II.

Bayreuther Blätter.

[39] Defizit-Sorgen – Herr von Bürkel – Komposition der Gralsszene. – Verkehr mit Theaterdirektionen in Sachen des ›Ringes‹: Berlin, Schwerin, Leipzig, Braunschweig. – ›Bayreuther Blätter‹ und Patronatverein. – ›Zur Einführung‹, ›Was ist deutsch?‹ ›Modern‹. – Lektüre: Walter Scott und Schopenhauers Leben. – Die C dur-Symphonie – Anton Seidl


Wiederholt bin ich vor meinen Freunden als Schriftsteller erschienen, noch nicht aber an der Spitze einer Zeitschrift. Durch sie soll vorläufig die Verbindung der Freunde meiner Kunst in möglichst ersprießlicher Weise erhalten und sinnvoll befestigt werden. Deshalb sollen diese ›Blätter‹ nur als Mitteilungen innerhalb des Vereines gelten.

Richard Wagner.


Die störende Sorge, deren wir zuletzt gedachten, sollte nun aber doch endlich von ihm genommen werden und zwar – im Prinzip – auf die denkbar würdigste Weise Stand der große Reformator und Neuschöpfer nun einmal doch ganz für sich allein in der ihn umgebenden deutschen Kulturwelt da; hatte sich das ›Patronat‹ seiner ersten Bayreuther Unternehmung als von Grund aus illusorisch, als eine überhaupt gar nicht real vorhandene Körperschaft erwiesen, die nicht daran dachte, seine bedrückenden Sorgen mit ihm zu teilen; waren die Reichtümer des zeitgenössischen ›Kapitals‹, die staatlichen Mittel für Kunst- und Kulturzwecke, kurz was irgend zur Erleichterung der Durchführung seiner großen Sache hätte dienen können, für alles andere, nur gerade für ihn und diese Sache nicht zu haben; galt sein Bayreuther Werk der gesamten, durch ihre ›Presse‹ repräsentierten, deutschen Zeitgenossenschaft für das eitle Hirngespinst eines am ›Größenwahnsinn‹ leidenden Mannes;1 hatte selbst sein König in der schlimmsten Zeit des Stillstandes aller Vorbereitungen ihm nichts weiter als [39] einen, durch seine Beamten wohlverklausulierten ›Kredit‹ gewähren können, um das Unternehmen überhaupt nur zu ermöglichen; war und blieb er somit, wie für eine persönlich private Angelegenheit, den Forderungen seiner Gläubiger ohne jeden Rückhalt ausgesetzt: so war die einzig würdige Lösung eben die, in welcher dieses Verlassensein zugleich auf das unmißverständlichste zum Ausdruck kam, nämlich daß er in den Stand gesetzt wurde, jenes lastende Defizit aus keinen anderen als seinen eigenen persönlichen Mitteln zu tilgen. Es war das Verdienst Feustels, daß er die Forderungen jener Gläubiger unter großen Schwierigkeiten, aber mit Festigkeit so lange zurückhielt, bis jene Bedingung erfüllt war. Das einfache Mittel hierzu war der Erlaß eines königlichen Befehls an die Münchener Hofbühne, dem Meister fortan von den Aufführungen seiner Werke einen bestimmten Tantiemesatz von 10% zu entrichten. Bis zu diesem Augenblick war das Münchener Hoftheater von sämtlichen deutschen Bühnen die einzige gewesen, welche diese Werke (gleichsam zur Kompensation der ihm erwiesenen königlichen Wohltaten!) gänzlich tantiemefrei gegeben hatte! Dies geschah auf Grund einer bestehenden älteren Stipulation aus dem Jahre 1864 zwischen dem Meister und dem Kgl. Kabinettssekretariat, deren wir schon früher einmal gedachten.2 Und wirklich würde, ohne die jetzt eingetretene dringende Not des Augenblickes, diese seltsame Bestimmung in alle Ewigkeit in Kraft geblieben sein, da selbst das inzwischen erfolgte Urhebergesetz von 1870, so einschneidende Veränderungen es in bezug auf andere Bühnen für den bis dahin schutzlos der Ausbeutung preisgegebenen Autor mit sich brachte, auf München bisher, aus leicht erklärlichen Pietätsrücksichten von seiten Wagners nicht angewandt worden war, und es der Intendanz begreiflicherweise nicht in den Sinn kam, in dem für sie so vorteilhaften Verhältnis von sich aus eine Änderung eintreten zu lassen.

Daß es – unter dem drängenden Einfluß der augenblicklichen Lage – überhaupt zu einer prinzipiellen Verwerfung jener ungenügenden älteren Bestimmungen und ihrer Ersetzung durch einen neuen, entsprechenden Vertrag kam, daran hatte Feustels kluge, umsichtig besonnene, treu ergebene Haltung ein großes Verdienst; denn selbst diese so einfache Lösung der bestehenden Schwierigkeit kam nicht ohne Mühen und Kämpfe zustande. Noch im Oktober des verflossenen Jahres 1877 hatte er von der Münchener Intendanz die Nachricht erhalten, der König wünsche die Aufführung des [40] ›Ringes‹ und, um diesem Wunsche nachzukommen, würden einige Herren des Münchener Theaters, darunter der Kostümier Seitz, nach Bayreuth kommen, um das dortige ›Inventar aufzunehmen‹! Feustel erwiderte sofort, man möge sich bedenken, bevor man an diesem Material rühre oder gar etwas davon wegnehme, da die mit Mühe und Not zurückgehaltenen Forderungen der Gläubiger sofort in eine gerichtliche Klage ausgehen würden. Bald darauf meldete der Kabinettsekretär Düfflipp: der König habe für die nächste Zeit die Aufführung zunächst des ›Siegfried‹ bestellt, wünsche aber die Bayreuther Dekorationen nicht, sie hätten ihm ›nicht gefallen‹.3 Er schlug vor, Herr Feustel möge persönlich nach München reisen, um die Regelung der Angelegenheit mit dem Intendanten Baron Perfall zu betreiben. Dies geschah, Feustel kehrte am 18. November nach Bayreuth zurück und meldete: die Intendanz habe ihm 1% Tantieme (!) von den dortigen Aufführungen angeboten; diese – illusorische – Hilfe habe er abgelehnt und erklärt, daß unter den obwaltenden Umständen die gerichtliche Klage der Gläubiger mit Ende des Jahres zu gewärtigen sei. Das Jahr verging, in München rührte sich nichts; da bat um die Mitte Januar Feustel die Gemahlin des Meisters um eine Unterredung. Er legte es in ihre Hand, den König direkt um die Bewilligung einer dem gebräuchlichen Maßstab entsprechenden Tantieme auch von seiten des Münchener Theaters anzugehen. Die edle Frau dankte dem wackeren Freunde herzlich für den Zartsinn, womit er den Meister jetzt in dieser Angelegenheit verschonte, und schritt ohne Zögern an die Ausführung seines Vorschlages Sie legte dem König sofort und ohne Wissen Wagners die Bitte vor, einen auf die Erlassung von Tantiemen aus des Meisters Werken abzielenden Befehl zu erteilen, und bereits Anfang Februar erfolgte die Entscheidung. Durch sie war nunmehr die vorerwähnte einzig mögliche, ehrenvolle Lösung der Schwierigkeit aus den, bis dahin ihm vorenthaltenen, Erträgen seiner eigenen Werke gegeben; so daß Feustel nur noch die äußere Regulierung des geschäftlichen Teiles nach beiden Seiten hin, der Intendanz und der Gläubiger, übrigblieb, in der Hauptsache aber nach des Meisters Worten eine ›wirkliche und prompte Erlösung aus der peinlichen Lage‹ eingetreten war.4

In bezug auf den Verkehr mit dem Kabinettssekretariat hatte sich – in den vierzehn Jahren seit seinem ersten Eintritt in München – allerdings eine wesentliche Veränderung zum Besseren seit dem Ersatz des stumpfsinnigen Büreaukraten Pfistermeister durch seinen Nachfolger, den Hofrat Lorenz Düfflipp, vollzogen. In den elf Jahren seiner Wirksamkeit und seiner Beziehungen [41] zu dem Meister hatte sich dieser Mann in den oft schwierigen und komplizierten Verhältnissen, mit denen er es zu tun hatte, stets als wohlwollend und entgegenkommend bewährt. Und wiederum, als mit Beginn des Jahres 1878 an die Stelle des aus seinem Amte scheidenden Düfflipp ein so ehrenwerter, warmherziger, wahrhaftiger und fester Charakter trat, wie der aus dem pfälzischen Rheingau stammende Ludwig von Bürkel: da erfolgte mit diesem Personenwechsel zugleich ein weiterer Fortschritt, – dem Meister sogleich aus dem schönen Privatbrief ersichtlich, mit welchem sich der, ihm bis dahin völlig unbekannte neue Kabinettsekretär als warmer Verehrer seiner Kunst und Person bei ihm einführte. ›Die Beziehungen zwischen dem Könige und Bayreuth, soweit sie nicht im innigsten persönlich waren, lagen durch bedeutende Jahre in der hütenden und ordnenden Hand dieses ebenso klugen und geschickten, wie getreuen und guten Mannes, der für beide Teile gleiche Liebe und gleiches Verständnis besaß‹.5 Hätten dem hochgesinnten königlichen Schirmherrn Richard Wagners von Hause aus so tüchtige, edel verständige Diener zur Seite gestanden, wie in der einsichtig vermittelnden Persönlichkeit Bürkels: wie viele schwere und peinliche Erfahrungen wären sowohl ihm selbst als dem von ihm beschirmten Künstler erspart geblieben, wie vieles von der dunklen Tragik im Schicksale des Monarchen wäre vor der einfachen sittlichen Klarheit des Denkens und Handelns gewichen, – so daß sein königlicher Wille nicht durch niedere Parteiströmungen in seiner nächsten Umgebung durchkreuzt, gefälscht und geknickt, die Verhältnisse nicht in so unleidlicher Weise verwirrt worden wären, daß dem Meister dadurch mit Notwendigkeit der ganze Ortsbegriff ›München‹ schon früh in ein allerwidrigstes Schreckgespenst umgewandelt und bis zur Unerträglichkeit verhaßt gemacht wurde! Gab es doch selbst auch noch unter den jetzt gewonnenen günstigeren Verhältnissen Schwierigkeiten genug zu besiegen, um den ausgesprochenen guten Willen des Monarchen in die Form eines wirklich förderlichen, nach allen Richtungen hin wohlverklausulierten, niet- und nagelfesten ›Kontraktes‹ zu bringen. Die erste Gestalt desselben war eine völlig unmögliche; es fanden Änderungen statt, es wurde hin und her beraten. Der Meister, nie den Mut verlierend, aber bis zum Überdruß peinlich dadurch berührt, war schon drauf und dran, auf alle Münchener Hilfe zu verzichten, nur um mit der dortigen Intendanz nie und nimmer mehr etwas zu tun zu haben. Noch am 20. März mußten Feustel und der treffliche Bürgermeister abermals persönlich nach München, wo sie – laut Feustels Bericht – von seiten des Herrn von Bürkel das ›liebenswürdigste, freundlichste, verständnisvollste Entgegenkommen‹ fanden. Und trotz alledem enthielt der am 31. März geschlossene, von König Ludwig am 27. April desselben Jahres [42] genehmigte Vertrag noch den verhängnisvollen Paragraphen, laut welchem dem Meister zugemutet war, der Münchener Hoftheaterintendanz als Äquivalent für die aufzunehmende und aus den Tantiemen seiner Werke zu deckende Schuld von einmalhunderttausend Mark – – das unbeschränkte Aufführungsrecht seines noch unvollendeten, somit im voraus verpfändeten neuen Werkes, des Weihefestspieles ›Parsifal‹, zu übertragen!6 Unmöglich konnte es hierbei für die Dauer sein Bewenden haben; dennoch dauerte es noch volle zweieinhalb Jahre, bis, im Oktober 1880, ein ausdrückliches Signat des Königs an die Münchener Hoftheaterintendanz diesen Kontraktpunkt ein für allemal null und nichtig machte.

