19.

Mozarts Stellung in Wien wurde im Wesentlichen durch seinen Don Giovanni so wenig verbessert als durch Figaro. Wie mißlich seine äußere Lage war geht aus den im Juni 1788 an Puchberg geschriebenen Briefen (Beil. XX, 1. 2) hervor und ein Blick auf das Verzeichniß seiner Compositionen aus jener Zeit lehrt deutlich, daß ihm fast nur der Unterricht und sociale Verhältnisse eine bestimmte Veranlassung zum Componiren boten1; daß die innere Kraft nicht erschlafft[452] war beweisen die Symphonien in Es-dur, G-moll undC-dur, welche in drei Monaten des Sommers 1788 geschrieben wurden. Er war zwar Kammercompositeur des Kaisers geworden, allein dieser gab ihm nichts zu componiren und zunächst waren die Maskenbälle der K. K. Redontensäle das Feld seiner amtlichen Thätigkeit.

Diese Redoutensäle befinden sich in dem Flügel der Hofburg, welcher die rechte Seite des Josephsplatzes bildet und enthielten ursprünglich ein Theater, auf welchem bei festlichen [453] Anlässen Opern und Ballets vor dem Hofe aufgeführt wurden; nachdem das Burgtheater erbaut und auch für italiänische Singspiele bestimmt worden war, wurde das alte Hoftheater im Jahr 1752 zu dem jetzigen großen und kleinen Redoutensaal umgestaltet, wo außer besondern Hoffesten nur öffentliche Concerte und Bälle gegeben werden. Diese letzteren sind Maskenbälle, welche an allen Sonntagen des Carnevals, am feisten Donnerstag und an den drei letzten Faschingstagen Statt fanden. Joseph II begünstigte sie sehr als ein Mittel der Annäherung der verschiedenen Volksclassen, erschien selbst häufig mit dem Hofe auf denselben, was eine lebhafte Betheiligung aller Stände hervorrief, und ließ eine ausgedehnte Maskenfreiheit walten. Man tanzte gewöhnlich Menuett, Contretänze und Walzer, an dem letzteren nahm aber nur die niedere Classe Theil, weil das Gedränge zu groß war – ganz wie im Don Giovanni (S. 353f.). Die Unternehmung der Redoute war gewöhnlich mit der des Operntheaters verbunden und wurde mitverpachtet, wenn jenes verpachtet war. Schon 1778 hatte der Hof das Operntheater und seit 1785 auch das Kärnthnerthortheater für eigene Rechnung übernommen, ein Verhältniß welches bis zum August 1794 bestand. Die kaiserliche Hoftheatetdirection bestellte daher die Tanzmusik, für welche man angesehene Componisten trotz des geringen Honorars von wenigen Dukaten für eine Partie Tänze zu gewinnen suchte; wie denn außer Mozart auch Haydn, Eybler, Gyrowetz, Hummel und Beethoven Tänze für die Redoute componirt haben2.

Seit seiner Anstellung schrieb also Mozart in den Jahren [454] 1788, 1789 und 1791 eine Menge Tänze verschiedener Art für diese Maskenbälle3, im Jahr 1790 sind keine verzeichnet, die Krankheit und der am 20 Februar erfolgte Tod Kaiser Josephs haben ohne Zweifel diese Lustbarkeiten größtentheils aufgehoben. Sie sind meistens für volles Orchester componirt und soweit ich dieselben kenne machen sie keinen anderen [455] Anspruch als einfache Tanzmusik von gefälliger Melodie und frischem Rhythmus zu sein – eine harmlose Nebenbeschäftigung; als einzige Aufgabe für den k.k. Kammercompositeur konnte sie ihn wohl zu der unmuthigen Aeußerung veranlassen, sein Gehalt sei zuviel für das was er leiste, zu wenig für das was er leisten könne (III S. 186).

