[Biographie]

Wie man von jeher großen Maler, Dichter und Musiker mit einander zu vergleichen liebte, so hat man auch Mozart gern den Raphael unter den Componisten genannt. Die sonnige Klarheit ihrer Ton- und Farbenpoesie, die reine Grazie ihrer Form, die wundervolle Harmonie zwischen Ausdruck und Empfindung, welche letztere sich über diese kampf- und leidensvolle Welt erhebt und, von allem Erdendruck befreit, nur die verklärte Schönheit im Kunstwerke darstellt, legen in der That einen Vergleich zwischen Beiden nahe. Auch die unerschöpfliche Fülle des Schaffens theilten sie mit einander, ob es ihnen Beiden auch nicht gegeben war, ihr Dasein voll und ganz auszuleben, ob sie auch in der Blüte der Jahre und der Manneskraft dahin gehen mußten. Wie aber kein Raphael zum zweiten Male geboren wird, so auch kein Mozart. Nur die Höhezeiten der Kunstentwickelung zeitigen Genien so königlicher Art, wie sie es gewesen und als welche sie leuchtenden Glanzes hineinragen in die Jahrhunderte, die spurlos vorübergehen an ihren Werken. Nur das Unsterbliche altert nicht. Wenn es das Merkzeichen des Genius ist, daß er nicht allein die Denk- und Empfindungsweise seiner Zeit im Kunstwerk wiederspiegelt, sondern in der[3] Vergangenheit wurzelnd zugleich die Zukunft vorbereitet und somit, ob auch an sich nicht zeitlos, alle Zeiten umspannend, etwas Ewiges an sich trägt, so hat sich Mozart in erster Reihe als solch Ewiger beglaubigt.

Als Bindeglied und Vermittler zwischen Haydn's naiver und Beethoven's bewußter, weltumfassender Kunst auf instrumentalem Gebiete, und in entscheidenderer Weise noch als Meister der Oper, deren ihm überkommenen starren italienischen Formalismus er, Dank dem Feuerstrom seiner Musik, zu einem lebendigen Organismus beseelte und zu einem classischen deutschen Kunstgebilde umprägte, der er zuerst Charaktere, natürlich empfindende Träger der Handlung und deutsche Gemüthstiefe gab, hat er seine Mission übernommen und vollendet. Nie ist ein tonreicherer Genius über diese Erde gewandelt. In unversieglicherer Fülle als je einem Anderen entströmte ihm der Quell goldner Melodien, und mit so spielender Leichtigkeit gebot Keiner allen Formen seiner Kunst schon als Knabe als Herrscher. Was er anschaute und erlebte, was er dachte und empfand, gestaltete sich ihm zu Tönen; seine ganze Seele, sein ganzes Dasein ging auf in Musik – ganz und ausschließlich war er Musiker. Es hat gewaltigere, tiefsinnigere Tongenien als den seinen gegeben, und in Schatten gestellt ward seine lichte Gestalt ohne Frage von der Riesenerscheinung Beethoven's, die sich in unmittelbarer Nachbarschaft neben ihm als hehrste Tongröße erhebt, welche die Musik aller Völker und aller Zeiten kennt. Einen harmonischeren, schönheitgesättigteren Genius als Mozart jedoch hat die Welt nie gekannt. So lange der Sinn für das Schöne, für Wohllaut, Formenanmuth und Herzensreinheit in der Menschenbrust lebt, so lange werden seine Melodien leben und die Herzen mit Freuden und Frieden füllen![4]

Wolfgang Amade Mozart, wie er selbst sich nannte, oder Johannes Chrysostomus Wolfgang Theophilus Mozart, wie sein Name im Taufbuche der Salzburger Dompfarre lautet, wurde am 27. Januar 1756 in Salzburg geboren. Sein Vater, Leopold Mozart, entstammte einer schlichten Handwerkerfamilie in Augsburg, war aber, voll ernsten Bildungsdranges, um die Rechte zu studiren, nach Salzburg gekommen und hatte dort, wie er sich gleich anfangs durch Musikunterricht seinen Unterhalt verdiente, als Hofmusikus und nachmals Vicecapellmeister des Erzbischofs Sigismund sein Amt und Brod gefunden. Als trefflicher Violinspieler, wie als Componist und Verfasser einer Violinschule – der ersten und lange Zeit auch einzigen in Deutschland – hatte er sich in weiteren Kreisen bekannt gemacht und daneben eine feinere und allgemeinere Bildung als seine Genossen zu erwerben gewußt. Mit Anna Maria Bertlin, einer Pflegetochter des nahen Stiftes von St. Gilgen, vermählt, mit der vereint er seiner Zeit für das schönste Ehepaar in Salzburg galt, schenkte ihm der Himmel sieben Kinder; doch nur zwei derselben: eine Tochter Maria Anna, Nannerl genannt, und der fünf Jahre jüngere Wolfgang blieben am Leben. Beide legten schon in frühester Kindheit einen wunderbaren Musiksinn an den Tag. Der dreijährige Knabe schon vergnügte sich mit dem Zusammensuchen von Terzen am Clavier. Im vierten Jahre lernte er dem Vater einige Menuette und andere Stücke mit Leichtigkeit ab, und ein Jahr später trug Papa bereits die ersten Compositionen Wolfgang's in dessen Uebungsbuch ein, das noch heute zu den Reliquien des Salzburger Mozarteums zählt. Ja, einstmals überraschte der Vater den Knaben, der kaum noch die Feder zu halten verstand, über der Composition eines Concertes, das so schwer war, daß es kein Mensch zu spielen vermochte.[5]

Ein alter Hausfreund, Namens Schachtner, erzählt, daß, sobald Wolfgang sich »mit Musik abzugeben anfing, alle seine Sinne für alle übrigen Geschäfte gleichsam todt gewesen seien.« »Selbst die Kindereien und Tändelspiele mußten, wenn sie für ihn interessant sein sollten, von der Musik begleitet werden ... Ich ward ihm daher, weil ich mich mit ihm abgab, so äußerst lieb, daß er mich oft zehnmal an einem Tage fragte, ob ich ihn lieb hätte, und wenn ich es zuweilen, auch nur zum Spaß verneinte, stunden ihm gleich die hellichten Zähren im Auge, so zärtlich und so wohlwollend war sein gutes Herzchen.«

An seinem ernsten, strengen Vater hing er mit aller Zärtlichkeit. »Nach Gott kommt gleich der Papa«, pflegte er zu sagen. Von seiner braven, ihm aber nicht eben als Autorität gegenüber stehenden Mutter erbte er die Lust an derber Komik – eine charakteristische Salzburger Eigenschaft, die ihm sein Lebenlang zu eigen blieb.

Von frühan setzte er seine Ehre darein, nur vor »großen Musikkennern« zu spielen. Voll Lerneifers und Feuers gab er sich Allem, was er that, ganz hin. Das Rechnen z.B. trieb er mit so viel Leidenschaft, daß er Wände, Tische und Sessel mit Ziffern beschrieb. »Ich denke«, sagt Schachtner, »daß er im Ermangelungsfalle einer so vortheilhaft guten Erziehung, wie er hatte, der ruchloseste Bösewicht hätte werden können, so empfänglich war er für jeden Reiz, dessen Güte oder Schädlichkeit er zu prüfen noch nicht im Stande war.« Und diese schnelle, gläubige Hingabe an Menschen und Dinge haftete ihm dauernd an. Welt- und Menschenkenntniß blieben ihm, dem ganz nur von seiner Kunst Erfüllten, gänzlich fremd. Die Feinheit seines Gehörs, die Sicherheit seines Gedächtnisses war staunenerregend; doch waren seine Nerven dergestalt empfindlich, daß er bis zum zehnten Jahre den Trompetenton nicht ertragen konnte und beim[6] gezwungenen Anhören desselben nahezu in Krämpfe verfiel. Ohne die geringste Anweisung auf der Violine empfangen zu haben, führte er, als man bei seinem Vater einmal einige neue Trios probirte, die zweite Geigenstimme und sodann die erste zur Ueberraschung der Anwesenden aus. Es währte nicht lange, so machte er sich auch auf der Orgel spielend heimisch. »Was man ihm lehren wollte, das war seinem Geiste schon wie bekannt und er schien sich nur darauf zu besinnen«, sagt Niemtschek, sein erster Biograph.1 Mit größter Einsicht und Sorgfalt aber leitete der äußerst gewissenhafte Vater auch die Erziehung seiner Kinder, der er neben seinem Amte seine ganze Zeit widmete, wie er denn in der Ausbildung seines Sohnes »seine höchste Lebensaufgabe« erblickte. So gesellte sich, wie Ferdinand Hiller schreibt, »einer der wunderbarsten Organisationen, welche die Geschichte der Menschheit kennt, eine durch Lehre und Verhältnisse so vollkommene Ausbildung, wie sie sich in der Geschichte der Tonkunst nicht wiederfindet.«

Sechs Jahre war der Knabe alt, als seine und der Schwester außerordentliche Leistungen – denn auch Nannerl war merkwürdig vorgeschritten – Leopold Mozart bewogen, einen ersten Weltflug mit Beiden zu wagen. Das nächste Ziel war München, wo sie mit vielem Beifall vor dem Kurfürsten spielten; dann ging es nach Wien. In Schönbrunn mußten sie sich wieder holt vor der sehr musikalischen kaiserlichen Familie produciren. Besonderes Wohlgefallen bezeigte Kaiser[7] Franz I. an dem »kleinen Hexenmeister«, der, nachdem er seine Künste sogar auf einer mit einem Tuch verdeckten Claviatur zum Besten gegeben, seiner Gemahlin Maria Theresia ohne Umstände auf den Schoß sprang und sie küßte, und mit den Prinzessinnen wie mit seines Gleichen verkehrte. »Sie sind brav, ich will Sie heiraten«, sagte er zur Erzherzogin Maria Antoinette, die ihm, als er einmal auf dem glatten Fußboden ausglitt, freundlich wieder aufhalf, und des nachmaligen Kaiser Joseph Violinspiel kritisirte er mit aller Unbefangenheit, indem er bald ein »Pfui, das war falsch!«, bald ein »Bravo!« dazwischen rief. Neben den berühmtesten Virtuosen mußten sich die Kinder allerwärts in den ersten Kreisen Wiens hören lassen. Machte auch ein bei Wolfgang ausbrechendes Scharlachfieber der Fortsetzung ihrer Erfolge ein schnelles Ende, schon der darauffolgende Sommer (1763) fand sie wieder auf Reisen, diesmal in Süddeutschland, am Rhein, in Brüssel und Paris. Wohin sie kamen, staunte man die Geschwister und zumal den Knaben wie ein Wunder an. Schon traten bei ihm die Virtuosenleistungen auf Clavier, Violine und Orgel, so bedeutend sie waren, hinter den Kundgebungen einer noch umfassenderen musikalischen Begabung zurück. Nicht nur, daß er in Gesellschaften und öffentlichen Concerten italienische und französische Arien nach einem bezifferten Baß oder aus der Partitur fertig vom Blatt begleitete und transponirte, er accompagnirte auch nur nach dem Gehör und schrieb zu einer ihm gegebenen Melodie, ohne des Claviers zu bedürfen, Baß und Mittelstimme, oder zu einem Baß die schönste Melodie hinzu. Vier von ihm componirte Sonaten für Pianoforte und Violine wurden in Paris gestochen und die ersten zwei derselben als opus 1 der Prinzessin Victoire, der zweiten Tochter König Ludwig's XV., gewidmet und in Versailles überreicht,[8] wo man die Kinder mit hoher Gunst empfangen hatte. Als aber die allmächtige Marquise Pompadour der Zärtlichkeit des kleinen Wolfgang, der sie nach seiner zutraulichen Weise umhalsen wollte, wehrte, rief er entrüstet aus: »Wer ist denn die da, daß sie mich nicht küssen will? Hat mich doch die Kaiserin geküßt!«