Wie ihm im Verlauf dieser Verhandlungen die peinliche Zumutung nahetrat, sein noch nicht vollendetes, ganz noch ihm selbst gehöriges Werk im voraus gleichsam zu verraten und zu verkaufen, so war auf der anderen Seite die vorzeitige Publikation der Dichtung für seine Empfindung immerhin ebenfalls ein Opfer zu nennen. Sie war dadurch allzufrüh ein preisgegebenes Eigentum der Öffentlichkeit geworden und veranlaßte gar manche briefliche Zuschriften und publizistische Besprechungen, von denen er lieber verschont geblieben wäre. Das erste, was ihm – noch vor der Versendung der Exemplare an eine kleine Anzahl von Freunden – darüber zukam, war ein recht gespreizt alberner Brief eines Verehrers und eine sog. ›Rezension‹ im ›Berliner Börsen-Kurier‹. Und so ging es weiter: der eine verglich die neue Dichtung den spanischen Autos, mit denen sie nichts gemein hatte; andere, ›christlich‹ Gesinnte, nahmen an der Abendmahlsfeier und an Klingsors Mädchen Anstoß; wieder andere hatte der ›Gänser‹ am Schluß des zweiten Aktes erschreckt, und was dergleichen Trivialitäten mehr waren Glücklicherweise bekam er natürlich das allermindeste davon zu sehen. Herzlich lachen mußte er über eine Zuschrift des guten, ehrlichen Kölner Enthusiasten Lesimple,7 der ihm mit einer Art Triumph meldete, er habe sich durch seine neue Dichtung – Herrn Paul Lindau8 zum Verehrer gewonnen, der sich ganz entzückt darüber ausgesprochen habe! Dagegen berührte ihn manches andere, aus dem Innern wahrhaft gebildeter Menschen – zu denen jener, damals weitberühmte geschäftige Allerweltsfaiseur und Modeliterat doch nicht [43] zu zählen war! – ihm entgegenklingende Echo nur wohltuend und erfreulich. So z.B. um die Neujahrszeit ein begeistertes Schreiben des mit wirklicher feinsinniger Kunstempfänglichkeit begabten, feurigen jungen ungarischen Magnaten Graf Apponyi,9 das der Meister selbst, nachdem er es gelesen, als ›sublim‹ bezeichnete; oder ein bald darauf eintreffender hübscher Brief des Pariser Freundes Schüré – Mit derlei von außen kommenden Zustimmungen hatte begreiflicherweise das aus dem Innern quellende Gefühl hoher und höchster Befriedigung auch nicht das allermindeste zu tun, wenn er sich mit immer neuem Wohlgefühl in die Atmosphäre der ihm zuströmenden edelsten Inspirationen versenkte, darin lebte und webte. ›Es war mir wohl zu gönnen‹, sagte er, ›daß ich einmal ein Werk unter so günstigen Umständen schuf.‹ Oder: ›es ginge ihm so gut, daß er gleich nach dem »Parsifal« an die Ausführung der »Sieger«10 gehen wolle, um den Zustand, in dem er sich jetzt befinde, nicht aufhören zu lassen‹.

Am 2. Januar 1878 abends spielte und sang er seiner Gattin das soeben entstandene ›den sündigen Welten‹, wie es mit seiner erschütternden Chromatik ganz frisch dem Quell seines Schaffens entströmt war, mit überwältigendem Ausdruck vor. Daran reihten sich in den folgenden Tagen die zauberischen Harmonien des, von der höchsten unsichtbaren Kuppelgalerie ohne jede Instrumentalbegleitung wie eine Verkündigung aus Engelsmunde herab klingenden Knabenstimmen-Gesanges: ›Der Glaube lebt‹, auf denen die ganze Reinheit des Palestrinastiles ruht und von deren reich ausgearbeiteten Schlußtakten er scherzend sagte: ›Das Lebensbrot ordentlich zu backen habe ihm Not gemacht.‹ Nie war sein Humor harmloser, beglückter, als nach diesen gewaltigen Emotionen seines ganzen Innern; vielmehr in immer neuen Ausstrahlungen stets dazu bereit, aus der Entzückung erhabener ekstatischer Seelenzustände in die selige Harmonie des täglichen Daseins überzuleiten ›Den Badeorchestern (S. 37) habe ich's verdorben! mein Einzug endigt ohne Pein!‹ war sein Ausspruch beim Schluß der Einzugschöre und nachdem er soeben den wundervoll melancholischen Ruf Titurels ausgeführt. ›Die beiden Pharaonen‹, fuhr er dann mit humoristischer Anspielung auf Rossinis ›Moses‹ fort, ›die beiden Pharaonen lass' ich jetzt ihr Lied singen‹, und einige Tage später, an denselben Scherz anknüpfend: ›meine Pharaonen sind engagiert‹. Er hatte soeben die erschütternde Klage des Amfortas ›zu diesem Amt verdammt zu sein‹11 in Töne gebracht, über deren machtvollen Ausdruck er selbst [44] erstaunte. Von der ›Perplexität‹ sprach er dann, mit welcher Parsifal den furchtbaren Ausbruch dieser Klage vernimmt, von dem geheimnisvoll Unbewußten der Gebärung des Mitleidens in seiner Seele, welches dann bei Kundrys Kuß sich ihm selber offenbarend plötzlich hervorbricht. Die Wendung ›nach Ihm, nach seinem Weihegruße‹ beschäftigte ihn einen ganzen Morgen. ›Ich sitze da, schreie, tobe – ja ich bin ein närrischer Komponist: es ist alles Krampf.‹ Und wiederum, als in dem gleichen Zusammenhange das rein mechanische Transponieren in eine andere, als die ursprünglich gewählte Tonart ihn störte: ›Ich bin ein schöner Musiker! nur wenn ich ohne jede Reflexion schaffe, steht mir alles zu Gebote; wenn ich erst überlege, wie ein Thema in eine andere Tonart zu bringen sei, verwirre ich mich.‹ So etwas ›Tolles‹ habe er aber auch noch nicht konzipiert, es würde immer größer. Endlich war der weitausgedehnte, leidenschaftliche Erguß, die in den Rahmen eines Monologs zusammengedrängte Tragödie des sündigen Gralskönigs, als vollkommene Einheit von Wort und Ton so weit gediehen, daß er sagen konnte: ›ich habe dem Amfortas das Maul gestopft‹. Was in diesen übermütigen Scherzworten sich kundgibt, mit denen er über das soeben im Wunderreich seiner Kunst Erlebte sich äußerte,12 was ist es anders als – nach seinem eigenen Ausdruck – ›der rettende Zurücktritt des in voller Selbstentäußerung verlorenen Bewußtseins in das plötzliche Innewerden des Spieles‹13 bei der Berührung der idealen mit der realen Welt? Der wunderbare Eintritt der Weissagungsklänge auf den letzten Worten des zusammensinkenden Amfortas, wird auf dem ›harre sein‹ durch die einfallenden Stimmen der Ritter mit ihrer drängenden, anfangs leise flüsternden, dann schnell anwachsenden Mahnung unterbrochen; jedes dieser folgerecht eintretenden Momente empfand er selbst in ihrer unmittelbaren Zweckmäßigkeit als glücklichste Inspiration: ›ich habe einen guten Einfall gehabt‹, sagte er von dem letzteren, weil sonst ›die Knabenstimmen ihm zu tief geworden wären‹. Vor dem Beginn des eigentlichen Mysteriums, des Hochamtes, wie er es sich nun entworfen, ging er dasselbe des Abends am Flügel in noch ungebundener, [45] freier Phantasieform durch, um selbst einen ersten Eindruck davon zu erhalten: ›wie ein leises Erdbeben‹, sagte er, ›werden die Pauken den Gesang begleiten‹. Es reizte ihn hierbei, die Partituren des ›Requiems‹ und ›Tedeums‹ von Berlioz aufzuschlagen, und er lachte über die vielen darin vorkommenden Vortragsbezeichnungen für die Pauken usw.: Berlioz käme ihm dabei vor, wie ein Theaterdirektor, der seinen Schauspielern die Perücken zurechtsetzte: auch erheiterte ihn das theatralische Zusammenkrachen bei dem ›rex tremendae majestatis‹. Ganz erfüllte ihn in der zweiten Hälfte des Januar das erhabene Gotteswunder des sich aufbauenden Mysteriums der Gralsenthüllung; wenn ihm dann irgendwo ein ›Übergang‹ zu schaffen machte, so konnte man ihn wohl noch beim abendlichen Einschlafen ausrufen hören: ›as, ges f muß es sein‹! Titurels Ruf nach dem heiligen Vorgange wollte er nicht mit komponieren: ›den Alten‹, sagte er, ›lass' ich nicht kommen; er würde mich zu sehr an den alten Gondolier in Venedig erinnern, der immer in den Gesang der anderen hineinfuhr‹. Und doch ergab sich schließlich, wie der ganze Vorgang nun völlig erlebt wurde, in dem Momente, wo Amfortas, seiner Schmerzen vergessend, in den Anblick des Grales versunken ist, ganz von selbst auch der wunderbare Ausdruck erhabener Entzückung des im Grabe lebenden Vaters: ›O heilige Wonne, wie hell grüßt uns heute der Herr!‹ Hier entschied nicht der Wille, nicht die Absicht; der Vorgang wandelte sich selbst mit Notwendigkeit in den Ton, während zugleich das gesamte szenische Bild, die mächtige Gralshalle und die einzelnen choregraphischen Momente des sichtbaren Bühnenvorganges in allen ihren Einzelheiten deutlich vor seinen inneren Blick traten. In dem Chor der Jünglingsstimmen aus der mittleren Höhe widerstrebte ihm bei der musikalischen Ausführung der in der gedruckten Dichtung bereits festgehaltene Vers ›der Erlöser, den ihr preist‹; er erschien ihm matt und bloß durch den Reim eingegeben; und er setzte dafür: ›sel'ger Tröstung Liebesgeist‹. Und dann freute er sich im voraus, ›seine Monsieurs mit dem Radetzkymarsch abziehen zu lassen‹. Glückliche Tage gänzlichen Weltvergessens förderten den wunderbaren Aufzug so weit, daß er am 29. Januar das Datum dieses Tages auf die vollendeten ersten Bleistiftskizzen desselben eintragen konnte Ganz entrückt und in sich gekehrt kam er in dieser Zeit von der Arbeit zu Tische, und bei dem am Schluß wie im überirdischen Hauch erklingenden ›selig in Liebe, selig im Glauben‹ rief er unwillkürlich aus: ›ach! das ist schön! gerade wie ich es haben wollte‹. Am 31. Januar war auch die in Tinte ausgeführte Federskizze des ersten Aktes zu Ende gebracht.

Aber nur von innen her kam ihm die heilige Erquickung, von innen und aus der liebevollen nächsten Umgebung, die sein Werk bis dahin gefördert. Rekapitulierte er sich im Hinblick auf die weitere umgebende deutsche Welt das Benehmen von Volk und Fürsten gegen ihn, wie keiner ihm gefolgt [46] sei, niemand ihn unterstützt habe, und wie nun, nachdem er unter so harten Umständen dennoch die Aufführungen zu Ende gebracht, ringsum ein völliges Schweigen herrschte, – wie hätte wohl dies Schweigen ihn zum Reden und Schaffen bringen können? Und was dies Schweigen einer stumpfen Teilnahmlosigkeit von außen her unterbrach, waren etwa die Stimmen einer verständnislosen Begehrlichkeit nach den einzelnen Teilen seines großen Werkes von seiten der Theaterdirektionen. Wir erinnern uns der so wenig geziemenden Art und Weise, wie in schlimmen Zeiten die Direktion der Wiener Hofoper durch eine Art von Erpressung die Partitur der ›Walküre‹, wie auch der anderen Nibelungenstücke, an sich zu bringen versucht hatte14 und wie sehr es ihn kränkte, daß nicht allein Wien, sondern auch die anderen größeren Städte den Anfang ihrer Aufführungen, anstatt mit dem ›Rheingold‹, durchaus mit der ›Walküre‹ machen wollten. Anfang Dezember 1877 hatte Kapellmeister Eckert, als williges Sprachrohr des Berliner Intendanten Herrn von Hülsen, das gleiche Ansinnen für die Reichshauptstadt an ihn gestellt; auch erwähnte er in seinem Schreiben gleich im voraus den Wunsch der Direktion, ›im zweiten Akte Striche vorzunehmen‹! Wir erinnern uns auch der persönlichen Beziehungen zu Hülsen um die Zeit der Vorproben der Bühnenfestspiele15 und in Berlin,16 die wenigstens zeitweilig zu einem besseren Einvernehmen mit dem – leider ebenso einflußreichen als dünkelhaften – Manne zu führen schienen. Damals hatte Herr von Hülsen – als Gast im Hause des Meisters! – die naive Dreistigkeit gehabt, nach beendetem Diner das Gespräch auf die ›Walküre‹ zu bringen und auf seinen Wunsch, diese einzeln, von dem Gesamtwerke getrennt, für die Berliner Bühne zu erwerben. ›Einigen Anwesenden mochte der Zeitpunkt für solche Erörterungen und Unterhandlungen nicht eben günstig gewählt scheinen, und dem Gespräch wurde künstlich eine andere Wendung gegeben Wagner konnte seinen Unmut nicht ganz unterdrücken; er machte demselben durch die ironische Bemerkung Luft: wolle man in Berlin die »Walküre« allein geben, dann müsse die Hälfte des zweiten Aktes gestrichen werden. Es schien nun, man habe diese sarkastische Äußerung für eine zustimmende Erklärung gehalten, sowohl bezüglich der Aufführung, als auch des leidigen »Streichens«.‹17 Er erkannte in der neuerdings an ihn herantretenden brieflichen Zumutung das getreue Abbild all seiner bisherigen Beziehungen zu Berlin und dessen Hoftheater. Um sich nicht unnütz zu verstimmen, nahm er sich vor, auf diese Zumutung nicht sobald zu antworten; dann wieder sprach er sich dahin aus, überhaupt nicht darauf antworten zu wollen. Endlich – gegen Ende des Monats (28. Dezember) – [47] fand er den Ton, in welchem er Eckert als altem Freunde persönlich mit einem Scherzwort ablehnend erwidern konnte; er zitierte dazu die Münchener ›fliegenden Blätter‹, worin das Schenkmädchen dem Gaste, der eine ›Halbe‹ verlangt, den Rat erteilt, so lange zu warten, bis er Durst zu einer ›Ganzen‹ habe. ›Ich bitte Sie, lieber Freund‹, fuhr er dann fort, ›hierüber so zart wie möglich an meinen hochgeehrten Gönner zu berichten.‹18 Mit etwas Zartgefühl, wie es hier vorausgesetzt war, hätte der Empfänger dieser Auskunft sich über den tief ernsten Sinn dieser scherzhaften Ablehnung selbst orientieren können; wann aber wäre aus diesen Regionen dem Ehrgefühl des Künstlers das Zartgefühl des Zurechtgewiesenen gegenübergetreten? Freund Eckert ließ einige Zeit vergehen, dann erneuerte er sein Gesuch: er könne die Verweigerung der ›Walküre‹, nachdem ihre Aufführung der Wiener Oper doch bewilligt worden wäre, nicht für ernst gemeint halten. Als ein recht übler Mißklang tönte diese Stimme von draußen her in die Gemüts- und Geistesverfassung hinein, in welcher er an seinem erhabenen Werke arbeitete. Zugleich mit dem Ansinnen seiner Bevollmächtigten Voltz und Batz, welche nach allen unangenehmen Erfahrungen, die sie ihm schon bereitet, sich nun auch noch darum bewarben, den ›Ring des Nibelungen‹ in ihren Geschäftsbetrieb zu ziehen! Diese fertigte er kurz ab, während er dem Berliner alten Freunde, der sich zu einer so unwürdigen Unterhandlung hergegeben, erwiderte: wenn er auch einen Scherz in seinen Brief hätte mit einlaufen lassen, so hätte er mit seinem erteilten Bescheide dennoch nicht gescherzt.19 Dabei hatte es denn vorläufig sein Bewenden.

