21.

Da Ponte tritt uns hier zuerst als selbständiger Dichter eines Operntextes, dem kein fremdes Original zu Grunde lag1, entgegen und läßt uns um so deutlicher erkennen, wie viel er sonst seinen Vorbildern verdankt. Erfindung in den Situationen, scharfe Charakterzeichnung der Personen vermißt man nur allzusehr, obgleich Gewandtheit und Geschicklichkeit in der Behandlung des Einzelnen auch hier nicht zu verkennen ist. Die Handlung ist ihrem Hauptgange nach folgende.

Zwei junge Officiere in Neapel2 Ferrando (Tenor) und Guillelmo (Baß), welche mit zwei Schwestern Dorabella und Fiordiligi verlobt sind, finden wir im Kaffehaus mit ihrem Freunde Don Alfonso, einem alten Hagestolzen, in lebhaftem Streit, weil er behauptet hat, ihre [488] Bräute würden ihnen, wenn sie auf die Probe gestellt würden, die Treue nicht bewahren. Ihrer Aufforderung mit dem Degen diese Beleidigung zu vertreten setzt er die alte Erfahrung entgegen, Weibertreue sei ein Phönix, dessen Existenz viele behaupten, den aber niemand gesehen habe3; jeder erklärt, seine Braut sei dieser Phönix. Endlich vereinigen sie sich zu einer Wette, zufolge welcher die beiden Verlobten sich auf Officierparole verpflichten während der nächsten vier und zwanzig Stunden nichts zu verrathen und unbedingt zu thun, was Don Alfonso ihnen vorschreibe um die Geliebten zu prüfen, wogegen dieser aufrecht hält, daß die Mädchen in der angegebenen Frist der Versuchung unterliegen werden. Die jungen Männer beschließen ihres Siegs gewiß von dem Ertrag der Wette ein brillantes Fest zu Ehren ihrer Schönen zu geben.

Fiordiligi und Dorabella erwarten in ihrem Garten am Meersufer ihre Geliebten; sie glühen von Luft und Verlangen und betrachten voll Sehnsucht die Porträts derselben, jede erklärt ihren Bräutigam für den schönsten und reizendsten. Da kommt Alfonso ganz verstört und bringt die Schreckenskunde, daß Ferrando und Guillelmo, deren Regiment Marschbefehl erhalten habe, sofort sie verlassen müssen um ins Feld zu ziehen. Ziemlich niedergeschlagen folgen ihm die Liebhaber um Abschied zu nehmen, der die [489] Mädchen zu den leidenschaftlichsten Aeußerungen des Schmerzes und der Liebe aufregt; jene drücken ihr Entzücken darüber gegen Don Alfonso aus, der das Ende loben will. Ein kriegerischer Marsch mit einem lebhaften Chor zum Preise des Kriegslebens kommt aus der Ferne heran4, die Liebenden raffen sich zu einem letzten, von Schluchzen erstickten Lebewohl zusammen, bei dem Don Alfonso kaum das Lachen verbeißen kann; mit dem von Neuem einfallenden Marsch entfernen sich die Officiere und die Mädchen vereinigen sich mit Don Alfonso zu zärtlichen Grüßen und Wünschen, welche sie der fortsegelnden Barke nachsenden.

Despina, das Kammermädchen der beiden Damen, wartet ungeduldig auf sie mit der Chocolade5. Sie ist höchst erstaunt als diese mit allen Aeußerungen des heftigsten Schmerzes eintreten, den besonders Dorabella im hochtragischen Stil äußert; ihr Erstaunen wächst, als sie die Ursache hört und sie räth ihren Herrinnen die Sache nur leicht zu nehmen und sich über die Trennung durch Zerstreuung hinwegzusetzen. Auf die ernsten Zurückweisungen, welche sie dafür erfährt, antwortet sie mit einer Berufung auf den Wankelmuth der Männer, vor allen der Soldaten, die gar nicht verdienten anders behandelt zu werden.

Don Alfonso sucht nun um seinen Plan ausführen zu können Despina zu gewinnen, die durch einige Goldstücke und die Aussicht auf reiche Belohnung schnell bereit ist [490] seinen beiden Freunden, welche in ihre Fräulein sterblich verliebt seien, den Zugang auf jede Weise zu erleichtern. Er stellt ihr darauf sogleich Ferrando und Guillelmo vor, welche sich als vornehme Albanesen verkleidet und durch falsche große Bärte entstellt haben, so daß sie der Despina als wahres antidoto d'amor vorkommen. Während sie sich der Gunst des Kammermädchens angelegentlich empfehlen, kommen die Damen darüber zu und sprechen ihre Entrüstung über die Anwesenheit fremder Männer aus, die sich zum lebhaftesten Zorn steigert, als diese ohne Weiteres auf die Knie fallen und ihnen eine unumwundene Liebeserklärung machen. Don Alfonso, der sich im Hintergrunde gehalten hat, eilt hinzu um einen förmlichen Scandal zu vermeiden, stellt sich, als ob er zu seiner größten Ueberraschung alte gute Freunde in den Albanesen erkennte und sucht zu vermitteln. Als aber diese fortfahren mit ihren dreisten Liebesanträgen, wirst sich Fiordiligi in die Brust und erklärt ihnen daß ihre Treue felsenfest und ohne Wanken sei, was aber nur den Erfolg hat daß Guillelmo eine neue Liebeserklärung wagt, die aber die Damen nicht ganz anhören, sondern endlich weggehen und sie stehen lassen. Kaum sind sie fort, so brechen die Beiden in lautes Gelächter aus, das sie nur mit Mühe auf Don Alfonsos inständiges Bitten mäßigen. Der erste Angriff, der durch Ueberraschung im Sturm zum Ziele führen sollte, ist mißlungen; man zieht sich zurück und Don Alfonso bereitet mit Despina einen neuen Plan vor.

Wir finden Fiordiligi und Dorabella wieder im Garten, wo sie im Andenken an frühere schöne Stunden zärtlich schwärmen, da stürzen die beiden Albanesen herein. Sie sind entschlossen sich zu vergiften, vergebens sucht Don Alfonso sie zurückzuhalten; angesichts der grausamen Schönen leeren sie das Fläschchen und sinken unter Zuckungen jeder [491] auf einer Rasenbank zusammen. Vom heftigsten Schrecken ergriffen rufen die Damen, durch Don Alfonso von allem unterrichtet, Despina herbei, welche mit jenem zum Arzt eilt, nachdem sie ihre Gebieterinnen aufgefordert hat, die Leidenden zu unterstützen. Das wagen diese aber nicht sondern betrachten die Männer in tiefer Gemüthsbewegung von ferne, was diesen äußerst komisch vorkommt; allmählich kommen sie näher und fangen an ein Interesse für sie an den Tag zu legen, das wiederum jene beunruhigt. Da kommt Don Alfonso mit Despina zurück, welche sich als Arzt verkleidet hat; es ist ein Charlatan nach der neuesten Mode à la Mesmer, der durch Magnetisiren Wunder zu thun verspricht. Die geängstigten Mädchen müssen sich seiner Anordnung bequemen und den Kranken den Kopf halten, während er sie mit seinem Magnetisirstäbchen wieder ins Leben ruft. Als sie sich in den Armen der Schönen sehen, fangen sie ekstatisch an zu schwärmen, was diese als eine Nachwirkung der Cur anfangs, obgleich nicht ohne Unruhe, geschehen lassen, bis sie in ihrer Begeisterung um einen Kuß bitten. Da empört sich von Neuem der Stolz der Damen, und sie gerathen in eine so heftige Wuth, daß die andern über die Aufrichtigkeit ihrer Empfindungen bedenklich zu werden anfangen; mit dieser allgemeinen, hoch gesteigerten Verwirrung schließt das erste Finale.

Beim Beginne des zweiten Aufzugs sucht Despina ihren Damen ihre überspannten Begriffe von Treue und zugleich die Furcht vor den Gefahren auszureden, welche ihnen ein Liebesabenteuer der Art bereiten könnte, sie entwirft ihnen das Bild eines Mädchens das mit den Männern zu seiner Unterhaltung spielt, wie es sich gehört, und bemerkt zu ihrer Genugthuung daß ihre Worte einigen Eindruck machen. In der That, als die Schwestern allein sind, erklärt[492] sich zuerst Dorabella geneigt Guillelmo, der sich nun um ihre Gunst beworben hat, Gehör zu geben und auch Fiordiligi zeigt sich nach einigem Widerstreben bereit mit Ferrando einen Versuch zu machen. In dieser günstigen Stimmung werden sie von Don Alfonso eingeladen zu einem kleinen Fest in den Garten zu kommen, wo die Liebhaber sie mit einem Ständchen empfangen. Sie zeigen sich nun ebenso bescheiden und blöde als sie vorher dreist und zudringlich waren; Don Alfonso muß für sie das Wort nehmen, Despina antwortet für die Damen, die Verföhnung wird mit einem Händedruck besiegelt. Nach einigen gleichgültigen Gesprächen entfernen sich Ferrando und Fiordiligi; Guillelmo äußert sich nun zärtlicher gegen Do rabella und bietet ihr ein kostbares goldenes Herz zum Geschenk an, sie nimmt es ohne Umstände, erklärt ihm auch daß sie ihm ihr Herz nicht wieder schenken könne, weil er es schon besitze, läßt es geschehen, daß er das Porträt Ferrandos von ihrem Busen ablöst und zu sich nimmt und giebt sich nun ohne Bedenken dem zärtlichsten Liebesgetändel hin. Darauf kommt Ferrando mit Fiordiligi zurück, die ihn zwar mit Strenge zurückweist, allein doch durchfühlen läßt daß sie gegen seine Klagen nicht unempfindlich sei; er wagt nun eine ebenso zarte als eindringliche Liebeserklärung und geht als auch diese keine Erhörung findet verzweifelnd ab. Allein gelassen gesteht sie sich zwar ein daß ihr Herz getroffen sei, aber ihr Vorsatz steht fest dieser Versuchung zu widerstehen und dem Verlobten die Treue zu halten.

Während Ferrando mit lebhafter Freude Guillelmo berichtet, wie standhaft Fiordiligi seinen Bewerbungen widerstanden habe, muß er von diesem zu seiner Bestürzung und Verzweiflung hören, wie leicht sich Dorabella ergeben hat, und muß sogar einige übermüthige Bemerkungen seines [493] Freundes und dessen nach dieser Erfahrung in keineswegs schmeichelhafter Weise modificirte Ansicht über die Treue der Frauen ruhig mit anhören. Sein Schmerz ist um so größer, da er sich sagen muß daß in seinem Herzen die Liebe zu der Treulosen noch nicht erstickt ist. Guillelmo sieht nun die Wette als erledigt an, Don Alfonso aber verlangt daß noch ein Angriff auf Fiordiligi gemacht werden solle.

Diese macht ihrer Schwester die heftigsten Vorwürfe über den Leichtsinn, mit welchem sie dies neue Verhältniß angeknüpft habe, worauf diese mit größter Offenheit nur erwiedert, daß sie ihrer Neigung nicht gebieten könne noch wolle, sondern nur in ihrer Befriedigung sich glücklich fühle. Ganz empört darüber faßt Fiordiligi um ihrer eigenen Schwäche zuvorzukommen den Entschluß in Männerkleidern dem Geliebten nachzureisen und mit ihm die Gefahren des Kampfes zu theilen. Sie läßt sich eine Uniform bringen, setzt den Hut auf, nimmt den Degen in die Hand – da stürzt Ferrando herein und beschwört sie ihn zu tödten ehe sie ihn verlasse. Das ist zu viel, sie kann seinem Schmerz nicht widerstehen und sinkt besiegt an seine Brust.

Nun ist die Reihe außer sich zu sein an Guillelmo, er wie Ferrando sind sich einig die Mädchen zu verlassen, nur allmählich beruhigt sie Don Alfonso und bringt sie dahin diese Erfahrung auf rechte Weise zu nützen, und eine philosophische Beruhigung und Resignation aus der Ueberzeugung zu gewinnen, die sie nun mit ihm theilen: Così fan tutte! Also heirathen wollen sie ihre Bräute, aber vorher noch für ihre Treulosigkeit bestrafen, und grade bringt Despina die Nachricht, daß die Damen entschlossen sind noch denselben Abend ihre neuen Liebhaber zu heirathen und sie beauftragt haben den Notar zu holen.

Empfangen von Despina und Don Alfonso und [494] dem glückwünschenden Chor der Diener und Spielleute treten die beiden Paare in die festlich geschmückten Räume und lassen sich unter zärtlichen Wechselreden zu einem heiteren Mahl nieder. Da erscheint Despina als Notar verkleidet und liest den Ehecontract vor; kaum ist er unterzeichnet, als man von fern den Marsch und Chor des ersten Aufzugs hört, Don Alfonso bringt voll Schrecken die Nachricht daß das Regiment plötzlich zurückgerufen ist und die alten Geliebten sich dem Hause nahen. In Hast werden die Albanesen und der Notar versteckt und in der tödtlichsten Angst und Verlegenheit empfangen die Mädchen ihre mit lauter Fröhlichkeit heimkehrenden Geliebten. Don Alfonso, der den Vermittler macht, weiß es herbeizuführen daß der Notar im Nebenzimmer entdeckt wird; allein Despina giebt sich zu erkennen und behauptet so eben von einem Maskenballe nach Hause gekommen zu sein. Als aber nun auch der Ehecontract Guillelmo in die Hände fällt, müssen die Mädchen den erzürnten Liebhabern gegenüber das Geständniß ihrer Schuld ablegen, worauf sich diese ihnen als die Albanesen zu erkennen geben, indem Guillelmo das Porträt Dorabella wiedergiebt und spöttisch die Melodie des Duetts wiederholt, worauf beide in gleicher Weise Despina als Doctor begrüßen. Nach dieser beschämenden Aufklärung mahnt Don Alfonso zum Frieden und führt die Paare zusammen, welche sich rasch versöhnen; worauf alle sich in der Moral vereinigen


Fortunato l'uom, che prende

Ogni cosa pel buon verso,

E tra i casi e le vicende

Da ragion guidar si fà.

Quel che suole altrui far piangere

Fia per lui cagion di riso,

E del mondo in mezzo i turbini

Bella calma troverà.


[495] Wenn Mozarts Musik bei dieser Oper sogleich allgemeine Anerkennung fand, wozu die Verbreitung des Figaro und Don Giovanni trotz so mannigfachen Widerspruchs nicht wenig mitgewirkt hatte6, so verurtheilte man ebenso allgemein das Libretto als einen der abgeschmacktesten Operntexte7; [496] und dieses Urtheil ist mit wenigen Ausnahmen8 das geltende geblieben. Zwei Vorwürfe sind es ganz besonders, welche man demselben gemacht hat: die große Unwahrscheinlichkeit, welche darin liegt daß weder die Geliebten noch Despina in ihren Verkleidungen von den beiden Mädchen erkannt werden, und die das sittliche Gefühl beleidigende Frivolität, mit welcher die Männer ihre Bräute auf eine so unwürdige Probe stellen, die dann wo möglich noch durch die Leichtfertigkeit überboten wird, mit welcher alle nach dem unglücklichen [497] Ausgang sich sofort vertragen und froh sind zur wahren Lebensphilosophie der Toleranz gelangt zu sein. Beide Vorwürfe sind gegründet; indessen würden sie allein schwerlich die ungünstige Aufnahme der Oper ausreichend erklären, welche sich nirgend dauernd auf dem Repertoire hat halten können, wiewohl man verschiedene Versuche gemacht hat durch Umarbeitungen diesen Mängeln abzuhelfen9.

