[Biographie]

Wenn wir bei Betrachtung der Entwickelung verweilen, die sich auf dem Gebiet der Tonkunst im Verlauf der ersten Jahrzehnte unseres Jahrhunderts vollzogen, so begegnen wir auf der Grenzscheide jener zwei großen Epochen, da wo der in seiner höchsten Blüte ersterbende Classicismus und die aufblühende Romantik sich berühren, dem Namen Carl Maria von Weber's. Er steht in Wahrheit inmitten derselben; an jeder von beiden hat er Theil, eine jede darf ihn ihr eigen nennen, und doch gehört er keiner ausschließlich an. Nach beiden Seiten hin hat er die Gaben seines Genius vielfältig ausgestreut, und gleichwohl erscheint es als eine müßige Frage, nach welcher Richtung hin er sein Bestes und Unsterblichstes geleistet. Die Wurzeln seiner künstlerischen Individualität haften in der classischen Zeit, die entwickeltsten Blüten und Früchte derselben aber treiben hinüber in das junge Reich der Romantik, da es in jenen Tagen gar frühlingslustig zu knospen und zu keimen begann. So bietet uns Weber das eigenthümliche Bild einer Doppelerscheinung dar, wie sie gegensätzlicher kaum gedacht werden kann. Und darum, während er sich einerseits darauf beschränkte, alte gegebene Formen mehr äußerlich als innerlich auszubauen, andrerseits aber[3] völlig neugestaltend wirkte, sehen wir sich an ihm die Consequenz vollziehen, daß jene ersten seiner Werke mit geringen Ausnahmen als veraltet betrachtet werden, diesen anderen dagegen noch heute, nach sechzig Jahren eine Jugendfrische innewohnt, deren Zauber nichts von seinen ersten Reizen verloren hat. Gewiß, es hieße sich des Undanks schuldig machen gegen die Manen des großen Meisters, wollten wir den Werth dessen verkennen, was er uns auf jeglichem Gebiete geschenkt; aber wir können uns der Erkenntniß nicht verschließen, daß die eigentliche Bedeutung dessen, was Weber außerhalb der Bühne geleistet, inmitten der Grenzen der Zeit liegt, in der es geschaffen ward. Uns moderne Menschen zieht ein mehr historisches als individuelles Interesse zu jenen Schöpfungen hin. Wir sehen in ihnen ein liebes uns überkommenes Erbe, daran wir uns erfreuen, auch nachdem der Duft der Jugend und der Schmelz der Farben von ihm gewichen; aber wir täuschen uns nicht über das altmodisch Gewordene einer Brillanz, die in ihrer Jugend verführerisch wirkte, und über die Vergänglichkeit dessen, dem die Tiefe des Gedankens nicht den Stempel des Ewigen aufdrückte.

Weber hat etwas von einer Mozart-Natur. Die Frische und Naivetät der Empfindung, die Leichtigkeit und Grazie des Ausdrucks, der Reichthum an Phantasie und Melodienfülle, die Objectivität der Darstellung gemahnen lebendig an Jenen, auch wenn sich in die Erste mehr Sentimentalität, in die Zweite mehr Breite der Phrase mischt. Die Technik erscheint durch ihn entwickelter, die Harmonie um neue Klangwirkungen und vornehmlich um jene eigenthümliche Figurirung und Ornamentik bereichert, die den Schöpfungen Weber's eine gewisse Familienähnlichkeit verleiht und die später so vielfältige Nachahmung gefunden.[4]

Ueber den Gedankeninhalt von Mozart's Schaffen aber kommt Weber niemals hinaus, ja er bleibt meist wesentlich hinter demselben zurück; und Beethoven's Tiefe des Gedanken- und Gefühlsschwungs vollends dürfen wir bei ihm nimmer suchen, dessen Muse sich mehr den Sonnen- als den Nachtseiten des inneren Lebens zuneigte. Die classische Objectivität, die einen hervorragenden Zug seiner Verwandtschaft mit Mozart bezeichnet, beschränkt sich freilich lediglich auf die kleineren Schöpfungen des Meisters; sobald sein Genius die Schwingen ausbreitet, und größere dramatische Formen in das Bereich seines Schaffens zieht, vertieft er sich in sich selber und bringt eine eigenartige, von ihm allein beherrschte Welt zur Erscheinung. Hier wird er mit einem Male individuell und giebt sein Innerlichstes und Eigenstes. Hier, wo er seine eigenen Wege geht, tritt er uns mit dem ganzen Zauber der Liebenswürdigkeit und Grazie seiner Natur, mit all der Ursprünglichkeit und Tiefe seines Gemüths entgegen; hier erst erschließt er uns das Geheimniß seines innersten Seins und Wesens, und da, wo er ganz er selber ist, gestaltet er aus sich heraus Neues, Großes, Selbständiges. Was Carl Maria von Weber auf dem Gebiete des musikalischen Dramas vollbracht, bezeichnet nicht nur den Höhepunkt seiner künstlerischen Wirksamkeit, sondern in Wahrheit den Inbegriff der Bedeutung, die sich für Vergangenheit und Zukunft an seinen Namen knüpft. Bewußtvoll reformatorisch griff er in die Entwickelung der deutschen Oper ein. In erhöhterem Grade selbst als seinen großen Vorgängern Mozart und Beethoven ging ihm die Erkenntniß dessen auf, daß das Wesentliche, der Lebensnerv des musikalischen Dramas eben das Dramatische sei, und darum sehen wir in seiner »Euryanthe« zum ersten Mal auch eine Oper einheitlicheren dramatischen Stils über die Bühne[5] gehen. Er empfand noch klarer und schärfer, als selbst die unsterblichen Schöpfer des »Don Juan« und »Fidelio«, daß die Träger des Dramas Charaktere sein, daß zwischen Wort und Ton ein innerlichster Zusammenhang stattfinden, daß sie in einander aufgehen, sich einander vermählen müssen zur Erzeugung eines rechten, den modernen Anschauungen entsprechenden dramatischen Kunstgebildes. Künstlerische Einheit gilt ihm als Cardinalgebot. »Ein in sich abgeschlossenes Kunstwerk, wo alle Theile und Beiträge der verwandten und benutzten Künste ineinanderschmelzend verschwinden und auf gewisse Weise untergehend eine neue Welt bilden,« – dahin formulirt er seine Forderung an die Oper, wie sie der Deutsche will. So wählte er als Grundlage für seine Schöpfungen Texte, die, der volksthümlichen Sage und mittelalterlichen Romantik entnommen, gegenüber den mehr als kindlichen Textbüchern älterer Opern einen augenfälligen Fortschritt bekunden. So verlieh er, allenthalben nach Wahrheit des Ausdrucks, nach lebensvoller Charakteristik trachtend, dem Ganzen jenen inneren geistigen Zusammenhang, jenen harmonisch beseelten Organismus, der eine neue große Epoche des musikalischen Dramas einleitet. Was wir heute auf diesem Gebiet, außer den Werken der classischen Zeit, Herrlichstes besitzen, es ward uns wesentlich durch Weber vermittelt; denn selbst der kühne Reformatorengeist Richard Wagner's basirte auf seinen Principien und erstrebte im Grunde nur die allerletzten und äußersten Consequenzen dessen, was er, der Schöpfer der romantischen Oper, angebahnt und begonnen.

Und Eins noch fällt bei Schätzung Webers in's Gewicht: daß er der Erste gewesen, dem unser Volk das Geschenk einer wahrhaft nationalen Oper dankt. Die Bühnenwerke seiner großen Vorgänger Gluck, Mozart und Beethoven sind mehr[6] classisches Gemeingut, als specifisch nationale Schöpfungen, weniger das Ergebniß eines besonderen, als vielmehr eines, allgemeinen classischen Kunstideals, an dessen Ausbildung unsern Nachbarn im Süden und Westen nicht minderer Antheil als uns selber gebührt. Die Gunst Frankreichs hat Gluck's, der Einfluß Italiens Mozart's Meisterschaft gereist und in ihre Bahnen geleitet. Aber selbst des urdeutschen Beethoven herrlicher »Fidelio« spricht mehr in allgemein menschlicher als specifisch deutscher Sprache zu uns. Die Region des Ideals ist seine Heimat; sein Wesen so hoch und tief geartet, daß, ob wir uns auch seit langem gewöhnt haben, ihn als die höchste Zier unsrer heimischen Gesangsbühne zu betrachten, der schlichte Sinn des Volks gleichwohl in ehrerbietiger Ferne ihm gegenüber steht und seine ganze Größe mehr ahnt, als zu begreifen im Stande ist. Anders bei Weber. Sein Kunstwerk, mag er auch ab und zu in's bunte Traumreich der Phantasie entfliehen, haftet am Boden der Wirklichkeit. Er greift hinein in's volle Menschenleben; der schlichten Alltagswelt entnimmt er seine Gestalten, nicht Idealgebilde, sondern leibhaftige Menschen wie sie rings um ihn athmen, Kinder echt deutschen Gemüths und Geblüts, die in verwandten Lauten zum Volke reden. Das ist's, was ihm die Liebe des Volkes dauernd zum Preis gewann. Von allen Operncomponisten steht neben dem Schöpfer der »Zauberflöte« und dem des »Lohengrin« keiner seinem Herzen näher als der Sänger des »Freischütz«, jener vorzugsweise geliebten, ewig jungen Oper, die deutscher Art und Abkunft unverkennbaren Stempel trägt, und nirgend anders als in unserem Vaterland ihren Ursprung haben konnte.

Nichtsdestoweniger sind auch Carl Maria von Weber, gleich vielen seiner Kunstgenossen, jene trüben Erfahrungen nicht erspart geblieben, von denen das Neuerstehende im Reiche[7] der Kunst zumeist begleitet zu sein pflegt. Auch ihm, der das Leben mit unvergänglichen Blüten geschmückt, hat es mehr mit Dornen denn mit Früchten gelohnt. Er gehörte nicht zu jenen bevorzugten Naturen, denen ein freundliches Geschick die Pfade ebnet zu gefahrloser Wanderung; durch Berg und Thal, über Klippen und rauhes Gestein hat ihn der Weg seines Lebens geführt, und als er endlich nach mühevoller Pilgerschaft den Gipfel der Höhe erklommen, als sich seinen Augen der lächelnde Blick einer verheißungsreichen Zukunft aufthat, da schlossen sie sich müde zum ewigen Schlummer, und die rastlos strebende Künstlerseele stand in Wahrheit am Ende alles Kampfes.

Im Norden Deutschlands, in der holstein'schen Stadt Eutin, hat Carl Maria's, oder wie sein vollständiger Name lautet, Carl Maria Friedrich Ernest von Weber's Wiege gestanden. Dort ward er am 18. Dezember (nach irrthümlicher Angabe des Kirchenbuchs am 18. November) 1786 als erstes Kind einer zweiten Ehe geboren, die sein schon alternder Vater, Franz Anton von Weber – der Onkel von Mozart's Gattin Constanze – während eines Aufenthaltes in Wien mit der schönen achtzehnjährigen Genoveva von Brenner aus Oberdorf in Bayern geschlossen. In seiner Familie, die bereits gegen Ende des sechzehnten Jahrhunderts dem begüterten Adel Niederösterreichs angehörte, war seit Generationen eine an Manie grenzende Leidenschaft für Musik und Bühnenwesen erblich, die endlich für Carl Maria's Vater zum Verhängniß werden und, im Verein mit der Haltlosigkeit seines Charakters, die völlige Zerrüttung seiner äußeren Verhältnisse herbeiführen sollte. Ihres reichen Besitzstandes waren schon seine Vorfahren allmälig verlustig gegangen; er aber hatte jener künstlerischen Liebhaberei nicht nur seine eigene Stellung am kurkölnischen Hofe, sondern[8] zugleich auch das ansehnliche Vermögen seiner ersten Gattin zum Opfer gebracht. So war aus dem vornehmen Hofcavalier ein wandernder Schauspieldirector und als auch jenem die weiteren Subsistenzmittel fehlten, endlich ein dunkler Stadtmusikus in dem abgelegenen Eutin geworden, der es nicht verschmähte, die bescheidenen Feste der Bürger und Landleute mit seiner Kunst zu verherrlichen. Wenige Monate nach der Geburt Carl Maria's legte er indessen auch diese Stellung wiederum nieder, und sein unruhvoller Geist trieb ihn und die Seinen zu neuem Wanderleben in die Welt hinaus. Eine neue Schauspielergesellschaft wurde mit Hülfe seiner Kinder aus erster Ehe (er besaß deren acht), denen er die nöthige Vorbildung dazu verliehen, organisirt; dann begannen abermals die alten Kreuz- und Querfahrten durch das deutsche Vaterland. So war die Bühne denn der erste Spielplatz Carl Maria's, die Welt, die seine früheste Jugend umschloß.

Verschiedene Städte Mittel- und Süddeutschlands nahmen sie abwechselnd zu längerem Aufenthalt auf; eine besonders lange Rast aber ward, der kriegerischen Zeitverhältnisse wegen, in Salzburg gehalten. Dort begrub Franz Anton sein junges Weib, das ihm, nach längeren körperlichen und seelischen Leiden, im März 1798 durch den Tod entrissen wurde. Als elfjähriger Knabe stand Carl Maria am Grabe der Mutter, die er über Alles geliebt und deren sanfte Obhut ihn sorglich vor den gefährlichen Einflüssen eines abenteuervollen Lebens behütet hatte. Zart und kränklich von Natur, von frühester Kindheit an mit dem Gebrechen der Lahmheit behaftet, hatte er sich mit Innigkeit dem weichen, melancholischen Wesen der Mutter angeschlossen. Nach ihrem frühen Tode übernahm es eine Schwester des Vaters, mit diesem gemeinsam die Erziehung des Knaben fortzusetzen. Der Letztere ließ sich vor allem die[9] künstlerische Bildung desselben angelegen sein. Von jeher war es der heißeste Wunsch seines Herzens gewesen, sich und der Welt in einem seiner Kinder ein musikalisches Genie zu erziehen. Er hatte, von dieser Hoffnung geleitet, mit jedem Kind, das ihm der Himmel geschenkt, allerhand musikalischpädagogische Experimente angestellt und zwei seiner Söhne sogar der Führung Josef Haydn's in Wien übergeben, ohne daß jedoch das Glück seine Bestrebungen mit hervorragenden Resultaten belohnt hätte. Zu seiner Beunruhigung zeigte auch Carl Maria während des von ihm und seinem ältesten Sohne gemeinschaftlich geleiteten Musikunterrichts so wenig Befähigung, daß der Letztere einmal voll Unmuth ausrief: »Carl, du kannst vielleicht Alles werden, aber ein Musiker wirst du nimmermehr!«

Erst als dem Knaben in Person des Kammermusikus Heuschkel (1796), wie später in Michael Haydn in Salzburg (1797) geeignetere Lehrkräfte zugeführt wurden, regte sich mehr und mehr in ihm auch die Begabung zur Tonkunst. Bekennt doch Weber selbst in dem von ihm verfaßten kurzen Lebensabriß1 in Bezug auf Ersteren, daß er bei ihm »den wahren, besten Grund legte zur kräftigen, deutlichen und charaktervollen Spielart und zu gleicher Ausbildung beider Hände auf dem Clavier.« Der regellosen Erziehungsweise Franz Anton von Webers ward damit wenigstens in musikalischer Beziehung ein geordnetes System entgegengesetzt, dessen heilsame Wirkung auf den jungen Geist sich bald zu offenbaren begann. In dem Maße, als er sich in der Welt der Töne zurechtfinden und die in ihr waltenden Formen und Gesetze erkennen lernte,[10] vertiefte sich auch sein Interesse an der Musik und befestigte den Entschluß des Vaters, ihn ganz seiner Lieblingskunst zu weihen. Zu diesem Zweck verschaffte der Letztere dem Sohn eine Stelle als Capellknabe an dem fürsterzbischöflichen Institut zu Salzburg, und hier war es, wo, wie schon erwähnt, Michael Haydn, der Bruder des großen Haydn in Wien, durch die Talente des Knaben aufmerksam gemacht, denselben unter seine besondere Obhut nahm. Der unter Heuschkel's umsichtiger Leitung begonnene systematische Unterricht im Clavierspiel und Generalbaß ward, neben gleichzeitigen Uebungen im Gesang mit noch erhöhter Strenge fortgesetzt und ließ binnen kurzem so ersichtliche Fortschritte gewahren, daß der stolze und beglückte Vater bereits im Sommer 1798 eine Composition Carl Maria's: sechs Fughetten, denen der besondere Beifall Michael Haydn's zu Theil geworden war, dem Druck übergeben konnte. Die Kritik nahm freundlich Notiz von dieser Erstlingsgabe des zwölfjährigen Kunstjüngers, und Friedrich Rochlitz in Leipzig, dessen Richterspruch in Sachen der Tonkunst allgemein in Ehren stand, beurtheilte dieselben in der von ihm herausgegebenen »Allgemeinen musikalischen Zeitung« voll aufmunternder Anerkennung.