Eine würdigere Aufgabe wurde ihm durch van Swieten gestellt. Dieser hatte wie wir sahen (III S. 368ff.) von Berlin die Vorliebe für ernste Musik, namentlich für Händels Oratorien mitgebracht und suchte dieselben in Wien bekannt zu machen. Er gab nicht bloß in seiner Wohnung in der Renngasse (neben dem Hotel zum römischen Kaiser, damals »zu den drei Hacken« genannt) häufig Concerte in welchen ernste Musik gegeben wurde, sondern veranstaltete große Aufführungen Händelscher Oratorien durch bedeutende Vocal- und Instrumentalkräfte. Er bewog mehrere kunstliebende Cavaliere, zu welchen die Fürsten Schwarzenberg, Lobkowitz und Dietrichstein, die Grafen Appony, Batthiany, Franz Esterhazy u.a. gehörten durch eine Subscription die Kosten dieser Aufführungen zu decken. Denn es wurde kein Eintrittsgeld zu denselben bezahlt, sondern die Zuhörer waren geladene Gäste; sie fanden meistens im großen Saal der Hofbibliothek Statt, deren Vorstand van Swieten war, mitunter auch im Palais eines der Mäcene dieser Concerte, und zwar in den Nachmittagsstunden bei Tageslicht. Sie kehrten nicht in regelmäßigen Zwischenräumen wieder, sondern je nach Umständen, so oft ein größeres Werk vorbereitet war, wurde eine Aufführung veranstaltet, gewöhnlich im Frühjahr ehe die Herrschaften auf ihre Güter gingen. Die Mitwirkenden waren vorzüglich die Mitglieder der Hofkapelle und des Opernorchesters, der Vorbereitungen nahm sich ganz besonders van Swieten an, in dessen Wohnung die Proben [456] abgehalten wurden, ja er hat selbst Athalia und höchstwahrscheinlich auch die Wahl des Herkules für eine Aufführung, wohl erst nach Mozarts Tode, bearbeitet. Die Direction wurde anfangs Joseph Starzer übertragen, welcher Judas Maccabäus bearbeitet hat4; nach dessen am 22 April 1787 erfolgtem Tode trat Mozart an seine Stelle, der junge Joseph Weigel accompagnirte am Klavier5.

Zuerst wurde Acis und Galathea, welches Mozart seinem eigenen Verzeichniß zufolge im November 1788 bearbeitete, aufgeführt; Caroline Pichler erinnerte sich noch in spätem Alter des tiefen Eindrucks, welchen diese Aufführung auf sie gemacht hatte6. Hierauf folgte der Messias im März 17897. Auf ihn war die Aufmerksamkeit wohl ganz besonders hingelenkt durch die großartigen Aufführungen, welche nach dem Beispiele der Londner Händelfeste im Jahr 1784 und 17858 Hiller in der Domkirche zu Berlin am [457] 19 Mai 17869, und darauf am 3 Nov. 1786 und 11 Mai 1787 in der Universitätskirche in Leipzig10 veranstaltet hatte. Endlich bearbeitete Mozart im Juli 1790 noch die Ode auf den St. Cäcilientag und das Alexanderfest.

Man hielt es für angemessen um das durch die glänzendere Instrumentation verwöhnte Publicum nicht durch den so ganz verschiedenen Klang des Händelschen Orchesters in dem Genusse des Wesentlichen zu stören und irre zu machen, die Blasinstrumente theils zu verstärken theils zu modificiren; man glaubte dadurch in Händels Sinn zu handeln. Auch Hiller bemerkt (Nachricht S. 14) »Es ließe sich durch eine der heutigen Setzart gemäße Anwendung der blasenden Instrumente noch manche Verschönerung der Händelschen Compositionen beyfügen. Im ganzen Messias scheint Händel weder an Oboen, noch Flöten noch Waldhörner gedacht zu haben, die doch in unsern heutigen Orchestern soviel Eigenthümliches haben, wodurch sie die Wirkung des Ganzen erhöhen und verstärken. Daß es mit viel Ueberlegung und Discretion geschehen müsse, habe ich anzumerken nicht unterlassen dürfen.« Demgemäß suchte er den Effect des Ganzen durch Oboen, Flöten, Waldhörner und Posaunen zu verstärken, [458] die er ganz neu ausschrieb und damit, wie er selbst sagt (eb. S. 20), den Dank des Kenners und aufmerksamen Zuhörers verdiente.