Weit größer noch war der Erfolg ihres Aufenthaltes in England, der vom April 1764 bis in den Juli 1765 währte. Die Aufnahme bei Hofe, wo ein musiksinniges deutsches Königspaar herrschte, übertraf alle Erwartungen. Die schwierigsten Stücke von Händel und Bach, die König Georg III. ihm vorlegte, spielte Wolfgang ohne Weiteres vom Blatt, und Johann Christian Bach, des großen Sebastian Sohn und der Lehrer und Musikdirector der Königin, hatte die größte Freude an dem kleinen Musiker, dessen geistige Entwickelung in so bewundernswerther Weise fortschritt, daß er, laut dem Zeugniß seines Vaters, mit acht Jahren wußte, »was man von einem Mann von vierzig Jahren fordern kann.« Im Verkehr mit einem tüchtigen italienischen Sänger bildete er, der voll unablässigen Eifers lernte, auch seinen Gesang aus, sodaß er mit zwar schwacher Stimme, »doch mit eben so viel Geschmack als Gefühl sang« und sangbar und dankbar auch für die Stimme schreiben lernte. »So früh«, sagt Jahn in seiner im Vorliegenden vorzugsweise benutzten Mozart-Biographie2, »kam er in den Besitz der wesentlichen Voraussetzungen eines großen Componisten, daß ihm das wie zu einem natürlichen Instinct wurde, was gewöhnlich erst in reiferen Jahren die Frucht mühevoller Arbeit ist.« Erspart freilich blieb ihm die Arbeit eben so wenig als Anderen, ja, er selbst sagt, man irre sich, wenn man glaube, daß ihm seine Kunst so leicht[9] geworden sei; Niemand habe wol mehr Mühe auf das Studium der Composition verwandt. Der strenge Vater gewöhnte ihn eben von frühan an pflichttreue Erfüllung seiner Aufgaben, und sein natürlicher Fleiß, seine Selbstvergessenheit, wenn er sich mit Musik beschäftigte, war so groß, daß man ihn oft ernstlich vom Clavier wegtreiben mußte. Fand ihn doch bis an sein Ende immer die späte Nacht noch am Pianoforte, wo er sich in den wunderbarsten Phantasien erging, wie er denn auch zu diesen Stunden am liebsten componirte. So war er auch in London nicht müßig. Hier schrieb er für die von ihnen veranstalteten äußerst erfolgreichen Concerte seine ersten Symphonien; auch veröffentlichte er wiederum sechs Sonaten für Clavier mit Violine oder Flöte, die der Königin gewidmet wurden. Ueber Holland, wo beide Kinder lebensgefährlich erkrankten, Frankreich und die Schweiz kehrten sie endlich im Herbst 1766 nach dreijähriger Abwesenheit, mit Ruhm und Ehren bedeckt, zu denen sich auch ein beträchtlicher materieller Gewinn gesellte, in die Heimat zurück.

Nicht lange aber saßen sie daselbst still. Noch bevor ein Jahr verging, das Wolfgang zu emsigen Compositionsstudien benutzte, – in jene Zeit fallen seine ersten Vocalwerke: ein vierstimmiges Kyrie, mehrere Oratorien und die »lateinische ComödieApollo et Hyacinthus«, die neben merkwürdiger Formensicherheit schon das Streben nach dramatischer Charakteristik bekunden – waren sie wieder in Wien. Diesmal jedoch erwies sich ihnen das Glück nicht hold. Die Hoffnung Leopold Mozart's, gelegentlich der Vermählungsfeier einer Erzherzogin seinen Sohn einem besonders glänzenden Publicum vorzuführen, ward durch den Ausbruch der Blattern, von denen auch beide Kinder befallen wurden, vereitelt. Sodann verhielt sich das Publicum, das sich ehemals für[10] die Virtuosität des Wunderkindes begeistert hatte, der Entwickelung des Künstlers gegenüber ziemlich gleichgültig, während Neid und Intrigue der Kunstgenossen um so geschäftiger waren, ihm den Erfolg zu verkümmern und selbst die Aufführung einer ersten Oper: La finta semplice, die Wolfgang im Auftrag Kaiser Joseph's componirte, siegreich hintertrieben. Alles, was die Familie nach einjährigem kostspieligen Aufenthalt in Wien erreicht hatte, war die Aufführung einer kleinen deutschen Operette Wolfgang's, Namens »Bastien und Bastienne«, im Privatkreise und seine Direction einer zur Einweihung der Waisenhauskirche von ihm geschriebenen Messe, wobei der zwölfjährige Knabe in Gegenwart des Hofes den Tactstock schwang.

Italien, die Heimat der Musik und zu jener Zeit das gelobte Land der Sänger und Componisten, war jetzt das Ziel, dem Leopold Mozart zustrebte. Wie fast alle namhaften deutschen Tonkünstler des vorigen Jahrhunderts – Allen voran Händel und Gluck – sich dort ihre letzte Vollendung und ihre ersten Lorbeeren erwarben, so sollte auch sein Sohn sich daselbst zwar nicht seine Schulbildung – denn die hatte er im Hause bereits empfangen – aber seine künstlerische Weltbildung und seinem Ruhm erhöhten Glanz gewinnen. Da, wo die ersten und berühmtesten Sänger in der Kirche wie auf der Opernbühne herrschten, genügte ja ein einziger Sieg, um dem Musiker das ganze gebildete Europa zu erschließen. Der Knabe, der jetzt gen Italien zog und sich allmälig die Welt eroberte, ahnte freilich nicht, daß seine Römerfahrt im Sinne der vorausgegangenen Meister die letzte war und daß es ihm vorbehalten blieb, nicht allein das höchste Ziel der italienischen Oper zu erreichen, sondern die Schranken der Nationalität zu durchbrechen und, italienischer Formvollendung französische[11] Dramatik und deutsche Tiefe verbindend, mit allen Stilen frei schaltend, die deutsche Oper, oder vielmehr die universale classische Oper zu gestalten.

Gegen Ende des Jahres 1769 machten Vater und Sohn sich auf die Reise, diesmal die Frauen daheim zurück lassend. Unbegrenzte Bewunderung brachte man allerwärts dem frühreifen Genius entgegen; man drängte sich in Scharen herbei, um ihn zu sehen und zu hören, und die Dichter besangen um die Wette dies »Wunderwerk der Natur«, das sich als Clavier- und Orgelspieler, als Violinist und Sänger, als Improvisator und Componist mit gleichem Erfolge hören ließ und bei alledem keinerlei überreizte, sondern eine durchaus gesunde, ihm naturgemäße Entwickelung offenbarte. Hatte sich doch auch der Knabe bei Allem, was nicht Musik war, jenen kindlich harmlosen, zu Scherzen und Späßen allezeit aufgelegten Sinn bewahrt, der selbst den Mann noch charakterisirte und mit voller Lebensunmittelbarkeit aus seinen uns erhaltenen Briefen3 spricht.

In Mailand trug er den hochwillkommenen Auftrag davon, zur nächsten Saison für das übliche Honorar von hundert Ducaten (auch »Figaro« und »Don Juan« wurden ihm später nicht höher gelohnt) und freie Wohnung eine Oper zu componiren. Auch in Bologna, Rom und Neapel machte man ihm weiterhin ähnliche Anerbieten, die aber in Rücksicht auf die übernommene Arbeit zurückgewiesen werden mußten. In Bologna lernte er nicht nur Padre Martini, den berühmtesten Musikgelehrten jener Zeit, der ihn einer schwierigen, glänzend bestandenen Prüfung unterzog, sondern auch[12] den größten Sänger seines Jahrhunderts, Carlo Broschi, Farinelli genannt, kennen und nahm, obwol die absolute Herrschaft der Sänger mit ihrer absoluten Kunst dazumal bereits im Abnehmen war, noch den Eindruck jener Größen der Gesangskunst in sich auf, was für ihn von nachhaltiger Bedeutung war.

Den wärmsten Empfang bereitete man ihnen an den Höfen zu Florenz und Neapel, wie seitens der vornehmen römischen Gesellschaft. Je tiefer sie hineinkämen nach Italien, um so lebhafter werde die Bewunderung, meinte Leopold Mozart. In zahllosen Privatkreisen und Akademien mußte der Knabe sich anstaunen lassen. In Neapel schrieb man, als Wolfgang im Conservatorio alla pietà spielte, die Fertigkeit seiner linken Hand allen Ernstes dem Zauber eines Ringes zu, den er am Finger trug. Er mußte ihn erst ablegen, um die Zuhörer von der Natürlichkeit seiner Wunderkraft zu überzeugen.

Viel machte eine künstlerische That, die er in Rom vollbrachte, von sich reden. Um die weltberühmten Gesänge und namentlich Allegri's Miserere, über deren Alleinbesitz der heilige Stuhl mit aller Strenge wachte, in der Sixtinischen Capelle zu hören, waren sie in der Charwoche daselbst eingetroffen. »Du weißt«, schreibt Leopold Mozart seiner Frau, »daß das hiesige berühmte Miserere so hoch geachtet ist, daß den Musicis der Capelle unter der Excommunication verboten ist, eine Stimme davon aus der Capelle wegzutragen, zu copiren oder Jemandem zu geben. Allein wir haben es schon. Wolfgang hat es aufgeschrieben. Wir wollen es indessen auch nicht in andere Hände lassen, dieses Geheimniß, ut non incurramus mediate vel immediate in censuram ecclesiae (damit wir weder mittelbar noch unmittelbar der Kirchencensur verfallen).« Einmaliges Hören hatte[13] dem vierzehnjährigen Knaben genügt, dies complicirte Werk aus dem Gedächtnisse niederzuschreiben!

Die gehoffte Anerkennung des jugendlichen Genius blieb auch in Rom nicht aus. Der heilige Vater selber, Clemens XIV., der große Ganganelli, überreichte ihm in einer Audienz das Ordenskreuz vom goldenen Sporn, das schon Gluck zum Ritter erhoben hatte. »Du kannst Dir einbilden, wie ich lache, wenn ich allezeit zu ihm Signore cavaliere sagen höre«, schreibt der Vater, und Wolfgang selbst schlug die ihm widerfahrene Ehre nicht sonderlich hoch an; doch wußten sie gelegentlich aus derselben Vortheil zu ziehen. Dazu kam in Bologna eine neue Würde: Wolfgang's Ernennung zum Mitglied der accademia filarmonica – eine Auszeichnung, die man nur vorzüglichen Componisten angedeihen ließ. Die erforderliche Prüfungsarbeit, zu der Andere viele Stunden brauchten, hatte er in einer halben Stunde fertig gebracht.

Und nun ging es nach Mailand zur Vollendung und Aufführung der ihm übertragenen Opera seria: Mitridate, rè di Ponto. Die Recitative waren bereits begonnen; die Arien und spärlichen Ensembles aber pflegte man erst nach Uebereinkunft mit den Sängern und Sängerinnen, deren individuellen Mitteln und Kräften sie völlig »auf den Leib gemessen« werden mußten, zu schreiben. Die schwelgerische Luft der Italiener am bel canto hatte ja das Hauptgewicht der Oper auf diesen statt auf den dramatischen Vorgang gelegt, und mehr als die Composition, die vielfach nichts Anderes als ein lose zusammengeschürztes Arienbündel war, galt dem Publicum die virtuosenhafte Ausführung. In der Hand des Sängers lagen Erfolg oder Niederlage des Componisten; – was war natürlicher, als daß Letzterer dem Ersten zu gefallen und zu schmeicheln[14] strebte und die künstlerische Production in eine verkehrte Abhängigkeit vom Virtuosenthum gerieth?