Die von Michael Haydn vertretene künstlerische Richtung war jedoch nicht diejenige, die den Sympathien Franz Anton von Weber's und seinen Absichten für die Zukunft seines Sohnes auf die Dauer zu entsprechen vermochte. Sein Verlangen war darauf gerichtet, die Thätigkeit Carl Maria's baldmöglichst der Bühne zuzuführen; ein Weg, dem die strenge Methode Haydn's nicht entgegenleitete. Er beschloß daher zur schnelleren Erreichung dieses Zieles, die Fortsetzung der Studien seines Sohnes an einem geeigneteren Orte, und seine Wahl fiel, von Haydn's Rathschlägen bereitwillig unterstützt, auf[11] München, dahin er denn auch noch vor Ende des Jahres 1798 sammt den Seinen übersiedelte. Das Theater daselbst stand seit der kunstliebenden Regierung Carl Theodor's von der Pfalz in hoher Blüte. Die Leitung der Oper lag in den tüchtigen Händen der Capellmeister Winter und Danzi; überdem aber waren es vor allen zwei Männer, welche die Anziehungskraft Münchens für Franz Anton von Weber wesentlich erhöhten: Josef Grätz, ein vielgesuchter Bildner junger musikalischer Talente, und der berühmte Sänger Wallishauser (oder Vallesi), der nach einem langen, an Triumphen reichen Bühnenleben dort als Gesangmeister der Ruhe pflegte. Der Letztere nahm, nach vorausgegangener Prüfung, Carl Maria alsbald unter seine Schüler auf; dagegen fand sich der Erstere trotz der Empfehlung Michael Haydn's nicht bereit, den gewünschten Unterricht zu ertheilen. Einer seiner Schüler, Kalcher, übernahm diesen endlich an seiner Statt und mit dem günstigsten Erfolge. Weber selbst betont in der erwähnten Selbstbiographie, daß er »dem klaren, stufenweise fortschreitenden, sorgfältigen Unterricht Kalcher's größtentheils die Herrschaft und Gewandtheit im Gebrauche der Kunstmittel, vorzüglich in Bezug auf den reinen vierstimmigen Satz danke.« Bereitwilliger als die früheren Lehrmeister ging er auf die individuelle Neigung und Begabung des Knaben ein, dessen Productionsvermögen sich unter diesem Einfluß auf wunderbare Weise steigerte. Eine Partitur nach der andern entstand im Laufe eines Jahres, darunter eine Oper »Die Macht der Liebe und des Weins,« eine Messe, Trio's, Sonaten und vieles Andere, was sämmtlich nachmals ein Raub der Flammen wurde.2 Daneben schwang[12] sich Carl Maria bei gleichzeitiger Fortsetzung des Gesangunterrichts, auch bald zu einem bewunderten Clavierspieler und Sänger empor.

So wenig auch jene frühzeitig angestrengte Geistesthätigkeit der zarten Organisation seines Sohnes zuträglich schien: den in der Schwäche der Eitelkeit befangenen Vater erfüllte sie trotz alledem mit Stolz und Freude. Eifrig bemühte er sich fort und fort, den jugendlichen, von ihm überschätzten Werken Carl Maria's einen Verleger zu gewinnen, ohne daß der Erfolg sich seinen Bestrebungen günstig erwies. Da kam er, durch die Bekanntschaft mit Sennefelder, dem Erfinder des Steindrucks, auf den Gedanken, daß sein Sohn ja sein eigener Drucker und Verleger werden könne. Das Geheimniß Sennefelder's war ihm bald abgelauscht; Carl Maria begann selbst in der Werkstätte desselben eifrig zu arbeiten und, durch frühere Uebungen im Zeichnen und Kupferstechen unterstützt, sich die Technik der neuen Kunst so vollständig zu eigen zu machen, daß er binnen kurzem sechs eigenhändig lithographirte Variationen, sein opus 2, erscheinen lassen konnte. »Der rege jugendliche Geist, der alles Neue und Aufsehen Erregende mit Hast sich anzueignen suchte«, erweckte, so erzählt Weber selbst, in ihm die Idee, vermittelst einer von ihm und seinem Vater construirten verbesserten Presse, Sennefelder »den Rang abzulaufen. Der Wille, diese Sache in's Große zu betreiben«, bewog sie, im Frühling des Jahres 1800 ihren Wohnsitz nach Freiberg zu verlegen, »wo alles Material am bequemsten zur Hand schien.[13] Die Weitläufigkeit und das Mechanische, Geisttödtende des Geschäfts ließen Carl Maria aber bald die Sache aufgeben und mit verdoppelter Lust die Composition fortsetzen.«

Ein Opernplan, zu dem er durch den Director der Freiberger Schauspielgesellschaft, Steinsberg, die Anregung empfing, trug vermuthlich das Seine bei, das Lithographiren bei ihm in den Hintergrund zu drängen. Genug, am 24. November 1800 gelangte die binnen wenig Wochen geschaffene Oper unter dem Titel »Das stumme Waldmädchen« in Freiberg und bald darauf auch in Chemnitz zur Aufführung. Viel Wirkung erzielte sie nicht, und Weber selbst bezeichnete sie späterhin als »ein höchst unreifes und nur hier und da nicht ganz an Erfindung leeres Product.« Als jedoch die Kritik sich dahin aussprach, daß man sie »nur als Blüten betrachten dürfe, die erst in der Folge schöne und reifere Früchte versprechen«, entspann sich zwischen dem dreizehnjährigen Componisten, oder richtiger dessen Vater, und dem Recensenten ein Federstreit, der den Entschluß Weber's, Freiberg wiederum zu verlassen, nach sich zog. Nach erneutem längeren Wanderzuge trafen Vater und Sohn im November 1801 in Salzburg ein, um, da es der Ordnung langwieriger Geschäfte von der Zeit der Theaterleitung des Ersteren her galt, bis zum Juli des nächstfolgenden Jahres daselbst zu verweilen. Carl Maria benutzte diesen Aufenthalt zur energischen Wiederaufnahme seiner Studien unter Michael Haydn's Leitung, als deren wesentlichste Ergebnisse sich die graziösen »Six petites pièces à quatre mains«, op. 3 und die kleine komische Oper: »Peter Schmoll und seine Nachbarn« darstellen. Sonderlichen Erfolg hatte freilich auch dieser neue dramatische Versuch nicht, als ihn der junge Componist während eines mehrmonatlichen Verweilens in Augsburg im März 1803 zur Aufführung brachte.[14]

Das Ziel der Sehnsucht Carl Maria's war seit langem schon Wien, die Geburts- und Blütestätte musikalischer Classicität, gewesen. Immer unwiderstehlicher aber fühlte er den Drang, mit eigener Hand aus dem Urquell des künstlerisch Schönen zu schöpfen, der ihm dort in unversieglicher Fülle zu strömen schien, in dem Grade, als er sich der Mängel des eignen Wissens und Könnens, vornehmlich auf dem Gebiete der Theorie seiner Kunst, bewußt ward. Der Beginn des Sommers 1803 fand ihn endlich am Ziel seiner Wünsche. Nicht aber Josef Haydn nahm ihn, wie er gehofft, unter seine Führung. Statt des greisen Vaters der modernen Instrumentalmusik ward vielmehr der zu dieser Zeit in Wien lebende Abt Vogler sein Lehrer, der als Theoretiker und Lehrmeister, als Componist und Orgelspieler eines weit verbreiteten Ruhms genoß. Dem geübten Blicke des Abtes konnten selbstverständlich die vielfachen Mängel und Lücken nicht verborgen bleiben, die ein häufig unterbrochener, wenig geregelter Bildungsgang in Carl Maria's technischem Wissen herbeigeführt hatte, und klar erfaßte er die ihm gewordene, nicht eben dankbare Aufgabe, den strebsamen Geist des Knaben aus der lichten Sphäre eigenen Schaffens in das bescheidene Dunkel mühsamen Lernens zurückzuführen. Weber selbst hat es ausgesprochen, welch schwere Entsagung es ihm gekostet, dem Rathe Vogler's folgend, auf das eigene Produciren zu verzichten und seine Zeit allein dem eingehenden Studium der Werke unserer großen Meister zu widmen. Doch scheint es, als habe der Lehrer sich von den Fortschritten des ihm begeistert anhängenden Schülers befriedigt gefühlt; wenigstens erklärte er nach kaum einem Jahre ihn bereits zur Annahme einer selbständigen Stellung reif. Auf Vogler's Empfehlung wurde der siebzehnjährige Jüngling als Musikdirector an das Breslauer Theater berufen, und im[15] September 1804 siedelte er mit seinem Vater nach dem neuen Bestimmungsort über.

Nur ungern und allein der warmen Befürwortung Vogler's Gehör gebend, schied Carl Maria von Wien und den ihm lieb gewordenen Beziehungen. Hier, inmitten jener heitern Stadt der Genußseligkeit, deren nimmer wechselnde Physiognomie Glanz und Freude, deren Atmosphäre ewiger Sonnenschein zu sein scheint, war ihm, dem Jüngling, zum ersten Male das berauschende Glück fröhlichen Lebensgenusses aufgegangen, und seine glühende Phantasie, sein nur zu leicht bewegliches Empfindungsleben hatten sich den Verlockungen desselben mehr als heilsam hingegeben. Nun in die nüchternere Welt der preußischen Provinzialstadt eintretend, mochte ihn der Wechsel um so schmerzlicher, der Himmel über ihm um so sonnenloser dünken, auch wenn die frühzeitig erworbene Ehre seiner Stellung und die durch dieselbe gebotene Selbständigkeit einen neuen Reiz auf ihn ausübten. Mit allem Feuereifer seiner Natur, der noch durch das Bemühen gesteigert ward, die gegen seine Jugendlichkeit sich erhebenden Vorurtheile durch seine Leistungen zu besiegen, begann er seine Wirksamkeit, und der erste Verlauf derselben bereits bekundete das ihm angeborene organisatorische Genie, dem bei seiner späteren umfassenderen Bühnenthätigkeit so großartige Resultate entspringen sollten. Schon das erste Jahr seiner Leitung des Breslauer Theaters brachte dem Repertoire desselben eine Bereicherung durch eine Anzahl der besten classischen Opern, während er gleichzeitig für Verbesserung und Completirung des Orchester- und Bühnenpersonals wirkte und eine vollständig neue Orchesterordnung einführte. Leider nur ward die Freiheit seiner Bewegungen durch das intrigante Treiben einer Oppositionspartei gehemmt, die sich gegen ihn gebildet hatte, und deren eifriges Bestreben[16] dahin ging, ihn vom Ruder zu bringen. Der seit seinem Eintritt sich nicht eben günstiger gestaltende Stand des Opernbudgets kam hinzu, um ihn auch der Theaterverwaltung unliebsam zu machen. Immer unverhohlener bezeichnete man ihn als einen »Verschwender und Jäger nach Idealzuständen« und drang auf Reduction der Bühnen-und Orchesterkräfte. Eine ihn befallende längere Krankheit benutzte man, um jene Forderung eigenmächtig in's Werk zu setzen. Hierüber gekränkt aber nahm der junge Musikdirector im Mai 1806 seine Entlassung.

Bei der Fürsorge für seinen alten kränkelnden Vater auf den bescheidenen Ertrag einiger Musikstunden angewiesen, während der letzte Rest des väterlichen Vermögens verbraucht war und allerhand Verbindlichkeiten, die Folgen seines flotten Lebens in Wien und Breslau, ihn obendrein bedrückten, durfte Carl Maria es als ein Glück betrachten, als ihn einige Monate später eine Einladung des musikliebenden Herzogs Eugen von Würtemberg an dessen Hoflager zu Carlsruhe in Oberschlesien rief. Unter dem Titel eines »herzoglichen Musik-Intendanten« widmete er dem regen Kunstleben des Hofes seine Kräfte, sein schon in Breslau geübtes Directionstalent zugleich weiterbildend. Den während der Breslauer Epoche entstandenen Werken – einem Opernfragment »Rübezahl« und der Overtura chinesa, die er später in »Turandot«-Ouvertüre umtaufte, – folgten nun verschiedene für die Carlsruher Verhältnisse berechnete Compositionen, darunter zwei Symphonien, die, der Geschmacksrichtung des Herzogs entsprechend, eine ausgeprägt Haydn'sche Färbung tragen, ein Hornconcert und Variationen über das graziöse italienische Volkslied: »Vien qua, Dorina bella

Leider machte der ausbrechende Krieg dem glücklichen Stillleben[17] bald ein Ende. Der Herzog wurde zur Armee abberufen, seine Capelle in Folge dessen aufgelöst. Wie die meisten Mitglieder derselben durch Verwendung ihres Fürsten im Civildienst ein Unterkommen fanden, vermittelte dessen Fürsprache auch Carl Maria die Stelle eines Geheimsecretärs bei seinem Bruder, dem Herzog Ludwig von Würtemberg. Zu ihm nach Stuttgart zogen nun im Juli 1807 beide Weber.

Nicht eine der Begabung des jungen Musikers entsprechende Stellung freilich war es, in die er daselbst eintrat. Seine künstlerische Befähigung ward nur nebenher, durch Ertheilung des Musikunterrichts der herzoglichen Kinder, in Anspruch genommen. Sein eigentliches Amt bestand in der undankbaren Mission, die äußerst derangirten Kassenverhältnisse seines neuen Herrn zu ordnen und zu leiten, und die sich aus denselben fort und fort ergebenden Differenzen mit möglichst geschickter Hand auszugleichen. Häufige Scenen unerquicklichster Art mit den Gläubigern, wie mit dem ob jenes Treibens erzürnten königlichen Bruder des Herzogs, erwuchsen ihm daraus und machten die Stellung des mit derlei Geschäften wenig vertrauten Künstlers zu einer äußerst gefährlichen. Das ihm täglich vor Augen stehende Beispiel einer von oben her beliebten lockern Lebenssitte erweckte den in ihm schlummernden Jugendübermuth von neuem, und bei natürlicher Disposition nur zu leicht angesteckt, überließ er sich unbedenklicher denn je den Thorheiten ungebundensten Lebensgenusses.

Seine geselligen Talente und der liebenswürdige Frohsinn seines Wesens machten ihn ohnehin zu einem willkommenen Mitglied fröhlicher Kreise. Die verschiedenartigsten Elemente schlossen sich ihm an, und in der heterogensten Umgebung fühlte er sich heimisch, dank der ihm eigenthümlichen Gabe der Natur die ihn allenthalben, wo er auch stand, an seinem Platz erscheinen[18] ließ. Der inneren Bildungsarbeit an sich selber war der sich ihm erschließende Verkehr mit Gelehrten und bildenden Künstlern, die, Dannecker an der Spitze, in Stuttgart lebten, überaus günstig. Dabei gelangte, da sein Amt ihm genügende Freiheit ließ, auch seine eigene Kunst zu ihrem Rechte. Ein flüchtiger Besuch Ludwig Spohr's in Stuttgart zumal drängte sie wieder in den Vordergrund seiner Seele. Lautete auch Spohr's Urtheil über die ihm von Weber vorgelegten Fragmente seines »Rübezahl« nicht eben ermuthigend, – denn er bezeichnete sie als »dilettantenmäßig« – so wirkte Franz Danzi, der ehemalige Münchener, jetzt Stuttgarter Capellmeister, um so belebender und fördernder auf Weber ein. Zu ihm, dem mit nur geringer eigener Schöpferkraft, aber mit einer bedeutenden Beurtheilungs- und Leitungsgabe ausgestatteten Manne, trat er alsbald in ein nahes Verhältniß, und seinem Einfluß im Wesentlichen ist es zuzuschreiben, wenn in den Compositionen Weber's sich fortan das gesangliche Element vorzugsweise geltend macht, auf das er seiner ganzen Natur nach hingewiesen schien. Hatte die Kritik seinen bisherigen Werken den Mangel an Gesang zum Vorwurf gemacht, so bekunden seine ferneren Schöpfungen jenen Ueberfluß an melodischer Gestaltungskraft, der Weber später den allerdings scherzhaft gemeinten Namen eines »Melodieverschwenders« zuzog. Die Compositionen jener Zeit, wie die »Six pièces à quatre mains«, op. 10, Momento capriccioso, op. 12, die Es-dur-Polonaise, op. 21, tragen im Gegensatz zu den vorhergehenden schon ein entschieden individuelleres Gepräge. Auch wenn sie nirgend die Schule verleugnen, aus der sie hervorgegangen, so macht sich in ihnen doch die wachsende Selbständigkeit ihres Autors bemerkbar, und vornehmlich die Es-dur-Polonaise verräth jene gewisse Grandezza, jenen heitern[19] Glanz des Colorits, die der Musik Weber's so eigenartig sind.

