3.

Die ganz außerordentlichen Leistungen der beiden Kinder bewogen L. Mozart mit ihnen zu reisen, um sie über den engen Kreis von Salzburg hinaus bekannt zu machen. Den ersten [34] Versuch machte er in einem Ausflug nach München im Januar 1762, wo sie drei Wochen blieben und die Geschwister, welche vor dem Churfürsten spielten, die größte Bewunderung fanden. Dieser glückliche Erfolg ermuthigte ihn noch in demselben Jahr eine Reise nach Wien zu unternehmen, welche am 19. September angetreten wurde1.

Unterwegs mußten sie sich in Passau fünf Tage auf Veranlassung des Bischofs aufhalten, der den Wunderknaben hören wollte und dann mit – einem Dukaten belohnte; auch in Linz gaben sie ein Concert. Auf der Weiterreise nach Wien kamen sie nach Kloster Ips, wo zwei Minoriten und ein Benedictiner, ihre Reisegefährten, die Messe lasen. Während des tummelte sich der sechsjährige Wolfgang auf der Orgel herum und spielte so vortrefflich, daß die Franziskaner Patres, die grade mit einigen Gästen an der Mittagstafel saßen, vom Tische aufstanden und dem Knaben mit Bewunderung zuhörten. Bei der Ankunft in Wien ersparte er ihnen die Zollvisitation. Er machte gleich Bekanntschaft mit dem Mauthner, zeigte ihm das Klavier, spielte ihm auf der Geige ein Menuett vor und gewann sich so seine Gunst. Auf der ganzen Reise [35] zeigte er sich munter und aufgeweckt, gegen Jedermann und besonders die Offiziere so zutraulich, als sei er seit lange mit ihnen bekannt, und machte sich durch sein kindlich offenes Wesen ebenso beliebt, wie er als Virtuos bewundert wurde.

Nach Wien war ihnen bereits der günstigste Ruf vorangegangen. Domherr Graf Herberstein, mit dem sie einen Theil der Reise gemeinschaftlich gemacht hatten, Graf Schlick, der Landeshauptmann in Linz, ein junger Graf Paisy, welcher bei dem Concert in Linz zugegen gewesen war, hatten durch ihre Berichte in den vornehmen Kreisen, welche damals fast ausschließlich für Kunst sich interessirten, und bei Hofe schon die Aufmerksamkeit auf diese wunderbare Erscheinung rege gemacht.

Die kaiserliche Familie war ungemein musikalisch und ließ es nicht bei einem passiven Interesse bewenden. Karl VI. war ein tüchtig gebildeter Musiker, der wenn bei Hof Oper oder andere musikalische Aufführungen waren am Klavier begleitete2, wie es sich damals gehörte, Generalpaß spielend. Er machte seine Sachen so vortrefflich, daß der Kapellmeister Für, der ihm umwendete, einmal in seinem Entzücken ausrief: »Bravo! bravissimo! Ew. kais. Majestät könnten wahrhaftig meine Stelle als Kapellmeister vertreten!« Worauf der Kaiser lächelnd erwiederte: »Ich danke ihm, lieber Kapellmeister Für, für die gute Meinung, aber ich bin mit meiner Stelle [36] ganz zufrieden«3. Er ließ deshalb auch seine Tochter Musik lehren; und die nachmalige Kaiserin Maria Theresia, welche frühzeitig Stimme und Talent zeigte, mußte im Jahr 1725 als siebenjähriges Kind in einer Oper von Für zur Feier des Kirchgangs ihrer Mutter, der Kaiserin Elisabeth, als Sängerin auftreten, so daß sie später einmal im Scherz zu Faustina Hasse sagte, sie glaube die erste von den lebenden Virtuose zu sein4. Im Jahr 1739 sang sie in Florenz ein Duett mit Senesino so schön, daß der berühmte alte Sänger vor freudiger Rührung weinte und selbst in späteren Jahren soll sie noch sehr gut gesungen haben5. Auch ihr Gemahl Franz I war musikalisch und bei der Erziehung der kaiserlichen Familie war auch die Musik nicht vergessen, wie die merkwürdigen von Maria Theresia selbst aufgesetzten Instructionen, in welchen man die deutsche Frau auch auf dem Kaiserthron erkennt, zeigen. Im Jahr 1750 führten am Namenstage der Kaiserin drei ihrer Tochter eine Cantate von Metastasio auf6, und im Jahr 1762 sangen und agirten vier Erzherzoginnen in der Oper Egeria von Metastasio und Hasse bei Hofe »sehr gut für Prinzessinnen«, wie Burney berichtet7, so wie sie im Jahr 1765 zur Vermählungsfeier Josephs II Paride ed Elena von Gluck aufführten. Von Kaiser Josephs Verständniß und Interesse [37] für Musik wird später die Rede sein, er spielte den Flügel und das Violoncell.