[498] Daß das Mittel der Verkleidungen trivial und an sich wenig unterhaltend ist kann man nicht leugnen; allein die Menge von Lustspielen, deren wesentliche Pointe in Verkleidungen steckt und die den größten Beifall gefunden haben und finden, beweist daß das Publicum in dieser Beziehung keineswegs schwierig ist. Auch ist es in der That keine unbillige Anforderung an die Einbildungskraft des Zuschauers auf diese Voraussetzung einzugehen, welche in jedem Drama ungleich bedeutsamere Abweichungen von der Wirklichkeit zugestehen muß und leicht zugesteht. Allein die Phantasie nimmt dergleichen Unwahrscheinlichkeiten nur willig an insofern sie als rein äußerliche Voraussetzungen von Begebenheiten und Handlungen dienen, die von da aus ihren regelrechten Verlauf nehmen; werden sie Verhältnissen zu Grunde gelegt, deren innere Unwahrheit zu Tage tritt, so wendet sich der Zweifel sofort auch gegen die unwahrscheinliche Voraussetzung10.

[499] Die verletzende Leichtfertigkeit einer solchen Wette, welche Verlobte über die Treue ihrer Bräute eingehen, die sich dann selbst dazu hergeben sie verkleidet auf die Probe zu stellen, ist von da Ponte auf keine Weise durch die Behandlung gemildert. Der ganze Ton der Darstellung ist, obgleich nicht ohne Witz und Lebhaftigkeit, doch nicht sein und geistreich genug um uns die Vorstellung eines wenn auch übermüthigen, doch nicht rohen und gefühllosen Scherzes zu geben, und das Peinliche, welches an sich in der Situation liegt, wird dadurch noch sehr vermehrt, daß die Männer bei der Prüfung ihre Geliebten vertauschen, wobei es noch dazu den Anschein gewinnt, als ob jetzt erst die Rechten sich gefunden[500] haben11. Die Entschuldigung, welche darin liegt daß die Mädchen sich unbewußt zu dem Gegenstand ihrer Neigung hingezogen fühlen, ist aufgegeben gegen die drastische Wirkung der Verlegenheit, in welche nun auch die Männer gegenseitig gerathen12. Dieser Mangel an Feinheit [501] in der Darstellung wird durch den Sinn jener Zeit, welche diese Verhältnisse leichter auffaßte und derber behandelte, nur zum Theil erklärt; erwägt man aber, welches Maaß von verhüllter und offenbarer, plumper und raffinirter Unsittlichkeit sich das Publicum heute noch auf der Bühne gefallen läßt, so wird man für die Intoleranz dieser Oper gegenüber noch andere Gründe erwarten.

Um das Bedenkliche der Situation einigermaßen zu verdecken mußte das psychologische Interesse in den Vordergrund treten, wie eine so auffallende Wandlung der Gesinnung bei einer bestimmten Anlage der Charaktere unter eigenthümlichen Verhältnissen denkbar sei, was nur durch eine sehr seine, im Detail ausgeführte Zeichnung der Charaktere und Situationen zu erreichen war; den Mädchen gegenüber mußten die ganz verschiedenartigen, wechselnden Stimmungen der Männer während derselben Situationen dargelegt werden. Beides würde für die musikalische Ausführung dankbare Aufgaben liefern. Das Interesse der psychologischen Entwickelung mußte ferner durch eine spannende Handlung gehoben werden. Das Thema einer solchen Wette führt wie von selbst auf lebhafte Intriguen, die einander durch Minen und Gegenminen kreuzen, Angriff und Abwehr bringen Ueberraschungen, Verlegenheiten und Täuschungen in raschem Wechsel hervor, die um so mannigfaltiger werden, je mehr man die Stellung der Liebespaare zu einander und den mithelfenden Personen verschränkt. Geht Erfindsamkeit [502] in den Situationen und Feinheit der psychologischen Darstellung Hand in Hand, so kann das Sujet sehr wohl zu einem die Aufmerksamkeit spannenden und fesselnden Drama gestaltet werden; auch läßt es sich denken, daß das Ganze mit soviel Humor behandelt, daß Schuld und Mißgeschick so nach allen Seiten hin vertheilt werde, um das Ganze in einer heiteren und versöhnlichen Weise abzuschließen.

Höheren Anforderungen solcher Art genügt aber da Pontes Libretto keineswegs, das vielmehr ganz auf dem Niveau der gewöhnlichen opera buffa steht und mit diesem Maaße gemessen sein will. Zu einer feineren Charakteristik ist eigentlich nur bei Fiordiligi, und auch nur bis auf einen gewissen Grad ein Ansatz gemacht, wodurch auch Ferrando eine etwas bestimmtere Stellung erhält; die übrigen Personen haben wesentlich den typischen Charakter der Figuren der opera buffa, denen allein die musikalische Darstellung ein mehr individuelles Gepräge gegeben hat. Auch in den Situationen zeigt sich wenig originelle Erfindung; der einzige Einfall, durch den die Handlung belebt wird, die vorgebliche Vergiftung und das Auftreten Despinas als Arzt, ist weder sein noch neu, und die Handlung verläuft sich ohne daß man veranlaßt wird sie mit Interesse oder gar mit Spannung zu verfolgen. Aber sie giebt zu einer Reihe von musikalisch dankbaren Situationen Veranlassung und diese sind, einzeln betrachtet, von da Ponte mit dem ihm eigenen Geschick behandelt; die ganze Abschiedsscene, das Sextett und besonders das erste Finale sind ihrer Anlage nach durchaus musikalisch und die Verse da Pontes sind durchweg fließend und bequem, oft nicht ohne Geist. Leider aber ist seine Kraft durch den ersten Aufzug fast ganz erschöpft; während dieser eine Reihe contrastirender Situationen darbietet, die namentlich eine Fülle von Ensemblesätzen herbeiführen [503] wie kaum eine andere Oper, tritt im zweiten Akt eine um so stärker auffallende Monotonie ein. Die Einzelprüfungen der Schönen und die Rückwirkung auf die Männer verlaufen nacheinander in ganz gleicher Weise ohne ein eigentliches Interesse zu bieten, das durch die Verschiedenheit im Benehmen der Personen nicht hinreichend erregt wird, weil sich diese nicht in eigenthümlichen Situationen ausspricht. Die einzige Veranlassung zu einem bedeutenden Ensemble, die Scene, wo die schüchtern gewordenen Liebhaber mit den beleidigten Schönen durch Alfonso und Despina versöhnt werden, ist leider unbenutzt geblieben, und den Gedanken dem weitern Verlauf der Handlung durch eine künstlichere Verwickelung Ensemblesätze abzugewinnen scheint da Ponte gar nicht gefaßt sondern sein Augenmerk nur darauf gerichtet zu haben, die nach der Schablone der opera buffa unerläßlichen Arien und Duetts für die Hauptpersonen auf eine angemessen contrastirende Weise zu vertheilen, was ihm denn auch gelungen ist13. Erst im Finale zeigt sich eine festere Haltung, indessen ist gegen die gemächliche Ausführung des Verlobungsfestes – die auch erst durch Mozarts Musik ihren eigentlichen Reiz erhält – die Lösung des Knotens etwas aphoristisch behandelt, die Handlung die vorher so langsam vorrückte eilt ersichtlich dem Ende zu, der Wechsel der Contraste ist zu rasch um jeden recht wirken zu lassen.

Mozart fand sich also durch diese Aufgabe wieder auf das Gebiet der eigentlichen opera buffa versetzt. Die Handlung ohne innere Bedeutung und Interesse, die Personen [504] ohne charakteristische Individualität, beide durch das gewöhnliche Mittel der niederen Komik, durch Uebertreibung – die gefährlichste Klippe der musikalischen Darstellung einigermaßen wirksam gemacht. Fast nirgend äußern sich wahre Leidenschaft oder echtes Gemüth und Gefühl als die eigentlichen Impulse der handelnden Personen, wo sie hervortreten, sind sie entweder gradezu erheuchelt oder doch getrübt und gefärbt; die wahre Wurzel musikalischer Darstellung ist damit abgeschnitten, namentlich die Quelle der Mozart eigenthümlichen Auffassung so gut wie verschlossen. Dazu kamen dann noch die auch jetzt noch erkennbaren Ansprüche der darstellenden Künstler, welche berücksichtigt werden mußten. Es kann nicht fehlen daß diese Umstände auf die Composition Einfluß übten; eine genaue Prüfung lehrt aber, daß Mozart nicht allein alle die Momente, welche seiner künstlerischen Eigenthümlichkeit entsprachen, in bewunderungswürdiger Weise zu entdecken und zu nutzen wußte, sondern daß die veränderte Aufgabe ihn auch zu neuen, ganz eigenthümlichen Aeußerungen seiner Productionskraft anregte, welche hier Seiten seiner künstlerischen Natur hervortreten lassen, die sich so nirgend sonst offenbaren14.

[505] Die ganze, ziemlich breit ausgeführte Exposition der Oper ist musikalisch nicht undankbar, weil hier die Empfindungen noch im Wesentlichen unbefangen und aufrichtig sich äußern. Die Unbequemlichkeit daß gleich anfangs drei Männerterzetts auf einander folgen ist für Mozart keine, weil er jedes derselben aus dem Moment der Situation heraus auffaßt, so daß sie unter sich verschiedenartig doch wie zusammengehörige Glieder eines Organismus eine naturgemäße Steigerung hervorbringen. Im ersten Terzett giebt die aufgeregte Stimmung der jungen Officiere den Ton an, welche Don Alfonso durch leichte Scherzhaftigkeit zu mäßigen sucht; im zweiten tritt dieser in den Vordergrund mit seinem alten Liede vom Phönix Weibertreue, das er im Ton gutmüthiger Ironie, den das Orchester trefflich unterstützt, jenen vorsingt, die vergebens mit ihren Einreden durchzu dringen suchen – ein ganz eigenthümliches Musikstück voll der besten Laune. Das dritte Terzett zeigt die Lebenslust der Liebhaber, durch die Wette übermüthig gesteigert, im glänzendsten Lichte, und die Musik führt uns das fröhliche Fest, auf das sie sich schon freuen mit lebhaften Farben vor die Sinne. Die leichte, heitere Stimmung ohne eine tiefer gehende Erregung, welche hier vorherrscht, fixirt den Grundton der Oper; die jungen Männer sind im Allgemeinen charakterisirt, ohne daß uns schon eine Verschiedenheit ihrer [506] Individualität bemerkbar würde, sie stehen zusammen gegen Don Alfonso, der um so schärfer dagegen hervortritt.

Gehobener ist der Situation gemäß das Duett der beiden Mädchen (4), die vor dem Bilde der Geliebten in zärtlichen Gefühlen schwelgen. Der Ausdruck derselben ist von großer Kraft, Lebendigkeit und sinnlicher Fülle, aber jener Ton der Innigkeit, jene leisen Accente der Sehnsucht, durch welche Mozart in so unnachahmlicher Weise das innerste Gefühlsleben der viele zu charakterisiren weiß, treten nirgends hervor; es ist mehr Glanz als Wärme in dieser übrigens sehr lebhaften musikalischen Schilderung. Die Uebereinstimmung in den Empfindungen läßt auch hier die Charakteristik der Individuen zurücktreten, die leichten Modificationen sind mehr musikalischer als dramatischer Natur15.

Don Alfonsos kleine Arie (5), in welcher er nach Fassung und Kraft zu ringen scheint um das Schreckliche auszusprechen, ist, da das Ganze Verstellung ist, nicht für sein wahres Wesen charakteristisch, sondern sie charakterisirt die Situation und zwar mit Uebertreibung, die gegen sein sonst ruhiges Wesen um so schärfer absticht, aber nicht in einer[507] Weise gesteigert werden durfte, daß die Unwahrheit zu Tage tritt. Wenn Don Alfonso nachher sagt: non son cattivo comico, so ist damit Ton und Vortrag der Arie ganz richtig bezeichnet; die Mittel der Täuschung sind mit Bewußtsein ohne wahre Empfindung angewendet und dies ist in den wenigen Takten meisterhaft gelungen, so daß es dem Darsteller nicht schwer werden kann, die Ironie unvermerkt durchklingen zu lassen16.

Auf eine bisher nicht geahnte Höhe hebt uns das nun folgende Quintett (6). Es ist ganz richtig, wenn dem Schmerz der Mädchen über die bevorstehende Trennung, der sich in immer steigender Leidenschaftlichkeit ausspricht, gegenüber die Männer, welche diesen Schmerz nicht empfinden, aber durch die Vorstellung der Rolle die sie spielen müssen nothwendig beklemmt sind, mit mehr Haltung ihre an sich wahre Empfindung äußern und nur der weicher empfindende Ferrando allmählich durch die Trauer der Geliebten sympathisch gestimmt wird. Dadurch wird das wahre Temperament für die allgemeine Grundstimmung gewonnen, das hier um so nöthiger ist damit das ironische Element durch Don Alfonso sich geltend machen könne, das da, wo die Leidenschaftlichkeit der Mädchen auf ihre Geliebten den größten Eindruck macht, zur rechten Zeit eintritt, um die ganze Situation nicht in das Gebiet des eigentlich Pathetischen übergreifen zu lassen. Wie Mozart dies Clairobscur benutzt hat um in den Gefühlen des Liebesschmerzes wahrhaft zu schwelgen, den Zuhörer zu inniger Theilnahme zu stimmen ohne ihn doch eigentlich gerührt werden zu lassen, weil [508] er ihn durch die immer wieder durchblickende Ironie die Situation als eine heitere auffassen läßt, das ist so wenig zu beschreiben als die unnennbare Schönheit, der zauberhafte Wohllaut, von welchem man wie überströmt wird. Unzweifelhaft gehört dies Quintett in jeder Beziehung zu dem Vollendetesten was Mozart geleistet hat. Dagegen ist das folgende kleine Duett (7), in welchem Ferrando und Guillelmo die zagenden Bräute zu trösten suchen, sowohl dem musikalischen Gehalt nach als für die Charakteristik unbedeutend. Man würde zu viel dahinter suchen, wollte man annehmen, es solle dadurch ausgedrückt werden daß sie nicht das Herz haben ihren unwahren Reden den Schein inniger Ueberzeugung zu geben; es ist offenbar nur ein kurzes, leicht hingeworfnes Musikstück von gefälligem Charakter, wie das Publicum sie liebte, ohne tiefere Bedeutung.

Der darauf folgende Marsch mit Chor (8) ist einfach, aber sehr frisch und hübsch, der Situation wie dem Charakter der Oper durchaus entsprechend. Dadurch wird nun die Abschiedsscene (9) herbeigeführt, die wiederum durch ihre wunderbare Schönheit und die seine Charakteristik ein vollendetes Meisterstück ist17. Das abgebrochne Schluchzen der gerührten Mädchen hat, wie die unendliche Betrübtheit bei Kindern, etwas so Komisches, daß man zweifelhaft werden kann, ob es die Männer nicht unwillkührlich ihnen halb im Scherz nachmachen, aber als das letzteAddio gewechselt ist, da tönt ein so süßer und inniger Laut der Klage von ihren Lippen, daß auch die Männer davon ergriffen werden und Don Alfonso verstummt, der erst als das Abschiednehmen sich wiederholt durch seine spöttischen Zwischenreden [509] daran erinnert, wie es mit dem ganzen Abschied gemeint sei. Die Wiederholung des Chors unterbricht zur rechten Zeit, damit nicht entweder die Thränen oder das Lachen die Oberhand gewinnen, den zärtlichen Abschied mit seinen frischen und kräftigen Klängen. Die ganze Scene aber findet ihren Abschluß in den Grüßen, welche die Mädchen, von Don Alfonso, der sich ihren Gefühlen mit einer leisen Ostentation hingiebt, unterstützt, der fortsegelnden Barke nachrufen. Dies Ter zettino (10) zeigt, wie unerschöpflich Mozart in den feinsten Nuancirungen derselben Stimmung ist; nachdem die Empfindungen der Liebenden beim Abschied schon mehrfach ausgesprochen sind, wird uns hier ein ganz anderes Seelengemälde in neuen Farben vorgeführt. Der Wunsch, welcher den schon entfernten Geliebten nachgesendet wird, ist gehaltener als der Schmerz, welchen der erste Gedanke an die nahe Trennung und dann der Moment des Scheidens hervorruft, aber auch inniger, gewissermaßen reiner, und so verklären sich hier alle früheren Gefühle zu einer Harmonie von wunderbar zartem Schmelz, die durch einzelne scharfe Vorhalte und besonders durch die überraschende Dissonanz welche auf desir eintritt,


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[510] einen ganz eigenen Reiz erhält. Auch die murmelnde Begleitung der gedämpften Violinen gegenüber den weichen und vollen Accorden der Blasinstrumente, welche durch die Vorstellung der Seefahrt veranlaßt ist, trägt nicht wenig zu dem eigentlichen Colorit dieses wunderlieblichen Musikstücks bei18.

