19.

Die letzte Oper in dieser Reihe ist die bei der Anwesenheit des Erzherzogs Maximilian in Salzburg componirte Festoper Il re pastore nach dem Text von Metastasio. Der Inhalt, welcher sich auf einen Zug aus der Geschichte Alexanders des Großen gründet1, ist in der Kürze folgender2.

[399] Alexander, nachdem er Sidon erobert und dessen Tyrann Strato sich das Leben genommen hat, beschließt den Sohn des letzten rechtmäßigen Königs, Abdalonymus3, auf den Thron zu erheben. Dieser, als kleines Kind von einem treuen Anhänger bei der Entthronung seines Vaters in Sicherheit gebracht, ist unter dem Namen Aminta als Schäfer aufgewachsen. Beim Beginne des Stücks finden wir ihn unter seinen Heerden, wie Elisa, seine Geliebte, ihm die frohe Botschaft bringt, daß ihre Mutter endlich ihre Liebe begünstigen und den widerstrebenden Vater zu ihrer Vereinigung bewegen wolle. Kaum hat sie ihn verlassen, als Alexander von Agenore geleitet auftritt, um sich selbst zu überzeugen, ob auch Aminta durch königlichen Sinn sich des Thrones würdig bezeige; er besteht durch seine tugendhafte Mäßigkeit die Probe. Während er seine Heerde tränkt, tritt Tamiri, Stratos Tochter, als Hirtin verkleidet auf; Agenore, der zurückgeblieben ist, preist ihr Alexanders Großmuth und verspricht ihn für sie zu gewinnen. Die Versicherung seiner treuen Liebe beruhigt sie; bei Elisa verborgen, [400] will sie seiner Antwort harren. Elisa bringt Aminta hoch erfreut nun auch die Einwilligung des Vaters; als sie im Begriff sind sich zu ihm zu begeben, überreicht Agenore Aminta die Königskrone, macht ihn mit seiner Herkunft bekannt, und entbietet ihn zu Alexander. Die Liebenden geloben sich aufs Neue feste Treue.

Im zweiten Act kommen Elisa und Tamiri ins Lager Alexanders um ihre Geliebten zu sehen. Tamiri, die ihre Furcht nicht besiegen kann, zieht sich wieder zurück; Elisa sucht vergebens Aminta zu sprechen, indem Agenore sie belehrt, daß Aminta als König mit wichtigeren Dingen beschäftigt sei, sowie er diesen, der ungeduldig Elisa aufsuchen will, mit schuldiger Ehrerbietung über seine Pflichten als Herrscher unterrichtet. Endlich erscheint Alexander, dem Aminta seinen Dank und seine Huldigung darbringt und zugleich die tugendhaftesten Vorsätze und Ansichten über seine Regierung ausspricht. Nachdem er fortgegangen ist um sich mit den Insignien seiner Würde zu bekleiden, spricht Alexander seinen Kummer darüber aus daß Tamiri sich durch die Flucht seinen Wohlthaten entzogen habe. Agenore, den günstigen Augenblick benutzend, erklärt daß sie in der Nähe sei, worauf Alexander zu seinem Schrecken, den er kaum verbergen kann, den Entschluß ausspricht sie mit Aminta zu vermählen. Allein bald gewinnt in ihm der Gedanke die Oberhand, daß er sein Glück dem der Tamiri willig opfern müsse, und er sucht auch den lebhaft widerstrebenden Aminta zu überzeugen, daß er Elisa entsagen müsse. Ehe noch Aminta von ihm völlig aufgeklärt ist, kommen Elisa und Tamiri und da sie beide verwirrt und stumm finden, glaubt jede von dem Geliebten verrathen zu sein.

Zu Anfang des dritten Acts erklärt Aminta nach schweren Zweifeln dem Agenore, er sei entschlossen seine Pflicht zu [401] erfüllen, er gehe zu Alexander, dessen Wohlthat er nicht zurückweisen könne, wenn er von ihm die Krone annehme. Dies berichtet Agenore der Elisa, die aber an Amintas Treue nicht zweifeln kann, und sucht sie vergebens zu überzeugen, daß sie aus Liebe zu Aminta dem Geschick sich fügen müsse. Seine eigene Standhaftigkeit wird noch auf eine schwere Probe gestellt, als Tamiri ihn mit Vorwürfen überhäuft, daß er sie um Amintas willen verlassen habe, doch bleibt er bei allen Prüfungen fest.

