17.

Ehe wir an die nähere Betrachtung der komischen Oper gehen, welche Mozart im Jahr 1774 für München schrieb, wird es, um das Verhältniß derselben zu den bis jetzt erwähnten klar zu erkennen, nicht überflüssig sein einen flüchtigen Blick auf die Entwickelung der Opera buffa zu werfen.

Die erste Form, in welcher sie auftrat, ist die desIntermezzo. Zwischen den Acten eines ernsten Schauspiels oder einer Opera seria führte man, um die Zuhörer auf eine heitere Weise zu unterhalten und durch Abwechslung frisch zu erhalten, komische Scenen auf. Es waren regelmäßig nur zwei Personen welche darin auftraten, eine Frau und ein Mann, eine eigentliche Handlung fand auch dann nicht Statt, [343] wenn etwa dieselben Personen in den Intermezzi desselben Stückes auftraten; jedes war die Ausführung einer für sich bestehenden komischen Situation. Der Dialog bestand wie in der Oper in einem Seccorecitativ, einzelne Arien und – gewöhnlich zum Schluß – Duetts wurden angebracht, welche ihrem Charakter wie ihrer Behandlung nach der Opera seria keinen Eintrag thun durften. Eine Vorstellung können die Intermezzi geben, welche Metastasio für seine Didone abbandonata im Jahr 1724 verfaßte. Die auftretenden Personen sind Dorina, eine Primadonna und Nibbio, ein Dichist, Componist, Sänger und Impresario, der auf den canarischen Inseln ein Theater errichten will. Im ersten Intermezzo kommt er zu Dorina um mit ihr einen Contract zu schließen, nach vielen Complimenten und Zierereien singt sie ihm eine Arie vor, worauf er anfängt ihr Arien seiner Poesie und Composition vorzusingen, bis sie um ihn mit guter Manier los zu werden eine Einladung vorschützt und ihn hinauscomplimentirt. Im zweiten Intermezzo beendet Dorina so eben ihre Theatertoilette, als Nibbio eintritt, dem sie nun eine poetische Scene als Cleopatra vorsingt und vortragirt, was ihm wiederum Gelegenheit giebt eine von seinen Arien zu singen; endlich schließt er mit ihr einen Contract unter abenteuerlichen Bedingungen ab, wobei ein zartes Verhältniß in Aussicht gestellt wird. Die Hauptwirkung dieser heiteren Scenen beruht auf dem Karikiren und Verspotten des damals herrschenden Geschmacks in der Poesie, Composition und Gesangweise der Opera seria, und in dem Preisgeben der persönlichen Verhältnisse der Theaterhelden, indem man das Publicum hinter die Coulissen führte1. Das Intermezzo ist gewissermaßen die [344] Kehrseite der Opera seria, deren ideale künstlerische Wirkung dasselbe nicht durch eine sarkastische Kritik aufzuheben sondern durch den komischen Contrast zu heben bestimmt war2. In der That hat die Opera buffa, auch nachdem sie selbständig geworden war, von ihrer parodischen Beziehung auf die Opera seria stets Vieles beibehalten.

Das Muster eines solchen Intermezzo für zwei Personen3 wurde Pergoleses Serva padrona, welche zuerst in Neapel 1730 aufgeführt, nicht nur in Italien, sondern auch in Frankreich4 und Deutschland5 das größte Glück machte, und die Theilnahme für die ganze Gattung bei Künstlern wie beim Publicum erhöhete. Es wurde nun eine Intrigue eingeführt und eine zusammenhängende, wenn auch einfache Handlung hergestellt, auch wohl die Zahl der Personen auf drei, dann auf vier erhöhet6. Jemehr sich das Intermezzo in dieser Weise entwickelte, um so großer wurde aber der Uebelstand daß nun zwei selbständige Dramen Act um Act in einander verschränkt wurden und so gegen die ursprüngliche Abficht [345] das Interesse getheilt und geschwächt wurde7. Dies mußte zu der Selbständigkeit des Intermezzo als Opera buffa führen, an deren Stelle dann in den Zwischenacten derOpera seria regelmäßig das Ballet trat.