Bis hieher geht alles seinen natürlichen Gang, wir begegnen keinen ungewöhnlichen Charakteren, keinen überraschenden Situationen, aber die Empfindungen äußern sich wahr und einfach unter Umständen, welche eine leicht verständliche Handlung angemessen herbeiführt. Die musikalische Darstellung hat daher eine dankbare Aufgabe; wenn [511] sie wahr ist und die jedesmalige Situation treffend wiedergiebt, ist sie ihrer Wirkung gewiß. Mozart hat charakteristische Wahrheit hier mit einer Schönheit der Form, mit einer wahren Wollust des Wohlklanges vereinigt, daß diese anfangs übermächtig sich des Ohrs zu bemächtigen scheint und in solcher süßen Fülle kaum irgendwo sonst bei ihm sich findet, wie sie uns in dieser Oper auch sonst entgegentritt.

Im weiteren Verlauf der Handlung kommt es nun zunächst auf die schärfere Charakteristik der Individualitäten an. Zuerst tritt uns Dorabella entgegen, welche in einer großen, durch ein begleitetes Recitativ eingeleiteten Arie (11) ihren Schmerz ausspricht. Sie besteht aus einem Satz (Allegro agitato), der seinen eigenthümlichen Charakter durch die unruhige Sextolenfigur der Geigen


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erhält, die bis kurz vor dem Schluß auch nicht einen Takt aussetzt, sondern in verschiedenen Lagen durch mannigfache harmonische Wendungen hindurchgeführt eine unstete zitternde Bewegung erhält, die durch die vollen Accorde der Blasinstrumente nicht sowohl befestigt als durch scharfe Accente nur noch stärker hervorgehoben wird. Die reiche und charakteristische Begleitung dient aufs wirksamste zur Folie der Singstimme, welche sich einfach in getragenen Tönen bewegt, aber in kurzen ausdrucksvollen Phrasen, die sich zu leidenschaftlichen Ausrufen und zum Schluß sogar zu einem unerwarteten Pathos steigern. Die Arie nimmt sowohl hinsichtlich der musikalischen Behandlung als des Gefühlsausdrucks, wenn man die gegebene Situation allgemein auffaßt, einen sehr hohen Rang ein; faßt man aber den Charakter der Dorabella ins Auge, wie er sich später entwickelt, so tritt ein auffallender Widerspruch hervor. Sie ist es, die der [512] Schwester den Vorschlag macht sich mit den neuen Liebhabern ein Späßchen zu machen, und in dem Duett, worin diese ihre Zustimmung ausspricht (20), erscheint auch musikalisch Dorabella als die provocirende, obgleich die Nuancen der Charakteristik welche beide Schwestern unterscheiden mehr zufällige sind – scherzosetta will Dorabella, sospirando Fiordiligi dem Liebhaber begegnen – und der Leichtsinn, welcher beide ergreift, das wesentliche Moment abgiebt. Allein in dem Duett mit Guillelmo (23) zeigt sie sich nicht allein voll heiterer Laune, sondern in einer Weise entgegenkommend und von heißer Lust ergriffen, daß man gar nicht zweifeln kann, daß hier ihr wahres Wesen seinen Ausdruck finde, und zum Ueberfluß spricht sie nachher noch in einer Arie (28) ihre Ansicht aus, daß die Liebe über die Herzen gebiete und Widerstand dagegen zu versuchen Thorheit sei. Diese Arie hat mit der ersten darin eine gewisse Verwandtschaft daß die Singstimme sehr einfach gehalten ist, und der Ausdruck wie dort in schmerzlicher Aufregung, so hier in heiterer Lust ein bestimmtes Niveau nicht übersteigt, allein der Ausdruck selbst ist ein völlig verschiedener. Hier ist es ein rücksichtsloses Hingeben an die Luft und das Behagen des Augenblicks, angenehm, lieblich, nicht ohne Lebhaftigkeit, aber ohne eigentliche Wärme und Tiefe der Empfindung; nicht einmal Schalkhaftigkeit ist vorherrschend. Die Begleitung giebt auch hier, natürlich in ganz verschiedener Weise, das eigenthümliche Colorit; die Blasinstrumente, welche sehr hervortreten und vielfach allein angewandt sind, geben dem Ganzen nicht allein etwas sehr Einschmeichelndes, sondern einen blendenden Schimmer eigener Art. Bei näherer Betrachtung hebt sich indessen der scheinbare Widerspruch zwischen beiden Arien auf. Dorabella zeigt sich als ein Frauenzimmer, das zwar lebhaft aber nicht tief [513] empfindet, das ihre Gefühlserregungen als einen Genuß und eine Unterhaltung ansieht, welche sie nicht lange entbehren mag; auch den Schmerz sucht sie auf solche Weise zu genießen, was aber nur theilweise und nicht auf die Dauer gelingt. Den Ausdruck des Schmerzes steigert sie absichtlich, und sehr bezeichnend ist es daher daß das eigentliche Toben und Rasen des Schmerzes ins Orchester verlegt ist, während die Singstimme den wahren, nicht tief greifenden Charakter der Dorabella andeutet. Dazu kommt noch ein anderer Umstand. Das Uebertreiben im Ausdruck des Schmerzes, welches schon darauf hinweist daß er nicht ganz echt sei, ist im Text stark hervorgehoben, z.B.


Esempio misero d'amor funesto

Darò all' Eumenidi, se viva resto,

Col suono orribile de' miei sospir


und die Musik kommt dem getreulich nach. Indem sie hier wesentlich Haltung und Farbe, theilweise auch die Form beobachtet, welche man für den Ausdruck des wahren Pathos in der opera seria anzuwenden gewohnt war, nimmt sie in ganz ähnlicher Weise einen parodischen Charakter an, wie der Text, wenn er die Eumeniden und ähnlichen rhetorischen Apparate der Tragödie bei dieser Situation und einer solchen Persönlichkeit anwendet, was namentlich gegen den Schluß in der Wendung


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[514] unverkennbar hervortritt. Dies Element des Parodischen gab ein erwünschtes Mittel ab um der bedenklichen Aufgabe zu genügen, den musikalischen Ausdruck der Empfindung ins Uebertriebene zu steigern, ohne denselben unnatürlich und unschön werden zu lassen. Damit es zur vollen Wirkung komme wird freilich nicht allein ein seiner Vortrag der Sängerin sondern auch das Verständniß des Publicums für die Nuancen des Stils vorausgesetzt19.

Fiordiligi ist unverkennbar schon von da Ponte begünstigt20 und sie tritt demnach auch in der musikalischen [515] Darstellung vor der Schwester hervor21. Gleich die erste Arie (14), in welcher sich ihr Charakter ausspricht, geht aus einer viel günstigeren Situation hervor. Die verkleideten Liebhaber sind in ihr Haus gedrungen und wagen es auch nach entschiedener Zurückweisung ihre unverschämten Anträge zu erneuen. Daß Fiordiligi sie nicht sofort stehen läßt mag kein Beweis von großem Zartgefühl sein, vielleicht sogar den Verdacht erregen daß sie solche Reden nicht so ganz ungern hört; allein da sie dieselben einer Antwort würdigt und ihre unerschütterliche Treue zu versichern für nöthig hält, so ist hier wenigstens Energie und Nachdruck am Ort und starke Farben aufzutragen durchaus angemessen. Wir finden daher auch hier eine vollständige Bravurarie nach hergebrachter Form in zwei Sätzen, einem Andante und Allegro, [516] dem sich eine lange Coda in gesteigertem Tempo anschließt. Wenn hier einerseits der Sängerin Gelegenheit gegeben ist ihre Stimmittel und Gesangskunst nach verschiedenen Seiten zu zeigen, so geschieht doch damit der Charakteristik kein Eintrag; grade die eigenthümlichen Bravurzüge, die Octaven-, Decimen- und Duodecimen-Sprünge, die Rouladen, welche den Gegnern kühn entgegengeschleudert werden, die baßähnlichen Gänge in der tiefen Stimmlage heben den amazonenhaften Stolz der Fiordiligi vortrefflich hervor. Die komische Wirkung beruht allerdings auch hier ganz wesentlich auf dem parodischen Element, das schon durch die Form die Uebertreibung andeutet und hier noch stärker als in Dorabellas Arie markirt wird. In guter Absicht ist auch beidemal eine Arie von leichtem Charakter, welche den heiteren Scherz, der das eigentliche Lebenselement dieser Oper ist, ausdrückt, erst der Despina (12) dann des Guillelmo (15), diesen schwerwichtigen entgegengesetzt, so daß der parodische Ausdruck des ursprünglich fremdartigen Elements um so entschiedner wirkt.

Nachher läßt sie sich freilich durch den Leichtsinn ihrer Schwester hinreißen auch zum Spaß mit dem neuen Liebhaber zu tändeln, allein nun tritt ihr, die tiefer fühlt als Dorabella und zu einer gewissen Schwärmerei hinneigt, in deren Geliebten eine sie überraschende Erscheinung entgegen. Während Guillelmo durchaus heiter und lebenslustig auftritt, zeigt sich Ferrando schon in der Abschiedsscene als ein Mensch von weichem Gefühl, dem er keineswegs überall gebieten kann. Ganz unverholen spricht sich diese Natur in der Arie (17) aus22, welche er nach dem ersten fehlgeschlagenen [517] Angriff singt und die eine in den Textworten ziemlich fade ausgedrückte Zärtlichkeit ungemein weich und zart wiedergiebt, so daß man den sentimentalen, in süßen Gefühlen schwelgenden, aber wenig energischen Mann nicht verkennen kann. Diese Art von Sentimentalität, welche den Deutschen nur allzugeläufig ist, ist der Natur des Südländers eigentlich fremd und es stimmt ihn nicht sowohl zum Mitgefühl sondern zum Lachen, wenn ein solcher Mensch durch seine Gefühligkeit in Verlegenheiten und Verdrießlichkeiten geräth; auf der Bühne ist er ihnen daher eine vorwiegend komische Figur, das darf man auch bei unserer Oper nicht ganz aus den Augen lassen. Als er nun mit seiner verstellten Liebesbewerbung sich Fiordiligi nähert, da kann er seiner Natur nach nicht anders als seine Gefühle mit großer Lebhaftigkeit und Wärme äußern, ja sein excentrisches Wesen wird durch das Gezwungene der Situation nur gesteigert. Grade dieses aber ist am ehesten geeignet auf Fiordiligi Eindruck zu machen, sie geräth ihm gegenüber ins Schwanken. Da er dieses wahrzunehmen glaubt, äußert er sein Entzücken darüber mit einer Schwärmerei, daß er sich nicht fassen kann, und die ein ruhiger Mann in der Weise gar nicht erheucheln könnte; es ist klar, wie seine Phantasie mit seinem erregten Gefühle ihr Spiel treibt. Unter dieser gewiß gerechtfertigten Annahme ist diese Arie (24)23 nicht allein durch den herrlichen [518] Melodienfluß wahrhaft hinreißend und bezaubernd, sondern auch für die Situation wie für die Person ungemein bezeichnend; sowie es denn auch charakteristisch ist, daß die Enttäuschung Ferrandos, als Fiordiligi sich soweit ermannt ihn mit Blick und Geberde entschieden zurückzuweisen, sich zwar lebhaft, aber keineswegs mit solcher Heftigkeit äußert, wie sie der so eben entwickelten Gefühlsseligkeit entsprechen würde, die seiner natürlichen Empfindungsweise gemäßer ist. Wollte man annehmen daß Ferrando in kalter Ueberlegung Gefühle heuchelte, von welchen er gar nichts empfindet, so ergäbe dies für die musikalische Darstellung eine gradezu unmögliche Aufgabe; denn karikaturartige Uebertreibung, auch durch das oben angewandte Mittel der Parodie, ist nur da am Ort, wo keine Ueberzeugung erreicht werden soll, während hier der Eindruck welchen Fiordiligi erfährt auch dem Hörer durch die eigene Empfindung klar werden soll. Die Musik kann also nur die wahre Empfindung ausdrücken, die demnach eine Charakteristik des Ferrando voraussetzt, welche ein Gemisch von Schwärmerei und Hingerissensein durch den Moment erklärt.

Hierdurch rechtfertigt sich aber auch allein der tiefe Eindruck, welchen die ebenfalls zur Schwärmerei geneigte Fiordiligi empfindet, die allein gelassen sich den doppelten Vorwurf macht, mit Ferrando ein leichtfertiges Spiel getrieben zu haben und schon auf den Weg gerathen zu sein ihrer Liebe innerlich untreu zu werden. Das Gefühl der [519] Reue und der neu gestärkten Treue, welches das Andenken an den abwesenden Geliebten in ihr belebt, spricht sie in der wunderschönen Arie (25) Per pietà, ben mio, perdona mit voller Innigkeit aus. Hier ist wahre, aus dem Herzen dringende Empfindung, welche die Musik auszudrücken hat, und sie thut es mit allem Zauber des reinsten Wohllautes. Wenn in dieser groß angelegten Arie in zwei ausgeführten Sätzen, Adagio und Allegro, nicht allein die Sängerin reich bedacht ist, sondern auch die Blasinstrumente, ganz besonders die Hörner concertirend eingreifen, so ist dadurch die Wahrheit des Ausdrucks nicht beeinträchtigt; man kann nicht sagen daß der Eindruck der musikalischen Formenschönheit, so wunderbar dieselbe auch ist, vorwiege vor dem der rührenden Empfindung, allein die Charakteristik ist mehr die allgemeine der Situation und Gemüthsstimmung als einer ganz scharf ausgeprägten Individualität, dadurch und durch die formale Behandlung tritt diese Arie den bedeutendsten Concertarien Mozarts näher. Sie ist der großen, für dieselbe Ferraresi componirten Arie der Gräfin im Figaro unleugbar verwandt, so verschieden beide auch in Haltung und Farbe sind. Offenbar hatte die Individualität der Sängerin, die sich in den drei Arien ganz deutlich nachweisen läßt, hierauf einen bestimmenden Einfluß; indessen mochte auch die Betrachtung sich geltend machen, daß eine allzuscharfe Charakteristik einer solchen Stimmung über den Ton der opera buffa hinausgeführt haben würde. Auch so weist sie auf eine ernsthaftere Verwickelung und Lösung der Situation hin.

