasie betrachteten natürlichen Erscheinungen zum Gegenstande wissenschaftlicher Verstandesoperationen gemacht werden‹. ›Das Wunder im Dichterwerke unterscheidet sich von dem Wunder im religiösen Dogma dadurch, daß es nicht, wie dieses, die Natur der Dinge aufhebt, sondern vielmehr sie dem Gefühle begreiflich macht Gerade das vollste Verständnis der Natur ermöglicht es erst dem Dichter, ihre Erscheinungen in wunderhafter Gestalt uns vorzuführen.‹ ›Dem dichtenden Verstande liegt, für den Eindruck seiner Mitteilung, gar nichts am Glauben, sondern nur am Gefühlsverständnis.‹ Und gerade aus diesem Grunde wird das, bestimmte und bestimmende, Gefühl des dramatischen Genius hier das Entscheidende sein und – als einzig maßgebende Instanz – zwischen den verschiedenen hierhergehörigen szenischen Erscheinungsmöglichkeiten eine so seine Grenze ziehen, wie es kein reflektierender Ästhetiker vermag. Was ihm als innerlich geschautes Phantasiebild bei der ersten Ausführung der bloßen Wortdichtung noch von Wert war, wird er auf dem ferneren Wege ihrer Ausgestaltung, durch die Musik hindurch zur Szene, unter steter Mitwirkung der produktiven Einbildungskraft einer erneuten Sichtung unterziehen. Auf der einen Seite wird er, durch dieses Gefühl geleitet, die Momente verstärken, die im Verein mit der Macht des musikalischen Ausdruckes zur überzeugenden szenischen Verwirklichung des Wunderbaren hindrängen, auf der andern diejenigen Züge zurückhalten, welche diese Prüfung nicht bestehen und jenes ›Gefühlsverständnis‹ nicht mit vollem inneren Zwang bestimmen.

In einem anderen Falle betraf die Änderung den szenischen Vorgang am Schlusse des zweiten Aktes. Die Macht des Überwinders sollte sich nach dem Entwurf von 1865 noch darin bekunden, daß er auch die äußersten Anstrengungen des Zaubergewaltigen besiegt Gewaffnete in Klingsors Dienst sollten auf die Szene stürzen und Parsifal, im Kampf mit ihnen, einem der Ritter die von ihm erkannte heilige Lanze entreißen. Dazu Klingsor selbst [13] in mächtiger Herrscherkraft – aber ohne den Speer – auf der Höhe des Turmes. Sobald erst ein geweihter Augenblick entrückter Offenbarung dem Dichter die einzige Lösung gezeigt, seitdem der heilige Speer selbst, sein Verlust und seine Wiedergewinnung, zum Hauptmoment der Handlung erhoben war: seitdem konnte dessen unheiliger Entwender, der in höhnischem Triumph sogar auch des Grales selbst sich bemächtigen zu können wähnt, nicht ohne diesen Speer erscheinen. Mit ihm hat er den Gralskönig Amfortas verwundet, mit ihm will er, in sicherem Wurf, den kindischen Toren zu Falle bringen. Von seiner Hand wird er, in voller Gewißheit des Sieges auf den Wehrlosen geschleudert, und damit bedurfte es auch keiner ›Gewaffneten‹ mehr. Eben diese Gewaffneten sind ja bereits bei dessen erstem Eintritt in Klingsors Zauberreich dem Wehr- und Waffenlosen unterlegen; bereits hat er ja ›dem Helden Ferris‹ eine andere ›Waffe‹ entwunden, um sie, gleich darauf, achtlos fallen zu lassen; ihr sichtbares Erscheinen auf der Bühne würde dem Gefühlsverständnis des Zuschauers kein innerlich notwendiges neues Motiv übermittelt haben. Dafür waren in der Dichtung auf Kundrys Hilferuf, zugleich mit Klingsors Heraustreten, die Mädchen von neuem aus dem Schlosse gestürzt, im Begriff auf Kundry zuzueilen: als das Schloß wie durch ein Erdbeben versinkt, der Garten zur Einöde verdorrt, liegen sie, die bei dem Wunder des schwebenden Speeres und Parsifals Worten ohne Bewegung wie erstarrt dagestanden, als verwelkte Blumen am Boden umhergestreut. Auch dieser letzteren buntbewegten Vielheit als Abschluß eines ungeheuren inneren Vorganges entsagte nun aber der szenische Meister während der musikalischen Ausführung. Auf Parsifals Kampf mit den Helden, auf die anmutigen Verführungskünste der Mädchen, die ja nun nicht mehr als Teufelinnen, sondern als zarte Blumenwesen gedacht sind, ist der erhabenste Gegensatz zwischen Wille und Verneinung des Willens gefolgt: das Ringen des Geistes mit der dämonischesten Verkörperung jenes Willens; aus der bloßen äußeren Vielheit hat uns dieser Akt zur Konzentration, zum Ringen der gewaltigsten inneren Mächte miteinander geführt, jede Erscheinung einer neuen bewegten ›Vielheit‹ auf der Bühne konnte sich dazu nur als eine abschwächende Wiederholung verhalten.

Sogleich nach der Rückkehr von seinem Emser Aufenthalt und dem Ausflug nach Triebschen19 hatte es ihn, um den Anfang August 1877, zur Inangriffnahme der Skizzierung seiner Komposition gedrängt; aber die Besuche Liszts und Dannreuthers20 ihn zeitweilig darin unterbrochen. Eine neue Störung entstand (15. September) durch die Versammlung der Vereinsdelegierten der alten Wagnervereine zur Begründung des neuen Patronatvereines; [14] erst als sich diese, wenige Tage später, nachdem ihnen auch die Dichtung des ›Parsifal‹ aus dem Manuskript vorgetragen war,21 in alle Himmelsrichtungen zerstreut hatten, konnte die Arbeit – in der zweiten Hälfte des Monats September – wieder aufgenommen werden. Die Hauptthemen des Vorspiels, der mystische Liebesmahlspruch, mit seinem langgezogenen schwellenden Aufstieg den gesamten Aufbau des Tonstückes beherrschend, wie auch das ritterliche Glaubensthema mit seiner strahlenden Heldenkraft, und mehrere andere Motive, waren damals schon längst in seinen Skizzenblättern aufgezeichnet, und rühren zum Teil schon aus der Periode der dichterischen Ausführung seines Werkes her. Schon lange begleitete ihn dieses innerlich auf all seinen Wegen und Stegen, woraus sich denn auch seine gelegentlich getane Äußerung erklärt, der Hofgarten mit seinen verschiedenen Alleen und Gängen hänge – wie so oft die Lokalitäten seiner Spaziergänge – auf das genaueste mit seiner Komposition zusammen; die und die Straßenecke in Bayreuth stehe mit einer gewissen Modulation in seinem Vorspiel im engen Konnex.22 Nichtsdestoweniger war und blieb sein Produzieren – wie alles Schaffen des Genius – ein inneres Erfahren und Erleben, ein gleichsam passives Empfangen und Insichaufnehmen und demgemäß die völlige ungestörte Ruhe des Geistes das erste Erfordernis dafür. Wiederum war es ihm, wie schon bei früheren Werken, wenn er aus dem weiten zerstreuungsreichen Umkreis äußerer Vorgänge, Kämpfe und Erlebnisse zur Konzentration des musikalischen Schaffens zurückkehrte, wie einst in Paris beim ›fliegenden Holländer‹23 und später bei der Aufnahme der Komposition des ›Ring des Nibelungen‹,24 als ob er ›immer ganz von neuem begönne Musik zu machen‹. Am Vorabend des St. Kosmostages (27. Sept.) hatte er, zur Feier desselben, die erste Bleistiftniederschrift der Orchesterskizze des Vorspiels beendet und spielte dasselbe zu lang andauernder Ergriffenheit und Weltentrücktheit seiner – dadurch zu überraschenden – Gemahlin vor. Die feierlich ernsten Klänge, die von hier aus das ganze Werk bis in sein feinstes Geäder hinein mit dem Geiste erlösender göttlicher Liebe durchdringen, die wunderbare Mischung des Mystischen und des Ritterlichen, gelangte auf diese Weise zum ersten Male in Wahnfried zu Gehör.

[15] Seine eigentliche Arbeitszeit waren, wie stets, die Vormittagsstunden vom frühen Morgen an, nachdem er mit seiner Gemahlin in wechselnden Gesprächen und meist in glücklicher Stimmung das Frühstück eingenommen. Er begab sich allein auf sein, im oberen Stock gelegenes, Zimmer und ließ sich dann nicht leicht vor der Mittagstafel wieder sehen; es sei denn, daß eine besonders glückliche Inspiration durch die Freude, die er darüber empfand, ihn zu sofortiger Mitteilung veranlaßte. Der Morgenweckruf der Posaunen von der Gralsburg; das stumme Morgengebet Gurnemanz' und der Knappen, während das Orchester das Glaubensthema in zarten Sequenzen auf den Harmonien der As dur-Tonleiter weiterspinnt; das Leidensmotiv des siechen Königs mit dem stockenden Synkopen-Pulsschlag und dem müden wankenden Schritt; die Unterredung Gurnemanz' mit den vorauseilenden Boten; die zum erstenmal dämmernd anklingenden geheimnisvollen Harmonien des Weissagungsspruches vom ›reinen Toren‹, die stürmisch bewegten Rhythmen von Kundrys Ritt und das Erscheinen der wilden Gralsbotin: sie alle gehören in ihrer Entstehung noch den September- und Oktobertagen des Jahres 1877 an. Je ergriffener er selbst von seinem eigenen ekstatischen inneren Erleben war, desto mehr äußerte er sich darüber nur in scherzendem Ton. ›Das ist meine Rettung‹, sagte er selbst, ›daß mir die Fähigkeit gegeben war, aus dem Ernstesten heraus augenblicklich in den befreienden Unsinn umzuschlagen, so konnte ich mich von je an dem Abgrunde erhalten.‹25 So berichtete er denn über das Vorschreiten seiner Arbeit nur etwa, daß, ›Mlle Condrie‹ oder (mit Anwendung des Ausdruckes bei Chrestiens) ›die laide demoiselle‹ ihm ›zu schaffen mache‹, oder ein anderes Mal eine Stelle beim Erscheinen des Amfortas, in dem sich die richtige Wendung nicht gleich finden wollte. ›Ich wollte den dritten Takt im Zuge des Amfortas etwas dehnen, um die Rede des Gurnemanz dahinein zu passen. Kein künstlicher Einfall kann einem aber da helfen; es muß alles so klingen, als ob es so sein müßte. Jetzt aber habe ich es gefunden.‹ Und so stand nun der ganze ideale Vorgang aus sich selbst hervorgewachsen in seiner reichen Fälle da, von dem einleitenden synkopisch begleiteten Schmerzensmotiv, durch die selig stolze Weise von ›des siegreichsten Geschlechtes Herrn‹ hindurch, in deren kühnem Schwunge der volle Adel eines königlichen Heldengeschlechtes pulsiert, bis zu dem warmen sonnig milden Schimmer der ›Waldesmorgenpracht‹. Es kam vor, daß er am Morgen Kopfschmerzen hatte, sich aber im Drange des Schaffens gänzlich davon befreite: er habe sich, sagte er dann, die Kopfschmerzen ›wegkomponiert‹. Einmal war er drauf und dran, wegen einer Modulationsschwierigkeit, [16] bei der er sich selbst nicht genügen konnte, die Arbeit für den Tag aufzugeben; er nahm seinen Darwin zur Hand, um zu lesen; warf ihn dann aber plötzlich wieder weg, denn während des Lesens hatte sich alles gefunden. Und so gut war er dann im Zuge, daß er sich um die Tischzeit förmlich zum Abbrechen zwingen mußte. ›Ja, die Tonarten!‹ rief er ein anderes Mal, ›daß man sich ja hüte, nicht zu bunt zu werden!‹ Mit Strenge hielt er für seine Person an jenem – jungen Komponisten erteilten – Ratschlag fest: nie eine Tonart zu verlassen, solange als, was sie zu sagen hätten, in dieser noch zu sagen sei.26 Nachmittags pflegte er die Bleistiftskizzen des Morgens eigenhändig mit Tinte zu überziehen. Dabei kam es vor, daß, was ihm am Morgen eine gute Inspiration gedünkt hatte, zu seiner eigenen Überraschung grell erscheinen wollte: da schloß er die große Decke des Flügels, um den Schall zu dämpfen und ›fand sich wieder zurecht‹. Gelegentlich gab er des Abends am Flügel ein herrliches Thema zu einer Symphonie zum besten: er habe so viele solcher Themen; jeden Augenblick ströme ihm so etwas zu; er könne all das Wohlige aber nicht für ›Parsifal‹ brauchen.

