XIV.

Ich stelle hier die Briefe, welche den Tod der Mutter betreffen, vollständig zusammen, so weit sie diesen angehen; sie sind so charakteristisch für Vater und Sohn und das ganze Familienleben daß sie nicht fehlen dürfen. Der Brief an Bullinger, in welchem er diesem die Trauerbotschaft schreibt, damit dieser sie dem Vater zur geeigneten Zeit mittheile, lautet wie folgt.


1.

Paris, ce 3 Juillet 1778.


»Allerbester Freund! (für Sie ganz allein.)


Trauern Sie mit mir, mein Freund! – Dieß war der traurigste Tag in meinem Leben – das schreibe ich um zwey Uhr Nachts – ich muß es Ihnen doch sagen, meine Mutter, meine liebe Mutter ist nicht mehr! – Gott hat sie zu sich berufen – er wollte sie haben, das sah ich klar – mithin habe ich mich in Willen Gottes gegeben. – Er hat sie mir gegeben, er konnte sie mir auch nehmen. Stellen Sie sich nur alle meine Unruhe, Angst und Sorgen vor, die ich diese vierzehn Tage ausgestanden habe. – Sie starb, ohne daß sie etwas von sich wußte – löschte aus wie ein Licht. Sie hat drey Täge vorher gebeichtet, ist communicirt worden und hat die heilige Oelung empfangen. – Die letzten drey Täge aber phantasirte sie beständig, und heut aber um 5 Uhr 21 Minuten griff sie in Zügen, verlor also gleich dabey alle Empfindung und alle Sinne – ich drückte ihr die Hand, redete sie an – sie sahe mich aber nicht, hörte mich nicht, und empfand Nichts – so lag sie, bis sie verschied, nämlich in fünf Stunden, um 10 Uhr 21 Minuten Abends – es war Niemand [535] dabey, als ich, ein guter Freund von uns, den mein Vater kennt, Herr Haina und die Wächterin. – Die ganze Krankheit kann ich Ihnen heute ohnmöglich schreiben – ich bin der Meynung, daß sie hat sterben müssen – Gott hat es so haben wollen. Ich bitte Sie unterdessen um Nichts, als um das Freundstück, daß Sie meinen armen Vater ganz sachte zu dieser traurigen Nachricht zubereiten – ich habe ihm mit der nämlichen Post geschrieben – aber nur, daß sie schwer krank ist – warte dann nur auf eine Antwort, damit ich mich darnach richten kann. Gott gebe ihm Stärke und Muth! – Mein Freund! – Ich bin nicht itzt, sondern schon lange her getröstet! – ich habe aus besonderer Gnade Gottes Alles mit Standhaftigkeit und Gelassenheit übertragen. Wie es so gefährlich wurde, so bat ich Gott nur um zwey Dinge, nämlich um eine glückliche Sterbstunde für meine Mutter, und dann für mich um Stärke und Muth – und der gütige Gott hat mich erhört und mir die zwey Gnaden im größten Maaße verliehen. Ich bitte Sie also, bester Freund, erhalten Sie mir meinen Vater, sprechen Sie ihm Muth zu, daß er es sich nicht gar zu schwer und hart nimmt, wenn er das Aergste erst hören wird. Meine Schwester empfehle ich Ihnen auch von ganzem Herzen – gehen Sie doch gleich hinaus zu ihnen, ich bitte Sie – sagen Sie ihnen noch nicht, daß sie todt ist, sondern präpariren Sie sie nur so dazu – thun Sie, was Sie wollen, – wenden Sie Alles an – machen Sie nur, daß ich ruhig seyn kann – und daß ich nicht etwa ein anderes Unglück noch zu erwarten habe. – Erhalten Sie mir meinen lieben Vater, und meine liebe Schwester. Geben Sie mir gleich Antwort, ich bitte Sie – Adieu, ich bin


Dero

gehorsamster, dankbarster Diener

Wolfgang Amadé Mozart


»Aus Fürsorg:

Rue du gros chenet, vis-à-vis celle du croissant

à l'hôtel des quatre fils aimont


Zu gleicher Zeit schrieb er an seinen Vater folgenden Brief um ihn vorzubereiten.


2.

[536] Paris, den 3. July 1778.