Dem vierzehnjährigen Knaben konnte es selbstredend nicht wie einem Händel und Gluck in den Sinn kommen, gegen die bestehenden Verhältnisse anzukämpfen und den Sängern die hergebrachten Concessionen schuldig zu bleiben. Er wußte sie sich trotz der nicht ausbleibenden Cabalen geneigt zu machen, und bei der von ihm geleiteten ersten Aufführung am 26. December 1770 ging die Oper »alle stelle«. Zwanzigmal mußte sie mit immer gleichem Beifall wiederholt werden und die Kritik bestätigte: »Der jugendliche, kaum fünfzehnjährige Capellmeister studirt das Schöne in der Natur und giebt es mit der seltensten musikalischen Grazie geschmückt wieder.«

Das überzeugendste Resultat des erfochtenen Sieges aber war zunächst ein neues, noch einträglicheres Mailänder Opernengagement für den Carneval 1773, zu dem noch ein Oratorien-Auftrag für Padua, sowie gleich nach Mozart's Rückkehr nach Salzburg die Bestellung einer Serenata, d.i. eines musikalischen Festspiels, zur Vermählung des Erzherzog Ferdinand mit der Tochter des Erbprinzen von Modena in Mailand für den October 1771 hinzukam. So war ihres Bleibens in der Heimat, wo Wolfgang nun auch Concertmeisterwürden trug, kurz genug. Als sie vor Ablauf des August bereits wieder in Mailand eintrafen, war das zu componirende Textbuch noch nicht einmal angelangt. Man rechnete eben damals darauf, daß dem Tonsetzer seine Kunst jederzeit schnellfertig zu Gebote stand. Sicher auch durfte der junge cavaliere filarmonico – so nannte man Mozart in Italien – seiner Fertigkeit vertrauen; denn so geläufig war ihm bereits die musikalische Technik, daß er zu der erworbenen formalen Vollendung nur[15] noch einer Verinnerlichung seiner Phantasie, einer Vertiefung des Gedanken- und Gefühlsgehaltes bedurfte, wie sie ihm eben die wachsende Reise allein bringen konnte. Gleichwol spendete er in früher Jugend schon den Werken zeitgenössischer Meister so Ebenbürtiges, ja Ueberlegenes, daß seine Serenade »Ascanio in Alba«, die er so eilig auf das Papier warf, daß ihn die Finger schmerzten, der zur gleichen Gelegenheit aufgeführten großen Festoper eine empfindliche Niederlage bereitete. Und doch hatten sich bei Schaffen derselben keine Geringeren als Metastasio und Hasse, die als Dichter und Componist den Höhepunkt der derzeitigen italienischen Oper bezeichneten, vereinigt. Voll neidloser Einsicht erkannte Hasse selber, der, wie selten Einer, sein Lebenlang die Bühne beherrscht hatte, die künftige Größe seines glücklichen Rivalen und prophezeite: »Dieser Knabe wird uns Alle vergessen machen!«

Im December waren die Mozart's wieder daheim. Bald darauf veränderten sich die Verhältnisse daselbst in unerwünschter Weise. Erzbischof Sigismund starb und an seine Stelle trat der schon bei seiner Wahl von allgemeinem Staunen und Schrecken begrüßte Hieronymus, der in Mozart's Leben ein traurige Rolle spielen sollte. Die Composition der Festoper zur Huldigungsfeier: »Il sogno di Scipione«, ward von Wolfgang ausgeführt, der ohnedies in seiner Eigenschaft als erzbischöflicher Concertmeister die Musik für den Hof und den Dom zu schreiben hatte, wie denn auch im Laufe der nächsten Monate nicht weniger als acht Symphonien und eine Reihe Kirchenstücke entstanden.

Die äußerst erfolgreiche Aufführung der in und für Mailand componirten Oper Lucio Silla, sowie eine spätere Wiener Reise unterbrachen von Neuem den Salzburger Aufenthalt. Die Hoffnung jedoch, die[16] Leopold Mozart daran geknüpft hatte: daß sich hier oder dort eine Anstellung für seinen Sohn darbieten solle, verwirklichte sich nicht. Nichtsdestoweniger empfand er mit aller Bestimmtheit, daß Wolfgang unter den obwaltenden Umständen und dem neuen Regiment nicht gedeihen konnte. Die engen Verhältnisse, der mangelnde geistige Verkehr, die karge Besoldung, die drückende Abhängigkeit von einem ungeliebten, tyrannischen Herrn – Mängel, für die ihnen auch die schönste Natur und das einträchtigste Familienleben keine genügende Entschädigung bot – verleideten ihnen Beiden das Leben in der Heimat. Selbst der auswärtigen Thätigkeit seines Concertmeisters setzte die Mißgunst des Erzbischofs engste Grenzen. Die Oper »Silla« blieb die letzte, die er für Italien schrieb; der Annahme fernerer Anträge machte die Urlaubsverweigerung des schlimmen Hieronymus einfach ein Ende. Nur bei einem Münchener Engagement hatte er, in Folge seiner nahen Beziehungen zum kurfürstlichen Hofe, seine Erlaubniß nicht versagen können, und so durfte Mozart am 13. Januar 1775 seineOpera buffa: »La finta giardiniera« (sie wurde unter dem Titel: »Die verstellte Gärtnerin« später für die deutsche Bühne bearbeitet) in der bayrischen Residenz zur Aufführung bringen. Sie fiel, umsomehr als ihm vortreffliche Sänger zu Gebote standen, glänzend genug aus, und im Gegensatz zu dem Orte seiner ständigen Wirksamkeit, wo man ihm gegenüber mit Gunst und Anerkennung geizte, sah er sich hier von Hof und Publicum mit Beifall und Ehrenbezeigungen überschüttet. Man meinte nie eine schönere Musik gehört zu haben, und in der That zeigte sich dieselbe an erfinderischer Kraft und lebendiger Charakteristik wie an formaler Behandlung nicht allein seinen eigenen bisherigen Bühnenarbeiten, sondern auch den besten gleichzeitigen komischen Opern überhaupt weitaus überlegen.[17]

Für eine Festoper: Il rè pastore, welche die Anwesenheit des Erzherzogs Maximilian, des jüngsten Sohnes Maria Theresia's und nachmaligen Kurfürsten von Cöln, feierte, ward Mozart's Talent noch im selben Jahre auch vom erzbischöflichen Hofe in Anspruch genommen, ohne daß dieselbe, in der für derartige Zwecke damals beliebten concertmäßigen Weise gehalten, über die Bedeutung einer Gelegenheitsmusik hinausging. Im Uebrigen schuf Wolfgang für den höfischen Gebrauch eine große Anzahl Messen und Kirchenstücke, Symphonien, Serenaden, Cassationen, Concerte und Kammercompositionen, die sämmtlich nach Umfang und Verwendung der Mittel den örtlichen Verhältnissen angepaßt waren. In all diesen Musikgattungen, ebenso wie in der Oper, bereits fertig ausgebildete Formen vorfindend, bethätigte er sich trotz der ihn einengenden Schranken in denselben durch Werke, die hinter denen Joseph Haydn's, seines größten Zeitgenossen, nicht zurückstehen; wie ihn denn später der Flug seines Genius noch höher als Jenen trug. Erscheinen auch seine vielgetadelten Messen, die mehr ein festlich glänzendes, ja theatralisches, als ein ernst kirchliches Gepräge tragen und selbst in seiner edelsten That auf diesem Gebiete, derF-dur-Messe, mehr sinnliche Klangschöne als tiefe Erfassung des Textes bekunden, viel mehr den conventionellen Ansprüchen jener Zeit denn unsern gegenwärtigen religiösen Bedürfnissen angemessen – wer sagt, ob Mozart, hätte er sich innerhalb freierer, ungehemmterer Verhältnisse entwickeln dürfen, nicht auch in dieser Richtung Größeres, Eigenthümlicheres hervorgebracht haben würde? Von früh an durch seinen streng religiösen Vater zu einem guten Katholiken erzogen, für kirchliche Eindrücke empfänglich, ja selbst – wie dies aus seinem späteren Gesuch um die Adjunctenstelle an der Wiener Stephanskirche hervorgeht –[18] an seinen Beruf zum Kirchencomponisten glaubend, hätte er sich dann wol auch nach dieser Seite hin selbsteigenste Wege eröffnet. Eigenen Impulsen aber folgte die Kunst jener Tage nur selten, und von allen Messen Mozart's ward beispielsweise nur eine einzige (die unvollendete in C-moll) auf freien Antrieb, ohne äußeren Anlaß von ihm geschrieben. In engster Abhängigkeit vom Leben stand die Musik. Sie diente bestimmten Mitteln und Zwecken, ward um dieser oder jener Veranlassung willen – selten um ihrer selbst willen – herbeigerufen. Nicht der inneren Neigung, sondern dem von Außen kommenden Auftrage gehorchte die Wahl des Künstlers, was unvermeidlich die Gefahren eines handwerksmäßigen Betriebes, einer übermäßigen Nachgiebigkeit gegen äußere Rücksichten nach sich zog. Vor der einen ward Mozart durch die lebendige Kraft seiner genialen Natur bewahrt; der anderen aber konnte er sich, seiner abhängigen Lage zufolge, nicht genügend erwehren. Auf das Drückendste empfand er die Enge der ihn umgebenden Schranken. Die Art seiner Collegen, der »Hofmusicis« (unter ihnen auch Michael Haydn, des großen Joseph Bruder), die er als »grob, lumpenhaft und liederlich« bezeichnet, befriedigte ihn eben so wenig als die ganze Weise des Musikbetriebes. »Ich lebe hier«, schreibt er 1776 an Padre Martini, »an einem Ort, wo die Musik wenig Glück macht. Mit dem Theater sind wir aus Mangel an Sängern übel daran; denn Freigebigkeit ist nicht unser Fehler.« Er hatte ein Recht zu dieser letzteren Bemerkung; denn seine Concertmeisterdienste als Virtuos, Orchesterspieler und Componist lohnte ihm Hieronymus mit jährlich 150 Gulden. Dabei nahm er jede Gelegenheit wahr, ihn und seinen Vater seine Geringschätzung empfinden zu lassen; ja er sagte ihm, dem Akademiker von Bologna und Verona,[19] dessen Ruhm weltläufig geworden, geradezu, daß er nichts von seiner Kunst verstehe und erst nach Neapel ins Conservatorium gehen müsse, um etwas zu lernen! Bei seinem freimüthig offenen, sarkastischen Wesen blieb dem Jüngling keine Hoffnung auf eine Verbesserung seiner Lage in seiner Vaterstadt. Was Wunder, wenn es ihn so unaufhaltsam hinaus in's Weite trieb, daß, nachdem ein Urlaubsgesuch zu einer Kunstreise im Jahre 1777 von ihm und seinem Vater seitens des Erzbischofs rund abgeschlagen worden war, er schnell entschlossen um seinen Abschied bat? Er brauchte nicht lange auf seine Entlassung zu warten; sie ward ihm in den ungnädigsten Ausdrücken zu Theil. Nun war er frei! Da ihn der Vater nicht begleiten konnte, ihm aber der Sinn und Blick für das Praktische gänzlich gebrach, indeß seine arglose Gutherzigkeit, seine witzige Zunge und jähe Hitze ihm oft schlimme Streiche spielten, ward ihm die Mutter zur Reisegefährtin bestimmt. Schwere Opfer freilich mußte sich Leopold Mozart auferlegen, um die für nothwendig erkannte Reise zu ermöglichen. Doch unbedenklich brachte er sie dem geliebten Sohne und seinem »superieuren Talente« dar. Der nun zum Mann Gereifte mußte hinaus, um im Kampfe um's Dasein Freiheit und Selbständigkeit zu bewähren. Was ihm die Schule nach allen Richtungen zu lehren vermochte, das hatte er nicht nur als ausübender und schaffender Künstler, sondern auch an Sprach- und gemeinnützigen Kenntnissen in sich aufgenommen – nun konnte allein das Leben ihn als Meister und Menschen weiter bilden.

