XVIII.

Liszt im Dendramin.

[726] Liszts Ankunft. – Seine Lebensgewohnheiten: Whisttisch und Donnerstagabende bei der Fürstin Hatzfeldt. – Geschäftliches: erster Besuch von Adolf Groß. – Ankunft Joukowskys. – Weihnachtliche Aufführung der C dur-Symphonie im Liceo. – Humperdinck aus Paris berufen; seine Anstellung in Venedig läßt sich nicht durchsetzen. – Gräfin Dönhoff. – Liszts Abreise; zweiter Besuch von Adolf Groß. – Gesundheitsverhältnisse.


Mich im besonderen belehrte das Befassen mit diesem meinem Jugendwerk (der C dur-Symphonie) über den charakteristischen Gang in der Ausbildung einer musikalisch produktiven Begabung zum Gewinn wirklicher Selbständigkeit.

Richard Wagner.


Es war am 19. November abends 10 Uhr, daß Liszt in Venedig eintraf. Schon vorher war er geistig auf mancherlei Weise gegenwärtig gewesen: Rubinstein hatte auf des Meisters Aufforderung Phantasien und Rhapsodien von ihm gespielt und eine davon (wir können nicht mehr angeben, welche?) Wagner besonders gefallen: das sei originell und neu erfunden und gebe Liszts Individualität auf sprechende Weise wieder. Sein Geburtstag (22. Oktober) war zugleich der Abschiedstag Rubinsteins, und bei diesem letzten Mittagessen mit ihm wurde durch den Meister das Hoch auf den Entfernten ausgebracht. Aber jeder Rückblick, den er auf Liszts Leben während der letzten zehn Jahre warf, ließ ihn unbefriedigt: für das ›halb Franziskaner, halb Zigeuner‹ hatte er keinen Sinn und konnte es nicht genug beklagen, daß er mit den Seinigen nur eine ›Nummer‹ in Liszts Katalog bildete. Ja, wenn der große Freund bei diesem ewig zerstreuten heimatlosen Wanderleben sich wirklich wohl hätte fühlen können! Auch die Ungewißheit des Termins seiner endlichen Ankunft reizte ihn. Doch empfand er eine aufrichtige Freude bei seiner Ankunft, und während er ihm zur Abholung seine ganze Familie auf den Bahnhof entgegenschickte, bereitete er zu Hause alles für den festlichen Empfang vor. Am liebsten hätte er ihn mit Fackelbeleuchtung auf den Stufen und in der Vorhalle begrüßt; in Ermangelung solcher wurde alles angezündet, was an Gasflammen [726] vorhanden war, und spiegelte sich beim Herannahen der Barke festlich im Wasser des Kanals. Der Meister selbst war ihm bis auf die Stufen seines Hauses entgegengekommen, um ihn mit herzlicher Umarmung willkommen zu heißen. Liszt seinerseits war etwas ermüdet, sah aber wohler aus, als man es nach allen Nachrichten befürchtet hatte.

Liszts Wohnung im Vendramin lag auf der entgegengesetzten Seite des Palastes, im Entresol links, hatte aber begreiflicherweise nicht die gleiche Ausdehnung an Räumlichkeiten. ›Mein fürstliches Logis‹ (›mon logis princier‹) schreibt er an die Fürstin Wittgenstein, ›besteht aus drei Zimmern nebst Vorzimmer und einem charmanten Salon, dessen drei Fenster auf den großen Kanal führen – das eine davon verschafft mir auch den Blick auf einige Bäume eines zum Palazzo gehörigen Stiftgartens.‹ Bei der Angabe der ›drei Fenster‹ ist außer dem großen Doppelfenster noch das Seitenfenster mitgezählt, welches – über den schmalen Streifen Garten hinweg, der auch auf dieser Seite den Palazzo begrenzt – ebenfalls einen schönen Blick auf den Kanal gewährt. Die Bezeichnung ›fürstliches Logis‹ kennzeichnet einerseits seine Anspruchslosigkeit, andererseits ist sie, wie leicht zu verstehen, eigens auf die Briefempfängerin berechnet,1 wie auch der gleich darangeschlossene Zusatz, der sich auf die täglich von ihm gehörten Frühmessen in einer benachbarten Parochialkirche bezieht. ›Wagner‹, heißt es weiter in diesem Bericht, ›behält seine Methode bei, Visiten weder zu machen, noch zu empfangen; ich gewinne dadurch den Vorteil, meine Beziehungen auf die strikt notwendigen einzuschränken. Er selbst, Cosima, Daniela und die ganze Familie befinden sich bei gutem Wohlsein und in bester Laune; ihr Familienleben ist ein Muster von Einigkeit, oft auch von Heiterkeit. Siegfried setzt seine Lateinstudien usw. unter der Anleitung eines jungen Hauslehrers, namens Hausburg, fort, auf Empfehlung Heinrichs von Stein, der in Halle durch seinen Beruf als Privatdozent zurückgehalten ist und voraussichtlich später nach Berlin übersiedeln wird. Siegfried zeigt erstaunliche Anlagen für architektonische und anderweitige Zeichnungen. Seine Schwestern Isolde und Eva haben als Gesellschaftsdame und Sprachlehrerin ein Frl. Corsani, welche Cosima seit ihrem Aufenthalt in Palermo mit Befriedigung beibehalten hat. Der ganze Verlauf des täglichen Lebens (tout l'andamento de la maison) ist auf das genaueste geregelt. Die Bedienung liegt in den Händen einer Kammerfrau‹ (Betty Bürkel), ›Köchin und eines Dieners‹ (Georg), ›sämtlich aus Bayreuth. [727] Dazu kommt noch als Aushilfe für Heizung, Reinigung und wirtschaftliche Kommissionen – der alte Portier, von sehr respektablem Ansehen und ehrerbietigem Benehmen und zwei fest angestellte Gondoliers‹ (von denen insbesondere der eine, Luigi Trevisano, durch seine anhängliche Verehrung dem Meister nahetrat). Diese kleinen Nachrichten über das häusliche Leben werden in den folgenden Briefen durch nähere Ausmalung des intimen täglichen Lebens fortgesetzt. ›Den Vormittag über bleiben die Erwachsenen für sich, um 2 Uhr Mittagessen, um 8 Uhr Abendessen. Dem Lehrer Siegfrieds und der Gesellschaftsdame der beiden jüngeren Schwestern gegenüber behauptet natürlich Daniela ihren höheren Rang als erwachsene Dame und regelt einen Teil des Verlaufes der häuslichen Angelegenheiten. Wir sind neun Personen bei Tisch, kein Luxus der Beköstigung, nur gewöhnliche Wirtschaft, ohne Umstände oder irgendwelchen Zwang. Vor dem Abendessen eine halbe Stunde Klavierspiel, danach eine Stunde Whist, mit Unterhaltung gemischt.‹ Auch die jeden Donnerstag bei der Fürstin Hatzfeldt im Palazzo Malipiero stattfindenden Soireen werden erwähnt, an denen Liszt in der Folge regelmäßig teilnahm; unter den stetig daselbst verkehrenden Personen gedenkt er insbesondere des Malers Ludwig Passini, als guten Gesellschafters und ehrenwerten Charakters. Er habe ihn vor zwanzig Jahren in Rom kennen gelernt und ihn nun mit Vergnügen im Kreise der Fürstin Hatzfeldt angetroffen. Er sei der Witwer einer reichen Frau, und seine neunzehnjährige Tochter werde, neben ihren sonstigen persönlichen Vorzügen, mit einer reichlichen Million (plus d'un million de dot) ausgestattet sein. Auch daß Passini kürzlich ein Aquarell des Innern der Kirche Sta Maria gloriosa ai Frari für 50000 Frs. verkauft habe, wird in diesen durchaus auf das Interesse der Briefempfängerin abgestimmten Nachrichten für mitteilenswert gehalten; man sieht auch sonst überall mit Verwunderung, einen wie weitreichenden weltlichen Umkreis der so ausschließlich kirchlich-katholische Horizont der Adressatin umfaßt, die es liebte, in der Abgeschiedenheit ihrer römischen Zelle nach allen Richtungen hin über die gleichgültigsten Personen, wenn sie nur von bevorzugter sozialer Stellung waren, orientiert zu sein; wie nicht minder den unvergleichlich seinen Takt des Verfassers dieser Briefe, mit welcher er ihr selbst über das häusliche Leben im Vendramin gerade immer nur so viel berichtet, als sie zu fassen imstande war.2 Und doch ist in diesen wenigen brieflichen Notizen Liszts [728] nichts eigentlich verschwiegen, vielmehr alle charakteristischen Hauptsachen erwähnt, an die wir uns im folgenden zu halten haben; selbst die ›Donnerstage‹ der Fürstin Hatzfeldt, die dem auf eine konzentrierte, sich selbst genügende Häuslichkeit gerichteten, jeder Unstätheit abholden Sinne des Meisters ein rechter Dorn im Auge waren, da er nun wenigstens einmal in der Woche den Freund regelmäßig zu entbehren hatte. Und so mußte ihm von ihnen beiden gerade Liszt als der eigentliche Weltmann erscheinen, der den Umgang mit der sog. ›Gesellschaft‹ nicht entbehren konnte.

So gleich am ersten dieser ›Donnerstage‹, dem fünften Tage von Liszts Anwesenheit in Venedig. Liszt hatte Daniela mit sich genommen, und in Erwartung der Rückkehr beider blickte er mit seiner Gemahlin durch das Kanalfenster auf die Wasserfläche, auf welcher die Gondeln gleich schwarzen Schwänen dahinglitten und des Mondes Widerschein wie ein tanzender Stern auf den Wellen schaukelte. Dazu erhob der alte Portier, der ehemals in österreichischen Diensten gewesen, seine Stimme und intonierte, mit sichtlicher Freude daran, das ›Ständchen‹ von Schubert. Kaum hatte er geschlossen, so setzte sich der Meister ganz unwillkürlich aus Klavier und spielte die Melodie noch einmal, um von da aus in den zweiten Akt ›Tristan‹ mit seinen überschwänglich zarten Wundern überzugehen. ›Vor dem Abendessen eine halbe Stunde Klavierspiel, nach demselben eine Stunde Whist‹, dies waren sonst – außer den Mahlzeiten – die Stunden eines täglichen Zusammenseins, meist von 7 Uhr abends ab. Einmal war es die E dur-Sonate von Beethoven, welcher dann Liszt, im Anschluß an den eben geschilderten kleinen Vorfall, nun seinerseits das ›Ständchen‹ folgen ließ, mit so wundervoll beseeltem Ausdruck, daß es dem Meister die größte Freude machte. Ein anderes Mal waren es Präludien aus dem Wohltemperierten Klavier, der ›Magister‹, oder ›der Magister als Jupiter tonans‹, wie der Meister sagte; oder der erste Satz von Webers A dur-Sonate. Von dieser erklärte er, man erkenne darin wohl die liebenswürdige Natur Webers, aber es sei ›Musik für andere‹, nicht die man für sich selbst macht, wie die Beethovenschen Sonaten. Die Reminiszenzen aus ›Preziosa‹ und ›Euryanthe‹ erinnerten immer daran, daß Webers eigentliches Gebiet das Theater war. Auch empfinde man darin eine gewisse Oberflächlichkeit; er reihe sich als Sonatenkomponist mehr an Hummel und Kalkbrenner, als an Beethoven an. Wieder einmal spielte Liszt, mit Daniela zusammen, das F dur-Quartett von Beethoven, gegen welches Werk Wagner seine Abneigung offen aussprach (auch gegen das Scherzo). Der nachfolgende Whisttisch gestaltete sich oftmals recht heiter, wenn auch nach des Meisters Empfindung das bloße Kartenspiel von Liszt zu ernsthaft [729] genommen und auf seine übermütigen Scherze zu wenig eingegangen wurde, was dann seinen Unwillen erregte. Auch kam es zu mancherlei Meinungsverschiedenheiten, so z.B. im Betreff der französischen Akademie, hinsichtlich deren Wagner der Ansicht war, daß Liszt von ihr eine zu hohe Vorstellung hätte.3 Oder seine grundsätzliche Abneigung gegen die immer mehr aufkommenden sog. ›Gesamtausgaben‹ der alten Meister brach sich Bahn, als Liszt einer Ausgabe der französischen Opern des 18. Jahrhunderts gedachte, und gab ihm Veranlassung, sich über die Vielschreiberei dieses Zeitalters auszulassen und die Torheit, die darin liege, das alles aus seiner verdienten Vergessenheit hervorzusuchen, es mühsam zu sammeln und neu zu ›edieren‹.4 Auf der anderen Seite wurde er dann doch durch viele Charakterzüge Liszts wieder sehr erfreut und hätte ihn gern nur viel häufiger und stetiger um sich gehabt. Als einmal bei Tisch von den Schwierigkeiten gesprochen wurde, welche die Fürstin Hatzfeldt mit ihrem Haushalt im Palazzo Malipiero habe, erklärte er: eine Wittwe sollte überhaupt keinen eigenen Haushalt habe, sondern entweder mit ihren Kindern leben oder – ins Kloster gehen. ›Auch die Witwer‹, fügte er dann scherzend zu Liszt gewendet hinzu, den er häufiger mit seinem Witwer- oder auch (in kühner Wortneubildung) seinem Wittgenstand neckte.5 Ein anderes Mal war bei Tisch die Rede von der Zivilehe; da wandte er sich an Liszt mit der Neckerei: ›Du hast gemeint: zu viel Ehe‹.