Es kam bei dieser Bearbeitung wesentlich darauf an dem Orchester da wo es in Masse wirken soll durch die Blasinstrumente eine größere Fülle und Kraft zu geben, wie sie ursprünglich durch die Mitwirkung der Orgel erreicht wurde, sodann die Ausführung der Harmonie, welche Händel dem Organisten oder Cembalisten überlassen hatte, in entsprechender Weise ins Orchester zu verlegen, wiederum hauptsächlich durch die Blasinstrumente. Mozarts Originalpartituren von Acis und Galathea11, der Ode für den St. Cäcilientag12 und dem Alexanderfeste13, welche sämmtlich in der kön. Bibliothek in Berlin aufbewahrt werden, zeigen wie er dabei verfahren ist. Die Singstimmen mit den Saiteninstrumenten [459] ließ er so wie Händel sie geschrieben hat in seine Partitur übertragen und diese blieben unverändert mit Ausnahme einiger Stellen, an welchen Händel nur eine Violinstimme gesetzt hat, wo nun zur Ausfüllung der Harmonie auch die zweite Violine und Bratsche benutzt worden sind; die Blasinstrumente sind vom Copisten ganz weggelassen um Mozart freie Hand zu lassen. Er hat nun zuvörderst wo Händel Blasinstrumente in charakteristischer Weise angewendet hat dieselben ganz so beibehalten, wo aber die Oboen, welche durchgehends neben den Saiteninstrumenten gebraucht sind, gewissermaßen nur die Blasinstrumente überhaupt repräsentiren, ist er frei mit denselben verfahren. Er setzt entweder andere einzelne Instrumente an ihre Stelle, selten Flöten, sehr häufig Clarinetten, oder läßt den vollen Chor der Blasinstrumente mit oder ohne Oboen eintreten, verwendet aber die sämmtlichen Blasinstrumente auch da, wo Händel nicht einmal Oboen gebraucht hatte, um dem Ganzen mehr Kraft zu geben oder die Harmonie zu füllen. Der häufige Gebrauch der Clarinetten anstatt der Oboen weist darauf hin daß der volle kräftige Klang der Orgel dadurch ersetzt werden sollte, jedoch ohne daß Mozart je darauf ausgegangen wäre diese specifische Klangfarbe nachzuahmen; er gebraucht vielmehr die ihm zu Gebote stehenden Mittel ganz frei um den Hauptzweck zu erreichen. Die Folge davon ist nothwendig daß die ganze Klangfarbe der Instrumentation wesentlich geändert ist, und auch die Partien, welche ganz aus Händels Original herübergenommen sind, erhalten durch die andere Umgebung einen sehr verschiedenen Charakter. Ebenso frei ist Mozart da verfahren, wo er die Rolle des Cembalisten übernahm. Er begnügt sich nicht mit so zu sagen philologischer Genauigkeit die vorgeschriebenen oder angedeuteten Harmonien auszufüllen und die unentbehrlichen [460] Accordfolgen herzustellen, sondern er giebt den Mittelstimmen freie Bewegung und selbständige Führung nach Maaßgabe der von Händel gebrauchten Motive, welche er weiter entwickelt, er erfindet auch wohl, durch diese angeregt, neue Motive welche selbständig ausgeführt werden um der Begleitung Leben und Bewegung zu geben, und grade hier tritt auch die Benutzung der neu eingeführten Blasinstrumente eigenthümlich hervor. Im Wesentlichen ist hier das geleistet, was man damals von einem tüchtigen Organisten erwartete, und was auch gegenwärtig bei der Reproduction eines älteren Musikwerks, das auf die freie Mitwirkung eines Cembalisten berechnet war, nicht ganz zu umgehen ist14. Das Bedenkliche, welches darin liegt, daß eine fremde Hand ein in bestimmter Weise gedachtes und ausgeführtes Kunstwerk berührt und theilweise nach den Bedürfnissen einer anderen Zeit modelt, ist unverkennbar, auch bei der liebevollsten und geschicktesten Behandlung sind Ungleichheiten und Incongruenzen nicht zu vermeiden; und da hier einem bestimmt Ueberlieferten eine rein subjective Auffassung gegenübertritt, erscheint jede andere Auffassung als gleich berechtigt und das Urtheil darüber, in welcher Weise und in welchem Maaße eine Modification zulässig, wird in jedem einzelnen Falle durch Bildung und Geschmack des Individuums bestimmt werden. Im Allgemeinen kann man ohne Bedenken von diesen Bearbeitungen Mozarts sagen, daß sie nicht allein die völlige Sicherheit des Meisters in der Benutzung aller Mittel zeigen, sondern auch die größte Pietät für Händel. Ueberall ist der ernste Wille erkennbar das, was ihm als das Wesentliche erschien, [461] zur vollen Geltung zu bringen und durch die neu angewandten Mittel kräftig hervorzuheben oder reicher zu schmücken; nirgends tritt ein Bestreben hervor die eigene Richtung und Kunst aufzudrängen, vielmehr gewahrt man das sorgfältige Studium die einzelnen Züge der neuen Bearbeitung aus Händel heraus und in seiner Weise zu entwickeln, was mit ebensoviel Geist als Feinheit geschieht. Mag man daher über den praktischen Gebrauch dieser Bearbeitungen noch so verschieden denken, als ein Beweis für das Studium, welches Mozart Händel zuwandte, für die Stellung welche er sich bei der Lösung einer solchen Aufgabe anwies, für seine leichte und seine Auffassung fremder Schöpfungen sind diese Bearbeitungen eben so interessant als lehrreich.