Glücklich im Gefühle der endlich errungenen Freiheit begab sich Wolfgang mit der Mutter im September 1777 auf die Reise. Ihr eigentliches Ziel war Paris; doch wurden auf dem Wege dahin in München und mehr[20] noch in Mannheim, wo Mozart eine Anstellung oder mindestens ein Opernengagement zu erlangen hoffte, längere Stationen gemacht. Besonders anziehend mußte der letztgenannte Ort für ihn sein, der unter der kunstsinnigen Regierung Carl Theodor's von der Pfalz für »das Paradies der Tonkünstler« galt. Instrumental- und Opernkräfte standen daselbst auf der vollen Höhe der Zeit. Insbesondere aber mußten des Kurfürsten Bestrebungen für eine deutsch-nationale Singspielbühne in dem jungen Meister den Wunsch erwecken, dieser seine Kraft weihen zu dürfen. Mit aller Macht drängte es ihn zur Bethätigung derselben. »Ich darf nur von einer Oper reden hören, so bin ich schon ganz außer mir«, heißt es in einem Briefe an den Vater. Auch auf Wien, wo Joseph II. zu jener Zeit mit ähnlichen Ideen umging, richtete sich sein Blick; sein Hoffen aber schlug hier wie dort fehl, und so sehr er sich mit seinen Leistungen bei Hofe wie im Kreise seiner Kunstgenossen bewundert sah, ja, obwol man es selbst an Eröffnung von Aussichten nicht fehlen ließ, mußte er nach einem langen, über viele Monate ausgedehnten Aufenthalt unverrichteter Sache weiter ziehen.

Sein Herz freilich blieb in Mannheim zurück. An Aloysia Weber, eine fünfzehnjährige aufblühende Schönheit, die ihn als Sängerin entzückte und als Schülerin in nahe Berührung mit ihm trat, hatte er es verloren. Gern hätte er um ihretwillen, deren später berühmt gewordenes Talent durch seinen Einfluß zuerst zur Entfaltung und Anerkennung kam und der er in der wunderschönen Arie »Non sò donde viene« eine unvergängliche Huldigung darbrachte, all' seine bisherigen Pläne aufgegeben. Die Liebe zu ihr und das Mitgefühl für ihre Familie, die bei dem kümmerlichen Einkommen des Vaters als Theatercopist und Souffleur (er war ein[21] Bruder von C.M. von Weber's Vater und durch seine Leidenschaft für die Bühne derart herabgekommen) in beschränktesten Verhältnissen lebte, gab ihm den Gedanken ein, mit Weber's nach Italien zu gehen und dort Opern zu schreiben, in denen Aloysia als Primadonna auftreten sollte. Der Vater aber, der unverrückt das eine Ziel im Auge behielt und das leichtentzündliche Herz Wolfgang's kannte, mahnte ihn streng an seine Pflicht. »Es kommt jetzt ganz allein auf Dich an«, schreibt er ihm, »in eins der größten Ansehen, die jemals ein Tonkünstler erreicht hat, Dich nach und nach zu erheben. Das bist Du Deinem von dem gütigsten Gott erhaltenen außerordentlichen Talent schuldig und es kommt nur auf Deine Vernunft und Lebensart an, ob Du als ein gemeiner Tonkünstler, auf den die Welt vergißt, oder als ein berühmter Capellmeister, von dem die Nachwelt auch noch in Büchern lieset, – ob Du von einem Weibsbild etwa eingeschläfert mit einer Stube voll nothleidender Kinder auf einem Strohsack, oder nach einem christlich hingebrachten Leben mit Vergnügen, Ehre und Reichthum, mit Allem für Deine Familie wohl versehen, bei aller Welt in Ansehen sterben willst? ... Fort mit Dir nach Paris und das bald! Setze Dich großen Leuten an die Seite – aut Caesar aut nihil!«

Mozart gehorchte dem Vater, ob auch schweren Herzens. Binnen Kurzem (im März 1778) war er in Paris. Aber auch hier begegnete ihm nicht viel Anderes als Enttäuschungen. Das allgemeine Interesse daselbst ward durch den Kampf der italienischen und der durch Gluck reformirten französischen Oper, der Piccinisten und Gluckisten, der sich eben in erbitterter Weise abspielte, in Anspruch genommen. Mozart schlug sich zu keiner der Parteien. Seine Sympathien aber gehörten – wie begreiflich bei dem absoluten Musiker und ersten Melodisten[22] der Welt – zunächst den Italienern und allmälig nur nahm er den Einfluß der ernsten Gluck'schen, auf das Dramatische gerichteten Bestrebungen auf, der aus seinen späteren Bühnenthaten spricht. Dies blieb indessen auch das weitaus wichtigste Resultat des Pariser Aufenthaltes. Neid und Intrigue machten ihm auch hier wieder zu schaffen. Die Empfehlungen des Encyclopädisten Grimm, der ihm und den Seinen früher nützlich gewesen war und auf den sein Vater große Hoffnungen gesetzt hatte, wollten diesmal nicht verfangen. Grimm selbst schreibt an Leopold Mozart, sein Sohn sei zu treuherzig, zu wenig activ, zu leicht zu gewinnen, zu unerfahren in den zweckdienlichen Mitteln, um in Paris zu reussiren. Nichts wollte ihm glücken. Am schmerzlichsten traf ihn der Tod der Mutter, die er in der fremden Stadt begraben mußte. Aber auch die ihm bereits eröffneten Opernaussichten scheiterten. Er sah sich wie anderwärts wiederum auf Musikstunden angewiesen. Und das Unterrichten war »ganz wider sein Genie.« »Zu der Arbeit«, sagt er, »bin ich nicht geboren.« Die einzige Gelegenheit, sich als Componist geltend zu machen, war die sehr beifällig aufgenommene Aufführung einer neuen (der sogenannten französischen) Symphonie in dem Concert spirituel und die Herausgabe einiger Sonaten für Clavier und Violine. Endlich kam er mit dem Vater überein, nach Salzburg zurückzukehren. Man bot ihm, seine Wiederkehr wünschend, bei beliebigem Urlaub einen höheren Sold und machte ihm mit Uebertragen des Hoforganistenamtes Aussicht auf eine Capellmeisterstelle und auf das Engagement Aloysia's für die erzbischöfliche Oper. Das wirkte. Er schlug, wenn auch zögernd, ein. Gleich darauf erreichte ihn freilich die Kunde, daß die Geliebte inzwischen in München als Opernsängerin gewonnen worden war.[23] Sein Opfer war umsonst – doch der Vater duldete kein Zurücktreten. Er hielt ihn beim Worte. So trat er bekümmert im September die Heimreise an. Er beeilte sie nicht; erst nach längeren Unterbrechungen in Straßburg, Mannheim und München langte er im Januar 1779 in Salzburg an. Zu all den Enttäuschungen, die er auf seiner mit so vielen Hoffnungen begonnenen Reise erfahren, hatte ihn in München die schwerste getroffen: Aloysia hatte ihm nicht Treue bewahrt.

Die alten, ihm von sonst verhaßten Verhältnisse fand er unverändert vor. »Wenn ich in Salzburg spiele oder von meinen Compositionen was aufgeführt wird, so ist's als wenn lauter Tische und Sesseln die Zuhörer wären«, äußert er dem Vater gegenüber. Selbst die Arbeit erfreut ihn nicht, »weil sein Gemüth nicht vergnügt war.« Denn »wenn man seine jungen Jahre so in einem Bettelort in Unthätigkeit verschlänzt, ist es traurig genug und auch Verlust.« Gleichwol war er jetzt eben so wenig als zu irgend einer Zeit seines Lebens müßig. Symphonien, ein Concert für zwei Claviere, eine vierhändige Sonate, Orgelsonaten, mehrere Messen und Vespern, die Musik zum Drama »König Thamos«, die er auf Veranlassung des damaligen Salzburger Theaterdirectors Schikaneder – des späteren Verfassers vom Textbuche zur Zauberflöte – schrieb und deren Chöre er mit Unterlegung eines anderen Textesweiterhin als »Hymnen« bekannt machte, sowie eine deutsche, nicht ganz vollendete Operette »Zaïde« fallen in jene Zeit. Nach größeren Aufgaben aber verlangte ihn, um seine in unausgesetzter vielseitigster Uebung erstarkte Kraft zu bewähren. Da kam ihm die Einladung zur Composition einer großen Oper für den Carneval 1781 in München und mit ihr die ersehnte Befreiung aus der heimischen Enge. Der nun entstehende »Idomeneo« sollte jene Reihe musikalischdramatischer[24] Meisterwerke eröffnen, in denen sich der nun vollgereifte Genius Mozart's bezeugte: er war seine erste monumentale That.

Was Mozart von der Oper der Franzosen und von Gluck erlernt, das ward ihm jetzt fruchtbar. Nicht wie Jener auf eine Reform des musikalischen Dramas auf Grundlage der Poesie zwar zielte er hinaus. Dazu war sein Genius zu unpolemischer und unreflectirender, vor Allem zu ausschließlich musikalischer Natur. Aber er sucht der ernsten, auf dramatische Wahrheit gerichteten Größe Gluck's die schöne Sinnlichkeit, den Melodienfluß und Coloraturenglanz der Italiener zu vereinen und gießt den Zauber seiner eigenen, in Wohllautfülle schwelgenden Individualität über das Ganze aus. Erreicht wird freilich eine einheitliche Verschmelzung der Vorzüge beider Opernstile hier noch nicht. Denn wenn auch die gesteigerte Charakteristik, die belebtere Handlung, die häufigere Verwendung von Chören und Ensembles, die reichere Abwechselung durch pantomimische Tänze und Ballets, Märsche und Aufzüge, die Behandlung des Recitativs auf das französische Vorbild hinweisen: für die gesammte Anlage des Werkes, das Abgeschlossene der Situationen und Einzelformen, die Fassung der in ihrer Ueberzahl dominirenden Arien und die in ihnen beobachtete Rücksichtnahme auf die Sänger, für die uns heutzutage unnatürlich genug erscheinende Gruppirung der Stimmen (welche einem Tenor drei Soprane, darunter die Castratenpartie des Idamante, gegenüberstellt) waren vielmehr die traditionellen Satzungen der alten Opera seria maßgebend. Wie begreiflich, da zu jener Zeit die italienische Musik in der Kirche wie auf der Bühne die weltbeherrschende war und auch in Deutschland, wenigstens in Süddeutschland – denn die deutsche Oper Keiser's wie die Kirchenmusik der Bach's blieb auf Nord- und Mitteldeutschland[25] beschränkt – keine nationale Kunst in Gegensatz zu ihr trat! War doch die musikalische Atmosphäre, in der Mozart emporwuchs, so durchaus italienisch, daß er das Wesen der italienischen Musik als das Wesen der Musik überhaupt begriff. Wie er, der spätere Schöpfer der deutschen Nationaloper, aber die italienische zur Höhe ihrer Entwickelung führte, so setzte er dieser Letzteren in ihrer universalen Bedeutung mit dem »Idomeneo« ein Ziel. Fortan behielt sie nur noch nationale Geltung.