Ferrando wird, als er die Untreue seiner Dorabella erfährt, zwar anfangs heftig betroffen, allein Zorn und Rache weichen bald dem Gefühl einer Neigung die er nicht besiegen kann; in seiner schönen Cavatine (27) – so hat Mozart sie überschrieben – wird der Zorn nur flüchtig angedeutet, [520] während mit einem leuchtenden Glanze die Erinnerung an die immer noch Geliebte aus dem Dunkel hervortritt24. In dieser Stimmung, welche ebenfalls mehr sentimental als energisch ist, muß er auf Don Alfonsos Geheiß noch einen Angriff auf Fiordiligis Herz unternehmen. Diese hat um ihrer eigenen Schwäche zu entfliehen den romantischen Entschluß gefaßt in Männerkleidern dem Geliebten nachzureisen, er überrascht sie bei der Vorbereitung in hochgespannter Empfindung, er selbst durch das was vorangegangen ist in großer Aufregung. Das Duett, welches sich zwischen ihnen entspinnt (29), ist von eigenthümlicher Anlage und ungemein reich ausgeführt. Fiordiligis hochherzigen Gefühlen, die sich an die Seite des Geliebten träumt, tritt die schwermüthige Klage, dann die eindringlichste Bitte Ferrandos entgegen, ihr Widerstand wird immer schwächer, sein Flehen lebhafter – sie sinkt in seine Arme. Diese Scene verläuft in einem regelmäßig ausgeführten Duett von zwei Sätzen, allein die lang anhaltende Spannung verlangt ein langes Austönen der Befriedigung; so beginnt gewissermaßen ein neues Duett, das wiederum in zwei Sätzen das Glück der Liebenden anfangs innig und herzlich, dann lebhaft und freudig ausspricht. Auch hier ist der Ausdruck des Gefühls so wahr, so unmittelbar daß man sich Ferrando nur von der Gewalt des Augenblicks hingerissen denken darf. Das ist nun zwar durch seinen Charakter und durch die Situation motivirt, allein es läßt sich nicht verkennen, daß diese beiden Personen und ihr Verhältniß zu einander aus dem Rahmen dieser Oper etwas heraustreten. Da Ponte hat es zu leicht behandelt um das tiefere psychologische Interesse zu voller [521] Geltung zu bringen, Mozart hat den Personen Fleisch und Blut, der Empfindung volle Wahrheit gegeben, aber die individuelle Charakteristik, welche bis ins Detail der einzelnsten Züge hinein ganz bestimmt ausgeprägte Persönlichkeiten hinstellt, wie wir sie im Figaro und Don Giovanni finden, hat er ihnen doch nicht geben können.

Ohne Zweifel war die Eigenthümlichkeit der Dar. stellenden, welche überhaupt mehr Sänger als Schauspieler waren und für das Komische offenbar keine besondere Begabung hatten, nicht ohne Einfluß auf diese Anlage gewesen25; die Partie des Guillelmo war für den ausgezeichneten Buffo Benucci (S. 221) geschrieben26. Er tritt zu zum erstenmal selbständig hervor, als er in der Verkleidung des Albanesen, nachdem der erste Sturm abgeschlagen ist, Fiordiligi ihre stolze Arie gesungen hat, in keckem Uebermuth sofort eine neue Liebeserklärung wagt. Hier hatte er nun ursprünglich eine Arie vom entschiedensten Buffocharakter zu singen, welche dem übertriebenen Pathos der Fiordiligi eine Excentricität entgegengesetzter Art gegenüberstellte und das Vertrauen der neuen Bewerber auf ihre Liebenswürdigkeit in sehr karikirter Weise aussprach27. Mozart hat eine komische Arie [522] im großen Stil daraus gemacht, welche der des Leporello als ebenbürtig an die Seite gesetzt zu werden verdient, so verschieden sie auch von dieser in der Haltung ist, da ihr der Situation nach die seine Malice abgeht, welche jene charakterisirt. Die einzelnen Züge sind, nicht allein wo der musikalische Witz wie durch die Erwähnung des Tanzens und Singens von selbst herausspringt, mit der glücklichsten Laune in den wirksamsten musikalischen Contrasten zur Geltung gebracht, ohne daß der Fluß und die Haltung des Ganzen gestört werden. Namentlich ist die Steigerung gegen den Schluß hin unvergleichlich. Nachdem mit dem trillo und dem uscignolo eine Wendung nach D-moll gemacht ist


21.

21.

[523] lassen die Blasinstrumente bei dem qualch' altro capitale zu dem in Achteln angeschlagenen a der Geigen eine neckische Fanfare ertönen


21.

21.

[524] worauf Guillelmo, nachdem die Mädchen fortgegangen sind, mit der ganzen Kraft seiner Stimme im allegro molto in einen Triumphgesang ausbricht


21.

[525] so daß er wie erschreckt abbricht und sotto voce seine Freude dem Don Alfonso ins Ohr singt.28 Es ist sehr bedeutsam daß eine dramatisch und musikalisch so wirksame Arie, welche dem Sänger die günstigste Gelegenheit bot seine Stimme und Kunst aufs vortheilhafteste zu zeigen, dennoch bei Seite gelegt wurde. Ohne Zweifel überzeugte man sich bei genauerer Ueberlegung daß eine Karikatur wie sie hier zum Vorschein kam im weiteren Verlauf der Liebesprobe nicht wohl durchgeführt werden könne, ohne der äußeren Unwahrscheinlichkeit die innere zu gesellen und ohne die erhebliche Schwierigkeit Guillelmo zwei ganz verschiedene Rollen zuzutheilen. Man setzte daher eine andere Arie an die Stelle (15), welche den Charakter des Guillelmo als eines heiteren Lebemanns ausspricht, der auch ernste Verhältnisse mit einer gewissen leichten Laune auffaßt und sich überall frei und gewandt zu bewegen weiß. So wendet er sich halb zuversichtlich halb scherzhaft an die Damen, die innere Zufriedenheit, welche er über ihr abweisendes Benehmen empfindet, erhöhet seine Heiterkeit und giebt ihr selbst einen Anflug von Ironie. Demgemäß ist auch die musikalische Darstellung ganz einfach, liedartig, leicht und gefällig, im graden Gegensatz zu den stark aufgetragenen Farben der großen Arie. Damit steht nun auch die zweite Arie (26) im besten Einklang, in welcher er nach dem Abenteuer mit Dorabella die günstige Meinung die er früher von den Frauen hegte und vertheidigte [526] bedeutend modificirt. Das Gefühl Ferrando ausgestochen zu haben, die erneuerte Versicherung von Fiordiligis unerschütterlicher Treue geben ihm eine übermüthige Sicherheit, in welcher er mit der jovialsten Laune Dinge ausspricht, die ihn, wenn er wüßte wie nahe sie auch ihn selbst angehen, sehr ernsthaft berühren würden. Dies ist in der That eine komische Situation und Mozart hat sie namentlich dadurch zur vollen Geltung gebracht, daß er den Ton behaglicher Lustigkeit, die dem Freund gegenüber doch die Gutmüthigkeit nicht vergißt, ganz vorzüglich getroffen und festgehalten hat. Die Arie ist sehr lang und ungleich weniger reich an pikanten stark contrastirenden Einzelheiten als jene frühere, aber eine sprudelnde Lebhaftigkeit treibt unausgesetzt den Hörer in einem Zuge fort, Sänger und Orchester scheinen sich in Raschheit überbieten zu wollen, und ohne hervortretende Züge einer sehr eigenthümlichen Individualität ist der Charakter des jovialen Mannes, der sich leicht und bequem gehen läßt, angenehm und lebhaft ausgesprochen29. Auch sein Zusammentreffen mit Dorabella entspricht dieser Anlage. Die leichte halb scherzende Galanterie, mit welcher er ihr in dem Duett (23) entgegentritt, ist seiner Natur gemäß und er thut sich bei diesem Spiel keinen Zwang an; daß Dorabella lebhafter ergriffen ist als er wird einigemal bestimmt hervorgehoben, und nachdem sie seiner Aufforderung so lebhaft entgegengekommen ist, secundirt er ihr offenbar nur, weil er engagirt in, aber auch dies mit Leichtigkeit und Sicherheit.

[527] Ohne Zweifel war es ein richtiger Takt, den Guillelmo anstatt zu einer karikirten Buffofigur zu einem einfachen und natürlichen Charakter auszubilden, der durch seine lebendige gute Laune, wenn der Darsteller sie in Gesang und Spiel zur Geltung zu bringen weiß, einen angenehmen Eindruck machen muß, obgleich weder die Anlage desselben noch die Situationen eine bedeutende und seine Charakteristik möglich machen. Auf die Umgestaltung dieser Rolle scheint aber noch ein Umstand eingewirkt zu haben, der auch sonst inCosì fan tutte sich einflußreich erweist. Offenbar suchte Mozart dem Vorwurf daß seine Musik zu schwer, namentlich für eine komische Oper zu ernsthaft sei, diesmal zu begegnen und den Geschmack des Publicums, das eine leichte und angenehme Unterhaltung ohne Anstrengung wünschte, mehr zu befriedigen30. Dies war nur zu erreichen durch ein Verzichten auf feinere Detailausführung der musikalischen Form wie der dramatischen Charakteristik und durch das Aufgeben einer Forderung, welche eben so tief im Wesen der musikalischen Darstellung als in Mozarts eigenster Künstlernatur begründet war, den musikalischen Ausdruck aus der Tiefe des Gemüths zu schöpfen und in der Kraft der Empfindung den schöpferischen Impuls zu finden. Wenn nur die leichteren momentanen Gefühlserregungen oberflächlich dargestellt werden durften, ohne sie aus der verborgenen tiefen Quelle des Herzens abzuleiten, so ist bei keiner anderen Kunst so sehr als bei der Musik zu fürchten daß das heitere Spiel in eine [528] leere hohle Formenspielerei ausarte. Mozarts reiches schöpferisches Genie offenbart sich auch darin daß er bei einer solchen Aufgabe nicht allein die reine und vollendete Schönheit der Form unverletzt hielt, sondern selbst da wo Gemüth und Empfindung so gut wie ganz ausgeschlossen sind eine Musik zu erfinden wußte, die nicht allein voll Heiterkeit und Laune ist sondern auch Stimmung und Charakter bewahrt.

Wenn die Partien des Guillelmo und der Dorabella diese Richtung deutlich erkennen lassen, so ist sie völlig ausgesprochen in der der Despina. Dieses Frauenzimmer verräth auch nirgend eine Spur von Empfindung, sie hat keine Theilnahme weder für ihre Gebieterinnen noch deren Liebhaber noch für Don Alfonso, sie selbst steht in keinem Liebesverhältniß, das einzige sichtbare Motiv ihres Handelns ist Eigennutz, vor dem auch das Vergnügen an einer spaßhaften Intrigue zurücktritt, in allen ihren Aeußerungen zeigt sich nur der baare Leichtsinn, nicht immer der feinsten Art. Man vergleiche mit einer solchen Gestalt Susanne oder Zerlina und man wird sich sagen, daß von so durchaus beseelter seiner musikalischer Charakteristik, wie sie sich in jenen zeigt, hier nicht die Rede sein kann, daß vielmehr alles aufzubieten war um diese Persönlichkeit stets über dem Niveau des Gemeinen zu erhalten. Ihre beiden Arien sind an ihre Damen gerichtet; die erste (12) ist die Antwort auf Dorabellas pathetischen Schmerzensausbruch, spottet über ihren gutmüthigen Glauben an die Treue der Männer und fordert sie auf Untreue mit Untreue zu vergelten; die zweite (19) predigt den noch unentschlossenen Schönen genußsüchtige Koketterie als die wahre Lebensmoral der Frauen. Der Situation gemäß ist die erste der Ausdruck der Heiterkeit, die in dem kurzen einleitenden Allegretto einen leichten Anflug von Humor erhält, dann aber sich ganz ungebunden gehen [529] läßt, leicht und lose, mit einem Anstrich von Keckheit, der nicht grade mädchenhaft ist, aber so hübsch und zierlich, daß man der ganzen Erscheinung nicht ohne Interesse und Vergnügen folgt. Spricht sich hier die Natur der Despina unbefangen aus, so tritt sie in der zweiten Arie als Verführerin auf; demgemäß ist die Behandlungsweise ausführlicher, der Ausdruck seiner, einschmeichelnder, statt jener Keckheit macht sich hier die Geschmeidigkeit geltend, und nur einmal bei dem stark hervorgehobenen


e qual regina

dall' alto soglio

col posso e voglio

farsi ubbidir


tritt die komische Färbung in etwas hervor. Diese Arie ist nun nicht allein durch den reizenden Melodienfluß höchst ansprechend, sondern in ihrer schmeichelnden, man möchte sagen kitzelnden Frivolität ungemein charakteristisch; allein wenn man hier, wo in der That mancherlei verwandte Elemente berührt werden, sich an Zerlina erinnert, wird man klar erkennen, wie viele seine Züge und leise Schattirungen dem musikalischen Ausdruck fehlen, wo die Empfindung nicht seine erste Quelle ist. Da nun ebensowenig eigentlich geistreiche Motive in pikanter Weise zur Geltung kommen, so hat man um so mehr die Sicherheit und Klarheit des Tons anzuerkennen, der zwischen dem Edeln und Gemeinen ein Mittel hält, das durch Frische und Heiterkeit einen gewissen Reiz bekommt, wie man ja auch im Leben Personen begegnet, deren im Grunde gewöhnliches Wesen nur durch die Frische und Heiterkeit der Jugend Anziehungskraft ausübt. In ihrem Element aber scheint Despina zu sein, wenn sie selbst einen extravaganten Streich ausführen kann, und so benimmt sie sich in ihren Verkleidungen mit der größten Sicherheit und [530] muntersten Laune. Die Scene, in welcher sie im ersten Finale als Arzt auftritt, gehört sicherlich zu dem Ergötzlichsten was die komische Musik geleistet hat. Nach der langen Spannung macht schon die Rührigkeit, welche alle beim Auftreten des Arztes erfaßt, einen vortrefflichen Eindruck, aus dieser Umgebung aber treten die ruhmredige Schwatzhaftigkeit und die feierliche Würde des Charlatans in einer so drastischen Weise hervor, daß man sich verwundert fragt, worin das nur liege, da gar keine besonderen Mittel dafür in Bewegung gesetzt sind. Es ist eben das Treffende auf die einfachste Weise gesagt, jede Uebertreibung, die in diesem Moment der Situation nur schaden könnte, vermieden und dadurch die echt komische Wirkung einer durch gar kein fremdes Element getrübten Heiterkeit erreicht, wie sie selten zur Geltung kommt und die unter den Sätzen von gespannter Empfindung doppelt eindringlich ist31. Nicht minder launig ist der Notar im zweiten Finale gezeichnet. Nach einer ausführlichen Begrüßungsformel, deren Zierlichkeit die begleitende Violinfigur scherzhaft ausdrückt, beginnt das eintönige Ablesen des Ehecontracts [531]pel naso schreibt Mozart ausdrücklich vor – das durch die fünfmalige Wiederholung der vier Takte


21.

zweimal mit eingeschobenem


21.

mit ihrem scharfen Accent aufs komischste der Wirklichkeit nachgebildet ist. Die Begleitung der Geigen ist, während der Baß bleibt, zu jeder Periode verschieden und nimmt an Schnelligkeit und Hast zu, wodurch eine außerordentliche Steigerung erreicht wird, die den ungeduldigen Ausruf der Brautleute förmlich provocirt32.

Ein anderes Beispiel einer solchen Heiterkeit ist das Terzett der drei Männer (16). Nachdem die Mädchen zornig weggegangen sind, fangen Guillelmo und Ferrando an zu lachen33, was die Verlegenheit und Verdrießlichkeit Don Alfonsos vermehrt, auf dessen Ermahnen sie sich bemühen das Lachen zu unterdrücken. Die Lustigkeit der jungen Männer, der Verdruß des Alten, ihr Lachen mit dem sie vergebens kämpfen sind so treffend ausgedrückt, die in einer Triolenfigur rastlos forteilende Begleitung wirkt so drastisch, daß es einem gehen würde wie vor gewissen antiken lachenden Satyrgesichtern, die man nicht ansehen kann ohne auch zu lachen, wenn nicht das Ganze in einem Moment vorüberrauschte.

