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Einem andern Kreise der geselligen Musik gehörte die sogenannte Harmoniemusik für Blasinstrumente an. Sie war, seitdem die Blasinstrumente eifriger cultivirt wurden, namentlich für Tafelmusik und Serenaden ungemein beliebt. Vornehme Herren hielten sich häufig, zumal wenn die Mittel zu einem vollständigen Orchester nicht ausreichten, ihre eigene Harmoniemusik1. Kaiser Joseph hatte sich für die »Kais. Kön. Harmonie« acht ausgezeichnete Virtuosen ausgesucht2, welche er aber nicht zu seiner Kammermusik zog; sie spielten vielmehr bei Tafel, besonders wenn diese im kaiserlichen Lustgarten gehalten wurde, und trugen dann außer den für diesen Zweck besonders geschriebenen Sachen auch arrangirte Opernstücke vor3. Reichardt erzählt daß bei seinem Aufenthalt in Wien im Jahr 1783 der Kaiser wie der Erzherzog Maximilian ihn ihre Harmoniemusik vereinigt hören ließen. »Dies gewährte einen recht entzückenden Genuß; Stimmung, Vortrag, alles war rein und übereinstimmend: einige Sätze von Mozart waren auch wunderschön, von Haydn kam leider nichts vor«4. In angesehenen Wirthshäusern war ebenfalls durch eigene Harmoniecapellen [109] dafür gesorgt, daß die Gäste bei der Tafel diesen Genuß nicht entbehrten5.

Außer den großen Serenaden, welche an öffentlichen Plätzen für das Publicum aufgeführt wurden6, wurde die alte Sitte Ständchen vor den Fenstern derjenigen zu bringen, welchen man Neigung oder Verehrung bezeugen wollte, fleißig geübt, besonders war es üblich den Namenstag auf diese Art zu feiern7; da man wo möglich neue Stücke bei solchen Gelegenheiten zu produciren suchte, fanden die Componisten dadurch vielfache Beschäftigung8. Auch für diese Nachtmusiken waren Blasinstrumente, wenn auch nicht ausschließlich im Gebrauch, wie schon die bereits erwähnte kleine Nachtmusik für Saiteninstrumente beweist, so doch besonders beliebt. Gewöhnlich beschränkte man sich auf sechs Instrumente 2 Clarinetten, 2 Hörner und 2 Fagotts, man verstärkte sie aber auch wohl noch durch zwei Oboen9. Eine solche achtstimmige Harmonie genügte selbst für fürstliche Tafel- und Nachtmusik, so bei Kaiser Joseph, beim Churfürsten [110] von Köln; auch in Berlin war bei einem Hoffest im Jahr 1791 die Musik während der Abendtafeln nicht anders besetzt10.

Mozart verschmähte in der ersten Zeit seines Wiener Aufenthalts auch diese Gelegenheit nicht sich vortheilhaft bekannt zu machen. Er schreibt in einem seine Weise so recht charakterisirenden Briefe an den Vater (3 Nov. 1781): »Ich bitte um Verzeihung daß ich vergangenen Posttag nicht geschrieben habe – es war aber eben mein Namenstag [31 October], in der Frühe verrichtete ich also meine Andacht und – da ich eben schreiben wollte, so kamen mir eine Menge Gratulanten auf den Hals. Um 12 Uhr fuhr ich in die Leopoldstadt zur Baronne Waldstätten, alwo ich meinen Namenstag zugebracht habe. Auf die Nacht um 11 Uhr bekam ich eine Nachtmusik von zwey Clarinetten, zwey Horn und zwey Fagott und zwar von meiner eigenen Composition. Diese Musik hatte ich auf den Theresientag [15 Oct.] für die Schwester der Frau v. Hickl11 gemacht, alwo sie auch wirklich das erstemal producirt wurde Die sechs Herren, die solche exequutiren, sind arme Schlucker, die aber ganz hübsch zusammenblasen, besonders der erste Clarinettist und die zwey Waldhornisten. Die Hauptursache warum ich sie gemacht war, um dem Herrn von Strack (welcher täglich dahin kömmt) etwas von mir hören zu lassen, und deswegen habe ich sie auch ein wenig vernünftig gemacht. Sie hat auch allen Beyfall erhalten. Man hat sie in der Theresiennacht an dreyerley Orten gemacht; denn wenn sie wo damit fertig waren, so hat man sie wieder wo anders hingeführt und bezahlt«.

[111] Diese »etwas vernünftige« Composition ist die Serenade in Es-dur (André Verz. 165), welche von Mozart selbst durch Hinzufügung von zwei Oboen umgearbeitet ist. Ohne Zweifel fällt diese Umarbeitung (André Verz. 167) in dieselbe Zeit mit der Composition der Serenade in C-moll für acht Blasinstrumente, welche nach der Bemerkung Mozarts auf dem Autograph (André Verz. 166) 1782, und zwar Ende Juli (III S. 70), geschrieben ist. Für Arbeiten dieser Art hatte er damals mehr als eine Veranlassung. Er war sowohl mit dem Kaiser als mit dem Erzherzog Maximilian in nähere Verbindung getreten (III S. 48ff.), und da Reichardt 1783 Compositionen Mozarts bei Hofe hörte, so scheint es als ob der Versuch Stracks einflußreiche Protection zu gewinnen (III S. 55ff.) in dieser Hinsicht gelungen sei. Im Jahr 1782 aber verhandelte auch der Fürst Liechtenstein mit Mozart wegen Einrichtung einer Harmoniemusik (III S. 64), und mit Martin hatte er die Concerte im Augarten übernommen, an welche sich vier große öffentliche Nachtmusiken anschlossen (III S. 200).

Beide Serenaden sind vorzügliche, weit über die gewöhnliche Unterhaltungsmusik dieser Art hervorragende Compositionen, durch Stil und Behandlung Vorläufer der größeren Kammermusik12. Die erste Serenade in Es-dur hat bei der Umarbeitung im ersten Satz eine bedeutende Kürzung erfahren; er hatte ursprünglich zwei Theile, die Mozart dann in einen Satz zusammenzog, dem er durch Wegstreichen längerer Wiederholungen eine knappere Fassung gab. Uebrigens ist durch das Hinzutreten der Oboen allerdings größere [112] Abwechselung und Fülle gewonnen; man gewahrt aber noch deutlich, daß ne erst dem fertigen Werk zugesetzt sind. Wesentlich neue Elemente sind dadurch nicht hineingebracht, die Abänderungen sind meistens nur durch die neue Stimmenvertheilung veranlaßte, äußerliche Modificationen, sehr selten ist einmal eine kleine Verbesserung vorgenommen, wie wenn im Finale statt des anfänglichen


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gesetzt ist


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oder die folgende Passage der Clarinette im Finale


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in dieser Weise


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flüssiger gemacht ist. Das Ganze hat den echten Charakter einer Nachtmusik. Der erste Satz beginnt in einem glänzenden, ritterlichen Charakter, gegen den das unerwartet eintretende klagende zweite Thema, das wie in Seufzern sich verliert um mit um so größerer Innigkeit sich wieder aufzuschwingen, einen herrlichen Contrast bildet. Wenn man hier schon die liebeswarme Stimmung der Entführung zu spüren glaubt, so tritt diese noch deutlicher im Adagio hervor, in dessen schönem durch alle Stimmen vertheilten und verschlungenen Gesang man das innige Zwiegespräch Liebender vernimmt. Die Fröhlichkeit des letzten Satzes in Rondoform ist frisch und gesund, mit einem unverkennbaren Anklang an [113] volksthümliche Weisen, was aber nicht verhindert daß auch die Ausführung durch contrapunktische und harmonische Feinheiten ein erhöhtes Interesse gewinnt13.