Gleichen Rang mit dieser hat die Opera buffa nie erlangt. Sie erhielt ihre selbständige Ausbildung auf den kleinen Neben- und Volkstheatern (teatrini) – hauptsächlich in Neapel durch Logroscino und Piccini sowie in Venedig durch Galuppi – und fand erst spät den Zugang zu den großen Theatern, so daß sie nur Ausnahmsweise, meistens zur Aushülfe, neben der Opera seria während der eigentlichen stagione sich zeigen durfte8. Aber im Sommer und überhaupt in den Zeiten, wo keine großen Opern gegeben wurden, ließ man sich die komischen Opern gefallen. Sie wurden nicht in der Weise wie die ernste Oper zu Exhibitionen für vollendete Gesangskunst angewendet, die Sänger und Sängerinnen waren, abgesehen von dem komischen Talent in Vortrag und Action, worauf es hier ankam, denen der Opera seria eingestandnermaßen untergeordnet, man machte an ihre[346] Virtuosität geringere Ansprüche. Diese äußerliche Unterordnung gewährte aber für die Ausbildung derOpera buffa unschätzbare Vortheile.

Sie überkam von jener eine feste Grundlage musikalischer Gestaltung – das Recitativ, die Arie, das Ensemble – ohne gezwungen zu sein sich den Beschränkungen, welche dort zu einem unverbrüchlichen Gesetz geworden waren, zu unterwerfen und sich innerhalb der fest erstarrten Formen zu halten. Schon die veränderte Anwendung der Singstimmen war ein großer Vortheil. Der Baß, welchen die Opera seria verworfen hatte, wurde eben deshalb der Eckstein für die Opera buffa. Schon des Gegensatzes wegen mußte der Baßsänger, da er in der Oper keinen Platz gefunden hatte, im Intermezzo um so größere Wirkung machen, und wurde deshalb hier vorzugsweise begünstigt. Kam nun hinzu daß man damals fand, die Baßstimme eigne steh der Natur ihres Klanges nach vorzugsweise für das Komische, so benutzte man diesen Gewinn und bildete mit Vorliebe den Baßbuffo als den Hauptträger der komischen Effecte aus. Von ihm wurde daher außer einem ausreichenden Organ ungleich weniger eine vollendete Gesangsbildung als vielmehr eine große Volubilität der Zunge und wenn nicht Originalität so doch Gewandtheit in komischer Mimik und Action verlangt. Ferner verzichtete dieOpera buffa – wenigstens in der Regel – auf die Anwendung der Castraten. Mochte dazu immerhin die Rücksicht auf äußere Mittel mitgewirkt haben – denn die Uomini wurden am theuersten bezahlt –; so mußte es doch einleuchten, daß eine Unnatur, welche bei dem conventionell idealen Charakter der Opera seria zu einer Gewohnheit hatte werden können, unerträglich sein mußte bei Darstellungen, welche das gewöhnliche Leben zum Gegenstande hatten. Damit war nicht allein die Gelegenheit der Gesangsvirtuosität[347] Opfer zu bringen beschränkt, sondern die Stimmen waren in ihr natürliches Verhältniß gebracht. Der Liebhaber wurde nun wie es sich gehörte dem Tenor zugewiesen und für die musikalische Darstellung überhaupt, besonders aber in den Ensemblesätzen, war eine reichere Abwechslung und die naturgemäße Gruppirung der Stimmen gewonnen.

Der in der Opera seria festgestellte Unterschied der Primarier und Secondarier wurde hier ebensowenig festgehalten als man sich in der Zahl der Sänger und Sängerinnen in ähnlicher Weise beschränkte; die bewegtere, verwickeltere Handlung verlangte bald auch mehr Darsteller. Indessen bildete sich auch hier wenn auch kein so strenges Gesetz doch eine Gewohnheitsregel. Gewöhnlich waren in einer Oper drei Frauenrollen. Von diesen pflegte eine entschieden komisch zu sein, und zwar bildete sich die Rolle der verschmitzten, schnippischen Zofe bald zu einer fest stehenden Figur der Opera buffa aus; was aber nicht hinderte daß auch andere komische Frauenrollen, keifende Alte, naive Landmädchen u. dgl. m. vorkamen. Die beiden anderen waren meistens Liebhaberinnen, auf sehr mannigfache Art charakterisirt, und zwar nicht wie die Prima und Seconda donna, eine der anderen untergeordnet, sondern durch verschiedene Charakteristik einander gegenübergestellt. Dem Tenor konnte auch eine komische Rolle gegeben werden, doch ist der Buffotenor nicht so regelmäßig und daher auch nicht so scharf ausgeprägt worden als dies beim Baßbuffo der Fall ist. Nur wenn zwei Tenore auftreten, pflegt der eine als Buffo behandelt zu werden; gewöhnlich ist der Tenor der gefühlvolle, häufig unglückliche Liebhaber, daher denn hier am meisten der Sänger hervortritt. Entschieden komisch sind die Baßpartien und namentlich sind der polternde Alte und der verschmitzte oder dumme Diener Figuren die selten fehlen; wo ein Bassist als [348] Liebhaber oder in ähnlicher Rolle auftritt, hat diese meistens doch einen komischen oder wenigstens jovialen Charakter.