Etwas anders verhält es sich mit der Bearbeitung des Messias15. Die drei genannten Oratorien sind von so mäßiger [462] Ausdehnung daß sie für eine Aufführung grade passend erschienen, bei der ungleich größeren Länge des Messias, dessen erste Bearbeitung zu Grunde gelegt wurde, erschien eine Abkürzung nothwendig, es wurden deshalb mehrere Stücke ganz fortgelassen, andere verkürzt. Daß man dabei auch auf den Gedanken an noch tiefer eingreifende Veränderungen kam beweist folgender von Niemtschek (S. 31) mitgetheilter Brief van Swietens an Mozart (21 März 1789): »Ihr Gedanke den Text der kalten Arie in ein Recitativ zu bringen ist trefflich, und in der Ungewißheit ob Sie wohl die Worte zurückbehalten haben schicke ich sie Ihnen hier abgeschrieben. Wer Händel so feierlich und so geschmackvoll kleiden kann, daß er einerseits auch den Modegecken gefällt und andererseits doch immer in seiner Erhabenheit sich zeigt, der hat seinen Werth gefühlt, der hat ihn verstanden, der ist zu der Quelle seines Ausdrucks gelangt und kann und wird sicher daraus schöpfen. So sehe ich dasjenige an, was Sie leisteten, und nun brauche ich von keinem Zutrauen mehr zu [463] sprechen, sondern nur von dem Wunsche das Recitativ bald zu erhalten.« Indessen ist dieser Gedanke, soweit man nach der gedruckten Partitur urtheilen kann, doch nicht ausgeführt worden. Mozart ist aber auch in der Umarbeitung des Orchesters hier weiter gegangen als oben bezeichnet wurde. Er hat die charakteristische Instrumentation Händels mitunter geändert, auch wenn keine äußere Nothwendigkeit vorhanden war16, z.B. die Trompeten in dem Chor Glory tho God ( Ehre sei Gott) und ist in der instrumentalen Ausführung mancher Stücke weit über die Berechtigung hinausgegangen, welche man einem fremden Kunstwerk gegenüber allenfalls zugestehen kann. Allerdings sind grade diese Stücke durch ihre Klangwirkung und die musikalische Behandlung an steh ebenso bewundernswürdig als durch die Feinheit, mit welcher Mozart aus dem von Händel Gegebenen seine Erweiterungen abzuleiten verstand; man sieht, wie das Interesse an der Aufgabe den Faden des Meisters fortzuspinnen ihn anzog und über die Grenzen verlockte. Allein es läßt sich nicht verkennen daß so aus diesen Stücken etwas ganz anderes geworden ist als was Händel gewollt hat, daß sie fremdartig aus dem Zusammenhang treten und die Einheitlichkeit des Ganzen stören17. Es ist daher begreiflich daß [464] Mozarts Bearbeitung neben unverständigem Lob18 auch unbilligen Tadel erfuhr19, während tiefer eingehende Beurtheiler wie Rochlitz20 und Zelter21 nicht allein Gelungenes und Verfehltes – wiewohl im Einzelnen vielfach abweichend – unterschieden, sondern auch Veranlassung und Absicht der Arbeit in gerechte Erwägung zogen.

Man darf nämlich nicht vergessen daß Mozart diese Bearbeitungen lediglich zum Zweck jener van Swietenschen Aufführungen vornahm; dabei übten auch der Geschmack des Unternehmers, die Kräfte über welche man zu verfügen hatte, überhaupt die äußeren Verhältnisse bis zu einem gewissen Grade ihren Einfluß aus, wenn sich dieser gleich im [465] Einzelnen nicht nachweisen läßt. Suchte er auch, indem er mit Liebe arbeitete, das zu erreichen was Händel mit den Mitteln neuer Instrumentation etwa gegeben haben würde, so darf man ihm in keiner Weise den Gedanken unterschieben, als habe er Händel verbessern wollen22, vielmehr dachte er diese Werke durch eine Bearbeitung, welche das seiner Ansicht nach Wesentliche unangetastet ließ, seinem Publicum näher zu bringen. Daß Mozarts Bearbeitung gedruckt23 und vielfach so aufgenommen wurde, als sei sie bestimmt das ohnehin wenig bekannte Original zu verdrängen und gewissermaßen als rechtmäßige, verbesserte Auflage desselben zu gelten, daran ist er völlig unschuldig, obgleich er es oft hat büßen müssen.