Die zweite Serenade in C-moll macht keineswegs denselben Eindruck einer heiteren Huldigung. Sie hat, wie schon die Wahl der Molltonart erwarten läßt, etwas großartig Ernsthaftes, das aber nicht, wie sonst wohl, den Charakter des Schmerzlichen oder Wehmüthigen, sondern, vorzüglich im ersten Satz, eines kräftigen entschlossenen Widerstrebens annimmt. Bezeichnend ist dafür vorzüglich das zweite Thema, das bei seinem ersten Auftreten durch den Ausdruck einer klaren gefaßten Ruhe einen schönen Gegensatz gegen den leidenschaftlichen Anfang bildet und den kräftig heiteren Abschluß des ersten Theils begründet, während im zweiten Theil, wo es mit geringen Modificationen in Moll erscheint, zwar die Kraft aber nicht mehr jene Klarheit sich geltend macht, wodurch dann der erregte aber düstere Schluß des Satzes herbeigeführt wird14. Die beruhigte Stimmung [114] des Andante zeigt sich dem Grundcharakter des Ganzen namentlich dadurch verwandt, daß sie bei großer Zartheit des Ausdrucks nicht weich oder sehnsüchtig wird, sondern an einem gefaßten Ernst festhält, der ungemein wohlthuend wirkt. Im Menuett hat sich Mozart ein contrapunktisches Späßchen gemacht. Es ist ein zweistimmiger Canon in der Octave, welchen die Oboen und Fagotts gegen einander ausführen, während Clarinetten und Hörner als Füllstimmen benutzt sind; im Trio, welches vierstimmig gehalten ist, führen Oboen und Fagotts je einen zweistimmigen Canon al rovescio aus, in welchem die antwortende Stimme Rhythmus und Intervalle genau wiedergiebt, die letztere aber in umgekehrter Richtung:


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Bei Kunststücken dieser Art ist die erste Bedingung daß sie rund und vollständig und so leicht herauskommen, daß sie nicht mit Mühe herausgerechnet sondern durch einen glücklichen Wurf so geworden zu sein scheinen, und ferner daß die Schwierigkeiten der formellen Vollendung nur als eine eigenthümliche Würze des Wohlklangs erscheinen. Eine [115] höhere Bedeutung erhalten sie freilich erst, wenn auch eine künstlerische Stimmung sich in ihnen ausspricht und die Eigenthümlichkeiten der Form zu dem geeignetsten Mittel des charakteristischen Ausdrucks werden. So ist es hier. Das hartnäckige Widerstreben ist in dem Canon des Menuetts höchst charakteristisch ausgedrückt, während das Trio in seiner sanftruhigen aber stetigen Bewegung den sprechendsten Gegensatz dazu bildet. Der letzte Satz in Variationenform geht aus einer unruhig bewegten Stimmung allmählig in eine beruhigte über und schließt, indem er das Thema in Dur aufnimmt, frisch und kräftig.

Diese Serenade ist am meisten bekannt in der Form eines Quintetts für Saiteninstrumente, zu welchem es von Mozart umgearbeitet wurde15. Im Wesentlichen ist dadurch nichts geändert, nur der Gang der Mittelstimmen, Begleitungsfiguren u. dergl. ist hie und da modificirt worden16. Allein einige [116] Sätze, besonders das Andante, und noch mehr das Finale, haben durch die veränderte Klangfarbe sehr verloren, was von einzelnen Stellen auch der übrigen Sätze gilt.

Aus dem was oben angedeutet wurde geht hervor daß es nicht an Veranlassung für Mozart fehlte diese Gattung der Musik weiter auszubilden17; auch sind in der That mehrere Divertimenti für Harmoniemusik unter Mozarts Namen veröffentlicht. Da es aber an jeder äußern Gewähr für ihre Echtheit fehlt und da sie den oben erwähnten auf keinen Fall gleich stehen, so mag es hier an ihrer Erwähnung genügen18.

Ganz für sich steht ein Adagio in B-dur für zwei Clarinetten und drei Bassethörner da, welches sicher in die ersten Jahre des Wiener Aufenthalts fällt, ohne daß etwas Näheres über die Entstehung desselben bekannt wäre19. Die Anwendung der Bassethörner weist hier, wie bei anderen Compositionen (III S. 331. 416), auf eine bestimmte Veranlassung hin, bei welcher dieselben zur Verfügung gestellt waren, sowie auch ein einzelnes Adagio, das ganz selbständig erscheint, wohl nur für einen besonderen Zweck componirt wurde. Die eigenthümliche Zusammenstellung dieser nah verwandten Instrumente, mit ihrem vollen und weichen, in den tiefen Lagen dunklern Ton bringt schon durch die Klangfarbe einen ernsten und[117] feierlichen Eindruck hervor, dem musikalischen Gehalt entsprechend. Der Gesammtcharakter ist eine milde ernste Ruhe, der von Leidenschaftlichem nur soviel als nöthig beigemischt ist um diese Ruhe als eine aus tiefer Bewegung hervorgegangene verstehen zu lassen; es herrscht darin jene höhere, in sich selbst frei gewordene Sammlung des Gemüthes, welche in der Kunst wie im Leben Oberflächlichen und Ueberreizten oft als Kälte und Gleichgültigkeit erscheint, während nur tiefe und edle Naturen sie als die schönste Frucht schwerer Mühen und Erfahrung erringen.

Was diese Arbeiten für Harmoniemusik besonders charakterisirt ist die durchgängig seine Behandlung der Blasinstrumente; virtuosenmäßige Leistungen werden ihnen zwar nur ausnahmsweise zugemuthet, aber jeder muß durchaus selbständig seine Stelle mit Einsicht und Geschmack vertreten. Wie sein die Eigenthümlichkeiten der Instrumente auch benutzt sind, so ist doch nirgend die bloß materielle Klangwirkung als Effectmittel angewandt, auch hier ist es die lebendige freie Bewegung ganz bestimmter musikalischer Individuen, welche den eigentlichen Reiz dieser Compositionen ausmacht, die in dieser Beziehung sich ganz dem Charakter der Kammermusik anschließen. Dürfen wir in ihnen Studien für die Behandlung der Blasinstrumente erkennen, welche die Meisterschaft, mit der Mozart dieselben als Elemente des vollständigen Orchesters anwendete, ausbilden halfen, so legen sie auch ein vortheilhaftes Zeugniß für die Leistungen der Instrumentalisten ab, bei denen man nicht allein Ueberwindung technischer Schwierigkeiten, sondern auch Verständniß für die Feinheiten des Details und seelenvollen Vortrag erwarten konnte.

Die Instrumentalmusik leistete zu jener Zeit in Wien überhaupt sehr Bedeutendes. Eine große Anzahl brauchbarer, [118] zum Theil ausgezeichneter Künstler war dort vereinigt. Außer den beiden vortrefflich besetzten kaiserlichen Orchestern, welche in der deutschen und italiänischen Oper sowie beim deutschen Schauspiel thätig waren, außer den Privatkapellen vornehmer Häuser gab es noch freie Vereinigungen von Musikern, um größere oder kleinere Orchester wo man ihrer bedurfte zu stellen; und öffentliche wie Privatconcerte waren, wie wir gesehen haben, ungemein häufig. Die Besetzung war in der Regel nach jetzigem Maaßstab keine starke. Im Opernorchester waren die Blasinstrumente einfach, jede Violine sechsfach besetzt, dazu vier Bratschen, drei Violoncells und drei Bässe20. Bei besonderen Veranlassungen wurde das Orchester auch wohl verstärkt, regelmäßig in den großen Concerten für den Pensionsfond der Musiker (III S. 10), auch berichtet Mozart von der Aufführung einer Symphonie mit 40 Violinen und dem übrigen entsprechend erhöhten Orchester (das. S. 9) –, allein die meisten Orchestercompositionen verrathen selbst durch ihre Behandlung daß sie nicht auf große Massen berechnet sind. Die Reinheit und Gleichmäßigkeit in Stimmung und Ton, den belebten Vortrag der Wiener Orchester lobt ein Berichterstatter ausnehmend, der freilich kein Kenner zu sein scheint, aber das allgemeine Urtheil wiedergiebt21. Das Lob Nicolais, eines aufmerksamen Beobachters, der die Leistungen der Wiener Orchester mit denen anderer Kapellen einsichtig verglich, wiegt schwerer22. Und doch gesteht er als er bald darauf [119] das Münchner Orchester hörte, es habe seine hochgespannten Erwartungen sehr übertroffen, und beim Anfange eines Allegro sei er vollständig überrascht worden23. Es war also [120] von keiner geringen Bedeutung daß Mozart den Reichthum und die Kunst der Mannheimer und Münchner Orchester – wie auch des Pariser – genau studirt und sich mit ihnen versucht hatte, um was er dort erworben nun mit den Wiener Kräften und Mitteln anzuwenden und zu vollenden. Hiedurch war er in großem Vortheil gegen Haydn, dem nur die Esterhazysche Kapelle zur Verfügung stand, welche in dieser Beziehung sich nicht in ähnlicher Weise auszeichnete, und der nur bei seinen wiederholten Besuchen in Wien großartigere Aufführungen hörte. Nun ist es keinem Zweifel unterworfen, daß die Leistungen der Wiener Orchester ganz besonders durch die Anforderungen, welche Mozart an sie und namentlich an die Blasinstrumente stellte, wesentlich gefördert und gehoben wurden und dies um so mehr, je eifriger die gleichzeitigen Componisten sich bestrebten die Vortheile einer reichen Instrumentation auszubeuten. Zu diesen muß man auch Haydn zählen. So unbestritten ihm das Verdienst bleibt in der Symphonie dem freien Ausdruck der künstlerischen Individualität durch die Instrumentalmusik das größte Gebiet erobert, die Formen derselben festgestellt, ne mit reichem Gehalt erfüllt und in genialer Vielseitigkeit entwickelt zu haben: das reich ausgestattete, lebendig organisirte und sein gegliederte Orchester hat er nicht, wie man wohl annimmt, an Mozart überliefert, sondern von ihm empfangen. In allen Compositionen Haydns – Symphonien, Opern, Kirchenmusik –, welche vor Mozarts Wirksamkeit in Wien fallen, ist das Orchester in seiner früher üblichen Zusammensetzung und zwar geschickt und sein aber doch in [121] einer Weise angewendet welche mit seinen späteren Symphonien und Oratorien gar keinen Vergleich aushält24.