Um diese Zeit, in den ersten Oktobertagen, trat die unwillkommene Veranlassung an ihn heran, einem dringenden Wunsch seines Verlegers zufolge, die Dichtung seines neuen großen Werkes bereits im voraus der Öffentlichkeit zu übergeben. Aus jenen schweren Biebricher und Wiener Notzeiten vor sechzehn Jahren stammten gewisse, nach der Ansicht der Schottschen Firma immer noch unerledigte Verpflichtungen gegen sie, von denen ihm kein Bruchteil geschenkt werden durfte. Am 4. Oktober 1877 hatte er daher ihren Vertreter in Person des Dr. Strecker zu eingehender mündlicher Unterredung bei sich zu empfangen, der sich bei dieser Gelegenheit sogar schon nach der Musik des ›Parsifal‹ erkundigte. Nach Alexander Ritters – in diesem Falle vielleicht nicht ganz zutreffender – Erzählung habe der Meister darauf ein paar Papierstreifen mit Skizzen gebracht: ›das sei alles Vorhandene; wenn die Firma Schott damit ein Geschäft zu machen gedenke, so stehe es zu ihrer Verfügung‹. In der Tat ist eine Vereinbarung wegen der ›Parsifal‹-Partitur erst sehr viel später getroffen worden. Damals jedoch scheint der Schottsche Abgesandte recht eifrig auf die Begleichung jener alten ›Schuld‹ gedrungen zu haben: er wünschte zu diesem Zweck die Dichtung des ›Parsifal‹, als Weihnachtsgabe für die, Freunde und Verehrer des Meisters, und – das ›Siegfried-Idyll‹. Konnte es dem Schöpfer des großen Werkes gewiß nur unlieb sein, die Wortdichtung desselben schon jetzt, wo er noch mit der Arbeit an ihrer musikalischen Ausführung beschäftigt war, der Öffentlichkeit übergeben zu sollen: so empfand es hingegen die eigentliche [17] Besitzerin des ›Idylls‹, des Meisters hochgesinnte Gattin, direkt wie einen Raub und eine Entweihung, ein so persönliches Eigen, wie jene Tondichtung, ihrem Privatbesitz entrissen zu sehen, um es mit einer fremden und lieblosen Öffentlichkeit zu teilen. Es gab an jenem Abend einen harten Kampf mit dem liebenswürdigen Vertreter der Firma Schott; ihm wurden allerlei andere Anerbietungen gemacht; anstatt des Idylls wurden Jugendkompositionen empfohlen, – vergeblich. Das edle Werk, acht Jahre lang als verborgener Schatz im Hause gehütet und nur den vertrautesten Freunden durch intime Anhörung zugänglich geworden,27 ging kaum sechs Wochen später in sorgfältiger Kopie nach Mainz ab. Das Opfer war damit unwiderruflich gebracht. Von den Empfindungen, mit denen dies geschah, gibt die ursprüngliche Fassung der zweiten Strophe des vorgedruckten Widmungsgedichtes deutlich ausgesprochene Kunde:


Es war Dein opfermutig hehrer Wille,

der meinem Werk die Werdestätte fand,

von Dir geweiht zu weltentrückter Stille,

wo es nun wuchs und kräftig uns erstand,

die Heldenwelt uns zaubernd zum Idylle,

uraltes Fern zum trauten Heimatland.

Erscholl ein Ruf da froh in meine Weisen:

›Ein Sohn ist da‹! – der mußte Siegfried heißen.

Für ihn und Dich durft' ich in Tönen danken,

wo gäb' es Liebestaten holdern Lohn? –

Doch sollt' ich jetzt wohl bangen dem Gedanken,

biet' ich das traute Lied der Welt zum Hohn?

Doch brächte mich der Feinde Furcht zum Wanken,

wie wärst Du mein, und Siegfried hieß' mein Sohn?

Kann dem ich wenig lehren und erwerben,

das Fürchten doch soll er von mir nicht erben!


Die Scheu vor der Berührung des bisher in verschwiegener häuslicher Stille gehüteten Tonwerkes mit der kalten Teilnahmlosigkeit einer frivolen Konzert- und Journalöffentlichkeit mußte bei seinem nun unrermeidlichen Heraustreten an dieselbe das erste und natürliche Gefühl sein. Dennoch, wenn es einmal preisgegeben wurde, so geschah dies ja gewiß, wie alles von ihm Ausgehende, in erster Reihe nicht für jene fremde, teilnahmlose, ja feindselige Allgemeinheit. Es war zunächst als eine Gabe an die Freunde zu denken, welchen es bisher ebenfalls verschlossen geblieben war, und die edle Frau selbst, der es ursprünglich allein gehörte, legte daher bei ihm ein Wort dafür ein, daß die zweite Strophe eine entsprechende Änderung des Wortlautes in dem bezeichneten Sinne erfahren sollte. Gern kam der Meister [18] diesem Wunsche nach. Anstatt des in der ersten Fassung noch vorwaltenden Ausdruckes der Abneigung, des verhaltenen, aber noch deutlich wahrnehmbaren Widerwillens gegen einen, nicht aus innerem Antrieb erfolgten Schritt ist nun vielmehr – in der warmen versöhnlichen Stimmung der neugedichteten Verse – die tiefere, für sein eigenes Gefühl schließlich einzig maßgebende Bedeutung der, aus äußerem Anlaß erfolgten Publikation eines so intimen Werkes für alle Zeiten festgehalten:


Für ihn und Dich durft' ich in Tönen danken, –

wie gäb' es Liebestaten hold'ren Lohn?

Sie hegten wir in unsres Hauses Schranken,

die stille Freude, die hier ward zum Ton.

Die sich uns treu erwiesen ohne Wanken,

so ›Siegfried‹ hold, wie freundlich unsrem Sohn,

mit Deiner Huld sei ihnen jetzt erschlossen,

was sonst als tönend Glück wir still genossen.


So entstand (29. November 1877) die zweite Fassung dieser Strophe, die in der Folge durch tausendfachen Abdruck bei den ungezählten Konzertaufführungen des Tonstückes, zugleich mit diesem selbst eine so weitreichende Popularität erhielt, daß dieses Widmungswort in seiner erhabenen Zartheit wohl als das bekannteste ›Gedicht‹ Richard Wagners gelten darf.

Es ist zugleich ein edles Spiegelbild der Seelenstimmung, in welcher damals die weitere musikalische Ausführung des ›Parsifal‹ in den Vormittag stunden jener Tage ununterbrochen weiter vorschritt. Der ›Parsifal‹ sei ›ein reiner Unsinn inmitten der Interessen unserer Zeit‹, meinte er einmal. ›Den »Parsifal« schreibe ich noch für meine Frau; »im Vertrauen auf den deutschen Geist« würde ich nicht mehr sagen.‹ Äußerungen dieser Art können gar nicht wörtlich und buchstäblich genug genommen werden. Während des Schaffens an diesem Werk mit seiner tiefen Seelenekstase lebte er durchaus wie auf ferner abgeschiedener Insel; mit der umgebenden Kulturwelt hatte er nichts gemein. Lesen wir doch schon in der fast dreißig Jahre früher geschriebenen ›Mitteilung an meine Freunde‹, er habe seit dem ›Tannhäuser‹ beim Produzieren das eigentliche Publikum völlig aus den Augen verloren und sich allein noch an die ›Einzelnen‹ gehalten, an die Gesinnung bestimmter, ihm bekannter und befreundeter Personen, denen er als Dichter verständlich sich mitteilen zu können meinte. Um wie viel empfindlicher in dieser Beziehung hatten ihn nun aber die seitdem gemachten unerhörten Erfahrungen von der Stumpfheit, Kälte und Schwächlichkeit seiner Zeitgenossenschaft gemacht. Abwendung von den ›sinnlosen Herden, die auf dem graslosen Schutte weiden‹, um desto inniger die ›seligen Einsamen‹ an die Brust zu schließen, die schon jetzt mit ihm ›in einem besseren Leben lebten‹, war ihm schon damals, als er jene Worte schrieb, das erhaltende Bedürfnis gewesen, ohne dessen Erfüllung er nicht hätte als Künstler schaffen können Welches Glück für ihn, [19] nun doch im vorgerückten Alter nicht mehr allein, sondern zu Zweien zu sein, die ›seligen Einsamen‹ seines Wunsches in den ihm Nächststehenden verkörpert zu sehen. Der bloße Gedanke an jene Mitwelt, nachdem sie sich ihm in ihrer abschreckendsten Nacktheit gezeigt, würde das ihm aus der Seele quellende hohe Werk in die tiefsten Tiefen seines Innern zurückgescheucht haben. Zum ersten Mal in seinem ganzen Leben schuf er ein Werk in derjenigen anhaltenden Stimmung und Seelenverfassung, nach deren Ermöglichung durch irgendeine schützende Hand es ihn von je, bei jedem seiner früheren Werke verlangt hatte, die ihm – dem Außerordentlichen, welchem des Lebens Wirren und Nöte, Mühsal und Plage kein förderndes Moment zu seiner inneren Entwickelung, zu seiner geistigen und ethischen Höhe hinzufügen konnten – von je hätte gegönnt sein sollen. Man vergleiche hierzu die traurigen, überlästigen Störungen, die ihn in der Züricher Zeit daran hinderten, seine ungeheuere ›Ring‹-Schöpfung so, wie es ihm damals vorschwebte, in einem Zuge binnen weniger Jahre, ganz erfüllt von seinem schöpferischen Dämon, unmittelbar für die Aufführung niederzuschreiben! Wie nahe daran wäre er gewesen, hätten nicht diese ›schützenden Hände‹ von überallher versagt! Die Hindernisse von außen her begannen sogleich beim ›Rheingold‹;28 türmten sich auf bei der ›Walküre‹29 und ließen nicht ab, als bis sie den schmerzlichst empfundenen klaffenden Riß nicht nur in der Ausführung seines großen Werkes, sondern auch in seinem ganzen äußeren Leben bewirkt hatten! Sein Züricher Werk, der ›Ring des Nibelungen‹, konnte dann, nachdem dieser Riß erst eingetreten war, weder in Paris, noch auf seinen Irrfahrten im deutschen Vaterlande, noch selbst in München, sondern erst in Triebschen und Bayreuth zum Abschluß gelangen.