Der in Liszts Briefen erwähnte Maler Passini blieb auch den Bewohnern des Vendramin nicht fremd: einmal besuchte er abends den Meister und verabredete mit ihm, anderen Tages ihm und den Seinen die restaurierte Madonna aei Frari im Dogenpalast zu zeigen. Wirklich kam es dazu, und das Bild erfreute Wagner, welcher nur von der geschwungenen Fahne bemerkte, sie gebe dem Bilde etwas Fanatisches. Aber da der freundliche, Führer nun von einem zum anderen überging, verlor er die Lust daran und zog sich bald wieder zurück: er habe gar keine Vorliebe für die bildende Kunst. Auch der russische Maler Wolkoff stellte sich gelegentlich wieder einmal ein, und der Abend wurde dann abwechselnd mit Whistspiel und Unterhaltung mit dem geistvollen Manne verbracht. Nur als Wolkoff im Verlauf des Gespräches die Vorzüge Gambettas als Staatsmann hervorhob, ereiferte sich der Meister lebhaft und bezeichnete diesen als einen Hanswurst. Übrigens lastete das trübe Wetter fortgesetzt auf ihm; wiederum dachte er an Fortgang aus Venedig und sprach von Spanien. Zuweilen mußte er ganz auf den täglichen Ausgang[730] verzichten, hielt sich zu Hause und beschäftigte sich mit Lektüre. Es kam vor, daß er in der Nacht die Pillen seines Hausarztes Dr. Keppler verwechselte und von denen, die er bloß einfach nehmen sollte, fünf nacheinander zu sich nahm. Auch half er sich mit Opiumtropfen. Die viel nachgeschriebene und nachgesprochene Behauptung Dr. Kepplers, er habe ›die üble Gewohnheit gehabt, viele und starke Arzneimittel, welche ihm von verschiedenen Ärzten, die er früher konsultiert, verordnet worden waren, oft in großen Mengen durcheinander einzunehmen‹,6 will mit Vorsicht aufgefaßt sein, da sie an sich nicht ganz zutreffend ist; jedenfalls hat diese Gewohnheit die Verschlimmerung seiner Leiden sicherlich nicht herbeigeführt! Dafür gab es andere wirksamere Ursachen. Eine so ausgesprochene Natur litt am meisten durch das, was ihr nicht gemäß war – das hatte sich auf allen Stufen seines Lebens gezeigt! – und erholte sich am ehesten durch das, was ihr gemäß war: als solches konnte eine freundliche sonnige Umgebung und eine erfreuliche künstlerische Betätigung bezeichnet werden, weshalb er sich gern, wie bei jenem Weihnachtskonzert vor vier Jahren (S. 167 ff.), die Gelegenheit dazu improvisierte. Im ersteren Sinne wirkte seit Jahren der Mangel einer solchen Umgebung, so daß von all seinen Versuchen in dieser Richtung eigentlich nur der Aufenthalt in Sizilien ihm wirklich wohlgetan hatte; – für den Rest sorgten die Herren Voltz und Batz und was ihnen verwandt war!

Gegen Ende November wurde es bereits rauher, als erwünscht und dem an sich milden Klima der Lagunen angemessen; es mußte zu mäßiger Heizung geschritten werden. Das verstanden nun aber die italienischen Hausleute nicht; schon wenige Tage nach Liszts Ankunft trug es sich zu, daß er durch zu heftige Feuerung, verbunden mit Roheit der Bedienten und dadurch verursachte Einschüchterung der Kinder einen heftigen Ärger empfand, der ihm hätte erspart bleiben können; dann wieder war es selbst in den Stuben etwas kalt, oder er hatte über die verschiedene Temperatur der Räume zu klagen. Die Voltz- und Batzische Sache fuhr fort ihn selbst zur Nachtzeit quälend zu beängstigen. Er setzte selbst für den Münchener Advokaten Holtzendorff einige entscheidende Sätze auf, und da gerade eine strahlende Sonne ins Zimmer hereinschien, gestaltete sich selbst das auf Grund dieser Sätze seiner Frau diktierte Exposé (von welchem seine Tochter Eva, nachdem es noch verschiedentlich durch ihn korrigiert war, eine schöne Kopie machte) zur freundlich energischen Arbeit. Er schickte das so gewonnene Ergebnis dann, mit der Bitte, Herrn von Holtzendorff zu konsultieren, an Adolf Groß in Bayreuth. Leider ließ ihn dieses Thema nicht los, er hatte die Hauptsachen auch noch dem Herrn Voltz direkt zu wiederholen, fühlte sich erkältet und angegriffen, ein Depeschenwechsel steigerte die Unruhe, und trotz herrlichstem Wetter und [731] einer schönen Fahrt nach der Piazzetta stellte der Brustkrampf sich wieder ein. Er telegraphierte an Angelo Neumann, auf keinen Fall mit Voltz und Batz in einen Vertrag sich einzulassen. Dazu kam ein Brief des Dr. Strecker, der, wie es schien, den richtigen Standpunkt für die Affäre Lucca immer noch nicht verstanden hatte. Auf diesen Brief antwortete er nicht mehr selbst, sondern überließ die Erwiderung, wie so oft, nach genauer vorheriger Rücksprache seiner Frau; doch aber faßte er sein Verhältnis zu den Menschen da draußen dahin zusammen, daß die ihm Gutgesinnten keine Energie hätten und nur die Bösen energisch wären.

So standen die Dinge, als am 6. Dezember der unermüdliche Adolf Groß mit seiner jungen Frau in Person in Venedig auf dem Platze erschien, zu einem viertägigen Besuch, bei welchem alles Nötige ausgiebig in mündlicher Auseinandersetzung besprochen werden konnte. Der Advokat Holtzendorff hatte gegen Voltz und Batz guten Rat und Mut gegeben; auch gelangten die Wünsche des Königs in betreff der von ihm festgehaltenen Separataufführungen zu ausgiebiger mündlicher Besprechung. Sehr leid tat dem Meister der auch in diesen Tagen anhaltende Regen, infolgedessen er den Freunden die Stadt gar nicht in ihrer vollen Schönheit zeigen konnte. In diese Tage des Großschen Doppelbesuchs fiel auch die Ankunft Joukowskys, der den Herbst mit Liszt in Weimar verbracht und an seinem lebensgroßen Portrait desselben gearbeitet hatte, das er schon in Bayreuth begonnen und in Weimar zur Vollendung gebracht hatte. Liszt liebte es sehr; der Großherzog Alexander sagte davon: ›c'est dur comme le sort‹;7 aber er hätte den reichbegabten Künstler dennoch gern bei sich in Weimar behalten und ihn durch eine entsprechende Stellung an seine Akademie gefesselt Statt dessen hatte Joukowsky gleichzeitig mit Liszt Weimar verlassen und sich zunächst zu seiner Schwester, Frau v. Wöhrmann, nach Wiesbaden begeben, von wo aus er nun in Venedig eintraf. Der Meister bereitete ihm einen heiter schlechten Empfang; er müsse ihn schon so aufnehmen, wenn er nicht als der größte Heuchler gelten wollte. Er, der die Seinen stets gern um sich sah, hätte es lieber gehabt, wenn ihm der ausgezeichnete junge Freund gleich von Bayreuth aus gefolgt wäre, ohne die Weimarer Zwischenstation. Um die Gemütsstimmung deutlich zu machen, aus welcher dieser Akt einer Selbstverbannung aus der Nähe des geliebten Meisters hervorging, überlassen wir hier dem Künstler [732] selbst das Wort, indem wir damit in großem Zuge auf die Ereignisse des Sommers zurückgreifen. ›Als die Vorbereitungen für die Aufführungen des »Parsifal« in ihr letztes Stadium traten, hatte ich viel Kummer durchzumachen. Die Kostüme der Blumenmädchen waren entschieden mißglückt, und nur die reiche Erfindungsgabe Frau Wagners rettete sie durch geistvolle Kombinationen. Es stellte sich heraus, daß mein Gralsschrein, den ich mit so viel Freude und Fleiß hergestellt hatte, zu schwer zum Tragen sei. Alle diese, Fehler, welche die Folge meiner Unkenntnis des Theaters waren, brachten bei Wagner eine gewisse Mißstimmung gegen mich hervor, und wie nun die Proben anfingen und die Aufregung und Irritation, welche damit für den Schöpfer verbunden ist, von Tag zu Tag zunahm, hatte ich das schmerzliche Gefühl, daß sein früheres, stets liebevolles Verhalten gegen mich sich fast in das Gegenteil umgewandelt hatte. Während der ganzen Proben und Aufführungen des »Parsifal«, wo neben dem Feuer der Arbeit keine Mißstimmungen aufkommen konnten, blieb ich auf meinem Posten hinter den Kulissen als Requisitenmeister und schlug mir diese schmerzlichen Eindrücke aus dem Sinn. Aber in den ruhigen Stunden überkam mich eine große Abspannung und Betrübnis, denn: freiwillige Abhängigkeit mit Liebe ist der schönste Zustand, aber ohne diese wird sie unerträglich. Da sich dies mit dem Ende der Vorstellungen nicht änderte, faßte ich den Entschluß Bayreuth zu verlassen. Ich hatte ziemlich viel Rechnungen zu bezahlen und war überhaupt in einer verzweifelten Stimmung, so daß mir meine vielen Bilder und Kunstsachen wie ein unerträglicher Ballast vorkamen. Ich sehnte mich, nur das Notwendigste zu besitzen, um freiere Bewegung zu haben. Ich schlug dem mir gut bekannten Antiquar Seligsberg vor, alles was mein Haus enthielte (mit Ausnahme der Familienportraits und Andenken) mir für 20000 Mark abzukaufen – ich gab ihm einen Tag Bedenkzeit, und er schlug ein. Später habe ich erfahren, daß dieser Verkauf Wagner unendlich schmerzlich berührt hat. Doch wie soll ich mit Worten beschreiben, was damals in mir selber vorging! Alle Mitglieder dieser Familie hatte ich lieb wie meine nächsten Verwandten, und die grenzenlose Verehrung für Wagner und seine Frau konnte auch dieses mir noch unverständliche Erlebnis nicht verringern. Es war mir zumute, als ginge ich in die Verbannung, und gleichgültig, wohin ich meine Schritte lenkte. Vielleicht hätte ich eine Aussprache mit ihm herbeiführen sollen; aber unser aller in Fleisch und Bein übergegangene Scheu, ihm Aufregung zu verursachen, hinderte mich daran. Sonderbarerweise kann ich mich der letzten Stunden unseres Zusammenseins nicht erinnern. Später in Venedig gab mir, Frau Wagner eine Erklärung über die Verstimmung, welche der Meister plötzlich gegen mich empfunden hatte. Er hatte von mir erwartet, daß ich mit ihm den Schmerz teilen würde, welcher unausbleiblich ist, wenn ein Werk der Phantasie und Inspiration in die Realität tritt. Die [733] absolute Unmöglichkeit, daß diese Realität dem inneren Schauen des Schöpfers auch nur einigermaßen entspräche, ließ ihn tief leiden. Unkundig der Erfordernisse des Theaters, hatte ich diese schmerzliche Seite des künstlerischen Schaffens nicht begriffen. Die Fertigstellung z.B. des Gralsschreines machte mir eine Art kindischer Freude; er wurde so schön, daß er nicht mehr zu benutzen war. Ich mußte im letzten Moment noch einen einfachen praktikabeln erfinden. Wie gut begriff ich nun des Meisters Ärger und meine eigene Unzulänglichkeit; wie klein kam ich mir vor, und wie herzlich habe ich ihm die mir bereiteten Schmerzen vergeben! – Nach meinem Abschied von Bayreuth ging ich nach Weimar, um ein großes, längst angefangenes Bild von Liszt zu beendigen. Diese Arbeit, die unendliche Liebenswürdigkeit Liszts und die sich hier bildende Freundschaft mit Adelheid von Schorn, brachte mich über die ersten schweren Wochen hinweg. Von hier schickte ich auch meinen kleinen italienischen Sänger (Pepino) nach Hause, da er es in Deutschland nicht mehr aushalten konnte. Und nun kamen Briefe von Frau Wagner aus Venedig: sie schrieb, Wagner begriffe eigentlich gar nicht, was zwischen uns vorgefallen und warum ich nicht mit ihnen sei. Liszt, dem ich von alledem gar nichts gesagt hatte, reiste im November zu Wagners und sagte beim Abschied: »au revoir à Venise!« Ich ging von Weimar nach Wiesbaden, entschlossen zu Wagner zurückzukehren. Am 8. Dezember traf ich – nach einer durch Überschwemmungen sehr erschwerten Reise8 – im Palazzo Vendramin ein und wurde auf das liebevollste empfangen. Wagner sagte mir: »Freund, jetzt sind wir mit Ihnen durch Feuer und Wasser gegangen, jetzt kann uns nur der Tod noch trennen.«‹