Die Wundergeschichten von Mozart hatten bei Hofe soviel Interesse erregt, daß der Vater Befehl erhielt seine Kinder in Schönbrunn zu präsentiren ehe er sich noch um diese Gnade beworben hatte, und zwar nicht an einem Gallatag, damit man die Kinder in Bequemlichkeit hören könne. Man fand die hochgespannte Erwartung noch übertroffen, so daß sie wiederholt bei Hofe spielen mußten. Besonders der Kaiser fand großes Wohlgefallen an dem »kleinen Hexenmeister« und liebte es ihn durch immer neue Aufgaben auf die Probe zu stellen. So sagte er zu ihm im Scherz, es sei keine Kunst mit allen Fingern zu spielen, aber mit einem Finger; sogleich spielte der Knabe mit einem Finger so nett als nur möglich. Ein andermal meinte er mit verdeckter Claviatur zu spielen würde die rechte Kunst sein, und Mozart ließ die Claves mit einem Tuch bedecken und spielte mit gleicher Fertigkeit und Sicherheit, als ob er sie sähe8. Bei ernsten Dingen war er aber auch ernsthaft und machte seine Forderung nur vor Kennern spielen zu wollen selbst bei Hofe geltend. Als er sich einmal beim Vorspielen von lauter vornehmen Herren umgeben sah, die er nicht für Kenner ansehen mochte, sagte er ehe er anfing: »Ist Herr Wagenseil nicht hier? der soll her kommen, der versteht es.« Der Kaiser ließ nun Wagenseil an seine Stelle aus Klavier treten, zu dem dann Mozart sagte: »Ich spiele ein Concert von Ihnen; Sie müssen mir umwenden«9.

[38] Uebrigens zeigte sich Mozart auch bei Hof als ein lebhaftes munteres Kind in vollster Unbefangenheit. Der Kaiserin sprang er auf den Schooß, nahm sie um den Hals und küßte sie rechtschaffen ab, auch mit den Prinzessinnen verkehrte er wie mit seines Gleichen. Besonders zugethan war er der Erzherzogin Marie Antoinette. Als er einstmals auf dem ungewohnten glatten Fußboden fiel, hob sie ihn freundlich auf, während eine ihrer Schwestern ihn liegen ließ; da sagte er zu ihr: »Sie sind brav, ich will Sie heirathen.« Die Kaiserin fragte ihn, weshalb er das thun wolle; worauf er antwortete: »Aus Dankbarkeit; sie war gut gegen mich, während ihre Schwester sich um nichts bekümmerte«10. Kaiser Joseph erinnerte ihn später noch daran, wie er mit Wagenseil Violine gespielt und Mozart unter den Zuhörern im Vorzimmer bald pfui! bald das war falsch! bald bravo gerufen habe.

Der Gunst des Hofes, welche sich auch in reichlichen und ehrenvollen Belohnungen äußerte11, folgte natürlich die der vornehmen Welt nach. Man riß sich um die Kinder, keine vornehme Gesellschaft konnte gegeben werden, in der sie sich [39] nicht neben den berühmtesten Virtuosen hören ließen; man ließ sie standesmäßig in der Equipage abholen und honorirte sie anständig. Unterbrochen wurde aber dieses glückliche Leben durch das Scharlachfieber, von welchem Wolfgang gegen Ende October befallen und 14 Tage aus Zimmer gefesselt wurde. Zwar war die Gefahr bald überwunden, auch zeigte sich allgemein lebhafte Theilnahme für den Knaben, allein die Furcht vor ansteckenden Krankheiten war damals sehr groß und eine gewisse Scheu vor dem Genesenen machte sich bei allem Interesse für denselben doch geltend. Nach einem Ausfluge, den Mozart am 11. Dec. mit den Kindern nach Preßburg gemacht hatte, hielt er sich in Wien nicht mehr lange auf und kehrte in den ersten Tagen des Jahres 1763 wieder nach Salzburg zurück.

Als ein Zug zu dem Bilde von der Aufnahme welche sie damals in Wien fanden mag das Gedicht hier noch stehen, welches von einem gewissen Puffendorf gemacht und in einem Concert bei der Marquise Pacheco vom Grafen Collalto überreicht wurde.


Auf den kleinen sechsjährigen Clavieristen aus Salzburg.


Wien den 23. December 1762.


Ingenium coeleste suis velocibus annis

Surgit et ingratae fert mala damna morae.


Ovidivs.


Bewund'rungswerthes Kind, deß Fertigkeit man preis't,

Und Dich den kleinsten, doch den größten Spieler heißt,

[40] Die Tonkunst hat für Dich nicht weiter viel Beschwerden:

Du kannst in kurzer Zeit der größte Meister werden;

Nur wünsch' ich, daß Dein Leib der Seele Kraft aussteh',

Und nicht, wie Lübeck's KindA1, zu früh zu Grabe geh'12.