Von den sieben Symphonien, welche Mozart in Wien geschrieben hat, wurde die erste in D-dur wie wir sahen (III S. 70f.) im Sommer 1782 auf den Wunsch des Vaters für eine Salzburger Festlichkeit componirt. Unmittelbar nach der zweiten Aufführung der Entführung (19 Juli), wenige Tage vor seiner Trauung (4 August), im Gedränge anderer Arbeiten – er arrangirte zu gleicher Zeit seine Oper für Harmoniemusik und schrieb die Serenade in C-moll – componirte er diese Symphonie in kaum vierzehn Tagen und sandte die einzelnen Sätze wie sie fertig wurden seinem Vater zu. Kein Wunder daß er, als sie ihm später wieder zu Gesicht kam, »ganz surprenirt wurde«, weil er »kein Wort mehr davon wußte«. Sie hatte ihrer ursprünglichen Bestimmung gemäß die alte Serenatenform, wurde durch einen Marsch eingeleitet und hatte zwei Menuetts; als Mozart sie in seiner Akademie am 3 März 1783 in Wien aufführte, reducirte er sie durch Weglassung des Marsches und des einen Menuetts auf die üblichen vier Sätze. Nachträglich verstärkte er auch die Blasinstrumente25 im ersten oder letzten Satz durch Flöten und Clarinetten, welche in sehr wirksamer Weise den prächtigen [122] Glanz derselben erhöhen. Der Charakter des Festlichen, Rauschenden entspricht der ursprünglichen Veranlassung, auch in der Behandlung der einzelnen Sätze ist der Einfluß der alten Serenatenform noch kenntlich. Das erste Allegro hat nur das eine Grundmotiv, mit welchem es beginnt und das in kühnem Aufschwung


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mit solcher Festigkeit und Energie seinen Platz einnimmt daß man sich nicht wundert, wenn es denselben nicht wieder aufgiebt. So schreitet es durch den ganzen Satz, durch die herben Dissonanzen, welche es heraufruft und die von wundervoller Kräftigkeit und Frische sind, wie ein Eroberer fort bis zu Ende. Was daneben auftritt ist, abgesehen von einigen überleitenden und abschließenden Wendungen, aus diesem Grundgedanken hervorgegangen und ihm wesentlich angehörig, ein selbständiges Motiv kommt außerdem gar nicht zum Vorschein, der ganze Satz ist eine fortlaufende Behandlung dieses Themas. Daher wird auch der erste Theil, obwohl er bestimmt abgeschlossen ist, nicht wiederholt und die Durchführung, die wiederum dasselbe Thema ergreift, ist kurz gehalten, so daß der ganze Satz von der gewöhnlichen Form eines ersten Symphoniesatzes merklich abweicht. Das Andante ist in der einfachsten Liedform, zierlich und sein, ohne tiefere Ansprüche; der Menuett glänzend und frisch26. Das Finale in Rondoform, der Sitte gemäß ziemlich lang ausgeführt, ist lebhaft und glänzend, keineswegs unbedeutend, [123] wenn es auch dem ersten Theil an Kraft und Feuer nicht gleichkommt27.

Eine zweite Symphonie schrieb Mozart in größter Eile für das Concert, welches er am 4 Nov. 1783 bei der Durchreise in Linz gab, und wir sahen daß dies höchst wahrscheinlich eine kleine bisher ungedruckte Symphonie in G-dur ist (III S. 263ff.). Auch ist bereits hervorgehoben worden, wie sowohl diese als eine andere kleine Symphonie in C-dur (Part. N. 6), von welcher mit Sicherheit nur angenommen werden kann daß sie in Wien vor 1784 geschrieben ist, von dem Studium der Haydnschen Symphonien und dem directen Einfluß derselben die deutlichen Spuren trägt.

Zwischen diesen Symphonien und der nächsten inD-dur (Part. N. 1) liegen mehrere Jahre. Sie war für die Winterconcerte am 6 Dec. 1786 geschrieben, und fand besonders in Prag, wo sie Mozart im Januar 1787 aufführte, den außerordentlichsten Beifall28 – die lange Reihe der Klaviercompositionen und Figaro gingen derselben voran, man ist berechtigt höhere Ansprüche zu machen. In der That zeigt sich auf den ersten Blick eine andere Behandlung des Orchesters; es ist vollkommen organisirt und sowohl wo die Instrumente in ihrer Gesammtheit zusammenwirken, als in den verschiedenen Combinationen der einzelnen zeigt sich in den feinsten Detailzügen die lebendige Bewegung selbständiger Individualität. Der Gesammtton der Instrumentation ist sehr klar, glänzend, hie und da eher etwas scharf, ganz [124] verschieden z.B. von dem weichen und vollen Gesammtcharakter des Orchesters in der Es-dur Symphonie; aber dieser Ton ist absichtlich gewählt und hier der richtige. In der formalen Behandlung mag man in dem Umstand daß dem ersten Allegro eine feierliche Einleitung vorgesetzt ist, in einzelnen Zügen des Andante z.B. dem epigrammatlichen Schluß, vielleicht auch des letzten Satzes, noch Spuren Haydnschen Einflusses finden, in allem Wesentlichen haben wir hier den ganzen, durchaus selbständigen Mozart. Das feierlich ernste, breit gehaltene Adagio ist eine völlig angemessene Vorbereitung auf das Allegro, das seinem Gesammtcharakter nach ein thatkräftiges Streben lebhaft aber mit Ernst ausdrückt. In diesem Allegro liegt nun die Form eines großen Symphoniesatzes völlig ausgebildet vor uns. Das Hauptmotiv wird nicht allein zu Anfang vollständig ausgesprochen


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sondern es kehrt nach einem Halbschluß auf der Dominante, wobei eine charakteristische Figur


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[125] hervortritt, wieder, so daß nun die Periode B selbständig weiter ausgeführt wird; nun erst mit einem vollständigen Schluß in der Dominante tritt das zweite, sehr charakteristische und eigenthümlich behandelte zweite Motiv auf; den Abschluß des Theils leitet die Figur D ein, so daß auch ein Glied des HauptmotivsA wieder berührt wird. Der Durchführung im zweiten Theil wird zunächst das dritte Glied des ersten Themas C zu Grunde gelegt. Diese beiden Takte, die dort nur als eine vermittelnde Passage erschienen, werden hier als selbständiges Motiv imitatorisch behandelt, bald tritt B als Gegenmotiv, dann auch D hinzu, alle drei werden gemeinsam bearbeitet, Nebengedanken des ersten Theils kommen auch wieder zum Vorschein, bis der Hauptgedanke A auf der Dominante nach D-moll hinweisend eintritt, die anderen Motive drängen sich gleichzeitig hinzu und auf einem langen Orgelpunkt gleiten sie in allmählicher Beruhigung in das erste Motiv zurück, mit dem die in manchen Punkten modificirte Wiederholung des ersten Theils beginnt. In dieser auch räumlich ausgedehnten Durchführung werden alle Keime des eigenthümlichen Grundgedankens nach allen Seiten hin entwickelt, hier ist lebendiges Ringen und Streben; was im ersten Theil gleichsam nur hingestellt war, erscheint bei der Wiederholung nach dieser Verarbeitung der einzelnen Elemente wie in einer höheren Potenz, gerechtfertigt und begründet, und erweckt deshalb auch im Hörer eine größere Befriedigung. Vom schönsten Liebreiz ist das frühlingsfrische, [126] durchsichtig klare Andante. Bei der größten Zartheit und Anmuth wird der Ausdruck der Empfindung nicht weich und streift nur einigemal vorübergehend an den Ton des Sehnsüchtigen; den besonderen Charakter aber giebt ihm das kurze, wie abbrechende Motiv


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welches bald im Unisono bald imitirt zwischen Oberstimme und Baß in verschiedenen harmonischen Wendungen sich durch das Ganze hindurchzieht, bald neckisch herausfordernd, bald bedenklich zurückhaltend, wodurch denn eine ganz eigenthümliche Mischung entsteht. Der letzte Satz – denn diese Symphonie hat keinen Menuett – entfaltet die größte Regsamkeit und Lebhaftigkeit ohne irgend eine ausgelassene Laune zu verrathen; diese heitere Rührigkeit entspricht der festen Haltung welche auch in den übrigen Sätzen herrscht. Es ist die mittlere Stimmung, welche in vielen Tondichtungen Mozarts, wie Ambros (Gränzen der Mus. u. Poesie S. 56) bemerkt, »keine Folge der Unfähigkeit zu einem Fluge in höhere Regionen ist, sondern einer edlen, maßvollen Ausgeglichenheit aller Kräfte, die einander im schönsten Gleichgewicht halten.« Das Wesen derselben ist, um ästhetische Ausdrücke der Alten zu gebrauchen, mehr ethisch als pathetisch; der Charakter, das Feste und Bleibende, findet in ihnen seinen Ausdruck viel mehr als die Leidenschaft, die vorübergehende, momentane Erregung. Ein in diesem Sinn ethisches Kunstwerk ist so weit entfernt davon eine untergeordnete Stufe gegen das pathetische einzunehmen, daß es vielmehr eine um so energischere Vertiefung und sichere Kraft des Künstlers voraussetzt, da derselbe auf die unmittelbarer und verständlicher wirksamen Mittel zum Ausdruck der Leidenschaft verzichtet.