Mit ›Parsifal‹ war es anders. Und in warmer Überschwänglichkeit durchdrang ihn das dankbar beglückte Gefühl davon. Soweit er, von unerfreulichen äußeren Eindrücken verschont, sich selbst und seiner Arbeit leben konnte, verschmolzen in seinem täglichen Dasein Leben und Schaffen, Zeit und Ewigkeit miteinander: eine Verflechtung, die uns um so lebhafter berührt, wo der Zufall uns für die Entstehung eines einzelnen Gliedes in der Kette dieser geheimnisvollen Inspirationen ein bestimmtes Datum erhalten hat. So das Datum des 13. November 1877 zu den überirdisch visionären Klängen des: ›ihm neigten sich in heilig ernster Nacht‹. War nicht Er es selbst, zu dem ›des Heilands selige Boten‹ in heilig ernster Stunde sich neigten, als diese Töne ihm im Innern erklangen? – Der Bayreuther November war nur allzureich an grauen, kalten, nebligen Tagen: sein physischer Abscheu gegen alle graue Nebelwitterung wurde aber durch die siegreiche Heiterkeit aufgehoben, von der seine Stirn täglich strahlte. Außer etwa wenn ihm,[20] dem Meister aller Meister, momentan irgendein technisches Hindernis in den Weg trat, wenn – statt der heilig erhabenen Inspiration – ein ungeduldiges Nachsinnen und Versuchen den Kontakt mit jener Zauberwelt zu unterbrechen drohte: wie bei der gleich darauf folgenden kanonischen Durchführung (zu ›der Zeugengüter höchstes Wundergut‹). Klang es dann nicht gleich, ›als ob es so sein müßte‹, so konnte ihm kein ›künstlicher Einfall‹ darüber hinweghelfen. Der Zauber dieser Klänge konnte nur aus seinem eigensten inneren Elemente sich weiterspinnen, bis zum Schluß dieses Abschnittes von Gurnemanz' Erzählung, wo sich – bei den ›Pfaden, die kein Sünder findet‹ – die auf und niedersteigenden, zart melodischen Sextengänge gleichsam suchend in den feinsten Linien ausbreiten, bis zu dem stolzen Aufschwung am Schluß: ›des Grales Wunderkräfte stärken‹. Mit welcher Befriedigung spielte er dann, nach Vollendung eines solchen Abschnittes, den ganzen Bericht von der Sendung der Engel an Titurel abends der einzigen, an Geisteshoheit ihm ebenbürtigen Zuhörerin vor, die ihm mehr war als ein ganzes Festspielhauspublikum! – Und nun stieg vor seinem inneren Gehör die dunkle Gestalt des heidnischen Zauberers mit ihrer unheimlichen Begierde auf, und es entstand die Fortführung jener Erzählung, die den Vorhang von den Ereignissen der Vergangenheit aufrollt, und die lauschenden Hörer, auf der Bühne wie im Zuschauerraum, bis zur geheimnisvollen Kündung des Verheißungsspruches geleitet. Daß dann die Wiederholung des Spruches durch die Knappen nicht mehr zu Ende kommt, daß der schwirrende Pfeilschuß des törigen Schwantöters sie mitten drin unterbrechen würde, – das hatte er nicht vorher gewußt; es war kein, womöglich schon bei Ausführung der Dichtung im voraus geplanter und beabsichtigter, von langer Hand vorbereiteter Effekt zur Einführung seines Helden: es kam ihm selbst überraschend, er mußte es erst erleben und konnte dann, immer in seiner humorvollen, jedem Pathos abholden Weise, von dem ›Einfall‹ erzählen, den er heute gehabt, gerade auf dem Worte ›Tor‹ den Pfeil des Toren von der Sehne schnellen zu lassen. Dann kamen eine Reihe von üblen Tagen und besonders üblen Nächten und dadurch verursachten Stockungen, bis er eines Tages wieder in Zug geriet und von der ›schönen Melange‹ sprach, die er heute gemacht: Amfortas' Thema, Herzeleidens Motiv und dem Schwanmotiv aus ›Lohengrin‹ in dem Augenblicke, da die Knappen den Schwan forttragen. ...

Ein Wort über seine Gesundheitsverhältnisse in dieser Zeit des Schaffens an seinem erhabensten Werke ist hier am Platze. Bereits ward von uns betont, wie sehr er nach allen schonungslosen Spannungen und Erregungen der letzten Jahre endlich der ersehnten Ruhe genoß, und wie er allen Störungen derselben von außen her abhold sein mußte. Aber seine elastisch stählerne Natur hatte zu viel ertragen müssen, zu viel für die fünfundsechzig [21] Jahre seines Lebens voll Katastrophen und reformatorischer Kämpfe, um nicht auf das empfindlichste durch alle großen und kleinen Hemmungen und Unzulänglichkeiten geschädigt zu sein; um so mehr, als er jahrelang durch die Vorbereitungen für sein großes Unternehmen an jeder Brunnenkur oder sonstigen methodischen Pflege dauernd verhindert worden war. In erster Reihe war es sein altes, noch aus den frühesten Pariser Notjahren herrührendes hartnäckiges Unterleibsleiden, das ihn durch alle Phasen seines wechselreichen Daseins fast unausgesetzt gequält: Trägheit oder zeitweiliges völliges Ausbleiben der Unterleibsfunktionen, infolgedessen fortgesetzte Anschwellung und Aufgetriebenheit durch massenhafte Gasentwicklung.30 Die hierdurch bewirkte mechanische Beengung des Brustraumes von unten herauf, wie andererseits Reflexe von den Magen- auf die Herznerven, übten ihren nachteiligen Einfluß auf die Herztätigkeit aus und entlockten ihm (24. Oktober) durch die entsprechenden Belästigungen den trüben Ausruf: ›wenn ich nur kein Herzleiden habe!‹ Keine einzige der mehrfachen ärztlichen Untersuchungen wollte nun zwar von einem derartigen Leiden etwas wissen; immer hieß es: seine Organe wären ganz gesund Trotzdem machten sich – besonders in den Nächten – gewisse beunruhigende krampfhafte Erscheinungen geltend. Gegen die aus diesem Zustand resultierenden mannigfachen Beschwerden suchte er sich, da alle anderen Mittel versagten, nach alter Gewohnheit durch weit ausgedehnte Spaziergänge zu helfen und die, selbst in der rauheren Jahreszeit immer noch reizvoll anmutige landschaftliche Umgebung von Bayreuth bot ihm nach allen Richtungen dazu Gelegenheit. Bald allein, bald in Begleitung seiner Gemahlin, führten ihn diese Wege nach Konnersreuth, ins ›Studentenwäldchen‹ – auf dem Wege zum Sophienberg- oder an andere auch in später Herbstzeit noch überaus liebliche Punkte. Doch war ihm bei diesen altgewohnten Ausgängen gerade in diesem Herbst und Winter ein rheumatisches Fußleiden hinderlich, das ihm am rechten Fuß, besonders aber an dessen großem Zeh, bei jedem Schritt empfindliche Schmerzen verursachte. Ungefähr gegen Ende August stellte sich dieser Zustand ein31 und hielt mit kurzen Unterbrechungen, wo es sich zu bessern schien, bis in das Frühjahr an: entweder er konnte sich die ihm so nötige Bewegung gar nicht, oder nur in dem an sein Terrain angrenzenden Hofgarten machen;32 oder endlich: er [22] erzwang weitere Gänge, fühlte sich danach aber nicht wohl oder hatte stärkere Schmerzen. Begleiteten ihn dabei seine drei Hunde, so freute er sich daran, auch ihnen eine freiere Motion, außerhalb der Grenzen seines Gartens, zu gönnen; andererseits zogen sie ihm durch mancherlei improvisierte Jagd auf alles Lebende, Katzen, Enten, Hühner, Schafe, Kinder, allerlei Verdruß und Unannehmlichkeiten zu. Dazu blieb das Wetter auch den ganzen Dezember hindurch finster und feucht, naß und neblig. Ihn im Beginn seiner großen Arbeit durch körperliche Leiden so gehemmt zu sehen, mußte vor allem die sorgende Liebe seines edlen Schutzgeistes schmerzlich betrüben. War auf diese oder ähnliche Art wiederum eine Nacht recht übel und unter vielen Störungen verlaufen, so drängte es sie wohl, den freundlichen Hausarzt Dr. Landgraf zu Rate zu ziehen, der dann aber, wie schon seit Jahren und in den schwersten Zeiten, ohne eigentliche Befürchtung war und nur die glänzend angelegte Konstitution des Meisters rühmte, die über alle Anfälle und Zufälle den Sieg davontrug. Dieser selbst vor allem suchte, mit Ausnahme weniger Tage einer wirklichen Depression, mit gutem Mut immer nur zu beruhigen: ›er sei jetzt nur Behagen, die kleinen Störungen täten ihm nichts‹. Und ein anderes Mal sagte er: ›Wir leben jetzt wie die Götter‹, trotzdem seine Nachtruhe wieder durch solche ›Störungen‹ empfindlich geschmälert worden war. Auf die Bitte seiner Gattin unterbrach er dann wohl dazwischen seine Arbeit auf kurze Zeit, war aber doch nach einigen Tagen wieder damit beschäftigt.