Es war das Los der ›Walküre‹, ihm durch ihre auswärtigen Aufführungen, beziehungsweise das einseitige Verlangen der Direktionen gerade nach diesem einzelnen Teil seines großen Werkes, nur Kummer zu bereiten. Dasselbe Stück, wie in Wien, spielte sich in etwas anderer Nuancierung in der mecklenburgischen Hauptstadt Schwerin ab. Die dortige Intendanz hatte sich, genau nach dem Vorbilde des Direktors Jauner in Wien, zum Dank für die Urlaubserteilung an Hill für das Londoner Unternehmen, die Erlaubnis ausbedungen, die ›Walküre‹ zunächst für sich allein, ohne vorausgehendes ›Rheingold‹, geben zu dürfen. Derartige gegen sein wohlbegründetes Prinzip gerichtete Pressionen waren dem Meister stets zuwider; doch kam noch ein weiteres hinzu, um sein Gerechtigkeitsgefühl gegen die Schweriner Bühne zu empören. Die Administration des dortigen Theaters gefiel sich in der sonderbaren Auffassung: jene – mit Überwindung und gewissermaßen aus Freundschaft für Hill, ausnahmsweise erteilte – Erlaubnis zur Einzelaufführung [48] der ›Walküre‹ so anzusehen, als schließe diese Erlaubnis zugleich auch noch, als ein ihr erteiltes Geschenk, das materielle Aufführungsrecht mit in sich. Zu einem solchen materiellen Geschenk an ein großherzogliches Hoftheater lag auch nicht die mindeste Veranlassung vor, da er diesem nie etwas schuldig ge blieben war. Unter den erschwerendsten Umständen hatte er vielmehr bei dem unglücklichen Londoner Festival auf jede Einnahme daraus zugunsten seiner Sänger verzichtet und Herr Hill mithin seine siebentausend Mark gewissermaßen direkt aus seiner Tasche ausbezahlt erhalten! Und nie würde er, da er Hills Künstlerschaft zu schätzen wußte, sich weiter darüber beklagt haben; nur jetzt noch von demselben Schweriner Theater aufs neue eine übel angebrachte, bloß ihn selbst empfindlich schädigende Großmut sich abzwingen zu lassen, war er um so weniger geneigt, als der notgedrungene Entschluß einer Preisgebung seines Werkes an die Theater doch ganz wesentlich unter dem Drucke des noch unbeglichenen Defizits der Festspiele ihm abgerungen war. Am 7. Januar fand die erste Schweriner Aufführung der ›Walküre‹ statt; das Aufsehen war außerordentlich; Kapellmeister Aloys Schmitt sandte eine Depesche über den glänzenden Verlauf und ›großartigen Erfolg‹20 mit drei-bis viermaligem Hervorruf der Sänger nach jedem Akt. In gleichem Sinne erfolgten dann noch briefliche Nachrichten von Hill, Kapellmeister Schmidt und der Intendanz; dem Meister blieb nichts übrig als alle diese Zuschriften völlig zu ignorieren. ›Die Schweriner Angelegenheit war mir längere Zeit so unbegreiflich und widerwärtig, daß ich selbst Briefe von dort nicht eröffnete‹, schrieb er ein Vierteljahr später an Hill. So lange nämlich dauerte es schließlich, bis dies seltsame Mißverständnis zu einer befriedigenden Lösung kam. Am 27. Februar lief ein Schreiben der dortigen Oberhofmeisterei an ihn ein, mit der Bitte um die Angabe seiner Bedingungen für den gesamten Nibelungenzyklus. Er beschloß nun, wie er selbst scherzend sagte, in seinem ›Zorn‹ gegen Schwerin nachzulassen und diesen ganz für Berlin aufzusparen, wenn dieses dereinst doch nach dem ›Ringe‹ verlangen würde. Doch aber mußte es ihn aufs neue in Verwunderung setzen, daß auch in den, nach Akzeptierung dieser Bedingungen, ihm unterbreiteten Kontrakt wohl die übrigen drei Werke des Zyklus, nicht aber die ›Walküre‹ aufgenommen waren: die, Fiktion, als könnte er nur entfernt im Sinne gehabt haben, dem Schweriner [49] Theater damit ein Geschenk zu machen, blieb demnach hartnäckig beibehalten Erst am 15. März traf der richtige Kontrakt ein, mit welchem die unerfreuliche Episode ins Gleiche gebracht, das Mißverständnis beseitigt war.

Aber von Mißverständnissen aller Art war ja die Luft in diesem unglückseligen Deutschland ganz erfüllt, von Mißverständnissen seiner Kunst und seiner Person, seiner ganzen Lebensstellung und eines jeden Schrittes, den er entweder tat oder mit Bewußtsein unterließ. Selbst das ungeheuere, einzig dastehende, heroische Opfer an Gesundheit, Zeit und Kraft, das er mit dem Londoner Festival sich auferlegt hatte, um seiner großen Idee zu dienen, konnte ihm von einem bloßen Geschäfts- und Handelsmann, wie dem Hamburger Pollini, so ausgelegt werden, als habe es sich dabei um eine Leistung gehandelt, die mit Geld zu erkaufen wäre. Bereits im September des vorigen Jahres, als er nach allen Irrfahrten jenes seltsamen Sommers kaum erst wieder nach Bayreuth heimgekehrt war, hatte ihm der ebengenannte berühmte Direktor und Impresario den Antrag gestellt, seine Werke an einem Londoner Theater zu dirigieren: es gebe ›kein Opfer, das er dafür nicht bringen würde‹. Natürlich refüsierte der Meister und erinnerte den unternehmenden Mann, bevor er an das Ausland dächte, an seine einheimisch deutschen Verpflichtungen. Konsequenterweise verlangte nun dieser für Hamburg, ganz wie alle anderen Direktionen, die ›Walküre‹, worauf er die Weisung erhielt, diese werde nur denjenigen Theatern gewährt, die den ganzen ›Ring‹ aufzuführen gedächten. Dies geschah in einem Briefe Wagners vom 25. Oktober; Pollini ging auf die gestellten Bedingungen ein, wollte aber durchaus mit der ›Walküre‹ den Anfang machen. Diesem allen gegenüber galt es immer nur Geduld und in jedem einzelnen Falle wieder den Nachweis dessen, um was es sich eigentlich dabei handle. Seines den Herren Brandt und Hoffmann gegebenen Wortes eingedenk, bemühte er sich auch bei dieser Gelegenheit für den dekorativen Teil der Aufführung ihre Mitwirkung zu empfehlen.21 Dies war ganz vergeblich; von einer Beziehung zu dem einen oder andern dieser Herren wollte das Hamburger Theater nichts wissen. Auch die Empfehlung des jungen Anton Seidl als Dirigenten, der, wie damals kaum ein zweiter, das ganze vierteilige Werk beherrschte, war umsonst; höchstens sollte er als ›Chordirektor‹ angestellt werden. Als solcher hätte er nun gerade bei einem Werk, wie dem ›Ring‹, der nur in seinem Schlußteil einen Männerchor aufzuweisen hatte, eine ziemlich überflüssige Stellung eingenommen. Noch in einem Briefe vom 30. Januar 1878, nachdem der Kontrakt längst perfekt geworden war, mußte er aber immer noch auf die Frage zurückkommen, ob der Anfang des Ganzen mit der ›Walküre‹ oder dem ›Rheingold‹ gemacht werden sollte! ›Ich halte es für wichtig, Sie darauf aufmerksam [50] zu machen, daß Sie, sowohl in Ihrem als in meinem Interesse, gut verfahren würden, wenn Sie die »Walküre« nicht, ohne ihr das »Rheingold« vorausgehen zu lassen, geben. Das Leipziger Theater hat sich, sehr verständiger Weise, dazu entschlossen, beide Werke zugleich studieren zu lassen, um, immer in zwei Tagen, »Rheingold« und »Walküre« zusammen zu geben. Dieses bewirkt, daß die wichtige Partie des »Wotan« in der »Walküre« zur vollen Geltung kommt, was ohne das Vorausgehen des »Rheingold« unmöglich ist. Dann können die späteren Teile sehr gut einzeln nachfolgen. Wollen Sie gütigst sich diesen Rat zu Gemüte führen.‹

Mit dem hier als nachahmenswertes Vorbild angeführten Leipziger Stadttheater hatte es folgende Bewandtnis. Dieses stand damals unter der Leitung der beiden Herren Dr. August Förster und Angelo Neumann. Mit dem ersteren hatte der Meister bereits das Jahr zuvor, noch vor dem Londoner Festival, in Unterhandlungen wegen des ›Ringes‹ gestanden; doch war eine Einigung nicht erzielt worden: eine – für Leipzig aus alter Tradition so ungemein charakteristische – übermächtige reaktionäre Gegenströmung derjenigen musikalischen Richtung, die in den Leipziger Gewandhauskonzerten ihren Mittelpunkt hatte, benahm dem ohnehin mehr schmiegsamen als charakterfesten Manne den Mut dazu. Nun trat aber Angelo Neumann in Aktivität. Er ergriff die Sache mit Lebhaftigkeit und Entschiedenheit, und hielt sie mit der seinem Stamme eigenen unerschütterlich optimistischen Zähigkeit fest. Vor allem war er sich darüber klar, daß die weitestgehende Umschau im Gebiete der neueren Produktion ihm kein einziges Werk aufwies, durch welches er einen nur annähernd ähnlichen Kassenerfolg sich gewährleistet sah. Er erbat sich deshalb zu allernächst telegraphisch die Erlaubnis zu einem persönlichen Besuch in Wahnfried und traf, nachdem ihm diese freundlichst erteilt worden war, tags darauf, am Montag22 den 21. Januar zu diesem Zwecke in Bayreuth ein. Die von ihm selbst gegebene, im Ton und Ausdruck der wörtlich angeführten Unterredungen nicht immer ganz überzeugende, ausführliche Schilderung dieses Besuches können wir unseren Lesern füglich ersparen. ›Sie sehen mir ganz aus wie einer, der nicht zum Spaß von Leipzig nach Bayreuth gekommen ist‹, habe der Meister ihm gesagt und sich vor allem befriedigt gezeigt, als ihm Neumann die Versicherung gab, daß er unter keinen Umständen sich dazu verstehen würde, zuerst die ›Walküre‹ zu geben und dann das ›Rheingold‹ folgen zu lassen, wie andere Bühnen es getan oder erstrebt.23 Der Erfolg seiner Mission war, daß er von diesem zweistündigen Besuch als Dokument seiner Unterhandlungen die von Richard Wagner eigenhändig niedergeschriebenen Punktationen ihres Vertrages mitbringen [51] konnte. Nach seiner eigenen (Neumanns) Erzählung habe er den Meister dazu bestimmt, diese Punktationen nach seinem – Neumanns – Diktat sofort niederzuschreiben, woraus sich manches in ihrer Fassung erklärt, z.B. daß er dem Meister in diesem ersten Ansturm von den gewünschten rund 10% Tantieme die halbe Abonnementsquote glücklich abhandelte, wobei es denn unseres Wissens auch für später verblieb Fest aber stand, daß das gesamte große Werk im Verlauf des Jahres 1878 über die Leipziger Bühne gehen sollte. Als Termin der Aufführung von ›Rheingold‹ und ›Walküre‹ waren der 28. und 29. April (Beginn der Ostermesse), für ›Siegfried‹ und ›Götterdämmerung‹ der 21. und 22. September (Beginn der Michaelismesse) angenommen; recht buchstäblich so wie er es einst selbst in melancholisch bitterer Ironie vorausgesagt: er komponiere diese Werke, damit sie dereinst vor den ›Leipziger Meßjuden‹ aufgeführt würden und etwa Herr Rietz24 sie dirigiere. Daß sie bei diesen Aufführungen nun tatsächlich doch in seinem Sinne dirigiert würden, darauf war er selbst aus der Ferne bedacht, indem er sofort eine Beaufsichtigung der Vorbereitungen durch seinen Schüler Anton Seidl in Aussicht nahm; daß seine große Schöpfung aber, statt auf seiner Bayreuther Bühne durch die von ihm gewollte Wiederholung unter günstigeren Umständen erst zur korrekten Darstellung zu gelangen, die ihr beim ersten Anlauf noch nicht zuteil werden konnte, – daß sie statt dessen ohne die definitive Fixierung eines solchen Vorbildes den Weg über diese deutschen Operntheater antreten sollte: wie gern hätte er sich das erspart gesehen!

