14. Brahms' Notenschreiber.

[549] Unter den Gästen, die Johannes Brahms im letzten Jahrzehnt seines Lebens zu Generalproben neuer Kammermusikwerke einlud, war manchmal auch ein stiller, scheuer Mann zu sehen, der sich bescheiden im Hintergrunde hielt und immer in große Verlegenheit geriet, wenn der Meister das Wort an ihn richtete. Nur wenige kannten den schüchternen Mann dem Namen nach, und nur die nächsten Freunde von Brahms wußten, daß es der Notenschreiber des Meisters war, der bei diesem in besonderer Gunst stand. Dreierlei schätzte Brahms an ihm: seine Landsmannschaft, seine musikalischen Kenntnisse und seine Zuverlässigkeit.

[549] William Kupfer ist, zehn Jahre jünger als Brahms, 1843 zu Hamburg geboren, und seine Eltern wohnten in der Nachbarschaft der Familie Brahms am Dammtorwall. Ein richtiges Musikerkind, – sein Vater spielte in dem durch Brahms weit über Hamburg hinaus bekannt gewordenen Böieschen Streichquartett die zweite Geige und war als Kontrabassist und Tubabläser im Orchester des Hamburger Stadttheaters näherer Kollege des alten Brahms – lernte William Kupfer in seiner Jugend gleich mehrere Instrumente und brachte es unter der Anleitung seines Onkels Wilhelm Kupfer, des 1885 gestorbenen Violoncellisten im Wiener Hofopernorchester, bald zu einem tüchtigen Cellisten, der schon in seinem vierzehnten Lebensjahre aushilfsweise im Orchester mitwirkte. Seine Musikerlaufbahn begann William Kupfer mit sechzehn Jahren als Violoncellist im Hamburger Aktientheater zu St. Pauli, wurde zwei Jahre darauf im Stadttheater als Trommelschläger angestellt, strich dann wieder als Mitglied des Symphonie-Orchesters »Fr. Laadi« in Dresden die Kniegeige und benutzte seinen dortigen Aufenthalt, um sich bei dem sächsischen Kammervirtuosen F.A. Kummer auf seinem Hauptinstrument künstlerisch auszubilden, Theorie der Musik zu studieren und Klavier spielen zu lernen. Nach einem kurzen Engagement bei den Philharmonischen Konzerten in Hamburg wendete sich Kupfer nach Österreich.

Seine Wanderjahre führten ihn von Ischl nach Salzburg, über Brünn nach Wien, wo er unter Josef Strauß musizierte. Sieben Jahre – von 1865 bis 1872 – hielt sich Kupfer in Tiflis auf und bekleidete die Stelle eines Solovioloncellisten an der dortigen Italienischen Oper. Dann kehrte er nach Wien zurück, um es nicht wieder zu verlassen, und war hier nacheinander am Carl-, Ring- und Deutschen Volks-Theater als erster Cellist tätig. Beiträge zum Unterricht im Violoncellspielen sind von Kupfer, der sich später durch Lektionen sein Brot erwarb, im Druck erschienen. Der höchste Stolz des Musikveteranen sind die Beziehungen zu seinem großen Landsmanne Johannes Brahms, der ihn die Abhängigkeit seiner Lage niemals fühlen ließ, sondern, nach seiner warmherzigen, menschenfreundlichen Art als Kollegen behandelte, ihn aufrichtete, ermunterte und unterstützte, wo er nur konnte. Viele Zuschriften des Meisters geben davon Zeugnis. Auf einer [550] Reihe von Korrespondenzkarten kehrt immer die sorgliche Mahnung wieder, daß »Hamburger Zeitungen zum Abholen bereit liegen«. Brahms teilte die Liebhaberei, heimische Journale zu lesen, mit seinem Notenschreiber und hob sie für ihn auf. Am 28. November 1886 schreibt er ihm: »Wenn Sie Zeit haben, kommen Sie doch morgen Mittwoch 12 Uhr in den Bösendorfer-Saal. Wir probieren dann die Sonate, und Sie hören sie behaglicher als im Konzert. Ihr J. Br.« Gemeint ist die im Sommer 1886 in Thun komponierte zweite Cellosonate op. 99, von der Brahms ihrem Kopisten die Violoncellstimme zum Privatstudium überlassen hatte, ehe noch das Werk veröffentlicht wurde.

Als Kupfer seinen Auftraggeber zu Gevatter bat, nahm Brahms diese Ehre mit folgenden Zeilen an:


»Lieber Herr Kupfer!


Herzlichen Glückwunsch zum neuen Weltbürger, und mögen Sie recht viel Freude an ihm erleben. Mir aber soll es eine Freude sein, wenn er den schönen Namen Johannes von mir bekommt.

Ich bin Lutheraner und am 7. Mai 33 in Hamburg geboren – weiter aber habe ich keine Eignung zur Gevatterschaft, und ich wundere mich, daß Ihre Frau mit dem ›einschichtigen‹ Herrn zufrieden ist!

Aus der Bestellung der Schumannschen Stimmen ist leider nichts geworden, und ich werde einstweilen allein fertig, es lohnt sich das Hin- und Herschicken nicht.

So denn nochmals beste Wünsche und herzliche Grüße Ihnen und Ihrer lieben Frau.


Ihr ergebener

J. Brahms.«

Quelle:
Kalbeck, Max: Johannes Brahms. Band 4, 2. Auflage, Berlin: Deutsche Brahms-Gesellschaft, 1915, S. 549-551.
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