Vor Alexander, der die Vermählung vollziehen will, erscheinen nun Tamiri, welche ihm erklärt daß sie Agenore liebe und auch eines Thrones wegen ihm die Treue nicht brechen werde, dann Elisa, welche die Ansprüche, die sie auf Amintas Herz habe geltend macht, endlich Aminta im Schäfercostum, der Alexander die Krone zurückgiebt, weil er um ihretwillen auf Elisas Liebe zu verzichten nicht vermöge. Von soviel Edelmuth und Treue gerührt vereinigt Alexander die Liebenden, bestätigt Aminta als Herrscher von Sidon und verspricht für Agnore ein anderes Königreich zu erobern.

Metastasio hatte diese Oper im Jahr 1751 für eine Aufführung bei Hofe durch vier Hofdamen und einen Cavalier geschrieben4; man sieht, er hatte sich bemüht den Vorschriften nachzukommen, über welche er sich beklagt (S. 273), und nicht allein für geziemende Kleidung sondern auch für Tugend und Edelmuth aller Personen gesorgt, es war ihm sogar gelungen sie alle zu vornehmen Leuten zu machen5. Er hatte [402] sich viel Mühe auch um das Einstudiren und das Arrangement für die Aufführung gegeben6, aber sie war vergolten worden; Decorationen und Costumes waren glänzend, die Musik von Bono vortrefflich7, die adeligen Darsteller machten [403] ihre Sachen herrlich und Beifall und Belohnung blieben nicht aus8. Kein Wunder daß ihm auch sein Stück sehr gefiel, das er deshalb dem Farinelli als eine passende Festoper empfehlen konnte9; wirklich ist es auch später oft componirt und aufgeführt worden10.

Um die Oper als Festoper11 zu gebrauchen hatte man in Salzburg das Verfahren damit vorgenommen, über welches die Operndichter sich so oft beschweren: man hatte sie abgekürzt12. Der erste Act war ziemlich unverändert geblieben, [404] der zweite und dritte in einen zusammengezogen, wobei nicht allein der Dialog stark beschnitten, sondern auch mehrere Arien herausgeworfen waren. Im Ganzen hat der Text dadurch nicht erheblich gelitten; nur daß auf den Entschluß Alexanders Tamiri mit Aminta zu vermählen unmittelbar die Scene folgt, in welcher Aminta dem Agenore erklärt, er sei bereit zu gehorchen, macht die Handlung etwas unklar. Außer den Abkürzungen sind hie und da kleine Abänderungen vorgenommen, und dann auch einige Zusätze gemacht worden, die aber das Wesentliche der Oper nicht berühren13. Die Partie des Agenore ist einem Tenor übergeben14, Aminta wurde ohne Zweifel von einem Castraten gesungen; sonst wissen wir nichts Näheres weder über die Besetzung noch über die Aufführung.

Betrachten wir Mozarts Composition15, so wird man nach dem, was über das Verhältniß der Opera seria und buffa bereits bemerkt worden ist, nicht erwarten, daß diese Oper auf gleicher Höhe mit derFinta giardiniera stehe, oder [405] gar einen Fortschritt gegen dieselbe bekunde. In der That gewahrt man die unverkennbaren Spuren der Reise in Erfindung und Technik, welche in jener Oper so überraschend hervortraten, auch hier fast überall, allein die überlieferten Formen, welchen er sich nicht entziehen konnte, wirken sichtlich hemmend und störend ein. Von einem eigentlich dramatischen Interesse und einer entsprechenden Charakteristik, von Ausdruck einer wahren Leidenschaft kann nirgends die Rede sein; das Ganze ist, wie man es bei Festopern liebte, in concertmäßiger Weise gehalten, und hat durch das Wegschneiden dessen, was wenigstens eine Art von Verwickelung der Handlung ausmachte, noch mehr diesen Charakter bekommen. Auch die Sänger scheinen nicht hervorragende Künstler gewesen zu sein, um den Componisten zu außergewöhnlichen Leistungen zu begeistern; vielmehr waren sie es wohl, die auf den einmal bekannten und geläufigen Formen bestanden.