[127] Es vergingen anderthalb Jahre bis Mozart sich wieder der Symphonie zuwandte; dann entstanden im Sommer 1788 innerhalb anderthalb Monate die drei Symphonien in Es-dur (26 Juni), G-moll (25 Juli) und C-dur (10 Aug.), welche man jetzt meistens im Sinne hat, wenn von Mozarts Orchestercompositionen die Rede ist. Es wäre unbegreiflich, wie in so kurzer Frist wesentlich verschiedenartige Werke von so reichem und bedeutendem Gehalt, so tiefem Wissen, so reifer Schönheit entstehen konnten, wenn man sie nicht als einen neuen Beweis ansehen müßte, daß die Seele des Künstlers unter den mannigfachsten Eindrücken des Lebens stets arbeitet und schafft, und im Verborgenen geheimnißvoll und unaufhörlich die Fäden zusammenschießen aus welchen sie das Kunstwerk webt und wirkt. Nach den verschiedensten Richtungen hin offenbaren diese drei Symphonien die Meisterschaft, mit welcher Mozart das Orchester zum ausdrucksvollen Organ seiner künstlerischen Stimmung zu machen, demselben Leben und Seele einzuflößen wußte. »Er hauchte seinen Instrumenten den sehnsuchtsvollen Athem der menschlichen Stimme ein, der sein Genius mit weit vorwaltender Liebe sich zuneigte. Den unversiegbaren Strom reicher Harmonie leitete er in das Herz der Melodie, gleichsam in rastloser Sorge ihr, der nur von Instrumenten vorgetragenen, ersatzweise die Gefühlstiefe und Inbrunst zu geben, wie sie der natürlichen menschlichen Stimme als unerschöpflicher Quell des Ausdrucks im Innersten des Herzens zu Grunde liegt. – So erhob er die Gesangsausdrucksfähigkeit des Instrumentalen zu der Höhe, daß sie die ganze Tiefe unendlicher Herzenssehnsucht in sich zu fassen vermochte«29. Dies war natürlich [128] nur durch die feinste Ausbildung der einzelnen Instrumentalkräfte nach ihrer individuellen Eigenthümlichkeit für die zartesten Nuancen und Schattirungen des Ausdrucks zu erreichen, und man darf nur die Verschiedenheit der Tonfärbung im Ganzen und Einzelnen, welche jede dieser Symphonien in völliger Uebereinstimmung mit ihrem inneren Gehalt charakterisirt, sich vergegenwärtigen um die Freiheit und Sicherheit zu würdigen, mit welcher Mozart die Töne mischt, wie der Maler seine Farben. Und zwar nicht um durch ungewöhnliche Combinationen einzelne überraschende Effecte hervorzubringen, sondern um ein durchgebildetes, harmonisches Colorit zu gewinnen, durch welches das Einzelne am rechten Platz, in der richtigen Beleuchtung seine volle Wirkung thut. Daher wird man auch nicht leicht Stellen finden, in denen die Klangwirkung der ursprünglichen Intention nicht zu entsprechen scheint; so wie er es horte und wollte, so klingt es auch. In allen Richtungen der künstlerischen Gestaltung gewahrt man dieselbe Sicherheit, dasselbe Maaßhalten, daher auch dieselbe Harmonie und Reinheit; nirgends ist ein Ueberschuß dessen was der Künstler gewollt hat gegen das was er erreichen konnte, überall volle Befriedigung, schöne Vollendung.

Die Symphonie in Es-dur (Part. 3)30 erscheint als ein wahrer Triumph des Wohllauts. Mozart hat hier Clarinetten [129] angewendet, und die Verbindung derselben mit den Hörnern und Fagotts bringt jene volle, markige und saftige Klangfarbe hervor, welche im modernen Orchester ein so wesentliches Element geworden ist, die durch das Hinzutreten der Flöte ein helles Licht, durch den Zusatz der Trompeten einen frischen Glanz erhält. Es genügt an die schönen Stellen im Andante wo die Blasinstrumente sich imitirend eintreten, oder an das reizende Trio des Menuetts zu erinnern um klar zu machen, von welcher Bedeutung die Wahl dieser Klangfarben für den charakteristischen Ausdruck ist. Der üppige Reiz des Wohllauts, der Glanz einer zur vollsten Reise erblüheten Schönheit, mit welchen diese Symphonie wie gesättigt ist, daß sie einen Eindruck macht, wie wenn das Auge durch die leuchtende Farbenpracht und den reichen Segen eines schönen Sommertags entzückt wird, sind der volle Ausdruck für das Gefühl einer in sich befriedigten Glückseligkeit. Nicht eine nur im sinnlichen Genuß schwelgende Erregung, sondern die Empfindung des Glücks, welche auf dem Gefühl der vollen Gesundheit und Kraft, des durch keine inneren oder äußeren Hemmungen gestörten Vermögens zu schaffen und zu genießen, der liebevollen Hingabe an ein schönes und reiches Dasein beruht, ist es welche voll und rein dieses köstliche Tongebilde durchdringt und ihm seine Schönheit verleiht. Wie selten ist er dem Menschen im Leben vergönnt, dieser ungetheilte Genuß des Glücks und der Freude, wie selten gelingt es der Kunst ihn ganz und rein zu verklären! Und wie mannigfach spricht sich diese Empfindung hier aus. Mit dem Gefühl des Stolzes und der Bewunderung, wie es das Bewußtsein der eigenen Kraft in ihrem Vollgenuß verleihet, in der prachtvollen Einleitung, während das darauf folgende Allegro das Behagen des Genießens bald mit einer gewissen Beschaulichkeit, bald in [130] heiterer Fröhlichkeit, bald in thatkräftiger Regung, stets in gehobener, edler Fassung ausdrückt. Im Andante streifen zwar einzelne leichte Schatten in die ruhige, sommerabendliche Stimmung, aber sie verdüstern das milde darüber ausgegossene Licht nicht, sondern lassen nur die Klarheit des Gemüths um so deutlicher hervortreten, das bei sich selbst einkehrt um seines inneren Friedens froh zu werden. Das ist die echte Quelle eines heiteren Uebermuths, wie er in den letzten Sätzen herrscht, der nicht aus einem inneren Zerwürfniß, sondern aus der Freude an der eigenen Kraft und aus der Lust am Dasein hervorgeht. Der letzte Satz namentlich entfaltet eine neckische Jovialität, welche bei Haydn häufiger als bei Mozart ist, und wahrt durch die seine und edle Haltung der schalkhaften Laune sehr glücklich den in den vorhergehenden Sätzen festgehaltenen Ton. Harmonische und ganz besonders rhythmische Ueberraschungen geben diesem Satze sein eigenthümliches Gepräge. So ist es von äußerst komischer Wirkung, wenn die Blasinstrumente das von den Geigen begonnene Thema fortsetzen wollen, aber weil jene ihren eigenen Weg fortsetzen, wie aus dem Context gebracht wieder abbrechen und verstummen. Diesem neckischen Charakter entspricht auch der scherzhafte Schluß, der Nägeli (Vorlesungen S. 158) »so stillos unschließend« erscheint, »so abschnappend, daß der unbefangne Hörer nicht weiß, wie ihm geschieht«31.

Den graden Gegensatz bildet die G-moll Symphonie (Part. 2. André Verz. 128). Schüttete dort Mozart ein [131] reiches Füllhorn von Glück und Freude aus, so läßt er hier nur Schmerz und Klage vernehmen. Schon die Wahl der Tonart läßt unwillkührlich einen vergleichenden Blick auf das Klavierquartett (comp. Aug. 1785) und das Quintett (comp. 16 Mai 1787) inG-moll werfen. Allerdings ist auch die Stimmung eine verwandte, allein während dort der Schmerz sich beruhigt oder gar in Jubel umschlägt, wächst er hier in fortdauernder Steigerung bis zu einer wilden Luft, die den Schmerz übertäuben will. Und diese Steigerung ist mit seinem Gefühl und sicherem Takt herausgebracht32. Mit leiser Klage beginnt der erste Satz, welche durch die Regung einer ruhig tröstlichen Empfindung im zweiten Thema kaum unterbrochen wird; im zweiten Theil wächst in der Durchführung der Ausdruck der sanften Klage