›Ich wohnte nicht bei Wagners‹, fährt Joukowsky in seinem Berichte fort, ›sondern in einem Quartier bei San Trovaso‹ (eine gute Viertelstunde Gondelfahrt vom Vendramin entfernt, im südöstlichen Teile der Stadt,9 in nächster Nähe der Academia di belle Arti), ›wo ich schon früher manchmal abgestiegen war und wo ich gehofft hatte, mich mit Graf Gobineau zusammen einzurichten. Aber bei meiner Ankunft bekam ich die erschütternde Nachricht, daß er schon im Oktober plötzlich in Turin gestorben sei, wo er bei der Abreise im Hotelomnibus einen Schlaganfall bekommen und einige Stunden nachher verschieden war. Dieser Todesfall war auch für Wagners unendlich schmerzlich. – Nun floß das Leben wieder so schön und genußreich dahin, wie damals in Neapel; nur hier und da getrübt durch die Schwächeanfälle des Meisters, welche aber weder wir noch der [734] Doktor sehr ernst nahmen, da er die Gewohnheit hatte, über seine Gesundheitszustände zu klagen. Man lebte gesellig und heiter; Fürstin Hatzfeldt, Frau Pinelli, die Maler Passini und Alexander Wolkoff verkehrten viel im Palazzo Vendramin, und Liszt spielte manchmal zauberhaft schön. Abends wurde ihm die unumgängliche Partie Whist arrangiert, welche Wagner oft ungeduldig machte; denn um diese Tageszeit liebte er den Austausch der Gedanken, welcher durch die großartige Weite seiner Anschauungen und seine ungeheure Belesenheit sich immer bedeutend gestaltete, oder er wünschte irgendein klassisches Werk vorzulesen und alle damit zu entzücken. Selbst Liszts Spiel war ihm manchmal lästig‹ (während Liszt seinerseits, nach einem eigenen Ausspruch, für das Element, in welchem des Meisters umfassender Geist recht eigentlich lebte, für das Drama ›keinen Sinn zu haben‹ vermeinte, so daß er ›sich selbst bei Shakespeare einzig an die Gedanken hielte‹). ›Überhaupt‹, fährt Joukowsky fort, erwies es sich gerade bei diesem ihrem letzten Zusammensein, daß ›diese beiden großen Männer und unvergleichlichen Freunde mit dem Alter immer mehr das Verständnis für ihre beiderseitige Lebensweise verloren.10 Liszt liebte es, viele Menschen um sich zu haben, Wagner konnte nur den engsten Freundeskreis vertragen; und wann die beiden miteinander sprachen, gab keiner von ihnen acht auf das, was der andere sagte: sie sprachen immer zu gleicher Zeit, was oft zu den merkwürdigsten Quiproquos führte. Jeder von ihnen war so sehr daran gewöhnt, alleiniger Mittelpunkt (der allgemeinen Aufmerksamkeit) zu sein, daß eine gewisse Unbequemlichkeit entstand, wenn sie beisammen waren.‹

Wir wollen an dieser Stelle, beim Wiedereintritt Joukowskys in die ihm so vertraute Umgebung, das schöne Gesamtbild nicht unterdrücken, das der geistvolle junge Freund im späteren Rückblick (in seinen uns vorliegenden ungedruckten Erinnerungen) von der ›einzigen, übermächtigen Persönlichkeit‹ des verehrten Meisters entwirft. ›Wer Wagner, wie ich, intim gekannt hat, kann sich leicht einen Begriff davon ma chen, wie der Heroenkultus entsteht, welcher nichts anderes ist als der Glaube an Menschen, denen Unmögliches möglich ist. Er war eine durchaus dämonische Natur; die Gewalten, welche [735] in ihm lebten, besaßen ihn vollständig. Sein Bedürfnis, künstlerisch zu gestalten, sein Wollen und Wünschen, sein Lieben und Hassen, die Ideen, die in ihm geboren wurden, alles das nahm vollständig von ihm Besitz; für ihn war das künstlerische Schaffen und die schriftstellerische Tätigkeit Befreiung von dem erdrückenden Reichtum seiner Natur. Er war in jedem Augenblick seines Lebens schöpferisch, und wer ihn nicht gekannt hat, macht sich keinen Begriff von der Weite der Horizonte, welche sein Gespräch den Lauschenden ahnen ließ. Ich bin untröstlich, in dieser Zeit nicht täglich von allem, was ich von ihm hörte und erfuhr, Aufzeichnungen gemacht zu haben, und ich bin überzeugt, daß Nietzsche der Begriff des »Übermenschen« einzig in Wagners Umgang lebendig wurde. Von allen Künstlern geben mir nur Michel Angelo und Wagner das Bild unumschränkten Könnens. Auch die grenzenlose Zartheit und Reizbarkeit der Nerven hatten sie gemeinsam. In der Welt, wie sie nun einmal ist, mußte ein solcher Mensch ein Martyrium zu tragen haben, von dem nur seinesgleichen eine Ahnung haben könnte. Wie keiner zum Herrschen geboren, mit einer Kraft begabt, die bauen und zertrümmern konnte, mit einem Durst nach übermenschlicher Schönheit, hat er drei Vierteile seines Lebens mit jeder Art des Mangels, dabei mit Krankheit, Not und gänzlicher Verständnislosigkeit seiner Nächsten kämpfen müssen. Man kann sich denken, was in dieser Zeit seines Lebens die Freundschaft Liszts für ihn war, im vollen Sinne des Wortes die Lebensrettung! – Und dann in der letzten Periode die überschwängliche Erfüllung alles Glückes durch Frau Cosima! So traf ich ihn und durfte teilnehmen an dem Götterleben, das er führte, und so allein lebt er in meiner Erinnerung.‹ – Gerade aber, weil ihm Liszt bei jener entscheidenden Wendung seines künstlerischen Daseins so viel gewesen war, gerade deshalb hegte er seit Anbeginn ihres Verkehrs in seiner Seele ein diesem Maßstab entsprechendes ideales Bild von den Möglichkeiten eines Ineinanderaufgehens, einer geistigen Vereinigung ohnegleichen, die zwischen ihnen von je hätte bestehen können; und gerade darum hatte er es tief und schmerzlich zu beklagen, daß Liszts ritterliche Ergebenheit für die fürstliche Freundin, welcher dieser so viel Dank zu schulden vermeinte, diese geistige Vereinigung, dieses Ineinanderaufgehen seit Jahrzehnten hemmte, daß von jener Seite her eben diejenigen seiner Eigenschaften systematisch gepflegt wurden, die einer solchen dauernden Vereinigung im Wege standen; wozu neben dem, durch ihr bloßes Da sein mit genährten, Wandertriebe auch der Verkehr mit einer Gesellschaft gehörte, die zu weit von dem großen Einsamen abstand, um ihm irgendwelche menschliche Genugtuung zu gewähren. ›Die auserlesenste Gesellschaft läßt dich fühlen, daß du ein Mensch mit Eseln bist‹, so variierte er wohl vielmehr für sich jenes Faust-Wort, gerade in bezug auf die glänzenden Kreise, in denen damals Liszt zu seiner Zerstreuung und Ablenkung mit so entschiedener Vorliebe sich bewegte. Bei ihrem Zusammensein [736] im einsamen Bayreuth, wenn Liszt sich daselbst bei seinen regelmäßigen jährlichen Besuchen in Wahnfried einfand, fiel das weniger auf, als eben hier in Venedig.

Noch in die ersten Tage von Joukowskys Ankunft und auf den letzten Abend der Anwesenheit des Großschen Paares fiel ein solches geselliges Zusammensein im Palazzo Malipiero bei der liebenswürdigen und hochgeschätzten Fürstin Hatzfeldt, mit einer Liebhaberaufführung von Goethes einaktigem Schauspiel: ›Die Geschwister‹. Marianne wurde darin von Daniela, Wilhelm von Frau Ada Pinelli dargestellt, Fabrice von dem Sohne des österreichischen Konsuls, dem jungen Adolf Fiers; der Briefträger durch den Maler Franz Ruben. Das Stück selbst, das er von jeher gern hatte, rührte den Meister wieder zu Tränen, und zu Frau Pinelli sagte er am Schluß: ›Wilhelm, Sie haben mich stellenweise an den Fidelio der Agnese Schebest (David Strauß' Gattin) in ihrer besten Zeit erinnert.‹11 Das übrige der Soiree aber, die Vorstellungen verschiedener ganz gleichgültiger Personen usw. war ihm mehr denn je unerträglich, wenn er auch eine geduldige Miene dazu machte und für jeden ein Scherzwort bereit hatte. Bei der Vorstellung eines Malers sagte er: ›nun, Maler gibt es genug hier‹, dem österreichischen Konsul: ›wenn ich wichtige Geschäfte habe, werde ich mich an Sie wenden‹. Die Gegenwart des freundlichen Großschen Paares, das leider anderen Tages seine Heimreise antreten mußte, half ihm über das Unbehagen hinweg. Nein, nicht in diesen äußerlich glänzenden Kreisen einer selbstgenügsamen Gesellschaft fand er seinen wahren Umgang; diesen konnte ihm außer den Seinigen nur der Verkehr mit Denen bieten, die im Leben sich ebenso einsam und bedürftig gefühlt hatten, wie er selbst: jenen abgeschiedenen Geistern der Vorwelt, die aus ihren Werken und Schriften zu ihm sprachen und damit ein drängendes Bedürfnis befriedigten, welches dort nicht zu befriedigen war.

Wir erwähnten bereits seiner Beschäftigung mit Gobineaus ›Geschichte der Perser‹, die sich, mit einigen Unterbrechungen durch wechselnde andere Lektüre, durch volle zwei Monate hinzog. Wenn heutzutage noch irgendetwas auf ›Verbreitung‹ ankäme, sagte er, so würde er die Schriften Gobineaus gern ins Deutsche übersetzt sehen, – ein Wunsch, der sich erst zwei Jahrzehnte später, allerdings unter dem nachwirkenden Einfluß sein es Interesses dafür, verwirklicht hat, wenigstens in bezug auf das große Hauptwerk; die ›Geschichte der Perser‹ steht leider noch aus, und die Gedanken des geistvollen Autors haben nur erst auf Umwegen den Zugang in die deutsche Geschichtswissenschaft gefunden. So vieles darin stimmte mit seinen eigenen Ahnungen [737] über den wahren Sachverhalt überein. Mit unbedingter Bewunderung, mit wachsendem Staunen über die Studien des Autors setzte er die Lektüre fort: es sei förmlich unheimlich, wie dieser Mann überall zu Hause gewesen sei, auch im alten Testament. Wiederholt erging er sich über das eben Gelesene, wie merkwürdig es sei, daß dem Vater des berufenen Helden immer ein tragisches Los zufiele. Gobineaus Ansichten über Cyrus' Bedeutung und Ende fesselten ihn lebhaft, und er versicherte oft, bei dieser Lektüre interessiere ihn oft Gobineau mehr noch als die Perser. Diese Darstellung hätte die bisherige Geschichtschreibung ganz umwerfen müssen; und er entsann sich einmal von seinem alten Züricher Freunde Sulzer in bezug auf Griechen und Perser (vorzugsweise aber auf Alexander den Großen) ganz merkwürdige Ansichten ausgesprochen gehört zu haben, welche auf Kenntnis Gobineaus zurückschließen ließen. Wirklich wandte er sich noch einmal von Venedig aus brieflich an Sulzer, mit einer darauf bezüglichen Erkundigung; doch können wir nichts Näheres davon mitteilen, ob er eine Auskunft darüber erhalten. Die letzten Seiten der Persergeschichte las er den Seinen noch nach Liszts Fortgang von Venedig vor. Gelegentlich der Zusendung einer Totenmaske Goethes aus dem Besitz Gobineaus durch die Gräfin Latour kam er auch auf den Amadis wieder zu sprechen, dessen bedeutendste Abschnitte er damals noch nicht kannte (und niemals kennen lernte!); in diesem Anlaß aber auch weiter auf Ariost, mit dem er es doch noch einmal versuchen wollte, um sein eigenes Urteil über ihn nachzuprüfen, da so viele bedeutende Geister, wie Schopenhauer, Goethe, Gobineau, ihn hochschätzten. Gern blätterte er in den von Joukowsky mitgebrachten Gedichten Michelangelos, auch las er nicht ohne Teilnahme in Tolstois ›Krieg und Frieden‹ (in französischer Übersetzung). Die Gedanken über Kriegskunst gefielen ihm: auch er versage der theoretischen Kriegswissenschaft, wie sie etwa durch einen Moltke repräsentiert ward, seine Anerkennung nicht; aber Taten, wie die Belagerung von Metz, könne man nicht für das Resultat der schulmeisterlichen Strategie erklären, sondern von Schulung des Charakters bei Offizieren und Soldaten. Noch während der Anwesenheit des Großschen Paares kam es vor, daß er den Abend teilweise damit verbrachte, daß er mit Liszt in dessen Whistpartie sich vertiefte, teilweise aber mit seiner Gemahlin, Joukowsky und Frau Marie Groß sich unterhielt, vorzugsweise über den Tolstoischen Roman, worin er besonders die Darstellung der Gestalt des alten Kutusow rühmte. Auch sonst teilte er manches daraus in seinen Unterhaltungen mit, u.a. wie Napoleon in Moskau in seiner selbstüberhebungsvollen Naivetät die ›Bojaren‹ im Kreml zu empfangen wünscht und sich schon in voraus die Ansprache an sie einstudiert; oder er las daraus abends die Episode des mitgeschleppten Kriegsgefangenen und des armen heulenden Hundes vor, der zusehen muß, wie sein Herr, dem er treu ausdauernd gefolgt, schließlich wegen Entkräftung erschossen wird. [738] Seine Tischunterhaltungen mit Liszt führten auch einmal auf die altgriechische aus, im Anschluß daran referierte dann Wagner über eine kürzlich von ihm gelesene Arbeit über arabische Musik, bei der es einem ganz angst und bang werden konnte: ›Die Einfachheit unserer Skala, das ist göttlich; sie ist einfach, wie das Christentum; der Reichtum jener Töne und Halbtöne erscheint mir wie Götzendienst.‹