»Ich habe Ihnen eine sehr unangenehme und traurige Nachricht zu geben, die auch Ursach ist, daß ich auf Ihren letzten, vom 11 ten Juny datirten Brief nicht eher habe antworten können. Meine liebe Mutter ist sehr krank – sie hat sich, wie sie es gewohnt war, Ader gelassen, und es war auch sehr nothwendig; es war ihr auch ganz gut darauf. Doch einige Täge darnach klagte sie – Frost und auch gleich Hitze, – bekam den Durchfall, Kopfwehe, anfangs brauchten wir nur unsere Hausmittel, antispasmodisch Pulver; wir hätten auch gern das schwarze gebraucht, es mangelte uns aber, und wir konnten es hier nicht bekommen, es ist auch unter dem Namen pulvis epilepticus nicht bekannt. – Weil es aber immer ärger wurde, sie hart reden konnte, das Gehör verlor, so daß man schreyen mußte, – so schickte der Baron Grimm seinen Doctor her. – Sie ist sehr schwach, hat noch Hitzen und phantasirt, – man giebt mir Hoffnung; ich habe aber nicht viel – ich bin nun schon lange Tag und Nacht zwischen Furcht und Hoffnung – ich habe mich aber ganz in Willen Gottes gegeben – und hoffe, Sie und meine liebe Schwester werden es auch thun. Was ist denn sonst für ein Mittel, um ruhig zu seyn? – ruhiger, sage ich, denn ganz kann man es nicht seyn. – Ich bin getröstet, es mag ausfallen, wie es will, – weil ich weiß, daß es Gott, der Alles (wenn es uns noch so quer vorkömmt) zu unserm Besten anordnet, so haben will; denn ich glaube (und dieses lasse ich mir nicht ausreden), daß kein Doctor, kein Mensch, kein Unglück, kein Zufall einem Menschen das Leben weder geben noch nehmen kann, sondern Gott allein – das sind nur die Instrumenten, deren er sich meistentheils bedient – und auch nicht allezeit. – Wir sehen ja, daß Leute umsinken, umfallen und todt sind. Wenn einmal die Zeit da ist, so nutzen alle Mittel nichts, sie befördern eher den Tod als daß sie ihn verhindern – wir haben es ja am seligen Freund Hefner gesehen. Ich sage dessentwegen nicht, daß meine Mutter sterben wird und sterben muß, daß alle Hoffnung verloren sey – sie kann frisch und gesund werden, aber nur wenn Gott will. – Ich mache mir, nachdem ich aus allen meinen Kräften um die Gesundheit und das Leben meiner lieben Mutter zu meinem Gott gebeten habe, gern solche Gedanken und Tröstungen,[537] weil ich mich hernach mehr beherzt, ruhiger und getröst finde, – denn Sie werden sich leicht vorstellen, daß ich dieß brauche! – Nun etwas Anderes. Verlassen wir diese traurigen Gedanken, hoffen wir, aber nicht zu viel, haben wir unser Vertrauen auf Gott, und trösten wir uns mit diesem Gedanken, daß Alles gut geht, wenn es nach dem Willen des Allmächtigen geht, indem er am besten weiß, was uns Allen sowohl zu unserm zeitlichen als ewigen Glück und Heil ersprießlich und nutzbar ist.«

Mit richtigem Tact berichtet er dann seinem Vater von seinen neuesten Erlebnissen und dem Stand seiner Angelegenheiten – von diesen Nachrichten ist im Text Gebrauch gemacht – um ihn zu beschäftigen und seinen Gedanken eine bestimmte Richtung zu geben, die ihn von dem schweren Verlust etwas abziehen konnte. Er wußte wohl, daß sein Vater mit um so größerer Lebhaftigkeit nun an ihn und seine Lage denken würde. Zum Schluß kehren seine Betrachtungen wieder zu der ernsten Veranlassung seines Briefes zurück.

»Nun leben Sie recht wohl«, schreibt er, »haben Sie Sorge auf Ihre Gesundheit, verlassen Sie sich auf Gott, da müssen Sie ja Trost finden. Meine liebe Mutter ist in den Händen des Allmächtigen, will er sie uns noch schenken, so werden wir ihm für diese Gnade danken; will er sie aber zu sich nehmen, so nützet all unser Aengsten, Sorgen, Verzweifeln nichts, – geben wir uns lieber standhaft in seinen göttlichen Willen, mit gänzlicher ueberzeugung, daß es zu unserm Nutzen seyn wird, weil er nichts ohne Ursache thut.«

Der Brief des Vaters war bereits angefangen, als er Wolfgangs vorbereitenden Brief erhielt und dann von Bullinger die ganze Wahrheit erfuhr; sein Schreiben läßt uns einen tiefen Blick in sein Gemüth thun.