Am deutlichsten tritt dies in der Tenorpartie des Alessandro hervor. Ihm sind drei Arien zu Theil geworden, die durch ihren Inhalt, da sie nur allgemeine tugendhafte Betrachtungen enthalten, für die musikalische Darstellung wenig geeignet erscheinen. Sie sind in der Weise der eigentlichen Bravurarien gehalten, die allerdings in ähnlicher Weise eine Art von allgemeiner Musik ohne specifischen Charakter geben. Die frühere Form ist insoweit modificirt, daß der zweite Theil der Arie nicht als ein selbständig abgeschlossener erscheint, sondern mehr als ein zweites Motiv, allein der erste wird dann wieder vollständig wiederholt, wie beim da Capo. Im Uebrigen ist die Gliederung wesentlich dieselbe, das lange Ritornell ist geblieben, die Bravurpassagen, der herkömmliche Schluß mit dem Triller (S. 127), die Cadenz mit der üblichen Vorbereitung (S. 301). Nichts desto weniger gewahrt man überall im Einzelnen das Bestreben die Form, welche [406] nicht beseitigt werden durfte, umzubilden, ihr mehr Inhalt und Bedeutung zu geben. Dies tritt z.B. sehr deutlich in den Passagen hervor, welche durch die harmonische Behandlung, durch die Weise wie die Begleitung dabei eingreift, nicht allein ein erhöhetes Interesse erhalten, sondern enger mit dem Ganzen verbunden werden und als diesem zugehörig erscheinen. Ebenso unverkennbar ist der Fortschritt im Charakter der Melodien selbst. Sie sind besser gebauet und gegliedert, und schon dadurch bedeutender, sie haben auch mehr Kraft und Adel, man möchte sagen mehr musikalische Substanz und Gehalt, als früher wahrzunehmen war. Dies wird nun auch durch die Begleitung gehoben, welche nicht bloß im Allgemeinen reicher und charakteristischer ist, sondern einzelne Elemente der Hauptmelodien z.B. rhythmische, selbständig auffaßt und durchführt, dadurch eine schärfere Gliederung und einen festeren Zusammenhang herstellt. Allerdings betreffen diese Reformen das Einzelne ohne das Ganze völlig umzuschmelzen, auch halten sie sich wesentlich auf musikalischem Gebiet und berühren die dramatische Charakteristik wenig. Der Text der ersten Arie (n. 4):


Si spande al sole in faccia

nube talor così,

e folgora, e minaccia

su l'arido terren.

Ma poi che in quella foggia

assai d'umori unì,

tutta si scioglie in pioggia,

e gli feconda il sen.


– der zugleich als charakteristische Probe dienen mag – hat zu einer damals beliebten Malerei Veranlassung gegeben; Blitz, Donner und Regen werden vom Orchester angedeutet, aber ohne daß diese Malerei sich in den Vordergrund drängte. Die zweite Arie (n. 9) hat ein Interesse durch die obligate [407] Behandlung der Blasinstrumente, von denen die Flöte in Passagen mit dem Sänger wetteifert; die dritte (n. 13) ist in dem eigenthümlich seriosen Stil gehalten und hat einen Charakter von Würde, der freilich conventionell, aber doch bestimmt und tüchtig ausgesprochen ist16.