Die Anwesenheit Adolf Großens hatte in vielen Stücken beruhigend auf ihn gewirkt, und es war ihm ein erfreuliches Signal, wenn sich dieser bei einem seiner täglichen Besuche im Vendramin schon von seiner Gondel aus mit dem Pfiff von Siegfrieds Hornruf bei ihm anmeldete. Daß nun aber in der Voltz-und Batzischen Angelegenheit noch viele Skripturen und viel Zeit erforderlich sein würden, konnte ihn in große Aufregung versetzen; am schlimmsten war der Moment, als er erfuhr, daß Feustel das Original des Kontraktes verloren und zurzeit auch nicht im Besitz einer Abschrift davon sei. Auf eine telegraphische Anfrage des Advokaten erklärte dann wiederum Herr Batz, daß er seinerseits Mitteilung des Kontraktes verweigere, wodurch fürs erste einem gerichtlichen Vorgehen jede Basis entzogen war. Eine andere üble Nachricht, daß Neumann mit seinem kühnen Unternehmen falliert habe, drang damals von Mund zu Mund und wurde bloß dem Meister verschweigen; da aber inzwischen die von diesem zu erwartenden Gelder ausblieben und auf eine telegraphische Erkundigung die Antwort erfolgte: ›in einem Monat‹, durfte er wohl einen üblen Stand der Dinge ahnen. In der Tat befand sich Neumann eben damals auf dem schwierigsten Punkte, und nur seine Energie, Ausdauer und Zähigkeit, ja Tapferkeit ließ ihn die Krisis glücklich überstehen.12 Angenehm wirkte dagegen wenige Tage später die Nachricht: die vermißte Abschrift des Batzschen Kontraktes habe sich wiedergefunden; doch sagte der Meister davon: ihm genüge es, so etwas erfahren zu haben, um sich nicht wieder zu er holen. Wie er sich nach dem abendlichen Zusammensein zur Ruhe begab, brach er in die Klage aus: ›ach, wenn der Krampf doch schwände! All dieses ewige Scherzen ist Krampf, meine Gesichtsmuskeln sind immer im Krampf!‹ – Insbesondere schmerzte es ihn, daß er durch all diese leeren und nichtigen äußeren Erregungen nicht zu [739] irgend einer Arbeit komme. In diesem Sinne sprach er sich einmal dahin aus, er würde seinen Aufsatz über ›Männlich und weiblich‹ nicht schreiben, höchstens gelegentlich seine Gedanken darüber andeuten. Auch würde er nie wieder ein Wort über Religion sagen, etwa um seinen – in ›Heldentum und Christentum‹ ausgedrückten – Gedanken über das Blut Christi (S. 518 f.) näher zu entwickeln. Das seien so Dinge, die gingen einem einmal auf; nun verstehe sie, wer könne, auseinandersetzen könne man das nicht. Als er einmal eine gute Nacht gehabt hatte, überdachte er sein versprochenes Vorwort zu Steins ›Dialogen‹; einige Tage später begann er dessen Aufzeichnung, wurde aber durch mancherlei so nachhaltig darin unterbrochen, daß er für den Augenblick selbst darauf verzichtete. In seiner Stube nahm er, bald nach Liszts Ankunft, durch den Tapezier, der sie ihm gleich anfangs eingerichtet, die ›Spielereien‹ vor, die ihn angenehm zerstreuten, durch welche er sie sich in eine ›blaue Grotte‹ verwandelte, deren ausführliche Schilderung nachmals durch den Übereifer journalistischer Sensationsjäger die ganze Zeitungswelt durchdrang, so daß man wohl sagen kann, es habe damals kein Zeitungsblatt gegeben, in welchem sie nicht in ihrer ›märchenhaften Pracht‹ ausführlich vergegenwärtigt gewesen wäre. Wenn dergleichen nun für einen Hang zum ›Luxus‹ galt, den man dem großen Genius zu ›verzeihen‹ hätte, weil seine Phantasie-Bedürfnisse es erforderten, so fehlte dabei besonders immer die Einsicht, die ihn bei solcher sich selbst bereiteten Freude an seiner Umgebung stets leitete und schon in Zürich einmal zum Ausdruck gebracht wurde: ›wer sich vergegenwärtigt, was dieser Luxus mir er setzen soll, wird mich für sehr genügsam halten‹. Es war ein glücklicher Zug in seiner Natur, der es ihm möglich machte, durch die Ausschmückung seiner Umgebung in seinem Sinne sich einen solchen ›Ersatz‹ für Das zu bieten, was die Welt ihm nicht gewährte. Er selbst äußerte sich durchaus unbefangen über diese seine Neigungen für Farben, für Wohlgerüche, welche letztere er sehr stark haben müßte, da er schnupfe. ›Das Schnupfen ist eigentlich meine Seele‹, sagte er drollig. Im Lauf des Gespräches beschrieb er anfangs, wie sanft glänzende Farben (denn diese allein bevorzugte er stets) ihn für sein Wohlbefinden, und demgemäß für seine produktive Fähigkeit günstig stimmten; dann aber nahm er mit Entschiedenheit alles wieder zurück: ›es sind Schwächen‹. Wir dürfen aber hinzufügen: Schwächen eines Starken, Übergewaltigen, die ihm durch ihre sanften Hilfsmittel die Kraft zum Unerhörten verliehen und die Lust dazu bestärkten, es weiter in diesem Leben auszuhalten.

Um die Mitte Dezember wurde er geheimnisvoll: er ging nachmittags für mehrere Stunden aus, ohne daß man wußte, wohin, er empfing den Besuch des Grafen Contin, Gründers und Präsidenten des dortigen Konservatoriums (im Liceo Marcello Benedetto), und erwiderte ihm denselben wenige Tage später; kurz es handelte sich um eine Überraschung für seine Gattin[740] zu deren bevorstehendem Geburtstage. Wir können die einzelnen Schritte dafür in seinen gleichzeitigen Briefen verfolgen. Schon am 2. Dezember, nachdem er den ersten Entschluß dafür gefaßt, schrieb er an Seidl: ›Halten Sie ja auf den Urlaub! Kommen Sie ja so schnell als möglich zu mir, wo Sie absteigen und wohnen können! Sie müssen mir wieder helfen: am 25. Dez. will ich meiner Frau diesmal meine dann eben fünfzig Jahr alte Symphonie vorspielen lassen; man hat mir versprochen, von den hiesigen Schülern des Konservatoriums ein erträgliches Orchester zusammenzubringen; das müssen Sie einstudieren. Auch einige Arrangements werden nötig sein – Also – los! –‹ Diesem Wunsche konnte nicht entsprochen werden; das wandernde Wagner-Theater hatte viel mehr für den 19. und 20. Dezember mit dem Dresdener ›Residenztheater‹ (nicht dem Hoftheater!) für zwei Aufführungen der ›Walküre‹ abgeschlossen, zu welchen Neumann Scaria als Wotan eingeladen, und verbrachte Weihnachten in Berlin, um nach den Festtagen seine Tätigkeit sogleich wieder aufzunehmen und sich schon zum Silvesterabend zu dreiwöchigem Aufenthalt nach Amsterdam zu begeben. Infolgedessen wandte er sich an Humperdinck, der soeben als Stipendiat des ihm zuteil gewordenen Meyerbeer-Preises (S. 516) – zu Studienzwecken in Paris weilte und daselbst am 14. ein Telegramm des Meisters erhielt: ›Sofort kommen, um die Symphonie zu dirigieren!‹ Ohne Zögern machte dieser sich auf, über den Mont Cenis-Tunnel nach Mailand und dann weiter nach Venedig, wo er am 18. früh 5 Uhr unter dem Läuten aller Morgenglocken eintraf. Mit ihm hatte der Meister noch einen ganz besonderen Gedanken: er wünschte ihn, der einstweilen noch ganz ohne feste Stellung war, am liebsten ganz hier in Venedig zu fesseln, wo er dem Konservatorium als gediegener deutscher Musiker von großem Nutzen für den Vortrag hätte werden können. Das ›richtige Tempo‹, hatte er dem Grafen Contin erklärt, sei ›das A und O dessen, was man zu lehren habe‹, und dieser sich mit der Anstellung Humperdincks sehr einverstanden erklärt. Inzwischen hatte das Ausbleiben Seidls zur entscheidenden Zeit Mühen über Mühen bereitet; die Vorbereitungen zur Aufführung der Symphonie wären durch ihn ganz unmerklich vor sich gegangen; statt dessen hatte er nun selbst für das Ausschreiben der mangelnden Stimmen und alle sonstigen Vorbereitungen zu sorgen, so daß schließlich das Geheimnis nicht gewahrt werden konnte, und die Offenkundigkeit der ›Überraschung‹ die heitersten Tischgespräche ergab. Die Kinder allein waren von Anbeginn in alles eingeweiht, Siegfried, zuweilen eine der Schwestern hatten den Vater regelmäßig am Nachmittag um 4 Uhr zu den Proben begleitet; sie bezeugten, wie gut es ihm bekam, wieder (wie er selbst scherzend es nannte) ›im Metier‹ zu sein, er habe auf dem Markusplatz wieder seinen leichten und schnellen Schritt gehabt. Leider fiel in diese Periode eine nicht unbedenkliche Erkrankung der jüngsten Tochter, so daß die Mutter nicht von[741] ihrer Seite wich, – um so mehr, als Dr. Keppler erklärte, man könne nicht wissen, ob es nicht gar ein Infektionsfieber sei. Die sämtlichen Musiker des Orchesters, unter ihnen vorzugsweise der lebhafte erste Geiger Frontali, waren durch Wagners Art zu dirigieren und den unmittelbaren Eindruck seiner Persönlichkeit entzückt und zu echt italienischem Enthusiasmus entflammt. Weniger erfreulich war es ihm, wenn gegen das Ende der Probezeit der berühmte mailändische Kritiker, Filippo Filippi sich ebenfalls unter den Anwesenden einfand. Ausschließen konnte er ihn nicht gut, da sich jener seine ›Berühmtheit‹ (seit etwa 1870) eigens als Parteigänger des deutschen Meisters gewonnen; und doch war ihm alles verhaßt, was irgendwie zur sog. ›Presse‹ in Beziehung stand. Diese Art Menschen, sagte er, sei ihm ganz besonders zuwider, denn sie müßten – ihren Lesern zuliebe – immer mit ›Witz‹ schreiben, und ›das nimmt sich kurios aus, wenn über unsereinen witzig geschrieben wird!!‹ Den Witz behielt er vielmehr mit gutem Recht sich selber vor und wirkte eben dadurch, neben allem jugendlichen Feuer, hinreißend auf seine Musiker; wenn er ihnen z.B. gleich anfangs erklärte: das Stück, welches sie zu spielen bekämen, sei ein altes Stück, vor fünfzig Jahren geschrieben; wenn sie Neues haben wollten, müßten sie eine Symphonie von Beethoven oder Haydn nehmen. Da nun das Geheimnis der geplanten Überraschung nicht mehr bestand, sprach er auch zu Hause, wenn er tief befriedigt heimkehrte, gern von seiner Symphonie: sie sei gar nicht sentimental, vielmehr eigentlich durchaus auf das Erhabene gerichtet. Er gedachte der ursprünglichen Aufführung in Leipzig, mit nur einer Probe, in welcher die vorhandenen Schwierigkeiten kaum bewältigt werden konnten;13 die jetzige würde viel besser sein. Am 10. und 20. fanden die beiden letzten Proben vor der Generalprobe statt, und wir entnehmen den Tagebuchaufzeichnungen Humperdincks, daß sich bei der ersteren der Meister plötzlich unwohl fühlte und mit ihm allein in der Gondel nach Hause gefahren sei; am 20. wiederum seien einige Musiker zu spät gekommen, und Wagner hätte ihnen eine Strafrede gehalten, die von ungeheurem Eindruck auf alle gewesen sei Nichts konnte er weniger leiden, als was bei seinen Künstlern entfernt nach Unpünktlichkeit aussah.14 Am Abend habe er im Vendramin aus ›König Lear‹ vorgelesen. Am 21, dem Vorabend der Generalprobe, einem Donnerstag, war er mit dem Meister und dessen Gemahlin allein; die übrigen sämtlich mit Liszt bei der Fürstin Hatzfeldt, Eva noch zu Bett. Frau Wagner bat ihn, ihr etwas zu spielen, und er wählte dazu den Trauermarsch aus der ›Götterdämmerung‹; der Meister zeigte ihm dann, was von den Themen darin zurückzutreten, [742] was hervorzutreten habe, und erging sich in Betrachtungen über den Weg von der Symphonie bis zu dieser Musik. ›Was Einer sein eigen nennen dürfe‹, diese Frage beschäftigte ihn dann, und er erzählte in diesem Sinne, wie er Tausig einmal geraten habe zu improvisieren und dann festzuhalten, was ihm einfiele, worauf ihm dieser entgegnete: ›woher kann ich dann aber wissen, daß dieser Einfall wirklich mein eigener sei?‹15 Er erklärte in diesem Zusammenhang die Theorie des ›Eigentums‹ für die allerungerechtsertigste von der Welt; könne man doch kaum den Gedanken sein eigen nennen, so sehr sei er von außen beeinflußt! Daß Liszt so viele Einladungen nach außen hin annahm, bald zum Diner beim Erbprinzen Philipp Hohenlohe-Schillingsfürst, bald zu einer Soiree bei den Paul Metternichs, bei welcher er dem spanischen Prätendenten Don Carlos vorgestellt wurde,16 und sein Besuch bei den Hausbesitzern des Vendramin17 gab Anlaß zu manchem Scherz; das aber verdachte der Meister ihm ernstlich, daß er nicht allein selbst wiederholt auswärts speiste, sondern auch als Großvater – Daniela dazu mit sich nahm, während er selbst sie gern bei sich in der Probe gehabt hätte. Dagegen bewies er ihm die größte Teilnahme und gab ihm machen Ratschlag aus eigener Erfahrung, als er nach jenem Abende bei der Fürstin Hatzfeldt (mit den ›Geschwistern‹) kurze Zeit sehr, sehr leidend war und sich zu Bette halten mußte. Auch rühmte er gern die ›Noblesse‹ als einen Hauptcharakterzug Liszts und berief sich hierfür einmal bei Tische auf Liszts Briefe: alles, was er schriebe, sei schön gesagt: ›das kann ich nicht‹, fügte er lächelnd hinzu, ›dazu gehört Noblesse, Anstand – die habe ich nicht!‹