3.

»Mein liebes Weib, und mein lieber Sohn!


Um Deinen Namenstag, mein liebes Weib, nicht zu verfehlen, schreibe ich unter heutigem Dato, wo der Brief sicher noch einige Tage vorher eintreffen muß. Ich wünsche Dir Million Glück, solchen abermals erlebt zu haben, und bitte den allmächtigen Gott, daß er Dich diesen Tag noch viele Jahre gesund und, so viel es auf diesem veränderlichen Welt-Theater möglich, auch [538] vergnügt möge erleben lassen. Ich bin vollkommen überzeugt, daß Dir zu Deinem wahren Vergnügen Dein Mann und Deine Tochter mangelt. Gott wird nach seinem ohnerforschlichen Rathschlusse und heiligster Vorsehung Alles zu unserm Besten anwenden. Hättest Du wohl vor einem Jahre geglaubt, daß Du Deinen kommenden Namenstag in Paris hinbringen würdest? – – So unglaublich es damals Manchem geschienen hätte (obwohl uns eben nicht) – eben so möglich ist es, daß wir mit der Hilfe Gottes eher, als wir es vermuthen, wieder Alle beysammen sind: denn dieses allein ist, was mir am Herzen liegt, – von Euch getrennt zu seyn – von Euch entfernt, und so weit entfernt zu leben; sonst sind wir, Gott sey gelobt, gesund! Wir Beyde küssen Dich und den Wolfgang Millionen Mal, und bitten Euch hauptsächlich für die Erhaltung Eurer Gesundheit besorgt zu seyn. –«

»Dieses Vorherstehende schrieb ich gestern, den 12ten d. M. Heute Vormittags den 13ten, das ist diesen Augenblick vor 10 Uhr, erhalte ich Dein betrübtes Schreiben vom 3ten July. Du kannst Dir leicht vorstellen, wie uns Beyden um das Herz ist. Wir weinten zusammen, daß wir kaum den Brief lesen konnten, – und Deine Schwester! – großer, barmherziger Gott! Dein allerheiligster Wille geschehe! Mein lieber Sohn! bey aller meiner immer möglichen Ergebung in den göttlichen Willen wirst Du es doch ganz menschlich und natürlich finden, daß ich durch Thränen fast gehindert werde, zu schreiben. Was kann ich endlich für einen Schluß machen? – Keinen andern als: itzt, da ich dieses schreibe, wird sie vermuthlich todt – oder sonst muß sie besser seyn, denn Du schreibst den 3ten, und heute ist schon der 13te. Du schreibst, sie befand sich auf das Aderlassen gut; allein einige Tage hernach klagte sie über Frost und Hitze. Euer letzter Brief war vom 12ten Juny, und da schrieb sie – gestern habe ich mir Ader gelassen: das war also den 11ten Juny, und warum denn an einem Samstage – an einem Fasttage? – – – Sie wird wohl Fleisch gespeis't haben. Sie hat mit dem Aderlassen zu lange gewartet. Ich habe es ja erinnert, weil ich sie kenne, daß sie gern Alles von heute auf morgen verschiebt, absonderlich an einem fremden Orte, wo sie sich erst um einen Chirurgen erkundigen muß. Nun ist einmal die Sache so – und nicht mehr zu ändern. – Da ich mein vollkommenes Vertrauen in Deine kindliche Liebe setze, daß Du alle menschenmögliche Sorgfalt [539] für Deine gewiß gute Mutter getragen hast, und, wenn Gott uns sie noch schenket, immer tragen wirst; für Deine gute Mutter, deren Augapfel Du warst, und die Dich ganz außerordentlich geliebt hat, – die völlig stolz auf Dich war, und die (ich weiß mehr als Du) gänzlich in Dir gelebt hat. Sollte nun aber alles unser Hoffen vergebens seyn! sollten wir sie verloren haben! – Großer Gott! so hast Du Freunde nöthig, redliche Freunde! sonst kommst Du um Deine Sachen, Begräbniß-Unkösten u.s.w. mein Gott! manche Dir ganz unbekannte Unkosten, wo man einen Fremden betrügt – übernimmt – hintergeht – in unnöthige Kösten bringt und aussaugt, wenn man nicht redliche Freunde hat: Du kannst es nicht verstehen. Sollte nun dieses Unglück vorgefallen seyn, so bitte Herrn Baron von Grimm, daß Du Deiner Mutter Sachen alle zu ihm in Verwahrung bringen darfst, damit Du nicht auf gar so viel Sachen Achtung zu geben nothwendig hast: oder versperre Alles recht gut, denn wenn Du ganze Tage oft nicht zu Hause bist, kann man ins Zimmer brechen und Dich ausrauben. Gott gebe, daß alle diese meine Vorsorge unnöthig ist: an dieser kennst Du aber Deinen Vater. Mein liebes Weib! mein lieber Sohn! Da sie einige Täge nach dem Aderlaß unpäßlich geworden, so muß sie sich schon seit dem 16ten oder 17ten Juny krank befinden. Ihr habt doch zu lange gewartet, – sie hat halt geglaubt, es wird durch Ruhe im Bette, durch Diät, durch eigene Mittel besser werden; ich weiß, wie es geht, man hofft und schiebt von Heute auf Morgen: allein, mein lieber Wolfgang, das Laxiren bey Hitze erfordert augenblicklich einen Medicum, um zu wissen, ob man die Hitze benehmen oder noch lassen muß, da die abkühlenden Mittel noch mehr Laxiren machen, und stillt man den Durchlauf zur unrechten Zeit, so geht dieMateria peccans in einen Brand. – Gott, Dir sey Alles überlassen!«