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zu den schneidendsten Schmerzensrufen, aber im Ringen und Kämpfen sinkt die Kraft des Widerstandes wieder zur Klage herab. Dagegen tritt im Andante die tröstliche Empfindung in den Vordergrund, zwar kein Ausruhen im sicheren Bewnßtsein des inneren Friedens, vielmehr ein Streben und Sehnen nach demselben, nicht mit Klagen und Seufzen, sondern in ernster Gefaßtheit, die sich selbst bis zu heiterem Spiel zu erheben sucht33. Mit dem Menuett aber tritt eine [132] andere Wendung ein; ein entschlossener Widerstand wild mit gesammelter Kraft begonnen, festen Schrittes geht es auf den Feind zu, vergebens – auch diese Kraftanstrengung löst sich in Klagen auf. Daher kann denn auch der süße Trost, der im Trio weicher und zarter als im Andante sich vernehmen läßt, nicht dauernd befriedigen; noch einmal wird der Kampf versucht und verhallt wieder in Klagen. Frieden bringt hienach auch der letzte Satz nicht, sondern eine wilde Luft, die den Schmerz austoben lassen und sich im Genuß desselben sättigen will, stürmt durch denselben in unruhiger Hast und Aufregung. Von den Mozartschen Symphonien ist diese die leidenschaftlichste; indessen hat der Meister auch hier nicht vergessen daß »die Musik auch in der schaudervollsten Lage Musik bleiben soll« (III S. 114) und im charakteristischen Ausdruck der Leidenschaft die Schönheit gewahrt. Was Goethe vom Laokoon sagt das findet auch hier seine Anwendung (Werke XXIV S. 233): »Wir dürfen kühnlich behaupten daß dieses Kunstwerk seinen Gegenstand erschöpfe und alle Kunstbedingungen glücklich erfülle. Es lehrt uns daß, wenn der Meister sein Schönheitsgefühl ruhigen und einfachen Gegenständen einflößen kann, sich doch eigentlich dasselbe in seiner höchsten Energie und Würde zeige, wenn es bei Bildung mannigfaltiger Charaktere seine Kraft beweist und die leidenschaftlichen Ausbrüche der menschlichen Natur in der Kunstnachahmung zu mäßigen und zu bändigen versteht.« Und in dem Sinne, in welchem Goethe den [133] Laokoon anmuthig zu nennen wagt, wird auch dieser Symphonie trotz starker Schärfen und Härten Niemand die Anmuth absprechen34. Der Natur der Sache nach werden die Darstellungsmittel hier ganz anders wie in der Es-dur Symphonie verwendet. Die Umrisse sind schärfer geführt und gegeneinander gestellt, ohne die reichen Ausfüllungen, welche dort einen so vollen und glänzenden Eindruck machen; dadurch wird theils eine große Klarheit theils eine gewisse Strenge und Herbigkeit erreicht. Dem entspricht auch die Instrumentation; sie ist nicht allein auf ein knapperes Maaß beschränkt35, sondern hat durchgehends einen scharfen, mitunter schneidenden Charakter. Es ist interessant daß Mozart bei einer späteren Aufführung der Klangfarbe mehr intensive Kraft und Fülle durch das Hinzufügen von Clarinetten gegeben hat, und zwar beschränkte er sich dabei nicht auf eine Verstärkung, wie bei der D-dur Symphonie, sondern er arbeitete die ursprünglichen Oboenstimmen so um, daß bedeutende, charakteristische Partien den Clarinetten – besonders im Andante – ganz zufielen, andere den Oboen [134] allein blieben, während sie häufig auch zusammenwirken; nur im Menuett setzte er keine Clarinetten hinzu36.

Von ganz verschiedenem Charakter ist endlich die letzte Symphonie in C-dur (Part. 4. André Verz. 129), in mehr als einem Betracht die größte und höchste, obgleich sie weder so leidenschaftlich bewegt wie die G-moll Symphonie noch so üppig reizend wie die in Es-dur ist37. Vor allem fällt die Würde und Feierlichkeit in der ganzen Haltung auf, welche im ersten Satz in einen glänzenden Pomp hinüberstreift, an dessen stattlicher Ausbreitung unleugbar auch das sinnliche Behagen an dem prächtigen Klang seinen Antheil hat. Aber diese äußere Pracht ist nicht das Wesentliche, ein wirklich vornehmer Sinn, eine tüchtige Kraft und männliche Würde durchdringt das Ganze; die stolze Haltung, das glänzende Auftreten sind im Gefolge der Freiheit und Kühnheit charakteristische Attribute echten Adels. Leidenschaftliche Erregung tritt nicht hervor, aber neben lebendiger Kraft anmuthige Zartheit und eine hoch gehobene Heiterkeit, welche in dem schon früher (S. 27f.) ausgezeichneten Motiv, das zum Schluß des ersten Theils überraschend eintritt, in wunderbarer Klarheit hell aufleuchtet. Die Tiefe der Empfindung offenbart in noch höherem Grade das Andante, welches in seiner schönen Ruhe uns doch auch die leidenschaftlichen Regungen und Kämpfe offenbart, aus denen sie hervorgegangen ist; allein wie stark und herbe diese auch ausgesprochen werden, so bilden sie doch nur den Hintergrund [135] für das Bild eines Seelenfriedens, den sie nicht mehr trüben können, der so fest gegründet, so seiner selbst gewiß ist, daß er in voller Freiheit auch gewaltig erschütternde Eindrücke heraufbeschwören und beherrschen kann. Ist der Eindruck dieser großartigen zur edelsten Milde gereisten, wahrhaft sittlichen Kraft ein erhebender, so ruft der Menuett durch sein Wesen jenes heitere Motiv des ersten Satzes wieder ins Gedächtniß. Es ist ein Schwung, eine Elasticität in der leichten und freien Bewegung desselben, eine Freudigkeit und Frische, welcher die Uebung der Kräfte Spiel und Genuß ist, von einer Feinheit und einem Adel getragen, daß sich der Hörer in ein reineres Element entrückt glaubt, in welchem er leicht und mühelos lebt wie die homerischen Götter. Das Finale ist jenes Meisterwerk, in welchem die staunenswerthe contrapunktische Kunst mit einer Freiheit geübt wird, daß auch ein Zuhörer, welcher von dieser Meisterschaft und ihren Bedingungen keine Ahnung hat, denselben vollkommen befriedigenden Eindruck eines glänzenden, prachtvollen aus dem freien Zusammenwirken der edelsten Kräfte hervorgehenden ritterlichen Spiels gewinnt, welchen die vorhergehenden Sätze hervorgerufen haben. In dem Hauptthema, mit welchem es beginnt


14.

finden wir ein Motiv wieder, das Mozart von früher Jugend an viel beschäftigt hat, das uns schon in mehreren Messen, in einer Symphonie, einer Klaviersonate begegnet ist38; hier scheint er damit haben abschließen zu wollen. Zunächst nimmt er es zum Fugenthema, später kommt es auch in der Umkehrung vor


14.

[136] Dann aber gesellen sich andere Motive dazu, ein prägnant rhythmisches


14.

oder in der Umkehrung


14.

das mit seinen scharfen Accenten in der verschiedensten Weise dreinschlägt und als abschließende Periode mit einem andern Motiv verbunden wird, so daß zugleich ein drittes hinzutritt


14.

Alle diese einzelnen Motive, zum Theil wieder in kleinere Glieder aufgelöst, werden nebst anderen Nebengedanken ebensowohl als selbständige Elemente contrapunktischer Bearbeitung, als in den mannigfachsten Combinationen zu zweien, dreien und vieren mit einander verflochten und verarbeitet, was zu nicht minder staunenswerthen harmonischen Wendungen von größter Kraft und Kühnheit und mitunter schneidender Herbigkeit Veranlassung giebt. Es kommt kaum ein noch so kleines Glied vor, das nur eine vorübergehende Bedeutung hätte; jedes Element kommt irgendwo zu selbständiger Geltung. Eine eingehende Analyse kann hier nicht [137] die Aufgabe sein, sie würde die Bewunderung vor einer künstlerischen Meisterschaft nur steigern welche die strengsten Formen so geschmeidig zu machen weiß, daß sie nur dem feurigen Erguß einer frei dahin strömenden Beredsamkeit zu dienen scheinen und in ihrer lebensvollen Entwickelung eine Fülle von Heiterkeit und Glanz verbreiten39.