[743] Am Freitag, den 22. Dezember, ging – nach eintägiger Unterbrechung – die Generalprobe im Teatro la Fenice vonstatten. Er hatte zuvor die Freude gehabt, die erkrankte jüngste Tochter zum erstenmal nach acht Tagen Krankheit wieder aufstehen zu sehen und sie selbst an seinem Arm zu Tische zu führen, wo sie von allen Geschwistern und Angehörigen festlich empfangen wurde. Am Nachmittag legte sie sich wieder zu Bett, und um vier Uhr erfolgte der allgemeine Aufbruch zur Probe. An dieser nahm heute, außer Liszt, Joukowsky und den Kindern, auch Frau Wagner als Zuhörerin teil, wenngleich im Hintergrund einer Loge versteckt, um für die Musiker den aufrechtzuerhaltenden Eindruck der geplanten Überraschung nicht aufzuheben. Es war recht kalt draußen, und der Meister hatte im Theater leider wieder seinen Krampf. Doch dirigierte er den ersten Satz und nach einer ziemlich langen Pause die anderen. ›Meister sehr ermüdet; abends nicht zu Tisch‹, heißt es in Humperdincks Tagebuch-Notizen Anderen Tages – nach einer ziemlich schlechten Nacht – war er doch wieder wohlgemut, ging nachmittags mit den Kindern aus und verbrachte den Abend (da Liszt wieder außer Hause war) mit den Seinen und Humperdinck in mancherlei Gesprächen: über das Intervall des Themas der ›Leonoren‹-Ouvertüre (›eine neue Welt habe damit begonnen, etwas erhaben Leidenschaftliches‹), über Schumann usw. Über den letzteren sprach er hierbei, als einiges Bedeutende von ihm hervorgehoben wurde, die bezeichnenden Worte: ›ich kann nicht gerecht sein; dazu muß man selbst nichts sein, nichts anderes im Kopfe haben, als das Abwägen‹. Aber es gibt eine ruhig waltende Gerechtigkeit der Tatsachen: diese hat es herbeigeführt, daß das Schärfste, was gerade er je über Schumann geäußert, mehr und mehr in seiner inneren Notwendigkeit erkannt und gewürdigt wird, wonach es der Schöpfer eines ›Tristan‹, eines ›Ringes‹ und eines ›Parsifal‹ nicht anders empfinden und für andere verständlich formulieren konnte, als er es getan; wogegen die ablehnende Zurückhaltung Schumanns gegen den größten seiner Zeitgenossen nicht minder in ihren Ursachen klar sich darstellt, nämlich als enge, harte, unnachgiebige Begrenzung eines kargen künstlerischen Naturells, das nicht über sich selbst hinauskann. ›Wagner über sein persönliches Verhältnis zu R. Schumann‹, mit dieser kurzen Marke faßt Humperdinck in seinen Notizen diesen Teil der abendlichen Unterredung des 23. Dezembers zusammen, und wenn man den Ausdruck ›persönliches Verhältnis‹ recht versteht, gewissermaßen als die Bezeichnung der Proportion zweier aneinander gemessener künstlerischen Naturen, der einen mit dem weitestreichenden, ja unbegrenzten, universalen Gefühl und Gesichtskreis, der andern in ihrer träumerisch-lyrischen Abgeschiedenheit, über deren Schranken hinaus sie ihren Blick nicht anders als mißtrauisch zu richten vermochte, und innerhalb deren ihr Gelingen und Mißlingen, ihre Entzückungen wie ihre andauernden Antipathien gegen das Größte beschlossen waren, so ist mit jenem einen [744] kurzen Ausdruck allerdings etwas sehr Treffendes gesagt. – ›Es schien, als ob das Antlitz des Meisters von der scheidenden Sonne seines Lebens mit einem Schimmer der Verklärung übergossen war, die alles Herbe, alles Strenge in Milde und Güte sondergleichen verwandelte‹, mit diesen Worten faßt Humperdinck den Eindruck jener Tage eines ungetrübten Glückes zusammen, die er noch dieses eine letzte Mal im Familienkreise des lebenden Genius verbringen durfte.

Der Weihnachtsabend des ›Parsifal‹-Jahres 1882 brach an. Auf das reichste und liebevollste hatte Wagner, dem ihm innewohnenden tiefen Bedürfnis folgend, immer andere zu erfreuen und darin seine Freude zu finden, für jeden einzelnen seines Kreises gesorgt, sowie andererseits Liszt, der durch die Einsamkeit seines Lebens jeder Art von häuslicher Weihnachtsfeier entfremdet und sogar der freundlichen Gewohnheit des heimischen Weihnachtsbaumes abgeneigt war,18 sich diesmal in rührender Weise darauf bedacht zeigte, noch am Nachmittag des Festtages durch Gassen und Gäßchen eilig wandelnd, in allerlei Läden einkehrend, geheimnisvolle ›Einkäufe‹ zu machen und als liebevoller Großvater für jeden eine beziehungsvolle Kleinigkeit zum Weihnachtstisch heimzubringen.19 Wiederum war des Meisters Freude ein wenig dadurch getrübt, daß nicht alles, was er in seinem Drang des Freudebereitens und Beglückens im Sinne gehabt und bestellt hatte, ganz nach Wunsche geraten und zur rechten Zeit eingetroffen war. So erregte es ihn ganz ungemein, daß ein größeres Weihnachtsgeschenk, welches er mehrere Tage früher durch telegraphische Anweisung nach Palermo gesandt, damit auch die ferne Tochter Blandine sich und ihrem Gatten etwas recht nach Wunsche einkaufen könne, anscheinend sein Ziel verfehlt hatte, da sogar auf Anfrage seiner Gemahlin, ob die Gabe angekommen, keine Antwort erfolgte. Erst mehrere Tage später erfuhr er zu seiner Beruhigung, es sei alles rechtzeitig angekommen und nur ein zerrissener Telegraphenstrang die Ursache des unerklärlichen Schweigens gewesen Liszt fand auf seinem Weihnachtstische neben allen anderen liebevollen Geschenken ein schönes Bild seines besonderen Schutzheiligen, Franziscus von Assisi, der die Wundenmale empfängt, mit den eigenhändigen Versen des Meisters darunter:


Nicht läßt sich Gott von Angesichte gleichen,

nicht an Gewalt, noch Welten-Pracht und Glanz;

sieh' dort des Wundenmales göttlich Zeichen,

durch das dem Herrn sich glich der heil'ge Franz!

Noch so beredt, nicht mehr aus seinem Munde,

zur Welt spricht Gott durch seines Heil'gen Wunde.20


[745] Auch die italienischen Hausleute, der Portier und die beiden Gondoliere, die ein derartiges Fest mit nordischem Weihnachtsbaum niemals erlebt, nahmen nebst der mitgebrachten Bayreuther Dienerschaft – an der Familienfeier der allgemeinen Bescherung den herzlichsten Anteil, um so mehr, als auch sie reichlich dabei bedacht waren. Gegen 1/28 Uhr begab man sich, in drei Barken, bei herrlichstem Mondschein und unter Glockengeläute in voller Zahl nach der ›Fenice‹; es war eines der erfreulichsten Weihnachtsgeschenke für alle, daß Dr. Keppler der jungen Patientin unbedenklich gestattet hatte, bei dieser musikalischen Festfeier mit gegenwärtig zu sein. Der Saal des Foyers war festlich erleuchtet; zuerst trat Liszt mit Frau Wagner und den Kindern ein, in Begleitung Joukowskys und Humperdincks, zu denen sich dann auch Graf Contin als Hausherr gesellte; etwas später erschien der Meister, vom Orchester jubelnd empfangen. Mit elastischem Schritt betrat er die zum Dirigentenpult führenden Stufen, und das ihm feurig ergebene Orchester machte seine Sache, nach den vorausgegangenen fünf Proben21 vortrefflich und ganz zu seiner Zufriedenheit. Nach den ersten beiden Sätzen wurde eine Pause gemacht, und er begab sich zu den Seinigen Frau Wagner ließ durch ihn den Musikern ihren Dank aussprechen, was ihr ein begeistertes Evviva einbrachte. Am Schluß vereinigten sich Zuhörer und Musiker: man nahm Erfrischungen ein und trank auf das Wohl der Gefeierten; dann erzählte der Meister in französischer Sprache die Geschichte seiner Symphonie, und auf [746] seine Einladung setzte sich Liszt an das Klavier und spielte zum Entzücken und zur jubelnden, Freude aller. ›Sie war traumhaft genug, diese Aufführung‹, heißt es in einem kurz darauf an die Freunde. Schon in Worms gerichteten Privatbrief von Frau Wagner, nach fünfzigjährigem Schweigen ertönten diese prächtigen Klänge wieder, die von einem Herzen kamen, welches das Fürchten nicht gelernt! Und zwar in Venedig, in einem glänzend erleuchteten Saal, wo aber kein Auditorium zugegen war. Schneiderherberge22 damals und die Mutter, Liceo Marcello jetzt und die Frau und Kinder, als Vogen über diese beiden Marksteine der Vergangenheit und Gegenwart ein ganzes schweres glorreiches Leben! Glockengeläute hatte unsre Gondeln vom Palast zum Saale geleitet, da die Feiernacht begangen wurde; in der Stille glitten wir zurück, aber in einem Mondduft, wie man ihn vielleicht nur in Venedig ersieht. Wie durch blaue strahlende Schleier fuhren wir durch, im Herzen eine unauslöschliche Erinnerung, die kaum der Zeit noch dem Raume anzugehören schien, sondern die wie jedes hohe Glücksgefühl in die Welt der Träume sich ergießt! – Selbst das bloße Nacherleben dieser sinnigen, Familienfeier verschaffte ihrem Veranstalter noch manche gute Stunde, als er in den letzten Dezembertagen seinen ›Bericht über die Wiederaufführung eines Jugendwerkes‹ aufzeichnete, den er zwar, als rein persönlicher Art, nicht etwa den ›Bayreuther Blättern‹, dafür aber dem ›Musikalischen Wochenblatt‹ seines tapferen Leipziger Verlegers E. W. Fritzsch am Silvesterabend als Neujahrsgruß übermittelte. Die Beschäftigung damit schwemmte jeden von außen kommenden Ärger hinweg, und man ersah, wie bei jenem Bayreuther Weihnachtskonzert von 1878,23 was sein Wohlsein förderte und was daran rüttelte: die Berührung mit seiner wunderbaren Kunst schien immer wieder berufen, das auszugleichen, was die unausgesetzten Kämpfe mit der Welt da draußen, mit ihren ›Voltz und Batz‹, an ihm sündigend verbrachen.