Mehr individuelle Charakteristik zeigen Aminta und Elisa. Zu Anfang macht sich das pastorale Element geltend, das ja für solche Festopern besonders beliebt war. Die Ouverture – welche aus einem Satz (Molto Allegro) besteht, in dem eine Figur festgehalten und durchgeführt wird, der ein zweites scharf abstechendes Thema gegenüber gestellt ist – geht zum Schluß in eine anmuthige pastorale Melodie über und leitet dadurch unmittelbar die erste Arie des Aminta (n. 1) ein. Diese ist ein Hirtenlied und demgemäß sehr einfach gehalten, die Bewegung des Sechsachteltacts, die Begleitung, in welcher Flöten und Hörner hervortreten, heben den pastoralen Charakter hervor; ein sehr wohllautendes, hübsches Musikstück. Um den Sänger zufriedenzustellen ist ihm darauf eine echte Bravurarie (n. 3) gegeben17, welche nach alter Weise zwei Theile mit der Wiederholung des ersten hat18. [408] Sie kann zu einem anschaulichen Beleg dienen, wie weit es gelungen ist der überlieferten Form einen neuen Reiz zu geben. Denn nicht allein in der allgemeinen Anlage, sondern bis ins Einzelne hinein, in den kleinen durch das Orchester unterbrochenen Phrasen, in den Passagen, in der Vorliebe für syncopirte Noten zeigt sich ganz der alte Zuschnitt – vielleicht weil ihn der Sänger so wünschte –, und doch ist Alles freier, bedeutender19, gehaltreicher, trotz der Zerstückelung innerlich zusammenhängend, daß man den neuen Geist nicht verkennen kann, der durch diese veralteten Formen weht20. Ganz anders freilich, wenn derselbe von den Fesseln dieser Form frei ist, wie in der letzten Arie des Aminta (n. 10), in welcher dieser erklärt seiner Liebe treu bleiben zu wollen. Sie hat die Form des Rondo; das Hauptthema kehrt, durch eine zweite Melodie (das erstemal in Dur, das zweitemal in Moll) zweimal abgelöst, dreimal wieder und wird durch eine Coda abgeschlossen. Hier ist nur eine einfache Cantilene, der Form wie dem Ausdruck nach volle gereifte Schönheit und durch die Ausführung ins herrlichste Licht gesetzt. Der Singstimme steht eine Solovioline zur Seite, welche in derselben einfachen, sangbaren Weise, bald wechselnd, bald zusammengehend mit ihr concertirt. Sie hebt sich ab von dem Saitenquartett, das mit Dämpfern spielt, und eine leisbewegte Figur zu dem Hauptthema festhält, während die Begleitung beim Nebenthema sich ändert. Diesen stehen die Blasinstrumente gegenüber, [409] welche nicht nur reicher als gewöhnlich21 sondern auch selbständig, wenn auch dem Charakter des Tonstücks gemäß sein und zart behandelt sind.

In der ersten Arie der Elisa (n. 20) ist auf eine eigenthümliche Weise der pastorale Charakter mit dem der Bravurarie vereinigt, so daß auch eine dem Wesen der Opera seria entsprechende Charakteristik erreicht wild. Es ist die vornehme Dame, welche sich das Glück ausmalt, neben dem geliebten Aminta als Hirtin zu leben. Die Grundform ist daher diejenige, welche das Herkommen für die vornehme Welt derOpera seria festgesetzt hatte, in den einzelnen Motiven aber spricht sich zum Theil eine zierliche, fast spielende Anmuth aus, welche über das Ganze eine angenehme Heiterkeit verbreitet. Obgleich die allgemeine Anlage der Bravurarie überall zu Tage tritt, sind doch die Formen derselben mit soviel Geschick modificirt, es ist eine solche Frische und Grazie in den Melodien, daß man diese Arie den späteren Concertarien Mozarts, welche meistens ebenfalls modificirte Bravurarien sind, wohl an die Seite stellen kann. Strenger in der alten Form ist die zweite Arie der Elisa (n. 8), welche aus einem Andante und Allegro besteht, die beide wiederholt werden. Die Situation – Elisa beklagt sich über Agenores Grausamkeit, weil er sie Aminta nicht sprechen lassen will – hat hier einen unmittelbar frischen, kräftigen Ausdruck nicht gestattet; da Mozart wohl fühlen mußte, daß diese Scene, wenn sie pathetisch genommen würde, leicht ins Komische umschlagen könnte. Daher ist die Arie recht wohlklingend und musikalisch wirksam, aber nicht eigenthümlich geworden.