Obgleich in der Auswahl, der Zahl9 und Individualisirung dieser Figuren große Freiheit herrschte, so bildeten sich doch gewisse feststehende typische Züge aus, die man trotz der verschiedenen Maskirung und Gruppirung immer wiederfindet. Hierauf hatte unstreitig der Umstand großen Einfluß daß die Opera buffa sich auf dem Volkstheater ausbildete. Zwar die im Charakter, Dialect und Costum bestimmt ausgeprägten Charaktermasken der italiänischen Volkskomödie hat die Oper nicht aufgenommen, auch nicht vollkommen entsprechende Gestalten selbständig ausgebildet, allein die Analogie bleibt nichts desto weniger unverkennbar. Auch das ist eine Frucht des Bodens, auf welchem die Opera buffa gewachsen ist, daß ihre komischen Rollen stets Karikaturen sind, die durch einzelne treffende aber übertriebene Züge eine drastische Wirkung machen, aber nicht tief begründete und im Einzelnen wohl durchgeführte Charaktere. Der Art wie sie sich benehmen und äußern angemessen ist daher auch der musikalische Ausdruck10, und es ist wohl kein Zweifel, daß der undramatische, [349] jeder individuellen Charakteristik entbehrende Gesang der Opera seria das Hinüberschlagen ins entgegengesetzte Extrem in der Opera buffa hervorrief und begünstigte Da man aber eine Handlung nicht wohl allein durch Karikaturen ausführen lassen konnte, da man auch nicht leicht Sänger und Sängerinnen hatte, welche alle wirklich komische Action besaßen, so wandte man in der Opera buffa auch den mezzo carattere an. In diesen Rollen wurde nun der Gesang schon mehr die Hauptsache, und wenn die eigentliche Bravur und Virtuosität als solche sich auch nur in Ausnahmefällen in der Opera buffa zeigte, so war doch dafür gesorgt daß neben dem Charakteristischen auch das rein musikalische Element gebührend vertreten war.

Mit dem Karikiren der Hauptrollen ging die Art, in welcher die Handlung aufgefaßt und durchgeführt wurde, Hand in Hand. Die ursprüngliche Anlage der Intermezzi verlangte eine leicht angelegte und lose verknüpfte Handlung; auch im Charakter der volksmäßigen Posse liegt es, daß nicht auf ein gründlich motivirtes, in allen einzelnen Zügen wohl zusammenhängendes einiges Ganze gesehen wird, sondern auf wirksame Situationen, in denen die beliebten und wohlbekannten Figuren ihr Wesen treiben können. Werden diese in hinreichender Abwechslung, lebendig und drastisch geboten, so vergißt das Publicum leicht, wie schwach der Faden ist, an welchen sie angereiht sind. In diesem Sinne sind beiweitem die meisten komischen Operntexte der Italiäner behandelt,[350] ohne einen zusammenhängenden Plan, ohne eine wirklich spannende Intrigue, ohne durchgeführte Charakterzeichnung, eine Reihe von grotesk-komischen Scenen, die jede für sich betrachtet lächerlich sind, getragen durch karikaturenhafte Figuren. Dazu kam nun, daß auch die Opera buffa stets für eine bestimmte Gesellschaft gedichtet und componirt wurde, Zahl und Charakter der auftretenden Personen wie die Natur der anzubringenden Situationen also dadurch bedingt waren. Wenn der Dichter dadurch auf der einen Seite bei der Erfindung und Ausarbeitung eingeengt und beschränkt wurde, so war ihm seine Arbeit dadurch wieder sehr erleichtert, daß es nur einer geschickten Benutzung bestimmt gegebener, ihm wohlbekannter Bedingungen bedurfte, um den äußeren Erfolg sicher zu stellen11. Da die Opera buffa immer im Range der Opera seria nachstand, namentlich auch schlechter honorirt ward, so haben sich selten bedeutende Dichter mit ihr abgegeben; sie hat keinen Metastasio gefunden12.