Tritt nun auch die contrapunktische Kunst in diesem Satze so entschieden in den Vordergrund wie sonst nirgend, so ist sie doch in diesen Symphonien überall als die gestaltende Kraft thätig, und zwar nicht allein in den eigentlichen Durchführungssätzen, vielmehr beruht das anziehende und fesselnde Interesse, welches die lebendige, in einem nothwendigen Zusammenhang fortschreitende Entwickelung aller Sätze hervorruft, wesentlich auf der reichen und freien Verwendung [138] der mannigfachen Mittel contrapunktischer Schreibweise. Allerdings sind sie mit einer Leichtigkeit und Sicherheit angewendet, daß diese Darstellungsweise als der natürliche Ausdruck dessen erscheint was der Componist sagen will, und nicht allein als die vollständig gelungene Erfüllung der bestimmten einfacheren oder künstlicheren Form, welche für diesen Zweck gewählt ist, sondern als die freie Erscheinung der künstlerischen Schönheit überhaupt. Diese Freiheit durchdringt alle einzelnen Elemente des Ganzen und ruft die selbständige, leichte und naturgemäße Bewegung derselben hervor; auch die Kunst der freien Benutzung der Klangfarben hängt unmittelbar damit zusammen, sie dient nur dazu die individuelle Charakteristik der durch die Kunst der Stimmführung selbständig gewordenen einzelnen Stimmen schärfer zu bestimmen, ohne diese Voraussetzung würde sie ein leeres Spiel mit dem Reiz des Klanges sein40. In der Vereinigung beider beruht die Kunst das Orchester als einen belebten Organismus zum Ausdruck der künstlerischen Idee zu machen, welche den schöpferischen Impuls der gesammten Gestaltung giebt und das Maaß für die in jedem einzelnen Moment zu bewegenden Kräfte. Das sichere Gefühl für die Entwickelungsfähigkeit des einzelnen Motivs nach Art und Ausdehnung der Bearbeitung, für das Verhältniß der verschiedenen mit einander in Contrast und Conflict tretenden [139] Elemente, nicht minder für die Proportion der Theile der einzelnen Sätze41 und wiederum dieser zu einem Ganzen endlich auch für die Vertheilung und Mischung der Klangfarben ist die Grundbedingung für die Schöpfung eines Kunstwerks das als eine Totalität wirken soll; auch der Meister erwirbt dasselbe nur, indem er durch die Erfahrung, welche gewissenhaftes Arbeiten erwirbt, das Talent, welches die gütige Natur verleiht, bildet.

Daß in Mozarts großen Symphonien der glücklichste Verein von Erfindung und Wissen, Gefühl und Geschmack Werke von großer Vollendung und Schönheit geschaffen hat werden wenige in Abrede stellen; daß sie auch der charakteristische Ausdruck des gesammten zu künstlerischer Production gesteigerten Seelenlebens seien, daß ihre ganze Organisation daraus mit Nothwendigkeit hervorgegangen sei, ist, wie auch bei einigen anderen der bedeutendsten Instrumentalcompositionen, in kurzen allgemeinen Umrissen anzudeuten versucht. Wenn das Wort, welches schon der bildenden Kunst gegenüber sich ungenügend erweist, den Gehalt eines musikalischen Kunstwerks wiederzugeben unternimmt, wird der Erfolg stets zweifelhaft sein. Nicht allein wird das begriffliche Moment durch das Wort nothwendig schärfer hervorgehoben als es im Wesen der musikalischen Darstellung liegt, auch die Subjectivität dessen, der das Wort anwendet, mischt sich als ein dem Musikalischen Fremdes hinein: von zwei Seiten her wird das was als der reine Kern des musikalisch [140] ausgedrückten gewonnen werden soll alterirt. Dies beweist nur daß Wort und Ton, als Mittel der künstlerischen Darstellung in Rede und Musik, verschiedene Seiten der geistigen Natur des Menschen, wenn auch nicht ausschließlich so doch vorwiegend, in Anspruch nehmen, nicht aber, daß dieselbe zu künstlerischem Schaffen angeregte Stimmung nicht ihren vollständigen Ausdruck in den sich keineswegs deckenden Darstellungen durch Rede und Musik finden könne. Es wird daher kaum zu vermeiden sein daß man dies Allgemeine, in welchem beide beruhen, nicht durch Worte zu bezeichnen suche, deren Unzulänglichkeit zuzugestehen ist, wenn sie gleich deshalb noch nicht nothwendig unwahr sind. Man hat indessen neuerdings in Abrede gestellt daß Mozarts Compositionen aus scharf bestimmten Seelenstimmungen als ein Ganzes mit Nothwendigkeit hervorgegangen seien und in diesem Umstande einen charakteristischen Unterschied gegen Beethoven gefunden42. Wenn man die Kunstrichtung Beethovens als die des Geistes im Gegensatz gegen die frühere, namentlich auch Mozartsche, als die Kunst der Seele bezeichnet43, so ist damit ohne Zweifel auf ein bedeutsames Moment hingewiesen; allein soll dieser Unterschied als ein erschöpfender, als ein wesentlich qualitativer geltend gemacht werden, so wird der rechte Gesichtspunkt dadurch verrückt. Es ist kein Zweifel [141] daß Beethoven Saiten des menschlichen Gemüths zum Tönen gebracht hat, welche vor ihm Niemand angeschlagen hat, daß er Darstellungsmittel zur Anwendung gebracht hat von einer Energie und Macht des ergreifendsten Ausdrucks, wie sie bis dahin unerhört waren, daß er ein echter Sohn der Zeit die ihn geboren hat den Kampf der Leidenschaften, das tiefste Ringen und Streben nach individueller Freiheit gewaltiger und rücksichtsloser in der künstlerischen Darstellung ausspricht als man es vor ihm vermochte; es ist daher begreiflich daß seine Compositionen denen die mit ihm gelebt haben, an ihm herangezogen sind, in ihrem specifischen Ausdruck der künstlerischen Stimmung unmittelbar verständlich sind. Allein die menschliche Natur in ihren Grundzügen bleibt stets dieselbe und die wahren und echten Impulse des künstlerischen Schaffens gehen aus den gemeinsamen, dem Wesen nach unveränderlichen Momenten der Menschennatur hervor, nur das individuelle Gepräge drückt dem bildsamen Element der arbeitende Künstler auf, und wenn dieses unter gewissen Umständen nicht überall gleich verständlich ist, so folgt daraus noch nicht daß nicht der Gehalt der alte echte sei. Mit dem Zugeständniß einer durch Formvollendung befriedigenden Schönheit und Grazie, welche auf den Anspruch eines tiefen Gehalts verzichten lasse44, ist daher, wenn wir einem Kunstwerk gegenüberstehen, so wenig gewonnen als mit der Ansicht, welche zufällige, ohne inneren Zusammenhang an einander gereihete Stimmungen [142] an die Stelle einer consequenten inneren Entwickelung setzen will45. Denn weder kann in einem wirklichen Kunstwerke Form und Gehalt absolut getrennt werden, oder gar eins das andere ersetzen, noch kann ein Kunstwerk ein Ganzes sein und als ein Ganzes wirken, wenn es nicht in seiner Totalität empfangen und gereist ist und diese Ganzheit und Einheit der künstlerischen Stimmung zum klaren Ausdruck bringt. Erinnert man sich daß die Zeitgenossen Mozarts in eben den Compositionen einen bis zur Uebertreibung lebhaften und kräftigen Ausdruck der Empfindung, unverständliche Tiefe und Ueberspanntheit einer durch die schärfsten Contraste frappirenden Charakteristik fanden, in welchen unsere Zeit das edelste Maaßhalten, die reinste Harmonie, die Verklärung vollendeter Schönheit oder wohl auch eine Abschwächung gehaltvoller Kraft zum anmuthigen Formenspiel [143] erkennt, so ergiebt sich daß in dem veränderten Standpunkt des Zuhörers liegt was man in der Beschaffenheit des Kunstwerks zu finden glaubte. Wer sich von den zufälligen Gewöhnungen und Voraussetzungen einer bestimmten musikalischen Epoche frei macht und an das Kunstwerk mit dem Maaßstab herantritt, welcher in den allgemein gültigen Gesetzen der Kunst begründet ist, wer ferner die Individualität einer künstlerischen Natur als solche lebendig erfaßt, der wird sich auch hier im Genießen wie im Urtheilen nicht irren lassen.

Fußnoten

1 So reducirte der Fürst Krazalkoviz seine große Kapelle später auf eine Harmoniemusik (Jahrb. d. Tonk. 1796 S. 77f.).


2 Es waren Trübensee und Wendt als Oboisten, die Gebrüder Stadler als Clarinettisten, Rub und Eisen als Hornisten, Kautzner und Druben als Fagottisten. Cramer Magaz. f. Mus. I S. 1400f. musik. Korresp. 1790 S. 31.


3 Wir sahen auch Mozart damit beschäftigt die Entführung für Harmoniemusik zu arrangiren (III S. 70).


4 A. M. Z. XV S. 668.


5 Vgl. I S. 585. III S. 485. Für die Tafel im Augarten war eine eigene Harmonie engagirt (Jahrb. d. Tonk. 1796 S. 78).


6 Vgl. I S. 569. III S. 200f. Nicolai rühmt auch die Militärharmoniemusik sehr, welche alle Abende vor der Hauptwache auf dem Hofe aufgeführt wurde (Reise IV S. 558).


7 Daß diese Sitte noch lebendig ist davon machen z.B. die Bewohner Bonns entsetzliche Erfahrungen.


8 Haydn erzählte, wie er als junger Mann eine Serenade für drei Instrumente componirt hatte, welche er vor dem Fenster der schönen Frau von Kurz (Bernardon) aufführte, was die Veranlassung zu seiner ersten komischen Oper gab (Carpani Haydine p. 81); auch Gyrowetz berichtet (Biogr. S. 5), daß er als junger Student (d.i. Schüler) Serenaden componirte und mit seinen Commilitonen aufführte.