Eigentümlich berührte ihn in dieser Beziehung, daß selbst kleinere deutsche Theater mit ihren Bewerbungen um sein großes Werk an ihn herantraten. So erkundigte sich eben jener Braunschweiger Intendant General v. Rudolphi, der erst vor drei Jahren durch seine brüske Urlaubsverweigerung für einen Sänger ihm eine unerwartete Schwierigkeit bereitet hatte,25 angelegentlich nach seinen Bedingungen für die Überlassung der vier Stücke des ›Ringes‹. In seiner vom 14. Februar datierten Erwiderung zeigte sich Wagner gegen diesen Wunsch eher abgeneigt, da er sich keineswegs sicher fühlen konnte, ob das Verlangen des Herrn Intendanten auf einer richtigen Einsicht in die Schwierigkeiten der beabsichtigten Unternehmung beruhe. Aber schon acht Tage später meldete sich Herr v. Rudolphi aufs neue: ›selbstredend‹ habe er alle Schwierigkeiten, die er damit auf sich nehme, wohl erwogen und stehe mit der Ehre der von ihm geleiteten Hofbühne für eine angemessene Lösung der Aufgabe ein. Unter diesen Umständen lag kein Grund vor, der braunschweigischen Bühne das zu versagen, was er der Schweriner eingeräumt hatte, und ziemlich[52] um die gleiche Zeit mit dem Schweriner Kontrakt (13. bis 16. März) kam auch der braunschweigische zustande. Auch ein kleines Braunschweiger Idyll spielte sich in unmittetbarem Anschluß ab, indem der unter Führung des geistvollen Professors Hans Sommer stehende braunschweigische ›Klub der Nibelungen‹ sich – für seine Kegelbahn in rührender Weise ein Portrait des Meisters erbat! Dieser kam der an ihn ergangenen Bitte nach, indem er den Braunschweigischen Nibelungen zu Ehren einen ihnen gewidmeter heiteren Reim unter sein Bildnis schrieb;26 worauf denn die ›dankbaren Nibelungen Braunschweigs‹ ihrerseits wiederum nach Empfang desselben telegraphisch ein ›endlos jubelndes Hoch dem erhabenen Meister deutscher Tonkunst, dem wahrhaft deutschen Dichter und dem liebenswerten deutschen Manne Richard Wagner‹ darbrachten. In bezug auf die hartnäckige Reichshauptstadt mit ihrer störrisch einsichtslosen Hoftheaterautorität Herrn von Hülsen bemerkte er lachend: Berlin würde nun, wie Plewna, von allen Seiten eingesperrt, indem Hamburg, Leipzig, Wien, München, Schwerin und Braunschweig sich an den ›Ring‹ machten. Daß sich Hannover mit seinen ziemlich ausreichenden Mitteln, und unter der Leitung Hans von Bronsarts stehend, nicht unter den Zahl der ›Einschließenden‹ befand, dafür hatte ebenderselbe Herr von Hülsen, wie wir wissen, bereits zeitig gesorgt.27 Er wollte die Aufführung des ihm verhaßten Werkes nicht allein in Berlin, sondern auch an allen anderen, unter seiner Botmäßigkeit stehenden Theatern verhindern Kraft seiner oberhoheitlichen Position über die ihm unterstellten Bühnen von Hannover, Kassel und Wiesbaden hatte er erst vor wenigen Monaten den bestimmten Befehl erteilt: diese Bühnen dürften hinfort ausschließlich nur solche Stücke geben, die zuvor von ihm selbst für Berlin angenommen worden seien!! Keinen Augenblick hatte sich der Meister, während diese befremdliche Ordre die Runde durch die deutschen Blätter machte, einer Täuschung darüber hingegeben, daß sie sich als eine Art Kriegserklärung und päpstliche Bannbulle eigens auf sein großes Werk bezog. Und so mußten die Berliner, um wenigstens einen Teil des ihnen vorenthaltenen Werkes kennen zu lernen, mittelst besonderer Extrazüge aus der Reichshauptstadt nach der mecklenburgischen Residenz reisen (Extrazug Berlin-Schwerin am 24. März 1878); währendebendieselbe ›Walküre‹ in Wien bereits ein viertelhundertmal vor stets gefülltem Hause gegeben war und nunmehr – seit dem 24. Januar – auch das ›Rheingold‹ in stets wiederholten Aufführungen einen entsprechenden ›Erfolg‹ aufzuweisen hatte.

Die mancherlei Beratungen und Vorarbeiten für das erste Stück der ›Bayreuther Blätter‹ fallen in den Monat Januar, während Wolzogen noch [53] in des Meisters Hause als Gast weilte. So viel als möglich nahm Frau Wagner dem Schaffenden von dieser Tätigkeit ab, um ihn nicht in seiner Arbeit zu stören. Am 2. Januar las Wolzogen sein, im Namen und Auftrag des Meisters verfaßtes Zirkular an die Lokalvereine vor, welches zum Abdruck im ersten Stücke bestimmt war. Wenige Tage später machte sich der Meister selbst an die Abfassung seines Artikels ›Zur Einführung‹, worin er die mit der Herausgabe dieser Zeitschrift verbundenen Gedanken und die näheren Umstände darlegte, die ihn dazu veranlaßt hatten, die ›Schulidee‹ nunmehr aufzugeben und statt ihrer Durchführung sich mit der bloßen Zeitschrift zu begnügen. ›Unser kleines Blatt wird sich in den Augen jener Großblättler recht verächtlich ausnehmen; hoffentlich beachten sie es gar nicht, und wenn sie es ein »Winkelblatt« nennen, so wird das zwar eine, in ihrem Sinne, unzutreffende Bezeichnung sein, da unsere Winkel sich über ganz Deutschland ausdehnen; immerhin durften wir sie aber gerne annehmen, und dies zwar um einer guten Vorbedeutung willen, welche diese schmählich gemeinte Bedeutung mir eingibt: in Deutschland ist wahrhaftig nur der »Winkel«, nicht ober die große Hauptstadt produktiv gewesen. So wurde mir denn aus diesen »Winkeln« des deutschen Vaterlandes am kräftigendsten und ermutigendsten auch für mein Werk zugesprochen, während in den großen Markt-und Hauptstädten zumeist nur Spaß damit getrieben worden ist.‹ Am Dienstag den 8. Januar beendigte er die Niederschrift dieses in so guter heiter überlegener Stimmung durchgeführten Aufsatzes und las ihn abends den Seinigen vor. Am 31. Januar siedelte Wolzogen aus Wahnfried in seine, bis zur Errichtung seines Neubaues gewählte provisorische Wohnung in der Kottenbacher (jetzt Schiller-)Straße über und hatte nach erfolgtem Einzug die Ehre, den Meister um die Seinen zu einem Einweihungsmittagsmahl bei sich zu empfangen. War er nun nicht mehr im buchstäblichsten Sinne der Hausgenosse von Wahnfried, so blieb doch der Verkehr ein ununterbrochener; wozu die beständigen Beziehungen von und nach außen durch den ›Patronatverein‹, oder die ›Bayreuther Blätter‹ genügende Veranlassung gaben, außerdem aber die regelmäßig fortgesetzte abendliche Lektüre, an welcher Wolzogen ebenso regelmäßig teilnahm und auf die wir sogleich noch eingehend zurückzukommen gedenken.

Die Nachrichten über die Organisation des neuen Vereins lauteten vorerst gar nicht übel. Wenigstens durften sie in den Augen derer dafür gelten, die sich nach allen bisherigen Erfahrungen von außen her eigentlich gar nichts erwarteten. Bald handelte es sich um materielle Beiträge für das Vereinsvermögen, bald um mancherlei Zeugnisse eines bestehenden Interesses für das werdende Unternehmen; bald war es der junge Wiener Akademische Wagnerverein, der durch die Zeichnung einiger hundert Gulden seine gute Gesinnung aufs neue bekräftigte; bald kam von Regensburg her der seit länger der Sache befreundete Graf Du Moulin, um 27 neue Mitglieder auf einmal anzumelden; [54] bald kündigte ein gewisser junger Herr Kürschner, den die literarische Welt nachmals als einen der gründlichsten Statistiker nicht allein auf dem Gebiete der Kunst und Literatur, sondern auch der Politik kennen gelernt hat, seine ernste Begeisterung für Bayreuth an, deren gleichmäßige Andauer ihm durch sein ganzes jahrzehntelanges fleißiges Wirken hindurch so wohl anstand; bald meldete sich aus Paris ein französischer juge d'instruction, Mr. Lascoux – von da ab einer der treuesten Anhänger – für die ›Bayreuther Blätter‹; oder ein spanischer Verehrer, Herr Joaquin Marsillach aus Barcelona, erbat sich als Geleitspruch für ein von ihm geplantes Werk ein – gern gewährtes – Autograph; bald konnte Wolzogen die heitere Nachricht bringen, der Kaiser von Brasilien habe ihm durch seinen Gesandten in Berlin den Betrag von 15 Mark übersandt (dies war der damalige alljährliche Beitrag für den Patronatverein!); bald wiederum, sein eigener Landesherr, der Großherzog von Mecklenburg, habe 900 Mark für den Verein geschickt usw. usw. Am 7. Februar traf von Chemnitz aus, wo die Zeitschrift damals gedruckt und verlegt wurde, das in seiner Herstellung etwas verzögerte erste Stück des ersten Jahrganges der ›Bayreuther Blätter‹ ein; bereits einige Tage zuvor hatte der Meister, zur etwaigen Verarbeitung für ein zweites Stück, aus seinen Papieren jenen unvollendeten älteren Aufsatz ›Was ist deutsch?‹ hervorgesucht, der seinerzeit – im September 1865 – als das Programm einer neuzubegründenden politischen Zeitung zur Niederschrift gelangt,28 in der Folge jedoch bei der Abfassung seiner größeren Abhandlung über ›Deutsche Kunst und deutsche Politik‹29 abschnittweise mit verarbeitet war, so daß der vorhandene Rest des Manuskriptes schließlich nur aus zerstückelten Absätzen bestand, die erst wieder neu zum Ganzen verschmolzen und mit einem Schlußwort versehen werden mußten. Als eine wahre Schatzkammer tiefer und origineller Einsichten in das Wesen und geschichtliche Werden des deutschen Geistes durften wir bereits an jener Stelle diesen gedankenreichen Aufsatz bezeichnen; und wie er damals als Programm einer Zeitung gedacht war, so sollten die darin ausgeprägten Gesichtspunkte ihre edle Bestimmung nunmehr darin finden, nach gewissen Richtungen hin den ›Bayreuther Blättern‹ zu gleichem Zwecke zu dienen. In diesem Sinne waren es besonders zwei Männer, die er am Schluß seines Nachwortes zu weiterer Behandlung der Frage: ›was ist deutsch?‹ in eben diesen Blättern anrief: den bereits früher in so auszeichnender Weise von ihm hervorgehobenen Politiker Konstantin Frantz30 und den kernigen Göttinger deutschen Gelehrten und Denker mit dem französischen Namen Paul de Lagarde, der durch seine ›deutschen Schriften‹ erwiesen hatte, daß er mehr als ein bloßer Gelehrter ersten Ranges war, [55] nämlich daß er zugleich die wärmste und tiefste Teilnahme für alle Fragen des öffentlichen Lebens empfand und an ihrer Besprechung tätigen Anteil nahm.31