Ebensowenig darf man außer Acht lassen daß der historische Sinn welcher ein Kunstwerk nur in der Gestalt, welche ihm der Meister gegeben hat, anerkannt und wiedergegeben wissen will, jener Zeit fehlte. Bei weitem die meisten Compositionen verdankten ihre Entstehung und ihre bestimmte Gestalt zufälligen Umständen, welche auch die größten Meister als maaßgebende Bedingungen anerkannten; indem sie der Gegenwart zu genügen suchten, schufen sie für die Zukunft. Daher benutzten sie mit größter Freiheit ihre Arbeiten ganz oder theilweise für neue Aufgaben, entlehnten und verwandten was ihnen brauchbar schien, und paßten bei wiederholten Aufführungen durch Zusätze, Auslassungen, Umarbeitungen ihr Werk den jedesmaligen Verhältnissen an. Es lag nahe dieselbe Freiheit auch gegenüber den Werken fremder Meister besonders früherer Zeit geltend zu machen, und man hielt sich berechtigt dieselben in der Weise zugerichtet dem Publicum darzubieten, [466] wie dieses sie am leichtesten und bequemsten genießen konnte. Vergegenwärtigt man sich, was in dieser Hinsicht damals für erlaubt galt24, so wird man vor dem künstlerischen Sinn mit dem Mozart seine Aufgabe löste Respect bekommen25. Die philologisch-historische Auffassung, welche die Bildung unserer Zeit so sehr durchdringt, daß wir unsere Litteratur und Kunst ganz vorwiegend von diesem Gesichtspunkt aus betrachten, verlangt daß der Genuß eines Kunstwerks auf historischer Einsicht und Würdigung begründet sei und daß dieses ganz so wie es der Künstler geschaffen hat zur Darstellung komme. Daß diese im Princip richtige Forderung bei der Reproduction musikalischer Kunstwerke manche praktisch nothwendige Einschränkungen erfährt ist ebenso gewiß als es zweifelhaft ist, wieweit das große Publicum, das sich den Anforderungen der Gebildeten fügen muß, für diese Weise des Genießens fähig ist; jedenfalls ist sehr zu wünschen daß nicht die Gelehrten den Ton angeben26.

Fußnoten

1 Seit Mozarts Rückkehr aus Prag finden wir im Verzeichniß aufgeführt:


1787 11 Dec. Lied: die kleine Spinnerin (Oeuvr. V, 27).


1788.


3 Jan. Allegro und Andante für Klavier (F-dur, S. 34).

14. 23. 27. Jan. Tänze.

24 Febr. Klavierconcert (D-dur, S. 52, 16).

4 März Arie für Mad. Lange Ah se in ciel benigne stelle (III S. 272).

5 März Teutsches Kriegslied für Baumann (III S. 288).

19 März Adagio für Klavier (H-moll S. 15).

24. 28. 30 März Einlagstücke zu Don Giovanni (S. 309ff.).

im Mai Ariette für Sgr. Albertarelli Un bacio di mano in die Oper Le gelosie fortunate (III S. 287).

22 Juni Terzett für Klavier Violin und Violoncello (E-dur S. 41f.).

26 Juni Symphonie (Es-dur S. 129ff.).

Ein kleiner Marsch für Violine, Flöte, Viola, Horn, Violoncell D-dur, meines Wissens unbekannt geblieben.

Eine kleine Klaviersonate für AnfängerC-dur, ebenfalls ungedruckt.

Ein kurzes Adagio a 2 Violin Viola e Basso zu einer Fuge (C-moll III S. 386).

10 Juli Eine kleine Klaviersonate für Anfänger, mit einer Violin F-dur.

14 Juli Terzett für Klavier Violin und Violoncello (C-dur S. 42).

16 Juli Eine kleine Canzonette a 2 Soprani e Basso Più non si trovano (III S. 331).

25 Juli Symphonie (G-moll S. 131ff.).

10 August Symphonie (C-dur S. 135ff.).

11 August Ein Lied beim Auszug ins Feld.

2 Septemb. 8 vierstimmige und 2 dreistimmige Canoni (III S. 335ff.).

27 Septemb. Divertimento für Violin Viola und Violoncello (Es-dur S. 93ff.).

27 Octob. Terzett für Klavier Violin und Violoncello (G-dur S. 41).

30 Octob. 6 Dec. 24 Dec. Tänze.


1789.