Das Duett zwischen Elisa und Aminta am Schluß des [410] ersten Acts (n. 7) ist in leichtem und gefälligem Stil gehalten, aber der freien und gewandten Behandlung der Stimmen, die einander imitiren, sich in den Passagen ablösen, wie der Erfindung der Motive nach ähnlichen Sätzen aus früherer Zeit überlegen. Sehr hübsch und der Situation wohl entsprechend ist das Motiv des Andante im Allegro wieder eingeführt, so daß der veränderte Rhythmus eine neue Steigerung hervorbringt.

Die beiden übrigen Partien der Tamiri und des Agenore sind die von Secondariern. Die erste Arie der Tamiri (n. 6) ist eine Bravurarie im gewöhnlichen Stil, welche in Erfindung und Ausführung hinter den übrigen zurückbleibt; die zweite (n. 11), in der Form eines Rondo, hält sich nach der Weise der Secondarier in einer gewissen Mittelmäßigkeit sowohl dem Ausdruck als der Erfindung nach, und nimmt bei einer leichten, nicht tief gehenden Gefälligkeit, fast etwas Soubrettenartiges an. Ziemlich dasselbe gilt von der ersten Arie des Agenore (n. 5) welche einen der Situation wenig entsprechenden zierlich gefälligen Charakter hat22. Dagegen ist die zweite Arie desselben (n. 12) eine pathetische, die einzige der Art in der Oper; allein der Charakter des Agenore im Allgemeinen und der reflectirende Text lassen ein eigentlich lebendiges Pathos nicht zu. Die unruhige Bewegung welche in der Arie herrscht wird besonders durch die vielfach wechselnde, oft frappante Harmonie charakterisirt, und durch starke Accente der Blasinstrumente hervorgehoben23. So läßt sich [411] ihr ein gewisser charakteristischer Ausdruck nicht absprechen, allein die Motive selbst sind nicht grade bedeutend.

Das Finale besteht aus einem vierstimmigen Tuttisatz24, der in der üblichen Weise heiter und glänzend ist, und ganz oder theilweise mehrmals wiederholt wild. Dazwischen sind Partien für einzelne Stimmen eingeflochten, in denen besonders Elisa und Aminta hervortreten, mitunter kommen auch die anderen Stimmen dazu; zweimal wiederholt sich eine Stelle, in welcher die Singstimmen hintereinander ohne Begleitung eintreten. Das Alles ist geschickt gemacht und von angenehmer Wirkung, aber nicht grade von hervorstechender Erfindung.

Wenn man nun deutlich wahrnimmt, wie Mozart darauf bedacht war, dem Festspiel dadurch gerecht zu werden daß er für ansprechende, gefällige Musik in der Weise, wie man sie damals verlangte, Sorge trug und daher auch in die hergebrachten Formen sich fügte, so kann man ebensowenig verkennen, daß ihm der einengende Zwang derselben lästig war, als daß er dieselben soweit es ging frei zu gestalten suchte. Auf einige Momente der Art ist schon oben hingewiesen, sehr deutlich tritt es auch in der Behandlung der Begleitung und des Orchesters hervor. Es ist interessant zu beobachten, wie bei aller Aehnlichkeit im Zuschnitt mit den früheren ernsten Opern sich in der Orchesterpartie eine Fülle und Freiheit zeigt, wie ein selbständiges Leben sich regt, von dem früher nur einzelne Ansätze zum Vorschein kamen, das nun erwacht ist und überall hervorquillt. Eine natürliche Folge davon ist, daß auch hinsichtlich der Klangmischungen das Orchester selbständig auftritt, [412] was sich ganz besonders in der Anwendung der Blasinstrumente zeigt. Nicht allein in den Nummern, wo sie in ungewöhnlicher Fülle zusammengestellt und den Saiteninstrumenten als ein selbständiger Körper gegenübergestellt sind25 offenbart sich dies, sondern auch da, wo nach alter Weise nur Oboen und Hörner angewendet werden, spricht sich ein bestimmtes Gefühl für die eigenthümliche Wirkung dieser Instrumente oft in wenigen Tönen aus26. Das Orchester ist, wie wir es schon bei der komischen Oper sahen, auch hier nicht mehr das abstracte Mittel dem Gesang eine Begleitung zu gewähren, sondern gewinnt seine selbständige Bedeutung; die genaue Kenntniß des Orchesters, welche Mozart durch Studien, welche wir bald näher kennen lernen werden, sich erworben hatte, finden wir hier bereits für die Opera seria angewandt, und wie einfach und bescheiden auch diese Instrumentaleffecte erscheinen mögen, die Thatsache, daß in der ernsten wie in der komischen Oper die Instrumentalmusik als berechtigt zum Ganzen selbständig mitzuwirken auftritt, ist ein wesentlicher Punkt in ihrer Entwickelungsgeschichte.