[532] Das Seitenstück zu Despina ist Don Alfonso34, namentlich durch den für die musikalische Darstellung so ungünstigen Umstand daß er im Verlauf der ganzen Handlung keine Regung gemüthlicher Theilnahme zeigt und auch sonst keine eigenthümlich hervorstechenden Züge verräth, die ihm das Interesse einer komischen Person gäben. Ein trivialer und frivoler Skepticismus ohne eigentlichen Humor und gute Laune, ein kühler Rationalismus ohne Gutmüthigkeit sind an sich nicht anziehend und durchaus unmusikalisch, sie können wesentlich nur durch den Contrast wirken und Don Alfonso tritt deshalb hauptsächlich in den Ensemblesätzen hervor. In den ersten Männerterzetts sticht seine kühle Haltung gegen die Aufgeregtheit der jungen Männer vortrefflich ab und namentlich dem Liedchen das er ihnen spottend vorsingt (2): E la fede delle femine hat Mozart einen köstlichen Ausdruck von Schalkhaftigkeit zu geben gewußt. Feiner noch ist seine Theilnahme bei der Abschiedsscene charakterisirt, wo er zwar bescheiden zurücktritt um die Hauptwirkung nicht zu beeinträchtigen, aber durch die leisen Andeutungen welche er aus dem Hintergrunde hineinwirft, der weichen Empfindung der Liebenden die Nuance beimischt, welche den Zuhörer in der rechten Stimmung erhält. In der Regel aber äußert Don Alfonso dem Gange der Hand lung nach nicht seine wahre Empfindung sondern eine dem bestimmten Zweck dienende von ihm erheuchelte, was natürlich zu einer gewissen Uebertreibung des Ausdrucks führt, die nicht ohne komische Wirkung bleibt, aber auch im Vortrag sehr sein gehalten werden muß um den Eindruck des Ganzen nicht zu stören. So ist in der Art, wie in dem lieblichen Terzett (10) Don Alfonso [533] sich den beiden Frauenzimmern im Ausdruck der Empfindungen nicht blos anschließt sondern sehr bemerkbar hervortritt, das parodirende Element zwar nicht zu verkennen, indessen macht es sich doch nicht soweit geltend daß es die zarte und weiche Stimmung des Ganzen beherrschte, nur leise hindurchklingen darf und soll auch dieser Ton. Es liegt schon in der Anlage eines solchen Charakters daß er sich nicht leicht selbständig ausspricht, daher ihm denn auch keine eigentliche Arie zufällt35, und die beiden größeren Solosachen sind nicht ohne Absicht so eingerichtet daß sie einen gesteigerten Gefühlsausdruck zulassen, der seinem eigentlichen Charakter nicht zukommen würde. In der ersten (5) drückt er mit absichtlicher Uebertreibung die Bestürzung und den Kummer aus, womit ihn die Schreckensbotschaft erfüllt, die er den Damen zu überbringen hat; sie ist charakteristisch für die Person wie für die Situation, indem sie mit einem Schlage die gespannte Stimmung bezeichnet, aus welcher die ganze folgende Abschiedsscene hervorgeht. Von eigenthümlicher Anlage ist der kleine Ensemblesatz (22), in welchem Don Alfonso und Despina die beiden Paare zusammenführen36. Dadurch daß Don Alfonso das Wort für die verschüchterten Liebhaber ergreift erhält er Gelegenheit sich mit [534] mehr Gefühl auszudrücken, und doch läßt seine Stellung in der Situation nicht zu daß dasselbe einen ernsten und tieferen Ausdruck erhalte, so daß sein Charakter gewahrt bleibt. Daß die beiden Liebhaber wie ein Echo einfallen ist ein artiger Einfall und die ganze Situation ist gut angelegt, aber leider hat da Ponte den rechten Vortheil nicht daraus zu ziehen gewußt. Zwar ist mit richtigem Takt vermieden Fiordiligi und Dorabella nachher, als Despina für sie eintritt, in ähnlicher Weise sich einmischen zu lassen; allein daß sie ganz aus dem Spiel bleiben, daß die Situation sich in den leichtfertigen Seitenbemerkungen Don Alfonsos und Despinas verläuft zerstört offenbar die Bedeutung, welche diese Scene für den weiteren Verlauf der Handlung und die musikalische Darstellung gewinnen konnte. Hier war ein großer Ensemblesatz, dem Sextett im ersten Akt entsprechend, indicirt, in welchem die beiden Liebespaare unter Assistenz der Gelegenheitsmacher sich allmählich einander in einer Weise näherten daß der weitere Verlauf des Abenteuers nicht zweifelhaft bleiben konnte; eine reiche Fülle contrastirender, äußerst wirksamer und namentlich musikalisch dankbarer Motive hätte sich dabei dargeboten, und es wäre nicht nothwendig gewesen die doppelte Verführungsgeschichte in dem monotonen Verlauf von Arien und Duetts hinter einander abzuspielen. Allein da Ponte fehlte es hierzu an dramatischer Erfindung, so gut er sich darauf verstand eine gegebene Situation opernmäßig auszuführen; auch wagte er nicht von der Convenienz abzugeben, die im zweiten Akt die bestimmte Zahl von Arien verlangte, und wollte ebenfalls den Geschmack des Publicums für das Leichte und Tändelnde befriedigen. Der Charakter des Scherzhaften und Munteren tritt allerdings in diesem Satz wo möglich noch freier und ungetrübter hervor als in einem der schon genannten, und er ist nach dieser Seite hin[535] für die ganze Haltung der Oper sehr charakteristisch; aber weil er an einem bedeutsamen Wendepunkt der Handlung steht und als Ensemble auftritt, vermißt man die Energie und Fülle des Ausdrucks, welche in den übrigen Ensemblesätzen zu Tage kommt. Sollte die Figur des Don Alfonso in das rechte Licht treten, so mußte da Ponte eine Intrigue erfinden, welche diesen Gelegenheitsmacher in eine wirkliche Verlegenheit setzte, und ihn dadurch in den Vordergrund bringen, was gar nicht schwer hielt und die Monotonie des zweiten Akts sehr zweckmäßig unterbrochen hätte. Die Situation des Lachterzetts (16), die einzige, in welcher Don Alfonso wirklich in Eifer geräth, geht zu rasch vorüber um dies Motiv gehörig wirken zu lassen. Uebrigens spricht er nur noch in ein paar kleinen Sätzen seine Ansichten über die Unbeständigkeit der Frauen aus, welche mehr nach Art eines begleiteten Recitativs die gehobene Stimmung seiner Lehrhaftigkeit sehr bezeichnend ausdrücken. In dem letzten gelangt er durch eine sehr einfache, aber ebenso bezeichnende Steigerung zu seiner Schlußmoral


21.

in welche auf seine Aufforderung auch die bekehrten Liebhaber beruhigt einstimmten


21.

[536] Es ist schon bemerkt (S. 365) daß Mozart dies Motto auch der Ouverture aufgeprägt hat. Sie wird durch ein kurzes Andante eingeleitet, das nach ein paar raschen Accorden ein zartes Motiv der Oboe beginnt, welches durch wiederholte Accorde unterbrochen, von Neuem ansetzt, worauf erst der Baß, dann das volle Orchester wie oben das Così fan tutte hören läßt37 und unmittelbar in das Presto überleitet, welches die Bedeutung dieses Spruchs veranschaulicht. Eine kurze flüchtige Figur


21.

steigt in den Geigen crescendo rasch durch zwei Octaven, wo ein syncopirter Rhythmus scharf einschneidend aus allen Stimmen


21.

den raschen Gang auf einige Augenblicke hemmt, um einer leicht dahin rollenden Figur Platz zu machen


21.

21.

[537] welche die Blasinstrumente einander abnehmen. Das sind die Elemente, welche in unaufhörlich raschem Wechsel einander neckend jagen, wie Federbälle mit leichter Hand aufgefangen um zurückgeworfen zu werden durcheinander wirbeln38, bis das lustige Spiel unterbrochen wird durch den Spruch, welcher es ins Leben gerufen hatte: Così fan tutte! Und noch einmal rauscht das Crescendo lustig in die Höhe und schließt mit wenigen kräftigen Accorden ab. Charakteristischer konnte das leichtfertige Spiel kaum bezeichnet werden und diese Ouverture ist der treffendste Ausdruck sorgloser Heiterkeit. Vergleicht man sie mit der Ouverture zu Figaro, so ist beiden zwar der allgemeine Charakter der lebendigen Fröhlichkeit und der von Anfang bis zu Ende ungehemmt fortfließende klare Strom gemein, aber die tiefe schöne Empfindung, welche dort aus dem rastlosen Treiben hervorquillt, würde man hier vergeblich suchen, wie sie der Handlung fremd ist.

Die Art der Charaktere, wie sie uns in dieser Oper entgegentreten, bringt es mit sich daß sie der musikalischen Darstellung am günstigsten werden, wo sie im Ensemble zusammentreten. Die schärfer bestimmte Situation kommt der Schwäche der Charakterzeichnung zu Hülfe, der Conflict in welchen die Personen zu einander treten bedingt stärkere Contraste und lebhaftere Farben, die dramatischen Motive energischen und wechselnden Ausdruck. Daher ist denn auch der erste Theil der Oper, welcher hauptsächlich aus Ensemblesätzen besteht, der ungleich wirksamere39; unzweifelhaft aber [538] sind es die großen Ensembles, in welchen die musikalische Darstellung den Höhepunkt erreicht.

Das Sextett im ersten Akt (13) ist sehr einfach angelegt, aber wirksam durch die wohlbegründeten Contraste und eine richtige Steigerung40. Der Anfang hat einen etwas marschartigen Charakter; in ruhiger Haltung empfiehlt Don Alfonso seine Freunde Despinas Gunst, welche diese selbst ihrem angenommenen Charakter gemäß in ziemlich lebhafter Weise in Anspruch nehmen41; während sie sich durch die fremdartigen Figuren zur größren Heiterkeit angeregt fühlt, sind die Männer froh nicht erkannt zu werden – die Exposition dieser Scene, die daher ruhig verläuft. Mit dem Eintreten der Fräulein beginnt die Handlung. Dem lebhaften, durch den Tripeltakt scharf hervorgehobenen Ausdruck ihres Unwillens tritt die flehentliche Bitte der Liebhaber, mit denen Despina gemeinschaftliche Sache macht, gegenüber. Durch die Wendung der Harmonie nach Moll42, die chromatische Bewegung der Stimmen, die Begleitung durch Clarinetten, [539] Fagotts und Violoncello ist diese Liebeserklärung in ganz eigenthümlicher, fremdartiger Weise hervorgehoben. Die Ueberraschung der Damen ist zunächst eine mehr schmerzliche Empfindung über eine solche Zumuthung, welcher das demüthige Zureden entspricht. Allein sowie sie sich erholt haben und ihrem Unwillen Luft machen, ist auch die Situation geändert, die Liebhaber sind im Stillen erfreuet über diesen Beweis der Treue, während Despina und Don Alfonso in der Heftigkeit des Zornes einigen Grund zum Verdacht finden. Damit ändert sich auch die Gruppirung der Personen. Fiordiligi und Dorabella, welche abwechselnd sich zornig gegen die Eindringlinge wenden und der Erinnerung an ihre Geliebten nachgehen, stehen für sich; in der ihnen gegenüberstehenden Gruppe schließen sich die Liebhaber zusammen, auch Despina und Don Alfonso treten als aufmerksame Beobachter einander näher und es ist sehr wohl berechnet, daß sie namentlich bei der Stelle


21.

ganz entschieden in den Vordergrund treten, denn in der That beherrschen sie die Situation, und der Tumult und die Verwirrung welche sich hier erheben erhalten ihre eigentliche Bedeutung erst durch diese heitere Beleuchtung. Das alles aber zu einem musikalischen Ganzen von einheitlichem Charakter zu gestalten ist auch hier wieder Mozart vornehmlich durch Vermeiden jeglicher Uebertreibung, so nahe dieselbe auch gelegt war, meisterlich gelungen.

[540] Sehr verwandter Art ist die Situation des ersten Finales, aber in den einzelnen Motiven ungleich schärfer charakterisirt und reicher ausgeführt. Ein sehr zärtliches Duett der verlaßnen Bräute beginnt dasselbe, durch ein langes Ritornell eingeleitet und in selbständiger Weise ausgeführt; es ist ein Seitenstück zu dem ersten Duett derselben, nur ist hier der Ausdruck natürlich weniger feurig und lebhaft, sondern vielmehr schmachtend und sehnsüchtig, allein mit richtiger Charakteristik ist nicht das Gefühl des Schmerzes, einer stillen Trauer ausgedrückt, auch keine Molltonart gewählt, sondern ein zärtliches Verlangen das nur durch die Abwesenheit der Geliebten etwas anders nuancirt ist. Nachdem man recht absichtlich in die sinnlich weiche träumerische Stimmung eingewiegt ist, wirkt die rasch vorwärts drängende Vergiftungsscene43 durch harte Dissonanzen, abgebrochne Rhythmen um so stärker, und schließt mit einem pathetischen Ensemble ab, worauf die Liebhaber zusammensinken und verstummen. Indem Don Alfonso und die herbeigerufene Despina vorläufigen Rath und Anweisung geben, nimmt das Ganze eine etwas ruhigere Haltung an, die sich allmählich wieder belebt, als die Mädchen mit den Geliebten allein gelassen sind. Während jene voll Besorgniß sich äußern, sind diese, mit dem bisherigen Erfolg zufrieden, vom besten Humor und freuen sich der komischen Scene, in welcher sie selbst die Hauptrolle spielen, namentlich Ferrando zeigt die heiterste Laune. Allein als sie nun unter krampfhaften Windungen aufseufzen und die Theilnahme, welche die Schönen an solchen Leiden nehmen, [541] immer lebhafter sich äußert, wendet sich das Blatt und die Besorgniß daß ihr Mitleid sich in Liebe wandeln könne, fängt an die Männer auf sehr ernstliche Weise zu peinigen, so daß alle sich in diesem Ausdruck einer quälenden Unsicherheit vereinigen. Hier tritt einmal eine feinere und tiefer gehende psychologische Bewegung ein, welche Mozart wunderbar schön wiedergegeben hat, indem wie gewöhnlich das Orchester bedeutsam mitwirkt. Anfangs sind zwei charakteristische Motive, welche sich durch den ganzen Satz hindurchziehen, eine rollende Triolenfigur


21.

und eine abgebrochne ganz entgegengesetzten Charakters


21.

hier mit einander combinirt, dann aber treten zwei andere auf


21.