Zu den Freuden dieses einzigartigen häuslichen Daseins gehörte in hervorragendem Maße das unerschöpflich sich erneuernde Wohlgefallen an der heranwachsenden, rosig blühenden und gedeihenden Jugend seines Hauses, der vier durch je zweijährige Altersabstufungen mehr verbundenen als getrennten Mädchen, und seines Sohnes, der ihm durch seine – immerhin zarte – Gesundheit und rege geistige Entwickelung die lebendig gestaltete, Fortführung seines eigenen Daseins in eine ferne unbekannte Zukunft hinein verkörperte ›Mein Sohn!! Oh, was mir das sagt!‹ hatte er brieflich über ihn ausgerufen. ›Das endlich ward mir zuteil!‹ Gern ließ er sich von ihm auf mancherlei Ausgängen begleiten; so nahm er ihn z.B. mit sich, wenn er Feustel besuchte, um mit ihm die allgemeine und persönliche Lage zu besprechen, oder bediente sich seiner als zuverlässigen Boten und mündlichen Ausrichter seiner Wünsche oder Aufträge an den trefflichen Freund. Auf seine Erziehung und richtige Anleitung zur edlen Entwickelung seiner körperlichen und geistigen Fähigkeiten war die ganze väterliche Aufmerksamkeit [23] gerichtet Ganz wie es ihm selbst einst in der eigenen Kinderzeit begegnet war, sah er ihn in vorwiegend weiblicher Umgebung, nämlich der seiner älteren Schwestern. Die vorwiegende Zartheit aller höherorganisierten Naturen fand in diesem Verhältnis eine allzu einseitige Nahrung. Wie gern hätte er ihm einen entsprechenden Knabenumgang verschafft; doch hatte dies seine nicht unerheblichen Schwierigkeiten. Der erste Versuch zu einer solchen künstlich herangezogenen Knabenfreundschaft wurde gemacht, aber nicht mit Glück. Im Anschluß daran, daß er dem Achtjährigen soeben die Geschichte von Wilhelm Tell erzählt hatte, brachte er sowohl ihm, wie seinem Freunde je eine kleine Armbrust mit, um sich damit im Zielschießen zu üben. Auch sonst wandte er dem Spielgefährten seine Aufmerksamkeit zu. Zu einer wirklichen moralischen und geistigen Beeinflussung des fremden Elementes kam es indessen nicht; im Laufe von nur zwei Monaten erwies es sich als unassimilierbar und sein Einfluß nur als nachteilig. So blieb der Knabe einstweilen auf seine Schwestern angewiesen. Mit ihnen vereinigte er sich zu gemeinschaftlichen improvisierten häuslichen Märchenaufführungen. Bei einer solchen Aufführung des ›Aschenputtels‹ (Anfang Dezember 1877) spielte der künftige Dichter von ›Lene‹ und ›Gunda‹ in erheiterndster Weise eine der bösen Schwestern.

Viel lag dem Meister daran, seinem Sohne am Ort einen passenden Lehrer zu verschaffen; auch hiermit wurde gegen Ende des Jahres ein erster Versuch gemacht. Der Lehrer kam: nun hieß es ernst und abstrakt werden. Aber auch für diese allerschwierigste, einzig dastehende Aufgabe einer Mithilfe an der Erziehung des Meistersohnes war der rechte Mann schwer zu finden. Gern hätte er einen solchen seines Umganges gewürdigt und ihn näher an sich herangezogen: es fehlten dafür aber alle nötigen Vorbedingungen, vor allem die unerläßliche geistige Freiheit. Wer andere als Erzieher ›befreien‹, dem bloßen Wissensstoff das erdrückend Lastende nehmen will, muß zuvor selbst zu dieser Freiheit gelangt und in seiner Person dafür ein lebendes Vorbild sein. Eines Abends ließ er diesen Lehrer zum Zweck einiger geistiger Berührung zu sich kommen, um sich in ungezwungener Unterhaltung mit ihm zu ergehen, fand aber zu seinem Bedauern, daß dessen Horizont in keiner Weise über den Kreis des ›Seminars‹ hinausging. Hier war vor allem der Erzieher selbst erst zu erziehen; eine Aufgabe, die der Meister immerhin vielleicht weniger beschwerlich als erfreulich gefunden haben würde, wären die Vorbedingungen dafür in dessen vorhandenen Bildungsanfängen nur halbwegs gegeben gewesen. So jedoch war für den hohen Zweck wenig mit ihm auszurichten, und der Unterricht des Knaben fiel sehr bald wieder ausschließlich der Mutter zu. Neben der geistigen Ausbildung wurde die körperliche nie vernachlässigt, und mit dem Eintritt des ersten heiteren Winterwetters begannen die täglichen Übungen im Schlittschuhlauf auf dem großen Teich [24] des Hofgartens, bei denen ›Fidi‹, wie schon in früheren Wintern, sehr bald seine ungewöhnliche Gewandtheit zeigte. Diesen Übungen wohnte der Meister mit seiner Gemahlin oft auf ihren gemeinsamen Spaziergängen als Zuschauer bei, in väterlicher Freude an seinem verjüngten Abbilde. Seinen kindlichen, durch Humor und freimütige Originalität sich charakterisierenden Äußerungen wandte er stets eine auszeichnende Beachtung zu, und wechselsweise sagte er von ihm, wenn er sein Auge mit früherwachtem Verständnis der Bedeutung seines großen Vaters auf sich ruhen sah: ›Fidi blickt mich an, wie Parsifal den Gral, erstaunt ahnungsvoll.‹

Von den jungen Musikern der ›Nibelungenkanzlei‹, die sich nach Erledigung ihrer Aufgaben allmählich nach allen Richtungen hin zerstreut hatten, war nur noch Anton Seidl als treuer Hausgenosse, persönlicher Adlatus des Meisters und Mitglied der Familie übrig geblieben.33 Wir erinnern uns, in welch väterlich warmem Tone der Meister sich bei jedem Anlaß über seinen ›guten Seidl‹ äußerte ›ich glaube nicht, daß es viele solche wie ihn gibt‹.34 Den jungen, damals 27 jährigen Deutsch-Ungarn mit den ernst und edel geschnittenen Gesichtszügen, der für schweigsam gelten konnte, weil er nie ein Wort zu viel sprach, hatte sein Weg früh in den Bayreuther Kreis geführt – ›an das Herz des Meisters, der ihn liebte, von dem er die Ausstrahlung lebendiger Kraft demütig-inbrünstigen Sinnes empfing‹. Er durfte der Entstehung des ›Parsifal‹ in nächster Nähe folgen, die ersten musikalischen Niederschriften mit eigner Hand nachzeichnen, die ersten Weisungen und Andeutungen darüber vernehmen und unbewußt sich verwachsen fühlen mit dem ihm so Vertrauten, Anvertrauten. ›Unabhängigkeit, Schlichtheit, Stolz, Wahrhaftigkeit, Uneigennützigkeit, grenzenlose Freigebigkeit und Wucht der verschlossenen Leidenschaft‹ werden uns als die Hauptzüge seines Charakters aufgeführt. ›Seine stark ausgeprägte Sitte entsprang einzig dem Zug des Herzens. Der Wahrhaftigkeit seiner Natur entsprach seine Verachtung alles Scheinwesens. Nichts noch so Glänzendes konnte ihn einen Augenblick täuschen, was diesem Scheinwesen angehörte. Seine Unbekümmertheit um Ansehen und Wohlstand konnte den Anschein von Lässigkeit annehmen. Wer die Tiefe seiner Natur nicht kannte, mußte dadurch irregeführt werden, und es hat ihm diese Eigenheit die Ermahnungen des um ihn liebend besorgten Meisters zugeführt. »Es gibt gute und schlechte Menschen«, pflegte der Meister zu sagen; Anton Seidl war ein guter, in dem vollen Umfang des Wortes.‹35 In Bayreuth dirigierte er, zur Übung in dieser Tätigkeit, die Dilettantenkapelle, mit welcher er u.a. das ›Liebesmahl der Apostel‹ aufführte. Der Meister wohnte ausnahmsweise zu wiederholten Malen diesen Aufführungen [25] bei; denn es stellte sich sofort bei seinem ersten Auftreten als Orchesterleiter heraus, daß Seidl das angeborene Dirigententalent zu eigen war. Kurz vor den Festspielen hatte er ihn (in einem Briefe vom 18. Juni 1876 an Dr. Strecker) für die vakante Stelle eines Theaterkapellmeisters in Mainz empfohlen.36 Die Väter der Stadt Mainz beachteten diese Empfehlung nicht. Somit blieb er dem Hause Wahnfried einstweilen noch erhalten, obwohl der Meister weit davon entfernt war, ihn zu Ungunsten seiner Entwickelung als praktischer Musiker dauernd an seine Person fesseln zu wollen.

Bereits haben wir in einem vorausblickenden früheren Abschnitt unserer Erzählung den Eintritt einer anderen Persönlichkeit in den Kreis von ›Wahnfried‹ vorweggenommen, eines neuen, edel wertvollen und gediegenen Elementes, das vom ersten Augenblick seines Eintrittes in diesen Kreis bis in fernste Zeiten dem verehrten Hause eng zugehörig und ergeben blieb. Dies war der damals kaum dreißigjährige junge Freund und Verehrer des Meisters, Freiherr Hans Paul von Wolzogen, der – nach vorheriger mündlicher und schriftlicher Vereinbarung – pünktlich um die Mitte Oktober 1877 in Bayreuth eintraf, um nicht mehr, wie bei früheren Besuchen, als Gast, sondern für zeitlebens daselbst sich niederzulassen und seine geistige und moralische Kraft, seine reichen Kenntnisse und seine feinsinnig zarte Naturanlage uneingeschränkt in den Dienst der großen Sache zu stellen. Sein ganzes nachmaliges Dasein und Wirken legt davon Zeugnis ab, mit welchem feurigen Ernst, mit welcher Vasallentreue er das gehalten, was er durch den Akt dieser Übersiedelung verhieß. Wenn der Meister diesen seinen ›Hans‹ (den dritten dieses Namens, der seit Bülow und Richter ihm als Schüler nahegetreten) mit jener ihm eigenen Mischung von Scherz und Feierlichkeit auch in brieflichen Anreden gern seinen ›Johannes‹ nannte: so hatte diese Benennung nach dem Lieblingsjünger des Herrn gerade bei ihm, dem so reich und vielseitig ausgestatteten, durch sein ernstes tiefes Wesen zu seiner edlen Aufgabe Prädestinierten, rastlos und unermüdlich tätigen Apostel des Bayreuther Gedankens ihren vollen Sinn. Im Gegensatz zu jenem, in fanatisch rhetorischer Leidenschaftlichkeit aufflackernden und dann doch wieder – im machtlosen Zurücksinken in sein unzureichendes eitles Selbst – sich innerlich zernagenden und auflösenden Wesen eines Nietzsche, traf er in dieser einfach vornehmen Natur, mit ihrem schlichten ›Ja‹ und ›Nein‹, auf ein ernstes Seelenbedürfnis, einer großen deutschen Kulturidee sich ausharrend zu widmen und in echt germanischer [26] Gefolgstreue sich in diesem aus eigner Wahl übernommenen Dienstverhältnis als wahrhaft Freier zu beweisen. Gewiß gehörte zu seinem nun gefaßten Entschluß die volle Liebe zum Meister, eine felsenfeste Überzeugung von der Heiligkeit des von ihm erwählten Berufes, vor allem aber die Voraussetzung dafür, die innere moralische Befähigung für eine solche Entscheidung. Den nicht zu unterschätzenden Vorzug persönlicher Unabhängigkeit teilte er mit vielen seiner Alters- und Standesgenossen; dennoch war er unter ihnen allen der Einzige, den es in Wahrheit dazu drängte, dieser Unabhängigkeit zu einer derartig bedeutsamen Niederlassung in unmittelbarer Nähe des Meisters sich zu bedienen, um den unter den damaligen Verhältnissen eine ganze Kolonie junger strebender Geister sich hätte ansiedeln können, um sich von ihm zu den höchsten geistigen Aufgaben bilden und erziehen zu lassen.