Jan. Teutsche Arie: Ohne Zwang aus freiem Triebe (III S. 289).

Febr. Klaviersonate (B-dur, S. 34).


21. Febr. Tänze.


2 Diese Angaben verdanke ich den freundlichen Mittheilungen Sonnleithners.


3 Verzeichnet sind von Mozart


1788.


14 Jan. Contredanse »das Donnerwetter« (André Verz. 265).

23 Jan. Contredanse »die Bataille« (André Verz. 266).

27 Jan. Sechs Teutsche (André Verz. 267).

30 Oct. Zwei Contredanses.

6 Dec. Sechs Teutsche.

24 Dec. Zwölf Menuetten.


1789.


21 Febr. Sechs Teutsche.

Dec. Zwölf Menuetts (André Verz. 268).

Zwölf Teutsche. NB. einen Contredanse: »der Sieg vom Helden Coburg« (gegen die Türken, October 1789).


1791.


23 Jan. Sechs Menuetti für die Redoute.

29 Jan. Sechs Teutsche.

3 Febr. Vier Menuett und vier Teutsche.

Zwei Contretänze.

12 Febr. Zwei Menuett und zwei Teutsche.

28 Febr. Contredanse »Il trionfo delle donne« (André Verz. 269).

Sechs Ländlerische.

6 März Contredanse »die Legerer« (André Verz. 273, 5).

Teutscher mit legerer Trio.


In Andrés Verzeichniß finden sich außer fünf Menuetts mit der Ueberschrift di Wolfgango Amadeo Mozart Vienna 1784 (262) und den schon erwähnten Prager Teutschen (S. 289) noch mehrere Tänze aufgeführt, die wohl der früheren Zeit angehören. Gedruckte und geschriebene Sammlungen von Tänzen in den verschiedensten Arrangements die Mozarts Namen führen, zum Theil von sehr zweifelhafter Beglaubigung, sind vielfach verbreitet.


4 Die mehrfach ausgesprochene Meinung daß Mozart den Judas Maccabäus bearbeitet habe (A. M. Z. XXII S. 30f.) ist von Sonnleithner (Cäcilia XVIII S. 242ff.) berichtigt worden (vgl. A. M. Z. XXIII S. 108). Uebrigens war Judas Maccabäus schon 1779 im Concert für das Pensionsinstitut aufgeführt (Wien. Mus. Ztg. 1842 S. 70).


5 Auch diese Nachrichten hat mir Sonnleithner mitgetheilt; sie beruhen zum Theil auf Angaben des pensionirten Universitätspedellen Joh. Schönauer, welcher als Hofsängerknabe bei diesen Aufführungen mitgewirkt hat.


6 C. Pichler Denkw. IV S. 21f. Der eben erwähnte Schönauer erzählte daß Mozart auch eine Aufführung von Acis und Galathea zu seinem Benefiz im Saale des Hoftraiteur Jahn (Himmelpfortgasse 965) veranstaltete, wobei Dlle. Cavalieri, und die Herren Adamberger und Gsur die Solopartien sangen.


7 Carpani erwähnt einer Aufführung des Messias im Schwarzenbergschen Palais (Hayd. p. 64), vielleicht einer späteren.


8 Burneys Nachricht übers. von Eschenburg. Berl. 1785. Das erstemal waren über 500, das zweitemal über 600 Mitwirkende. Auch in Kopenhagen wurde in Folge dessen im März 1786 der Messias aufgeführt (Cramer Magaz. f. Mus. II S. 960ff.).


9 Genaueren Bericht über diese Aufführung gab Hiller in der von ihm veröffentlichten Nachricht (Berlin 1786. 4), vgl. Ephemeriden der Litt. u. des Theat. III S. 335f. IV S. 333ff. Es waren gegen 300 Mitwirkende betheiligt.


10 Auch diese gab Hiller Veranlassung zu einigen aufklärenden Schriftchen: Fragment aus Händels Messias; über Alt und Neu in der Musik; der Messias von Händel nebst angehängten Betrachtungen darüber. Hier waren mehr als 100 Theilnehmer dabei; der Enthusiasmus des Publicums war groß, wie ein damals junger Zuhörer später berichtete (Reichardts mus. Ztg. I S. 126ff. vgl. Rochlitz Für Freunde der Tonk. I S. 22f. A. M. Z. XXX S. 491).