Wie wenig Wünsche wurden ihm erfüllt, die er sich nicht, wie hier im kleinen, selbst und aus eigener Kraft erfüllte! Sogar die beabsichtigte Fixierung Humperdincks am Liceo Marcello sollte sich schließlich nicht realisieren, und es war ihm noch nachträglich peinlich, diesen vergebens hierher berufen zu haben, da die Administration des Liceo ihn nun mit dieser geplanten Anstellung im Stiche ließ, und zwar aus den allerseltsamsten Gründen. Ein Triester Irredentist, namens Oberdank, war soeben, am 20. Dezember, wegen eines geplanten Bombenattentates auf Kaiser Franz Josef von Österreich (anläßlich der Eröffnung einer Ausstellung in Triest, die der Kaiser mit seiner Anwesenheit beehren wollte) kriegsgerichtlich hingerichtet worden. Die patriotischen Volksleidenschaften in Venedig waren nun dermaßen gereizt, daß man Demonstrationen befürchtete und von der Berufung eines Deutschen unter [747] solchen Umständen absehen mußte. Noch sechs Wochen später schrieb Wagner in diesem Zusammenhang an Angelo Neumann, als er von diesem erfuhr, er wolle mit seinem Wandertheater auch Venedig berühren: ›hatten Sie wirklich Venedig im Sinne? Das wäre eine unglückliche Idee gewesen: von allen italienischen Städten ist gewiß Venedig am weitesten zurück; doch möchte ich selbst zu irgend einer anderen auch nicht raten. Hier herrscht jetzt nichts als »Revanche für Oberdank«!‹ Für die Unannehmlichkeit einer derartigen Durchkreuzung einer guten, fruchtbringenden Absicht, deren Ausführung, wäre sie geglückt, für beide Teile, das venezianische Institut und den zur Wirksamkeit an demselben bestimmten deutschen Musiker, von nachhaltigem Nutzen hätte werden können, entschädigte man sich einstweilen durch reichliche Scherze über den Anklang der beiden Namen ›Humperdinck‹ und ›Oberdank‹, und ersterer verweilte noch eine gute Woche, bis in die ersten Januartage hinein, in der Lagunenstadt, um sich durch Siegfried, Hausburg und den Maler Ruben alle Herrlichkeiten Venedigs, das er zwar schon von früher kannte, das Innere der Markus-und Salvatorkirche usw. zeigen zu lassen, mit ihnen das Teatro Malibran zu besuchen, und auch noch bei einer auf den 1. Januar fallenden Festlichkeit in Palazzo Malipiero zu Ehren der Fürstin Hatzfeldt mitzuwirken. Es war dies eine sinnige Feier des Geburtsfestes der liebenswürdigen Frau durch eine musikalisch-deklamatorische Szene, von Frau Wagner selbst gedichtet und den Kindern einstudiert. ›Elisabeth von Thüringen mit ihrem Gatten erschien darin auf der Bühne, und das »Rosenwunder« vollzog sich unter Liszts Musik aus seiner »heiligen Elisabeth«. Einige der Rosen entfallen dem Körbchen; ein Minstrel des Gefolges nimmt dieselben auf, erkennt jede derselben als eine Himmelsgnade: Gesundheit, Glück, Zufriedenheit und überreicht sie dem Geburtstagskinde. Diesen Minstrel spielte Siegfried Wagner; Humperdinck akkompagnierte, und Liszt war tiefgerührt, seine Musik zur »heiligen Elisabeth« in diesem Zusammenhang zu vernehmen.‹24 Selbst der Meister, obgleich er gerade wieder an seinen Anfällen litt, war unter den Anwesenden. Wie davon die Rede war, daß das neue Jahr mit einem ›Montag‹ begönne, scherzte er darüber und erzählte von einem zur Hinrichtung Geführten, der nach dem Wochentag gefragt und als man ihm den ›Montag‹ nannte, bemerkt habe: ›nun, die Woche fängt wieder gut an‹. Bei Tische verstimmte es ihn einigermaßen, daß wiederum Liszt von einem gemeinsamen Unternehmen sich ausschloß: im Goldonitheater wurden nämlich abends die ›Baruffe Chioggiote‹ gegeben, die er mit ganzer Familie besuchen wollte; Liszt hingegen wünschte zu Hause bleiben zu dürfen und erbat sich dazu Joukowsky und Daniela zur Gesellschaft. Wie gern hatte er jederzeit [748] und bei jeder Gelegenheit den ganzen Kreis der Seinigen um sich! Aber das Theater erheiterte ihn bald, und man kehrte befriedigt wieder heim; Stück und Spiel hatten ihn ergötzt und alte Erinnerungen (an 1858) in ihm wachgerufen. Anderen Tages sagte er bei Tisch, in bezug auf die gestrigen Äußerungen seiner Unzufriedenheit eines schlimmen Charakters sich zeihend: ›Mit mir muß man vorsichtig, und auch nachsichtig sein.‹ Dieser Tag (2. Januar) war der letzte von Humperdinck in Venedig verbrachte; seine Rückreise nach Paris stand für spät abends vor der Thür. Er gedenkt des letzten Abschiedsessens im Vendramin, bei dem eine ernste, ja sehr gerührte Stimmung geherrscht habe (zu dieser trug auch eine Trauernachricht aus der Feustelschen Familie reichlich mit bei). ›Die Stunde des Abschieds nahte; unten erwartete mich bereits die Gondel. »Auf Wiedersehen, teurer Meister!«, rief ich bewegt. Er blickte mich ernst an und sagte leise: »Reisen Sie glücklich, lieber Freund!« Dann stürzte ich in tiefer Bewegung hinaus in das Dunkel der Nacht ... Das »Wiedersehen« blieb diesmal aus.‹

Seit den letzten Dezembertagen hatte Liszt seine besondere eigene Wohnung im Entresol des Vendramin aufgegeben, und man hatte zwei bis drei schöne Zimmer der Familienwohnung auf das liebevollste für ihn eingerichtet. Aber einerseits genierte den Meister die durch diesen Ausfall entstehende Verengung der ohnehin eingeschränkten Räume, während andererseits der allabendliche Whisttisch die kostbarsten Stunden des geistigen Verkehrs, ohne die Wagner gar nicht bestehen konnte, für seine etwas trockene und öde Eintönigkeit in Anspruch nahm und die Donnerstagszusammenkünfte bei Fürstin Hatzfeldt immer noch in voller Glorie fortdauerten. Von ihnen mochte er gar nicht hören, weil sie ihm für seine eigene Umgebung einen zu empfindlichen Abbruch taten: ›Was ist der Mensch an sich‹, rief er einmal aus, ›wenn ihm die Gesellschaft über alles geht?‹ Und doch nahmen diese abendlichen Zusammenkünfte nur einen noch regeren Aufschwung, als auf der Durchreise nach Rom zu ihrer Mutter (Mme. Minghetti) auch noch Gräfin Marie Dönhoff auf dem Platze erschien, lieblich, freundlich, dem Meister durchaus angenehm und doch die Bewegung im Hause, wie in der Gesellschaft noch vermehrend. In dieser Zeit und in demselben erlesenen Kreise von Malipiero ›wurde von Liszt (4. Januar) seine melodramatisch arrangierte »Lenore« Bürgers in Szene gesetzt. Er selber studierte der vornehmen Darstellerin dieselbe ein. Die geisterhaften, ätherisch gedämpften Akkorde während des Gespräches zwischen dem Gespenste und Lenoren kann niemand so wiedergeben, wie es bei dieser Gelegenheit der Altmeister tat. Alles war hingerissen. Es war dies eine Abschiedsfeier für Liszt, der dazu full dress verlangt hatte, und so erschienen alle Damen in prächtigster Toilette.‹25 Der [749] Meister war dazu nicht mit anwesend; er hatte sich vielmehr gerade tags zuvor darüber ausgelassen, wie widerwärtig ihm derartige Vergnügungen seien, wobei man nicht anders könne, als sich über einen andern zu entsetzen und es ihm doch nicht ausspräche. Bei den täglichen Besuchen der Gräfin Dönhoff im Vendramin26 nahm sie wiederholt auch an den Mahlzeiten teil, bei denen dann nicht allein von mancherlei Welt- und Lebensdingen die Rebe war sondern die Gräfin auch von den Wiener Aufführungen des ›Ringes‹ berichtete und namentlich Winkelmann, Scaria und Frau Materna ungemein rühmend hervorhob. ›Gräfin Dönhoff‹, meldete er daraufhin an Scaria (6. Januar), ›erzählte mir gestern von den Aufführungen, denen sie in Wien beigewohnt. Nun kenne ich ja Ihren »Wotan«, die enthusiasmierte Dame konnte mir also kaum Neues darüber erzählen. Ich kenne ja auch Frau Materna und weiß, wer die besten Sänger meiner Opern sind. Auch Winkelmann habe ich sehr rühmen hören. Wie alles das mich erfreut! Die meiste, Freude aber macht es mir zu hören, daß Sie sich in den »Sachs« so hineingearbeitet haben. Nun ich hoffe, auch das noch in Bayreuth zu erleben!‹27

Seit dem Beginn des neuen Jahres war er ohnehin wieder viel mit seinen Künstlern beschäftigt, großenteils in Anknüpfung an deren Neujahrsgrüße und -Glückwünsche. Er begann mit Levi28 (2. Januar), Fritz Brandt und einigen Sängern (3. Jan.), woran sich dann jene Reihe von herzlichen Zurufen an Frl. Malten, Scaria, Siehr (6. Jan.), und wiederum Levi (7. Jan.) Siehr (10. Jan.), endlich Winkelmann und Frau Materna (14. Jan.) schlossen,29 vom gleichen Datum auch ein Brief an Heckel in Mannheim.30 In den ersten dieser hier aufgezählten Briefe ist noch von 20 Aufführungen im Juli und August die Rede; im letzten heißt es bereits: ›Gestern war Groß hier: wir werden diesmal nur den Juli mit 12 Vorstellungen haben. Auch gut! Ich ärgere mich über nichts mehr.‹ Wie es innerhalb zehn Tagen zu diesen eingreifenden Veränderungen kam, werden wir im nachstehenden uns vergegenwärtigen. An den mitwirkenden Sängern und sonstigen Kunstgenossen lag es nicht: diese erfreuten ihn vom ersten bis zum letztgenannten durch verständige Gegenäußerungen, mit denen er zufrieden war. Frl. Brandt hatte er fallen lassen und gedachte mit bloß zweifacher Besetzung der Hauptrollen bis auf weiteres ruhiger durchzukommen. Frau Materna und Frl. Malten für Kundry, Winkelmann und [750] Gudehus für Parsifal; daß durch ein einsichtiges Entgegenkommen des schwierig zu behandelnden Scaria der zweite Darsteller Siehr ebenfalls gewonnen werden konnte, war ihm sehr beruhigend. Noch in dem ersten der im obigen hergezählten Briefe (2. Jan. an Levi) heißt es: ›Mit Siehr wird es schwer werden; ich glaube, wir werden auf ihn verzichten müssen. Es tut mir leid: aber er ist gewiß nie zu dem Einsehen zu bringen, daß er neben Scaria nur eine zweite Stellung einnehmen kann. Wir müssen suchen, einen tüchtigen Bassisten zu gewinnen, der – gegen die Garantie, den Gurnemanz mindestens 4 mal zu singen – zum Einspringen im Notfall sich bereit erklärt.‹ Und an Siehr selbst teilt er sich im gleichen Sinne mit: ›Mit Ihnen wollte ich nicht eher verhandeln, als bis ich Scaria durch die Zumutung, mir einen Nothelfer vorzuschlagen – da ich doch Ihnen diesen abzugeben nicht aufbürden könnte – zur richtigen Einsicht gebracht hätte.‹ Dies war nun so gut gelungen, daß es möglich war, Scarias an den Meister gerichteten Brief selbst, der ihn in einem guten, recht versöhnlichen Lichte zeigte, als besten Vermittelungsboten Siehr zur Einsicht zu übersenden.