Um dieselbe Zeit beschäftigte ihn, nachdem er in einem seiner lustigen Freunde, dem Schriftsteller Hiemer, einen bereitwilligen Textverfasser gefunden, ein großer Opernplan. Das alte Libretto vom »Waldmädchen« ward demselben zu Grunde gelegt; auch einen Theil der Musik nahm Weber aus seinem früheren Werke mit herüber in das neue, sodaß die nach Verlauf zweier Jahre vollendete Oper »Sylvana« freilich keinerlei Anspruch auf harmonischen Organismus erheben durfte. Mit den Vorbereitungen zur Aufführung derselben hatte man, dank Danzi's Vermittelung, zu Anfang des Jahres 1810 bereits auf der Stuttgarter Bühne begonnen, als ein Ereigniß eintrat, das dem heitern Leben unsers jungen Musikers plötzlich eine ernste und verhängnißvolle Wendung gab.

Die finanziellen Verhältnisse des Herzogs hatten sich mittlerweile, trotz der redlichen Bemühungen seines Secretärs, von Tag zu Tag mißlicher gestaltet. Zu immer verzweifelteren Mitteln nahm man endlich, um gänzlichem Ruine vorzubeugen, seine Zuflucht; ja der fürstliche Herr verschmähte es sogar nicht, seine Einkünfte durch die Dankbarkeit begüterter Familien vermehren zu lassen, deren Söhne, durch nur scheinbare Einverleibung in seinen Hofdienst, der in diesen Zeiten der Napoleonischen Kriege so sehr gefürchteten Militärpflicht entbunden wurden. Keines anderen Vergehens, als des des Mitwissens um jenen unrechtmäßigen Handel schuldig, ward Weber, als Opfer einer gemeinen Intrigue, des Unterschleifs angeklagt und auf Befehl des ihm übelwollenden Königs am 9. Februar 1810, inmitten des Theaterorchesters in Verhaft genommen. Die Untersuchung ward von dem König selbst geleitet. Ungeachtet der seinem Herrn gegenüber beobachteten Discretion[20] Weber's, aber ward die eigentliche Sachlage dem scharfen Blick des Regenten bald genug klar, und da ihm an Vermeidung allen Aufsehens gelegen war, behandelte man die ganze Angelegenheit fortan als eine private, indem man sie mit den unglücklichen derangirten Verhältnissen Weber's in Verbindung brachte und ihn in Schuldhaft legte. Zwei Wochen später, am 26. Februar, ward Carl Maria sammt seinem Vater, in Folge allerhöchsten Befehls über die Grenze gebracht, mit dem Bedeuten, als Landesverwiesene Zeit ihres Lebens den Boden Würtembergs nicht wieder zu betreten.

Eine ernste Wandlung erfuhr Carl Maria von Weber's Wesen in jenen Tagen, und aus dem allen Jugendthorheiten zugänglichen Jüngling ward ein gefestigter Mannescharakter. Streng gegen sich selbst, redlich in seinen Bestrebungen, ernsthaft in seinem Bereuen, suchte der Mann durch sein ferneres Leben vergessen zu machen, was der Jüngling gefehlt, und durch allmälige gewissenhafte Tilgung der leichtfertig auf sich genommenen Schulden insbesondere sich von der lästigen Erinnerung zu befreien. Durste er doch schon zu Ende dieses ereignißschweren Jahres (1810) in sein Tagebuch schreiben: »Ich kann mit Beruhigung und Wahrheit sagen, daß ich diese zehn Monate über besser geworden bin; meine traurigen Erfahrungen haben mich gewitzigt, ich bin ordentlich in meinen Geschäften, anhaltend fleißig geworden.«

Nach Mannheim und Heidelberg lauteten die Empfehlungsbriefe, die Danzi seinem jungen Freund beim Abschied mit auf den Weg gab, und nach ersterem Orte lenkte dieser zunächst seine Schritte. Das musikalische Leben dieser Stadt war, seit es unter Carl Theodor's Scepter erblüht, noch immer ein reges, und so hieß man auch den warm empfohlenen Tonkünstler freundlich willkommen, dessen Elasticität ihn bald[21] in den neuen Kreisen heimisch werden ließ. Mit dem bekannten Musikhistoriker Gottfried Weber namentlich knüpfte er ein dauerndes Bündniß, und dem erheiternden Einfluß freundschaftlicher Beziehungen gelang es denn allmälig, den niedergedrückten Seelenzustand Weber's zu heilen und den natürlichen Frohmuth seines Wesens wieder hervorzulocken. Seine beste Trösterin war die Kunst, der er sich nun ganz und völlig wieder hingab. Mit zwei Concerten, in denen die in Stuttgart geschriebene Cantate »Der erste Ton« neben einem neuen Quartett und anderen seiner Compositionen zur Aufführung gelangte, führte er, von warmem Beifall bewillkommnet, sich wieder in die Oeffentlichkeit ein.

Dieser Zeit auch entstammt ein großer Theil der Lieder, deren uns Weber eine reiche Anzahl (im Ganzen 128) geschenkt hat und in deren Vortrag er selbst uns als unübertroffener Meister geschildert wird. Sie sind der schlichte Ausdruck einer in ihrer naiven Reinheit wahrhaft volksthümlichen Lyrik. Die letzten sechs Jahrzehnte haben gerade auf dem Gebiete des Liedes bedeutsamste Errungenschaften aufzuweisen, und eine der wesentlichsten Entwickelungen im Reiche der Musik hat sich in dieser Richtung vollzogen. Unser heutiger Liederreichthum entspricht und genügt so völlig unseren modernen Bedürfnissen und Empfindungen, daß nur der mit historischem Sinn begabte Sänger noch zu den Liedern zurückgreift, die über Franz Schubert hinausliegen, und denen nicht der Name Mozart's und Beethoven's das Weihegeschenk ewiger Jugend und ewiger Schönheit verlieh. So kommt es, daß Weber's Gesänge heutzutage wenig gehört, kaum noch gekannt sind, daß sie einer viel ferneren Zeit anzugehören scheinen, als dies in Wahrheit der Fall ist. Vergegenwärtigen wir uns aber, daß, als Weber die ersten seiner Lieder schrieb, diejenigen[22] Beethoven's theils noch nicht geschrieben, theils noch nicht in's Publikum gedrungen waren, daß sie also lediglich auf Mozart's Liedern und den einfachen Strophengesängen der älteren Meister basirten, so erscheint das, was sie uns geben, immerhin als ein nicht zu verkennender Fortschritt über die letzteren hinaus. Allerdings ist auch hier die strophische Form vorherrschend beibehalten, die allgemeine Grundstimmung meist in einer einfachen Melodie zusammengefaßt, welche, je nach Umfang des Textes, sich unverändert wiederholt; desgleichen die Begleitung auf die unentbehrlichste harmonische Unterlage beschränkt: nichtsdestoweniger enthüllt sich uns in ihnen manch' anmuthige Blüte seiner musikalischer Genremalerei. Es sei nur beispielsweise der »Serenade«, des »Bettlerliedes« op. 25, »Heimlicher Liebe Pein« op. 64, des »Schneeglöckchens« op. 71 gedacht. Das Wiegenlied »Schlaf Herzenssöhnchen« – sammt dem Jungfernkranz im »Freischütz« wohl das populärste der Weber'schen Lieder – lebt, obwohl mehr denn sieben Jahrzehnte alt, noch immer im Munde des Volkes. Und in der That üben viele derselben auch heute noch auf uns einen naiven Reiz, selbst wenn die schwärmerische Zeit der sentimentalen Guitarrebegleitung dem kräftigen Streben nach charakteristischer Wahrheit Platz gemacht hat und das Interesse an den simplen Scherzen humoristischer Gesänge zumal vor dem Ernste unserer geschäftig bewegten Tage keine Stätte mehr findet.

Weber's äußerer Existenz bot Mannheim, so wohl er sich daselbst behagte, keinen sicheren Boden. Er wählte daher Darmstadt zum Aufenthalt, das sich nicht allein als Mittelpunkt für Kunstreisen geeigneter erwies, sondern ihm auch gleichzeitig den Vortheil gewährte, unter der Leitung seines jetzt dort ansässigen alten Lehrers und Freundes Abt Vogler, mit dessen Schülern Meyerbeer und[23] Gänsbacher3 um die Wette, erneute Studien zu betreiben. Mit besonderem Stolze nannte Vogler Weber und Meyerbeer seine Jünger. »O«, rief er einst aus, »wenn ich hätte von der Welt gehen sollen, ehe ich diese Beiden ausgebildet hatte, welches Weh würde ich empfunden haben! Es ruht etwas in mir, was ich nicht herausrufen konnte; diese Beiden werden es thun! Was wäre Perugino, was Fra Bartolomeo ohne Rafael!«

Bald schöpferisch thätig – sechs Sonaten für Pianoforte und Violine op. 10 und das Clavierconcert op. 11 beweisen es u. A. –, bald von Kunstreisen da- und dorthin geführt, brachte Weber am 16. September 1810 seine Oper »Sylvana« in Frankfurt a.M. unter eigener Leitung zu beifällig aufgenommener Aufführung, wobei er in der Darstellerin der Titelrolle seine nachmalige Gattin kennen lernte. Während eines Aufenthaltes in Mannheim schrieb er sodann die komische Operette: »Abu Hassan«, deren Stoff, seinem eigenen Leben entnommen, wieder von seinem Freunde Hiemer bearbeitet war. Beide Bühnenwerke erfuhren übrigens nach langer Ruhe in unseren Tagen eine erfolgreiche Wiederaufnahme. Das Jahr 1872 sah sowohl die »Sylvana« im Théâtre lyrique zu Paris, als den »Abu Hassan« in der Wiener Hofoper, das darauffolgende Jahr den Letzteren auch in München wieder aufleben, worauf Leipzig ihn 1877 brachte und ihn weiterhin auch Wiesbaden und Frankfurt a.M. auf die Bretter riefen.

In jene selbe Periode fällt Weber's erste schriftstellerische Bethätigung. Mit den Mannheimer Freunden gemeinschaftlich[24] gründete er einen musikalischen Geheimbund, der unter dem Namen »Harmonischer Verein« sich eine rationelle und objective Kritik zur Aufgabe stellte, trotz der redlichen Bestrebungen seiner Mitglieder aber, und Weber's insbesondere, nach nur kurzer Wirksamkeit wieder zu Grabe ging. Somit ward jenes persönliche Interesse, jene thätige Theilnahme an der Kritik bei Weber ausgebildet, die ihn durch sein ganzes Leben begleiteten. Er war der erste unserer großen Musiker, deren kritisches Wirken mit ihrem künstlerischen Hand in Hand ging. Auch hier hat er neue Bahnen eröffnet, und die nach ihm kamen, durften nur auf dem von ihm erschlossenen Wege weiter schreiten.

Vielfältig zerstreut in den verschiedensten Zeitschriften sind die literarischen Arbeiten Weber's er schienen. Erst nach seinem frühen Tode stellte Theodor Hell und später in noch vervollständigter Weise die Hand des Sohnes, Max Maria von Weber, die vereinzelten Blätter zu einem Ganzen zusammen. Dem Letztgenannten, der als Geheimer Regierungsrath im Ministerium der öffentlichen Angelegenheiten am 18. April 1881, 59 Jahre alt in Berlin starb, dankt die Musikliteratur auch das werthvolle Geschenk einer umfangreichen Biographie seines Vaters4, die uns einen tiefen und klaren Einblick in Weber's Leben und Streben eröffnet und an welcher auch die vorliegende Skizze ihre wesentlichste Basis fand. Hohe Verdienste um Vervollständigung der Weber-Literatur hat sich ferner der bereits genannte ausgezeichnete Weber-Forscher Professor F.W. Jähns in Berlin durch sein Quellenwerk »C.M. von Weber in seinen Werken«5, durch eine kurze »Lebensskizze«6, durch zahlreiche Ausgaben und Arrangements[25] Weber'scher Compositionen, wie endlich durch die äußerst reichhaltige und werthvolle Sammlung »Weberiana« erworben, die 1881 in den Besitz der Berliner königl. Bibliothek überging.

Kunstreisen füllen, wie das Jahr 1810, so auch die beiden nächstfolgenden Jahre in Weber's Leben aus. Zuvörderst finden wir ihn in München, woselbst er schon bei seinem ersten Concert durch die Composition eines Concertinos für Clarinette den Beifall des Königs in so hohem Grade gewann, daß dieser ihn sofort zu sich beschied und, angeregt durch den Vortrag des Clarinettenvirtuosen Bärmann, zwei Concerte für dieses Instrument bei ihm bestellte. Der Ruf des jungen Künstlers war damit in München begründet. Die erfolgreiche Aufführung seiner Operette »Abu Hassan« auf dem Hoftheater befestigte ihn noch. Auch in compositorischer Beziehung wurde ihm München fruchtbar. Hier schrieb er eine Reihe von Clarinettstücken, und seine alte »Rübezahl«-Ouvertüre schuf er in die »Zum Beherrscher der Geister« um.

Hatte ihn der Herbst 1811 in der Schweiz gefunden, so sah ihn der beginnende Winter in Gesellschaft seines Freundes Bärmann in Norddeutschland. In Prag, Leipzig, Gotha, Weimar, Dresden und Berlin erspielten sie sich reichen Beifall. Leipzig, so wenig sympathisch es Weber berührte, wurde durch die erneute Bekanntschaft mit Rochlitz, dem Dichter seines »ersten Tons«, wie durch die mit Mahlmann und andern Schöngeistern angeknüpften Verbindungen für Weber's literarische Neigungen derart anregend, daß der ihn schon seit längerem beschäftigende Plan eines Romans »Tonkünstlers Erdenwallen« wieder in den Vordergrund trat. Ein treues Bild des Lebens, Wirkens und Fühlens des Künstlers sollte derselbe, als Spiegelbild seines eigenen Lebens, darstellen, und in der That enthält das noch erhaltene Fragment eine solche[26] Fülle des Anregenden und Originellen, daß wir die Nichtvollendung eines Werkes, das mit E.T.A. Hoffmann'scher Weise manches Verwandte zeigt, wohl beklagen dürfen. Von den darin niedergelegten schönen Aussprüchen über seine Kunst sei hier nur beispielsweise eines besonders charakteristischen gedacht: »Was die Liebe den Menschen, ist die Musik den Künsten wie den Menschen, denn sie ist wahrlich die Liebe selbst.«

Tieferen Einfluß auf Weber's innere Entwickelung gewann Berlin. Aus der mehr äußerlichen Welt Süddeutschlands zum ersten Mal in die durchgeistigtere Atmosphäre der norddeutschen Hauptstadt versetzt, eröffnete ihm der Verkehr mit einem Kreis universell gebildeter Geister eine Quelle hohen inneren Genusses. Mehr und mehr bildete sich unter deren Einwirkung jene modernere, reflectirende Richtung seines Geistes aus, die, im Gegensatz zu der Naivetät seines früheren Schaffens, ein bewußteres Ziel verfolgt und mit der Schärfe der Selbstkritik souveräne Macht über den Effect gewinnt. Mit klarem Blick erkannte er die Schwächen seiner eigenen Schreibweise. »Ich habe bemerkt, daß ich sehr über meine Manieren wachen muß«, bekennt er sich selbst in seinem Tagebuch. Auch die Berechtigung des häufig gehörten Vorwurfs der Kritik, daß seine Schöpfungen die strenge Architectur des Aufbaus, den plastischen Guß der Form vermissen ließen, daß sie, in einem mehr malerischen, coloristischen Element ihren Reiz suchend, dem Zeitgeschmack und dem Effect huldigten, blieb ihm nicht verborgen. Und dennoch konnte er nicht anders. Weber war eine echt romantische Natur, die den Reichthum ihres Empfindens ungehindert strömen ließ, auch dort, wo er sich uns als ein Zuviel darstellt, wo die Anwendung des rechten Maßes uns wirksamer erschiene. Ein üppiges Schmuckwerk überwuchert in seinen Instrumentalcompositionen (auch in seinen Clavierwerken)[27] vielfältig die strenge Gliederung der Form, und die Bedeutsamkeit der Gedanken zeigt sich durch Phrasen überdeckt, die bei aller Fülle an melodischer Erfindung doch eine gewisse Verwandtschaft unter einander bekunden. Weber's Muse ist mehr in der Empfindungs- als in der Gedankenwelt heimisch; sie trägt eine ganz bestimmte Physiognomie, über die wir uns nirgend zu täuschen vermögen. Mag seine Melodik auch vielfach an Mozart – sein Ideal – erinnern, so verräth doch eine jede seiner Wendungen und namentlich das ihm specifisch eigenthümliche Figurenwerk, das ihn zum Schöpfer einer neuen Claviertechnik werden ließ, das Kind einer jüngeren, nachclassischen Zeit. Wohl keiner unserer großen Musiker, Felix Mendelssohn ausgenommen, der selbst gar mancherlei von ihm erlernte, hat den Nachkommenden so vielfach zur Ausbeute dienen müssen, als Carl Maria von Weber. Eine ganze Schar kleinerer Geister hat sich von seinen Früchten genährt und sich die Stirn mit den Blumen geschmückt, die seinem Genius entblühten. Weber schrieb seine Gesang- und Instrumentalcompositionen nur in dem Geist und für den Geist seiner Zeit, darum haben sie mit ihm gelebt und sind zum großen Theil auch mit ihm begraben worden. In seinen Opern aber umfaßte er mit weitschauendem Blick die bestehende und die werdende, die gegenwärtige und die zunächst kommende Welt, und darum überdauerten dieselben die Grenzen ihrer Zeit und werden auch noch fernere Zeiten überdauern. Als Operncomponist darf Weber den Vergleich mit keinem seiner Kunstgenossen scheuen, auch mit den Classikern nicht; auf den übrigen Gebieten seiner Kunst aber hat es ihm Mancher zuvor gethan, und die Späterkommenden haben das von ihm Gebotene vielfach in den Schatten gestellt.