»Ich schrieb ihr meinen Glückwunsch am Anfange des Briefes, – und die Nannerl wollte mit ihrem Glückwunsche denselben schließen. Allein sie kann (wie Du Dir's leicht vorstellen kannst) keinen Buchstaben schreiben, die Sache kommt eben jetzt, da sie schreiben sollte, – jeder Buchstabe, den sie hinschreiben soll, treibt ihr einen Thränenguß in die Augen. Vertrete Du, ihr lieber Bruder, ihre Stelle – wenn Du, wie wir hoffen und wünschen, noch vertreten kannst.«

»Doch nein! Du kannst es nicht mehr. – Sie ist dahin! [540] Du bemühest Dich zu sehr, mich zu trösten, das thut man nicht gar so eifrig, wenn man nicht durch den Verlust aller menschlichen Hoffnung, oder durch den Fall selbst dazu ganz natürlich angetrieben wird.« – –

»Dieses schreibe ich um halb 4 Uhr Nachmittags. Ich weiß nun, daß meine liebe Frau im Himmel ist. Ich schreibe es mit weinenden Augen, aber mit gänzlicher Ergebung in den göttlichen Willen! Da gestern die Kirchweyhe bei der heil. Dreifaltigkeit war, so wurde unser gewöhnliches Pölzelschießen auf heute verschoben. Ich konnte und wollte es wegen dem betrübten Briefe so spät nicht mehr absagen lassen. Wir aßen wenig, die Nannerl aber mußte, da sie vor Tische stark geweint hatte, sich erbrechen, bekam erstaunliche Kopfschmerz und legte sich hernach ins Bett. Hr. Bullinger fand uns, wie alle die Uebrigen uns antrafen, in der betrübtesten Situation; ich gab ihm, ohne ein Wort zu sagen, Deinen Brief zu lesen, und er verstellte sich trefflich, und fragte mich, was ich davon hielte. Ich antwortete ihm, daß ich fest glaubte, mein liebes Weib sey schon todt. Er sagte, daß er in der That fast eben dieses vermuthe, und dann sprach er mir Trost ein, und sagte mir als ein wahrer Freund alles dasjenige, was ich mir bereits schon selbst gesagt hatte. Ich gab mir Mühe, mich aufzuräumen, mich bey der Ergebung in den allerheiligsten göttlichen Willen zu erhalten. Wir endigten unser Schießen, Alles ging betrübt weg; Hr. Bullinger blieb bey mir, und fragte mich dann unvermerkt, was ich denn davon hielte, ob bey diesen überschriebenen Krankheitsumständen noch Hoffnung wäre. Ich antwortete ihm, daß ich glaubte, sie wäre nicht nur jetzt todt, sondern den Tag, da Dein Brief geschrieben worden, schon gestorben, daß ich mich in den Willen Gottes gebe und denken müsse, daß ich zwey Kinder habe, die mich hoffentlich so lieben werden, als wie ich einzig für sie lebe: daß ich es so gewiß glaube, daß ich sogar Erinnerungen und Besorgnisse wegen der Folge etc. an Dich geschrieben habe. Auf dieses sagte er mir: ja, sie ist todt! und in diesem Augenblicke fiel mir der Schleyer vom Gesicht, den mir dieser schnelle Zufall vor die Augen hielt, der meine Voraussehung verhinderte, da ich sonst geschwind auf die Vermuthung verfallen wäre, Du würdest dem Hrn. Bullinger unter der Hand das Wahre geschrieben haben, so bald ich Deinen Brief las. Dein Brief hatte mich aber wirklich dumm gemacht – ich war im ersten Augenblicke zu sehr niedergeschlagen, um etwas nachdenken [541] zu können. Jetzt weiß ich nichts zu schreiben! Wegen meiner kannst Du ruhig seyn, ich werde als ein Mann handeln. Denke nach, was Du für eine zärtlich liebende Mutter hattest – jetzt wirst Du ihre Sorgen erst einsehen – so wie Du bey reisen Jahren nach meinem Tode mich immer mehr lieben wirst. – Liebst Du mich – wie ich gar nicht zweifle – so trage Sorge für Deine Gesundheit, – an Deinem Leben hängt mein Leben – und der künftige Unterhalt Deiner ehrlich Dich von Herzen liebenden Schwester. Daß es unbegreiflich empfindlich ist, wenn der Tod eine gute glückliche Ehe zerreißt, das muß man erfahren, um es zu wissen. – Schreib' mir Alles umständlich, vielleicht hat man ihr zu wenig Blut gelassen? – Das Gewisseste ist, daß sie sich zu viel auf sich selbst getrauet, und den Doctor zu spät gerufen, unterdessen hat der Brand in intestinis überhand genommen. Sorge für Deine Gesundheit! mache uns nicht Alle unglücklich! Die Nannerl weiß noch nichts von Bullingers Briefe, ich habe sie aber schon so zubereitet, daß sie glaubt, daß ihre beste Mutter todt ist. Schreibe mir bald – und Alles – wann sie begraben worden – wohin? – Großer Gott! das Grab meines lieben Weibes muß ich in Paris suchen!«

Noch vorher hatte Wolfgang dem Vater einen Brief geschrieben, um ihm, sowie er ihn genau unterrichtet wußte, auch gleich Nachricht und Zuspruch zu geben.


4.

Paris, ce 9 Juillet 1778.


»Monsieur mon trés cher Père!