Wir müssen hier auf die beiden Ideen zurückkommen, die den Meister, bereits seit seinem ersten Eintritt in München und nun wieder, nach dem Verrauschen der ersten großen Bayreuther Festspieltat, anhaltend als zwei von ihm zu erfüllende Pflichten beherrschten: den Plan einer Stil- und Vortragsschule für seine Künstler, Sänger und Musiker, und andererseits die Begründung einer unter seiner Oberleitung zu redigierenden Zeitschrift, zunächst als das Organ dieser Schule gedacht. Mit völliger Blindheit gegen das große Pflichtbewußtsein in seiner Natur, das ihn jederzeit aus innerem Zwange bei allen seinen Betätigungen antrieb, hat man – in unglaublicher Verkennung seines Wesens – ihm die Eigenheiten eines ›großen Agitators‹ zuerkennen wollen, dem die praktische oder literarische Vertretung seiner reformatorischen Idee und ihre jedesmalige Anpassung an die besonderen Umstände eine persönliche Genugtuung bereitete. Nichts lag ihm von jeher ferner, als alles ›Agitatorische‹, – wie befriedigt wäre er gewesen, wenn andere für ihn und an seiner Statt das getan, gelehrt und ausgeführt hätten, was er der Welt zum Verständnis seines Wollens, seiner Ziele zu sagen und zu lehren hatte! Überall und immer wollte er nur andern die Wege weisen, auf denen sie selbsttätig seiner Kulturidee ihre Kräfte weihen konnten. Er sah diese Wege klar und deutlich vor Augen, sollten sie unbeschritten bleiben, weil jenen andern der Blick dafür nicht geöffnet war? Dazu hatte er in seinen Taten und Lehren reichlich genug das Beispiel gegeben, um endlich des Redens und Schreibens darüber überhoben zu sein. Und vollends jetzt nahm das Verlangen nach Ruhe und Befreitsein von jedem Wirken nach außen hin ihn so völlig ein, daß es keinen Wunsch nach fernerer Berührung mit der äußeren Welt in ihm aufkommen ließ. Hätte die Mitwelt, an die er zur Verwirklichung beider Gedanken appellierte, ihm gerade jetzt, mit allzugroßer Verspätung, seinen Wunsch erfüllt, fast wäre diese Erfüllung ihm ungelegen gekommen. ›Schule‹ und ›Schurnal‹, wie er ironisch scherzend alliterierte, wären ihm bei der jetzt so nötigen Konzentration auf sein großes Werk beinahe zur Not und[27] Plage geworden. Und dennoch sehen wir ihn, nachdem er den Gedanken seiner ›Schule‹ einmal wieder ins Auge gefaßt, mit allem Ernst bemüht, ihn, zugleich mit der Begründung der Zeitschrift, nach allen Richtungen sicher zu fundamentieren und keine Anstrengung für seine Verwirklichung zu scheuen.

›Bayreuth könnte‹, so hatte er noch im vorigen Sommer, von Ems aus, an Feustel geschrieben, ›nur noch reüssieren, wenn mein Gedanke einer musikalisch-dramatischen Hochschule durchgeführt würde, so daß es zu bedeutenden Ansiedelungen daselbst führte. Die Stadt selbst, die so große Vorteile davon erwarten dürfte, könnte sich am Ende an den König, die Stände usw. mit einer Petition wenden.‹ Kaum nach Bayreuth zurückgekehrt, wandte er sich in summarischer Darlegung seiner Absicht zunächst an diejenigen Künstler, deren Mitwirkung ihm für seine Sache unerläßlich erschien. Seine Einladung an August Wilhelmj (vom 5. August) haben wir schon im vorigen Bande in ihrem vollen, kurz und bündigen, Wortlaut mitgeteilt: ›Ich trage mich mit dem Gedanken, den jungen Leuten, ehe ich sterbe, noch etwas zu lehren: namentlich Tempo – d.h. Vortrag. Können Sie namentlich für Quartettspiel und überhaupt höheren thematisierten Vortrag mir vom 1. Januar bis 30. April Ihre Assistenz hier in Bayreuth zusichern? Wie viel verlangen Sie dafür?‹37 Die Antwort verzögerte sich, infolge einer heftigen Unterleibsentzündung des Adressaten, mit nachfolgender nervöser Schwäche;38 überzeugt davon, daß es sich doch auch bei ihm im wesentlichen um die Aufregungen und Verstimmungen durch das verfehlte Londoner Unternehmen handelte, empfahl er Wilhelmj mit warmem Nachdruck eine Wasserkur in Gräfenberg, fest überzeugt, daß dessen sonst kräftige Konstitution die ihr nötige völlige Erneuerung binnen weniger Monate gewonnen haben werde. Leider konnte sich der treffliche Künstler nicht von London losmachen. Als eine weitere unentbehrliche Kraft mußte ihm der ausgezeichnete, von ihm so hochgehaltene Gesanglehrer Prof. Julius Hey in München gelten. Er legte seinen Schulplan in ausführlicher Mitteilung seinem königlichen Freunde dar, wandte sich in Heys Angelegenheiten auch an den Kabinettsekretär Hofrat Düfflipp, schrieb an Klindworth mit dem Wunsch, ihn für Bayreuth zu gewinnen, und verfaßte seinen historischen ›Aufruf‹ in Sachen des Schulunternehmens;39 dies alles bereits während der Wiederaufnahme seiner Arbeit am ›Parsifal‹-Vorspiel. Es gab Konferenzen mit Feustel und dem Bürgermeister Muncker; vergleichende Besichtigung der vorhandenen, für einstweilige Benutzung zu Schulzwecken tauglichen Lokale, und wieder Korrespondenzen auf Korrespondenzen. Klindworth, an dessen Mitwirkung dem Meister so viel gelegen gewesen wäre, erklärte bestimmt sich aus seiner Stellung am Moskauer Konservatorium [28] nicht loslösen zu können; von seiten des trefflichen Hey, welchem die Oberleitung des gesanglichen Teils zugedacht war, ging ihm eine so komplizierte Aufstellung der voraussichtlichen Kosten für seine Niederlassung am neuen Bestimmungsort ein, daß er beim Anblick der aneinandergereihten kurzen Zeilen zuerst den Eindruck hatte, der gewissenhafte Verfasser dieses merkwürdigen Dokumentes habe ›ein Gedicht auf ihn gemacht‹.40 Von Schüleranmeldungen dagegen eine ganz verschwindende Zahl; höchstens begegnete es ihm bei einem spätherbstlichen Spaziergang im Hofgarten von einer jungen Sängerin als Kandidatin für die Bayreuther Schule angehalten zu werden und sich im Lauf des Abends von ihr das ›Gebet der Elisabeth‹ vortragen lassen zu müssen! Darüber waren die Monate Oktober und November vergangen; der Dezember kam heran und es schien beinahe ›ein Unsinn‹, dem halben Dutzend junger Künstler, die sich gemeldet hatten, nicht abzusagen. Von seiner Seite hatte es nun wahrlich an nichts gefehlt, um auch diesen Gedanken an seinem späten Lebensabend noch zu verwirklichen. Sogar das vorläufige Ausbleiben der Mittel würde ihn nicht abgeschreckt haben, den Versuch auch mit Lücken im Lehrer- und Schülerpersonale dennoch zu unternehmen; und die trefflichen Bayreuther Freunde, Feustel und der Bürgermeister, waren schließlich fast überrascht und enttäuscht durch sein Aufgeben des Planes; sie hätten, solange er selbst sich nicht im entgegengesetzten Sinne entschied, den Mut nicht verloren, es mit der Durchführung desselben, aus den kleinsten Anfängen heraus, zu wagen. In der Tat wurde bei der am 7. Dezember stattfindenden Zusammenkunft im Feustelschen Hause zunächst formell nur eine Vertagung des Unternehmens festgestellt. In des Meisters Innerem stand es aber doch bereits damals anders und bei dem zwei Tage früher stattgefundenen Besuch Richard Pohls41 war nur von einem ›Aufgeben‹ der Schule die Rede gewesen: alle Tätigkeit der weithin zerstreuten Freunde und Verehrer sei jetzt einzig auf eine Organisation des ›Patronatvereins‹ und die Gewinnung der materiellen Grundlagen für eine Aufführung des ›Parsifal‹ zu richten. ›Gerade daß unsere Kräfte jetzt im Wachsen begriffen sind, gibt es mir ein, voreilige Versuche, denen noch kein dauernder Erfolg zugesprochen werden kann, fernzuhalten.‹ Und selbst die Begründung der ›Bayreuther Blätter‹ ging schließlich, nachdem der Schulplan nebst den damit verbundenen Ansiedelungsprojekten einmal beiseite getreten war, hauptsächlich im Hinblick auf den Umstand vor sich, daß ein so werter junger Freund eigens zu dem Zweck ihrer Herausgabe seine Niederlassung in Bayreuth beschlossen und durchgesetzt hatte. Er fühlte sich diesem gegenüber nun auch verpflichtet, ihm eine seinen Erwartungen [29] entsprechende Tätigkeit anzuweisen; nicht aber konnte es ihn nach den vorausgegangenen Erfahrungen reizen, aus irgendwelchem eigenen Antrieb etwas nach außen hin zu unternehmen und gewiß am allerwenigsten die Herausgabe einer Zeitschrift.