11 Das Schäferspiel Acis and Galatea ist von Händel in Cannons um 1720 componirt (Chrysander Händel I S. 479ff.).


12 Im Anschluß an eine alte Sitte den Cäcilientag (22 Nov.) durch Musik zu feiern, hatte sich in London eine musical society gebildet, welche an diesem Tage eine große Aufführung veranstaltete; Text und Musik waren ausdrücklich dafür bestimmt und das Lob der Musik bildete den Gegenstand. Eine Reihe berühmter Gedichte und Compositionen der ersten Meister ist dadurch veranlaßt worden. Die Geschichte dieser Aufführungen ist ausführlich gegeben von W. H. Husk (An account of the musical celebrations on St. Cecilia's day Lond. 1857). Drydens Song for St. Cecilia's day (»From Harmony, from heavenly harmony This universal frame began«) war 1687 gedichtet und von Draghi in Musik gesetzt; Händel componirte dasselbe Gedicht im Herbst 1739.


13 Drydens Alexanders feast wurde 1697 gedichtet und mit Jer. Clarks Musik aufgeführt. Händel componirte dasselbe 1736; bei der wiederholten Aufführung im Jahr 1737 waren am Schluß noch ein von Newburgh Hamilton gedichtetes Duett und Chor hinzugefügt, welche in Mozarts Bearbeitung nicht mit aufgenommen wurden. Die Partitur der letzteren ist in Leipzig bei Peters gedruckt.


14 Der vortreffliche Klavierauszug, welcher in der Ausgabe der deutschen Händelgesellschaft der Partitur von Acis und Galathea beigegeben ist, bietet durchgehends eine ähnliche Ausführung und Bearbeitung dar.


15 Mozart hatte den Messias 1777 in Mannheim gehört, aber offenbar keinen großen Eindruck davon bekommen. Er schreibt seinem Vater daß er den Tag nach seiner Ankunft am 31 Oct. in die Probe gegangen sei, »das Oratorium, welches man probirt ist von Händl, ich bin aber nicht blieben, denn man hat vorher einen Psalm Magnificat probirt, vom hiesigen Vice-Kapellmeister Vogler, und der hat schier eine Stunde gedauert«: von der Aufführung ist keine Rede. Daß es der Messias war sieht man aus den Betrachtungen der Mannheimer Tonschule (1778 S. 119), wo es zur Entgegnung eines Artikels im Hamburger Correspondenten, in welchem bei Gelegenheit von Heizbauers Günther von Schwarzburg an Händels edle Simplicität erinnert war, heißt: »Der erste November des letztverwichenen Jahres war der Tag, an welchem hier die Kenner Gelegenheit hatten die Simplicität eines Händel zu beurtheilen. Von unseren besten Sängern und Instrumentisten ward sein so hoch gerühmtes Oratorium der Messias aufgeführt. Bei allen war der Wetteifer recht merklich, den belohnenden Beifall des gegenwärtigen Hofes ganz zu verdienen; aber was geschah? Alle Zuhörer gähnten. War dieses ein Zeichen von verderbten Organen, so haben wir Mannheimer alle dieses Unglück mit einander gemein. Daß es auch nicht an der Ausführung gefehlet mag das einhellige Zeugniß aller derer bewähren, die unser Orchester kennen. Was anders als die unerträgliche Trockenheit, nicht edle Simplicität der Musik hat also uns in diese tödtliche Apathie versetzt! Wie auffallend war der Contrast, als ein Psalm Magnificat, das unser zweiter Kapellmeister gesetzt und jener unvollendeten Aufführung unmittelbar nachgefolgt, nicht nur uns wieder zum Leben geführt, sondern ein Wonnegefühl in uns erregt hat, das ich nicht zu schildern vermag.« Die »unvollendete Aufführung« wird durch eine andere Stelle erklärt, wo es heißt (eb. 1779 S. 280): »es blieb aber beim ersten Theil des Oratoriums, der zweite konnte noch nicht folgen, weil diese trockne Musik kein Zuhörer aushalten will.« In Kopenhagen war der Erfolg ein ähnlicher und der Referent, welcher Händel »immer sein Zeitalter dabei in Gedanken nicht aufhört zu bewundern«, meint doch, es käme viel im Messias vor, was ein Kunstrichter von Geschmack nicht mehr dulden würde, wohin er die gar zu große Vorliebe für Fugen rechnet, und manche Stellen hätten die Neueren z.B. Wolff in seiner Ostercantate viel besser bearbeitet (Cramer Mag. f. Mus. II S. 963ff.).