Fußnoten

1 Wir sind über diese Reise etwas genauer unterrichtet durch die von Nissen mitgetheilten Briefe L. Mozarts an den Kaufmann Hagenauer, in dessen Hause er als Wolfgang geboren wurde und auch damals noch wohnte (dem jetzigen Gasthof »Zu den Alliirten« gegenüber). Hagenauer erwies sich ihm als einen treuen anhänglichen Freund, stets bereit, ihn in Geschäftsangelegenheiten mit Rath und That zu unterstützen und ihm auch in Geldverlegenheiten selbst mit namhaften Vorschüssen zu helfen; es ist daher begreiflich, daß ihm Mozart auch von den pecuniären Erfolgen seiner Reise, die ihm in seiner Lage keineswegs gleichgültig sein konnten, offen und ausführlich Bericht abstattet. Außerdem sind manche charakteristische Züge bei Schlichtegroll erzahlt, offenbar aus den Mittheilungen der Schwester, welche Niemtschek nach genauer Nachforschung bestätigt.


2 Apostolo Zeno berichtet von einer solchen Hofoper, welche im Mai 1724 aufs Trefflichste gesungen und getanzt wurde von Cavaliers und Damen, i quali hanno avuto sempre alla testa dell' orchestra al primo cembalo questo Augustissimo Padrone, il quale suona da professore e con la maggiore e più fina maestria. (Lettere III p. 446).


3 Oehler Geschichte des Theaterwesens zu Wien II S. 4f. Etwas anders erzählt Gerber die bekannte Anekdote.


4 Auch im Jahre 1735 traten die Erzherzoginnen am Geburtstage der Kaiserin in einer Oper auf. Metastasio, der sie gedichtet hatte und sie ihnen einstudirte, weiß die Geschicklichkeit und Anmuth der Prinzessinnen nicht genug zu loben (opp. post. I p. 175ff.).


5 Burney Reise II S. 186.


6 Metastasio opp. post. I p. 401.


7 Burney Reise II S. 187. Der Großherzog von Toscana tanzte darin als Cupido.


8 Vielleicht ist dieser kaiserliche Scherz die Veranlassung geworden, daß dieses Kunststück auf den folgenden Reisen mit besonderer Vorliebe ausgeübt und angehört oder vielmehr angesehen wurde.


9 Georg Christoph Wagenseil, geb. 1688 in Wien, gest. 1779, war Schüler von Fux, und als Klavierspieler und Componist fürs Klavier einer der ersten seiner Zeit, Lehrer der Kaiserin Maria Theresia und später ihrer Kinder. Burney, der ihn im Jahr 1772 besuchte, fand ihn von Gicht und Podagra gelahmt und erzählt von ihm (Reise II S. 241f.): »Er spielte mir verschiedene Capriccios und Sonaten von seiner Composition auf eine sehr feurige und meisterhafte Art vor; und ob ich gleich gern glaube, daß er ehedem besser gespielt haben mag, so hat er doch noch Feuer und Phantasie genug übrig zu gefallen und zu unterhalten, ob er mich gleich eben nicht sehr überraschte.« Metastasio (opp. post. II p. 31) schreibt von ihm: è un suonator di cembalo portentoso, à composto un' opera a Venezia con molta disgrazia; ne a composte alcune quì con varia fortuna. Io non son uomo da darne giudizio.


10 So erzählt Nissen das Geschichtchen, während Niemtschek, wahrscheinlich aus schuldigem Respekt, vom Heirathen schweigt.


11 Außer dem Honorar erhielt die Tochter ein weißseidenes Hofkleid einer Erzherzogin geschenkt und der Knabe ein lillafarbenes Kleid mit breiten Goldborten, das für den Erzherzog Maximilian gemacht war. Er wurde in demselben gemalt und das Bild, das komisch genug aussieht, ist bei Nissen lithographirt. Was mögen die Salzburger Gespielen zu solche Herrlichkeit für Gesichter gemacht haben.


12 Eine Auswahl von Lobgedichten auf Mozart als Wunderkind in verschiedenen Sprachen sind in der Beilage II zusammengestellt.


A1 Dieses Wunder von einem gelehrten Kinde, welches ganz Deutschland von sich reden gemacht, und in seinem sechsten Jahre viele Sprachen und Wissenschaften in seiner Gewalt hatte, starb nach etlichen Jahren, und bewies leider mit seinem Beispiele den Grundsatz: fructus esse idem diuturnus ac praecox esse nequit.

Puffendorf.


Quelle:
Jahn, Otto: W.A. Mozart. Band 1, Leipzig: Breitkopf und Härtel, 1856, S. 1.
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