Da Liszt in diesen Tagen viel außer Hause war, kam es abends auch wiederholt zu beruhigender Lektüre, wobei denn Shakespeares ›Hamlet‹ sein Antlitz wieder ganz wundervoll erstrahlen ließ. Der Monolog Hamlets ›Sein oder Nichtsein‹ (den er, dem Originalsinn besser entsprechend, in ›ob sein, ob nicht sein‹ umkorrigierte) gab ihm Gelegenheit zu Betrachtungen darüber, wie töricht es sei, darin eine allgemeine philosophische Bedeutung zu suchen: es sei eben Hamlet, der da rede, und könne daher diese bloße Grübelei des Leidenden, Beengten nicht krankhaft genug, ja larmoyant (wie er sagte) gesprochen werden. Ganz einzig war dabei die Verschmelzung des Vortragenden mit dem Dichter und der von ihm geschaffenen Gestalt des Helden in ein merkwürdig unzertrennliches Ganzes, – als ob ohne seine Stimme nie Hamlet begriffen, ohne das Genie Shakespeares wiederum nicht das Wesen Wagners, endlich ohne diese Schöpfung Hamlets, in der er ganz aufging, weder Shakespeare noch Wagner! So ist uns der Eindruck dieser einzig göttlichen Vorlesung geschildert worden. Ein anderes Mal, während Liszt am Whisttische saß, las er seiner Gemahlin und Tochter Szenen aus ›König Lear‹, und es überraschte und erfreute ihn, daß jener unvermerkt sein Kartenspiel aufgab und sich mit den übrigen den Hörern zugesellte. Eines Nachmittags um 6 spielte Liszt für den engeren Kreis des Hauses den ersten Satz der A dur-Symphonie und im Anschluß daran das Scherzo-Allegretto der F dur; ersteres fand der Meister zu breit genommen und darin eine Verkennung des wahren Charakters dieses Satzes, was er aber absichtlich nicht aussprach, um ihm damit nicht nahezutreten; die Anmut des letzteren Satzes hingegen wirkte in Liszts Wiedergabe auf ihn so hinreißend, [751] daß er die so oft von ihm hervorgehobene Grundeigenschaft symphonischer Musik als Ausdruck eines idealen Tanzes31 in die Tat umsetzte, indem er zweimal hinter Liszts Rücken dazu tanzend ins Zimmer trat, – ›unendlich graziös‹, wie Joukowsky berichtet. Und mit Bezug darauf, daß ihm damals immer wieder schöne Melodien für eine Symphonie ankamen, sagte er einmal bei Tisch: ›wenn wir Symphonien schreiben, Franz, nur keine Gegenüberstellung von Themen, das hat Beethoven erschöpft!32 Sondern einen melodischen Faden spinnen, bis er ausgesponnen ist! Nur nichts vom Drama!‹ Es war in diesen Tagen, daß er mit Vergnügen Gelegenheit hatte, Siegfried die ersten Szenen eines neu von ihm entworfenen Lustspieles ›Die Lügner‹ vorlesen zu hören. Er freute sich des Knaben, dem der Aufenthalt in Venedig so gut bekommen war, daß er – nach aller vorausgegangenen Angegriffenheit in den Herbstmonaten – wieder prächtig aussah, und sprach sich in bezug auf seine Zukunft dahin aus, wie peinlich es ihm sein würde, wenn Siegfrieds Wege dereinst durch seinen, des Vaters, Ruhm gehemmt und verdunkelt werden könnten, – genau so, wie es später wirklich eingetreten ist. Mit ahnendem Blick sah er dies bereits jetzt voraus! Hatte er ihm doch auch schon um die Mitte Dezember, in jenem ›Raucheckchen‹ mit dem Blick auf die Vorhalle (S. 689) – den ersten von ihm geschriebenen, oder doch vor sein väterliches Auge gekommenen Choral korrigiert und freute sich, ihn gelegentlich in einer Durchgangsstube, ungestört durch die Passanten, eifrig und säuberlich ›dichten‹ zu sehen. Von seinen musikalischen Produktionen am Klavier, mit obligatem Pfeifen, woran auch Liszt sich ergötzte, haben wir (S. 710) schon gesprochen. Sein mimisches Nachahmungstalent, wodurch er Abwesende täuschend in Stimme und Bewegung vergegenwärtigte, ist schon mehrfach von uns berührt; er hatte es mit seiner Schwester Eva gemein, deren ungemein wohlgelungene improvisierte Nachahmungen bekannter Personen so gut wie die seinigen in Erstaunen setzen konnten. Wie bedeutungsvoll muß diese mimische Befähigung als die tatsächlich eigenste Grundlage von Siegfried Wagners gesamtem – dramatischem, wie musikalischem – Schaffen uns Heutigen erscheinen, wenn wir aus den spät ans Licht getretenen Tagebuchaufzeichnungen E. T. A. Hoffmanns33 die gleiche staunenswerte Eigenschaft der Mimen-Natur bereits seinem Großvater, dem Aktuarius Friedrich Wagner, des Meisters leiblichem Vater von einem so hervorragenden Kenner, wie eben Hoffmann selbst, mit Auszeichnung nachgerühmt finden, als ein altwagnerisches Familien-Erbgut! Nur die immer noch vorschwebende Frage nach einem passenden Erzieher für ihn war nach [752] wie vor ungelöst; ja ein Brief Steins brachte sogar den Gedanken nahe, ob ihm nicht doch zu seinem eigenen Heil zum Bruch mit seiner Familie und Zuflucht in dem wahlverwandten Kreise zu raten wäre?

Für den 13. Januar, mittags 2 Uhr, war nun Liszts Abreise definitiv festgesetzt. Noch tags zuvor hatte ihn Wagner auf seinem Zimmer aufgesucht und ihm ernstlich zugeredet, ein für allemal ganz bei ihm, in seiner Umgebung und in seinem Hause zu bleiben. Dies war nun aber nicht von ihm zu erreichen. Sein Weg führte ihn, wie alljährlich, nach Budapest. Es ist schwer zu entscheiden, inwieweit der Einfluß der Fürstin bei dieser Neigung zum Wanderleben mit im Spiele war. Ganz in ihrer unmittelbaren Nähe zu leben, hielt er nicht aus; sich ganz von ihr loszusagen, war er ebenfalls nicht imstande, daran verhinderte ihn seine ritterliche Dankbarkeit; und gar ganz in Wagners Umgebung sich niederzulassen, das suchte sie ihm in jeder Weise zu verleiden. Da ihre eigenen Briefe an ihn nicht erhalten sind, können wir ihre Versuche in dieser Richtung nur aus seinen gelegentlichen Erwiderungen erkennen; sie scheute den Meister wie den leibhaften Antichrist!! ›Ich kann mich Ihrer Meinung über Wagner nicht anschließen‹, schreibt er ihr einmal auf eine ihrer Beschuldigungen. ›Er macht dem lieben Gotte nicht mehr den Krieg, als Ihr liebenswürdiger Korrespondent Renan‹ (mit diesem stand die Fürstin, wie mit so vielen Zeitgrößen, in reger brieflicher Verbindung) ›und viele andere vom gleichen Schlage; bloß daß Renan die Gabe der Nüancierungen besitzt, die den Germanen wenig geläufig ist!‹34 Sicher aber ist seine Liebe zu Wagner und den Seinen gerade aus diesen, wegen äußerlicher Notizen wiederholt von uns zitierten Briefen nie voll zu erkennen; es ist immer ein Schleier darüber gebreitet. Sein Zustand während dieses ganzen Aufenthaltes war fast durchweg der einer übergroßen Ermüdung seines ganzen Wesens, und wenn er die ›Gesellschaft‹ suchte, so geschah dies doch keineswegs aus einer besonderen Genugtuung daran, sich als den Mittelpunkt eines bewundernden Kreises zu sehen, vielmehr aus einer Art Pflichtgefühl, aus einer alten Gewohnheit, mit der er nicht brechen konnte, vielleicht eben aus der Resignation darauf, irgendwo ›heimisch‹ zu sein. ›Diesmal haben wir uns gegenseitig geniert‹, sagte ihm der Meister beim Abschied mit munterem Scherz,35 denn mehr als je waren ihre entgegengesetzten Lebensanschauungen und täglichen Gepflogenheiten bis zum Whisttisch gerade in der Enge eines provisorischen Unterkommens miteinander in Kollision geraten. Aber auch in seinem Herzen war die Liebe für ›seinen Franz‹ die gleiche, wie stets; sonst hätte er nicht nochmals, wie noch bei jedem Zusammensein, seine an ihn gerichtete Einladung, ganz bei ihm zu bleiben, so eindringlich wiederholt.

[753] Am 13. Januar, mittags 2 Uhr, erfolgte die Abreise Liszts; vorher war bei Tische – noch in seiner Anwesenheit – der auf diesen Tag (den russischen 1. Januar) fallende Geburtstag Paul Joukowskys gefeiert worden, Wagner hatte ihm eine Rede gehalten und spielte ihm abends ein Motiv zu einem Joukowsky-Marsch, das er nachher eigens für ihn aufschrieb.36 Eine ganz besondere Bewandtnis hatte es diesmal mit seinem weiteren Verbleiben in Venedig; das damals in ganz Rußland vorbereitete, überall festlich zu begehende, hundertjährige Jubiläum seines Vaters, als berühmten russischen Dichters und Erziehers des verstorbenen Kaisers Alexander II., wäre für jeden anderen als ihn schon ein Grund gewesen, sich von dieser ihn so nahe angehenden nationalen Feier nicht persönlich zurückzuhalten. Aber die mächtige Anziehung der Persönlichkeit des verehrten und geliebten Meisters ließ ihn auch in diesem Falle Vaterland, Familie, Freundschaft und alle anderen Beziehungen vergessen, so sehr ihm – wenn auch mit Kummer – zu dieser Reise zugeredet wurde. ›Auf den 10. Februar (29. Januar russischer Zeitrechnung)‹, erzählt er selbst, ›fiel der hundertjährige Geburtstag meines Vaters, welcher in Rußland sehr festlich begangen wurde. Viele Freunde erwarteten von mir, daß ich zu diesem Gedenktage nach Rußland kommen würde; ich blieb aber in Venedig, weil ein mir unerklärliches Angstgefühl mich bei dem Gedanken überkam, Wagner jetzt zu verlassen.‹ Und noch ein dritter Vorfall fällt auf eben diesen 13. Januar: die abermalige Ankunft des trefflichen Adolf Groß, diesmal allein, ohne seine Gemahlin, bloß in dringenden Geschäften. Es war von München aus, einer dortigen ›Ausstellung‹ wegen, die Bitte nach Bayreuth gelangt, daß in diesem Jahre in Bayreuth, anstatt der geplanten 20 Aufführungen des ›Parsifal‹, deren nur 10 oder 12 und zwar im Laufe des Juli veranstaltet werden möchten. Anfangs sehr ungehalten über diesen Eingriff in seine wohlerwogenen Bestimmungen, erklärte der Meister, es sei wohl das beste, alles aufzugeben. Dann gedachte er seiner Kinder: man sei es ihnen schuldig, ihnen das Beispiel der Stetigkeit und des Beharrens zu bieten. In diesem Sinne gab er nach, und wir haben bereits gesehen, wie er tags darauf (unter dem Datum des 14. Januar) meldet: ›Wir werden diesmal nur den Juli mit 12 Vorstellungen haben. Auch gut! Ich ärgere mich über nichts mehr und lasse mich jetzt täglich zweimal massieren.‹37

Unter all diesen Einwirkungen waren die Krampfzustände wieder recht bedrohlich geworden. Noch während der letzten Tage von Liszts Verweilen [754] war er zuweilen bei Tische wider seine Gewohnheit recht still; auch drückten ihn die engen Räume, es fehlten ihm zu seiner Zerstreuung Bächer und Noten, wie sie daheim reichlich im vereinsamten Saale standen; den Vorschlag, nach Wahnfried zurückzukehren, lehnte er aber ab. Dagegen freute er sich, nach Liszts Weggang, der wiedergewonnenen größeren Enfilade von Zimmern, in welcher er, wenn es draußen kalt war, mit seiner Gemahlin sich in deren ganzer Ausdehnung erging. Dann kamen die Krämpfe wieder ganz in der Frühe des Morgens und dauerten über zwei Stunden. Ein hinzugezogener zweiter deutscher Arzt, Dr. Kurz, nannte das Leiden eine Magenneuralgie und betrachtete es als ein gutes Zeichen, daß die Anfälle zumeist vor, nicht nach der Mahlzeit eintraten. Dieser setzte sich auch mit Dr. Landgraf in Verbindung, und ein Brief des letzteren an Dr. Kurz erfreute den Meister sehr, so daß er den Ausspruch tat: ›wir können Landgraf zu unseren Besten zählen‹. Trotzdem sagten ihm die von Dr. Kurz empfohlenen Mittel nicht zuDr. Keppler empfahl Massage, mit dem Versprechen, dadurch im Lauf eines Monats eine entschiedene Erleichterung herbeizuführen. Er schritt sogleich zu deren Ausführung, und die nun zweimal täglich (morgens und abends) ausgeführte Massagekur schien in der Tat wohlzutun; wenn auch manche Unruhe und Abweichung von der gewöhnlichen Tagesordnung damit verbunden war, z.B. ein sehr verspätetes Frühstück Andauernder Sciroccosturm und dann wieder Regen verhinderte die regelmäßigen Ausgänge. Einmal wurde bei schönem Sonnenschein in offener Gondel eine Fahrt über den Canareggio ins offene Meer gemacht; dann von da zum Rialto, wo ausgestiegen und zu Fuß nach Hause gegangen wurde, – aber mit drohendem Krampfzustand. Trotzdem blieb er, wie immer, wenn nicht von außen her bedrängt, in guter Stimmung und war selbst beim Massieren so heiter aufgelegt, daß der Doktor ihn vor lauter Lachen eine Weile nicht massieren konnte. Er hatte ihm erklärt: die Magen-Sonde sei ein ›Eingriff in seine persönlichen Rechte‹. Wirklich wurde diese aufgegeben, weil sie seine Nerven erregte. Gegen Ende des Monats schien die zweimalige Massage überflüssig zu werden und wurde auf eine einmal täglich stattfindende reduziert. Da Dr. Keppler über sein Befinden durchaus beruhigt sich aussprach, konnte er beim Frühstück mit seiner Gemahlin scherzend dahin sich aussprechen: sie beide würden wohl niemals sterben.