9 Ein solches Ständchen ist in Così fan tutte in dem von den 6 Blasinstrumenten begleiteten Duett und Chor (21), sowie die Tafelmusik im zweiten Finale des Don Giovanni der Wirklichkeit nachgebildet.


10 Musik. Korr. 1791 S. 366.


11 Jos. Hickl (geb. 1734, gest. 1807) war k.k. Kammermaler, als Portraitmaler sehr angesehen und stand sowohl bei Maria Theresia als Joseph II in großer Gunst.


12 Beide achtstimmige Serenaden sind in Partitur erschienen bei André in Offenbach. In Stimmen ist die erste Serenade in Es-dur sechsstimmig gedruckt in Mozarts Pièces d'harmonie bei Breitkopf & Härtel; die zweite in C-moll unter dem Titel Ottetto bei Peters in Leipzig.


13 Die Serenade hat zwei Menuetts, von denen der zweite ganz besonders sich dem Haydnschen Charakter nähert. Vielleicht sollten sie bei der Umarbeitung fortbleiben, denn in Mozarts eigenhändiger, von ihm durchpaginirter Partitur fehlen sie, und sind nur in Abschrift beigelegt.


14 Diese ausdrucksvolle Melodie ist auch durch ihre rhythmische Structur bemerkenswerth. Sie besteht aus zwei sechstaktigen Perioden, von welchen die erste aus zwei Gliedern von je drei Takten


14.

und


14.

gebildet ist; nachdem dieselbe wiederholt wurde, schließt sich die zweite aus denselben melodischen Elementen gestaltete, aber aus drei Gliedern von je zwei Takten gebildete Periode


14.

an, welche ebenfalls wiederholt wird.


15 Die Veranlassung ist nicht bekannt; da das Quintett nicht in Mozarts thematischem Verzeichniß vorkommt, wird das Arrangement vor 1784 gemacht sein. Gedruckt ist es in Wien bei Mozarts Lebzeiten mit den beiden Quintetts in C-dur und G-moll.


16 Im Andante ist S. 28, Takt 15 der Heckelschen Partitur ein Takt ausgefallen; statt


14.

lautet es ursprünglich


14.

was der rhythmischen Gliederung besser entspricht.


17 Der Anfang eines achtstimmigen Allegros ist unter den Entwürfen verzeichnet (Beil. XXII, 72).


18 Zwei Sammlungen, eine acht-, eine sechsstimmige, sind unter dem Titel Pièces d'harmonie bei Breitkopf u. Härtel, zwei Hefte Trois Serenades (fünfstimmig) bei Simrock in Bonn erschienen; ein großer Theil ist nach bekannten Mozartschen Compositionen verschiedenster Art arrangirt, für die andern ist keine Gewähr da.


19 Die Partitur ist nach dem Original (André Verz. 168) gedruckt bei André in Offenbach. Von einem Adagio für Clarinette und drei Bassethörner waren die ersten Takte aufgeschrieben (Beil. XXII, 73), etwas weiter geführt war ein Allegro für 2 Clarinetten und drei Bassethörner (Beil. XXII, 74).


20 So giebt es Meyer (Schröders Leben I S. 357) für das Jahr 1781 an (vgl. A. M. Z. XXIV S. 268), und damit stimmen noch die Verzeichnisse im Jahrb. d. Tonkunst 1796 S. 92ff. überein.


21 K. R[isbeck] Briefe üb. Deutschld. I S. 279f.


22 Nicolai Reise IV S. 542f.: »Ich hörte in Wien Haydns und Wanhalls Symphonien beinahe ebenso wie ich sie in Berlin gehört hatte. Im Bogen war der Unterschied am merklichsten, aber nicht so merklich als ich mir vorgestellt hatte. Bei den Stellen wo die Stärke des Bogens kurz gebraucht und abgesetzt wird, welches besonders Haydns Werke auf eine besondere Art erfordern, desgleichen, wo verschiedene kurz tokkirte Noten mit kurzem Bogen nach einander gespielt werden müssen, merkt man den Unterschied am deutlichsten. Die letztere Art von Noten spielen die Wienerischen Orchester mit einer Gleichheit und Präcision, wozu bis jetzt in Berlin vielleicht noch kein großes Orchester geübt worden ist. Hingegen lange gezogene Töne pflegen selten von ganzen Orchestern in Wien so völlig egal gemacht zu werden als in Berlin. Der gewöhnliche leichte Bogenstrich verursacht dies. Ein seiner aber doch merklicher Unterschied zwischen dem Wiener und Berliner Vortrage ist beim Andante zu hören. Wenn ein Stück dieser Art an beiden Orten sonst gleich gut und auch in gleichem Zeitmaaß gespielt wird, so geht es doch in Wien einen leichteren Gang. Wer ein Hassesches Andante oder Adagio in Dresden und in Berlin hat spielen hören und auf den Unterschied aufmerksam gewesen ist, wird mich verstehen. In Dresden wird es hebender gespielt als in Berlin; in Wien ist der Gang aber noch leichter als in Dresden. Hüpfend würde zuviel gesagt sein und würde einen widrigen Nebenbegriff haben, der mir gar nicht im Sinne liegt. Das französische lestement kommt vielleicht dem Sinne am nächsten. Hingegen hörte ich eine Art von Grave, welches wenn ich nicht irre in Hamburg componirt ist. Hier war wieder der Vortrag vom Berliner Vortrage merklich unterschieden. Die punktirten Noten eines Grave werden in Berlin mehr gehalten und mehr mit gedehntem Bogen gespielt als in Wien und empfangen wirklich dadurch auch einen ziemlich veränderten und wie ich glaube besseren Ausdruck.«


23 Nicolai Reise VI S. 702f.: »Noch muß ich den starken Eindruck erwähnen, den der herrliche Vortrag eines Theils der kurfürstlichen Kapelle auf mich machte, als ich in der Komödie einige Sinfonien von demselben hörte. Der hohe scharfe Ton und die ungemeine Sicherheit und Gleichheit im Gebrauche des Bogens macht daß an Reinlichkeit (granito) im Vortrage tokkirter und im Bogenstriche markirter Noten kein Orchester in Deutschland diesem zu vergleichen ist. Ich gestehe, ob ich mir gleich immer vom Mannheimer Vortrage große Ideen gemacht hatte, so übertraf doch dieses Orchester meine Erwartung sehr, und ich wußte bei den ersten 32 Takten eines Allegro nicht wie mir geschah. Es scheint auch überhaupt der Mannheimer Geschmack in der Composition hauptsächlich auf Ueberraschung kalkulirt zu sein.«


24 Dessen hatte der redliche Künstler auch kein Hehl. Kalkbrenner erzählte mir, wie Haydn sich gegen ihn als jungen Menschen einmal beklagt habe daß der Mensch sterben müsse, ohne erreichen zu können was er erstrebe: »in meinem Alter habe ich erst gelernt die Blasinstrumente zu gebrauchen, nun, da ichs verstehe, muß ich fort und kann es nicht anwenden.«


25 Die Symphonie ist in der Breitkopf u. Härtelschen Partiturausgabe N. 5. Im Autograph (André Verz. 126) sind die Flöten und Clarinetten auf einem oben und unten anfangs leer gebliebenen System mit ganz verschiedener Dinte später hinzugefügt, und leider nicht in die gedruckte Partitur mit aufgenommen.


26 Daß das Trio eine, gewiß unwillkührliche und nichts bedeutende Reminiscenz an eine frühere Arie aufweise ist bereits (I S. 381) bemerkt worden.


27 Mozart hat den ersten Satz mit Allegro con spirito, den letzten mit Presto bezeichnet und schrieb dem Vater, jener müsse recht feurig, dieser so geschwind als möglich gehen. Damals war es wohl nöthig zu treiben, heute darf man mit einer solchen Bemerkung die musikalische Locomotive nicht noch schärfer heizen wollen.


28 Niemtschek Biogr. S. 27.


29 Rich. Wagner Kunstwerk der Zukunft S. 85. Grade diese »Cantabilität« macht Nägeli zum größten Vorwurf für Mozart, der nach ihm »ein unreiner Instrumentalcomponist genannt werden muß, der die Cantabilität mit dem freien instrumentalischen Ideenspiel auf tausendfache bunte Art vermengte und vermischte, vermöge seiner Erfindungsgabe, seines Ideenreichthums eine ungeheure Fermentation in das ganze Kunstgebiet hineinbrachte, dadurch vielleicht mehr mißbildend als bildend, aber mächtig aufregend wirkte« (Vorlesungen S. 157). Unserer Zeit erscheint es gewiß sehr auffallend Mozart als das aufregende, verwirrende Element der Kunstentwicklung aufgefaßt zu sehen, und Nägeli meinte es sehr ernst und aufrichtig mit der Musik.


30 Das Autograph befindet sich in der kön. Bibliothek in Berlin.


31 E. T. A. Hoffmann sagt von dieser »Schwanengesang« benannten Symphonie (Fantasiest. I, 4 Werke VII S. 56): »Liebe und Wehmuth tönen in holden Geisterstimmen; die Nacht geht auf in hellem Purpurschimmer, und in unaussprechlicher Sehnsucht ziehen wir nach den Gestalten, die freundlich uns in ihre Reihen winkend in ewigem Sphärentanze durch die Wolken fliegen.« A. Avel hat die Symphonie in ein Gedicht umzusetzen versucht, das den Charakter der einzelnen Sätze in Worten nachbilden soll (A. M. Z. VIII S. 453ff.).