Fußnoten

1 Metastasio vergißt nicht den Justin (XI, 10) und Curtius (IV, 3f.) zu citiren, welche nur erzählen daß Alexander, nachdem Straton getödtet war, einen entfernten Sproß des Königshauses Abdalonymus, der in Armuth als Gärtner lebte, auf den Thron gesetzt habe, dessen er durch schöne Gestalt und edlen Sinn würdig gewesen sei; und fügt hinzu: Come si sia edificato su questo istorico fondamento si vedrà nel corso del dramma.


2 Das Personenverzeichniß lautet so:


Alessandro, re di Macedonia.

Aminta, pastorello, amante d'Elisa, che, ignoto a se

stesso, si scuopre poi l'unico legittimo erede del

regno di Sidone.

Elisa, nobile ninfa di Fenicia, dell' antica stirpe di

Cadmo, amante d'Aminta.

Tamiri, principessa fuggitiva, figliuola del tiranno

Stratone; in abito di pastorella, amante di Age-

nore.

Agenore, nobile di Sidone, amico di Alessandro,

amante di Tamiri.


3 Charakteristisch für die Rücksicht, welche man bis ins geringste Detail auf den Wohllaut nahm, ist die Sorgfalt, mit welcher Metastasio diesen Namen vermied. Il fatto, schreibt er an Filipponi (opp. post. II p. 12), è la restituzione del regno di Sidone al suo legittimo erede. Costui avea un nome ipocondriaco, che mi avrebbe sporcato il frontispizio. Chi avrebbe potuto soffrire un' opera intitolata l'Abdolonimo? o procurato di nominarlo il meno che m'è stato possibile, perchè, fra tanti, non avesse il mio lavoro ancor questo difetto. Und ein andermal schreibt er (opp. post. II p. 35): Il titolo è Il re pastore per non prevenire svantaggiosamente i lettori innocenti con la barbarie di quel nome. Damit stimmt was Goldoni widerfuhr, als er seine Oper Amalassunta vorlas (mem. I, 28 p. 150): Io mi accingo alla lettura e annunzio il titolo di Amalassunta. Cafariello [der berühmte Castrat] canta il termine Amalassunta, e gli par lungo e ridicolo, tutti ridono.


4 Metastasio opp. post. II p. 34f.: Gli attori sono stati il signor conte Bergen, quattro Fraile, cioè Rosenberg, Kollonitz, Frankenberg e Lamberg. Alexander allein war eine Tenorpartie.