Fußnoten

1 Trotzdem konnte er dadurch dem törichten und ärgerlichen Geschwätz der Zeitungen nicht vorbeugen, wonach ›Richard Wagner im Palazzo Vendramin-Calergi eine luxuriös ausgestattete erste Etage, Liszt hingegen ein auf das bescheidenste eingerichtetes Mezzanin bewohne‹. Wagner kam diese Notiz unter die Augen und er, welcher dergleichen sonst nicht beachtete, erkannte darin doch die böswillige Tendenz und mußte sie als beabsichtigte Kränkung empfinden, auch ohne sich über ihren Ausgangspunkt weitere Gedanken zu machen.


2 Man halte hierzu ihr brennendes Bedürfnis, über alles, auch das ihr Fremde, von ihr Unbegriffene, rein äußerlich unterrichtet zu sein, ein Bedürfnis, welches in seiner Naivetät sogar in eine Art Spioniersystem ausartet. So machte sie einmal – zur Festspielzeit – es Frl. v. Schorn zum Vorwurf, ihr nicht genug intime Mitteilungen zu machen über das ›was die Zeitungen nicht erzählen‹. Sie beansprucht eine solche Ausnahme für sich, ›da ich besonders von alten Zeiten her, – geschäftsmäßig – gewohnt bin, Briefe, die besondere Notizen enthalten, zurückzugeben ... So sind beide zufrieden – der eine weiß, was er zu wissen braucht, der andere ist vor jeder Unannehmlichkeit sicher‹ (A. v. Schorn, ›Zwei Menschenalter‹. Erinnerungen und Briefe, S. 331).


3 Vgl. in der ›Wagner-Enzyklopädie‹ den Artikel: ›Französische Akademie‹.


4 Vgl. S. 361 dieses vorliegenden Bandes und Gesammelte Schriften VIII, S. 251.


5 Umgekehrt war die Fürstin auf jedes Verweilen Liszts in des Meisters Nähe eifersüchtig. Sie ging soweit, ihn deshalb einen ›Parasiten‹ zu nennen, der dort nur eine ›Statisten‹-Rolle spiele, worauf dann Liszt entgegnete: ›es kommt alles nur darauf an, wo man Statist ist‹.


6 Vorwort zu Henry Perl, ›Richard Wagner in Venedig‹ (Augsburg, 1873), S. VIII.


7 Leider verlor sich dieses schöne Bild in eine allzu weite Ferne, indem es durch Liszt als freundschaftliche Gegenaufmerksamkeit an die berühmte amerikanische Pianofortefabrik Mason und Risch zu Toronto in Canada (am Ontariosee) gestiftet wurde, die ihm einen wundervollen Flügel zum Geschenk gemacht, und in deren Räumen es noch heute in hohen Ehren gehalten wird, aber für Europa unzugänglich geworden ist. Vgl. hierzu: ›Briefe hervorragender Zeitgenossen an Franz Liszt‹, nach der Handschrift herausgegeben von La Mara (Leipzig, Breitkopf & Härtel, 1904), Band III, S. 405.


8 ›Ich kam‹, heißt es in einer ergänzenden brieflichen Nachricht, ›mit genauer Not durch die Alpen bis Verona, wo überall Überschwemmungen waren und – bei Verona – der Zug im Wasser fuhr.‹


9 Der Rio del Trovaso bildet die Verbindung zwischen dem Canal Grande und dem Canal della Giudecca.


10 Dies ist allerdings nicht genau ausgedrückt, vielmehr hatten sie es gegenseitig zu keiner Zeit besessen. Schon den gesellschaftlichen Glanz der Altenburg-Hofhaltung in der ersten Hälfte der 50er Jahre hätte Wagner nie ertragen, da bei ihm das Licht stets von innen leuchtete; und Liszts späteres Umherziehen zwischen Weimar, Pest und Rom, aus einem Gesellschaftskreise in den andern, war ihm stets unerträglich erschienen. Wie gern hätte er ihn ein für allemal nach Wahnfried gerettet, aber Liszt selbst war es, der sich nicht ›retten‹ lassen wollte! Bei alledem war es für das durchdringende Auge des Meisters nicht schwer, im ganzen Wesen des großen Freundes eine gewisse Traurigkeit über sich selbst zu entdecken, und wir werden das im nachstehenden (S. 746 A.) eigens durch briefliche Äußerungen Liszts bestätigt finden. Sie durchzieht eigentlich sein ganzes Leben!


11 E. M. Vacano, ›Richard Wagners letzter Winter‹ (enthalten in der Wiener Zeitschrift ›Das interessante Blatt‹, Nr. 8 vom 22. Februar 1883).


12 Man vergegenwärtige sich die jedes Maß überschreitenden Mittel, mit denen er zu arbeiten hatte: das Ehepaar Vog lallein bezog für seine Mitwirkung ein monatliches garantiertes Einkommen von 30000 Mark; die Fahrten wurden zumeist mit Sonderzügen zurückgelegt, deren jeder z.B. von Breslau nach Königsberg 6600 Mark, von Königsberg nach Posen 6900 Mark an Beförderungskosten verschlang. Wohl hatte er sich an das Eisenbahn-Ministerium um Ermäßigung des Preises gewandt, doch war seine Eingabe dahin beantwortet, daß eine solche Ermäßigung nur Menagerien und Zirkusbesitzern bewilligt werden könne!! (Neumann, ›Erinnerungen‹, S. 251).


13 Vgl. Band I des vorliegenden Werkes, S. 177 (›in einer Probe, in welcher ein ganzes Konzertprogramm außerdem noch mit bestritten worden war‹).


14 Vgl. auch S. 500 dieses vorliegenden Bandes!


15 Vgl. Ges. Schr. X, S. 225.


16 Philippe Hohenlohe m'invita à dîner – et les Paul Metternich à une soirée, où l'on m'a présenté à S. M. Don Carlos; dans les deux circonstances, la Sonatine a rempli son office. ›J'ai aussi pris plaisir d'accompagner plusieurs Lieder de Schubert et Schumann, que Hohenlohe chante fort agréablement. Comme de raison, lui et sa femme, née Ypsilanti, habitent le beau palais Sina,A1 décoré par des fresques de RahlA2 à qui SinaA3 – qu'on aurait tort de confondre avec d'autres richards – accordait un véritable appui par de grandes commandes à Athènes et à Vienne‹ usw. (›Liszts Briefe an die Fürstin‹ IV, S. 369).


17Son Altesse R. Bardi et Son Altesse A. della Grazia habitent leur palais Vendramin, au-dessus de l'entresol occupé par les Wagner. J'ai fait connaissance avec les Bardi et della Grazia – ceux-ci s'arrêteront quelques jours à Rome, et se rendent à Palerme. Les Bardi passent l'hiver à Venise. Le Duc della Grazia a hérité de la royale gracieuseté de sa mère, la Desse de Berry‹ (S. 688 des vorl. Bandes) – ›il n'est nullement magot, ni à court d'esprit‹ (›Liszts Briefe an die Fürstin‹ IV, S. 369/70).


18 Vgl. den charakteristischen Vorfall in A. v. Schorns Erinnerungen (›Aus zwei Menschenaltern‹) S. 405/06.


19 Vgl. ›Bayreuther Blätter‹, 1900, S. 100.


20 Richard Wagner, ›Gedichte‹, S. 153. Vgl. hierzu die tiefgebenden eigenen Betrachtungen Liszts, in denen er – ganz im Sinne des Meisters und Schopenhauers – diese Stigmatisation seines Heiligen auf das allbewältigende Prinzip des Mitleidens zurückführt. ›Das menschliche Dasein ist so voll Bitternis und Täuschung, daß ich kaum imstande bin mich daran zu erfreuen, wenn wiederum ein kleines Wesen, das all unseren Schwächen, Unglücksfällen und Torheiten unterworfen ist, an das Licht der Welt tritt‹ (es handelt sich um ein solches Familienereignis im Ollivierschen Laufe, wozu er eigentlich gratulieren sollte). ›Auf der anderen Seite betrübe ich mich nicht übermäßig über das Hinscheiden eines Derjenigen, die ich gekannt habe‹ (auf Gobineaus Tod bezüglich). ›Ich finde ihr Los sogar beneidenswert – denn sie haben das harte Joch des Lebens und der dadurch auferlegten Verpflichtungen nicht mehr zu tragen. Das einzige von mir bewahrte aktive und lebhafte Gefühl ist das des Mitleidens mit den durchdringenden Wallungen menschlicher Schmerzen. Zuzeiten, auf kurze Momente, empfinde ich unmittelbar an mir selbst die Schmerzen der Kranken in den Hospitälern, der Verwundeten im Kriege und selbst die Qualen der zu Torturen oder zum Tode Verurteilten. Das ist etwas den Wundenmalen des heiligen Franz zu Vergleichendes, bis auf die damit verbundene Ekstase, die allein den Heiligen zukommt! Diese seltsame Hypertrophie des Mitleidens ist mir zuerst in meinem sechzehnten Jahre zu eigen geworden – ich wollte mich damals auf dem Friedhof des Montmartre einem langsamen Hungertode überlassen. Sie erschließt mein Herz den erhabensten christlichen Tröstungen!‹ (›Liszts Briefe an die Fürstin‹ IV, S. 369).


21 Die Zahl fünf entnehmen wir der Angabe Liszts: ›Wagner lui même dirigeait l'orchestre, qui marcha fort bien après 5 répétitions.‹ Über die Symphonie selbst sagt er: ›C'est de l'Hercule jeune domptant les serpents – et prenant un plaisir olympien à ce labeur‹ (Ebenda, S. 366).


22 Vgl. Band I des vorliegenden Wertes, S. 177.


23 S. 167/72 des vorl. Bandes.


24 Vgl. E. M. Vacano, ›Richard Wagners letzter Winter‹ (in der Wiener Zeitschrift ›Das interessante Blatt‹, Nr. 8 vom 23. Februar 1883).


25 E. M. Vacano, ›Richard Wagners letzter Winter‹, a.a.O.


26Nous nous voyons quasi quotidiennement à Venise, comme à Vienne‹, schreibt Liszt über sie, der sie auch dazu veranlaßte, ihr schönes Portrait von Makart, soeben mit ihr auf dem Wege nach Rom befindlich, im Vendramin aufzustellen, wodurch sich am Tage nach jener ›Lenoren‹-Produktion nicht eben zu großer Befriedigung des leidenden Meisters der größte Teil der gestrigen Gesellschaft dazu einfand (›Briefe an die Fürstin‹ IV, S. 370).


27 ›Richard Wagner an seine Künstler‹, S. 367.


28 Ebendaselbst, S. 363/65.


29 Ebendaselbst, S. 365/72.


30 ›Bayreuther Briefe‹, S. 311/12.


31 Gesammelte Schriften III, S. 109. VII, S. 170. V, S. 245.


32 Ebendaselbst X, S. 233 (›Über die Anwendung der Musik auf das Drama‹).


33 Hans von Müller, ›E. T. A. Hoffmanns Tagebuchaufzeichnungen über seinen Leipziger Aufenthalt im Frühjahr 1813‹ (Privatdruck für den Leipziger Bibliophilen-Abend 1910).


34 ›Briefe an die Fürstin Wittgenstein‹ IV, S. 372.


35 ›Bayreuther Blätter‹, 1900, S. 99.


36 ›Wieder wurde mein Geburtstag‹, so berichtet Joukowsky selbst, ›auf das freundlichste gefeiert. Ich bewahre noch eine Musikpapierprobe, auf welche Wagner den Anfang eines großen Joukowsky-Marsches zu den Worten »O! Paul!« geschrieben hat.‹


37 Brief an E. Heckel vom 14. Januar 1882 (›Bayreuther Briefe‹, S. 312).


A1 Palais Sina, ehemals Palazzo Grassi, am Canal Grande, ein in den großartigsen Verhältnissen errichteter Bau des 18. Jahrhundert, mit 3 Säulenordnung, vom Pallazo Malipiero, dem Sitz der Fürstin Hatzfeldt-Trachtenberg, bloß durch den dazwischenliegenden Campo Samuele getrennt.


A2 Carl Rahl, Wiener Historien- und bildnismaler (1812/65), mit welchem Wagner während seines ersten venezianischer Aufenthaltes (1858) wiederholt verkehrte.


A3 Sina, ein als Bankier in Wien ansässiger Gerichte, der den Palazzo Grassi erwarb und im Inneren vielfachen Veränderungen unterzog. Vgl. Wagners Bemerkung vom 30. Sept. 1858 über den ›Palast Grassi, den gegenwärtig Herr Sina sich restaurieren läßt‹ (›Briefe an Frau Wesendonck‹, S. 91)


Quelle:
Glasenapp, Carl Friedrich: Das Leben Richard Wagners in 6 Büchern. Band 6, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1905, S. 726-756.
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Frau Beate und ihr Sohn

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Beate Heinold lebt seit dem Tode ihres Mannes allein mit ihrem Sohn Hugo in einer Villa am See und versucht, ihn vor möglichen erotischen Abenteuern abzuschirmen. Indes gibt sie selbst dem Werben des jungen Fritz, einem Schulfreund von Hugo, nach und verliert sich zwischen erotischen Wunschvorstellungen, Schuld- und Schamgefühlen.

64 Seiten, 5.80 Euro

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Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

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Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

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