Ich hoffe, Sie werden bereitet seyn, eine der traurigsten und schmerzhaftesten Nachrichten mit Standhaftigkeit anzuhören. – Sie werden durch mein letztes Schreiben vom ölen in die Lage gesetzt worden seyn, nichts Gutes hören zu dürfen. – Den nämlichen Tag, den 3 ten, ist meine Mutter Abends um 10 Uhr 21 Minuten in Gott selig entschlafen; – als ich Ihnen aber schrieb, war sie schon im Genusse der himmlischen Freuden – Alles war schon vorbey – ich schrieb Ihnen in der Nacht – ich hoffe, Sie und meine liebe Schwester werden mir diesen kleinen und sehr nothwendigen Betrug verzeihen – denn nachdem ich nach meinen Schmerzen und Traurigkeit auf die Ihrige schloß, so konnte ich [542] es ohnmöglich über's Herz bringen, Sie sogleich mit dieser schröcklichen Nachricht zu überraschen. – Nun hoffe ich aber, werden Sie sich Beyde gefaßt gemacht haben, das Schlimmste zu hören, und, nach allen natürlichen und nur gar zu billigenden Schmerzen und Weinen, endlich sich in Willen Gottes zu geben, und seine unerforschliche, unergründliche und allerweiseste Vorsehung anzubeten. – Sie werden sich leicht vorstellen können, was ich ausgestanden – was ich für Muth und Standhaftigkeit nothwendig hatte, um Alles so nach und nach immer ärger, immer schlimmer, mit Gelassenheit zu übertragen – und doch, der gütige Gott hat mir diese Gnade verliehen – ich habe Schmerzen genug empfunden, habe genug geweint – was nützte es aber? Ich mußte mich also trösten. Machen Sie es auch so, mein lieber Vater und liebe Schwester! – Weinen Sie, weinen Sie sich recht aus – trösten Sie sich aber endlich – bedenken Sie, daß es der allmächtige Gott also hat haben wollen – und was wollen wir wider ihn machen? – Wir wollen lieber beten, und ihm danken, daß es so gut abgelaufen ist – denn sie ist sehr glücklich gestorben. – In jenen betrübten Umständen habe ich mich mit drey Sachen getröstet, nämlich durch meine gänzliche, vertrauungsvolle Ergebung in den Willen Gottes – dann durch die Gegenwart ihres so leichten und schönen Tods, indem ich mir vorstellte, wie sie nun in einem Augenblicke so glücklich wird – wie viel glücklicher daß sie nun ist, als wir – so, daß ich mir gewünscht hätte, in diesem Augenblicke mit ihr zu reisen – aus diesem Wunsche und aus dieser Begierde entwickelte sich endlich mein dritter Trost, nämlich, daß sie nicht auf ewig für uns verloren ist – daß wir sie wiedersehen werden – vergnügter und glücklicher beysammen seyn werden, als