[351] Mit ungleich mehr Geschick und Glück wurden die musikalischen Formen der Opera seria von genialen Componisten aus- und umgebildet. Beim Recitativ bedurfte es keiner wesentlichen Umgestaltung; die flüssigere Behandlung des Dialogs machte sich von selbst und im begleiteten Recitativ, das in der komischen Oper von nicht geringerer Bedeutung blieb, änderte sich der Charakter nur insofern komische Situationen auszudrücken waren, nicht das Wesentliche der Form. Anders verhielt es sich mit der Arie. Die Form derselben war, wie wir sahen, wesentlich aus der Aufgabe hervorgegangen dem Sänger Gelegenheit zur Entfaltung seiner Kunst zu geben und hatte auf Kosten der dramatischen Bedeutung ihre feste Gestalt erhalten. Das erste Moment kam für die Opera buffa in den meisten Fällen schon aus äußeren Gründen nicht in Betracht; das letztere widersprach ihrer eigentlichsten Natur, [352] und grade dadurch daß sie das in der Opera seria zurückgedrängte dramatische Element wieder zur Geltung brachte, fand sie den allgemeinen Beifall. Die hergebrachte Form der Arie wird daher in der komischen Oper, abgesehen von den Fällen, wo sie dieselbe parodirt, nur insoweit angewendet, als sie Elemente der Opera seria in sich aufnimmt, namentlich in den Rollen di mezzo carattere, die mitunter für Bravursänger bestimmt waren und also auch für sie passend eingerichtet wurden. Im Allgemeinen aber erkennt sie die einzelnen Bestandtheile der Arie, die beiden geschiedenen Theile, die Wiederholung des ersten, die Passagen und die Cadenz, die Ritornelle nicht als nothwendige an und bedient sich derselben mit Freiheit. Das was der Zweitheilung der Arie zu Grunde liegt, die Gegenüberstellung von zwei ihrem Charakter wie ihrer Construction nach unterschiedenen Motiven, ist ein zu tief begründetes Bedürfniß für die künstlerische Form, als daß es hätte vernachlässigt werden können; allein man band steh nicht mehr an das bestimmte Gesetz. Anstatt jedes Motiv selbständig auszubilden, in sich abzuschließen und durch einen schroffen Abschnitt von dem andern zu trennen, suchte man vielmehr, indem man die einzelnen Motive knapper faßte und insofern ihre Selbständigkeit beschränkte, sie näher mit einander zu verbinden und ohne den Contrast aufzuheben – der ja ein Hauptmittel der komischen Wirkung ist – doch den gemeinsamen Grund hervortreten zu lassen auf welchem beide beruhen, sowohl im Allgemeinen in der gegebenen Situation und ihrer Stimmung, als besonders in der künstlerischen Auffassung und Gestaltung. Der Fortschritt, welcher hiemit gethan wurde, ist klar, indem nicht nur eine größere Freiheit und Lebendigkeit in der Bewegung, sondern die Einheit und Gliederung eines künstlerischen Organismus möglich wurde. Es ist nicht schwer in vielen Arien, die nur ein [353] Tempo haben, die Bestandtheile der alten Arie und den Einfluß der alten Regel deutlich zu erkennen, allein die Freiheit war gewonnen. Man band sich auch nicht mehr an die früher vorgeschriebene Ordnung der wiederkehrenden Motive, man stellte und wiederholte sie je nach Umständen, man wandte mehr als zwei Hauptmotive an, gab den Nebenmotiven mehr Bedeutung und Ausdehnung, kurz man erweiterte den Umfang der Mittel mit der Freiheit im Gebrauch derselben13. Sodann aber wandte man häufig die einfachere Form der Cavatine, ebenfalls in mannigfachen Modificationen, an und bediente sich wo es passend schien auch liedartiger Gesänge14.