Die Niederlassung Wolzogens in Bayreuth, in unmittelbarer Nähe des Meisters, war zu dem bestimmten Zwecke der Begründung der ›Bayreuther Blätter‹ erfolgt, diese selbst aber anfangs lediglich als Organ der Bayreuther Schule gedacht. Die Besorgung ihrer Redaktion hatte er nach dem ursprünglichen Plane mit Richard Pohl gemeinschaftlich auf sich nehmen sollen, dessen Übersiedelung nach Bayreuth ebenso wie diejenige Liszts, Wilhelmjs, Heys ins Auge gefaßt war. Mit dem Aufgeben des Schulplanes hatten sich demnach die Aspekten der Zeitschrift wesentlich geändert. ›So befand ich mich plötzlich‹, schildert Wolzogen selbst seine damalige Situation, ›in der merkwürdigsten, gar nicht vorausgesehenen Lage. Mir allein war es möglich gewesen, als ein freier Mann, sofort auf des Meisters Ruf nach Bayreuth mich zu begeben. Aber wenn ich dabei die bestimmte Aussicht auf die Blätter schon ins Auge fassen durfte, so war ich doch immer nur von der sicheren Voraussetzung ausgegangen, daß mir bei der zu erwartenden neuen Tätigkeit die ratende Autorität des altgeübten Freundes aus Baden-Baden nahe zur Seite stehen würde. Nun stand ich ganz allein auf dem Plan. Das bedrückte mich wohl im Beginn ein wenig, aber mehr noch das Gefühl, wie schmerzlich es dem vielbewährten Freunde Pohl sein müßte, jetzt, da unser Gedanke in Bayreuth selbst zur Ausführung kam, aus leidigen äußeren Gründen ferne bleiben und das gemeinsame Werk einem so viel Jüngeren auf gut Glück überlassen zu müssen. Dieses »auf gut Glück«, womit ich in mein Bayreuther Amt eintrat, erwies sich mir nun aber wahrlich als ein gutes Glück, ja, als das beste Glück, das nur als eine Gabe von Oben dem Menschenkinde zuteil wird. Ich rede hier nicht weiter von dem Unsagbaren, das im Dasein und Nahsein der Persönlichkeit beruht‹ usw.42 Von diesem ›Dasein und Nahsein‹ der schöpferischen Persönlichkeit und seinem mehrjährigen ununterbrochenen Verkehr mit dem Meister dagegen hat der, eines so großen Vorzugs durch sein Schicksal gewürdigte Jünger in seinen ›Erinnerungen‹43 ein so reiches und mannigfaltiges Zeugnis abgelegt, daß wir im Verlauf unserer Darstellung immer wieder darauf zurückkommen müssen.44

[30] Sogleich nach seiner Ankunft hatte der treue Jünger nach einer Interimswohnung Umschau gehalten, die ihm – bis zur Errichtung eines eigenen Domizils in unmittelbarer Nähe von Wahnfried – ein angemessenes Unterkommen gewähren sollte. Unter den in Bayreuth damals noch herrschenden Mietwohnungsverhältnissen war dies indes keine so leichte Sache. Es gab nämlich einer althergebrachten Sitte gemäß nur zwei Um- und Einzugstermine, von denen der eine in das Frühjahr, der andere in den Herbst fiel, und letzterer war zur Zeit seines Eintreffens bereits überschritten. So geschah es, daß er mit seiner, vierzehn Tage nach ihm eintreffenden jungen Frau ein volles Vierteljahr hindurch der gern gesehene Hausgenosse von Wahnfried blieb und des hohen Glückes genoß, in nächster Nähe des Meisters in dem kleinen Gartenhäuschen zu weilen, ›wo heute Siegfried Wagners Villa steht und damals Anton Seidl als fleißiger Kopist die eben fertigen Stücke der neuen Schöpfung aus den drei Systemen der Skizze in eine spielbare Form übertrug‹,45 – am täglichen Zusammensein der Familie, ihren Mahlzeiten und abendlichen Unterhaltungen teilzunehmen. Zu den letzteren gehörte in weitausgedehntem Maßstabe Lektüre und Musik. In bezug auf die erstere hatte es der Meister bei seinem ausgesprochenen Bedürfnis nach dem edelsten geistigen Verkehr von jeher so gehalten, wie er es in einem seiner Briefe ausspricht: ›völlige Muße zu guter Lektüre ist das einzige Gut, wonach man nicht genug streben kann‹: sie ›in reichem Maße zu genießen‹ erklärt er an derselben Stelle für die ›größte Gunst des Schicksals‹. In den Zeiten seiner völligen Vereinsamung unter fremden Verhältnissen, ohne sympathische Umgebung, war ihm Lektüre ein Trost und eine Ablenkung gewesen: ›der Umgang mit lebenden Menschen‹, klagte er da, ›kostet immer mehr, als er einbringt: man setzt da – meistens – immer zu. Das Buch eines edlen Geistes aber ist der kostbarste Freund, den man haben kann. Hier schweigt alles aufregende Inte resse: die Stimme eines Abgeschiedenen, Vollendeten, ruft uns Ruhe zu‹.46 In bezug auf die Auswahl dieser Lektüre galt ein für allemal der Grundsatz: ›man soll durchaus immer nur mit dem Edelsten umgehen; alles übrige ist Erniedrigung, und tausendfach abgeschwächte Ableitung vom Urquell‹.47 In der Triebschener Zeit war in den Abendstunden durch alle Jahreszeiten hindurch regelmäßige gemeinsame Lektüre gepflegt worden: Homer, Plato, Shakespeare, Dante, Spanier und Inder wechselten da miteinander, und das jetzt sich erneuende ›Triebschen‹ hielt an der bewährten Gewohnheit fest. Zu manchem alten Freunde wurde nach jahrelanger Zwischenzeit wieder zurückgekehrt: in den Wintermonaten auf 1878 war es – [31] vielleicht mit Beziehung auf Klingsors arabische Umgebung – u.a. Dozys ›Geschichte der Araber‹ (in der Übersetzung des Grafen Baudissin), die er zu abendlicher Lektüre gern wieder einmal vornahm und die wegen ihres Umfanges von Anfang Dezember bis gegen Ende Januar vorhielt. Doch fand er, wie er während des Lesens wiederholt aussprach, bei dieser erneuten Beschäftigung das Vergnügen nicht wieder, das er einst, bei der ersten Lektüre, daran gefunden hatte. Der Grund, weshalb es ihm in mehr als diesem einen Falle so ging, lag in seiner eigenen Produktivität beim Lesen: dieses klare, alles durchdringende Dichterauge sah nicht bloß der Natur, sondern auch den Büchern tiefer ins Herz als andere Augen; dazu aber arbeitete seine Phantasie, einmal angeregt, mit einer so unerhörten Intensität, daß er unwillkürlich den empfangenen lebhaften Eindruck dem Verdienste des Autors zu verdanken glaubte und bei der Wiederaufnahme eines solchen Buches ganz erstaunt war, das ursprüngliche kräftig farbenreiche Bild nicht mehr darin wiederzufinden.48 Um aber eine Anschauung davon zu gewinnen, wie in Wahnfried gelesen wurde, muß man sich vergegenwärtigen, was alles in eine solche Lektüre sich episodisch einschaltete. Unmöglich nämlich konnte ein einzelner Autor während einer mehrmonatigen Periode ganz allein die Aufmerksamkeit für sich in Anspruch nehmen, wenn auch noch so regelmäßig zu ihm zurückgekehrt wurde. Dazu blickte die ganze reiche Bibliothek von Wahnfried in jedem Augenblick zu einladend von den Wänden des großen Saales herab; auch wechselten Stimmungen und Bedürfnisse. Von seiner eigenen Lektüre Darwins (›Abstammung des Menschen‹) war bereits die Rede; sie diente ihm in manchen üblen Nächten, in denen der Schlaf sein Lager floh und ihm seine heilenden Wohltaten versagte, und beschäftigte ihn sogar in den frühen Morgenstunden als eine fördernde Unterbrechung seiner Arbeit (S. 17). ›Ein redlich forschender, sorgfältig züchtender und wahrhaftig vergleichender, wissenschaftlicher Tierfreund‹, so sagt er von ihm, ›legte er uns die Lehren verschollener Urweisheit wieder offen, nach welchen in den Tieren das Gleiche atmet, was uns das Leben gibt, ja daß wir unzweifelhaft von ihnen selbst abstammen. Diese Erkenntnis dürfte uns, im Geiste unseres glaubenslosen Jahrhunderts, am sichersten dazu anleiten, unser Verhältnis zu den Tieren in einem unfehlbar richtigen Sinne zu würdigen, da wir vielleicht nur auf diesem Wege wieder zu einer wahrhaften Religion, zu der, vom Erlöser uns gelehrten und durch sein Beispiel bekräftigten, der Menschenliebe gelangen möchten.‹49 Aus der gemeinsamen Abendlektüre sind wir in der glücklichen Lage, von Mitte Oktober an eine ganze bunte Folge der mannigfachsten Beschäftigungen festzuhalten, [32] wie sie dem jedesmaligen Augenblicksbedürfnis entsprechend sich aneinanderreihten, und die geheimnisvolle Wünschelrute des Genius leitete ihn dabei stets zu den rechten Fundorten Bald war es Calderon mit der geistvollen Zartheit seines ›lauten Geheimnisses‹, bald einige der funkensprühenden Intermezzi des Cervantes, oder etwa ein Stück des Alarcon,50 dem dieser auserlesene enge Kreis, mit dem Schöpfer des ›Parsifal‹ als Mittelpunkt, seine Aufmerksamkeit lieh; bald Demosthenes mit der zündenden Kraft seiner olynthischen Reden, von denen an einem Abend zwei nacheinander vernommen wurden; bald wiederum die kunstlosen, leider oft auch allzu poesieentblößten naiven Erzählungen des Pfaffen Lamprecht in seinem ›Alexanderliede‹, zu dessen Wahl vielleicht die Blumenmädchen-Episode den Anlaß gegeben hatte. Immer aber war es eine neue, wechselnde, andere Welt, in die man, wie in ein geistiges Bad, zur Erfrischung eintrat, und diese wechselnde, jedesmal neue Welt immer wieder in seiner klaren, plastischen Weise von dem Meister als scharf umrissenes Bild für die Aufnahmefähigkeit der Anwesenden in einen Satz zusammengefaßt und mit einem hellen Lichtschein beleuchtet. Über die Poesie des Mittelalters fiel so manches bedeutende Wort; über Wolfram und Gottfried äußerte er bei solcher Gelegenheit: die Einleitungen ihrer beiden großen Gedichte, die Liebestragödien von Blancheflour und Riwalin, Gamuret und Herzeleide, verhielten sich zu diesen Gedichten selbst ungefähr wie die große Leonoren-Ouvertüre zu der Oper ›Fidelio‹. Gelegentlich der aus dem Zusammenhang des Ganzen herausgegriffenen Lanzelot Gobbo-Szenen im ›Kaufmann von Venedig‹ (diesen war der II Akt des ›fliegenden Holländers‹ am Klavier vorausgegangen) äußerte er: man müsse diese Sachen nur immer einzeln lesen, um ihre Kunst zu erschöpfen; sonst kenne man sie gar nicht; denn jede Pause, jedes Komma, jeder Punkt sei wichtig. Von einer wider Erwarten nichtssagenden Novelle des Lope de Vega erholte man sich an einem andern Abend an der ›Elektra‹ des Sophokles, unter voller Bewunderung dieses Meisterwerkes – nur müsse man, meinte Wagner, dabei nicht an die ›Grabesspenderinnen‹ des Aeschylus denken! Mit vieler Befriedigung wurde an zwei aufeinanderfolgenden Abenden Huxleys Rede über die Erziehung gelesen; dann wiederum die soeben im Druck erschienene tief überzeugende, ungemein vortreffliche und belehrende politische Abhandlung des alten Freundes Constantin Frantz über ›den Untergang der alten Parteien und die Parteien der Zukunft‹. Die großen Meisterwerke, besonders Shakespeare, las er selbst in seiner unvergleichlichen Weise; in anderen Fällen war Frau Wagner die Vorleserin, zuweilen auch Wolzogen. Letzterer erhielt ab und zu auch für die eine oder die andere[33] seiner eigenen literarischen Arbeiten das Wort und Richard Wagner war dann sein aufmerksamer Zuhörer. Kurze Zeit nach seiner Ankunft mußte er seine reichhaltige, an überraschenden mythischen Kombinationen unerschöpfliche Einführung zu seiner Verdeutschung der ›Bakchen‹ des Euripides51 zum Vortrag bringen, ein anderes Mal eine vortreffliche Abhandlung über Heinrich von Kleist, in welcher er die Eigentümlichkeit der Genialität des Dichters, sowie das Besondere der ›Hermannsschlacht‹, wie andererseits des ›Prinzen von Homburg‹ ganz ausgezeichnet dartat. Als Thema des Studiums und der Ausarbeitung für die werdenden ›Bayreuther Blätter‹ gab ihm der Meister einmal ›die Rhetorik im Gegensatz zum deutschen Stil‹: durch die ganze Entwickelung der Künste, namentlich auch der Musik, sei diese ›Rhetorik‹ zu verfolgen, welche noch heute bei den Franzosen und im Unterrichtswesen der Jesuiten einen Hauptgegenstand bilde. Dieses unsere ganze Kultur beherrschende Prinzip sei den – falsch verstandenen – Griechen entnommen; in vollem Gegensatz dazu stehe das, was er als den ›deutschen Stil‹ bezeichne, und wofür er dann, im Anschluß an diese Auseinandersetzungen, das von ihm gemeinte Beispiel gab, indem er aus den ›Meistersingern‹ spielte.52