welche die schmerzlichen Empfindungen der Vergifteten charakteristisch ausdrücken. Das Orchester führt dieselben ganz selbständig in mannigfachen Combinationen auf eine Weise aus, daß das rein musikalische Interesse ebenso vollständig dadurch befriedigt als den Aeußerungen des sich steigernden Mitleids die charakteristische Grundlage geboten wird. Die Männer treten dadurch argwöhnisch gemacht nun auch ihrerseits mit dem Ausdruck eines sehr besorglichen Zweifels auf und so kommen alle schließlich in einer mißmüthigen Unsicherheit überein, die sich in den imitirten chromatischen Gängen wahrhaft kläglich äußert. Hier liegt aber das Ergötzliche und wahrhaft Komische darin daß die lustige Komödie welche Ferrando und Guillelmo zu spielen hofften eine für sie so bedenkliche Wendung nimmt, daß die Empfindungen, beiderseits [542] wahr und aufrichtig, auf ganz anderen Voraussetzungen beruhen und eine ganz andere Richtung nehmen als es äußerlich scheint. Mozart hat diese wirklich dramatische Situation nicht allein treffend und humoristisch wiedergegeben, sondern wie gewöhnlich steigert die innere Bedeutung der dramatischen Aufgabe auch die Auffassung und Behandlung des musikalischen Elements: dieser Satz ist in jeder Beziehung ein Meisterstück und gehört zu dem Vorzüglichsten was Mozart geschrieben hat. Mit dem Eintreten des verkleideten Arztes ändert sich die Scene vollständig; alles wird rührig und lebendig, – was die durchgehende springende Figur des Orchesters, welche die Geigen und der Baß imitirend einander abnehmen, vortrefflich ausdrückt – alles fragt, giebt Auskunft, sucht zu helfen, und in der Mitte steht der köstliche Charlatan, der seinen Spaß mit dem fröhlichsten Behagen ausführt und alles mit Heiterkeit erfüllt44. Nachdem die Heilung vollbracht ist, treten die Liebhaber wieder in den Vordergrund und äußern ihre Liebe in gehobner schwärmerischer Weise; die Befangenheit, welche die Mädchen trotz dem Zureden Despinas und Don Alfonsos in dieser Situation zeigen, läßt sie wieder das Komische derselben empfinden, so daß ein Ensemble von contrastirenden Empfindungen herauskommt, wie es der musikalischen Darstellung ungemein günstig ist45. Das Orchester bildet auch hier die Grundlage und [543] eine eigenthümliche stets festgehaltene Geigenfigur giebt diesem Andante einen fremdartigen fast feierlichen Charakter, gegen den die Singstimmen nicht selten in einer Weise abstechen, welche die Situation in der bezeichnendsten Art charakterisirt46. Als aber die Liebhaber aus ihrer Verzückung erwachen und begehrlich einen Kuß verlangen, da gerathen die Schönen in einen Zorn, der sich noch lebhafter und intensiver äußert als bei der ersten Begegnung; während Don Alfonso und Despina ihnen begütigend zureden, vereinigen sie sich mit den Liebhabern, denen dies Uebermaß von Leidenschaft jetzt auch einigen Verdacht gegen die Aufrichtigkeit derselben einflößt, in dem unwiderstehlich komischen Eindruck, den diese ganze Scene auf sie macht. Diese verschiedenen Elemente sind in der musikalischen Darstellung so scharf charakterisirt, die Gruppen so klar gesondert47 und fest eingerahmt, das Ganze schreitet mit einem Feuer und einer Kraft [544] in lebendiger Steigerung stetig vorwärts und schließt mit einem so drastischen Ausdruck des aufgeregten Tumults, daß dieser Schlußsatz den entsprechenden im ersten Finale des Figaro übertrifft, hinter dem im Don Giovanni nicht zurückbleibt; wie denn das ganze Finale den eben erwähnten bei aller Verschiedenheit vollkommen ebenbürtig dasteht.

Das zweite Finale beginnt mit der Darstellung der Hochzeitsfeier, welche in aller Behaglichkeit und mit dem lieblichsten Reiz geschildert ist. Despina, zu welcher sich Don Alfonso gesellt, bereitet mit der Dienerschaft alles zum Empfange der Brautleute vor, ein reges, fröhliches Leben spricht sich mit der zierlichsten Anmuth in dem leicht bewegten Satz aus, der auf die angenehmste Weise die festliche Stimmung vorbereitet, welche beim Eintritt der Brautleute in der zwar feierlichen aber heiteren Begrüßung des Chors ihren Ausdruck findet. Daran schließen sich die liebkosenden Wechselreden der Liebenden, die sich zur Tafel setzen, einander zutrinken und zuletzt einen zärtlichen Canon anstimmen48. Dieses Schwelgen in Liebesglück und Seligkeit ist mit einem bezaubernden Reiz dargestellt, die Gluth des Verlangens äußert sich in einem so süßen Wohllaut, der in den mannigfachsten Nuancen so klar und voll, so zart und lieblich in steter Steigerung dahin fließt, daß diesem ausgeführten musikalischen Gemälde nicht viel Aehnliches an die Seite gestellt werden kann49. Durch eine überraschende enharmonische Rückung[545] (aus As-dur nach E-dur) werden wir dieser Sphäre entführt und es folgt die mit soviel guter Laune ausgeführte Scene des Notars50, welche durch den aus der Ferne herklingenden Kriegschor mit der besten Wirkung unterbrochen wird51. Die nun folgende Verwirrung und Entwirrung hat für den Zuhörer, der über den Ausgang nicht in Zweifel ist, kein wesentliches Interesse mehr, deshalb wird die Handlung in raschen Schritten zu Ende geführt die auch keine zusammenhängende musikalische Behandlung gestatten; zu einem größeren, fest gegliederten Satze kommt es nicht mehr, auch der Componist hat sich begnügen müssen die einzelnen Züge, den verstellten Schrecken Don Alfonsos, das Entsetzen der Damen, die freudige Begrüßung der heimkehrenden Liebhaber in bestimmter Charakteristik hervorzuheben. Pikant wird die Situation bei der Demaskirung Despinas und da die Liebhaber sich als die verkleideten Albanesen zu erkennen geben, beides hat Mozart mit echt musikalischer Laune wiedergegeben. Indessen findet das musikalische Interesse seine rechte Befriedigung erst wieder nachdem die Versöhnung erfolgt ist und das Gefühl glücklicher Befriedigung voll ausströmt. Namentlich ist der [546] letzte Satz mit einer heiteren Ruhe und Klarheit erfüllt, von einem Reiz der Schönheit und des Wohllauts, daß man über so manches Nichtige des ganzen Spiels hinweggetäuscht und mit dem Gefühl der glücklichsten Befriedigung entlassen wird.

Die nähere Betrachtung der Oper hat deutlicher gezeigt, wie der Mangel an dramatischer Durchführung der Handlung und Charakteristik der einzelnen Personen auch die musikalische Darstellung nicht zu vollkommener Entwickelung gelangen läßt; erhebt sich das Libretto nicht wesentlich über das Niveau der gewöhnlichen opera buffa, so drückt es auch die Musik vielfach auf dasselbe hinab. Wir haben gesehen, wie Mozart die in diesem Genre der Komik unentbehrliche karikirende Uebertreibung in der verschiedensten Weise aus den Bedingungen der Situationen und der Charaktere zu motiviren und in ihrer Anwendung zu modificiren strebt, um sie als ein wahrhaft künstlerisches Element geltend zu machen, aber er hat es doch nicht ganz vermeiden können äußerliche Decorationsmittel an die Stelle psychologischer Motivirung zu setzen. Dies zeigt sich namentlich in dem viel häufiger als sonst hervortretenden Bestreben die einzelnen Züge in den Worten durch den musikalischen Ausdruck sinnlich wiederzugeben; besonders ist die Begleitung überreich an solcher Detailmalerei, während wir das Orchester sonst vorherrschend dazu verwandt finden die leisen Schattirungen der Seelenstimmungen im Einzelnen auszuführen. Um nichts davon zu sagen daß in dem Duett zwischen Guillelmo und Dorabella (23) das Herzklopfen, wie es eine Hauptpointe des Textes bildet, auch ein wesentliches musikalisches Motiv abgiebt (ganz anders als in Zerlinas Arie S. 401), daß in dem reizenden Terzett (10) das Rauschen der Wellen und Winde, in dem vorhergehenden Quintett (9) das Schluchzen vernehmlich[547] ausgedrückt ist; so finden wir Nebengedanken, wie im ersten Terzett das Schwertziehen, im dritten den Tusch und das Gläserklingen des brindisi, im Kriegschor (8) Pfeifen und Kanonen, in Dorabellas Arie (28) das Picken im Herzen durch die Achtel der Oboe, im letzten Finale das Anstoßen mit den Gläsern durch das Pizzicato der Geigen sinnlich hervorgehoben, um so mancher anderer nicht so direct malender Züge nicht zu gedenken52. Es sind lauter artige Einfälle, sein ausgeführt ohne sich unziemlich in den Vordergrund zu drängen, aber sie reichen nicht an jene geistreiche psychologische Charakteristik, welche wir in Mozarts Opern bewundern. Auch andere Hülfsmittel der opera buffa sehen wir hier reichlicher als sonst angewandt, namentlich die Zungengeläufigkeit des raschen Sprechens, die zwar auch hier nirgend unmotivirt an und für sich als komisches Motiv gebraucht wild, aber ungleich häufiger und drastischer hervortritt als in andern Opern53.

Das Bestreben dem Geschmack des Publicums gerecht zu werden geht Hand in Hand mit der Nachgiebigkeit gegen die Sänger. Daß ein solcher Einfluß sich geltend mache sowohl in der ausgeführten Form einiger concertirenden Arien, wie sie weder im Figaro noch im Don Giovanni angewendet ist, als auch in der sichtlich erstrebten Leichtigkeit [548] und Gefälligkeit der Melodien und ihrer Behandlung ist bereits bemerkt worden54, und es ist nicht zu verkennen daß in dieser Hinsicht Così fan tutte den besten Opern italiänischer Meister näher steht als irgend eine der übrigen55. Freilich verläugnen sie auch so die eigenthümlichen Züge der Mozartschen Natur, Feinheit und Adel, nirgends, und hier ganz besonders erregt die reiche Erfindungskraft des Meisters Erstaunen, der eine Fülle von reizenden und anziehenden Melodien mit leichter Hand ausstreute, wie kaum sonst irgendwo, die stets das Ohr ergötzen ohne flach und unbedeutend zu werden. Nicht minder bewundernswerth tritt uns hier seine technische Meisterschaft entgegen, in mancher Beziehung sogar greifbarer als anderswo. Die Anlage der Musikstücke, die Gliederung der einzelnen Theile, die Gruppirung der Stimmen in den Ensembles in der Weise daß die Erfordernisse der dramatischen Situation und der musikalischen Form zugleich erfüllt werden, ist so fest und durchsichtig klar bei der reichsten Fülle der Ausführung daß man auch den complicirteren Sätzen mit Leichtigkeit folgt. Damit hängt unmittelbar die wunderbare Freiheit und Geschmeidigkeit der Stimmführung, wo es sich um Combination verschiedener charakteristischer Melodien handelt, die spielende Gewandtheit in der Anwendung contrapunktischer Formen zusammen, die das Interesse des Zuhörers anregen und thätig erhalten, ohne daß er eine Anstrengung verspürt. Ganz besonders [549] aber überrascht uns in dieser Oper das seine Gefühl für den Wohllaut und die Sicherheit mit welcher derselbe unter allen Umständen erzielt wird. Obgleich diese Fähigkeit und Geschicklichkeit von der Erfindungskraft und dem Organisationstalent nicht zu trennen ist, so erweist sie sich doch nicht überall in gleichem Maaße mitwirkend; grade hier offenbart sich die Kraft alle Factoren, welche zusammenwirken müssen damit der sinnliche Eindruck der musikalischen Schönheit zu voller Geltung komme, in ungetrübter Harmonie thätig zu erhalten, in der seltensten Weise. Das tritt auch in der Anwendung des Orchesters deutlich hervor. Obwohl dasselbe nicht mit derselben seinen Detailausführung behandelt ist, wie im Figaro und Don Giovanni, sondern durchweg leicht, einfach, den Singstimmen freien Spielraum gewährend, so ist es doch in anderer Hinsicht voller, glänzender, namentlich an einzelnen, besonderen Instrumentaleffecten reicher. Die Blasinstrumente sind noch mehr herangezogen, in reicherer und namentlich mannigfaltigerer Zusammenstellung und feinerer Nuancirung der Klangfarben56. Interessant ist es zu sehen, wie die Clarinetten viel mehr in den Vordergrund treten, und wie sich ein charakteristischer Unterschied feststellt, je nachdem Clarinetten oder Oboen die Klangfarbe bestimmen, welche durch die Mischung mit den übrigen Blasinstrumenten nach verschiedenen Seiten nuancirt werden. Ein eigenthümlicher Gebrauch ist auch von den Trompeten gemacht, welche nicht selten ohne Pauken, und nicht im gewöhnlichen Sinn trompetenmäßig, sondern anstatt der Hörner (und nicht mit ihnen combinirt) meist in den tieferen [550] Lagen angewendet sind, um der Klangfarbe eine eigene Kraft, Frische und Glanz zu geben57. Aehnliche Bemerkungen ließen sich weiter verfolgen um im Einzelnen klar zu machen mit wie seinem Sinn und richtiger Berechnung auch die Orchesterkräfte zum reizendsten Wohlklang verwendet sind.

Wenn es unleugbar ist daß die Oper Così fan tutte als ein Ganzes betrachtet und namentlich in Rücksicht auf Tiefe und Bedeutung und die im Detail durchgeführte Charakteristik Figaro und Don Giovanni nicht ereicht, so ist ebensowenig zu verkennen, daß einzelne Stücke, und grade die Hauptpartien in überwiegender Zahl Mozarts ganzes Genie und ganze Meisterschaft bewähren, daß uns Seiten seiner künstlerischen Natur hier auf die glänzendste Weise hervortreten, welche in andern Opern gar nicht oder doch nicht so vollkommen zur Geltung gebracht werden, und daß nach manchen Richtungen hin ein Fortschritt, eine Erweiterung des Gebietes gewonnen ist.

Fußnoten

1 Fr. Heinse (Reise- und Lebensskizzen I S. 184f.) erwähnt eines Gerüchtes, dem zufolge eine zwischen zwei Officieren und deren Geliebten in Wien damals vorgefallene Geschichte, über welche viel gesprochen wurde, den Stoff zu der Oper gegeben habe und zwar auf die ausdrückliche Veranlassung des Kaisers.


2 Ursprünglich war I sc. 9 im Recitativ Trieste geschrieben, was in Napoli geändert ist; in der gedruckten Partitur steht Venezia.


3 Die Worte, mit denen D. Alfonso das zweite Terzett beginnt


È la fede delle femine

Come l'Araba fenice:

Che vi sia, ciascun lo dice,

Dove sia, nessun lo sà


sind aus Metastasios Demetrio (II sc. 3) entlehnt, wo es nur heißt la fede degli amanti. Das Ganze gewinnt an komischer Wirkung, wenn man sich vorstellt, daß es ein altes bekanntes Lied ist, was Alfonso ihnen vorsingt.


4 Nach der Originalpartitur wird der Marsch erst vom Orchester allein, anfangs piano, vom zweiten Theil an crescendo gespielt; bei der Wiederholung fällt der Chor forte ein.


5 Ursprünglich sollte diese Scene mit einer Cavatine der Despina eingeleitet werden; denn neben dem Recitativ steht Dopo la cavatina di Despina. Mozart hat diese Werte durchgestrichen, offenbar weil man nachher für die Arie der Despina einen besseren Platz fand.