Von Göttingen aus, der kleinen hannöverschen Universitätsstadt, war schon in den letzten Tagen des Dezember ein idealistisch gesinnter junger Freund und Verehrer, Dr. Ludwig Schemann, durch Wolzogen eingeführt, über die Schwelle von Wahnfried getreten. Nicht zum erstenmal, da er vielmehr schon ein Zeuge der ersten Festspieltat, späterhin einer derjenigen Patrone, Vereinsdelegierten und näheren Freunde gewesen war, denen der Meister im September des vorigen Jahres seinen Plan zur Organisierung des neuen Patronatvereines unterbreitet und die vollendete Dichtung des ›Parsifal‹ vorgelesen hatte.32 Wohl aber war es das erstemal, daß dieser treu ergebene ›Bayreuther‹ nach seinen eigenen Worten ›die Vergünstigung genoß, ihn im engeren und engsten Kreise, gelegentlich auch allein zu sehen‹. ›Das Schönste waren immer die Abende, an denen Wagners Heiterkeit wie seine Weisheit gipfelte. Nicht am wenigsten trug dazu die ungemeine Traulichkeit der Umgebung und der gesellschaftlichen Einkleidung dieser Abende bei, an denen, bei aller Einhaltung äußerer Formen, die freieste Ungezwungenheit inmitten herzlicher Gastlichkeit herrschte. So ist mir als ein besonders liebes Symbol jener Stunden die Art und Weise in Erinnerung geblieben, wie uns der Tee gereicht wurde, – ein gemeinsames Privileg der Kinder des Hauses, deren jedes ein anderes Teil des Zubehörs darbot.‹ Mit lebhafter Anteilnahme hatte der Meister während dieses ganzen Herbstes die einzelnen Phasen des russisch-türkischen Krieges, die lange sich hinziehenden Vorgänge bei Plewna verfolgt und dabei des immer enger eingeschlossenen, unbeugsam tapferen Osman Pascha sympathisch sich erfreut, wie nicht minder der schließlich unvermeidlichen, und doch für den Besiegten höchst ehrenvollen Kapitulation. So feierte er auch diesmal Osman Pascha als Helden, lachte über die Erbärmlichkeit Mac Mahons und das ›französisch-protestantische‹ Ministerium und über die Note Englands, die einen baldigen Abzug Disraelis in Aussicht stellten. Mit elementarer Gewalt aber rang sich aus seinem Innern die bittere Beschwerde gegen den deutschen Reichskanzler los, daß dieser der Großzüchtung des Judentums im deutschen Volksleibe zum mindesten nicht gewehrt habe. ›Seine Klagen über das unsägliche Elend, das die Juden über unser Volk gebracht, gipfelten in der Schilderung der Lage des deutschen Bauern, der bald keine Scholle eigenen Bodens mehr [56] unter den Füßen haben werde, – und das alles sei unter den Augen des »Germanen« Bismarck geschehen!‹33 ›Nie habe ich ihn‹, fährt der Erzähler fort, ›auch nur annähernd wieder so in heiligem Zorne aufflammen sehen; nach den letzten Worten stürzte er, völlig außer sich, hinaus in die Winternacht, um erst nach einer Weile, nachdem der Paroxysmus verflogen, mit seinem Neufundländer, der ihn inzwischen bis zu toller Ausgelassenheit beruhigt hatte, wieder hereinzukommen.‹ ›Für die großen Heldengestalten der Geschichte empfand er gleichsam die inbrünstige Liebe eines ihrer Ordensbrüder, während er vor ihren Greueln und wahnvollen Verirrungen immer mehr und mehr zum Humor und je nachdem zur Ironie sich flüchtete. In beiden Beziehungen bot ihm unter den neueren Schriftstellern keiner in gleichem Maße das, was sein Herz bedurfte, als Carlyle, dessen Werk über Heldenverehrung eines seiner Lieblingsbücher war, und dessen Geschichte der französischen Revolution er ebenfalls aufs genaueste kannte.‹34

Seinen tief ernsten Grundton hat das um Mitte Februar entstandene Nachwort zu ›was ist deutsch?‹ gerade auch dem Hinblick auf die traurig rückständigen Verhältnisse der Reichshauptstadt zu verdanken, auf die dortigen ›allerhöchsten Vermählungsfeierlichkeiten‹ mit Clemenza di Tito als ›Hochzeitsoper‹35 und einem Fackeltanz, zu welchem Eckert nach Motiven aus den ›Meistersingern‹ – als Tanzmusik! – die Komposition liefern wollte!!36 Die gleichzeitige Friedensrede des Reichskanzlers kränkte ihn durch die aller Idealität spottende burschikose Würdelosigkeit ihres Ausdruckes, ihrer – entweder von der studentischen ›Mensur‹37 oder vom trivialsten ›Geschäft‹ hergenommenen – rhetorischen Bilder: er fand sie verständig und klar, aber ohne Größe;38 insbesondere auch in ihrer beständigen Beachtung der ›Presse‹: ›wenn ich nur diese zum Schweigen bringe, mit den Reichstagsmitgliedern da werde ich schon fertig‹, diese Gesinnung höre man überall durch.39 Nein, nicht aus diesen Zentralpunkten der herrschenden Kultur war das Heil für ihre Erneuerung zu gewinnen und zu erwarten; weshalb er denn auch in einer seiner Unterredungen mit dem jungen Freunde Schemann in scherzender Wendung [57] von einem ›Kleinstädte-Bund‹ zur Erhaltung Bayreuths gesprochen hatte. Aus den ›Winkeln‹ einzig ward ihm Ermutigung bei seinem großen Kulturwerk, oder – nach seinen eigenen Worten – von denen, die in diesen Hauptstädten selbst wiederum nur den ›Winkel‹ aufsuchen, in welchem sie ›unbeachtet und nichts beachtend über die Lösung des Rätsels »was ist der Deutsche?« ruhig nachzudenken vermöchten.‹ Und was in diesem Sinne von außen her – aus den Winkeln des deutschen Vaterlandes – in den Bayreuther Winkel drang, konnte auch den jungen Redakteur der ›Bayreuther Blätter‹ (der allerdings solchen Zuspruches von außen nicht bedurfte!) ermutigend darin bestärken, das von ihm erkorene, ihm anvertraute Banner fernerhin hochzuhalten.

Unter den literarischen Einsendungen, die, so häufig ganz fremdartiger und gleichgültiger Art, ununterbrochen in Wahnfried einliefen, befand sich gegen Ende Februar eine Broschüre über die Judenfrage, ein Separatabzug aus der ›Deutschen Reichspost‹, mit bezeichnenden statistischen Enthüllungen und u.a. auch der Anführung einer jener siegesgewissen Äußerungen, wie sie ab und zu aus Unvorsichtigkeit an die nichtjüdische Öffentlichkeit gelangen, für die sie ihrer Natur nach kaum bestimmt zu sein schienen.40 Die ›sehr bedeutende jüdische Stimme‹, die sich hier so triumphierend vernehmen ließ, gehörte, wie sich bald darauf herausstellte, einem Rabbi aus der Bukowina, einer gleichsam päpstlichen Autorität, Namens Friedmann. Der Meister fand den deutschen Namen und die seitens der Juden der deutschen Kultur zuerkannte Bedeutung sehr bemerkenswert;41 in jeder Weise forderte sie ihn zu einer Äußerung heraus. Seine ›Bleistiftereien‹, sagte er scherzend von den musikalischen Skizzen seines großen Werkes, seien gerade auf einem Punkte, wo er sich unterbrechen könne, und die Abfassung gerade dieses Beitrages für die Blätter, in denen es noch so viel zu sagen gebe, mache ihm Vergnügen. So entstand der kleine Aufsatz »Modern« mit seinem ›mild ironischen Ton‹, an welchem er selbst Freude hatte, seiner überlegenen Feinheit und klassischen Ruhe, den er am Abend des 12. März, unmittelbar nach Vollendung, dem kleinen engsten Kreise der Seinigen vorlas, in Gegenwart Wolzogens, nachdem er kurz zuvor in einer Nachmittagsbesprechung mit diesem ›die ganze Kultur in Ordnung gebracht‹ hatte. ›So etwas dürfe man eigentlich nicht vorlesen‹, sagte er vor dem Beginn, ›es muß nicht klingen, es ist für das Auge‹. Und doch ist die Konzentration des literarischen Stiles, die Vereinigung von Idealität und Humor, der Aufbau des Ganzen, die zwanglose [58] Unterbauung entscheidend wichtiger Aussprüche durch eine Fülle scheinbar leicht angeschlossener Nebensätze und Nebengedanken, in ihrer Originalität jenen leitenden Gedanken, denen sie mit ironischer Grazie nur beiläufig angeschlossen scheinen, völlig beigeordnet und ebenbürtig, – eigentlich nur für Diejenigen in ihrem unnachahmlichen Reiz ganz zugänglich, die das Glück hatten, seinen Stimmklang, das unvergleichlich Persönliche darin, gleichzeitig mit zu vernehmen ›Wagners Denken, und darum auch sein Sprechen, waren Kunst‹, sagt einmal Chamberlain; ›sein Denken war wirkliches Anschauen, sein Sprechen klare, scharf umgrenzte Bilder, wie die Bilder auf der Bühne.‹42 Und doch beruhte diese Plastik seiner Mitteilung, auch hierin der Plastik seiner dramatischen Gestalten nicht unähnlich, keineswegs bloß auf dem scharfen Umriß der Kontur, vielmehr auf dem Zusammenfassen einer Fälle von Voraussetzungen, die der Leser noch nicht mitbringt, die ihm vielmehr bei derselben Gelegenheit erst geboten werden müssen, und von Konsequenzen, die er selbst zu ziehen angeleitet wird. Wer so viel Neues, der in so ganz anderen Bahnen verirrten Mitwelt Fremdes und Unerhörtes aus seiner innersten Anschauung zu sagen hatte, wie er, und dies unmöglich in dicken Büchern tun konnte, – der mußte sich für eine eindrucksvolle Mitteilung in gedrängten Abhandlungen, wie in den ›Bayreuther Blättern‹, jenen eigentümlich hinreißenden Vortrag erst selbst herausbilden, für den er kein Vorbild antraf, wohl aber ab und zu in der Prosa Lichtenbergs etwas Verwandtes zu finden meinte, mit dessen Schriften er sich eben damals gern beschäftigte.