Es wird erzählt, daß Mozart selbst neben dem »Don Juan« den »Idomeneo« unter seinen Opern am höchsten gehalten habe. Auch nahm derselbe in der Schätzung der Kenner allezeit einen hohen Rang ein, mochten auch seine älteren und neuesten Wiederbelebungsversuche auf der Bühne nicht von dauerndem Erfolge sein. Das steife, dem verblaßten Genre der alten mythologischen Heroenoper angehörende Textbuch, das der Salzburger Abbate Varesco nach einer französischen Tragödie für Mozart zustutzte, beraubt auch die noch jung gebliebene Musik vielfältig ihrer Wirkung. Nichtsdestoweniger gehören die Arien der Ilia – deren zweite an Tamino's Bildniß-Arie aus der Zauberflöte vernehmlich anklingt –, die große Schlußscene mit dem Sturm, mit den frappanten Harmoniewechseln und ihrer damals phänomenalen Verwendung von Chor und Orchester, das Quartett, der Gelübde-Chor und die ganze Opferscene zu den schönsten und unvergänglichsten Eingebungen ihres Schöpfers.

Ueber den Erfolg der am 29. Januar 1781 stattfindenden ersten Aufführung fehlen die Berichte; sicherlich jedoch stand er hinter dem der Proben, der an Lebhaftigkeit und Wärme nichts zu wünschen übrig ließ, nicht zurück. Im Künstlerthume wie im Leben Mozart's aber bezeichnet der »Idomeneo« eine entscheidende Wendung. Mit ihm schloß die Salzburger Epoche ab.[26]

Der Erzbischof, der eben des Längeren in Wien verweilte, berief mit dem Hofhaltspersonal auch seinen Concertmeister, mit dem er nur zu gern vor Anderen glänzte, nach der Kaiserstadt. Was konnte diesem erwünschter sein? Freilich mußte er dort harte Demüthigungen erdulden. Hieronymus behandelte ihn völlig wie einen Bedienten und ließ ihn mit Köchen und Kammerdienern an einem Tische speisen; doch wußte der junge Künstler, der bei aller Harmlosigkeit doch seine Würde zu wahren verstand, seine Tafelgenossen durch »die größte Seriosität« von sich fern zu halten. Schwerer noch kränkte es ihn, daß ihm der Erzbischof bei jeder Gelegenheit, sich in anderen aristokratischen Häusern selbständig hören zu lassen, die Erlaubniß verweigerte – und doch konnten sie ihm allein den Weg zum Kaiser bahnen, und er setzte so große Hoffnungen auf eine Begegnung mit Joseph II. Seine Mitwirkung gelegentlich einer Wohlthätigkeits-Academie wurde endlich gestattet, da »die ganze Noblesse Wiens den Erzbischof darum quälte«; die Einwilligung zu einem vielversprechenden eigenen Concerte blieb ihm jedoch hartnäckig versagt. Obendrein wurde ihm, gerade als sich ihm in Wien günstige Aussichten eröffneten, die bevorstehende Rückkehr nach Salzburg angekündigt. Vergebens suchte ihn der Vater zu beschwichtigen. Der Bruch war unausbleiblich, denn Mozart haßte, laut seinen eigenen Worten, den Erzbischof bis zur Raserei. Und nun kam es zu dem entscheidenden Zusammenstoß. Schon einmal hatte ihn Hieronymus »einen Buben, einen liederlichen Kerl« genannt und ihn »weitergehen« heißen, ihn auch aus der von ihm innegehabten Dienstwohnung ausweisen lassen. Er hatte es um des Vaters willen ertragen. Nun er sich aber, da der tyrannische Fürst seine Abreise befohlen hatte, bei ihm sehen ließ, wiederholten sich die Beschimpfungen. Er sei ein »Lump«, herrschte[27] er ihn an, »ein Lausbub, ein Fex, der liederlichste Bursch, der ihn so schlecht wie kein anderer Mensch bediene.« Des Künstlers lang geprüfte Geduld war endlich zu Ende. »Sind also Ew. Hochfürstliche Gnaden nicht zufrieden mit mir?« fragte er. – »Was? Er will mir drohen?« war die Antwort. »Er Fex! dort ist die Thür! Ich will mit einem solchen elenden Buben nichts mehr zu thun haben!« – »Und ich mit Ihnen auch nichts mehr!« – »Also geh Er!« –

Und Mozart nahm ihn beim Worte. Er ging. Der Erzbischof aber wollte den, um dessen Besitz man ihn allgemein beneidete, nicht verlieren. Man verweigerte die Annahme des Entlassungsgesuchs, und als der beleidigte Meister dennoch auf derselben bestand, warf der erzbischöfliche Oberstküchenmeister Graf Arco ihn mit einem Fußtritt zur Thüre hinaus!

Das war das Ende seiner Salzburger Leiden, das an Brutalität seines Gleichen sucht. Die Sclavenketten aber waren wenigstens gebrochen. Jetzt war Mozart frei, ganz frei. Jetzt, meinte er, fange sein Glück erst an. Der Mann mit dem kindlich vertrauenden Herzen, der, ob ihm das Leben auch Enttäuschung über Enttäuschung bereitete, nicht aufhörte an seinen Stern, seinen Genius und die Menschheit zu glauben, blickte voll Zuversicht in die Zukunft, und doch sollte auch sie sein Hoffen trügen!

Ganz unzufrieden mit dem Ausgang der Sache war Wolfgang's Vater. Er unterließ nicht, ihm bitterste Vorwürfe zu machen, ja er forderte sogar die Rückgängigmachung des Abschiedsgesuchs. Doch trotz all seiner kindlichen Liebe verharrte der Sohn bei dem, was seine Ehre erheischte. Zum ersten Male machte er seine theuer erworbene Selbständigkeit geltend und behauptete sie fortan, freilich zum Schaden des innigen Verhältnisses, das ihn bisher mit dem Vater verband und das nun bis zum Ende[28] des Letzteren (1787), wenigstens von Leopold Mozart's Seite, getrübt blieb.

Einen geeigneten Boden, wie er sich ihm für das Gedeihen seiner sonnigen Kunst nirgends günstiger darbieten konnte, fand er in Wien. Das genußfröhliche Leben daselbst, die hohe Bildungsstufe, die entwickelte Musikpflege – viele vornehme Adelshäuser hielten sich eine Privatcapelle oder ein Streichquartett – und insbesondere die Blüte der dramatischen Kunst, der Kaiser Joseph durch Gründung des Nationaltheaters eine würdige Heimstätte bereitet hatte, mußten der Schaffenslust des Musikers die ersprießlichste Nahrung geben. Das willkommenste Feld der Wirksamkeit zudem eröffnete sich ihm in der Nationalsingspielbühne, welche gleichfalls die Schöpfung des großen Kaisers war und mit der er, obwol seine eigenen Sympathien der italienischen Musik zuneigten, an Stelle der aufgehobenen italienischen Oper (1778) sein deutsches Volk beschenkte. Mozart's eifrigstes Trachten ging dahin, mit einem Auftrag für eben diese Bühne betraut zu werden. Er durfte nicht lange darauf warten. Die Annahme seiner »Zaïde« zwar scheiterte am Textbuche derselben; da er sich indeß durch eine im gräflich Thun'schen Hause stattfindende Aufführung des »Idomeneo« die Gunst des Intendanten gewonnen hatte und selbst Joseph's II. Stimme für ihn sprach, übergab man ihm bald ein geeignetes Libretto: »Belmonte und Constanze, oder die Entführung aus dem Serail.«

Die Aufgabe begeisterte ihn dergestalt, daß er gleich nachdem er sie empfangen eine Arie, und zwar die schönste von allen und seineigenes Lieblingsstück: die Tenornummer »O, wie ängstlich« niederschrieb. Drei Wochen später war bereits der erste Act beendet. Doch fast ein volles Jahr verging bis zur Fertigstellung und Aufführung des[29] Werkes. Erst am 12. Juli 1782 erfolgte die Letztere. Mit ihr war Mozart's musikalische Stellung in Wien begründet und zu gleich die erste deutsche Oper geschaffen. Mochten auch die Italiener, Salieri an der Spitze, die ihren eigenen Einfluß und die Macht der welschen Musik gefährdet sahen, allerlei Cabalen in Scene setzen – der Genius siegte. So gespannt die Erwartungen gewesen, das Publicum, dessen Sinn für übersprudelnde Laune und gesunde Komik sich angesprochen fand, zeigte sich entzückt und hingenommen. Nicht enden wollten Beifall und Dacaporufen, und eine Aufführung zog die andere nach sich. »Die Leute, kann ich sagen«, berichtet Mozart nach der dritten, »sind recht närrisch auf diese Oper. Es thut Einem doch wohl, wenn man solchen Beifall erhält.« Auch die Kritik nennt »des Verfassers Geschmack und neue Ideen hinreißend.« Gluck, die erste musikalischdramatische Autorität Wiens, nicht minder Fürst Kaunitz, der allmächtige Staatsmann und seine Kunstkenner, sagten dem Componisten viel Schmeichelhaftes. Dagegen hatte der doch musikgeübte, wenn auch nicht tiefer musikalische Kaiser keinen rechten Begriff von der Bedeutung der Schöpfung, die er erst in's Leben gerufen. Es sei nicht allzuviel daran, äußerte er später einmal über dieselbe, und sein Urtheil gegenüber dem Meister lautete: »Zu schön für unsere Ohren, und gewaltig viel Noten, lieber Mozart!«, worauf der freimüthige Künstler die Erwiderung gab: »Gerade so viel Noten, Ew. Majestät, als nöthig ist.«

Was die »Entführung« von den früheren deutschen Operetten und Singspielen Hiller's und Anderer unterscheidet und sie auf das Niveau der Oper erhebt, sind nicht nur die größeren, breiter ausgeführten Formen an sich – wie er die Arie an Stelle des Liedes setzt – sondern die ihnen innewohnende dramatische Bedeutung: die[30] ungleich gesteigerte Antheilnahme der Musik an der dramatischen Darstellung. Spricht der Meister doch gerade in Bezug auf die »Entführung« seinem Vater gegenüber den Grundsatz aus, daß »bei einer Oper schlechterdings die Poesie der Musik gehorsame Tochter sein müsse.« In allen Stilen und Formen geübt, stets mit sicherer Hand das Rechte treffend, gestaltete er aus dem Geiste seines Volkes heraus ein Kunstwerk, wie dasselbe keins zuvor besessen und wie es für dies Genre bestimmend wurde. Ungeachtet des orientalischen Stoffes und Colorits vernehmen wir, zumal in der Partie des Belmonte, echt deutsche Herzenstöne; die Sprache deutschen Gemüths, deutscher Liebesinnigkeit wird hier zum ersten Male in der Oper laut, und der Tenor, der in der italienischen Oper seiner natürlichen Sphäre ganz entrückt war, wird nun in sein eigentliches Recht eingesetzt. So wurde die Gestalt des Belmonte, der Charakter des deutschen Jünglings, für das deutsche Musikdrama fortan vorbildlich. Nicht minder die originelle Figur des Osmin, die, mit drastischem Humor gezeichnet, ebenfalls Mozart's eigenste Schöpfung ist. Hat auch der Baß-Buffo der Italiener bei ihr Pathe gestanden – man denke nur an die von Mozart aufgenommene komische Wirkung des Parlando-Gesanges – ihre durchgeführte Charakteristik erhebt sie weit über jene charakterlosen Geschöpfe. Erschienen noch im »Idomeneo« die einzelnen Gestalten mehr in Gluck'scher Weise typisch als individualisirt, so haben hier selbst die Nebenfiguren, der Naturbursche Pedrillo und die neckische Zofe Blondchen Athem und Leben. Weniger scharf umrissen ist mit ihrem wuchernden Coloraturenschmuck dagegen die Partie der Constanze. Der Künstler selber sagt, er habe ihre erste Arie »ein wenig der geläufigen Gurgel der Mlle. Cavalieri aufgeopfert«, und noch mehr ist dies mit der großen Arie: »Martern aller Arten« der Fall, die lediglich einem[31] virtuosen Zwecke dient. Um so wahrer und inniger kommt das schwärmerisch sehnsüchtige Empfinden des trauernden Mädchens in der Arie des zweiten Actes: »Traurigkeit« zum Ausdruck.