6 B. A. Weber berichtete nach der Aufführung in Berlin (mus. Monatsschr. 1792 S. 137): »Nach der Hochzeit des Figaro, welche der Meinung des Rec. gemäß unter allen theatralischen Werken Mozarts den Vorrang behauptet, ist diese Oper unstreitig die vorzüglichste. Selbst diejenigen kleinen Flecken, welche eine, ich möchte sagen, mikroskopische Kritik an den beiden Meisterwerken Belmonte und Constanze und Don Juan zu finden wußte: die zuweilen zu concertartigen Arien der erstern und die hie und da etwas gesuchten Harmonien in der letztern Oper, hat der Verewigte hier auf eine sehr glückliche Art zu vermeiden gewußt. Besonders sind die vielstimmigen Sachen von einem Ausdruck und einer Schönheit, die sich eher fühlen als beschreiben lassen. Gleich eins der ersten Quintetten, in welchem die Liebhaber Abschied von ihren Geliebten nehmen und ihr Freund sie ironisch tröstet, ist ein Meisterwerk der Bearbeitung. Das Finale des ersten Acts ist durch und durch vortrefflich. Im höchsten Grade ausdrucksvoll und passend sind die chromatischen Gänge bei der Stelle, wo die Liebhaber vergiftet zu sein vorgeben. Nicht minder vortrefflich ist die komische Stelle des als magnetisirenden Arztes verkleideten Kammermädchens und der erschütternde Schluß des Finales. Unverbesserlich schön und eines bessern Stoffes würdig ist die Arie der ersten Sängerin: ›Wie die Felsen‹. Welch eine Größe in dem Thema und welch eine Würde in der Ausführung. Das Duett des zweiten Acts ›Ja verkleidet‹ ist originell und zugleich voll der süßesten und hinreißendsten Stellen. Die Arie ›Mädchen listig seid ihr alle‹ kann als Muster einer komischen Arie angesehen werden.«


7 In einem andern Bericht über die erste Aufführung in Berlin heißt es (Journ. d. Mod. 1792 S. 504): »Es ist wahrlich zu bedauern daß unsere besten Componisten meist immer ihr Talent und ihre Zeit an elende und jämmerliche Sujets verschwenden. Sollte wohl der Geschmack des Publicums, unter dem der Componist lebt, an der Wahl seiner in Musik zu setzenden Stücke Schuld sein? Gegenwärtiges Singspiel ist das albernste Zeug von der Welt und seine Vorstellung wird nur in Rücksicht der vortrefflichen Composition besucht.«


8 In einem »musikalischen Briefwechsel« (Berlin. mus. Ztg. 1805 S. 293ff.) wird erst die Oper, Text wie Musik, hart mitgenommen von Arithmos, dessen Ansicht dann aber von Phantasus als bornirte Philisterei verspottet und die Oper als ein Muster echter Ironie gepriesen. »Das Thema dieser Oper war eine Satire auf die so hoch gepriesene Treue des weiblichen Geschlechts und ein unschuldiger Scherz der mit dem Ernst der Liebe getrieben werden sollte. Daß dieser Beweis von der Untreue aller Mädchen nur als ein Scherz betrachtet wird ist eben das Zarte in der ganzen Operette, und daß diese Untreue wieder so gut davon kommt beweist den leichten schönen Sinn des Künstlers. Alles ist nur Maske, Spiel, Scherz, Tändelei und Ironie, Dinge die allerdings schwerer zu erfassen sein dürften als das gewöhnliche Einerlei des Lebens. Mit den ernsten Zügen, die dazwischen erscheinen, ist es Mozart gar kein Ernst gewesen, sie dienen ihm nur zur Gestaltung und wie man sagen möchte zur Bedunklung, Schattirung des Scherzes, wenn man gleich nicht leugnen kann, daß er sich in diesen Stellen zu sehr hat gehen lassen, indem sie ihm gleichsam bei der Arbeit zu sehr über den Kopf gewachsen sind, da sie nur als Contraste dastehen sollten, die er wieder nicht ohne Ironie behandeln durfte, wie er auch einigemal in den Aparts gethan hat.« Auch E. T. A. Hoffmann, der das Wesen der wahren komischen Oper in das Phantastische setzt, »das zum Theil aus dem abenteuerlichen Schwunge einzelner Charaktere, zum Theil aus dem bizarren Spiel des Zufalls entsteht, und das keck in das Alltagsleben hineinfährt und alles zu oberst und unterst dreht«, findet nicht nur daß in Mozarts Musik der ergötzlichste Ausdruck der Ironie vorwaltet, sondern daß auch der verachtete Text von Così fan tutte wahrhaft opernmäßig ist (Serapionsbrüder I, 2, 1. ges. Schr. I S. 120ff.).


9 In Wien wurde die Oper italiänisch nicht wieder gegeben, aber deutsch brachte man sie im Jahr 1794 in einer Bearbeitung von Gieseke unter dem Titel Die Schule der Liebe auf dem Theater an der Wien wieder zur Aufführung; 1804 im k.k. Hoftheater als Mädchentreue; 1814 wieder auf dem Theater an der Wien nach Treitschkes Bearbeitung Die Zauberprobe; 1819 und 1840 auf dem k.k. Hoftheater nach der früheren Uebersetzung. Auch in Berlin, wo sie zuerst am 6 Aug. 1792 unter dem Titel Eine machts wie die andere gegeben war (Schneider Gesch. d. Oper S. 61), versuchte man es 1805 mit der Bretznerschen Uebersetzung Mädchentreue (Schneider Gesch. d. Oper S. 76), auf welche 1820 die Bearbeitung von Herklots Die verfängliche Wette folgte. Bretzners freie Bearbeitung erschien unter dem Titel »Weibertreue oder die Mädchen sind von Flandern« Leipz. 1794. Indessen kehrte man bei der Wiederaufnahme auf dem Königstädter Theater im Jahr 1826 zu der älteren Bearbeitung zurück (A. M. Z. XXVIII S. 26. Berl. Mus. Ztg. III S. 12ff.), die aber im Jahr 1831 einer anderen von einem unbekannten Verfasser weichen mußte (A. M. Z. XXXIII S. 550); diese behielt man bei den Aufführungen im Jahr 1832 und 1835 bei, zog aber 1846 eine neue Bearbeitung von L. Schneider vor (A. M. Z. XLVIII S. 870). Durch die gütige Mittheilung des Prof. Gugler habe ich von drei älteren Bearbeitungen Kenntniß erhalten, welche außer der von Herklots in Stuttgart benutzt worden sind. In Prag nahm Guardasoni Così fan tutte sogleich auf sein Repertoire, später wurde die Oper dort deutsch als Mädchentreue 1808 (A. M. Z. S. 409), als Zauberprobe 1823 (A. M. Z. XXV S. 828), im Jahr 1831 böhmisch (A. M. Z. XXXIII S. 222) und 1838 italiänisch durch die Schüler des Conservatoriums aufgeführt (A. M. Z. XL S. 440). Durch Guardasoni war sie auch in Leipzig bekannt geworden, wo sie nachmals 1805 deutsch als Weibertreue (A. M. Z. VII S. 240), und 1830 von der italiänischen Operngesellschaft in Dresden aufgeführt wurde (A. M. Z. XXXII S. 375. Fr. Heinse Reise- und Lebensskizzen I S. 183ff.). Così fan tutte ist merkwürdiger Weise die erste Oper von Mozart, welche in Dresden auf die Bühne kam, und hielt sich dort auf dem Repertoir, war aber auch im Jahr 1812 noch die einzige Mozartsche Oper desselben geblieben (A. M. Z. XIV S. 189 vgl. XVI S. 154). In Italien hat dieselbe ebenso wenig festen Fuß fassen können als die übrigen; nur vereinzelt ist sie in Mailand im Jahr 1808 und 1814 (A. M. Z. XII S. 500. XVI S. 451) und in Turin 1816 (A. M. Z. XVIII S. 895) gegeben worden. In Paris wurde Così fan tutte im Odeon von der italiänischen Operngesellschaft in den Jahren 1811, 1817 und 1820 vortrefflich und mit Beifall aufgeführt (A. M. Z. XIII S. 526. 729. XIX S. 550. XXII S. 813); in London wurde sie zuerst im Jahr 1828 in englischer Bearbeitung von Arnold gegeben (Parke mus. mem. II p. 259) und entzückte im Jahr 1842 in den Vorstellungen der italiänischen Oper (A. M. Z. XLIV S. 750).


10 Das unglücklichste Mittel wendete dagegen Treitschke an, indem er in der Zauberprobe Alfonso zu einem Zauberer und Despina zu einem Luftgeist machte und, abgesehen davon daß die Wunder der Zauberei nur im Mährchen glaubhaft sind, die musikalische Charakteristik völlig aufhob. Einen anderen Versuch machte Krebel in einer Bearbeitung Mädchen sind Mädchen, welche 1816 in Stuttgart aufgeführt wurde, indem er die Geliebten nach langer Abwesenheit heimkehren und ehe sie den Bräuten wieder vor Augen treten die Wette unternehmen und ausführen läßt; Despina nimmt die Cur ohne Verkleidung in eigner Person vor und im letzten Finale tritt ein wirklicher Notar auf, den sie nachher für ihren Liebhaber ausgiebt. Der Gang der Handlung ist ganz verändert, durch einen verwässerten Dialog in die Länge gezogen und fast alle Musikstücke derartig verstellt und aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang gerissen, daß ihre charakteristische Bedeutung fast durchgängig beeinträchtigt ist. Noch tiefer griff Herklots bei seiner Bearbeitung Die verhängnißvolle Wette ein. Hier werden die Mädchen nicht von den verkleideten Liebhabern, sondern mit deren Zustimmung von zwei Freunden auf die Probe gestellt; auch nimmt der Bediente derselben Pedrillo an der Intrigue Theil um den Arzt und Notar vorzustellen. Gar nicht davon zu reden daß die musikalische Charakteristik dadurch wesentlich geschädigt wird, so ist ja das Unzarte welches in der ganzen Aufgabe liegt dadurch noch um vieles greller geworden, und sowohl die Liebesprobe als die schließliche Versöhnung wirken ungleich verletzender. Und doch ist die Oper in dieser Gestalt nicht allein in Berlin, sondern 1822 in Braunschweig (A. M. Z. XXIV S. 378), 1823 in Kas sel (A. M. Z. XXV S. 450) und Stuttgart (A. M. Z. XXV S. 766), 1824 in München (A. M. Z. XXVI S. 588) aufgeführt worden.


11 G. Bernhard, welcher schon in einem vortrefflichen Aufsatz im Morgenblatt (1856 N. 4 S. 75ff.) Text und Musik der Oper treffend gewürdigt und die Anforderungen an eine deutsche Bearbeitung entwickelt hatte, hat dieselbe für die Aufführung in Stuttgart im Jahr 1858 unter dem Titel Sind sie treu? ausgeführt. Hier ist dieser Anstoß gehoben, indem die Männer jeder seine eigne Geliebte prüfen, auch sind im Gang der Handlung wie in der Motivirung zweckmäßige Veränderungen vorgenommen, die nun auch die Versetzung einiger Musikstücke veranlaßt haben, über die sich theilweise rechten ließe. Die Uebersetzung läßt nicht nur alle früheren, die meistens gänzlich mißrathen sind, weit hinter sich zurück, sondern gehört überhaupt durch Gewandtheit und Geschmack und die genaue Beobachtung der musikalischen Erfordernisse zu den vorzüglichsten.


12 In einer älteren Bearbeitung Die Wette oder Mädchen-List und -Liebe, deren Verfasser ich nicht kenne, ist die Abänderung getroffen, daß das Kammermädchen ihren Damen, ehe die vorgeblichen Fremden eingeführt werden, den Plan Don Alfonsos verräth, so daß die Bräute mit ihren Geliebten von Anfang an ihren Scherz treiben – selbst die Vergiftungsscene wird von ihnen auf ziemlich unzarte Weise eingeleitet – und diese schließlich um Verzeihung zu bitten haben. Die Verkleidung Despinas als Arzt ist beibehalten, aber im letzten Finale muß ein wirklicher Notar auftreten. In gleicher Weise war auch Arnold bei seiner englischen Bearbeitung Tit for Tat verfahren (Hogarth mem. of the opera II p. 188f.); auch L. Schneider hat dieselbe Aenderung vorgenommen, nur daß hier Despina erst mit dem zweiten Aufzug ihren Gebieterinnen verräth, was man gegen sie vorhat, worauf diese von da an die Schwäche heucheln, wodurch sie ihre Geliebten züchtigen. Allein bei dieser Verkehrung wird nicht allein den Mädchen durch die Art, wie sie auf den beleidigenden Scherz eingehen und ihn erwiedern, die gleiche Unzartheit aufgebürdet, die kaum weniger übel ist als die Schwachheit, sondern die musikalische Charakteristik wird gänzlich zerstört, indem die Mädchen jetzt nur zum Schein äußern sollen, was die Musik ganz ernstlich meint, ein Zwiespalt der mitunter ganz unerträglich wird. Noch dazu wird das zweite Finale durch die veränderte Katastrophe verstümmelt, indem die artige Partie fortbleibt, in welcher die Männer an die von ihnen gespielte Rolle erinnern. Und doch ist diese Verballhornisirung den letzten Aufführungen in Leipzig, Dresden, München und Wien zu Grunde ge legt worden.


13 Im zweiten Aufzug sind 6 Arien, 4 Duetts, das sogenannte Quartett, und die kleine Scene Alfonsos, im ersten aber außer 6 Arien, 2 Duetts, 5 Terzetts, ein Quintett, ein Sextett und die große Scene mit Chor.


14 »O wie ist mir Mozart innig lieb und hoch verehrungswürdig«, sagt Rich. Wagner (Oper u. Drama I S. 54f.) »daß es ihm nicht möglich war zum Titus eine Musik wie die des Don Juan, zu Così fan tutte eine wie die des Figaro zu erfinden: wie schmählich hätte dies die Musik entehren müssen! – Ein frivol aufgeweckter Dichter reichte ihm seine Arien, Duetten und Ensemblestücke zum Componiren dar, die er dann je nach der Wärme, die sie ihm einflößen konnten, so in Musik setzte daß sie immer den entsprechendsten Ausdruck erhielten, dessen sie nach ihrem Inhalte irgend fähig waren.« Hotho (Vorstudien f. Leben und Kunst S. 76ff.) spricht die Ansicht aus, der Umstand daß in Così fan tutte die Frauen gegen die Männer in Schatten treten, während es im Figaro und Don Giovanni umgekehrt ist, habe Mozart angezogen, »weil er einer Seite entsprach, die sich in ihm noch zu Melodien zu beleben drängte.« Er behauptet, je weniger der neue Stoff im Vergleich zu Don Juan und Figaro eine bestimmtere Charakteristik und dramatisch reiche Entwicklung vorzeichnete, desto angemessener sei er dem Componisten geworden, denn eben diese individuelleren Charaktere, diese hinreißend dramatische Lebendigkeit, beginne in den drei letzten Opern immer mehr abzunehmen. Dagegen läßt er den musikalischen Schönheiten dieser Oper die lebhafteste Anerkennung zu Theil werden.


15 Eine kleine Aenderung hat Mozart in der Partie der Dorabella vorgenommen, wo er (S. 27 Takt 11ff.) ursprünglich geschrieben hatte


21.

und dann änderte


21.

Sie ist nicht so unbedeutend, als sie auf den ersten Blick scheinen mag, denn jene erste Version richtig vorgetragen erhält einen decidirt heroischen Charakter, der eher für Fiordiligi, aber nicht für Dorabella angemessen ist.


16 Von herrlicher Wirkung sind die gehaltenen Töne der Bratschen zu der bewegten Geigenfigur und den Pizzicatoschlägen der Bässe; ähnlich und mit gleich schöner Wirkung sind sie auch in dem Abschiedsquintett (9) angewendet.


17 Es ist in der Originalpartitur als Recitativo coi stromenti bezeichnet.


18 Vortrefflich ist in dieser ganzen ersten Abtheilung die Färbung der Instrumentation beobachtet. Das erste Terzett ist einfach gehalten, die lebhaften Figuren der Saiteninstrumente bestimmen den Charakter, Oboen Fagotts und Hörner verstärken nur Licht und Schatten; ganz anders im zweiten, wo die Saiteninstrumente leise begleiten, während eine Flöte und ein Fagott die Melodie des Liedes durchführen; das dritte ist glänzend durch Trompeten und Pauken, scharfe Oboen und rasche Geigenbewegung. Während der ganzen Liebesscene treten die Clarinetten in den Vordergrund, der Gesammtton des Orchesters wird voll und weich, in dem letzten Terzett durch das Hinzutreten der Flöten zugleich milder und glänzender; dagegen sticht dann der kräftige Klang des Marsches höchst wirksam ab.