Er las damals gern und viel in Lichtenberg, den er den französischen Moralisten durch Bildung und Anlage überlegen fand. Die Aphorismen über Philosophie und Religion bereiteten ihm viel Vergnügen und er erklärte ihren Verfasser in bezug auf geistvolle Auffassung für einen wirklichen Vorgänger Schopenhauers. So sehr war ihm manches aus der Seele geschrieben, daß er lachend sagte, es sei ja wie aus seinen eigenen ›Gesammelten Schriften‹ entnommen. Er zitierte gerne daraus, wie z.B. den Passus über die ›Kinderkrankheiten der Bücher‹, oder über Lord Chesterfields Ironie: diesen ›mild ironischen Ton‹ hoffe er in ›Modern‹ angeschlagen zu haben. Ein anderes Mal aber sprach er aus, es falle ihm doch schwer so viele einzelne aneinandergereihte Gedanken zu lesen: man wisse schließlich nicht mehr, was man lese; man brauche den Zusammenhang, die Ordnung, den Plan, das Drama. Man gehe dann beim Lesen nur auf das Witzwort aus: ›schließlich sehe man wie Flöhen zu, und warte, bis einer sticht‹. Selbst mit Ottiliens Tagebuch [59] in den ›Wahlverwandtschaften‹ sei es ihm so gegangen: ›ich war immer froh, wenn ich durch war‹ Einen unerschöpflich ergiebigen Quell der abendlichen Unterhaltungen, an denen Wolzogens regelmäßig teilnahmen, boten in diesem Winter bis in das Frühjahr hinein die Romane Walter Scotts: es sei, sagte er, als ob Lichtenberg alle seine Prädikate eines guten Romandichters auf Walter Scott hin, den er doch nicht kannte, aufgestellt habe. ›Ein großer Dichter, die Krone eines zivilisierten Geistes, ein großer Meister‹, sagte er von ihm nach Beendigung des ›Herz von Midlothian‹, woran sich dann die ›Presbyterianer‹ anschlossen. Er bewunderte an ihm jenen ›Seherblick für das Nieerlebte‹, welchen göttliche Mächte – seit den Zeiten Homers – von jeher nur an ihre Gläubigen verliehen. ›Sollte doch selbst, wie am Ende der Zeiten, das »zweite Gesicht« eines Schotten zur vollen Hellsichtigkeit für eine ganze, nun bloß noch in Dokumenten hinter uns liegende Welt historischer Tatsachen sich erleuchten, welche dieser uns wie aufhorchenden Kindern als glaubwürdige Märchen dann behaglich zu erzählen weiß.‹43 Diese Kunst des Erzählers, sagte er einmal, erscheine ihm ›ebenso unbegreiflich, wie anderen vielleicht seine Partituren‹. Da es bis in den März dieses Jahres hinein immer noch winterlich stürmte und schneite, gestalteten sich, bei starkem Schneegestöber im Freien, auf der Straße wie im Garten, wo alles unter einem dicken weißen Teppich lag, die abendlichen Sitzungen in Wahnfried noch behaglicher. Die beiden lichtspendenden großen Gasflammen an der Rotunde des Saales waren durch japanische Sonnenschirme sanft abgeblendet, der für große gesellschaftliche Empfänge bestimmte Kronleuchter außer Funktion; der Meister selbst hatte seinen Platz auf dem großen rechtwinkligen Diwan inmitten des um ihn gruppierten Kreises der Seinen, und die hinter ihm stehende Lampe, die ihren hellen Schein auf die Blätter seines Buches warf, verklärte zugleich sein mächtiges Haupt und die majestätische Stirn. In bezug auf sein eminentes Feingefühl für Wahres und Unwahres, Echtes und Unechtes in seinem literarischen wie ästhetischen Urteil bemerkt Wolzogen in seinen ›Erinnerungen‹, es sei stets mit elementarer Notwendigkeit aus dem Grunde sei nes Gefühls für die Wahrhaftigkeit hervorgebrochen, das sich nichts vorspiegeln und vorflunkern ließ, sondern stets in die Tiefe des Gegenstandes drang. ›Dieses Gefühl zeigte sich auf das schönste jedesmal, wenn er uns ein großes Dichterwerk vorlas, oder ein musikalisches Stück am Klavier durchnahm, was immer ganz spontan geschah.‹ Bei dieser gemeinsamen Lektüre der Scottschen Romane war er übrigens nur selten der vortragende Teil; sofern nicht Wolzogen das Amt des Vorlesers zuteil ward, lag dasselbe – soweit dies ihr damals schon vorhandenes Augenleiden zuließ – in den Händen der Gemahlin des Meisters. Von ihren Lippen gewannen [60] allerdings die von ihr vorgetragenen Vorgänge und Situationen noch einen ganz eigenen unvergleichlichen Zauber der Größe und Klarheit, der starken Empfindung und edlen Vornehmheit, so daß sich der Dichter glücklich schätzen durfte, der durch ihren Mund zum Vortrag gelangte – eine Empfindung, die Wagner selbst bei diesen Vorlesungen aussprach. Er selbst beschränkte sich ausschließlich auf das Zuhören, außer wenn er in gewissen Momenten den Vortrag durch eine Reflexion unterbrach oder epilogisierte. Mit der Kritik des von ihm geschätzten Dichters hielt er nie zurück: in den ›Presbyterianern‹ erschien ihm die Szene in Schloß Tillietudlem zu eingehend ausgeführt, die Rettung Mortons gar zu edel; doch fügte er hinzu: es sei der humane Sinn dieser Dichtungen, durch alle Schrecknisse den Sieg des Besseren in den einzelnen Gemütern zu zeigen; wenn bloß Scheußlichkeiten wie diese Zusammenkunft der Covenanter vorkämen, wäre es nicht zu ertragen. Die Wirrnis im Lager der Insurgenten, die Kopflosigkeit aller im entscheidenden Augenblick erinnerte ihn an den Dresdener Aufstand, an die Episode in Freiberg; auch die Bereitwilligkeit, sich durch einen Scheinerfolg täuschen zu lassen, indem man sich sagt: ›am Ende beginnt doch eine neue Welt‹.44 Besondere Freude empfand er an dem Gespräch zwischen Cleverhouse und Morton, beklagte aber das Nichtssagende der ›gebildeten‹ Liebesepisode und ihr Überhandnehmen gegen den Schluß. Nach Beendigung der ›Presbyterianer‹ wurde zu ›Waverley‹ übergegangen, mit wachsender Freude an dem schönen heiteren Buch. Dieses sich steigernde Vergnügen wurde nur unerheblich dadurch beeinträchtigt, daß der große Dichter – gerade in diesem seinem berühmten Werke noch Anfänger und noch nicht im vollen Besitz seiner später erworbenen Kunst, nach der technischen Seite des Aufbaus und der Durchführung hin – sich in vielem zu breitspurig erwies, indem er nach dem Urteil des Meisters ›da dialogisierte, wo er besser einfach erzählt hätte‹! Trotz dieser Einschränkungen erfreute sich die in jedem Augenblick fesselnde Darstellung seines Wohlgefallens, und die anschauliche Natürlichkeit der Schilderungen rief ihm auf Schritt und Tritt eigene Erfahrungen seines ereignisreichen Lebens in bestätigende Erinnerung. Wie vom Kriechen der Hochländer die Rede war, rief er aus: ›Das kenne ich auch; ungefähr so war es, als ich auf der Flucht von Riga her die russische Grenze überschritt!‹45 Von der Szene mit dem sterbenden Pächter Waverleys, am Vorabend der Entscheidungsschlacht, sagte er: ›die Melancholie des Gefühles, aus der gesetzlichen Ordnung getreten und der eigenen Neigung gefolgt zu sein, gelange darin unausgesprochen mächtig zum Ausdruck‹. Die eine Kanone des Prätendenten erinnerte ihn lebhaft an die drei kleinen Kanonen, welche in den Maitagen von 1849 ein Fabrikant aus Burgk den Dresdener Aufständischen geschickt [61] und an die Freude der letzteren über diese – in Friedenszeiten bloß für Freuden-Böllerschüsse bestimmt gewesene – Artillerie!46 Ebenso rief ihm die einsam spannungsvolle Zeit, die der Held auf der Pachtung bei Ulswater verbringt, die Episode von Magdala ins Gedächtnis und das ihn damals beherrschende eigene Gefühl – nicht gerade der Reue über das Begangene, doch aber eines ›Unsinns, in welchen man da geraten wäre‹.47 In Charakter und Stimmung ließe sich der Held sehr wohl mit Wilhelm Meister vergleichen. Sein eigentlicher Liebling aber war und blieb im ganzen Verlauf der Begebenheiten der alte Baron Bradwardine: ›solche Menschen liebe ich‹. Die Gerichtsszene am Schluß fand seinen vollen Beifall: es sei schön von dem Dichter, diejenigen zu opfern, deren Exaltation eine Beimischung von Korruption in sich schließe. Das Ganze sei herrlich: eine untergehende Zeit und etwas ganz anderes, das an ihrer Stelle aufkommt: ›wenn wir doch etwas Ähnliches in bezug auf die Diadochenzeit hätten!‹ Im Laufe des April und Mai wurden späterhin auch noch ›Ivanhoe‹ und ›Kenilworth‹ gemeinschaftlich gelesen, wobei er ab und zu auch selbst in seiner Weise den Vortrag übernahm. ›Die lebende Wahrhaftigkeit der Dinge stand dann vor uns da und sprach ihre eigentümliche Bedeutung in so einfach schlichter Weise aus: alles quoll aus dem Vollen und traf das Rechte.‹48

Dazwischen wurden auf das, soeben in der neuen großen Ausgabe erschienene ›Leben Schopenhauers‹ von W. Gwinner, wegen der darin enthaltenen kostbaren biographischen Dokumente, fast vierzehn Tage der gemeinsamen Beschäftigung verwendet, – mit möglichster Überspringung der keineswegs auf der Höhe stehenden Zutaten des Verfassers. Um so ergreifender wirkte darin alles von Schopenhauer selbst Herrührende, tief und bedeutend alles von seiner frühesten Jugend an; seine Briefe an den Danziger Geschäftsherrn entzückten ihn durch ihre Wahrhaftigkeit, die Schärfe des Verstandes, den Witz und die Leidenschaftlichkeit. Die Episode mit der hinausgeworfenen Näherin gemahne an Beethovens Kollisionen mit seiner Haushälterin; und traurig sei die Welt, die das Genie durch Vernachlässigung in so falsche und schiefe Verhältnisse bringe und sie alsdann lieblos danach beurteile. Durch Schopenhauers Brief an die dänische Akademie lenkten sich die Gedanken unwillkürlich auf des Meisters – vor nun fünf Jahren – an Bismarck gerichteten Brief,49 und im Verfolg des daran geknüpften Gespräches wurde eine, unter der sorglichen Bewahrung seiner Gemahlin zurückgebliebene Kopie dieses fast schon vergessenen Aktenstückes hervorgesucht und gelesen, unter gerechtem Staunen darüber, daß eine solche Zuschrift ohne Antwort habe bleiben können! Die Ungerechtigkeit des großen Denkers gegen die Dichtung vom ›Ring des Nibelungen‹ [62] hatte ihm der Meister niemals nachgetragen; seine Verehrung und Dankbarkeit gegen ihn war dadurch nicht beeinträchtigt worden; doch sprach er sich auch jetzt dahin aus, daß diese Nichtbeachtung kein gutes Zeichen für Schopenhauer sei. ›Ich wüßte keine Dichtung‹, sagte er, ›in welcher die Brechung des Willens- und welches Willens! der eine Welt zur Lust sich erschuf! – ohne Einwirkung der Gnade, durch die eigene Kraft einer stolzen Natur, dargestellt ist wie im »Wotan«. Durch die Trennung von Brünnhilde schon wie erloschen, bäumt sich dieser Wille noch einmal empor, lodert in der Begegnung mit Siegfried, flackert in Waltrautes Erzählung auf, bis wir ihn am Schluß mit Walhalls Untergang ganz erlöschen sehen. Ich bin überzeugt‹, fuhr er fort, ›Schopenhauer würde sich geärgert haben, daß ich dies gefunden, bevor ich seine Philosophie gekannt; ich, ein politischer Flüchtling, von dem sein Anhänger Kossak an der Hand seiner Philosophie die Unhaltbarkeit seiner Theorien nachgewiesen, der ich »keine Melodie« hätte! Aber schön ist es nicht. So ist Goethe mit Kleist umgegangen, den er freudig hätte begrüßen sollen, wie es Schumann mit Brahms getan. Aber das‹ – fügte er dann in heiterem Ton, ohne jede Bitterkeit des Ausdruckes hinzu – ›das scheint nur unter E..ln vorzukommen!‹

Mit dem soeben genannten Komponisten wollte er, wie Wolzogen in seinen ›Erinnerungen‹ bemerkt, sich gerne finden und versuchte es öfters sich aus dessen Werken vorspielen zu lassen. ›Ja, aber da wollte nichts einschlagen und zünden. Dem großen musikalischen Gefühl Wagners fehlte der zwingende Eindruck des Lebens und der Notwendigkeit in dieser so fleißigen Kunst.‹50 Es ging ihm mit Brahms ähnlich, wie mit dem damals so allgemein akklamierten Viktor Scheffel und seinem in voller Mode befindlichen ›Trompeter von Säckingen‹. Letzteren hatte er sich in der soeben erschienenen, überall angepriesenen 60. Auflage kommen lassen, und gleichzeitig auch die in Wien und Leipzig mit ungeheurem Erfolge gegebene Brahmssche Symphonie. Nach der Durchlesung beider sagte er: ›Daß derlei geschrieben wird, ist kein Wunder und hat nichts auf sich, aber ein zujubelndes Publikum! Beethoven und die großen Dichter haben für sie vergebens gelebt‹. Die Formlosigkeit im ›Trompeter‹ war ihm widerwärtig: ›so recht der Student mit der Pfeife im Munde‹. Die Symphonie, mit ihrer in instrumentalen Effekten aufgeblähten Nichtigkeit, ihrem Thema mit Tremolando, welches der Introduktion eines Straußischen Walzers entnommen scheine, erschreckte ihn völlig Gern nahm er Simrocks ›Heldenbuch‹ gegen die herrschende Geringschätzung in Schutz und rühmte dessen Wiedergebung der alten Sprache: er habe von ihr herübergenommen, was notwendig und verständlich war; ›wie konnte nur nach solchen Arbeiten so etwas wie der »Trompeter von Säckingen« in dieser negligeanten[63] Ausführung populär werden?‹ Und er rühmte es der deutschen Sprache nach, daß sie jetzt die einzige sei, die man als Sprache, wie Jakob Grimm sage: physiologisch, studieren könne, nicht aber um sie bloß zu reden, oder ihre Klassiker zu lesen.51

Nicht genug konnte er sich während seiner Studien mit Anton Seidl über die Meister der Musik und die Bedeutung ihrer Schöpfungen gegen diesen aus sprechen. Daß die Bayreuther ›Schule‹ nicht zustande kam, gereichte diesem treuen Schüler um so mehr zugute, als sich ein großer Teil der Lehren und Mitteilungen des Meisters nun auf ihn allein konzentrierte. Mit ihm ging er die einzelnen Abschnitte seines ›Parsifal‹ im Entstehen durch; seinem Verständnis war er unablässig bemüht, den Geist der großen Meister zu erschließen. In der eben eingelaufenen Nummer der ›Allg. Musikzeitung‹ blätternd, bemerkte er in einem Berliner Konzertbericht eine geringschätzig wegwerfende Äußerung ihres Herausgebers W. Tappert über Mozarts D dur-Symphonie: ›viel sei nicht dran‹,52 die ihn empörte. Er ging infolgedessen die ganze Symphonie mit Seidl am Klavier durch und sagte – voll Betrübnis über die kenntnislose Leichtfertigkeit seiner Freunde – von den Themen des ersten und zweiten Satzes: man müsse sie in Diamant fassen; Beethoven habe in den Jugendwerken davon gelebt. Noch am folgenden Tage kam er bei Tisch mit der höchsten Bewunderung auf diese Symphonie zurück; abends wurde dann wieder Scott gelesen und die Militär Symphonie von Haydn durchgegangen: ›unsere ganze Musik fuße auf diesen Werken‹. An einem anderen Abende wurde die Lektüre des ›Waverley‹ unterbrochen, weil der Meister Sehnsucht nach Musik empfand. Er nahm die ›Bären‹-Symphonie von Haydn vor, mit Vergnügen an dem letzten Satz; dann zeigte er Seidl das Andante aus Haydns G dur-Symphonie: es gehöre zu dem Schönsten, was je geschrieben worden. Und wie das klänge! Es gebe weniges im ganzen weiten Bereich der Musik, was ganz der Sehnsucht danach entspreche: das Andante der 9 Symphonie gehöre dazu; das könne dauern solange es wolle, es sei wie ein Sabbat, vollständige Ruhe, alle Glieder löse es! Dagegen gebe es auch eine ›kalte Musik‹, zu welcher jene Quintette, Trios, Konzerte, Duette gehören, wo ›nie der Ton wie ein Dolch einen trifft, nie der süße Zwang empfunden [64] wird‹. Selbst die B dur-Symphonie von Beethoven gehöre dazu, für sie müsse man eigens gestimmt sein. Das Scherzo sei herrlich, beim Adagio aber möchte er immer sagen: ›ich weiß schon‹, und das Thema des ersten Satzes sage ihm nichts. Die F dur dagegen verfehle nie ihre Wirkung auf ihn.53 Von der ›Zauberflöte‹ hob er hervor, wie sie im ganzen wie im einzelnen einen völlig neuen Abschnitt in der Kunstgeschichte bedeute: Sarastro habe die gemütvolle Würde, anstatt der bloß konventionellen, zum erstenmal eingeführt; nie und nimmer könnten gewisse Dinge von Mozart überboten werden. – Dazwischen fielen wiederholte Studien des ›Parsifal‹ am Klavier. Einmal hatten die Kinder, durch Siegfried als Parlamentär, darum bitten lassen und der Meister sich dazu mit dem ›Onkel‹, wie Seidl von den Kindern genannt wurde, an den Flügel gesetzt und ihnen den ersten Akt vorzuspielen und zu singen begonnen. Die ›Frau Meisterin‹ sei mit der ältesten Tochter (Daniela) ausgegangen gewesen und habe nun, gegen Abend heimkehrend, die ganze völlig entrückte Gesellschaft im Saale angetroffen; es sei dann für sie noch einmal begonnen und bis zu Gurnemanz' großer Erzählung durchgenommen worden. Ein anderes Mal seien Amfortas' Klage und die Gesänge in der Gralsburg darangekommen: wie der Gral selbst habe des Meisters Antlitz beim Singen geleuchtet. Welche erhabene Intimität war diesen häuslichen Vorgängen zu eigen, welcher Gegensatz zwischen dem verständnislosen und geräuschvollen Erfolg seiner Werke da draußen in der Ferne54 und hier in der Stille von Wahnfried dem Aufblühen und Aufstrahlen der göttlichen Blume seiner Kunst!