5 Bei Gelegenheit einer 1768 aufgeführten französischen Oper Le jardinier de Sidon von Renard de Pleinchesne und Philidor, welche dasselbe Sujet hat, kritisirt Grimm (corresp. litt. VI p. 17f.) Metastasios Oper in folgender Weise: Metastasio a traité le même sujet dans son opéra, intitulé Il re pastore, le roi pasteur. On n'a pas besoin de sortir des bruyères arides de Mr. de Pleinchesne, remplie de ronces et de chardons, pour sentir tout le charme de marcher dans les prairies délicieuses du divin Metastasio. Quelle touche gracieuse et aimable! quel coloris doux et enchanteur! Ce grand poète a conservé le rôle d'Alexandre parce qu'il a voulu traiter ce sujet dans le genre le plus noble. Cependant, car il faut tout dire, quand on lit à la tête d'une pièce Le roi pasteur, on s'attend à autre chose qu'à voir un berger élevé par Alexandre sur le trône de Sidon en vertu des droits de sa naissance, uniquement occupé de sa passion pour sa bergère, et mettant toute sa gloire à renoncer plutôt au trône qu'à son amour. Cette prétendue générosité est imitée par un autre couple amoureux, qui, suivant l'usage de l'opéra italien, forme une seconde intrigue subordonnée à la principale. Le grand Alexandre est enchanté de trouver tant d'amour et de fidélité dans le roi berger; il en infère qu'il sera un excellent roi. Moi je n'aurais pas raisonné comme Alexandre-le-Grand. J'ajoute que cette intrigue est nouée avec une extrême faiblesse, et que les malheurs dont les personnages se croient réciproquement menacés, et les sentiments qu'ils étalent en conséquence, ne subsistent que parce qu'ils ne veulent pas expliquer entre eux, ni se dire ce qu'ils se seraient certainement dit en pareille circonstance. Tout cela est puéril, frivole et faux; mais est-ce la faute de Metastasio? Non, c'est que, lorsque des spectacles ne sont destinés qu'à désennuyer une assemblée d'oisifs, il faut qu'ils se ressentent nécessairement de la frivolité de leur institution. Le roi pasteur! quel titre! quel sujet! et quelle pièce, si l'art dramatique était appelé à faire des théâtres de l'Europe une école de la morale publique, au lieu de servir à l'amusement d'une troupe de vieux enfans gothiques, qui s'avisent encore de faire les entendus et de parler de goût.


6 Metastasio opp. post. II p. 33.


7 Metastasio a.a.O. p. 31: La musica è così graziosa, così adattata, e così ridente, che incanta con l'armonia senza dilungarsi dalla passione del personaggio e piace all' eccesso. – L'autore è il Signor Giuseppe Bono, egli è nato in Vienna di padre italiano e fu mandato da Carlo VI ad imparar la musica sotto di Leo, e con lui a passata tutta la prima sua gioventù. Bono war geboren 1710, und wurde 1740 Hofcompositeur, auch Kapellmeister beim Prinzen von Hildburghausen (Dittersdorf Selbstbiogr. S. 7), und 1774 erster k.k. Kapellmeister an Gaßmanns Stelle (ebend. S. 209). Er starb 1788.


8 Metastasio a.a.O. p. 34: Le dame superano, particolarmente nell' azione, tutte le più celebri attrici. La musica è del Bono ed è impareggiabile; le scene e gli abiti sono magnifici, e il visibile straordinario gradimento de' clementissimi padroni aggiunse un insolito splendore a tutto lo spettacolo. Die Oper wurde in Schönbrunn fünfmal gegeben und nach der letzten Aufführung wurden die Darsteller im Costum zur Tafel gezogen und fanden unter ihren Servietten werthvolle Geschenke; Metastasio erhielt einen goldenen Leuchter (a.a.O. p. 4).


9 Metastasio a.a.O. p. 30: Mi consolo che Il re pastore potrà perfettamente servirvi. Egli è allegro, tenero, amoroso, corto, ed a in somma tutte le qualità che vi bisognano. Qui non si ricorda d'uno spettacolo che abbia esatto una concordia così universale di voti favorevoli.


10 Man kennt Compositionen von Sarti 1752; Jomelli 1755; Hasse 1756; Guglielmi 1767.


11 Mozart bezeichnet sie in seinen Briefen als Serenata.


12 S. oben S. 274. Metastasio hatte gehofft, sie kurz genug gemacht zu haben und dachte dies Maaß beizubehalten: sottrarrò così i miei componimenti al temerario coltello degl' inesperti Norcini (opp. post. II p. 37). In der That hatte man von anderer Seite her gewünscht, er möchte sie verlängern und noch eine sechste Person hinzusetzen (ebend.).