19 Louise Villeneuve, für welche die Partie der Dorabella geschrieben ist, ist nicht näher bekannt als insofern diese Partie und die bereits erwähnte Arie (III S. 286f.) ein Urtheil gestatten. Sie war offenbar keine Coloratursängerin, auch keine eigentliche Buffa, sondern mehr für einfachen, ausdrucksvollen Gesang geeignet; ihre Stimme muß eine eigentliche Sopranstimme von mäßigem Umfang gewesen sein. Als eine Sängerin von bedeutender Individualität tritt sie nicht hervor und ohne Zweifel ist die ganze Partie danach bemessen.


20 Sgra. Ferraresi del Bene war im Jahr 1785 zuerst in London aufgetreten; man rühmte dort ihre angenehme Stimme und geschmackvollen Vortrag ohne sie als eigentliche Prima Donna gelten zu lassen (Parke mus. mem. I p. 48f.). In Wien trat da Ponte, wie er selbst berichtet (mem. II p. 108ff. 117) in ein Liebesverhältniß zu ihr, das während drei Jahren bestand. Sie hatte nach seiner Aussage eine schöne Stimme und eine eigenthümliche, sehr ergreifende Vortragsweise; sie war nicht grade schön gewachsen und keine besondere Schauspielerin, aber schöne Augen und ein reizender Mund zeichneten sie aus. Der große Beifall welchen sie beim Publicum fand, auch ihr heftiger und stolzer Charakter riefen eine lebhafte Feindschaft mit Sgra. Bussani und der Cavaglieri hervor, welche da Ponte mit Salieri, der die letztere begünstigte, entzweiten und seine Stellung unhaltbar machten. Beide wurden von Kaiser Leopold entlassen; eine spätere Zusammenkunft in Ferrara schildert da Ponte recht pikant (mem. II, 1 p. 67ff. zw. Ausg.). Mozart stellte sie als Sängerin nicht sehr hoch, wie seine Aeußerung zeigt daß die Alle grandi in Dresden viel besser sei als die Ferraresi – »das will freilich nicht viel gesagt haben« (III S. 480).


21 Bis zum ersten Finale ist in den Ensemblesätzen anfangs die erste Stimme der Dorabella, die zweite Fiordiligi gegeben, erst später hat Mozart die Namen vertauscht. Dies kann auch nur ein Vertauschen der Namen gewesen sein, denn unzweifelhaft ist die erste Partie von jeher der Ferraresi bestimmt gewesen, wie schon daraus hervorgeht daß die tiefen Töne in einer Weise benutzt sind, die nur für ihre Stimme berechnet sein konnte. Dies ergiebt sich auch daraus, daß in der gleich zu besprechenden Arie des Guillelmo Mozart die Namen Fiordiligi und Dorabella anfangs in umgekehrter Folge beigeschrieben und nachher geändert hat.


22 In der gedruckten Partitur ist nicht angegeben daß die Geigen con sordini spielen; auch ist in der Hornstimme S. 97 Takt 1


21.

und S. 28 Takt 35


21.

zu schreiben. An zwei Stellen sind Kürzungen vorgenommen; S. 99 sind nach Takt 5 die 8 Takte ausgelassen, welche an einer vollständigen Wiederholung des ganzen Themas fehlen, und nach Takt 10 fehlen 4 Takte, welche den Abschluß durch Wiederholung aufhalten. Im Original ist keine Andeutung daß Mozart selbst so gekürzt habe.


23 Diese auch jetzt noch lange Arie hat im Druck eine erhebliche Kürzung erfahren, indem S. 185 nach Takt 3 die vollständige Wiederholung des ersten Theils durchgeführt war, von welcher 35 Takte gestrichen sind. Nicht Corni, sondern Clarini, wie zu Anfang richtig steht, treten gegen den Schluß zu den übrigen Blasinstrumenten. Für den Vortrag ist bezeichnend daß am Anfang der Singstimme beigesetzt ist lietissimo.


24 Von vortrefflicher Wirkung ist der Wechsel der Tonarten Es-dur und C-dur bei dem zweiten Thema und der damit verbundene Wechsel der Clarinetten und Oboen.


25 Der Tenorist Calvesi ist derselbe, für welchen 1785 die Einlagstücke zur Villanella rapita geschrieben wurden (III S. 282ff.), auch sang er 1786 in Storaces Gli equivoci einen Antipholus, während Kelly den anderen sang (Kelly Remin. I p. 237).


26 In der Partie des Guillelmo zeichnete sich auch Bassi ganz besonders noch in späterer Zeit in Dresden aus (A. M. Z. X S. 410. XIII S. 730. XIX S. 649).


27 Der Text dieser unbekannt gebliebenen Arie lautet:


Zu Fiordiligi.


Rivolgete à lui lo sguardo

E vedete come stà;,

Tutto dice, io gelo, io ardo,

Idol mio, pietà, pietà.


Zu Dorabella.


E voi, cara, un sol momento

Il bel ciglio à me volgete,

E nel mio ritroverete

Quel che il labbro dir non sà.


Un Orlando inamorato

Non è niente in mio confronto,

Un Medoro il sen piagato

Verso lui per nullo io conto,

Son di foco i mei sospiri,

Son di bronzo i suoi desiri.

Se si parla poi di merto,

Certo io son ed egli è certo,

Che gli uguali non si trovano

Da Vienna al Canadà.

Siam due Cresi per richezza,

Due Narcissi per bellezza;

In amori i Marcantoni

Verso noi sarian buffoni;

Siam più forti d'un Ciclopo,

Letterati al par di Esopo;

Se balliam, il Pick ne cede,

Si gentil e snello è il piede;

Se cantiam, col trillo solo

Facciam torto al uscignolo,

E qualche altro capitale

Abbiam poi, che alcun non sà.


Die Damen gehen wüthend ab.


Bella, bella, tengon sodo,

Sene vanno ed io ne godo,

Eroine di costanza,

Specchi son di fedeltà.


28 Diese Arie ist von Mozart im December 1789 in sein Verzeichniß eingetragen mit dem Beisatz, »wel che in die Oper Così fan tutte bestimmt war, für Benucci;« die Originalpartitur ist bei André. Von Blasinstrumenten sind außer Oboen und Fagotts auch Trompeten und Pauken angewendet; ursprünglich auch Hörner, welche Mozart weggestrichen hat, obgleich sie ganz ausgeschrieben waren und z.B. bei jener Fanfare sehr eigenthümlich hervortraten.


29 Auch hier muß eine Aenderung gemacht worden sein. Denn das vorangehende Recitativ schloß ursprünglich nach den Worten Ferrandos Dammi consiglio! in C-moll ab, worauf die Notiz folgt: Segue l'aria di Guillelmo, Später sind die beiden letzten Takte gestrichen und an, einem anderen Blatt ist das Recitativ fortgeführt, wie es jetzt gedruckt ist, mit derselben Notiz am Schlusse.


30 Dieser Anforderung entsprechen auch die beiden Duetts der Männer, von denen das erste (7) leicht und ohne tiefere Ansprüche ist. Das zweite (21), ein Ständchen, welches ganz der damaligen Sitte gemäß nur von Blasinstrumenten begleitet ist und zum Schluß vom Chor aufgenommen wird, ist zwar sehr wohllautend und anmuthig, aber ohne eigentliche individuelle Charakteristik.


31 Die Wiederholung der Stelle von so unwiderstehlich komischer Gravität durch die Blasinstrumente


21.

fehlt in der Originalpartitur und ist auf einem Beiblatt von der Hand ein es Copisten nur für Flöte und Fagotts geschrieben; auch die Verweisungszeichen scheinen mir nicht von Mozarts Hand. Daß die Einschaltung, wie sie in der gedruckten Partitur vorliegt, seiner Absicht entspricht ist wohl unzweifelhaft.


32 Was von Sgra. Bussani, der ersten Darstellerin der Despina, berichtet wird (S. 232ff.) macht die Anlage dieser Partie, bei der es weniger auf Feinheit als Keckheit und Uebermuth abgesehen ist, begreiflich.


33 In beiden Bearbeitungen bricht Guillelmos Arie auf dem Septimenaccord ab, worauf das Terzett unmittelbar einfällt. Uebrigens steht zu Anfang desselben beigeschrieben ridono moderatamente (nicht fortissimo).


34 Ueber diesen Charakter hat Rochlitz einige Bemerkungen gemacht (A. M. Z. III S. 592f.).


35 Dies mag freilich auch durch den Darsteller mit bedingt worden sein, denn Buffani war wie es scheint kein großer Sänger (S. 221).


36 Dies scheint eine spätere Aenderung zu sein. Denn das vorhergehende Recitativ schloß ursprünglich vollständig ab


21.

und daneben steht segue l'Aria di Don Alfonso; dann ist das d weggestrichen und daneben geschrieben attacca. Wenn Mozart den Ensemblesatz auch schwerlich als ein eigentliches Quartett ansah, so konnte er es doch nicht wohl als Aria di Don Alfonso bezeichnen; eine solche wird also ursprünglich beabsichtigt und dann mit dem Ensemble vertauscht worden sein.


37 Hierauf hat schon Rochlitz aufmerksam gemacht (A.M.Z. III S. 593).


38 In der gedruckten Partitur ist an drei Stellen (S. 6 Takt 11; S. 8 Takt 24; S. 10 Takt 15) das oben angeführte dritte Motiv um 8 Takte beschnitten, indem es im Original jedesmal unverkürzt mit wechselnder Instrumentirung wiederholt wird.


39 Unbegreiflich ist die Aeußerung Schröders, der am 1 Mai 1791 die von Stegmann, »Liebe und Versuchung« umgetaufte Oper in Frankfurt a. M. sah: »Erbärmlich! Selbst von Mozarts Musik gefällt mir nur der zweite Aufzug.« (Meyer, Schröder II, 1 S. 68).


40 Im Original sind keine Trompeten und Pauken, auch ist nicht auf ein Extrablatt verwiesen. – Das zweite Tempo war erst Allegro assai, das assai ist aber von Mozart weggestrichen.


41 Beim Eintritt Ferrandos und Guillelmos hatte Mozart anfangs den Baß


21.

beibehalten, und erst später den leichter fortschreitenden


21.

an die Stelle gesetzt.


42 In der ganzen Oper ist die Molltonart nur in der karikirten Arie Don Alfonsos (5), bei der Vergiftungsscene im zweiten Satze des ersten Finales und rasch vorübergehend in Ferrandos Arie (27) angewendet.


43 Von diesem zweiten Tempo an bis zum Schluß des Finale hat Mozart sämmtliche Blasinstrumente auf ein Extrablatt geschrieben, auf das er verweist; leider ist dasselbe nicht mehr vorhanden. Von einem Copisten sind noch einige Seiten hindurch die Flöten und Fagotts eingetragen.


44 Es ist merkwürdig, wie das Eintreten der Tonart der Dominante G-dur nach dem Abschluß in C-moll hier, wie auch sonst nicht selten, einen so überaus frischen Eindruck macht, als trete ein überraschend neues Element auf. Der Wechsel der Haupttonarten ist, wenn gleich einfach, doch bewegter als in den ersten Finales im Figaro (S. 244) und Don Giovanni (S. 440). Auf D-dur folgt G-moll, Es-dur, C-moll, G-dur, dann unvermittelt B-dur und wieder ohne Uebergang D-dur.


45 In der gedruckten Partitur ist dieses Andante verkürzt; S. 128 nach Takt 1 sind 15 Takte ausgefallen. In der Originalpartitur ist dieser Sprung mit Rothstift angedeutet, sowie im letzten Allegro ein Sprung angezeigt ist von S. 132 Takt 7 bis S. 141 Takt 1.


46 Die Instrumentation trägt zu dieser Charakteristik nicht wenig bei. Nicht allein die Saiteninstrumente sind gegen den vorhergehenden Satz so verschieden angewendet daß es gar nicht dieselben Instrumentalmittel zu sein scheinen; sondern dort sind die Oboen mit Flöten und Fagotts vorherrschend, hier Clarinetten und Fagotts durch Trompeten in eigenthümlicher Art verstärkt. Mit dem Eintritt des Allegro ändert sich die Klangfarbe wiederum vollständig. Die mit der Violine im Einklang gehenden Flöten, die zitternde Achtelbegleitung machen einen Eindruck von sinnlicher Aufregung, der mit dem ruhig gehobenen Charakter des Andante außerordentlich contrastirt.


47 Die beiden Liebespaare sind allerdings nicht durchweg individuell charakterisirt, und wenn Fiordiligi und Ferrando hervor-, Dorabella und Guillelmo zurücktreten, so geschieht dies mehr zufolge der musikalischen als der dramatischen Charakteristik, obgleich auch diese nicht unberücksichtigt bleibt.


48 Dies ist wiederum ein den damals üblichen geselligen Sitten entlehnter Zug (III S. 333), sowie auch das ganz selbständige Hervortreten der Blasinstrumente während dieser Scene auf die übliche Tafelmusik anspielt, denn völlig ausgeführt wie im Don Giovanni ist sie hier nicht.


49 Der Canon sollte ursprünglich noch weiter gesponnen werden und Guillelmo, nachdem er seinem Zorn im parlando genügt hat, das Thema gegen Dorabella gewandt ergreifen; allein mit richtigem Gefühl hat Mozart das aufgegeben und den schon niedergeschriebenen ersten Takt gestrichen.


50 Um sich zu überzeugen, wie viel für die richtige Wirkung auf das gehörige Temperament der einzelnen Momente ankommt, kann man die beiden Scenen, in welchen Despina verkleidet auftritt, mit Nutzen vergleichen. Die scharf angespannte Situation, in welche sie als Arzt eintritt, erfordert starke und lebhafte Farben, während die anmuthige Liebesscene auch für den Notar eine sanftere Beleuchtung verlangt.


51 Nach dem Marsch waren die Blasinstrumente alle auf einem von Mozart angemerkten Extrablatt geschrieben, das ebenfalls nicht mehr vorhanden ist.


52 In dem Aufsatz im Morgenblatt (1856 N. 4 S. 81f.) wo auf diese Eigenthümlichkeit aufmerksam gemacht wird, ist auch angenommen, und wie ich glaube mit Recht, daß die Flöten- und Fagottfigur zu Anfang des ersten Finales veranlaßt sei durch Despinas vorhergehende Worte: le povere buffone stanno nel giardinetto a lagnarsi coll' aria e colle moschi d'aver perso gli amanti.


53 Dagegen ist auch hier, wo doch das Motiv der Verkleidung es nahe zu legen schien, nicht einmal ein Anflug nationaler Charakteristik zu spüren; Mozart mochte wohl fühlen daß eine solche musikalische Verkleidung sehr bald ermüden würde.


54 Wie mir scheint sind auch die lang ausgedehnten Schlüsse, welche in dieser Oper auffallend hervortreten und nur einigemal einen parodischen Charakter anzunehmen scheinen, dem Publicum und den Sängern zu gefallen eingeführt worden.


55 Um so mehr setzt es in Erstaunen daß eine Anzahl von Stücken grade dieser Oper zu einer vollständigen Messe verarbeitet ist, worüber das Nähere Beil. XXV mitgetheilt ist.


56 Man sehe, um nur wenige Beispiele anzuführen, die Arien des Ferrando (27) und der Dorabella (28) auf die reiche und sein nuancirte Behandlung der Blasinstrumente an.


57 Mehrmals sind sie mit Clarinetten verbunden z.B. in Fiordiligis Arie (14), im Andante des ersten Finales, mit Flöten und Fagotts in dem lustigen Quartett (21), mit Oboen und Flöten im ersten Allegro des ersten Finales, wo das langgehaltene d (S. 107) von wunderbarer Wirkung ist und den Unterschied von den Hörnern klar machen kann.


Quelle:
Jahn, Otto: W.A. Mozart. Band 4, Leipzig: Breitkopf und Härtel, 1859, S. 1.
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