Diese Mannigfaltigkeit und Freiheit in der Behandlung war der Charakteristik behülflich, man benutzte dieselbe um die Individualität der Person und der Situation schärfer und bestimmter auszudrücken und setzte sie deshalb auch mit der Action in nähere Verbindung. Noch mehr trat dies Bestreben in der Behandlung der Ensembles hervor, wo man sich von den Beschränkungen der Opera seria ganz frei machte. Duetts, Terzetts und Quartetts brachte man überall an, wo die Situation es erforderte oder möglich machte, ohne sich an die in der Opera seria vorgeschriebenen Bedingungen hinsichtlich [354] der Personen und des Platzes zu kehren; das erhöhete Interesse, welches die musikalische Behandlung einer dramatischen Situation, an der mehrere Personen handelnd betheiligt waren, durch Contraste und Lebendigkeit erregte, ließ dergleichen Musikstücke mit besonderer Vorliebe behandeln und machte sie zu einem Hauptschmuck derOpera buffa15. Am höchsten gesteigert war die musikalisch-dramatische Charakteristik in den schon S. 108f. besprochenen Finales, welche nicht eine Situation allein, sondern eine zusammenhängende Folge von dramatischen Scenen, in welchen die Handlung in lebendigem Fortschritt einer Katastrophe entgegengeführt ist, musikalisch darstellen. Diese Finales sind das Eigenthum der Opera buffa, hervorgegangen aus der Entwickelung des Princips, die Musik nicht als einen Schmuck dem Drama anzuheften sondern an der Darstellung des Dramatischen Theil nehmen zu lassen; der Keim, welcher in der Opera seria durch die einseitige Uebermacht der Gesangsvirtuosen sich nicht hatte entwickeln können, wurde in der Opera buffa neu belebt und weiter ausgebildet16. Logroscini17 soll der erste gewesen sein, welcher das Finale einführte, aber noch in sehr einfacher Weise behandelte, indem er dem ganzen Finale [355] ein Hauptmotiv zu Grunde legte, welches er in einem fortlaufenden Satz durchführte. Piccini18 gab ihm die Mannigfaltigkeit und Lebendigkeit, indem er jede Scene als einen besonderen Satz behandelte, und so eine reiche Abwechslung und wirkungsvolle Steigerung hervorbrachte. Durch diese Erweiterung und Ausbildung der Formen der dramatischen Gesangsmusik19, welche aus einer Wiederbelebung des ihnen zu Grunde liegenden Princips hervorgegangen war und deshalb eine freie Fortentwickelung möglich machte, war der Bann der erstarrten Formel der Opera seria gebrochen. Es war nun die Aufgabe auch für diese die in der Opera buffa errungene Freiheit zu gewinnen, was dort erreicht war auf einem anderen und höheren Gebiet selbständig zur Anwendung zu bringen, es dadurch von den Zufälligkeiten zu befreien, mit welchen es durch den äußeren Entwickelungsgang der kontischen Oper behaftet war, und auf eine höhere Stufe zu erheben, von wo aus eine veredelnde Wirkung auf die Opera buffa nicht ausbleiben konnte. Wir werden später sehen, auf welchem Wege und inwieweit dies erreicht wurde.

Allerdings mußten manche schon berührte Mängel, die aus äußeren Verhältnissen hervorgegangen zunächst die Texte betrafen, auch die Musik berühren. Jemehr dieselbe sich den charakteristischen Ausdruck der dramatischen Situation angelegen [356] sein ließ, um so mehr mußte sie durch karikirte Charaktere und possenhafte Situationen ebenfalls heruntergezogen werden. In der That bildete sich auch namentlich für die eigentlichen Buffopartien eine Gewohnheit komischer Effecte aus, die zum Theil einer niedrigen Sphäre angehörten. Dahin ist z.B. der lange Zeit übliche Spaß zu rechnen, alle möglichen Naturlaute nachzuahmen, das rasche Sprechen und manches Andere, das nur allmählich verwischt oder veredelt ist. Hier war nun die strenge Schulung der Opera seria, von welcher dieOpera buffa ausging und sich nur schrittweise entfernte, von heilsamem Einfluß, indem sie verhinderte, daß man nicht um der komischen Charakteristik einseitig zu genügen, alle Form aufgab und eine vollständige Willkühr eintreten ließ. Erscheint doch bei der Betrachtung jener älteren komischen Opern für einen heutigen Beobachter die Gesetzmäßigkeit ihrer Formen auffallender als die Freiheit in der Handhabung derselben, welche erst im Zusammenhang der Ausbildung der Oper überhaupt klar hervortritt. Sodann wirkte auch die einseitige Richtung, welche dieOpera seria auf die Gesangskunst genommen hatte, insofern günstig ein, daß auch für die komische Oper als oberster Grundsatz, der sich von selbst verstand, festgehalten wurde, daß in der Musik und vor Allem im Gesang das Wesen der Oper beruhe, und von der naturgemäßen Gestaltung dieser Elemente die Wirkung derselben ausgehen müsse. Vergegenwärtigt man sich endlich den Standpunkt der Componisten, deren Bildung auf musikalischer Schule und Tüchtigkeit beruhte, und den angebornen Sinn der Italiäner für formale Schönheit, so wird es begreiflich daß dieOpera buffa trotz mancher Auswüchse doch zu einem musikalischen Kunstwerk erwuchs20, das durch [357] geniale Erfindung, geistreiche und geschmackvolle Ausführung die ältere Schwester übertraf, und sie auch in der Neigung des Publicums weit überflügelte21.