Die Tiefe und Wahrheit dieses Ausdruckes kann uns nicht Wunder nehmen, wenn wir uns vergegenwärtigen, daß Mozart all' diese Empfindungen an sich selbst erlebte – daß er die »Entführung« als Bräutigam schrieb. Er selber hatte eine Constanze gefunden, deren Besitz er sich nur nach vielen Kämpfen erringen konnte. Es war die jüngere Schwester der einst so heiß von ihm geliebten, jetzt mit dem Schauspieler Lange vermählten Aloysia und wie Jene seine Schülerin in Pianofortespiel und Gesang. Bei ihrer Mutter, die mit Mann und Töchtern nach Wien gezogen war, Ersteren aber bald darauf verlieren mußte, hatte er nach seiner Ausweisung aus dem erzbischöflichen Palais Aufnahme gefunden und mehrere Monate behaglich gewohnt, bis er, dem Drängen seines Vaters nachgebend, sich ein anderes Unterkommen suchte. Aber gerade die Trennung von Constanze im Verein mit der Ungemüthlichkeit seiner häuslichen Existenz brachte ihn zum Bewußtsein seiner Liebe. »Sie ist nicht häßlich«, schildert er sie dem Vater, »aber auch nichts weniger als schön. Ihre ganze Schönheit besteht in zwei kleinen schwarzen Augen und in einem schönen Wachsthum. Sie hat keinen Witz, aber gesunden Menschenverstand genug, um ihre Pflichten als Frau und Mutter erfüllen zu können ... Sie versteht die Hauswirthschaft, hat das beste Herz von der Welt – ich liebe sie und sie liebt mich von Herzen – sagen Sie mir, ob ich mir eine bessere Frau wünschen könnte?«

Der Vater freilich war anderer Meinung. Er wollte vor Allem nicht zugeben, daß Wolfgang sich ohne das Fundament einer sicheren Anstellung – denn er war[32] noch immer auf den zufälligen Ertrag von Musikstunden, Concerten und Compositionen angewiesen – einen Hausstand gründe, zumal er seine unpraktische, aller haushälterischen Talente ermangelnde Art nur zu gut kannte. Was halfen ihm gleichwol seine Einwände? Was nützte es ihm auch, daß er in Constanze's Mutter eine eifrige Bundesgenossin fand? Am Ende setzte der durch den Erfolg seiner Oper ermuthigte Künstler eine zweite »Entführung«, wie er scherzend sagte, in Scene. Eine Freundin und Gönnerin, Baronin Waldstädten, lieh ihm dabei thätigste Hülfe. Sie beseitigte die mannigfachen Hindernisse, verwandte sich beim Vater, schaffte die erforderliche Summe zum Ehecontract, die Befreiung vom kirchlichen Aufgebot herbei, und am 4. August 1782, bevor noch die schließliche Einwilligung aus Salzburg anlangte, waren Mozart und Constanze ein glückliches Paar. Bei Frau von Waldstädten feierten sie ihr Hochzeitsfest. »Als wir zusammen verbunden wurden«, erzählt er selbst, »fing sowol meine Frau als ich an zu weinen; davon wurden Alle, sogar der Priester gerührt und Alle weinten, da sie Zeuge unserer gerührten Herzen waren.« Und wenige Tage später schreibt er: »Wir sind schon eine geraume Zeit ledig allzeit mitsammen sowol in die heilige Messe, als zum Beichten und Communiciren gegangen, und ich habe gefunden, daß ich niemals so kräftig gebetet, so andächtig gebeichtet und communicirt hätte als an ihrer Seite – und so ging es ihr auch. Mit einem Wort, wir sind für einander geschaffen, und Gott, der Alles anordnet und folglich auch dieses Alles also gefügt hat, wird uns nicht verlassen.«

Sie fanden Beide in ihrer Ehe das gehoffte Glück, und Mozart's Briefe sind ein schönes Zeugniß dessen. Entzündete sich sein leicht bewegtes Herz auch einmal[33] vorübergehend an einer oder der anderen Schönheit: er fand doch im Besitze der Gattin volle Genüge, und jeglicher Begründung entbehrt die vielverbreitete Annahme, als habe Mozart das Leben eines Wüstlings und Don Juan's geführt. Ging wiederum Constanze auch wol das Verständniß für seine ganze Größe ab, so war sie doch musikalisch genug, um seine Compositionen mit ihm durchnehmen zu können. Er pflegte dieselben erst im Kopfe völlig auszugestalten und so lange er an ihnen schuf, war er ernst in sich verloren. Das Aufschreiben aber war ihm nur noch eine mechanische Thätigkeit, so daß er während desselben sogar gelegentlich etwas Neues zu componiren vermochte. Kindlich heiteren Sinnes, gleich ihm, mußte Constanze ihm, wenn er seine Arbeiten niederschrieb, Märchen und Kindergeschichten erzählen, die ihn, je possenhafter sie waren, um so mehr ergötzten. So wußte sie, als in der Nacht vor Aufführung des Don Juan noch die Ouverture aufzuschreiben war, ihn durch Märchen von Aladin's Wunderlampe, Aschenbrödel u. dergl., über die er bis zu Thränen lachte, munter zu erhalten. Ernste Sorgen brachte ihm nur Constanze's Kränklichkeit in's Haus. Die Beschränktheit der Mittel, die oft zum Mangel wurde, ja bei dem ihm abgehenden Sparsamkeits- und Ordnungssinn in dieser Beziehung, bei der unglaublichen Unbedachtsamkeit, mit der er sich von Jedwedem ausnutzen und mißbrauchen ließ, endlich zur völligen Zerrüttung ihrer ökonomischen Verhältnisse führte, beeinträchtigte dauernd weder ihre Sorglosigkeit in Führung des Haushalts, noch die Heiterkeit ihrer Stimmung. Bekannt ist ja die Anecdote, daß der Hausmeister eines benachbarten Gasthauses, der sie häufig bediente, Mann und Frau an einem kalten Wintertage in der Stube umhertanzend fand – weil sie kein Holz hatten, um sich zu erwärmen.[34]

Auf eine Sicherstellung seiner äußeren Lage hoffte Mozart von Jahr zu Jahr vergebens. Obgleich ihn der Kaiser schätzte und an seinem Sieg bei einem Wettkampfe mit Clementi seine helle Freude hatte, säumte er doch, ihm, auf dessen Besitz er stolz sein durfte, eine entsprechende Stellung einzuräumen. Bis zum Jahre 1786 mußte der Meister warten, bevor er von Joseph nur einen neuen Auftrag empfing. Inzwischen schuf er Vieles, darunter sehr Bedeutsames, wie das Clavierquintett mit Blasinstrumenten – nach seiner Ansicht das Beste, was er geschrieben –, die Clavierquartette in G-moll und Es-dur und die sechs Meisterquartette, die er Haydn widmete, da er »von ihm gelernt habe, wie man Quartette schreiben müsse.« Ferner die »Maurerische Trauermusik«, die Clavierphantasie in C-moll, in der er schon Beethoven'sche Schwingen entfaltet, die D-dur-Sonate für zwei Claviere und zahlreiche für den eigenen Gebrauch geschriebene Clavierconcerte. Aus den Werken letzterer Gattung ragen diejenigen in D-moll und C-moll (1785 und 1786), sowie das sogenannte Krönungs-Concert in D-dur (1790) hervor. Unter seinen Canons und Liedern, welche Letztere er bei der damaligen geringeren Bedeutung dieses Genres nur nebenher und auf zufällige Anregung schrieb, sind »An Chloe«, »Abendempfindung« und vor allen das sinnige »Veilchen« vorzugsweise zu erwähnen. Die Opere buffe »L'oca del Cairo« und »Lo sposo deluso« wurden 1783 und 1785 begonnen, blieben jedoch unvollendet. Andere Opernpläne, die Mozart beschäftigten, scheiterten. Die deutsche Oper aber, die Dank seiner Thätigkeit einen glorreichen Aufschwung zu nehmen schien, gerieth bald darauf, zufolge unaufhörlicher Intriguen in Verfall. Eine Zeit lang nährte sie sich noch von allerhand elenden Machwerken, denn des Meisters, der ihr zu hohem Ruhm verholfen, schien[35] man sich nicht mehr zu erinnern; – dann verstummte sie völlig, und als man sie später neben der auf Andrängen der Italiener wieder eingeführten Opera buffa von Neuem auferweckte, mußte sie sich mit der Rolle eines Stiefkindes neben jener begnügen. »Jede Nation«, schreibt Mozart, »hat ihre Oper; warum sollen wir Deutsche sie nicht haben? Ist die deutsche Sprache nicht so gut singbar wie die französische und englische? nicht singbarer als die russische?« Und an anderer Stelle äußert er ironisch: »Es wäre ja ein ewiger Schandfleck für Deutschland, wenn wir Deutsche einmal mit Ernst anfingen deutsch zu denken, deutsch zu handeln, deutsch zu reden und gar deutsch zu singen!!!« –

Endlich besann sich der deutsche Kaiser auf den deutschen Künstler und übertrug ihm zur Verherrlichung eines Gartenfestes in Schönbrunn im Februar 1786 die Musik zu einem deutschen Gelegenheitsstück: »Der Schauspieldirector.« Das aller Handlung und allen Interesses bare Sujet beraubte leider auch die Musik der Lebensfähigkeit auf der Bühne, und nicht glücklicher war ein späterer Versuch Louis Schneider's, sie in einem gleichbenannten Singspiel, das sich einer Herabwürdigung Mozart's und seiner persönlichen Verhältnisse schuldig macht, unserer Opernbühne wieder zu schenken.

Alles Gedeihens erfreute sich indeß die vollkommen zur Oberhand gelangte, von den besten Kräften vertretene Opera buffa. Was blieb Mozart nun Anderes übrig, als mit ihr sein Heil zu versuchen? Er schlug dem Theaterdichter Abbate da Ponte, der schon Salieri und Andere mit Textbüchern versorgt, aber dabei wenig Glück gehabt hatte, Beaumarchais' Lustspiel: Le mariage de Figaro als Grundlage für eine Oper vor, und sechs Wochen später waren »Le nozze di Figaro« fertig. Da der Kaiser jedoch das in Paris ungeheueres Aufsehen erregende[36] Originalstück in Wien als anstößig verboten hatte, mußte er erst für die veränderte Fassung des Textes und die Musik gewonnen werden – dann erfolgte der Befehl zur Aufführung, und als trotzdem die Intriguen seiner italienischen Gegner Mozart nicht zu Worte kommen lassen wollten, griff das kaiserliche Machtwort mit aller Entschiedenheit ein.