13 An die Stelle der ersten Arie des Aminta (A. I sc. 2) ist eine andere gemacht und dieser dann auch noch ein begleitetes Recitativ vorgesetzt, woraus hervorgeht, daß sie am Schluß der ersten Scene nach Elisas Abgang eingeschaltet worden ist. Auch vor dem Duett am Ende des ersten Acts ist ein begleitetes Recitativ des Aminta eingeschoben. Endlich ist statt des kurzen Schlußchors eine Art Finale, in welchem Solo- und Tuttistellen abwechseln, hinzugedichtet.


14 Diese Veränderung hatte Metastasio selbst Farinelli angerathen, wenn er die Oper ausführen lassen wollte (opp. post. II p. 31).


15 Die Originalpartitur ist bei André (Verz. 37), sie enthält außer der Ouverture 14 Nummern. Partitur und Klavierauszug erscheinen bei Breitkopf und Hartel in Leipzig. Sonnleithner konnte bei seiner Arbeit (Cäcilia XXV S. 84ff.) nur einige Bruchstücke der Oper benutzen.


16 Dem Herkommen gemäß sind die Arien n. 4 und 13 mit Trompeten begleitet.


17 Der neue Text (a) drückt nur mit anderen Worten genau dasselbe aus, was Metastasio gesagt hatte (b)


a


Aer tranquillo e dì sereni,

freschi fonti e verdi prati

sono i voti fortunati

della greggia e del pastor.

Che se poi piacesse ai fati,

di cambiar gl' offici miei,

avran cura allora i dei,

di cambiarmi e mente e cor.


b


Sò che pastor son io,

nè cederei finor

lo stato d'un pastor

per mille imperi.

Se poi lo stato mio

il ciel cangiar verrà,

il ciel mi fornirà

d'altri pensieri.


18 Daß der erste Vers in einem brillanten Allegro aperto C, der zweite in einem zierlichen Grazioso 3/8 wiedergegeben ist, entspricht mehr dem herkömmlichen Brauch als dem Charakter des Textes.


19 Man betrachte nur den absteigenden Baß und die darauf gebaute Harmonie in der dritten Periode des ersten Satzes, wodurch die altmodig zugeschnittene Melodie gleichsam wider ihren Willen eine ganz andere Bedeutung erhalt.


20 Der Mittelsatz ist unbedeutender und weniger frisch.


21 Es sind 2 Flöten, 2 englische Hörner, 2 Fagotts und 2 Hörner dabei, welche in ganz moderner Weise verwendet werden.


22 Beide Arien, welche einander in der Art eines nicht unangenehm in die Ohren fallenden Lückenbüßers sehr verwandt sind, haben die Bezeichnung Grazioso und sind nur mit dem Quartett begleitet.


23 Außer Oboen und Fagotts sind 4 Hörner gebraucht – die Arie ist in Moll, die einzige in der Oper – und meistens in vollen Accorden zusammenwirkend.


24 Es nimmt sich naiv aus daß Alexander mit den übrigen singt:


Viva l'invitto duce,

viva del cielo il dono

più caro al nostro cor!


25 Die Behandlung der Blasinstrumente in dieser Art ist bei den Arien n. 10 und 12 schon bemerkt worden. Dabei kann man darauf aufmerksam machen, daß in beiden die Fagotts nicht mehr allein zur Verstärkung des Basses oder der Melodie angewendet, sondern in selbständiger Weise mit den Blasinstrumenten gruppirt werden. Auch in der Arie n. 9 sind die Flöten, Oboen und Hörner in ähnlicher Weise zusammengestellt. Während gewöhnlich Flöten und Oboen nur zur Verdoppelung vereinigt wurden, sind hier beide selbständig und sehr charakteristisch mit und nebeneinander gebraucht.


26 Dahin gehört z.B. das Solo des Horns zum Schluß der Ouverture, eine einfache Pastoralmelodie, welche die Flöte imitirt, ganz im Charakter des Instruments, damals aber nicht gewöhnlich; ferner Eintritte wie im Duett (n. 7) bei den Worten Se ho da regnar, oder in der Arie (n. 9) bei den Worten De' sudori ch' io spargo pugnando, und viele andere zum Theil recht seine Züge der Instrumentation.


Quelle:
Jahn, Otto: W.A. Mozart. Band 1, Leipzig: Breitkopf und Härtel, 1856, S. 1.
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