Die freiere Ausbildung kam auch der Instrumentalpartie zu Gute22. Da die Sänger in der Opera buffa nicht so absolut herrschten, war es gestattet der Instrumentalmusik einen [358] selbständigen Antheil an der Charakteristik zu gewähren, und die Natur der darzustellenden Situationen machte es oft wünschenswerth das Orchester sogar in den Vordergrund zu stellen z.B. bei dem häufig vorkommenden parlando, wo den Instrumenten der Ausdruck der Grundstimmung zugewiesen wird, während die Singstimme in freierer Bewegung die individuelle Charakteristik übernimmt. Bei solcher Verwendung mußte nicht allein das Orchester reicher, mannigfaltiger ausgebildet, sondern allmählich zu einer Selbständigkeit entwickelt werden, welche es fähig machte, der raschen Beweglichkeit der handelnden Personen zu folgen und zugleich die feste Grundlage für die bunte Mannigfaltigkeit zu bilden, ohne welche eine künstlerische Einheit nicht möglich ist.

Die überlieferte Form der Ouverture in drei Sätzen blieb ebenfalls nicht mehr die maßgebende, obgleich man dieselbe auch hier anwendete; daneben schrieb man auch zweitheilige Symphonien, und sehr häufig diente ein Allegrosatz, der dann etwas weiter ausgeführt war, als Instrumentaleinleitung.

Fußnoten

1 Diese Elemente haben in der komischen Oper immer eine große Rolle gespielt; so ist Cimarosas Impresario in angustie, der Goethe bei seinem Aufenthalt in Rom 1787 (Werke XIX S. 360) so unterhielt, darauf gebaut; und die vielfachen Variationen vomMaestro di Musica.


2 Es ist kaum nöthig darauf hinzuweisen, wie die Vereinigung des Satyrdrama mit der Tragödie bei den Griechen, der Atellanen bei den Römern trotz aller sehr großen Verschiedenheiten doch auch eine gewisse Verwandtschaft mit dieser Einrichtung hat. Ob die Tradition des Alterthums auch hier einen bestimmten Einfluß geübt habe ist mir nicht bekannt.


3 Eine nähere Angabe über ein solches Intermezzo Il filosofo e la donna findet sich A. M. Z. II S. 882ff.


4 Grimm corresp. litt. I. p. 203f.


5 Goethe Werke XIX S. 421.


6 Goethes Scherz, List und Rache ist ein solches erweitertes Intermezzo, das, obgleich es in den Motiven und in der Behandlung ganz den Charakter der italiänischen Intermezzi bewahrt, doch nach seinem eigenen Geständniß (Werke XIX S. 421) über das Maaß derselben hinausging.


7 Rousseau (Dict. de mus. Intermède): Il y a des intermèdes qui sont des véritables drames comiques ou burlesques, lesquels, coupant ainsi l'intérêt par un intérêt tout différent, ballottent et tiraillent, pour ainsi dire, l'attention du spectateur en sens contraire et d'une manière tres opposée au bon goût et à la raison; und (ebend. Opéra): Les Italiens ont enfin banni des entr'actes de leur opéra ces intermèdes comiques qu'ils y avoient insérés; genre de spectacle agréable, piquant et bien pris dans la nature, mais si déplacé dans le milieu d'une action tragique, que les deux pièces se nuisoient mutuellement, et que l'une de deux ne pouvoit jamais intéresser qu'aux dépens de l'autre. Vgl. Hiller wöch. Nachr. I S. 145f.


8 Auf den deutschen Hoftheatern, wo die theatralische Etikette nicht so streng war wie in Italien, wurden nicht selten im Carneval eine Opera seria und einebuffa zur Abwechslung aufgeführt.


9 Die Zahl der Personen war nicht beschränkt, ob sie gleich gewöhnlich nicht über sieben hinausging. Auch in der Eintheilung war die Opera buffa nicht gebunden; man behielt ebensowohl die ursprünglichen zwei Acte der Intermezzi bei, als man je nach der Anlage der Handlung die Oper auch in drei oder vier Acte theilte.