16 Dies war z.B. offenbar bei der Arie The trumpet shall sound (Sie schallt die Posaune) der Fall. Solotrompeter, wie zu Händels Zeit gab es nicht und so wurde versucht zu retten, was ausfuhrbar war, wobei es ohne Umarbeitung nicht abgehen konnte.


17 Eins der merkwürdigsten Beispiele ist die Arie:The people that walked in darkness (Das Volk das im Dunkeln wandelt), wo die von Mozart hinzugefügten Blasinstrumente sicher gegen Händels Absicht sind, aber an sich betrachtet den Vorwurf »betrübter Malerei« ebenso sicher nicht verdienen, welchen Thibaut (üb. Reinheit der Tonkunst S. 66f.) ihnen macht.


18 In Fr. Th. Manns musik. Taschenb. für 1805 liest man (S. 3): »Der genielle Mozart, der von den Umständen gedrungen diese Bearbeitung unternahm, würde sie gewiß unterlassen haben, wenn er nicht eingesehen hätte, daß dies Werk durch seine Bearbeitung, dessen ein wahres Kunstwerk nicht bedarf, keineswegs verlieren, sondern im Gegentheil gewinnen würde. Daher erhob er jene bis zur Manier getriebene Simplicität, jene langweilige ermüdende Leere durch Ausfüllung der Begleitung. Göttliche Zierden sind es, die Mozart aus der Fülle seiner Harmonie hier zusetzte, die aber bei diesem für solche Schönheit unorganisirten Werk so isolirt stehen, daß sie einen zweiten Bestandtheil ausmachen.«


19 In einem Bericht aus Hamburg (Reichardts mus. Ztg. I S. 197) heißt es von der Mozartschen Bearbeitung: »Michel Angelos Gemälde muß kein David übermalen wollen. Setzte doch Händel zu Mozarts Opern keine Orgel u.s.w. oder vielmehr strich keine – – weg«, wozu Reichardt bemerkt, das Wort sei in der Handschrift des »ehrwürdigen Correspondenten« unleserlich.


20 Jen. Allg. Litt. Ztg. 1804 I S. 601ff. Als Verfasser der ausführlichen Recension nennt sich Rochlitz (Für Freunde der Tonk. I S. 259f.). Vgl. A. M. Z. IX S. 476. XV S. 428f. XXIX S. 692.


21 Reichardts mus. Ztg. I S. 41ff. Zelter, der sich gegen Goethe zu dieser Recension bekennt (Briefw. II S. 302. III S. 418), pflegte doch den Messias nach Mozarts Bearbeitung mit neuen Abänderungen und Auslassungen aufzuführen (Berl. allg. mus. Ztg. 1824 S. 427ff.).


22 Vgl. Parke mus. mem. II p. 76.


23 Die Partitur von Mozarts Bearbeitung ist gedruckt in Leipzig bei Breitkopf u. Härtel, wie versichert wird nach Mozarts eigenem Manuscript (Reichardt mus. Ztg. I S. 127).


24 So hat Hiller das Stabat mater von Pergolese nicht bloß neu instrumentirt, sondern theilweise für vierstimmigen Chor bearbeitet; J. A. Schulze sechs Instrumentaladagios von J. Haydn zu einer Cantate »der Versöhnungstod« für Chor und Orchester umgearbeitet. Und was hat man aus Mozarts Kirchenmusik gemacht (I S. 688f.)!


25 Gerber schlug alles Ernstes vor die Chöre des Messias nach Mozarts Bearbeitung aufzuführen, die Arien aber sämmtlich von bewährten Componisten neu componiren zu lassen (A. M. Z. XX S. 832f.).


26 In der Kürze sei hier der Schluß, durch welchen Mozart Glucks Ouverture zu Iphigenie in Aulis für Concertaufführungen einrichtete erwähnt. Ich habe keine bestimmte Angabe gefunden daß und wann Mozart ihn geschrieben habe, auch Schmid (Gluck S. 213) scheint nur die allgemeine Tradition gekannt zu haben, der zu widersprechen auch kein bestimmter Grund vorliegt. Dieser Schluß ist schön und würdig, aber obgleich aus den Motiven der Ouverture gezogen, spricht er die Verschiedenheit der musikalischen Natur und Weise Mozarts von der Gluckschen wahrhaft überraschend aus.


Quelle:
Jahn, Otto: W.A. Mozart. Band 4, Leipzig: Breitkopf und Härtel, 1859, S. 1.
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