Mit dem Berliner Aufenthalt, dessen wichtigstes Ereigniß[28] die erfolgreiche Aufführung der »Sylvana« auf der königlichen Hofbühne war (auch der Tod seines Vaters fiel in diese Zeit), schließt Weber's Jugendperiode, und sein Schaffen nahm, wie erwähnt, jenen bewußteren Aufschwung, der in der Vollendung seiner Dramen gipfelt.

Berlin, trotz seiner kühlen norddeutschen Atmosphäre, zeigte Carl Maria von Anbeginn eine freundlichere Physiognomie, trug der Bedeutung seiner Erscheinung ein wärmeres Verständniß entgegen, als die meisten Städte, deren Gast er bisher gewesen war. Verhielten sich auch seine Kunstgenossen Anselm Weber und Righini und, durch diese beeinflußt, auch Zelter und der Theaterintendant Iffland theils kalt, theils feindselig ihm gegenüber, so ruhte er um so sicherer in der Freundschaft und Theilnahme anderer bedeutender Männer, von denen hier nur Fürst Radziwill, der Componist des »Faust«, Tieck, Brentano und vor allen der berühmte Zoolog Lichtenstein als die bekannteren Namen genannt sein mögen. Sehr herzlich aufgenommen auch fand er sich im Kreise der Familie Meyerbeer's, die ihn während seines halbjährigen Aufenthaltes in Berlin gastlich beherbergte.

Mit einem mehrmonatlichen Verweilen am Hofe des Herzogs Leopold August von Gotha – einem besonderen Freund der genialen Improvisationskunst Weber's – und einem Besuch Weimars, zu dem ihn der Wunsch der kunstliebenden Großfürstin Maria Paulowna veranlaßte und der ihm die persönliche Bekanntschaft mit Goethe und Wieland vermittelte, beschloß Weber das Jahr 1812, das neue Jahr durch ein glanzvolles Debut im Leipziger Gewandhaus (am 1. Jan. 1813) inaugurirend. Zum ersten Mal wurde neben der auf einen Text von Rochlitz componirten Hymne »In seiner Ordnung schafft der Herr«, auch sein neues brillantes Clavierconcert in [29] Es-dur vollständig gehört und feierte einen großen Erfolg. Des Künstlers Wanderjahre aber hatten damit ihr Ende erreicht. Als er wenige Tage später, eine Reise nach Italien, der Schweiz und Südfrankreich planend, Prag berührte, sah er sich dort ungeahnt Fesseln angelegt. Kaum daselbst angelangt, traf ihn der ehrenvolle Antrag, die Direction der neu zu organisirenden deutschen Oper zu übernehmen. So sehr ihn der lichte Süden lockte, er blieb in dem düstern Prag und schied damit für immer von der Erfüllung seines Lieblingswunsches.

Das ihm angeborene Directionstalent, das sich auch auf die gesammten decorativen Anordnungen verbreitete, bezeugte sich von neuem, als am 9. September »Cortez«, die erste Oper unter seiner Führung, über die Bühne ging und selbst die schwer zu begeisternden Prager zu dem Bekenntniß nöthigte: »die neuorganisirte Oper gereiche dem Operndirector von Weber zur Ehre.« In raschem Aufeinander folgte nun eine Anzahl neuer Opern, und als das Jahr 1813 zur Rüste ging, durfte Weber mit dem Bewußtsein darauf zurückblicken, binnen zehn Monaten ein neues Operninstitut von Grund auf geschaffen und binnen vier und einem halben Monat mit durchaus neuen Kräften acht große Opern einstudirt und zu befriedigender Darstellung gebracht zu haben.

Schwer entbehrte er indeß die künstlerische Anregung und Berührung mit verwandten Elementen, deren er bedurfte. »Ich bin ganz isolirt und auf mich selbst beschränkt, eine unendliche Verstimmung geht durch mein ganzes Wesen,« schreibt er seinen Freunden; und an anderer Stelle: »Der Trieb zum Arbeiten, zu schaffenden Leistungen ist so hohen Ursprungs wie die Liebe und läßt sich eben so wenig erzwingen.«

Was Wunder, wenn er sich während seines Urlaubs in[30] Berlin geistig zu erfrischen trachtete! In eine mächtig bewegte Welt trat er im Sommer 1814 daselbst ein. Freiheitsjubel erfüllte die Luft, und Siegesstolz schwellte die Herzen des Volkes, das den großen Kampf gegen fremde Tyrannei glorreich bestanden. Freiheit und Vaterland waren die Losungsworte, das Centrum aller Interessen. Auch die Kunst feierte jetzt nur sie, die großen Ideen, die mit einem Male Leben und Wahrheit geworden waren, und wie der Pinsel des Malers nur Heldengestalten zu schaffen begehrte, so waren es Freiheitslieder vor allen, die der Brust des Sängers entströmten. Eine reiche Anzahl patriotischer Gesänge hat jene Zeit in Deutschland geboren. Auch Carl Maria von Weber trat bald in die Reihen derer, die die Begeisterung des Volkes entflammten durch die Macht ihrer Töne. Auch seine Seele entzündete sich an dem großen Völkerjubel, und neuer Lebens trieb, frischer Gestaltungsdrang begann sich in ihm zu regen, dem seine Muse seit geraumer Zeit jegliche Gabe verweigert hatte. So hatte er kaum Berlin verlassen, als in der Einsamkeit des Reisewagens tausend Gedanken in ihm keimten und zum Ausdruck drängten. Während eines kurzen Aufenthaltes beim Herzog von Gotha, in dessen Jagdschloß Tonna entstanden bereits zwei Männerquartette: »Lützow's wilde Jagd« und das »Schwertlied«, während der Reise ein drittes; nach Prag zurückgekehrt aber beendete Weber jenen ganzen Theodor Körner'schen Liedercyklus »Leier und Schwert«, der ihn zuerst zum populären Componisten, zum Volkssänger im wahren Sinne des Wortes gemacht hat. Die Wirkung jener Gesänge war eine ungeheure, alle anderen politischen Lieder verdunkelnde. Bald klangen sie in tausend und aber tausend Herzen wieder, allenthalben zündend und Begeisterung erweckend für das Vaterland, dem sie erklangen, und den Meister, der sie gesungen hatte, und[31] dessen jungen Ruf sie zu der höheren Stufe des Ruhms emporführten.

Noch eine größere patriotische Composition: die während einer Reise, im Sommer 1815 in München begonnene Cantate »Kampf und Sieg«, welche die Schlacht bei Waterloo feiert, war die Frucht dieser Zeit. Am 22. December 1815 in Prag aufgeführt, ward sie mit Enthusiasmus aufgenommen. Für das Vorwärtsschreiten ihres Autors auf dem Wege zum Drama ist das in ihr herrschende dramatische und charakteristische Princip ein bedeutsames Zeugniß. Schon hier durchbricht er mit kühner Hand die alten Formen und verschmäht, »um dem raschen Fortschreiten keinen Einhalt zu thun, allen Schmuck einzelner ausgeführter Gesangstücke, als Arien etc.«, von dem Gedanken geleitet, daß das Einzelwerk dem Ganzen untergeordnet werden müsse. Er selbst legte in einem kurzen Aufsatze dem Publikum die Ideen dar, die dem gegenwärtigen Werke zu Grunde lagen, wie er kurz vorher auch mit der Veröffentlichung jener historisch-kritischen Notizen begonnen hatte, die er der jedesmaligen Aufführung einer neuen Oper vorausschickte, um den Hörern das Verständniß derselben zu erleichtern; eine Gewohnheit, die er während der längsten Zeit seiner Bühnenwirksamkeit auch in Dresden beibehielt.

Inzwischen verleideten amtliche Mißhelligkeiten und die Theilnahmlosigkeit des Publikums gegenüber allen höheren Kunstinteressen ihm mehr und mehr die Stellung in Prag, dessen Kunstleben, wie er selbst sagte, ein »immerwährendes Sterben« sei. Als obendrein die ständische Verwaltung Gelegenheit nahm, ihre Unzufriedenheit mit den Leistungen der Oper seit dem Jahre 1812 auszusprechen, kündigte er ohne weiteres zu Ostern 1816 seinen Dienst. Am 29. September beschloß er seine drei und einhalbjährige Amtsthätigkeit an[32] einem Orte, der seinen Werth so wenig zu erkennen vermocht hatte.

In Berlin hoffte er durch den ihm freundschaftlich zugeneigten Intendanten Graf Brühl eine ihm zusagendere Stellung zu finden. Dahin begab er sich im October 1816, um im Hause seines Freundes Lichtenstein zunächst der Composition zu leben. Hier schrieb er seine Claviersonate in As-dur op. 39, die blühendste seiner Sonaten, die seine Individualität am freiesten und eigenartigsten entwickelt und manch deutliche Spur der Meisterhand zeigt, die uns den »Freischütz« schenkte. Desgleichen die leidenschaftlicheD-moll-Sonate op. 49, mehrere Gesangstücke und das Duo concertant op. 48. Es war eine blüten- und früchtereiche Zeit, in der noch ein anderes Leben sich an das seine schloß. Am 19. November ward Caroline Brandt, die anmuthige und gefeierte Soubrette der Prager Bühne, die eben in Berlin gastirte und der er seit langem schon sein Herz geschenkt hatte, Carl Maria von Weber's glückliche Braut.

Und noch eine andere entscheidende Wendung erfuhr sein Schicksal in den letzten Tagen des Jahres. Indeß seine Berliner Hoffnungen sich zerschlugen, nahte ihm von andrer Seite ein erwünschter Ruf, und der Weihnachtstag 1816 brachte ihm die Kunde seiner erfolgten Anstellung als königlich sächsischer Capellmeister der neuzugründenden deutschen Oper in Dresden.

Schon die ersten Wochen des neuen Jahres sahen Weber inmitten seiner neuen Heimat und der Thätigkeit, der er hinfort bis an's Ende seines Lebens einen großen Theil seiner besten Kräfte widmete. Und kein geringes Maß von Kräften fürwahr beanspruchte die Mission, zu der er berufen worden! Nicht ein günstiger Boden war es, der sich der Neuschöpfung der deutschen Oper darbot. Nicht aus Neigung und Bedürfniß[33] des Hofes, sondern vielmehr auf den Wunsch des Volkes, das seinem nationalen Bewußtsein Genüge zu thun strebte, in's Leben gerufen, mangelte dem Unternehmen von Anbeginn die Gunst des Ersteren, war die Antipathie des Adels und der vornehmen Gesellschaft von vornherein seine bedenkliche Mitgabe. Noch beherrschte, in erhöhterem Grade als andern Orts, die italienische Oper, das Schoskind des Hofes, die Bühne, mit allen Zaubermitteln ausgestattet, die den leicht bewegten Sinn blenden und berücken. Ihr, der übermächtigen Rivalin und Gegnerin, gegenüber, die seit Mitte des 17. Jahrhunderts ausschließlich das Feld behauptete, mußte sich das junge Institut erst mühsam Schritt für Schritt das Terrain erobern, auf dem es wirken und gedeihen und am Ende auch siegen sollte. Da bedurfte es in der That eines so energischen organisatorischen Talentes, wie desjenigen Weber's, um das Werk mit sicherer Hand aufzunehmen und zum Ziele zu führen. Kämpfe und Mühen ohne Zahl hat es ihm freilich gekostet, Intriguen und Angriffe aller Art hat er über sich ergehen lassen müssen, um seines redlichen selbstlosen Strebens willen, und als Lohn für die schwer vollbrachte Arbeit ist ihm wenig mehr zu Theil geworden, als die Freude über das Gedeihen derselben. Es hat sich das seltsame Schauspiel vollzogen, daß Weber aller Orten ein hochgefeierter, berühmter Mann war, nur nicht an dem einen Orte, dem er Leben und Kräfte weihte, den er verherrlichte durch seine Gegenwart, dem sein Name noch heute zum Schmuck und zur Ehre gereicht. Wohl zeigt der Dresdner jetzt mit Stolz auf das von Rietschel (1860) geschaffene Standbild des Meisters, das die geliebte Gestalt des populärsten deutschen Componisten auch fernen Zeiten zur Erscheinung bringt – dem Lebenden jedoch verstand man nicht gerecht zu werden. Mehr als einmal stand er voll Unmuths[34] im Begriff, der Stellung zu entsagen, die man ihm so bitterlich erschwerte; aber er hielt, treu seinem Wahlspruch: »Beharrlichkeit führt zum Ziel«, standhaft aus und wies selbst günstigere Anerbietungen später zurück in dem Bewußtsein, Großes und Segensreiches für seine Kunst an eben jener Stätte zu wirken.

Eine Neuschöpfung von Grund aus mußte die deutsche Oper sein, denn Dresden hatte eine solche bisher nicht besessen. Die dem Dirigenten zur Verfügung gestellten Kräfte waren die Capelle und das Personal des deutschen Schau- und Singspiels, während nöthigenfalls auch die Verwendung von Mitgliedern der italienischen Oper gestattet, bei Beschaffung neuer Kräfte aber »möglichste Oekonomie« befohlen war. So sah sich Weber genöthigt, mit einer Reihe junger, ungeschulter Kräfte in die Schranken zu treten gegen das sorgsam gepflegte, glänzende Institut der Italiener, das von Anbeginn ungleicher Vorrechte und Vergünstigungen genoß. Vergeblich betonte er seinem ihm wohlgesinnten Chef, dem Intendanten Graf Vitzthum, gegenüber die Forderung: »deutsche und italienische Kunst soll gleiche Vorrechte haben«; es gelang auch den unermüdeten Bestrebungen Jenes nicht, die gerechten Wünsche des Meisters zu befriedigen, denen sich eine förmliche Partei gegenüberstellte. Der Capellmeister der italienischen Oper, Morlacchi, der Concertmeister Polledro und der sogenannte »Kirchencompositeur« Schubert bildeten, gemeinsam mit dem einflußreichen Cabinetsminister von Einsiedel, eine Gegnerschaft, die sich Weber in mancherlei Beziehung als eine bin an's Ende unüberwindliche erwiesen hat.

Während die Aufnahme des neuen Capellmeisters nach seinen eignen Worten überall, nur nicht bei Hofe, eine »brillante« war, und er sich in der Gesellschaft binnen kurzem heimisch[35] fühlte, war und blieb sein Dienstverhältniß ein »sehr unangenehmes«. »Die Herren Italiener lassen natürlich Himmel und Hölle los, um mich zu vertreiben,« schreibt er einem Freund. »Nicht nur, daß noch gar nichts vom Notenschreiber bis zur ersten Sängerin da ist, sondern jeder Schritt wird mit tausend Schwierigkeiten vercabalirt.« Und dennoch trat der junge, viel bekämpfte Künstler bereits nach dem kurzen Zeitraume von siebzehn Tagen mit einer Leistung vor das Publikum, die demselben gewaltig imponirte. Mehul's »Joseph in Egypten« war die erste Oper, die unter Weber's Leitung am 30. Januar über die Bühne ging und, allgemeine Bewunderung erregend, selbst den strengen Lippen König Friedrich August I. das Geständniß abzwang, daß seine Erwartungen weit übertroffen seien. So erschien schon in dieser ersten Darstellung jenes aus einem künstlerischen Ensemble hervorgehende »Gefühl der Einheit« erreicht, das Weber als das Ziel seiner Bestrebungen und als die Aufgabe jeglicher dramatischen Leistung bezeichnet.

Eine Anzahl neuer Opern folgte in kurzen Zwischenräumen dem ersten glücklichen Debüt und erhob mit ihren gelungenen Resultaten Carl Maria von Weber zu einem immer gefürchteteren Gegner der Oppositionspartei. Voll rastlosen Eifers den Interessen des ihm anvertrauten Institutes hingegeben, forderte er mit unerbittlichem Ernste aber auch von seinen Untergebenen ein Gleiches. Nichtsdestoweniger verwandelte die in Folge des ungewohnt strengen Regiments sich anfänglich kundgebende Mißstimmung der Capellmitglieder und Sänger sich bald in um so wärmere Anerkennung und Liebe für den Dirigenten und die Sache, der er diente.