10 Mattei (riforma del teatro vor Metastasio opp. III p. XIX f.): Le commedie (per musica) presso di noi son piene di caratteri caricati, e la lingua specialmente Napoletana non è altro che un ammasso di espressioni caricate; non ci è aria, in cui non si esprime o il cane, o la gatta, o gli uccelli, o la ruota che gira, o il cannone che spara, e altre cose simili: quì troverete un ubbriaco, là un matto; quì un che parla e sconnetta, là un che balbutisce ec. Quelle cose son facilissime ad esprimersi in musica (se ben gl'ignoranti le ammirano e restano attoniti) in quella maniera stessa, ch' è facile a un pittore esprimere un volto caricato: poichè comunque riesca il ritratto, basta, che vi si vegga quel lungo naso, o quel occhio losco del principale: ognuno lo conosce, ognuno giura ch' è desso.


11 Das Recept zu dem Text einer Opera buffa, welches Arteaga (rivol. c. 15 III p. 140ff. Th. II S. 410ff.) einen Impresario einem Dichter mittheilen laßt, kann man im Wesentlichen in der Mehrzahl komischer Operntexte wiedererkennen.


12 Auch die Texte von Goldoni, die freilich zu den besseren gehören, sind nicht so bedeutend wie man vielleicht erwarten möchte, wie er denn auch selbst zugiebt, daß man an sie keine hohen Ansprüche machen dürfe (mem. III, 13 p. 81f.). Bekanntlich hat Goethe (Werke XIX S. 420f.) die komischen Operntexte der Italiäner in Schutz genommen; er führt als Beispiel das Matrimonio segreto an, sowie er auch den Re Teodoro von Casti auszeichnet (XIX S. 355), und es ließen sich wohl auch noch andere Beispiele anführen. Goethe, der in Rom mit dem Componisten Kayser die Oper studirte, wurde wohl gewahr daß »dabei hundert Dinge zu beobachten seien, welchen der Italiäner den Sinn des Gedichts aufopfere, z.B. alle Personen in einer gewissen Folge, in einem gewissen Maaß zu beschäftigen, daß jeder Sänger Ruhepunkte habe u.s.w.« (XIX S. 443f.); er sah ein, daß der Dichter durch manche Aufopferungen dem Componisten und Acteur entgegenarbeiten, daß »das Zeug, worauf gestickt werden solle, weite Fäden haben und zu einer komischen Oper absolut wie Marli gewoben sein müsse« (XIX S. 451, vgl. Briefw. mit Zelter II S. 19). Bon seinen eigenen Erfahrungen aus urtheilte er billig über Operntexte; er hat Recht, insofern er dem Operntext eine gewisse Einfachheit, die ohne Musik dünn und dürftig erscheinen würde, die Voraussetzung eines phantastischen Hingebens ähnlich wie an ein Mährchen nachsieht, beides wird durch die Musik gerechtfertigt. Allein die Mehrzahl der komischen Operntexte ist ganz zusammenhangslos und absurd, ohne Feinheit und Heiterkeit, ganz allein auf die Wirkung possenhafter Uebertreibung berechnet. Dazu können die S. 97ff. besprochene Finta semplice und die gleich zu besprechende Finta giardiniera als Beleg dienen; das allgemeine Urtheil daß trotz der Beliebtheit der komischen Oper die Texte abscheulich seien spricht Goldoni aus (mem. III, 26 p. 154): Non vi era alcuno che conoscesse la opera comica italiana meglio di me, sapendo che da parecchi anni altro non rappresentavasi in Italia che farse, di cui la musica era eccellente, e detestabile la poesia; und ebenso auch Arteaga (a.a.O.): resteremo sorpresi nel vedere, che non havvi al mondo cosa più sguajata, più bislacca, più senza gusto (della poesia dell' opera buffa).


13 Piccini wandte zuerst die Form des Rondo auf die Arie an, in welcher ein Hauptmotiv mehrfach wiederkehrt, so daß die Zwischensätze, welche die Wiederholungen desselben verbinden, frei behandelt werden. Diese Form, welche der hergebrachten Arienform gradezu entgegenstand, und sowohl reiche Abwechslung mannigfacher Gegensätze als Geschick und Geist in der immer erneueten Einführung des Thema entfalten ließ, fand großen Beifall und verschiedenartige Ausbildung, und wurde dann auch in die Opera seria aufgenommen (Arteaga rivol. c. 13 II p. 298f. Th. II S. 263. Mattei rif. del teatro vor Metastasioopp. III p. XXXVII f.).