Die Begehrlichkeit der Verleger nach der Herausgabe von Jugendkompositionen des Meisters veranlaßte diesen im Lauf dieses Frühjahrs wiederholt dazu, sich mit seinen eigenen frühen Arbeiten zu beschäftigen. Das Ergebnis war in bezug auf eine Publikation derselben schließlich immer das gleiche: nach seinem Tode möchte dereinst sein Sohn, wenn es ihm gefiele, alle diese Dinge als Kuriosa herausgeben, jetzt aber sei eine Veröffentlichung ihm widerwärtig. Es handelte sich zunächst um ein späteres Werk, dieAs dur-Sonate aus dem Jahre 1854,55 die im vergangenen Herbst sehr zu seinem Verdruß in Berlin an einem dortigen Wagnervereinsabend (29. Sept. 77) durch Tappert [65] zum öffentlichen Vortrag gelangt war; sodann um seine jugendliche Konzert-Ouvertüre in C dur mit dem fugierten Allegrosatz,56 – immer in dem Wunsch, das durch Herrn Strecker verlangte ›Idyll‹ (S. 17 f.) vor seinem Schicksal zu retten. Die Fantasie in Cis moll57 war auf weiten Umwegen wieder in den Besitz des Hausarchives von Wahnfried zurückgelangt: ein liebenswürdiger französischer Sammler, Mr. Alfred Bovet, hatte sie im Autographenhandel entdeckt, sie angekauft und am Schluß der Festspiele von 1876 Frau Wagner als Geschenk überreicht. Die Sonate in A dur, Op. 458 wurde dem Meister, nachdem er von ihrer Existenz im Besitz einer schweizerischen Musikalienhandlung (Gebr. Hug in Zürich) erfahren, auf seine Reklamation hin im Originalmanuskript von dieser Firma zugestellt, wofür er den Gebern freundlich dankte. Er spielte sie, sie gefiel seiner Frau; er selbst blieb nach wie vor gegen eine Herausgabe bei seinen Lebzeiten bedenklich. Dasselbe galt von der Cis moll-Fantasie, die ihn durch ihre ›träumerische Einfachheit‹ rührte: wie anders seien die heutigen Jugendwerke! Er fand darin mehr sich selbst wieder als in der A dur-Sonate, die auch von einem Schüler Spohrs herrühren könnte. Das Ergebnis war aber dasselbe, er konnte sich nicht dazu entschließen, sie so von sich aus bekannt zu geben; während er die so viel spätere A dur-Sonate (Album-Sonate) trotz ihrer, wie er es nannte, ›eleganten Nichtigkeit‹ vor diesem Schicksal nicht bewahren konnte. Sie erschien ziemlich gleichzeitig mit dem ›Idyll‹, wenn auch um eine ganze Welt von ihm verschieden! Um dieselbe Zeit trug es sich zu, daß sein alter Dresdener Bekannter, der Flötist, K. Bibliothekar und Musikforscher Moritz Fürstenau, unter den Papieren Tichatscheks Nachforschungen anstellend, allerlei Interessantes auffand: die Partituren der ›Polonia‹-59 und der ›Columbus‹-Ouvertüre,60 und die Stimmen einer unbekannten Symphonie, von Kopistenhand geschrieben, zu denen die Partitur fehlte. Um ihn nicht sogleich beunruhigend in Anspruch zu nehmen, sandte Fürstenau (22. Nov. 1877) die erste Geigenstimme zur Begutachtung an Tappert nach Berlin, der wiederum die vier Hauptthemen (26. Nov.) an Frau Wagner nach Bayreuth zu weiterer Entscheidung übermitteln ließ. Sogleich erkannte der Meister aus diesen vier Themen seine frühe Jugendarbeit, die große viersätzige C dur-Symphonie61 wieder; die Stimmen derselben waren bei seiner Flucht in den Maitagen 1849 mit anderen Musikalien in Dresden zurückgeblieben und ihm seitdem aus den Augen entschwunden. Die vermißte Partitur konnte aus dem einfachen Grunde nicht mit dabei sein, weil er diese ja seinerzeit Mendelssohn überreicht und von diesem nicht zurückerhalten hatte.62 Nach dieser Partitur hatte zwar Tappert schon [66] vor zwei Jahren in Anknüpfung an eine darüber mit ihm geführte Unterhaltung zur Zeit der Berliner Tristanproben63 bei den Mendelssohnschen Erben eingehende, aber vergebliche Nachforschungen angestellt.64 Nun waren wenigstens die Stimmen wieder vorhanden und damit die Möglichkeit, die verlorene Partitur aus ihnen wiederherzustellen. Doch dauerte es immerhin noch einige Zeit, bis diese Stimmen wirklich in seinen Besitz kamen. Fürstenau nämlich sandte sie am 13. Dezember ungeschickterweise – nicht etwa nach Wahnfried, wohin sie gehörten, sondern an den soeben genannten Berliner Musikgelehrten, der sie als leidenschaftlicher Sammler nicht ganz uneigennützig bei sich zurückbehielt; der das Weihnachtsfest vorübergehen, den ganzen Monat Januar und den halben Februar verstreichen ließ, bis er sich endlich auf direkte Aufforderung dazu entschloß, die ihm nicht gehörigen Blätter nach Bayreuth abgehen zu lassen Gab er sich bei dieser, durch nichts motivierten, künstlichen Verzögerung vielleicht gar, wie einst der ehrenwerte Weißheimer,65 der stillen Hoffnung hin, die Sache könnte durch sein bloßes Hinhalten in Vergessenheit geraten und als wertvoller Besitz in seinen Händen verbleiben?66 Nun erst konnte Seidl die interessante Aufgabe zufallen, die vorhandenen Stimmen zu einer neuherzustellenden Partitur zu vereinigen. Er machte sich sogleich an die Arbeit und in vierzehn Tagen war sie ausgeführt. Den Meister interessierte die fast schon vergessene Jugendarbeit sehr. ›Man sehe darin‹, sagte er, ›den überwältigenden Eindruck der Beethovenschen Werke, soweit ein Mensch von 20 Jahren diese zu verstehen und zu kennen imstande sei. Gleichsam von den Eindrücken der A durSymphonie, der Eroica und C moll-Symphonie erschreckt, habe er es versucht an die 2. Symphonie Beethovens anzuknüpfen.‹ In ein sehr eigentümliches Licht trat nun allerdings wieder Mendelssohns ignorierendes Verschwindenlassen derselben: ›diese Symphonie war ihm entschieden unangenehm‹. So willkommen ihm jedoch damals, unmittelbar nach ihrem Entstehen, ein Bekanntwerden seines jungen Werkes in weiteren Kreisen gewesen wäre, so sehr überwog jetzt in ihm die Abneigung gegen eine verspätete Herausgabe; er ließ von allen Seiten her die Verlagsanerbietungen dafür sich häufen, entwarf sogar für das Scherzo eines Nachmittags aus reiner Freude daran ein neues Trio, da ihm das vorhandene nicht genügte, behielt aber trotzdem das Ganze in seinem Privatbesitz.

[67] Mitteilung war seine Natur, und während er in jedem Augenblick durch die Übermacht seines Genius die höchste Ehrfurcht einflößte, blieb er in dieser seligen Periode ungestörter Hingabe an sein Schaffen doch von wahrhaft beglückender, auf seine ganze Umgebung ausströmender Heiterkeit. ›Ja, ja, Seidl‹, sagte er einmal selbst, ›Sie werden nicht immer einen solchen unterhaltenden Mann an Ihrer Seite haben!‹ Er sang das Thema eines Quartettes von Mozart, dessen anmutige Schönheit er rühmte; leider komme bald darauf die Banalität: ›das ist Beethovens Verdienst gewesen, die Zwischenspiele aufzuheben, bei ihm ist alles Melodie‹. ›Mit den Quartetten‹, fuhr er fort, ›ist es ein eigenes Ding. Die vier Instrumente müssen öfters eine ähnliche Rolle übernehmen, wie die Tasten des Klaviers, und eines für das andere eintreten: das Violoncell, nachdem es eben tief gespielt, muß ganz hoch oben singen; das nimmt ihnen die schöne Ruhe, die Gleichmäßigkeit. Es hat etwas Hastiges, Unsicheres, die Themen sondern und scheiden sich nicht recht. Ich hätte große Lust, z.B. den ersten Teil des Es dur-Quartettes von Beethoven für ein Orchester, wie das des »Idylls«, zu setzen; wie würden da die Themen herauskommen, einiges, von den Hörnern gegeben, deutlicher werden, während so – selbst bei der besten Ausführung – so vieles verloren geht!‹ Nichts war ihm bei seinen Schülern mehr verhaßt, als Einseitigkeit ihrer musikalischen Kenntnisse, und der Bildungsgang Seidls hatte es mit sich gebracht, daß er zwar des Meisters Werke, vor allem den ›Ring‹, auf das gründlichste kannte;67 eine desto größere Unbekanntschaft aber mit den Werken der älteren Meister zeigte. Aus diesem Grunde hätte ihn der Meister schon vor zwei Jahren gern in die Dirigentenpraxis am Theater gebracht, indem er ihn für die Besetzung einer am Stadttheater zu Mainz eingetretenen Vakanz auf das angelegentlichste empfahl (S. 26). Einmal nahm er in diesem Sinne für Seidl, der dieses Tonstück nicht kannte, Spontinis Ouvertüre zu ›Olympia‹ vor. Es sei ›prächtiges Zeug‹, sagte er: ›ich sehe förmlich die Diadochen einziehen‹. ›Es steht ganz merkwürdig zwischen Gluck und Rossini; es ist der Struktur nach ganz Gluckisch und hat die Kadenzjägerei, wie sie sonst vor Rossini keiner aufweist. Aber es hat Charakter, man sieht: ein stolzer Kerl, der keinen Spaß versteht, der alle seine Orden ansteckt.68 Was doch der Glaube an sich macht, wie dezidiert drastisch das alles ist, wenn man es z.B. mit Brahms vergleicht!‹ Von Cherubini rühmte er die ›Lodoïska‹-Ouvertüre, und in der zur ›Medea‹ das Eintreten der Dominante; sie sei für ihn, in seiner Jugend, wie das Eintreten der Sonne [68] gewesen. Er spielte einzelne italienische Themen, aus ›Romeo und Julia‹, ›Straniera‹, ›Norma‹: ›das ist, bei aller Pauvretät, wirkliche Passion und Gefühl; es soll nur die richtige Sängerin sich hinstellen und es singen, und es reißt hin. Ich habe davon gelernt, was die Herren Brahms & Co. nicht gelernt haben, und was ich in meiner Melodie habe.‹ Er las in dem Vorwort zu Schemanns Büchlein über die Musik und ihre Klassiker69 und bedauerte, daß der Autor nicht verstanden, weshalb er Schumann nicht beachte: er kenne von ihm auch nicht eine eigentliche Melodie und sehe ihn deshalb mit Bewußtsein als ein ganz prekäres Talent an. Wenn es bei ihm zu einem Thema komme, sei es ein Beethovensches. ›Wie es Schumannianer geben kann, ist mir unbegreiflich.‹ Am Schluß eines Abends spielte er den Anfang der Ouvertüre zu ›Euryanthe‹ und konnte nicht genug die strahlende Schönheit, Offenheit, ritterliche Hochherzigkeit bewundern, auf welche dann die zarte Weiblichkeit aufgebaut sei Hiermit wäre ein deutsches Theater zu eröffnen, anstatt mit ›Fidelio‹, welcher bei weitem konventioneller und kälter wäre. Doch beklagte er Weber, daß er sich gezwungen erachtete, immer einen Jägerchor, eine Erwartungsarie zu bringen. ›Ich fühle mich ihm so verwandt; vielleicht kommt es mit daher, daß meine Kindheit mit ihm zusammenhängt.‹

Fußnoten

1 Über das Buchstäbliche, nicht etwa sarkastisch Hyperbolische dieser unserer Wendung bitten wir Band V des vorliegenden Werkes, S. 380, zu vergleichen!