Im Gegensatz zu dem früheren italienischen Brauche, die Aufführung der Orchesterwerke vom Clavier oder ersten Geigenpulte[36] aus zu leiten, führte Weber alsbald die Direction mit dem Tactstock ein. Auch die Heranbildung eines tüchtigen Sängerchores bahnte er an und ließ sich gleichzeitig den Gewinn hervorragender Gesangskräfte angelegen sein. Sein Blick überwachte das Spiel der Sänger, ihre Costüme, die Decorationen, mit einem Wort die Gesammtheit der Inscenirung. Uebrigens beschränkten sich seine amtlichen Obliegenheiten keineswegs allein auf seine Wirksamkeit bei der deutschen Oper. Sie erstreckten sich zugleich auf die Leitung der Musikaufführungen in der katholischen Hofkirche und bei der königlichen Tafel, wie er Morlacchi bei dessen häufigen und ausgedehnten Urlaubsreisen auch selbst in der italienischen Oper vertreten mußte; während zu alledem bei Gelegenheit höfischer Festlichkeiten auch seine schöpferische Thätigkeit in Anspruch genommen ward. So schrieb er 1817 für die Namensfeier der Prinzessin Maria Anna Carolina eine Cantate und für ihre Vermählung den musikalischen Theil eines Festspiels außer der großen italienischen Cantate: »L'accoglienza«. Auch die für Berlin componirte Musik zu Müllner's Trauerspiel »Yngurd« war eine Frucht dieses Jahres. Dessen bedeutsamstes Ergebniß aber war der Beginn des Werkes, das Weber mit seinem innersten Herzen geschrieben und das, wenn auch erst mehrere Jahre später vollendet, so doch bereits zu jener Zeit in seiner Seele Leben und Gestalt zu gewinnen begann: der »Freischütz«.

Schon im Jahre 1810 hatte die demselben zu Grunde liegende, in Apel's Gespensterbuch vorgefundene Fabel Weber's Interesse in so hohem Grade erregt, daß er mit seinem Freunde Alexander von Dusch in Heidelberg gemeinsam sie zu einem Operntext zu bearbeiten anfing, ohne daß die Arbeit zu einem Ende gediehen wäre. Nun durch eine Begegnung mit dem Dichter Friedrich Kind in den literarischen Kreisen Dresdens[37] von neuem an den alten Plan erinnert, wußte er diesen so sehr für seine Idee zu begeistern, daß derselbe bereits nach der kurzen Frist von kaum neun Tagen – am 1. März 1817 – ihm das vollendete Libretto übergab. Mit welcher Lust Weber an dessen musikalische Verlebendigung heranging, erzählen uns seine Briefe an seine Braut. Schon beim Empfang des ersten Theils der Dichtung (im Februar) »fühlte er die Melodien sich daraus entgegenquellen.« Dennoch erfolgte die Aufzeichnung der ersten Noten des »Freischütz«: das Duett zu Beginn des zweiten Actes, erst am 2. Juli und blieb zugleich, außer der großen Scene der Agathe und einer skizzirten Scene des ersten Actes, die einzige sichtbare Spur seiner Beschäftigung mit dem neuen Werk in diesem Jahre. Im Stillen jedoch gedieh dasselbe fort und fort und empfing, wenn auch ungesehen, in der Seele des Künstlers allmälig Leben und Odem. Weber componirte nicht am Schreibtisch, dort vollendete er nur. Er trug seine Werke unablässig in Gedanken mit sich herum, er ließ sie Antheil haben an seinem innern und äußern Leben, und erst wenn er sie fertig »gedacht« und gelebt, wenn sie vor dem Auge seines Geistes völlig verkörpert standen, verlieh er ihnen sichtbare Gestalt. So war das Aufschreiben seiner Compositionen für ihn im eigentlichen Sinn nur ein Abschreiben, ein Copiren des Bildes, das er in seiner Seele trug, und somit auch erklärt sich uns die auffällige Thatsache, daß Weber's Skizzenbücher selbst bei seinen größten complicirtesten Werken nur die Angabe der Melodie, mit geringen Ausnahmen nur die Andeutung der Harmonie enthalten; während die Ausführung des Ganzen seine Kraft doch in so geringem Maße in Anspruch nahm, daß er die Instrumentation der gesammten »Euryanthe« z.B. in der kurzen Frist von 43 Tagen zu vollenden vermochte. Seine Seele war fort und[38] fort von Musik erfüllt, in ihr sang und klang es ohne Unterlaß. Darf uns der lebensfrische Pulsschlag, das lichte, frühlingsduftige Colorit des »Freischütz« aber Wunder nehmen, wenn wir uns vergegenwärtigen, daß er inmitten der glücklichsten Lebensperiode Weber's, inmitten seines Herzensfrühlings geboren ward? Hingegeben an einen Beruf, dessen Schwierigkeiten seine Thatkraft nur um so mächtiger spornten, gehoben von dem freudigen Vertrauen auf seine eigene jugendstarke Kraft und den Segen von oben, erfüllt von dem Glück einer reinen, wahrhaftigen Liebe, leuchtete in jenen Tagen ein freundlicher Stern über Weber's Haupte und segnete sein Leben und sein Schaffen. Mit dem Beginn des »Freischütz« trat sein Künstlerthum in die Phase reifster Meisterschaft, erhielt sein geistiges Leben eine neue, ihm eigenste Form. Alles, was seine Seele bewegte und erfüllte, fand hier seinen Ausfluß und Widerhall; all' sein Leben und Lieben verkörperte sich und ward zugleich mit den Tönen des »Freischütz« unsterblich. So ist es das Bild Carolinen's, seiner Braut, das Weber in der holden Gestalt seines Aennchens verlebendigte und das er mit diesem zugleich der Nachwelt lieb gemacht hat.

Am 4. November 1817 wurde Caroline, um die er seit Jahren in treuer Liebe geworben, endlich die Seine. Zu St. Heinrich in Prag wurden sie einander verbunden, nachdem sich Weber, der der katholischen Kirche mit frommem Sinn Ergebene, durch Beichte und Abendmahl auf den Empfang des Glückes vorbereitet hatte, das ihm der Himmel beschieden. »Gott segne den Bund«, schrieb er an jenem Abend in sein Tagebuch, »der meine geliebte Lina zu meiner treuen Lebensgefährtin macht, und gebe mir Kraft und Fähigkeit, sie so glücklich und froh zu machen, als mein Herz es innig wünscht. Er leite mich in Thun und Lassen nach seiner Gnade.«[39]

Nach einer zur Kunstreise gewordenen Hochzeitsreise durch Süddeutschland führte Weber sein junges Weib zur Weihnachtszeit in die trauliche Heimstätte ein, die seine Fürsorge ihm bereitet hatte. Glück, Friede und stille Behaglichkeit waren und blieben die Genossen ihres Hauses, und nimmer durfte Caroline es bereuen, die Triumphe ihres Bühnenlebens für den Platz an seiner Seite hingegeben, oder, wie er scherzend meinte, »Hermelin und Atlas mit der Küchenschürze vertauscht zu haben, nur applaudirt vom hungrigen Magen, nur herausgerufen von der Köchin und da capo vom Carl beim Küssen.« Ihrer Mission als Gattin eines Künstlers verstand sie in seltener Weise gerecht zu werden. Mißklänge, wie sie auch seinem in sich so harmonischen Dasein von außen her nicht fehlten, wußte sie zu lösen mit sanfter Hand. Ihr feiner Geist machte sie zur klugen Beratherin bei seinem Wirken und Schaffen, ihr warmes Herz zur fürsorglichen Hausfrau und treuen Mutter der Kinder, die sie ihm schenkte; ihr liebenswürdiger Sinn zu einem gern begrüßten geselligen Element. Sie, die er scherzend seine »Volksgallerie« nannte, war stets die Erste, an deren Richterspruch er bei seinen Arbeiten appellirte und deren langjährige Bühnenpraxis seiner Selbstkritik zu Hülfe kommen mußte. So verdankt beispielsweise die Eingangsscene des »Freischütz« allein ihrem Rath ihre jetzige Gestalt. Nach dem ursprünglichen Entwurf sollte ein Gebet des Eremiten und Duett zwischen ihm und Agathe die Oper einleiten. Doch: »Weg mit diesen Scenen, mitten hinein in's Volksleben mit dem Beginn der Volksoper, lasse sie mit der Scene vor der Waldschenke beginnen!« schrieb ihm die bühnenkundige Braut – und Weber fügte sich ihrem Einspruch, die Berechtigung desselben anerkennend.

Ferner lag Weber's Individualität eine Aufgabe, mit der[40] er sich zu Beginn des Jahres 1818 befaßte. Ein altes Herkommen legte den sächsischen Capellmeistern die Verpflichtung auf, von Zeit zu Zeit für den Dienst in der Hofkirche eine Messe zu schreiben, welche derselben sodann als Eigenthum verblieb. Der zur Regel gewordenen Gewohnheit wollte sich auch Weber nicht entziehen, und so entstand seine Messe in Es, die er, unter lebhaftem Beifall der Kenner, im März zur Aufführung brachte. Schon zu Anfang des nächsten Jahres ließ er zur goldenen Hochzeit des Königspaares dieser ersten Messe eine zweite in G, die sogenannte »Jubelmesse« folgen. Den Zeitraum zwischen beiden Werken füllen in der Hauptsache einige Gelegenheitscompositionen für Festlichkeiten bei Hofe aus, darunter die für den Namenstag des Königs componirte Cantate »Natur und Liebe«, wie die den fünfzigjährigen Regierungsantritt Friedrich August I. feiernde »Jubelcantate« und »Jubelouverture«. Die letztere ist inzwischen längst zum Gemeingut des deutschen Volkes geworden; denn wo es patriotischen Empfindungen die Weihe der Töne zu leihen gilt, da greift man noch immer gern zum Feiergepränge dieser ewig jugendlichen Klänge. Auch eine Reihe kleinerer Compositionen entstammt jener Zeit: Quartette, Volkslieder, eine zur Einlage in Cherubini's »Lodoiska« bestimmte Arie für die berühmte Milder in Berlin und Einiges aus dem im nächsten Jahre vollendeten Trio op. 63. Weber's Compositionen für Kammermusik sind weder an Zahl, noch an innerer Bedeutung reich. Trotz der auch ihnen innewohnenden Grazie und der Anwendung manch neuen Effectes erscheinen sie, gleich den früher erwähnten symphonischen Arbeiten ohne Frage als die wenigst selbständigen unter des Meisters Werken und sind heutigen Tages nahezu vergessen. Für den strengen Satz der Sonate und Symphonie fehlte ihm Sinn und Begabung; die[41] Kunst der thematischen Arbeit war eben nicht seine stärkste Seite. Seine Größe lag anderswo. Nicht zur abstracteren contemplativen Weise jener Kunstgattungen, sondern zu concreter dramatischer Gestaltung drängte ihn sein Genius hin.

Auf einem seinem Naturell ungleich entsprechenderen Gebiete zeigt ihn eine im nächstfolgenden Jahre geschaffene Anzahl von Pianofortecompositionen: das Rondo in Es op. 62, die »Huit pièces à quatre mains« op. 60, die E-dur-Polonaiseop. 72 und die »Aufforderung zum Tanz« op. 65. Das bekannteste seiner Clavierwerke zählt diese letztere zu den originellsten Erzeugnissen der Weber'schen Kunst. Im engen Rahmen bietet sie den glänzendsten Eigenschaften des Componisten Gelegenheit zur Entfaltung. Schwung und Feuer, Brillanz und Grazie, Schmelz und Innigkeit, Coquetterie und Leidenschaft athmen in jenen Rhythmen, die uns ein ganzes kleines Drama ohne Worte vorführen. Was der Künstler Alles in dies reizende, »seiner Caroline« gewidmete Tonbild hineingeheimnißt, verräth uns (in dem erwähnten Werke) Jähns, dem dabei Weber's Wittwe als beste Autorität diente. In seltsamem Gegensatz zu der sanften wiegenden Bewegung der älteren Tanzweisen stellt sich der feurige Pulsschlag dieses Tactes dar. Doch als sei Weber mit diesem seinem energischen Rhythmus den Bedürfnissen seiner leidenschaftlich bewegten Zeit entgegengekommen, so ist er alsbald zur Alleinherrschaft gelangt und hat den Ton und Tact angegeben, nach dem sich die heutige tanzlustige Welt bewegt. Für einen der genialsten unter unsern neueren Meistern zumal scheint seine ideale Auffassung des Tanzes und seines symbolischen Wesens bestimmend geworden zu sein; oder ist es nicht eine der Weber'schen verwandte Grandezza und aristokratische Vornehmheit des Ausdrucks, die uns, nur in den Schleier der Schwermuth gehüllt, aus Chopin's tiefsinnig-poetischen Tanzweisen entgegengrüßt?[42]

Merkwürdig, daß diese lächelnden Phantasiegestalten Weber's gerade unter dem Druck trüber Zeit, nach einem langen Siechthum in's Leben traten, von dem er, wie im vorhergehenden Sommer, so auch im Frühjahr 1819 befallen ward und das sich als der Vorbote jenes Leidens offenbarte, das ihn sieben Jahre später von dieser Welt hinwegnahm! Bewundernswerth erscheint in Wahrheit das seltene Abstractionsvermögen des Künstlers, der unter Krankheit und Verstimmung, unter häuslichem Leid und amtlichen Zurücksetzungen ohne Ende so Sonniges zu schaffen vermochte. Vielfältige Bitterniß umschließen vorzugsweise die Jahre 1818 und 1819 in Weber's Leben. So mußte er es z.B. mit ansehen, daß eine von ihm eingeführte rationelle Umgestaltung der Orchesterordnung höheren Orts abbefohlen, die von ihm componirte Jubelcantate bei Gelegenheit des Festes, das sie verherrlichte, von der Aufführung zurückgewiesen, der ihm ertheilte Auftrag zu einer Festoper für die Vermählung des Prinzen Friedrich widerrufen ward und die Inscenirung seiner »Sylvana« an Intriguen scheiterte, während er sich zu alledem mit Beginn des Jahres 1820 noch bezüglich einer Meyerbeer'schen Oper in einen peinlichen Federstreit verwickelt fand. Müde solch' fortgesetzter Aergerniß, unter der er bei seiner durch Kränklichkeit gesteigerten Reizbarkeit zwiefach litt, stand er eine Zeitlang in ernstlichen Unterhandlungen betreffs einer Uebersiedelung nach Berlin; zu weiteren Resultaten führten dieselben jedoch auch diesmal nicht.

Eine ausgesprochene Vorliebe empfand Weber von Anbeginn für Berlin. Dort leuchtete sein Stern allezeit am hellsten, wie er zuerst, dank den Liedern »Leier und Schwert«, im vollen Glanze dort aufgegangen war. War es doch eben auch diese Stadt, wo Weber's»Freischütz« zum ersten Mal[43] über die Bühne ging, wo er, von Entzücken und Begeisterung empfangen, seine Siegeslaufbahn durch die gesammte civilisirte Welt begann. Schon im Sommer 1819 hatte der Weber befreundete Intendant des Berliner Theaters, Graf Brühl, sich mit der Bitte an ihn gewandt, ihm zur Eröffnung des neuen Schauspielhauses seine neue Oper zu überlassen. Mächtiger denn je sah sich Weber auf Anlaß dessen zur Vollendung seines, »Freischütz« angetrieben, die denn in der That mit Abschluß der Ouvertüre am 13. Mai 1820 erfolgte. Ein volles Jahr jedoch verzögerte sich die Aufführung der Oper, und als diese endlich im Juni 1821 vor sich ging, war ihr bereits ein anderes Werk des Tondichters vorangegangen, das nur zwei Monate später als der »Freischütz« beendet ward: »Preciosa«. Durch den Grafen Brühl zur Composition der in das Wolff'sche Schauspiel dieses Namens einzulegenden Musik aufgefordert, hatte Weber, von dem Romantischen, fremdartig Nationalen des Stoffes angezogen, eines seiner poesievollsten Gebilde damit ausgeführt. Derselben Periode wie der »Freischütz« entsprungen, ging »Preciosa« auch aus der gleichen Seelenstimmung hervor und athmet die gleiche Frische und Ursprünglichkeit. Ihre Geschwisterähnlichkeit verleugnen denn auch beide nicht; denn aller Sorgfalt nationaler Charakteristik, allen zigeunerischen und spanischen Originalmotiven zum Trotz, ist und bleibt »Preciosa«, das Mädchen aus der Fremde, doch eine leibhaftige Gestalt echt deutscher Romantik.

Am 15. Juli 1820 ward die am 25. Mai begonnene Partitur beendet; dann hielt eine an Ehren und äußerem Gewinn ergiebige Kunstreise nach Norddeutschland und Dänemark Weber in Begleitung Carolinens mehrere Monate lang von Dresden fern.