auf dieser Welt. Nur die Zeit ist uns unbekannt – das macht mir aber gar nicht bang – wann Gott will – dann will ich auch. – Nun, der göttliche, allerheiligste Wille ist vollbracht – beten wir also ein andächtiges Vater unser für ihre Seele – und schreiten wir zu andern Sachen es hat Alles seine Zeit. – Ich schreibe dieses im Hause der Madame d'Epinay und des Mons. Bar. de Grimm, wo ich nun logire, ein hübsches Zimmerl mit einer sehr angenehmen Aussicht habe, – und, wie es nur immer mein Zustand zuläßt, vergnügt bin. – Eine große Hülfe zu meiner möglichen Zufriedenheit wird seyn, wenn ich hören werde, daß mein lieber Vater und meine liebe Schwester sich mit Gelassenheit und Standhaftigkeit [543] gänzlich in Willen des Herrn geben, – sich ihm von ganzem Herzen vertrauen, in der festen Ueberzeugung, daß er Alles zu unserm Besten anordnet. – Allerliebster Vater! – schonen Sie sich! – Liebste Schwester! – schone Dich, – Du hast noch nichts von dem guten Herzen Deines Bruders genossen – weil er es noch nicht im Stande war. – Meine liebste Beyde! – habt Sorge auf Eure Gesundheit – denket, daß Ihr einen Sohn habt – einen Bruder – der all seine Kräfte anwendet, um Euch glücklich zu machen – wohl wissend, daß Ihr ihm auch einstens seinen Wunsch und sein Vergnügen – welches ihm gewiß Ehre macht, nicht versagen, und auch Alles anwenden werdet, um ihn glücklich zu sehen. – O dann wollen wir so ruhig, so ehrlich, so vergnügt (wie es nur immer auf dieser Welt möglich ist) leben – und endlich, wenn Gott will, dort wieder zusammen kommen, wofür wir bestimmt und erschaffen sind.« –

Auch diesmal versäumt er nicht dem Vater ausführliche Nachricht von seinen Umständen zu geben und schließt dann: »Mr. Grimm wird Ihnen mit nächsten selbst schreiben. Er und die Madame d'Epinay lassen sich Ihnen Beyden empfehlen und von Herzen condoliren – hoffen aber, Sie werden sich in einer Sache, die nicht zu ändern ist, zu fassen wissen. Trösten Sie sich und beten Sie brav, dieß ist das einzige Mittel, was uns übrig bleibt. – Ich wollte Sie wohl gebeten haben, eine heil. Messe in Maria Plain und zu Loretto lesen zu lassen – ich habe es hier auch gethan.«

Später giebt er dann noch seinem Vater auf dessen Wunsch eine ausführliche Krankheitsgeschichte, die mitzutheilen unnöthig erscheint.

Quelle:
Jahn, Otto: W.A. Mozart. Band 2, Leipzig: Breitkopf und Härtel, 1856, S. 1-2,535-545.
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