Gelegentlich eines anderen, uns nicht mehr gegenwärtigen Aufsatzes von Wolzogen, in welchem dieser, nicht aus sich selbst heraus, sondern im Sinne einer oberflächlichen zeitgenössischen Auffassung von der ›trostlosen‹ Philosophie Schopenhauers gesprochen hatte, kam es zu lebhaften Ausführungen darüber, welchen größeren Trost es denn geben könne, als einem zu sagen, daß dieses Dasein nichtig sei? ›Nun empfinden wir eine Hoffnung in uns nach einem Anderen, welches uns durchaus nicht vorstellbar ist, darüber sich also nichts sagen läßt; das Gefühl davon in uns ist aber schon der Genuß.‹ Die im gleichen Zusammenhang erwähnte Persönlichkeit des Faust habe Wolzogen an jener Stelle ›zu christlich‹ aufgefaßt: er habe nichts von ›Liebe‹ in sich, nur das ›rastlose Stre ben‹: die Liebe käme von oben, am Schluß, und dies sei der ewige Ruhm Goethes, sein Werk so abgeschlossen zu haben. An einem Dezember-Abend begab er sich mit den Seinigen, Wolzogens und Anton Seidl ausnahmsweise in das alte Bayreuther markgräfliche Opernhaus, wo gerade eine der daselbst zeitweilig spielenden Truppen das alte [34] Zauberstück, die ›Teufelsmühle am Wiener Berge‹ zur Aufführung hervorgesucht hatte. Er wollte Erinnerungen aus früher Jugendzeit dadurch beleben, da die Rolle des ›Schutzgeistes Jeriel‹ darin eine der frühesten Kinderrollen seiner Schwester Klara gewesen war;53 die tief unter aller Mittelmäßigkeit stehende Aufführung des Stückes verdarb ihm aber auch das bescheidene Maß des Vergnügens, das er sich von diesem improvisierten Versuch versprochen hatte.

Neben der Lektüre war es die Weihe der Musik, welche an diesen Abenden mit ihrer unvergleichlichen Intimität die Geister und Gemüter erhob. Es kam vor, daß der Meister mit Seidl vierhändig spielte; in solchem Anlaß sprach er dann mit Entzücken von dem ›prachtvollen, nie überbotenen‹ Fugensatz im Finale der C dur-Symphonie Mozarts und konnte es nicht genug beklagen, daß gleich darauf das banale ›Schrumm schrumm‹ eintrete, was das Ganze so stillos mache.54 Die Meldung seiner italienischen Verlegerin Frau Lucca55 über den Erfolg, den sein ›Lohen grin‹ in Rom, sein ›fliegender Holländer‹ in Bologna davongetragen, gab Veranlassung dazu, an zwei aufeinanderfolgenden Abenden den zweiten und dritten Akt des ›Holländers‹ am Klavier vorzunehmen; dann wieder wurde mit Seidl der erste Akt des ›Tannhäuser‹ mit der neuen Venusbergszene durchgegangen. Oder nach einem anstrengenden Abschnitt der ›Araber‹ (S. 32 oben) setzte er sich an den Flügel, um durch Vergegenwärtigung von Teilen aus der Pastorale und der neunten Symphonie für die Zuhörer und sich selbst die ›dunklen Wölbungen droben schwinden‹ zu lassen und alle in ein wundervolles Jenseits zu entrücken. Webers Geburtstag (18. Dezember) wurde durch den Vortrag zweier Präludien aus dem Wohltemperierten Klavier gefeiert; von dem einen sagte er: ›Das hat mir meinen Duktus gegeben! Es ist unglaublich, wie vieles aus der Musik-Literatur ohne Eindruck an mir vorübergegangen ist, aber das hat mich bestimmt. Das ist unendlich! So etwas hat keiner wieder gemacht!‹

Die Krone der Vorlesungsabende war es jedesmal, wenn eine Szene, oder ein ganzes Werk Shakespeares von ihm zu unsäglicher Ergriffenheit aller Hörer gelesen wurde, wie etwa (sechs Wochen nach Wolzogens Ankunft) an zwei Abenden ›Hamlet‹. Nicht allein sein Vortrag, sein ganzes Wesen war dabei von einem Eindruck, der sich mit keinem anderen Worte als ›er haben schön‹ bezeichnen läßt, persönlich wie künstlerisch erschütternd. Am [35] ersten Abend gelangten die beiden ersten Akte, am zweiten die drei letzten zur Anhörung, wobei denn deutlicher als je die Harmonie des Ganzen, die Richtigkeit der Verhältnisse in diesem ungeheueren Werke der dramatischen Kunst sich erschloß. An drei anderen Abenden war es ›Coriolan‹, der in seiner Wiedergabe, ohne jedes schauspielerische Pathos, seinen Zuhörern zur unmittelbarsten geistigen Anschauung gebracht wurde. Noch nie zuvor war einem dieser Hörer die Szene zwischen Coriolan und den Frauen mit so überwältigender Macht entgegengetreten; sie erweckte die überzeugende Empfindung, daß man diese Werke in ihrer Unerschöpflichkeit zuvor noch nie gekannt habe. Gern kehrte er auch zu den Falstaff-Szenen im ersten Teil von ›Heinrich IV.‹ zurück; die Kärrnerszene gehörte für ihn zum Bewunderungswürdigsten: ›Das ist Zusammenhang mit der Natur!‹ rief er aus. ›Denn das Volksleben ist Natur.‹ Die unbegreifliche Objektivität des Dichters gab in der Folge noch Anlaß zu lebhaften Tischgesprächen: Heinrich V., der Held und das Muster, sei dennoch im tiefsten durchaus unsympathisch; der Instinkt der Lankaster gebe es ihm ein, besser scheinen zu müssen, als er es in Wirklichkeit sei, und deshalb – gleichsam planmäßig absichtlich – das tolle Leben zu führen, um nachmals durch die Wandlung zu überraschen.56 Der Schluß von ›Heinrich V.‹ mit der Heiratszene wiederum sei auch erstaunlich in seiner Wahrhaftigkeit. Um die Weihnachtszeit wurde die ›Divina Commedia‹ vorgenommen und bis Mitte Januar wechselnd mit dem Dozyschen Araberbuche gelesen, mit immer gesteigerter Freude an der darin vorherrschenden ungeheueren Kraft des ›Schauens‹: man könne sich, sagte er, die gesamten Konzeptionen Michel Angelos aus diesem wunderbaren Gedicht erklären; es zeige uns, was den Dichter ausmacht, nämlich nicht die Gedanken, nicht die Gefühle, sondern das Schauen. Bei aller Bewunderung für den Dichter machte sich aber doch, mit fortschreitender Lektüre, eine wachsende Abneigung gegen das Objekt seiner Phantasie geltend. Das neue Jahr 1878 wurde an seinen ersten beiden Abenden ebenfalls mit der ›Divina Commedia‹ begonnen; am 2. Januar kam noch die achte Symphonie Beethovens hinzu, von deren letztem Teile er sagte, es sei für ihn das Genialste, was Beethoven hervorgebracht, ein göttliches Spiel mit Leben, Welt und allem.

Viel Ärger hatten ihm die – Anfang Dezember einlaufenden – Korrekturen der ›Parsifal‹-Dichtung bereitet. Nachdem er schon mit Lachen die öffentliche Anzeige der Verlagsbuchhandlung gelesen, in welcher diese die eigens dafür gegossene ›elegante Antiqua‹ des Druckes im voraus anpries, fand er beim Erscheinen des ersten Probeblattes die Lettern zu groß und[36] verlangte einen anderen Druck; erst beim Vorliegen der ganzen Korrektur söhnte er sich damit aus.57 Um die Mitte des Monats war die unterbrochene Arbeit an der Komposition so weit gediehen, daß er scherzend melden konnte, er habe nun ›Kundry hinter den Busch gebracht‹. Kurz vor Weihnachten trafen die fertigen Exemplare der Dichtung ein, mußten aber für den Zweck der Versendung erst noch in die Hände des Buchbinders. Doch konnte diese Versendung immerhin noch in den Festtagen erfolgen, so daß z.B. Liszt das seinige am 27. Dezember erhielt. ›Dank verstummt, aber Herz und Seele bleiben eigenst Dein‹, telegraphierte er dem Meister gleich am Tage nach dem Empfang. Inzwischen hatte er sich in den Stunden seiner Arbeit in die erhabenen Klänge der Verwandlungsmusik eingesponnen, mit ihren herzzerreißenden, erschütternden Wehelauten und Schmerzensrufen des reuigen, tief zerknirschten königlichen Sünders, mit der Wucht ihrer dramatischen Akzente und dem majestätischen Posaunenklang des erlösenden Liebesmahlspruches am Schlusse, in ihrem ganzen marschartigen Verlauf aufgebaut auf jenes gewaltige, elementare Glockenthema als treibenden Rhythmus des Ganzen, – eine der ergreifendsten, unvergleichlichsten Inspirationen seines Geistes und der gesamten vielgestaltigen Kunst aller Zeiten. Nur im leichten übermütig ironischen Ton des Humors, wie dies seine Art war, fern von jedem Pathos, welches er sich für die seltensten Anlässe aufsparte, äußerte er sich darüber: das sei der rechte ›Bademarsch‹, und er ginge nächstes Jahr nach Ems oder Marienbad, um ihn zu hören. Er habe, sagte er, vorher noch Liszts ›Glocken von Straßburg‹58 aufgeschlagen, um zu sehen, ob er kein ›Plagiat‹ beginge. Sehr zufrieden kam er zur Mittagstafel, als ihm ein gewisser ›Kontrapunkt‹ geglückt war. Zu Beginn des neuen Jahres machten, wie er sagte, die ›sündigen Welten‹ ihm zu schaffen; immer aber beherrschte ihn ein Glücksgefühl, wie er es im Drang der letzten Jahre lange, lange nicht gekannt. ›Ich habe es gut‹, sagte er dann in inniger Dankbarkeit; und selbst das zeitweilige Ausbleiben von äußeren Unannehmlichkeiten, von jenen Stacheln, welche die Welt stets für ihn bereit hatte, veranlaßte ihn zu dem scherzenden Ausspruch gegen seine Frau, sie sei dabei wohl mit im Spiele: sie müsse es jedem anbefohlen haben, ihn jetzt zu verschonen; keiner bringe ihm eine unangenehme Nachricht. Wie lange und unausgesetzt waren derartige ›unangenehme Nachrichten‹, hier ein Versagen, dort ein Erschweren, da ein Ausbleiben des bestimmt Erwarteten, das tägliche Brot seines Daseins gewesen! ›Mein Leben gefällt mir ungeheuer; ich versenke mich immer mehr in meine Gespensterwelt, [37] der ganze Tag ist eingenommen von solchen Rhythmen, Verschiebungen usw.‹

Das Jahr zuvor war das neue Werk noch nicht eimnal in der bloßen Wortdichtung, nur in der Skizze vorhanden, und er selbst noch in den bittersten Defizitnöten und Sorgen, dicht an der Bankerotterklärung gewesen. Und nun war es in voller musikalischer Gestaltung begriffen, die Defizitnöte zwar noch nicht erledigt; aber das Paradies des Schaffens inzwischen aus eigener innerer Kraft gewonnen. In seinem Bereich fühlte er sich vor aller unerfreulichen Mitwelt geborgen.