Am 14. März 1821 ging »Preciosa« zum ersten Mal[44] über die Berliner Bühne, und die nachhaltige Wirkung, die dieselbe auf das Publikum äußerte, bezeugte sich als die günstigste Vorbereitung für die Vorführung des »Freischütz«. Das letzte Studium dieser seiner Oper wollte Weber persönlich leiten. Er begab sich zu dem Zweck mit Beginn des Mai nach Berlin, dessen musikalische Kreise er in lebhafter Aufregung fand. Auch auf dem Boden der norddeutschen Hauptstadt vollzog sich in jenen Tagen, sowie aller Orten, der Kampf zwischen fremdländischer und heimischer Tonkunst. Mit Rossini, dem maestro del bel canto, um die Wette führte Spontini – der stolze Repräsentant der kaiserlich französischen Oper, den die Gunst Friedrich Wilhelm III. an die Spitze des Berliner Musikwesens berufen – die glänzende Streitmacht seiner Opern in's Feld und drohte durch Aufführung seines neuesten Werkes »Olympia« sich zum souveränen Beherrscher der Bühne und des Geschmackes daselbst zu erheben. Die deutsche Partei, Graf Brühl in vorderster Reihe, blickte indeß auf Weber als auf den Hoffnungsstern, von dem allein sie Heil für die Zukunft erwartete. »Olympia« und »Freischütz« waren die Losungen der Parteien, die sich mit einer Leidenschaftlichkeit gegenüber standen, welche sich wesentlich aus der Verbindung des patriotischen Interesses mit der künstlerischen Frage erklärt. Eine ungewöhnliche Bedeutung knüpfte sich demnach an das erste Erscheinen des »Freischütz«, und nicht viel weniger als die Lebensfrage der deutschen Oper überhaupt hing vielleicht für Jahrzehnte hinaus von dem glücklichen Erfolg desselben ab.

Einige Wochen vor der Aufführung des deutschen Werkes ging Spontini's Oper über die Bühne. Trotz des außerordentlichen Glanzes der Ausstattung jedoch übte sie so wenig nachhaltigen Einfluß auf das Publikum, daß bereits die dritte[45] Vorstellung eine bedeutende Verminderung des Beifalls verspüren ließ. Am 18. Juni endlich folgte der »Freischütz«, die erste Oper, welche das von Schinkel neuerbaute Schauspielhaus musikalisch weihte. Auf's höchste war die Spannung des Publikums gestiegen, und Weber's Freunden bangte vor der Tragweite dieses Tages. Nur der Meister selber setzte allen Befürchtungen sein ruhig lächelndes: »Wie Gott will!« gegenüber und bekundete, nachdem er sein Werk zum Erscheinen reif erklärt, ein so bewundernswerthes Gleichgewicht der Stimmung, daß er am Morgen jenes ereignißschweren Tages eins seiner schönsten Clavierwerke, das Concertstück inF-moll mit Orchester op. 79, zu vollenden im Stande war. Er spielte dasselbe unmittelbar darauf seiner Frau und seinem Schüler Julius Benedict7, der ihm nach Berlin gefolgt war, mit großem Feuer vor und begleitete seinen Vortrag durch erklärende Worte, die ein förmliches Programm enthielten und von Benedict aufgezeichnet worden sind. Sie lassen sich kurz in drei Hauptmomente zusammenfassen: Trennung (Allegro), Klage (Adagio), Schmerz, Trost, Jubel des Wiedersehens (Finale). Bei Veröffentlichung des Werkes fügte Weber jedoch den poetischen Commentar nicht bei.

Eine unabsehbare Menschenmenge versammelte sich am Abend des 18. Juni, um dem Triumph des deutschen Tonmeisters beizuwohnen. Und einen Triumph feierte dieser, wie die Geschichte der deutschen Oper bisher keinen vollständigeren zu verzeichnen hatte. Stürmischer Empfang begrüßte den Dirigenten. Schon die Ouvertüre erregte Enthusiasmus und mußte wiederholt werden; als der Glanzpunkt der ersten Vorstellung aber erschien die große Scene der Agathe, die, von der berühmten[46] Seidler-Wranitzky vollendet wiedergegeben, sich von ungeheurer Wirkung erwies. Donnernder Applaus, Kränze und Gedichte und tausendstimmiger Jubelruf lohnten am Ende dem glücklichen Componisten, der an jenem Abend bewegten Herzens in sein Tagebuch schrieb: »Soli Deo gloria

Von stundan war Weber die wenigen Tage hindurch, die er seinem Aufenthalt daselbst noch gönnte, »der Gott des Tages« in Berlin. Im Umsehen drangen die Melodien des »Freischütz« in's Volk und wurden auf den Straßen gesungen. So hatten die Hoffnungen der deutschen Partei demnach nicht getrogen: den Kampf des rein germanischen Geistes hatte Carl Maria von Weber auf der Opernbühne als Ebenbürtiger mit den Italienern aufgenommen und deutschem Sange wiederum das Heimatrecht erworben im Vaterlande. Nicht nur eine künstlerische: eine sittliche That zugleich hatte er vollbracht, indem er die deutschen Bühnen errettete von der Herrschaft fremdländischer Kunst und im Herzen der Nation den verloren gegangenen Glauben an die Größe und Herrlichkeit des deutschen Genius von neuem entzündete. Was half es der Kritik, daß sie sich gegen die kühnen Neuerungen eines Werkes wehrte, das sich keinem der älteren Muster vergleichen, keiner vorhandenen Kategorie unterordnen, keiner der hergebrachten Regeln anpassen ließ? Mochte sie immerhin die Ouvertüre »sachregisterhaft«, die Wolsschluchtmusik »keine Musik mehr«, die Durchführung unklar, das Originelle »in's Bizarre ausgeartet«, die Charakteristik »bis an die Grenze der Caricatur geführt« schelten; mochte selbst der hellsichtige E.T.A. Hoffmann mit Zelter im Bunde sich gegen die blühende Genialität des »Freischütz« kehren; mochte Tieck diesen als »das unmusikalischste Getöse, das je über die Bühne tobte« verketzern und Spohr sich »das Räthsel des ungeheuren Erfolges desselben[47] nur durch die Gabe Weber's, für den großen Haufen zu schreiben: erklären«: allmälig mußte man es doch eingestehen, daß das neue Werk das bedeutendste sei, das seit Mozart's Opern und »Fidelio« über die Bühne gegangen; daß dasselbe mit seinem durchaus neuen romantischen Genre eine neue Aera der dramatischen Musik in Deutschland eröffne und Weber mit ihm in die Reihe der ersten Operncomponisten aller Zeiten eingetreten sei.

Weber selbst war sich der Kühnheit seines Vorschreitens im »Freischütz« wohl bewußt. »Es sind Dinge darin«, schrieb er an Lichtenstein, »die in solcher Weise noch nicht auf der Bühne waren – Gott gebe nur, daß ich das Rechte getroffen!« Neu in der That war zunächst die Einführung von »Leitmotiven«, kurzen, des öfteren wiederkehrenden Themen, welche bestimmte Personen oder Situationen charakterisiren; desgleichen die sogenannte Scenenform, die, aus der geschlossenen Gestalt der Arie heraustretend, dem Recitativ vermehrte Freiheit gestattet und auf dem Grenzgebiet zwischen Cantilene und Declamation ihre Heimat hat, – beiläufig Errungenschaften, deren letzterer sich Weber's Nachfolger im Allgemeinen bemächtigten, während das überragendste Genie unter seinen musikalischen Erben, Richard Wagner, seinem dramatischen Ideal gemäß, beide zu immer weiteren, von Weber ungeahnten Consequenzen führte. Nicht minder offenbart die Ouvertüre des »Freischütz« eine bis dahin ungebräuchliche Art der Gestaltung. Waren die älteren Muster dieser Gattung über die Aufgabe eines Präludiums nicht hinausgegangen, das auf die folgende Handlung wohl vorbereitet, aber in keinerlei directem Zusammenhang mit ihr steht, so knüpfte Weber, sich an Beethoven und dessen große Leonoren-Ouvertüre anschließend, die Beziehungen zwischen Prolog und Bühnenspiel fester, indem er den ersteren[48] aus Motiven des letzteren zusammenstellt. Somit enthält seine Ouvertüre das vollständige Programm, ein im engen Rahmen concentrirtes Spiegelbild der einzuleitenden Oper, deren vornehmste Charaktere und Scenen uns die wortlose Sprache der Instrumente in greifbarer Lebendigkeit vorführt. Gerade an dieses Verfahren des Meisters heftete sich vielfältiger Widerspruch. Ihm eben galt der erwähnte Vorwurf des »Sachregisterhaften«, die Rüge, daß um des poetisch-dramatischen Zweckes willen die musikalische Form beeinträchtigt werde, daß dem ideellen Zusammenhang die musikalische Logik, wie sie unabweislich die thematische Entwicklung fordere, zum Opfer falle. Ob aber auch der Principienstreit über Bau und Wesen des Opernvorspiels hineinreicht bis in unsre gegenwärtigen Tage, die Praxis des Erfolgs hat seit langem den Sieg davongetragen über die graue Theorie zu Gunsten der Weber'schen Orchesterdichtungen und ihnen ihren Platz unter den Meisterwerken dieses Genres, vor den Coulissen wie im Concertsaal bereitwillig eingeräumt. Was ihnen von jeher ihre zündende Macht über den Hörer sicherte, ist, neben dem hinreißenden Zug dramatisch bewegten Lebens und individueller Gestaltung, die blühende Schönheit ihres Colorits. Weber ist der Schöpfer unsres modernen Opernorchesters. Eine unendliche Fülle neuer Klangwirkungen und Combinationen verdanken wir ihm, der, ein seiner Kenner der Natur jedes einzelnen Instrumentes, gegenüber dem bisher beliebten Uebergewicht des Streichquartetts, die Zauberkräfte der Blasinstrumente, der Hörner und Clarinetten voran, zuerst entfesselte.

Die Stimme des Volkes bezeugte denn auch der Kritik zum Trotz, daß Weber mit seinem »Freischütz« in Wahrheit einen Meisterschuß gethan. In schnellem Flug bahnte sich derselbe seinen Ruhmesweg durch die deutschen Lande und weiter,[49] rund um den Erdball. Nicht nur auf den ersten vaterländischen Bühnen faßte er noch im selben Jahre festen Fuß; auch Pest, Kopenhagen, Wien, Paris, London, Petersburg, Stockholm, Rom, Neapel, Kairo, New-Orleans, New-York, Valdivia in Chile, Sidney, die orkadischen Inseln und Hudsons Bai (um nur die äußersten Grenzen seiner Verbreitung anzudeuten) haben seine Weisen nachmals erklingen hören; – das Werk des Dresdener Capellmeisters ward das, was es heute noch ist: die populärste Oper, die die Geschichte der deutschen Musik aufzuweisen hat.

Nach zweimonatlichem Aufenthalt in Berlin – der lichtesten Zeit, die sein Künstlerleben überhaupt umschließt – war Weber gehobenen Herzens zu seinem Amte zurückgekehrt. »Der Künstler bedarf Theilnahme und Aufmunterung, und ist es eine Schwäche, die ich da bekenne, so ist es vielleicht die, welche den Künstler eben macht,« bekannte er freimüthig seinem Chef, dem Theaterintendanten gegenüber. Und in reichem Maße sollte ihm jetzt solche Aufmunterung kommen, von allen Seiten, nur von der einen nicht, von der er sie doch zumeist ersehnte und verdiente. So erhielt er kurz nach seiner Rückkehr nach Dresden einen ehrenvollen Ruf nach Cassel als Reorganisator und Dirigent der dortigen Oper, und noch ehe das für ihn so ereignißreiche Jahr zu Ende ging, brachte es ihm von Barbaja, dem Pächter der Wiener Hofbühne, den willkommenen Auftrag, für das Kärnthnerthor-Theater zu Wien eine große Oper zu schreiben. Er lehnte, selbstlos genug, die günstigen Bedingungen des Einen – zu des von ihm empfohlenen Spohr Gunsten – ab, ohne für diese Rücksichtnahme auf sein Amt in entsprechender Weise entschädigt zu werden, und erklärte sich zur Uebernahme des Andern erst bereit, als auf seinen Wunsch, eine von ihm begonnene komische Oper[50] (»Die drei Pinto's« von Theodor Hell) für seinen König vollenden zu dürfen, ein abschlägiger Bescheid erfolgt war.

Empfand Weber diese letztere Zurückweisung insbesondere als eine so schmerzliche, daß in Folge dessen neue besorgnißerregende Symptome seines Brust-und Halsleidens hervortraten, so erfüllte ihn andererseits eine Aufgabe mit hoher Befriedigung, die ihm Gelegenheit bot, ein Werk größeren Stils zu schaffen, das von der Gesammtsumme seines Wissens und Könnens, seines Denkens und Fühlens Zeugniß ablegen sollte. Ihn verlangte es nach der Verkörperung eines Kunstideals, wie es ihm als Ergebniß reicher Erfahrungen und ernstesten Strebens vor der Seele schwebte und als dessen wesentlichstes Princip und Bedingniß er das Zusammenwirken aller Künste: Musik, Poesie, Schauspielkunst und Malerei erkannte. Auch die Dichtung, die er seiner Musik zu Grunde zu legen gedachte, sollte, so hatte er gehofft, eine ebenbürtige sein, eine Hoffnung freilich, hinter der die Erfüllung weit genug zurück geblieben ist.

In Helmina von Chezy, der wanderlustigen Schriftstellerin, deren Bekanntschaft Weber in dem schöngeistigen »Liederkreise« Dresdens machte, fand er die Dichterin seiner »Euryanthe.« Er selber wählte aus verschiedenen ihm vorgelegten Stoffen den letztgenannten (»Histoire de Gérard de Nevers et de la belle et vertueuse Euryante de Savoye, sa mie«), den schon Boccaccio und Shakespeare (in »Cymbeline«) benutzt hatten, und nahm an der Ausarbeitung selbstthätigen Antheil, ohne darum doch die diesem Stoff innewohnenden und trotz aller Bühnenpraxis zu spät erkannten Mängel abstellen zu können. Der Berathungen und Unterhandlungen zwischen Tonsetzer und Dichterin waren unzählige. Nicht weniger als elf Mal mußte die Chezy auf sein Geheiß den Text umgestalten. Gleichwohl schloß das Grundübel des Ganzen: die verfehlte Abänderung[51] der ursprünglichen Fabel in das unverständlich bleibende Geheimniß vom Ring, jede befriedigende Lösung der Aufgabe im dramatischen Sinn von vornherein aus. Ueber den Mangel an dramatischer Logik vermag uns selbst die höchste musikalische Meisterschaft nicht zu täuschen; er bleibt die wunde Stelle der »Euryanthe«, ob der Componist sie auch mit all seinem Melodienzauber umkleidete.

Im Februar 1822 ging Weber, nachdem er in Dresden zuvor noch die Aufführung seines »Freischütz« geleitet und die verdienstvolle Einrichtung regelmäßiger Abonnement-Concerte getroffen hatte, nach Wien, um durch eigene Anschauung das Terrain kennen zu lernen, auf welchem seine Oper in's Leben treten sollte. Mit Ehren aller Art wurde er daselbst gefeiert. »Man empfängt mich überall wie ein Wunderthier«, schreibt er scherzend seiner Frau. Den höchsten Gipfel aber erreichte die Begeisterung, als Weber zum Benefiz der jungen Wilhelmine Schröder (der später von ihm in Dresden engagirten Schröder-Devrient) seinen durch die Censur freilich arg verstümmelten »Freischütz« persönlich leitete. »Mehr Enthusiasmus kann es nicht geben, und ich zittere vor der Zukunft, da es kaum möglich ist, höher zu steigen. Gott allein die Ehre«, schreibt er nach der Aufführung desselben in sein Tagebuch.

Nach sechswöchentlicher Abwesenheit, durch einen neuen Krankheitsanfall sehr entkräftet in die Heimat zurückgekehrt, blieb Weber monatelang von jeglichem Gestaltungsdrang verlassen. Erst als ihn die Sommerzeit mit den Seinen wie gewöhnlich auf's Land hinaus nach dem ihm lieben Hosterwitz bei Pillnitz führte, kehrte ihm die Lust am Schaffen wieder; das neue Werk ward mit der As-dur-Arie Adolar's begonnen und im Laufe dieses Jahres rüstig weiter gefördert. Auch die letzte seiner Claviersonaten, E-moll op. 70, und ein Festspiel zur[52] Vermählung des Prinzen Johann, des nachmaligen Königs, bei dessen goldner Hochzeit es im November 1872 wiederholt wurde, ward geschrieben und die »Preciosa« zum ersten Mal auf die Dresdener Bühne gebracht.