So hörten denn die Wiener den »Figaro« am 1. Mai 1786 zum ersten Male. »Nie ward ein glänzenderer Triumph gefeiert als der Mozart's und seines Figaro« schreibt Kelly, der Darsteller des Basilio. Fast jedes Stück mußte auf Begehren des in Massen herbeigeströmten Publicums wiederholt werden, und endlose Male ward der Meister beim Schlusse hervorgerufen. Das Bild des Lebens, der leibhaften Gegenwart, das Mozart seinen Zeitgenossen im Verklärungsspiegel des Kunstwerkes entgegenhielt, konnte es wol eine andere Wirkung üben? Es ist die Wirklichkeit, nicht wie in der »Entführung« das bunte Land der Phantasie, die uns der »Figaro« vorführt. Das politische Element des Sittengemäldes frivoler aristokratischer Kreise, welches das Originalstück Beaumarchais' vergegenwärtigt, wurde naturgemäß aus der Oper verbannt; der frivole Grundzug, daran der als Kind seiner Zeit einer frischen Sinnlichkeit huldigende Künstler keinen Anstoß nahm, blieb beibehalten. Die idealisirende Macht der Musik aber, die hier den ganzen Adel Mozart'schen Gefühls und Ausdruckes entfaltet, erhebt das Ganze in eine reinere Sphäre. Sie übernimmt es auch, uns mit dem Schuldigen zu versöhnen; oder wer, der die dem tiefsten Herzen entquellende G-dur-Cantilene »O Engel, verzeih mir!« hört, muß nicht an die aufrichtige Reue des leichtfertigen Gatten glauben? Und wie bethätigt sich des Tondichters wundersame Gabe als Menschenmaler hier voll[37] und ganz! Figaro und Susanne, Graf und Gräfin, Basilio und Cherubin, leben sie nicht heute nach hundert Jahren noch, als seien sie gestern geboren? Noch immer blieb »Figaro's Hochzeit« die Krone des feineren musikalischen Lustspiels, wie Rossini's »Barbier« die Krone aller Buffonerien blieb. Denn über die Gattung, zu der sich Erstere bekannte, hob sie der Genius des Künstlers weit hinaus und gab mit ihr vielmehr eine edlere Komik, den Ton der Conversationsoper an. Was wußte bisher die Opera buffa, deren loses Gefüge ihr Herkommen aus einem einfachen, zwischen die drei Acte der Opera seria eingeschobenen »Intermezzo« nicht verleugnete, von lebendig sich entwickelnder, spannender Handlung, von wahr durchgeführter Charakteristik, die sich – man denke an Susanne, an die elegisch gestimmte Gräfin, den genial gezeichneten Pagen – diesen Don Juan in spe! – zu psychologischer Vertiefung steigert? Was wußte sie, die komische Oper der Italiener, auch von jenen bewegten Ensembles und organisch gegliederten Finales, wie sie der deutsche Meister, der schon Recitativ und Arie erhöhte dramatische Bedeutung verliehen, als Höhepunkte der dramatischen Entwickelung einführte? Und war nicht ebenso wie seine Polyphonie auch seine Orchesterbehandlung in der Oper neu? Auch aus dem Orchester gewinnt er ein Mittel dramatischen Ausdruckes und aus seiner untergeordneten Rolle als bloße Folie des Gesanges wächst es zu einem selbständigen, gleichberechtigten Theil des Ganzen empor. Genug, nie wurde, Alles in Allem genommen, eine blühendere, vollendetere Musik geschrieben als dieser »Figaro«, und er ist mit seinem liebenswürdigen, auf ernstem Hintergrunde scherzenden Humor zugleich der treueste Ausdruck der Natur seines Schöpfers selbst.

War es begreiflich, daß trotz alledem dies unsterbliche Werk nach neun Vorstellungen den Cabalen der[38] Italiener erlag und durch eine mittlerweile längst vergessene Oper: Martin's »Una cosa rara« verdrängt wurde? Nachhaltiger Enthusiasmus hielt dagegen die Oper auf der Prager Bühne, wo schon die »Entführung« wärmsten Beifall geerntet hatte, fest, und als Mozart mit seiner Gattin im Januar 1787 einer Einladung des Orchesters und »einer Gesellschaft großer Kenner und Liebhaber« dahin folgte, war er selber Zeuge ihrer Popularität. »Hier«, schreibt er, »wird von nichts gesprochen als Figaro, keine Oper besucht als Figaro und ewig Figaro.« So begeistert feierte man ihn bei Direction seines Werkes und in den von ihm gegebenen Concerten, daß er sich bereit erklärte, für die ihn so gut verstehenden Prager seine nächste Oper zu schreiben. Und mit einer königlichen Gabe löste er sein Versprechen ein: am 20. October 1787 empfing man in Prag seinen »Don Giovanni.«

Nicht ohne Besorgniß hatte Mozart einen bekannten Musiker gefragt, ob die neue Oper, in der er sich bestrebt habe etwas Vorzügliches zu leisten, wol den gleichen Beifall wie »Figaro« finden werde, von dem sie so ganz verschieden sei? In der That gehörte sie, ob sie sich auch wie Jener »opera buffa«, oder in der späteren Wiener Aufführung »dramma giocoso« nannte – ihr voller Titel lautet: Il dissoluto punito ò il Don Giovanni – einem wesentlich anders gearteten Genre an. Behandelt sie Mozart doch, wie Ambros sagt, vielmehr als »Mysterium, das (gleich ›Faust‹) Ausblicke in Himmel und Hölle öffnet und dazu in wenigen dramatischen Charakteren das ganze bunte Treiben der Welt malt.« Sie wurde der Anfangspunkt der sogenannten »romantischen« Oper, in der sich der Welt der Wirklichkeit ein phantastisches Element verbindet.

Die Sage von dem den Genuß- und Lebenstrieb[39] verkörpernden spanischen Helden, die, seit der Mönch Gabriel Tellez sie zuerst dramatisirte, die Dichterlust italienischer, französischer, englischer und deutscher Poeten und Musiker reizte – es sei hier nur an Molière, Corneille, Goldoni, Gluck, Byron erinnert – inspirirte in da Ponte's Bearbeitung auch Mozart zu seinem herrlichsten Meisterwerk. Konnte sich, trotz Allem, was sich gegen das Libretto einwenden läßt, dem Tonkünstler wol eine reichere Fülle von Motiven und Situationen darbieten? Und er schuf in Wahrheit nichts Erhabeneres als die Erscheinung des steinernen Gastes, nichts Tragischeres, Leidenschaftlicheres als Donna Anna's Scene an der Leiche des Vaters und ihr Rachegebot, nichts sprudelnd Uebermüthigeres als das Champagnerlied, nichts naiv Anmuthigeres als Zerlinens Gesänge. Stellt auch das Ganze, statt eines unsern modernen Bedürfnissen entsprechenden dramaischen Organismus, mehr eine Folge von einzelnen abgechlossenen Situationen und Nummern dar, »ist es möglch, Vollendeteres zu finden, als jedes Stück dieses Don Juan?« sagt Richard Wagner, Mozart's Nachfolger im Ausbau des musikalischen Dramas. »So hatte Mozart das unerschöpfliche Vermögen der Musik dargethan, jeder Anforderung des Dichters an ihre Ausdrucksfähigkeit in undenklichster Fülle zu entsprechen, und bei seinem ganz unreflectirten Verfahren hatte der herrliche Musiker auch in der Wahrheit des dramatischen Ausdruckes, in der unendlichen Mannigfaltigkeit seiner Motivirung dieses Vermögen der Musik in bei Weitem reicherem Maße aufgedeckt als Gluck und alle seine Nachfolger.«

Die Aufnahme des »Don Juan«, »der Oper aller Opern« (so nennt ihn Nissen, der als späterer Gatte von Mozart's Wittwe der eigentlich grundlegende Biograph des Meisters wurde,4 dessen reiches aber[40] ungeordnetes Material die späteren Arbeiten Oulibicheff's,5 Nohl's6 und vor allem Jahn's zum allgemeinen Besten verwertheten), war beiden musikverständigen Böhmen eine glanz- und jubelvolle. Konnte doch Bondini, der Prager Theaterunternehmer, an den Dichter nach Wien schreiben: »Es lebe da Ponte! Es lebe Mozart! Alle Directoren und Sänger sollen sie preisen; so lange diese Beiden leben, weiß man nichts von Theaterelend!« In Wien dagegen, wo der »Don Juan« am 7. Mai 1788 zur ersten Aufführung kam, gefiel er nicht. Musiker und Kenner waren in seiner Verurtheilung einig, und es bedurfte erst einer Erklärung Haydn's, daß Mozart der erste der lebenden Componisten sei, um sie zum Schweigen zu bringen. Die Oper sei göttlich, meinte der Kaiser, vielleicht schöner noch als »Figaro«; aber keine Speise für die Wiener. »Lassen wir ihnen nur Zeit, sie zu kosten!« tröstete sich Mozart mit echter Künstlerzuversicht. Und in der That, man gewöhnte sich an das ungewohnte Phänomen, und der Beifall wuchs mit der Zahl der Vorstellungen. Die siegreiche Schöpfung des Genius spottete aller Hemmnisse, alles Mißwollens der Kritik, die beispielsweise in Berlin die Aeußerung verbrach: »Grille, Laune, Stolz, aber nicht das Herz war ›Don Juan's‹ Schöpfer«, und diesem unbedenklich Correctheit, Geschmack, Feinheit und Vollendung absprach. In unaufhaltsamem Fluge gewann sie sich nicht allein die lebendige Bewunderung eines Goethe, der in ihr Schiller's Hoffnung von der Oper und der Idealität auf der Bühne »auf einen hohen[41] Grad erfüllt sah«, sie eroberte sich die alte und die neue Welt.

Den bedrängten äußeren Umständen des Künstlers brachte indeß weder »Figaro« noch »Don Giovanni«, die doch Beide für Andere eine ergiebige Einnahmequelle wurden, Abhülfe. Zwar ernannte ihn Kaiser Joseph nach Gluck's Tode im December 1787 zum Kammermusikus; statt der 2000 Gulden aber, die Jenes Gehalt betragen, fand man sich bei ihm mit 800 Gulden ab. »Zu viel für das, was ich leiste, zu wenig für das, was ich leisten könnte«, schrieb Mozart selbst einmal in die Steuerliste. Das Einzige, was man in seiner Stellung von ihm forderte, war ja die Tanzmusik für die kaiserlichen Maskenbälle. Wiederholt hatte ihn schon früher der Plan einer Reise nach England und Frankreich beschäftigt; die Sorge für das tägliche Brod durch das ihm lästige Unterrichtertheilen gönnte ihm gleichwol nicht die dazu erforderliche Freiheit. Und dennoch brachte er es nicht einmal dazu, ein gesuchter Lehrer zu sein! Den kleinen Kozeluch, Righini, Steffan gab man den Vorzug vor dem großen Mozart! Der Blick für seine Größe eben fehlte seinen Zeitgenossen. War er doch dem großen Publicum in Wien hauptsächlich nur als Clavierspieler bekannt. In dieser Eigenschaft wenigstens erkannte man, von Clementi und Haydn beglaubigt, seine Superiorität allgemein an, und die von ihm veranstalteten Academien blieben der Mehrzahl nach den gebührenden Erfolg nicht schuldig.