Fußnoten

1 Auch der Künstler kann von sich sagen: ›mein Reich ist nicht von dieser Welt, und ich vielleicht mehr als irgendein jetzt Lebender muß dies von mir sagen, eben um des Ernstes willen, mit dem ich meine Kunst erfasse‹ (Ges. Schr. VIII, S. 11).


2 ›Unschätzbar‹, so schreibt Liszt im Anschluß an einen Gedanken des Meisters (Ges. Schr. V, 13/15), ›unschätzbar erscheint mir der Vorzug der Maler, Bildhauer, Schriftsteller; sie können sich zur Verbreitung ihrer Gedanken der Farbe, des Marmors oder der Buchdruckerkunst ohne jede andere Mittelsperson bedienen – die Menschen beiseite lassen, und nach ihrem Belieben für ihre Person die Ruhe der Zurückgezogenheit und das Schweigen nach außen genießen!‹ (Briefe an die Fürstin Wittgenstein I, S. 423/24).


3 Siehe ›Faust‹ II, Aufzug 4, Szene 1.


4 ›Bayreuther Blätter‹, 1. Jahrgang 1878, S. 4 (Ges. Schriften X, S. 31/32).


5 Band IV des vorliegenden Werkes, S. 287.


6 Ebendaselbst, S. 282 (4. Aufl.).


7 Ebendaselbst, S. 115.


8 Richard Wagners Entwürfe zu ›Die Meistersinger von Nürnberg‹, ›Tristan und Isolde‹ und ›Parsifal‹, mit einer Einführung von Hans von Wolzogen. Leipzig, R. Linnemann, 1907


9 Band V des vorliegenden Werkes, S. 334.


10 Briefe an M. Wesendonck, S. 146.


11 Ebendaselbst.


12 Hierin war Wolfram ohne ersichtlichen Grund, bei sonstiger christlicher Auffassung der Sage, in der ältesten vorchristlichen Deutung des Grales stecken geblieben, die mit dem Märchen vom Tischleindeckedich mythisch in naher Verwandtschaft steht.


13 Briefe an Iran Wesendonck, S. 244.


14 Ebendaselbst, S. 145.


15 Entwürfe, S. 193/94.


16 Band III des vorliegenden Werkes S. 119 Anm.


17 Hans v. Wolzogen in seiner Einführung (S. 43) zu den ›Entwürfen‹.


18 ›Oper und Drama‹, Ges. Schriften IV, S. 101–107.


19 Band V des vorliegenden Werkes, S. 369/70.


20 Ebendaselbst, S. 372/74.


21 Band V des vorliegenden Werkes, S. 376.


22 In gleichem Sinne erwähnten wir bei früherem Anlaß den von ihm empfundenen und ausgesprochenen genetischen Zusammenhang des Triolenthemas im Eingang des Centennialmarsches mit dem später abgerissenen alten Maintor bei der Spitalkirche (Band V, S. 233/34 Anm.)


23 Band I des vorliegenden Werkes, S. 417: ›ich fürchtete nun entdecken zu müssen, daß ich gar nicht mehr Musiker sei‹.


24 Fast elf Monate lagen damals zwischen der Vollendung der Dichtung und dem Beginn der Komposition mit dem ›Rheingold‹, vgl. Band III, S. 32: ›Fast mit einer gewissen Scheu hatte er den Beginn der musikalischen Ausführung seines übergroßen Werkes immer weiter hinausgeschoben.‹


25 Vgl. auch Ges. Schr. IX, S. 261/65 über den rettenden Zurücktritt des in vollster Selbstentäußerung verlorenen Bewußtseins in das plötzliche Innewerden des Spieles.


26 Gesammelte Schriften X, S. 250. 227 usw.


27 Am 20. Dezember 1871 war es in Mannheim, in Heckels Hause, für die dortigen Freunde aufgeführt worden, vgl. Bd. IV des vorliegenden Werkes, S. 383.


28 Band III des vorliegenden Werkes, S. 35 ff.


29 Ebendaselbst, S. 43. 59.


30 Vgl. hierzu seinen eigenen Bericht an Dr. Karl Landgraf (in den ›Bayreuther Briefen‹, S. 272) aus Ems vom 16. Juni 1877. Ein vom gleichen Tage datierter Brief an seinen alten ärztlichen Berater und treuesten Freund Dr. Standthartner gibt im wesentlichen die gleichen Symptome an.


31 Als Anhaltspunkt dient uns hier ein am 30. August von ihm unternommener weiter Spaziergang, welcher der Wiederauffindung eines acht Tage früher aus Wahnfried entflogenen, offenbar verirrten und von fremder Land unrechtmäßig eingefangenen Papageis dienen sollte. Die Nachforschungen waren vergeblich, doch hatte er auf diesem Wege viele Schmerzen an seinem Fuße zu erleiden.


32 Vgl. die Schlußzeilen eines in Geschäften an Feustel gerichteten Briefchens vom 9. Oktober 1877: ›Ich war auf dem Wege zu Ihnen, aber meine böse Zehe zwang mich zur Umkehr!‹ (Bayreuther Briefe, S. 278).


33 Vgl. über ihn Band V dieses Werkes, S. 34/35. 225. 228.


34 Richard Wagner an seine Künstler, S. 158.


35 ›Bayreuther Blätter‹ 1898, S. 140/41.


36 ›Ich ersuche Sie‹, heißt es in diesem Briefe, ›allen Ihren Einfluß darauf zu verwenden, diese Stelle an meinen jungen Freund und Adjutanten Anton Seidl vergeben zu lassen. Er dirigiert vortrefflich, ist sehr energisch und sicher, und ich stehe für ihn ganz und gar ein. Mit dem 1. September kann er eintreten. Ich habe die Sorge seiner guten Unterkunst übernommen, und würde mir eine äußerste Freundschaft erzeigt, wenn mein Wunsch durch Ihre gütige Vermittelung in Erfüllung ginge.‹ (›Bayreuther Blätter‹ 1898, S. 138/39.)


37 Band V des vorliegenden Werkes, S. 371.


38 Ebendaselbst, S. 358


39 Gesammelte Schriften X, S. 23/26.


40 Vgl. den darauf bezüglichen Brief des Meisters vom 8. Oktober 1877 in dem trefflichen Erinnerungsbuch ›Richard Wagner als Vortragsmeister‹ von Julius Hey, herausgegeben von Hans Hey (Leipzig, Breitkopf & Härtel, 1911), S. 248/49.


41 Band V des vorliegenden Werkes, S. 378.


42 ›Bayreuther Blätter‹ 1898, S. 88/89.


43 ›Erinnerungen an Richard Wagner‹ von Hans von Wolzogen, ursprünglich (1883) im Verlage von Carl Konegen in Wien veröffentlicht, acht Jahre später (1891) aber der Reclamschen Universalbibliothek zu weitester Popularisierung anvertraut.


44 Um so mehr, als der Verfasser dieser Erinnerungen die besondere Güte gehabt hat, sie für uns in einem durchschossenen Exemplar handschriftlich mit gelegentlichen Ergänzungen und genauen Datierungen der einzelnen Aussprüche zu versehen, so daß wir sie jedesmal an der rechten biographischen Stelle einzureihen imstande waren.


45 Hans v. Wolzogen, Bayreuther Gedanken und Erinnerungen (enthalten in der Österr. Zeitschrift für Musik und Theater: ›Der Merker‹, 1. Jahrgang, 12. Heft, S. 493/94).


46 Familienbriefe, S. 235.


47 An Frau Wesendonck, S. 140.


48 Bekennt er doch selbst von sich: ›Mir geht es nun einmal so, daß ich selten eigentlich. Das lese, was vor mir steht, sondern Das, was ich hineinlege‹ (An Marie Wittgenstein, ›Bayreuther Blätter‹ 1909, S. 255/56).


49 Gesammelte Schriften X, S. 263/64.


50 ›Wahrheit wird verdächtig‹.


51 Reclams Universalbibliothek Nr. 940: ›Euripides‹ ›Bacchantinnen‹.


52 Man vergleiche hierzu die gelegentlich gegebenen Andeutungen über die ›systematisch ausgebildete Harangue, welche ewig die französische Kunst beherrschen werde‹ und welche auf die Erfordernisse des deutschen dramatischen Gesangsstiles, in betreff der hier nötigen Einfachheit und Natürlichkeit, nie mit Glück angewendet werden könne. ›Allerdings‹, mußte er damals, im ersten und gleich wieder unterbrochenen Beginn seines Bayreuther Werkes, hinzufügen ›allerdings dürfte ein solcher Künstler (wie der dort von ihm erwähnte, nach dem Vorbild französischer Sänger ausgebildete Tenorist) uns fragen, wo er denn diesen Stil in Ausübung treffen sollte, um nach ihm sich bilden zu können?‹ (Ges. Schr. Band IX, S. 321).


53 Band I des vorliegenden Werkes, S. 99 (4. Aufl.).


54 Man vergleiche hierzu Ges. Schr. VII, S. 168, andererseits aber – nach der positiven Seite hin – die geistvollen, die Gedanken des Meisters in fast buchstäblichem Anschluß wiedergebenden Ausführungen Joseph Rubinsteins über die ›Jupiter-Symphonie‹ in seinem Aufsatz ›Symphonie und Drama‹ (›Bayreuther Blätter‹ 1881, S. 56/57).


55 Vgl. Band V dieses Werkes, S. 20. 77. 298. 317.


56 Vgl. den Monolog am Schlusse des ersten Aktes!


57 Es ist die erste Ausgabe in Großoktav gemeint.


58 Band V des vorliegenden Werkes, S. 140. 156. 164. 172.


Quelle:
Glasenapp, Carl Friedrich: Das Leben Richard Wagners in 6 Büchern. Band 6, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1905, S. 1-39.
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