Eine besondere Genugthuung durfte es dem Meister wohl gewähren, als ihm im December 1822 von Berlin aus die Nachricht von der bevorstehenden fünfzigsten Aufführung seines »Freischütz« (binnen achtzehn Monaten) zukam. Gleichwohl erfüllten die fort und fort sich mehrenden Erfolge seines älteren Opernkindes ihn allgemach mit Besorgniß für sein jüngstes. »Der verdammte Freischütz wird seiner Schwester Euryanthe schweres Spiel machen,« schreibt er jetzt an Freund Lichtenstein. »Euryanthe ist ein einfach ernstes Werk, das nichts als Wahrheit des Ausdrucks, der Leidenschaft und der Charakterzeichnung sucht, und aller der mannigfachen Abwechselung und Anregungsmittel seines Vorgängers entbehrend.« Einen zweiten »Freischütz« aber konnte und wollte er nicht wieder schreiben; die Bedingungen seines Schaffens waren gegenwärtig andere, der Ausgangspunkt desselben ein höherer geworden. Zu stolzerem Flug regte sein Genius die Schwingen, in eine idealere Sphäre wollte er uns emportragen in diesem Werk, das nicht allein eine musikalische Meisterschöpfung sein, sondern zugleich das »Ganze seiner poetischen Bildung, seiner Bühnenpraxis, seines malerischen Geschmackes verlebendigen« und als die Offenbarung einer neuen großen Idee, »das Gesammtgebiet der Oper erweitern und auf eine höhere Stufe heben« sollte. War der »Freischütz« das naive Ergebniß seines Lebens, so stellt sich die »Euryanthe« vielmehr als das speculative Ergebniß seiner Bildung dar. Nur aus einem universell gebildeten Geiste wie demjenigen Carl Maria von Weber's konnte ein solches universelles Kunstideal hervorgehen. Auch der Boden, auf dem[53] er sich in seiner »Euryanthe« bewegt, ist ein universellerer im Vergleich zu dem mehr localen des »Freischütz.« War jener eine Volksoper im besten Sinne, so bezeugt sich diese als eine Kunstoper vielmehr. Im »Freischütz« ist Weber specifisch national: deutsche Natur, deutsche Sitte, deutsche Liebe verherrlicht er darin; in der »Euryanthe« trägt ihn sein Stoff über die Grenzen unseres Vaterlandes hinaus, auch wenn er in seinem innersten Empfinden immerdar deutsch ist und bleibt. In ersterem Werke verweilt er in der schlichten Sphäre häuslichen, ländlichen Lebens, in letzterem führt er uns in die heroische Welt stolzer Ritterlichkeit. Hier nimmt alles glänzendere Farben, größere Dimensionen an, die Conflicte vertiefen sich, die Leidenschaften erscheinen mächtiger, das Ganze gestaltet sich stilvoller, großartiger, tragischer. Eine idealere Romantik umgiebt uns hier, im Gegensatz zu der realen, zuweilen selbst naturalistischen des »Freischütz.« Die schon in diesem hervortretende Kunst der Charakterisirung erscheint hier ausgearbeiteter, vollendeter, zur Individualisirung ausgebildet, die knappen, dort volksliedartigen Formen erweitert, das orchestrale und vocale Vermögen nach seinem vollen Umfang in Mitwirkung gezogen, die Declamation voll Kühnheit und Wahrheit behandelt. Litt der »Freischütz« noch an dem Mangel stetiger Steigerung und völligen Gleichmaßes, bot er uns, durch den jeweiligen Dialog im musikalischen Flusse gehemmt, noch eine Reihe lose verbundener Charakterbilder, so zeigt die »Euryanthe«, in der die deutsche Oper zum ersten Male auf die Zuhülfenahme des gesprochenen Wortes verzichtet, einen unaufhaltsamen dramatischen Fortgang, ein Aufgehen des Einzelnen im Ganzen, der selbständigen Schönheit in der Gesammtschönheit, der Vielheit in der Einheit des dramatischen Gedankengangs.[54]

Als eine einfache Consequenz der gesammten Wesenheit des Künstlers bezeugt sich dem kundigen Blick dies Vorwalten der dramatischen Elemente in seinem Schaffen. Ihn, das Kind der Bühne durch Geburt und Erziehung, den Leiter derselben durch Neigung und Beruf, mußte das Widerspruchsvolle eines dramatischen Werkes ohne dramatische Principien zu dem Bestreben reizen, auch auf musikalischem Gebiet einen dramatischen Stil, eine dramatische Einheit zu gründen. Seine »Euryanthe« ist das Ergebniß dieser Bestrebungen. Mit ihr that die Oper auf ihrem Entwicklungsweg zum musikalischen Drama der Gegenwart einen entscheidenden Schritt vorwärts. »Euryanthe ist ein rein dramatischer Versuch, seine Wirkung nur von dem vereinigten Zusammenwir ken aller Schwesterkünste hoffend, sicher wirkungslos, ihrer Hülfe beraubt«, schrieb Weber, als man dieselbe in einem Concert aufzuführen wünschte. Das vereinigte Zusammenwirken aller Schwesterkünste im Drama, nicht mehr und nicht weniger aber auch ist es, was Richard Wagner zum Fundamentalsatz seiner Bestrebungen erhob.

Als ein entschiedener Gegner trat jenen Principien Ludwig Tieck gegenüber, der den dramatischen Apparat der Oper auf ein Minimum beschränkt zu sehen wünschte und mit Weber, welcher ihn betreffs einer Textänderung der »Euryanthe« zu Rathe zog, darüber sogar in ernstliche Differenzen gerieth. Der Componist besorgte nun die nöthige Umänderung selbst und arbeitete, trotz fortwährender körperlicher Leiden und angestrengtester amtlicher Thätigkeit, so emsig an seiner Oper, daß dieselbe noch am 29. August 1823 bis auf die Ouvertüre beendet ward. In der Mitte des September reiste er sodann nach Wien, um die letzten Vorbereitungen und ersten Aufführungen daselbst zu leiten und bis zum November dort zu verweilen.[55]

Leider erwies sich die damalige Zeitlage dem ersten Erscheinen der »Euryanthe« in Wien in eben dem Maße ungünstig, als sie sich dem Erscheinen des »Freischütz« in Berlin einst günstig gezeigt hatte. Die lächelnde Weltbeherrscherin jener Tage, die welsche Tonmuse, die sich in Weber's Leben allenthalben als eine neidische Macht geltend machte, hatte zu dieser Zeit die Kaiserstadt widerstandsloser denn je in ihre Fesseln genommen, und Rossini's schmeichelnde Melodien, unter Leitung des Maestro von einer Sängergesellschaft vorgetragen, wie sie in gleicher Vollendung wohl niemals wieder auf der Bühne zusammenwirkte, wiegten sie in holden Sinnenrausch.

Erst als die Italiener das Feld geräumt hatten, ging Weber an sein Werk. Die Proben erregten den Enthusiasmus der Mitwirkenden. »So viel ist noch in keiner Oper geweint worden; sie küßten mir die Hände und waren Alle außer sich«, schreibt er nach einer derselben. »Ich selbst habe oft Noth, meine Rührung über das eigene Geschreibsel zu verbergen.« Nach der Generalprobe, die fünf Stunden dauerte, verwandelte sich indeß seine Zuversicht in bange Besorgniß. »Ich fürchte, aus meiner Euryanthe wird Ennuyante!« äußerte er niedergeschlagen zu seiner Umgebung.

Die Ouvertüre, seine bedeutendste und glänzendste, vollendete er inzwischen. Sie war ursprünglich als ein durchgehender Allegro-Satz intendirt. Die auf die Geistererscheinung bezügliche Episode wurde erst in der Absicht aufgenommen, sie von einem lebenden Bild (Euryanthe kniet betend am Sarge Emma's, deren Geist vorüberschwebt, während Eglantine das Ganze belauscht) begleiten zu lassen. Nichtsdestoweniger unterblieb dieser»pantomimische Prolog« (dem die nun versöhnende Erscheinung Emma's und Udo's am Schlusse der Oper entsprechen sollte) bei der Aufführung, und nur einzelne[56] Bühnen benutzten später, wie Jähns berichtet, diese Anordnung mit Erfolg.

Am 25. October endlich kam der Tag der Aufführung. Mit allgemeiner Spannung sah man ihr entgegen, indeß der Künstler selber, in gefaßter Erwartung der ernsten Stunde, die ihm zum Wahlspruch gewordenen Worte aus seiner Oper an sein Weib schrieb: »Ich bau' auf Gott und meine Euryanth'!« Lebhafter Applaus begrüßte den dirigirenden Componisten und wiederholte sich nach jedem Act wie am Schluß. Der Jägerchor mußte dreimal wiederholt werden, und Henriette Sontag feierte in der Titelrolle Triumphe. Dennoch war der Erfolg der Oper in Wirklichkeit kein so glänzender, als es den Anschein hatte, und die Begeisterung der beweglichen Wiener verkühlte alsbald, nachdem der Meister die Stadt verlassen. Trotz bedeutender Kürzungen, welche die ungewöhnliche Länge des Werkes nöthig machte, verschwand dasselbe nach zwanzig Abenden wieder vom Repertoire.

Die Urtheile über die neue Oper waren die verschiedenartigsten. Die »Ludlam«, ein Verein von Schriftstellern, Gelehrten und Künstlern, brachte dem Componisten in einem nach Beendung der ersten Vorstellung eigens veranstalteten Feste Huldigungen dar, die von der tiefen Wirkung seiner Schöpfung zeugten. Im Ganzen traten bei dem später entstandenen Meinungskrieg die Gelehrten und Literaten mehr auf Weber's, die Musiker von Fach mehr auf seiner Gegner Seite. Selbst Franz Schubert's Genie verirrte sich zu dem Urtheil, daß die »Euryanthe« »keine Musik, keine legitime Form und Durchführung enthalte, sondern lediglich auf den Effect berechnet sei und weit hinter dem ›Freischütz‹ zurückstehe.« Dagegen zeigte Beethoven, der seit dem Erscheinen letzterer Oper ein lebhaftes Interesse für Weber empfand und betreffs einer Aufführung[57] des »Fidelio« in Dresden mit ihm in Briefwechsel getreten war, warmen Antheil an den Erfolgen der »Euryanthe«, deren Darstellung beizuwohnen ihn nur seine unglückliche Taubheit verhinderte. Von verschiedenen Seiten wird auch erzählt, daß Weber die Partitur derselben dem großen Meister zur Beurtheilung oder beliebigen Verbesserung vorgelegt habe, während sein Sohn Max Maria ein solches Factum entschieden in Zweifel zieht. Gewiß ist, daß Weber Beethoven aufsuchte und auf das herzlichste von ihm empfangen ward, daß aber später leidige Zwischenträgereien die schöne Harmonie zwischen beiden Künstlern wieder störten und sie für immer von einander entfernten.

Aus den musikalischen Zeitschriften jener Tage reden die widersprechendsten Auffassungen über die »Euryanthe.« Die einen machen ihr Bizarrerie, Mangel an Einheit und Klarheit der Melodie u.s.w. zum Vorwurf, wogegen andere in ihr den »Morgen der neuen dramatischen Musik«, ein Meisterwerk von erhabenerer Größe als »Fidelio« selbst begrüßen. Es ist das Schicksal der genialsten Schöpfung Carl Maria von Weber's geblieben, mehr von Einzelnen als von der Allgemeinheit nach ihrem vollen Werthe gewürdigt zu werden, und dem Tondichter, der der Welt darin sein Bestes, sein »Herzblut« gegeben, hat dies Mißkennen seiner Gabe die schwersten Stunden seines Lebens, ja ein Stück dieses Lebens selber gekostet. Er ist durch seine »Euryanthe« unsterblich geworden, es ist wahr – aber er lebt vielmehr durch seinen »Freischütz«; nicht im Herzen der Kunstgemeinde freilich, aber im Herzen des Volkes, zu dessen Ruhm er geschaffen und gedichtet, gelitten und gelebt. Mit vielem Glanz ist die Oper seit jener ersten Aufführung über die vornehmsten Bühnen unseres Vaterlandes gegangen, selbst auf fremdländischem Boden hat sie Furore gemacht; in[58] Fleisch und Blut der Nation aber ist sie, schon um ihres seltenen Erscheinens willen, niemals eingedrungen, und vierundzwanzig Jahre später noch durfte Robert Schumann klagen, daß sie »viel zu wenig erkannt und anerkannt« sei. Sechs Jahrzehnte haben sich nun vollendet seit dem ersten Erscheinen des Werkes, von dem Castelli sagte, es sei um fünfzig Jahre zu früh gekommen. Aber auch das deutsche Publikum von heute bewundert wohl die »Euryanthe«, doch den »Freischütz« liebt es.

Weber's amtliche Obliegenheiten in Dresden hatten sich inzwischen, zufolge einer ausgedehnten Urlaubsreise Morlacchi's und einer längeren Krankheit Schubert's derart vermehrt, daß man sich genöthigt sah, ihm durch Anstellung Heinrich Marschner's als Musikdirector Erleichterung zu schaffen. Indessen verblieb ihm nach Schubert's Tode noch immer ein überfülltes Maß von Arbeitslast. Krankheit und vielfältige Kümmernisse über die Nichterfolge seines Lieblingskindes »Euryanthe« lähmten seinem Geiste die Schwingen, und der sonst nimmer Rastende hüllte sich fünfzehn Monate lang in unfruchtbares Schweigen. Selbst die begeisterte Aufnahme der letztgenannten Oper in Dresden (im März 1824, mit der Schröder-Devrient als Euryanthe), sowie die Triumphe, die er als Dirigent des musikalischen Theils des Klopstockfestes in Quedlinburg (Juli 1824) feierte, vermochten nicht die Wolken über seinem Haupte zu lichten. »Ich hätte nicht geglaubt, daß ich einen solchen Ekel gegen alle Arbeit bekommen könnte; es kommt mir vor, als hätte ich nie was componirt«, schreibt er im Sommer aus Marienbad. Zwar empfing er nach seiner Rückkehr von dort durch die fast gleichzeitig eintreffenden Anträge, für Paris und London Opern zu schreiben, neue Anregung zum Schaffen; doch erst der Beginn des Jahres 1825 zeigt nach langer[59] Ruhezeit die ersten Früchte, die sein Genius ihm wieder gewährte. Das Pariser Anerbieten hatte er abgelehnt, den glänzenden Bedingungen des Impresario des Londoner Coventgarden-Theaters, Kemble, den Vorzug gebend. Die ihm freigelassene Wahl zwischen »Faust« und »Oberon« entschied er für den Letzteren, und noch im December 1824 war der erste Theil des Textbuches – eines bunten Machwerkes des englischen Dichters Planché, das theils bei Wieland's »Oberon«, theils bei Shakespeare's »Sommernachtstraum« und »Sturm« auf Anleihe ausgeht – in seinen Händen. Die Composition ward nun, noch dazu in englischer Sprache, die Weber erst zu diesem Behufe erlernen mußte, in Angriff genommen, und in schneller Aufeinanderfolge entstand eine Anzahl der bedeutendsten Nummern des Werkes. Dann trat zwischen die Vollendung desselben wieder eine halbjährige Pause.

Für sein überhand nehmendes Lungenleiden suchte Weber vergebens durch eine Cur in Ems (Juli und August 1825) Heilung. Die dort mühsam gewonnene Stärkung ließ er dann den Arbeiten am »Oberon« zu Gute kommen. Zu Beginn des Decembers indeß wurden dieselben von neuem unterbrochen – die langverzögerte Einstudirung seiner »Euryanthe« rief ihn nach Berlin. Mit äußerster Anstrengung nur vermochte er daselbst die Proben zu leiten. Die Sprache versagte ihm häufig, und nur noch vermittelst eines Dolmetschers konnte er mit dem Orchester verkehren. Am 23. December erfolgte die erste Aufführung, und so mußte der kranke, von tiefer Heimatsehnsucht gequälte Meister das Weihnachtsfest getrennt von seinen Lieben feiern, das letzte Weihnachtsfest, das ihm hienieden noch zu verleben vergönnt war. Erst mit dem scheidenden Jahre kehrte er heim, reich an neuen Triumphen, aber arm an Lebenshoffnung.[60]

Und mit immer unaufhaltsameren Schritten neigten sich die Tage Carl Maria von Weber's ihrem Ende zu; immer gebrechlicher ward der Leib, der die große Seele in sich trug. Dennoch, selbst der dringenden Bitten der bekümmerten Gattin und Freunde ungeachtet, hielt der Rastlose fest an dem einmal gefaßten Plan, seinen »Oberon« in London persönlich zur Aufführung zu bringen. Das Ergebniß dieser Reise sollte, so hoffte er, die gesicherte Existenz seiner Familie auch nach seinem Tode sein, dessen Nähe er mit furchtbarer Klarheit fühlte. »Ob ich reise, ob ich nicht reise«, erwiderte er einem der besorgten Freunde, »bin ich in einem Jahre ein todter Mann. Wenn ich aber reise, haben meine Kinder zu essen, wenn der Vater todt ist, während sie hungern, wenn ich bleibe.« »Nur wiederkommen möchte ich aber«, äußerte er anderwärts, »dann geschehe in Gottes Namen Gottes Wille; aber dort sterben, das wäre hart.«

Die ganze Kraft seines Geistes war nun auf die Vollendung seines Werkes gerichtet, und mit ruheloser Hast lag er derselben ob. Die kurze Frist, die ihm zu wirken noch vergönnt blieb, sollte zum Vortheil der Seinen ausgenutzt werden. Und die selbstverleugnende Willenskraft des sterbenskranken Mannes war eine gewaltige, – denn wer von uns, die wir heute den »Oberon« hören, fühlt aus jenen heiter bewegten Klängen die Seufzer und Thränen heraus, unter denen sie geboren wurden? Was auch Leib und Seele des Künstlers darniederbeugen mochte, sein Genius wußte nichts von Todesahnung, er wandelte sorglos auf den sonnigen Bahnen des Schönen, unangefochten von irdischem Leid. Gerade die lichtvollste Oper des Meisters ist es, die der schattenreichsten Zeit seines Lebens entstammt; es ist als wollte er uns noch einmal den ganzen bestrickenden Glanz seiner Muse vor die Seele führen, ehe sie[61] auf ewig verstummte. Es ist wahr, so wie der »Oberon« auf uns kam, tritt er als in sich geschlossenes Kunstwerk weit zurück hinter den beiden anderen dramatischen Schöpfungen Weber's. Aber er ist im Sinne des Componisten niemals vollendet worden; allein für England und nach Maßgabe der dortigen Verhältnisse erhielt er seine gegenwärtige, allen musikalischdramatischen Zusammenhangs entbehrende Gestalt, welche Weber später vielfach umzuschaffen beschloß. »Ich wiederhole« – heißt es in einem seiner Briefe an den Dichter – »daß der Zuschnitt des Ganzen allen meinen Ideen und Grundsätzen sehr fremdartig erscheint. Die Einmischung so vieler Hauptpersonen, welche nicht singen, die Weglassung der Musik in den wichtigsten Momenten: alle diese Dinge berauben unsern Oberon des Namens einer Oper und werden ihn untauglich machen für alle anderen Bühnen Europas.« Demgemäß sollte die Musik aus ihrer dem Drama unverhältnißmäßig untergeordneten Rolle, – wie sie nach Weber's eignen Worten der englischen Oper den Charakter eines »Schauspiels mit Gesängen« gab – zu entsprechender Machtentfaltung emporgehoben und der sich über Gebühr hervordrängende gesprochene Dialog in Recitative umgewandelt werden. Was Weber selber indessen zu vollenden nicht vergönnt war, wurde ein halbes Jahrhundert später durch fremde Hand vollbracht. Mit Pietät und seinem musikalischen Geschmack gab Franz Wüllner, der gegenwärtige Nachfolger Weber's an der Dresdner Hofcapelle, an seines großen Vorgängers Originalmotive anknüpfend, durch nachcomponirte Recitative dem »Oberon« wenigstens die mangelnde musikalische Einheit, wenn er ihm auch nicht die dramatische zu verleihen vermochte.