32 Es ist charakteristisch daß im ersten und letzten Satz das zweite Thema seine wahre Bedeutung erst erhält, als es zum zweitenmal in Moll auftritt; in der Durtonart ist es ungleich weniger ausdrucksvoll.


33 Im Andante ist ein lange fortgepflanztes Versehen durch Schumann richtig erkannt worden (N. Ztschr. XV S. 150. ges. Schr. IV S. 62f.). In beiden Theilen sind je vier Takte (I 29–32, II 48 – 51) nur mit veränderter Instrumentation nach einander wiederholt, was ganz unerträglich ist, da so derselbe Uebergang vonDes-dur nach B-moll (Ges-dur: As-moll) zweimal neben einander steht. Ein Blick auf die Originalpartitur macht die Sache klar. Mozart hatte ursprünglich die vier Takte 33–36 (II 52 –55) geschrieben, dann auf einem Nebenblatt, vielleicht zur Erleichterung, die andere Version hinzugefügt; durch Irrthum sind nachher beide neben einander abgeschrieben. Daß er die Zweiunddreißigstel-Figur den Blasinstrumenten eigentlich zugedacht hatte geht auch aus der gleich zu erwähnenden Bearbeitung mit Clarinetten hervor, wo sie diesen gegeben ist.


34 H. Hirschbach sagt, wie es scheint in vollem Ernst (N. Ztschr. f. Mus. VIII S. 190): »Giebt es doch noch überall Leute genug die vor jedem Beethovenschen Werk hinauslaufen; höchstens finden dieselben noch seine ersten Symphonien erträglich, das andere ist barock, unklar u.s.w., aber die G-moll Symphonie von Mozart ist ihnen ein großes Meisterwerk, während hie und da wohl einer sein mag, der denkt: diese sogenannte Symphonie verdient eigentlich gar nicht diesen Namen, sondern ist ein weder durch Erfindung noch durch Arbeit hervorragendes, gewöhnliches mildes Musikstück, das zu schreiben (wenn man alle tieferen Anforderungen unserer Zeit bei Seite setzt) durchaus nicht so schwer fallen müßte, und das Beethoven wahrscheinlich nicht für ein so großes Meisterwerk gehalten hat.«


35 Man sieht aus der Originalpartitur daß Mozart anfangs vier Hörner zu nehmen beabsichtigte, aber nach wenig Takten strich er sie aus und beschränkte sich auf zwei.


36 Diese Umarbeitung ist auf einem besonderen Blatt ausgeführt, welches sich bei der Originalpartitur findet.


37 Man hat derselben, ich weiß nicht wann und wo, den Namen der Jupiter-Symphonie gegeben, wohl mehr um die Majestät und den Glanz derselben zu bezeichnen als in der Absicht eine tiefsinnige Symbolik anzudeuten.


38 Vgl. I S. 235. 475. 482. III S. 350. IV S. 39.


39 Nägeli unterwirft (Vorlesungen S. 162ff.) diese Symphonie einer bittern Kritik um zu zeigen daß Mozart – dem er selbst Erfindungskraft in außerordentlichem Maaße sowie auch Combinationskunst zugesteht, den er als den ersten anerkennt, der das Orchester zu einer vollständig organischen Kunstgestalt erhob – stillos, oft flach und verworren sei. Um die Trivialität zu erweisen führt er die breiten Halbschlüsse mit dem Wechsel des Dreiklangs und Quartsextenaccordes der Dominante und Modulationen durch den Quintencirkel an, Stellen welche Niemand als genial in Anspruch nehmen wird, obwohl sie noch nicht genügen um ein so hartes Verdammungsurtheil zu begründen. Der Vorwurf des Mißbrauchs der Progression (Wiederholung derselben Tonreihe um einen Ton höher oder tiefer) ist mindestens sehr bestritten, und wenn die Verworrenheit aus der Irregularität des Rhythmus erwiesen werden soll, so ist es in diesem Fall wohl Nägeli den der Vorwurf trifft. Sagt er aber schließlich sogar: »Warum aber in seinen großen (langen) Instrumentalwerken bei aller Genialität keine wahre Stilgröße, welche wesentlich auf der Eurhythmie beruhet, vorhanden ist, das erklärt sich wohl am natürlichsten aus Mozarts Charakter und Lebensweise: er war zu eilfertig, wo nicht zu leichtfertig und componirte wie er war« – so muß man protestiren gegen eine Kritik, welche angebliche ästhetische Schwachen durch vorausgesetzte moralische erklären zu dürfen meint.


40 Die damals ganz neue Kunst die Blasinstrumente aller Art in jeder Nuance und Schattirung der Einzel-und Gesammtwirkungen anzuwenden wird von den Zeitgenossen ganz besonders gepriesen und ist schon mehrfach besprochen. Auch die Behandlung der Saiteninstrumente ist nicht minder vorgeschritten; man erinnere sich, um nur eins anzuführen, an die ganz freie, so charakterische als melodiöse Führung der Bässe. Ganz besonders aber ist die schöne durchgehende Harmonie der Tonfarbe hervorzuheben, der natürliche, gesunde Gesammtton des Orchesterklangs, der durch keinen Reichthum einzelner reizender Effecte ersetzt werden kann.


41 Ad. Kullak (das musikalisch Schöne S. 80) bemerkt daß nach vielen von ihm angestellten Berechnungen Haydn und Mozart in den meisten Werken dem von Zeising aufgestellten Proportionalgesetze, – nach welchem wenn ein in ungleiche Theile getheiltes Ganze als formell schön erscheinen soll, sich der kleinere Theil zum größeren verhalten muß wie der größere zum Ganzen – ziemlich nahe kommen, in einigen demselben ganz entsprechen.


42 Programmmusik kannte man damals auch. Dittersdorf »war auf den Einfall gerathen einige von Ovids Metamorphosen zu charakterisirten Symphonien zu bearbeiten« und führte im Jahr 1786 zwölf derselben in Wien auf (Selbstbiogr. S. 230). Eine stellt die vier Weltalter vor, eine andere Aktäon. Im Allegro jagt Aktäon, im Adagio badet sich Diana, im Menuett überrascht sie Aktäon, den im Finale die Hunde zerreißen. Sie trugen dem Componisten mehr Beifall und Geld ein als Mozart die seinigen; ein berühmter Schriftsteller, Joh. Tim. Hermes, der Verfasser von Sophiens Reisen, analysirte sie.


43 Marr, Musik des neunzehnten Jahrh. S. 68ff.


44 Ad. Kullak Das musikalisch Schöne S. 149: »Mozart ersetzt durch die herrliche Form und die ihm angeborne Grazie sehr oft die Ungenauigkeit des Ausdrucks – was er giebt ist immer noch ein schönes Kunstwerk, aber es hat seine Schönheit in ganz anderen Eigenschaften als die moderne Richtung. Sie beruht durchaus in der sinnlichen Harmonie und dem rhetorischen Rhythmus, die Wahrheit der tieferen Ausdrucksweise fehlt sehr oft.«


45 Ambros Gränzen der Musik und Poesie S. 64f.: »Mozart, der größte Vertreter der Musik der Seele ist, recht wie ein Kind, im Stande uns in einem Athem anzulachen und anzuweinen, ohne daß wir ihn um den Grund fragen dürfen. Es ist vergebliche Arbeit wenn man in seinen Symphonien, Quartetten u.s.w. einen psychologischen Entwickelungsgang sucht.« Aber – zu geschweigen daß Beethoven, der Musiker des Geistes, in solchen für Viele völlig unverständlichen und unvermittelten Contrasten ungleich stärker ist – wenn wir mit dem Künstler wirklich in einem Athem lachen und weinen, so beweist das ja grade daß dieser Wechsel aus einer tief begriffenen Einheit der Stimmung hervorgeht, welche auch der Zuhörer als ganz und wahr empfindet. Ebendas. S. 123: »Sieht man nicht auf Intentionen, die erst später in der Musik des Geistes ihre Entwickelung fanden, sondern bleibt man auf dem rein musikalischen Standpunkte, wie es viele nennen, oder auf dem Standpunkte der Musik zufälliger Stimmungen wie wir sagen, so kann ohne weiteres gefragt werden, ob die Welt etwas Vollkommneres besitze als Mozarts Symphonie in G-moll, Es-dur und C-dur mit dem fugirten Finale.« Ebendas. S. 141: »Wir sahen – in der Zeit der Musik der Seele den geordneten Zusammenhang der Stimmungen (MozartsG-moll Symphonie) mehr nach Art eines zufälligen Resultats entstehen.«


Quelle:
Jahn, Otto: W.A. Mozart. Band 4, Leipzig: Breitkopf und Härtel, 1859, S. 1.
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