14 Man beklagte sich daß man in der Oper so viele Barcarolen zu hören bekäme, wie in unserer Zeit nach der Stummen von Portici (Arteaga a.a.O. c. 13 II p. 288. Th. II S. 254).


15 Galuppi hatte zuerst versucht ein Duett zu schreiben, in dem das Tempo wechselte; was dann allgemein nachgeahmt wurde (Mallin a.a.O. p. XLI f.).


16 Mattei a.a.O. p. XL. Perciò ne' teatrini la musica ordinariamente è più verisimile, perchè l'arie son lunghe [die Texte der Arien] e ci sono tanti finali, che sono specie di duetti, terzetti e quartetti di molte strofe, e non son costretti i maestri di replicar tante volte le stesse parole. Bisognerebbe dunque andar pian piano introducendo questo sistema ancora nel gran teatro.


17 Nic. Logroscino, geb. um 1700, gest. 1763, galt als der eigentliche Erfinder der komischen Oper, le dieu du genre bouffon, wie ihn Laborde (Essai III p. 198) nennt, bis Piccini ihn verdrängte.


18 Chöre wurden in der Opera buffa fast gar nicht angewandt, und wo es etwa geschah, traten sie nicht bedeutend hervor; manche Ensemblesätze wurden aber in ähnlicher Weise behandelt wie die Chöre derOpera seria.


19 Piccinis Cecchina oder La buona figliuola (S. 169) hatte zuerst im Jahr 1761 in Rom, dann auf allen italiänischen Bühnen einen solchen Erfolg gehabt, daß sie, ähnlich wie die Serva padrona für das Intermezzo, den Zeitpunkt bezeichnen kann, wo die Opera buffa als eine bestimmte Kunstgattung anerkannt ist.


20 Außer Logroscini, Galuppi, Piccini sind von den S. 244 genannten Componisten hier besonders zu nennen Pietro Guglielmi (1727–1804), Pasa. Anfossi (1736–1797), Giov. Paisiello (1741–1816), Domen. Cimarosa (1754–1801); obgleich die Mehrzahl der dramatischen Componisten sich auch in der Opera buffa versucht hat.


21 Arteaga, nachdem er auseinandergesetzt hat, daß die komische Oper dem Dichter, Componisten und Darsteller freieren Spielraum giebt, weil sie größere Mannigfaltigkeit von Charakteren darbietet, weil diese dem wirklichen Leben entnommen und leichter auszuführen sind, weil deshalb auch ein größerer Reichthum an musikalischen Motiven sich bietet und die Natürlichkeit der Darstellung dem Sänger verwehrt, sich in virtuosenmäßigen Künsteleien zu verlieren, fährt fort (a.a.O. c. 15 III p. 138ff. Th. II S. 409f.): E questa è la cagione per cui la musica delle opere buffe è, generalmente parlando, in migliore stato in Italia che la musica seria, e perchè per un motivo di quest' ultimo genere che si senta composta con qualche novità e caratterizzato a dovere, se ne trovano dieci nella musica buffa. Mossi da tali ragioni vi sono di quelli, che preferiscono ed amano e mostrano di pregiare assai più la commedia musicale che la tragedia. E a dirne il vero – riflettendo ai pressochè incorrigibili abusi dell' opera seria e alla maggiore verità di natura e varietà di espressione che somministra l'opera buffa, concederò volontieri, che non deve tacciarsi di stravaganza o di cattivo gusto chiunque sopra di quella a questa dasse la preferenza.


22 Burney Reise I S. 229: »Auch Piccini wird beschuldigt daß er die Instrumente so übermäßig beschäftigt, daß kein Notenschreiber in Italien eine von seinen Opern abschreiben lassen will, ohne sich eine Zechine mehr bezahlen zu lassen, als er für jedes anderen Componisten Opern bekömmt. Allein bei den komischen Opern muß er gewöhnlich für schlechte Stimmen schreiben und müssen die Instrumente also die beste Wirkung thun; und freilich kommt in dergleichen Dramen soviel Zank und Lärm vor, daß man sie nothwendig durch die Instrumente kräftig ausdrücken muß.« Heutzutage erscheint eine solche überladene Partitur freilich unbeschreiblich dürftig.


Quelle:
Jahn, Otto: W.A. Mozart. Band 1, Leipzig: Breitkopf und Härtel, 1856, S. 1.
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