Im »Oberon« begegnen wir Weber in einer Sphäre, die seinem Genius specifisch eignet, ja die sogar durch ihn der[62] Tonkunst gewonnen worden ist: der Märchen- und Geisterwelt. Findet sich dieselbe schon bei dem alten Opernfragment »Rübezahl« (1804), wie später bei dem dämonischen Spuk des »Freischütz«, bei der Erscheinung der Emma in der »Euryanthe« zur Mitwirkung gezogen, so gelangt sie im »Oberon« zur vollen Entfaltung, zur eigentlich tragenden und bewegenden Macht. Somit aber auch sind durch das Sujet des Werkes zugleich die Vorzüge und Mängel desselben bedingt. Was der Musik nur an süßestem Wohllaut innewohnt: die Fülle melodischen Reizes, rhythmischer Grazie, harmonischer Beleuchtung und instrumentaler Farbenpracht, das vereinigt sich in dieser Elfenromantik, um unsern Sinn gefangen zu nehmen. Hinwiederum liegt es in der Natur der Sache schon begründet, daß die Wirkung des Ganzen mehr äußerlicher als innerlicher, mehr berauschender als ergreifender Art ist. Die Welt des Märchens und des Orients fordert ein buntes, glänzendes Außenwerk, und die äußeren Hülfsmittel von Ballet, Decorationen und Maschinerie sind in der That bis zum Ueberfluß zur Anwendung gebracht. Der Text selbst ist mehr eine dramatisirte Erzählung denn ein Drama; von psychologischer Entwickelung der Charaktere, von logischem, organischem Aufbau des Ganzen ist keine Rede in jener Fabelsphäre, darin die Macht des Zufalls herrscht. So erscheinen die Individualitäten in Typen, die Charakteristik in Situationsmalerei abgeschwächt, die Chöre dagegen in den Vordergrund getreten. Sie sind es, die die poesievollsten Blüten der Oper enthalten und ihr, im Verein mit der großen Scene der Rezia und der glänzenden Ouvertüre vornehmlich den Stempel unvergänglicher Jugendschöne aufgedrückt haben. Höchst genial ist die Verwendung zweier arabischer Originalmotive im Haremswächtermarsch (im Finale des 1. Acts). Aus dem Anfang dieser[63] Themen, einem einfachen Terzgang, bildete sich Weber, wie Jähns nachweist, das einzige im Oberon benutzte Leitmotiv, das, wie schon bei Beginn der Ouvertüre, so allenthalben anklingt, wo es gilt, die Wunderwelt des Morgenlandes oder das Feenreich, welches in ihm zunächst seine Heimat hat, zu charakterisiren. In der Schilderung der Elfenwelt und der von Geistern belebten Natur ist Weber ohne Vorgänger. Das phantastische Genre, das in unserer Instrumentalmusik, wie in Cantaten und Bühnenwerken so landläufig geworden, hat er erst in's Leben gerufen, und so wie der »Freischütz« Heinrich Marschner auf seine Bahnen wies und selbst auf Meyerbeer ersichtlich einwirkte, wie Richard Wagner in Webers »Euryanthe« die Basis fand für den weiteren Ausbau seiner Ideen, war es der »Oberon«, der in Felix Mendelssohn die verwandten Saiten berührte und ihn seinen »Sommernachtstraum« schaffen ließ.

Nachdem Weber angesichts der englischen Reise seine äußeren Verhältnisse auf's strengste geregelt, sagte er nach einer Vorstellung des »Freischütz« seiner Capelle schweren Herzens Lebewohl. In der Morgenfrühe des 16. Februar 1826 folgte nach einer »halbdurchweinten Nacht« ein tiefergreifender Abschied von den Seinen. Caroline entließ ihn »wie einen Sterbenden«. »Ich habe seinen Sarg zuschlagen hören!« rief sie zusammenbrechend aus, als die Wagenthür sich hinter ihm schloß.

Und dennoch wirkte die Reise, die sein Freund, der Flötenvirtuos Fürstenau, mit ihm theilte, zunächst belebend auf den Kranken. Wenige Tage nur verweilte er in Paris, um seine berühmten Kunstgenossen Paer, Catel, Auber, Cherubini und Rossini aufzusuchen, die ihn voll Verehrung empfingen, und schnell beschleunigte er seine Abreise, als sein beabsichtigtes Incognito zerstört wurde und man ihm öffentliche Ovationen[64] darzubringen begann. In Calais schiffte er sich zur Ueberfahrt nach Dover ein und langte, von der Schönheit der Meeresscenerie entzückt, am 3. März ziemlich heiter in London an.

Im gastlichen Hause des Directors der Royal-Music-Band, des ihm schon in Ems und Dresden bekannt gewordenen Sir George Smart, nahm er Wohnung; »vortrefflich daselbst aufgehoben«, wie er schrieb. Schon sein erstes nicht officielles Erscheinen im Theater zeigte dem Componisten des »Freischütz« den vollen Umfang seiner Popularität in England. Ungleich fanatischer noch als in Deutschland schwärmte man hier für diese Oper, ja des sonst so gemäßigten Volkes hatte sich eine wahre Freischützmanie bemächtigt, die den reizbaren Meister allmälig mit Ueberdruß und Bitterkeit gegen sein eigenes Werk erfüllte, das er so tief unter die »Euryanthe« stellte. Auch »Abu Hassan« und »Preciosa« waren in London schon über die Bühne gegangen, und voll gespannter Erwartung lenkte sich die allgemeine Aufmerksamkeit der neuen Erscheinung des »Oberon« zu. Weber's erstes öffentliches Auftreten in einem Oratorien-Concert, deren fünf zu leiten er übernommen hatte, veranlaßte einen Beifallssturm ohne Gleichen.

Wenige Tage nach seiner Ankunft schon begann er die Proben zu »Oberon«, von den Leistungen der englischen Künstler über Erwarten zufrieden gestellt. Mit Rücksichtnahme auf die besonderen Stimmlagen derselben traf er noch mancherlei Abänderungen und vermehrte sein Werk noch um mehrere Nummern, deren letzte, »Hüon's Gebet«, am 10. April vollendet ward. Zwei Tage darauf, am 12., schon ging die glänzend ausgestattete Oper zum ersten Male über die Bühne, maßlosen Jubel der Begeisterung im Gefolge. Die Ouvertüre ward da capo gefordert, jedes Musikstück »zwei bis dreimal mit größtem Enthusiasmus unterbrochen«, der Autor am Ende[65] auf die Bühne gerufen – eine unerhörte, noch nie dagewesene Huldigung auf englischem Boden.

Die Kritik freilich zeigte sich auch hier karger mit ihrer Gunst als das freigebig spendende Publikum. Klagen über »Mangel an Melodie« und »schwere Musik« wurden mannigfach laut; nichtsdestoweniger blieb die Theilnahme für das Werk dieselbe während der ersten zwölf, von dem Componisten geleiteten Vorstellungen. Inmitten dieser großartigen Erfolge aber und der Sympathien, die ihm ein fremdes Volk entgegentrug, empfand der bis zur Todesermattung abgespannte Künstler ein immer brennenderes Verlangen nach Ruhe, eine immer rastlosere Sehnsucht nach der fernen Heimat. »Ruhe, Ruhe ist jetzt mein einziges Feldgeschrei und soll es wohl für lange bleiben. Ich habe all das Kunstgetreibe so satt. – Wo ist der frohe kräftige Lebensmuth hin, den ich sonst hatte?– Ach Gott, das ist nicht zu beschreiben, wie ich jeden Tag zähle,« schreibt er an sein Weib. Von geselligen Beziehungen hielt er sich möglichst entfernt. Wenige Häuser der hohen Aristokratie des Landes nur zogen ihn in ihre Kreise, der es, seines leidensvollen Zustandes halber, versäumt hatte, sich um ihre Gunst zu bewerben, und dessen schlichtes Wesen und unscheinbare, ja hinfällige Erscheinung so gänzlich dessen entbehrte, was ihr allein zu imponiren vermochte. Im Uebrigen verkehrte er nur mit einem kleinen Freundeskreise, dessen vornehmste Elemente neben Smart und einigen anderen englischen Künstlern seine Landsleute Moscheles und Fürstenau bildeten.

Nachdem Weber außer in den Oratorien, auch bei einem philharmonischen Concert und mehreren Benefizen befreundeter Kunstgenossen mitgewirkt hatte, veranstaltete er am 26. Mai ein eigenes, dessen Vorbereitungen, bei der zunehmenden Schwäche des Künstlers, seine Freunde übernehmen mußten. Ihm bangte[66] bitterlich vor demselben. »Meine Musik wird mir täglich widerwärtiger, und es ist wohl das letzte Mal, daß ich Concert gebe«, schrieb er in die Heimat. Dringender Aufforderung nachgebend, componirte er noch, nicht ohne Anstrengung, ein Lied, das an jenem Abend von Miß Stephens gesungen werden sollte, die Verse aus Thomas Moore's »Lalla Rookh«: »From Chindara's warbling fount I come.« Nur noch die Singstimme jedoch vermochte seine schwache Hand zu notiren, die Begleitung spielte er aus dem Kopf, und durch Moscheles wurde sie erst später bei der Herausgabe ergänzt.

Leider war der Stern des Künstlers dem Concert, auf das er so große Hoffnungen gesetzt, nicht günstig, und er verschwendete den letzten Rest seiner Kraft vor einem halb leeren Saal. Völlig zerknickt sank er nach Beendigung desselben im Foyer zusammen. »Das ist Weber in London!« rief er mit matter Stimme den Freunden zu, die sich besorgt um ihn versammelten. Ungeachtet dessen ließ er sich vier Tage später nicht abhalten, in dem Benefizconcert einer Sängerin seine »Freischütz«-Ouvertüre zu dirigiren, fühlte sich aber in Folge dessen so erschöpft, daß er seinen Freunden versprach, die ihm zugesagte Benefizvorstellung des »Freischütz« aufzugeben und nichts mehr zu dirigiren. Auch seinen Reiseplan kürzte er nun ab und beschloß, statt über Paris, geraden Wegs nach Dresden zurückzukehren. Er bestimmte seine Abreise für den 6. Juni und meldete seiner Caroline bereits seine bevorstehende Ankunft. Den bekümmerten Einwendungen der Freunde und seines Arztes gegenüber, die in ahnungsvoller Besorgniß ihn vom Reisen zurückzuhalten bemüht waren, entgegnete er fest: »Ich muß fort zu den Meinigen, sie noch einmal sehen, und dann geschehe Gottes Wille!«

Am Abend des 4. Juni waren Smart, Göschen, Fürstenau[67] und Moscheles bei ihm. Mit leiser Stimme unterhielt er sich mit ihnen von seiner Reise. Die Bitte, Einem von ihnen zu gestatten, während der Nacht bei ihm zu bleiben, wies er mit Bestimmtheit zurück. »Gott lohne Euch Allen Eure Liebe!« sagte er, als er ihnen die Hand zum Abschied reichte; dann ließ er sich von Fürstenau und Smart in sein Schlafzimmer geleiten und verabschiedete auch diese mit den Worten: »Nun laßt mich schlafen!« – Es waren die letzten Worte, die seine Lippen gesprochen, und als die Freunde ihn wiedersahen, da war er in Wahrheit schlafen gegangen. Am Morgen des 5. Juni fand man Carl Maria von Weber als Leiche. Fern von den Seinen, im fremden Lande, in einsamer Stille der Nacht hatte seine Seele den letzten Kampf vollbracht.

Mit Rührung und schmerzlicher Theilnahme durchdrang die Nachricht von dem Tode des Meisters alle Schichten der Bevölkerung Londons, und eine große Zahl Leidtragender folgte seinem Sarge, als man ihn am 21. Juni, unter den Klängen von Mozarts Requiem, zu St. Mary in Moorfields – der katholischen Metropolitankirche Londons – beisetzte. Alle Kunstnotabilitäten der Weltstadt bewarben sich um die Ehre, bei der musikalischen Leichenfeier des großen Todten mitzuwirken, und alle Kunstinstitute zollten seinem Andenken den schuldigen Tribut.

Doch nicht für immer sollte der deutsche Meister der deutschen Erde entrückt bleiben. Seine Heimatsehnsucht sollte gestillt werden: er kehrte zurück zu den Seinen – nach langer Trennung freilich! Fünfzehn Jahre nach Weber's Tode bildete sich unter hervorragender Betheiligung Richard Wagner's ein Comité, das sich die Ueberführung seiner Asche nach Dresden zum Ziele stellte, und drei Jahre später, am 14. December 1844, empfing man daselbst die sterblichen Ueberreste des[68] Verklärten und geleitete sie, unter allseitiger Theilnahme der Bevölkerung, in die trauerfestlich geschmückte katholische Friedhofs-Capelle. Am Morgen des 15. December wurden sie in der Familiengruft endlich zur letzten Ruhe gebracht.

Richard Wagner, Weber's Nachfolger nach Amt und Beruf, rief ihm den letzten klingenden Gruß in die Ewigkeit nach. Sein aufsteigender Stern neigte sich ehrerbietig vor dem, der ihm heller als irgend ein anderer voranleuchtete auf der erwählten Bahn, und an dem offenen Grabe legte er Zeugniß ab von der Herrlichkeit des Genius, der unserm Volk in Carl Maria von Weber beschieden war. »Nie« – so lauteten seine begeisterten Worte – »nie hat ein deutscherer Musiker gelebt als Du! Wohin Dich auch Dein Genius trug, in welches bodenlose Reich der Phantasie, immer bliebst Du doch mit jenen zarten Fasern an dies deutsche Volksherz gekettet, mit dem Du weintest und lachtest wie ein gläubiges Kind, wenn es den Märchen und Sagen der Heimat lauscht. Ja, die Kindlichkeit war es, die Deinen männlichen Geist wie sein guter Engel geleitete, ihn stets rein und keusch bewahrte, und in dieser Keuschheit lag Deine Eigenthümlichkeit. Wie Du diese herrliche Tugend stets ungetrübt erhieltest, brauchtest Du nichts zu erdenken, nichts zu erfinden; – Du brauchtest nur zu empfinden, so hattest Du auch das Ursprünglichste erfunden. Du bewahrtest sie bis an den Tod, diese höchste Tugend, Du konntest sie nie opfern; dieses schönen Erbmales Deiner deutschen Abkunft Dich nie entäußern, – Du konntest uns nie verrathen! – Sieh, nun läßt der Brite Dir Gerechtigkeit widerfahren, es bewundert Dich der Franzose, aber lieben – kann Dich nur der Deutsche; Du bist sein, ein schöner Tag aus seinem Leben, ein warmer Tropfen seines Blutes, ein Stück von seinem Herzen! –«[69]

Quelle:
La Mara (d.i.: Marie Lipsius): Musikalische Studienköpfe, Erster Band: Romantiker, sechste umgearbeitete Auflage, Leipzig: Heinrich Schmidt & Carl Günther, 1883., S. 1,70.
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