2 Vgl. S. 344/45 des V. Bandes, wo aber das Datum dieses Vertrages ungenau angegeben ist, da das Schriftstück nicht, wie es dort versehentlich heißt, aus d. J. 1865 stammt, sondern im Original vielmehr das Datum des 18. Oktober 1864 trägt; entsprechend dem Umstande, daß es den auf S. 30 des IV. Bandes erwähnten Beschlüssen zum offiziellen Ausdruck dienen sollte.


3 Man erinnert sich, wie wenig die szenische Ausstattung der ersten Bayreuther Aufführung des Meisters eigenen Beifall hatte! Vgl. Band V, S. 253/54. 265.


4 ›Bayreuther Briefe‹, S. 278/79: Brief an Feustel vom 3. Februar 1878. Vgl. Band V des vorliegenden Werkes, S. 378.


5 ›Bayreuther Blätter‹ 1903, S. 302.


6 Der betreffende Paragraph 8 des Kontraktes lautete wörtlich: ›Herr Richard Wagner sagte der Königlichen Hoftheater-Intendanz ausdrücklich zu, daß die erste Aufführung seines neuesten Werkes »Parsifal« in Bayreuth mit dem königlichen Hoforchester, wie dem Kunst- und technischen Personal des Kgl. Theaters stattfinde und von da ab das unbeschränkte Recht der Aufführung an die Königliche Hoftheater-Intendanz ohne weiteres Recht auf Tantiemenbezug, als oben statuiert, übertragen werde.‹ (Vgl. ›Bayreuther Blätter‹ 1902, S. 59.)


7 August Lesimple, † Mai 1909 in München im 82. Lebensjahre, vgl. Band III des vorliegenden Werkes, S. 46. 467. 468. Band V, S. 43. 44. 79. 81. 347.


8 Vgl. Band V des vorliegenden Werkes, S. 310. 316.


9 Albert Graf Apponyi, geb. 1846, Liszt befreundet, nachmals Minister und Präsident des ungarischen Abgeordnetenhauses und der eigentlich leitende Staatsmann Ungarns, vgl. Band V des vorl. Werkes, S. 89. 298/99.


10 Band III des vorl. Werkes, S. 118. 130


11 Die ursprüngliche, fast wider den Willen ihres Schöpfers vorzeitig ans Licht getretene Oktavausgabe der Dichtung weist hier noch den früheren, während der musikalischen Ausführung veränderten Wortlaut auf: ›verflucht zu sein‹. Da es sich aber hier nicht um einen von außen herantretenden ›Fluch‹ handelte, wie etwa den Fluch Alberichs, oder den auf Kundry ruhenden Fluch, oder den Fluch der ›Irre‹, den sie über den reinen Helden verhängt, sondern um einen inneren Zustand der Verdammnis, welcher ›der einzige Sünder unter allen‹ sich ausgeliefert fühlt: so war seinem seinen dichterischen Gefühl dieser Ausdruck störend und er ist nachmals in allen Ausgaben getilgt.


12 Man vergleiche damit, um Anfang und Ende in ihrer vollen Übereinstimmung zu erkennen, das in seiner Echtheit innerlich gut verbürgte Wort, das ihm als Vierzehnjährigem während der Entstehung seiner ›Leubald‹-Tragödie zugeschrieben wird: ›Nun, bis auf Einen hab' ich sie alle tot!‹ (Vgl. Band I des vorl. Werkes, S. 105). Oder aus der Zeit der Arbeit am III. Akte des ›Tristan‹ (Juli 1859): ›Ich räume furchtbar auf: heute habe ich auch Melot und Kurwenal totgeschlagen‹ (an Frau Wesendonck, S. 163).


13 Ges. Schr. IX, S. 261. Es ist an der betreffenden Stelle bekanntlich von der Schröder-Devrient die Rede.


14 Band V des vorliegenden Werkes, S. 341. 344.


15 Ebendaselbst, S. 192.


16 Diner im Hülsenschen Hause (Band V, S. 239) und bei ›Poppenberg‹ (ebendaselbst, S. 243).


17 Vgl. ›Allg. Deutsche Musikzeitung‹ 1878, S. 108.


18 Man vergleiche den in Form und Inhalt bedeutenden Brief in seinem vollen Wortlaut in dem von Erich Kloff herausgegebenen Briefbande ›Richard Wagner an seine Künstler‹, S. 280/82.


19 Ebendaselbst, S. 283/84.


20 Der Andrang zu den Aufführungen der ›Walküre‹ in Schwerin war aus den benachbarten Gegenden, aus Rostock, Wismar und anderen an der Bahn liegenden mecklenburgischen Städten so groß, daß Sonntag für Sonntag von überallher Extrazüge einliefen: die Theaterplätze wurden gleich mit den Eisenbahnbilletts zusammen gekauft. Zu der Aufführung am 30. Januar wurden allein von Lübeck aus 325 Eisenbahnfahrkarten mit Theaterbilletts genommen; am Sonntag den 25. Februar war Hamburg an der Reihe, und gegen 500 Hamburger benutzten die Gelegenheit, das Werk und die zu Ruf gelangte Aufführung kennen zu lernen. Vgl. ›Allg. Musikzeitung‹ 1878, S. 66. 91. 23.


21 Vgl. Band V des vorliegenden Werkes, S. 395.


22 Nicht ›Sonntag‹, wie er in seinen ›Erinnerungen‹ irrtümlich schreibt.


23 Vgl. A. Neumann, ›Erinnerungen an Richard Wagner‹ (Leipzig, Staackmann 1907), S. 58 ff.


24 Vgl. Band III des vorliegenden Werkes, S. 36, und Band IV, S. 252 f.


25 Vgl. Band V, S. 183.


26 Richard Wagner, ›Gedichte‹, S. 160.


27 Vgl. das hierüber näher Ausgeführte in Band V, S. 363.


28 Band IV des vorliegenden Werkes, S. 118. Vgl. ebendaselbst, S. 227.


29 Ebendaselbst, S. 215 f.


30 Ebendaselbst, S. 192/93. 215. 238.


31 Zu diesem französischen Namen war Lagarde (eigentlich: Paul Bötticher) bloß auf dem Wege der Adoption durch eine Schwester seiner, aus einer Emigrantenfamilie stammenden Großmutter gelangt; sein Vater war der Berliner Professor Dr. Fr. Wilhelm Bötticher.


32 Band V des vorliegenden Werkes, S. 375/76.


33 Vgl. Ludwig Schemann, ›meine Erinnerungen an Richard Wagner‹ (Stuttgart, Frommann 1902), S. 17. 46.


34 Ebendaselbst, S. 47.


35 ›Mozart kannte die tragische Muse nur noch unter der Maske der Metastasioschen Opera seria: steif und trocken, – Clemenza di Tito. Ihr wahres Antlitz scheint sie uns erst allmählich enthüllt zu haben: Beethoven sah es noch nicht und blieb »für seine Weise«.‹ (Ges. Schr. X, S. 235).


36 ›Und gilt es der Anmut und Würde allerhöchster Vermählungsfeierlichkeiten, so führt der jüngste Minister mit orientalischem Anstande den Fackeltanz an‹ (Ges. Schr. X, S. 73).


37 ›Die »Mensur«, die »Corpsfarbe« verschönern die rhetorischen Bilder des zukünftigen Staatsdieners bis in seine dereinstige Parlaments-, ja Kanzlerwirksamkeit hinein‹. (Ges. Schr. X, S. 111).


38 ›Für das »Geschäft« im allergrößten Sinne hat sich ganz neuerdings auch der Reichs-»Makler« eingefunden‹. (Ges. Schr. X, S. 73).


39 ›Eine allgewattige Tagespresse, vor welcher die Minister ihrerseits bis in die Reichskanzlei hinein sich fürchten‹. (Ges. Schr. X, S. 31).


40 Vgl. Adolf Wahrmund, ›das Gesetz des Nomadentums‹ (Karlsruhe, Reuther, 1887), S. 211/12.


41 ›Es ist mir noch nicht begegnet, Juden unter sich ihrer Urmuttersprache sich bedienen zu hören; dagegen fiel es mir stets auf, daß in allen Ländern Europas die Juden deutsch verstanden, leider aber zumeist nur in dem ihnen zu eigen gewordenen Jargon es redeten‹ (Gesammelte Schriften X, S. 79).


42 ›Einem solchen Denken und seiner Widerspiegelung im gesprochenen und geschriebenen Worte‹, heißt es an derselben Stelle, ›kommt aber u.a. jene wesentlichste Eigenschaft genialster Kunst zu, daß es nie »auszudenken« ist: im Gegensatz zu einer streng logischen analytischen, scharf umgrenzten Wissenschaft‹ usw. (Chamberlain, Richard Wagner, S. 500 der nicht illustrierten Ausgabe).


43 Gesammelte Schriften X, S. 190.


44 Vgl. Band II des vorl. Werkes, S. 378 f. (5. Aufl).


45 Band I des vorl. Werkes, S. 326.


46 Band II der vorl. Werkes, S. 369.


47 Ebendaselbst, S. 388 ff.


48 Wolzogen, ›Erinnerungen an Richard Wagner‹, S. 17.


49 Band V des vorliegenden Werkes, S. 92 f.


50 Wolzogen, ›Erinnerungen‹, S. 28.


51 Über Viktor Scheffel und seinen ›Trompeter‹ vgl. auch Ges. Schr. X, S. 193. 194, über die deutsche Sprache in ihrem Verhältnis zu den romanischen, deren wurzelhafte Bedeutung denen, die sie sprechen und schreiben, nur noch auf dem Wege des Studiums aus älteren, sog. toten Sprachen, verständlich werden könne, vgl. die Artikel der ›Wagner-Enzyklopädie‹: ›Deutsches Altertum, Mythus und Sprache‹ (Schluß), ›Französische Akademie‹, ›Französische Sprache und Logik‹.


52 ›Allg. Deutsche Musikzeitung‹ Nr. 6 vom 8. Februar 1878: ›Die Aufführung begann mit der dreisätzigen D dur-Symphonie von Mozart, viel ist nicht dran, aber im zweiten Satze liegt doch mehr drin, als zutage kam‹ (Aus dem Berliner Konzertsaal).


53 Bei aller Meisterschaft mutete ihn die ›Waldstein‹-Sonate Beethovens weniger an, als die Sonaten der ersten Zeit; er bezeichnete ihre Themen als kalt und steif; ›ich kann die kalte Musik nicht ausstehen‹, rief er dabei aus (31. Juli 1879). Dann sprach er davon, wie viel unbedeutender die erste Symphonie Beethovens gegen dessen erste Klavierwerke sei; er habe eine Zeit des Rückfalles in die Pedanterie gehabt. Wir führen diese Aussprüche zur Ergänzung der obigen, gegen Seidl getanen, hier mit an.


54 Gerade damals kamen die Nachrichten aus Schwerin über die dortige ›Walküre‹ mit einem grell theatralisch-pyrotechnischen Feuerzauber, in welchem die Flammen rings um die schlafende Brünnhilde aus dem Boden schlugen, was aber als eine Verbesserung des Bayreuther Vorbildes gepriesen und vielfach nachgeahmt wurde.


55 Band III des vorliegenden Werkes, S. 51.


56 Band I des vorl. Werkes, S. 146. 151. 247


57 Ebendaselbst, S. 143. 495 f.


58 Ebendaselbst, S. 496 f.


59 Ebendaselbst, S. 151.


60 Ebendaselbst, S. 228/29. 217 u. sonst.


61 Ebendaselbst, Kap. IX, S. 156 ff.


62 Ebendaselbst, S. 236.


63 Band V des vorl. Werkes, S. 241.


64 Nachträglicher Bericht darüber in einem Artikel ›Richard Wagners Symphonie C dur‹ in der ›Allgem. Musikzeitung‹, 1887, S. 203 ff. nebst Anhang S. 232.


65 Band IV des vorl. Werkes, S. 62 Fußnote, und das entsprechende Verhalten von Brahms, Band V, S. 184/86.


66 So hat er es tatsächlich um eben dieselbe Zeit mit dem hinzukomponierten Schluß der ›Vampyr‹-Arie aus der Würzburger Zeit getan (vgl. Band I des vorliegenden Werkes, S. 193), von deren geheimem Vorhandensein in Tapperts Besitz man in Wahnfried keine Ahnung haben konnte.


67 Vgl. Band V des vorl. Werkes, S. 139: ›Von der Sohle bis zum Scheitel hat er sich hineingesungen in den »Ring des Nibelungen«‹ usw.


68 Spontini pflegte, wenn er bei feierlichen Anlässen als Dirigent an die Spitze seines Orchesters trat, die ganze breite Brust mit sämtlichen ihm verliehenen Ordensauszeichnungen zu zieren. Vgl. Band II des vorliegenden Werkes, S. 107 (5. Auflage).


69 ›Die Musik und ihre Klassiker, in Aussprüchen Richard Wagners‹, Leipzig, Edwin Schlömp, 1878.


Quelle:
Glasenapp, Carl Friedrich: Das Leben Richard Wagners in 6 Büchern. Band 6, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1905, S. 39-70.
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Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

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