Sehr gering hinwiederum war im Verhältniß der Vortheil, den er aus Veröffentlichung seiner Compositionen zog. Ein kleiner Theil seiner Arbeiten überhaupt nur gelangte bei seinen Lebzeiten in Druck, darunter gar Vieles, was er für Schüler Freunde und Bekannte, Sänger und Sängerinnen schrieb, auf unrechtmäßige[42] Weise, da der sorglose Künstler versäumte, seine Rechte dabei wahrzunehmen. Anderes galt wieder als zu schwere Kost. »Schreib populärer«, mahnte ihn sein Verleger Hoffmeister, »sonst kann ich nichts mehr von Dir drucken und bezahlen.« Worauf die Antwort lautete: »Nun, so verdiene ich nichts mehr und hungere und scheer' mich doch den Teufel darum!«

Innerem, nicht äußerem Geheiß danken auch das leidenschaftliche G-moll-Quintett (vom Jahre 1787) und die Symphonien Es-dur, G-moll und C-dur mit der Schlußfuge (vom Sommer 1788) ihr Dasein. Es sind dies seine größten Werke dieser Gattung, die seine früheren gleichartigen Erzeugnisse weit überholen. Behält er hier wie in Quartett und Sonate auch die von Haydn überkommenen Formen bei, so erfüllt er dieselben doch mit einem bedeutungsvolleren Inhalte und giebt ihnen durch den ihm eigenen Melodie- und Wohllautszauber, den er namentlich im Adagio walten läßt, durch die edle Schönheit seiner Themen, seine für jene Zeit oft kühnen und frappanten Modulationen einen neuen Reiz. Dazu kommt seine äußerst seine und geniale, während seiner Reisen in Mannheim und München, Paris und London geübte Behandlung des Orchesters und insbesondere der Blasinstrumente. Er führt die Letzteren nicht nur füllungsweise, oder hier und dort solistisch, sondern auch als selbständige Gruppen in's Feld (mit Vorliebe Fagott und Clarinette verwendend, während er die Flöte ebenso wenig als die Harfe leiden mag), so daß bezüglich dessen selbst der ältere Haydn Vieles von ihm gelernt zu haben bekannte. »Durch Mozart wurde das Orchester vermenschlicht«, sagt Louis Köhler. In seiner letzten großen Dreizahl, der anmuthig lichten Es-dur, der ernst bewegten G-moll und der glanzvoll feierlichen Jupitersymphonie, in deren berühmter Schlußfuge[43] er mit Durchführung ihrer fünf Themen seine ganze Macht und Kunst als Contrapunktiker triumphirend entfaltet, erscheint das altclassische Ideal der Symphonie erreicht. Die Instrumentalmusik, die den Bedürfnissen ihrer Zeit gemäß, wie überhaupt alle Musik, nur unterhalten, nicht beschäftigen, nur ein allgemeines unbestimmtes, kein innerst persönliches Empfinden zum Ausdruck bringen will und soll, ist hier zur harmonischen Weltsprache geworden. Weiter machte Beethoven, der »Musiker des Geistes«, wie man ihn im Gegensatz zu Mozart, dem »Musiker der Seele«, genannt hat, sie – ihre Darstellungsmittel, wie ihren Gedanken- und Gefühlskreis erweiternd – zur Sprache seines eigenen ungeheueren Ichs, zum Ausdruck bestimmter Seelenzustände, der höchsten Ideen der Menschheit, des poetischen Gehaltes von Natur und Leben. Von dem Aufruhr des Schmerzes und dem Kampfe der Leidenschaft, von der Empfindungsgewalt und Gedankentiefe, die Beethoven, das Unendliche in ihr Bereich ziehend, in seine Kunst hineintrug und somit die tonkünstlerische Richtung des neunzehnten Jahrhunderts bestimmte, wußte der Optimismus des mit sich und der Welt ganz einigen Mozart und seiner Zeit noch nichts. Das Hineinragen des persönlichen Lebens in das Kunstwerk, das Geltendmachen der Individualität, das unsere moderne subjective Schaffensweise charakterisirt, lag dem älteren classischen Musikideal, welches eine objective selbstlose Hingabe des Künstlers an sein Werk bedingte, so fern, daß es schwer sein dürfte, Mozart's Leben in seinen Schöpfungen wiederzufinden.

Eine neue ihn anziehende Aufgabe bot sich dem Meister um jene Zeit (1788) durch einen Gönner, Baron van Swieten, dar, für den er Händel's »Acis und Galathea«, »Messias«, »Cäcilienode« und »Alexanderfest« nach und nach bearbeitete. Claviercompositionen Händel's und[44] Bach's kannte er schon seit Längerem. Er hatte sie, wie überhaupt alle bedeutenden Meister, eingehend studirt, auch die Schreibweise Beider mannigfach nachzuahmen versucht, und nicht den geringsten Theil seiner hochentwickelten polyphonen Meisterschaft dankte er ohne Zweifel diesen Studien, die ihn, im Gegensatz zu dem in Wien herrschenden Geschmack, auf den ernsten und strengen Stil hinwiesen. Nun trat ihm bald darauf, nachdem er sich mit Händel's mächtigen Werken beschäftigt und sie durch die erforderlichen Ergänzungen dem Verständniß seiner Zeitgenossen näher gebracht, auch Bach's volle Größe näher. Er lernte in Leipzig eine Anzahl seiner Motetten kennen und vertiefte sich voll innerster Erbauung in das Studium derselben, aus denen sich, wie er sagte, »doch etwas lernen lasse.« Denn Mozart war wieder einmal auf Reisen. In der Hoffnung auf Gelderwerb hatte er den Vorschlag seines Schülers und Freundes, Fürst Carl Lichnowsky, ihn nach Berlin zu begleiten, im Frühjahr 1789 angenommen. Auf dem Wege dahin spielte er in Dresden bei Hofe und ließ sich in Leipzig zum Entzücken des Cantor Doles, Bach's Schüler und Nachfolger, auf der Orgel hören, gab auch später daselbst ein »schwach besuchtes« Concert. In Berlin hätte ihn der musikliebende König Friedrich Wilhelm II. gern als Capellmeister an seinen Hof gefesselt. Ein ihm gebotener Jahresgehalt von 3000 Thalern versprach aller seiner Noth ein Ende zu machen. Der mit Leib und Seele seinem Wien und Oesterreich anhängende Musiker konnte sich jedoch nicht entschließen, »seinen guten Kaiser zu verlassen.« Und als dann Joseph II., dem er auf Drängen seiner Freunde von dem ihm gewordenen Antrage Mittheilung machte, ihn fragte: »Wie, Sie wollen mich verlassen, Mozart?« war die Sache durch die einfache Erwiderung: »Ew.[45] Majestät, ich empfehle mich zu Gnaden, ich bleibe«, abgemacht, ohne Mozart auch nur die mindeste Verbesserung seiner Lage zu bringen.

Alles, was für ihn geschah, war daß man seinen »Figaro«, der nach der neunten Vorstellung für zwei Jahre verstummt war, wieder auf die Bühne rief und ihm die Composition einer neuen Oper: der am 26. Januar 1700 aufgeführten »Così fan tutte, ossia la scuola degli amanti« (So machen sie's Alle, oder die Schule der Liebenden) überließ. Diesmal zündete die mehr im leichten italienischen Genre gehaltene Musik sofort, indeß man da Ponte's Textbuch, das er hier selbständig, ohne Benutzung eines fremden Originals verfaßt hatte, allgemein verwarf. Den läppischen und zugleich frivolen Maskenscherz, den dies Letztere als echte Opera buffa darstellt, aber umkleidete der Genius mit seinen holdesten Weisen. Da die typisch gehaltenen Charaktere seiner Portraitirkunst nicht wie in »Figaro« und »Don Juan« Gelegenheit zur Entfaltung gaben, benutzte er die wechselnden Situationen zu Ensembles, welche, liebenswürdiger Laune und schmeichelnden Wohllauts voll, ganz »in reifer süßer Sinnlichkeit schweben.« Man vergegenwärtige sich nur die Quintette in Es- und F-dur (zumal das Letztere: »Wirst Du auch mein gedenken«), das Terzett »Weht sanfter, ihr Winde« und das erste Finale, oder das Duett der Männer mit Chor und Blasinstrumenten, sowie das Guglielmo's und Dorabella's »Empfange dies Herzchen« im zweiten Act!

Ohne für Mozart gesorgt zu haben, starb Kaiser Joseph im Februar 1790. Sein Nachfolger Leopold II. aber schenkte dem Gesuch des Künstlers um die zweite Capellmeisterstelle ebenso wenig als seiner Bitte um Uebertragung des Unterrichts der Prinzen Gehör. Andere inferiore Talente wurden bei Veranstaltung von[46] Hoffestlichkeiten ihm vorangestellt. Immer drückender ward seine Lage; immer schwerer bei andauernder Kränklichkeit Constanze's die häusliche Sorgenlast. Die Vorschüsse und Darlehen der Verleger und Freunde, die er bisher schon vielfach in Anspruch genommen, reichten jetzt nicht mehr aus – er fiel Wucherern in die Hände. Es war ein trauriges Jahr, dies 1790, und wie kein anderes in seinem Leben an künstlerischen Früchten arm! Er klagt selbst, daß ihm die Arbeit an ein paar Quartetten, die er für den König von Preußen schrieb, schwer werde. Wieder treibt ihn die Noth auf eine Kunstreise, seine letzte. Die Kaiserkrönung in Frankfurt dünkt ihm eine günstige Gelegenheit. Sich als Kammercompositeur dem kaiserlichen Gefolge anschließen zu dürfen, wird ihm gleichwol nicht verstattet. Um nur die Mittel zu dem nöthigen Reisewagen zu liefern, muß das Silberzeug zum Pfandverleiher wandern. Das Ergebniß der Reise entsprach freilich leider den Hoffnungen des sanguinischen Meisters nicht, und ebenso blieben die Aussichten, die sich ihm nach seiner Rückkehr durch Salomon aus London – wie später durch O'Reilly, den Director der dortigen italienischen Oper, und da Ponte – auf einen einträglichen englischen Aufenthalt eröffneten, ein leeres Luftgespinnst. Des Schicksals harte Hand nahm Mozart hinweg, noch bevor sie sich verwirklichen konnten.

Wie thatenreich aber ist noch dies letzte Jahr dieses kurzen Künstlerlebens! Die Quintette in D und Es, das B-dur-Concert, die beiden vierhändigen F-moll-Phantasien, die er für das Orgelwerk einer Spieluhr schrieb, den wunderschönen Chor Ave verum und andere Vocalcompositionen und dazu die »Zauberflöte«, »Titus« und das Requiem: das Alles umschließt die Spanne eines einzigen Jahres![47]

Um Schikaneder, einem alten Salzburger Bekannten, der als Director des kleinen Theaters im Stahremberg'schen Freihause auf der Wieden in Noth gerathen war, wieder aufzuhelfen, ließ Mozart, der immer Hülfreiche, sich im Frühjahr 1791 zur Composition der »Zauberflöte« bereit finden; doch »wenn wir ein Malheur haben«, meint er, »so kann ich nichts dazu, denn eine Zauberoper habe ich noch nicht componirt.« Damit die Arbeit flott gefördert werde, quartiert er sich in dem Theater dicht benachbarten Gartenhause im Freihof ein (es steht seit 1877 auf dem Kapuzinerberge in Salzburg). Schon ist ein großer Theil der Musik bis zum Finale des ersten Actes geschrieben, da erfährt Schikaneder, daß auf dem Concurrenztheater der Leopoldstadt eine nach dem gleichen Märchen (aus Wieland's Dschinnistan) bearbeitete Oper vorbereitet werde. Aber trotz alledem weiß er, oder vielmehr einer seiner Schauspieler, Namens Giesecke, Rath. Man erhebt das harmlose Zauberspiel auf einen zeitgemäßen symbolischen Hintergrund, zu einer Verherrlichung der Tendenzen der durch Leopold II. verbotenen Freimaurerei, welcher – wie damals die bedeutendsten Männer Wiens – auch Mozart eifrig anhing. Der böse Zauberer Sarastro wird nun zu dem Repräsentanten dieser Ideen und zu einem Wohlthäter der Menschheit umgewandelt; ja nach der einigermaßen spitzfindigen Deutung eines Maurers7 soll nicht nur für die ihm neugegebene Gestalt der damalige Wiener Oberpriester der Freimaurerei, Ignaz von Born, vorbildlich gewesen, sondern auch in der Königin der Nacht Maria Theresia, die Freimaurerfeindin, die sich ihr Volk nach seinen besseren Instincten entrissen sah, in Tamino[48] Joseph II., in Pamina, Papagena und Papageno – welcher Letztere zugleich Schikaneder schildert – das österreichische Volk, in Monastatos das Mönchsthum gemeint sein.

Aus diesem bunten, einheitslosen, trotz seiner ernst gemeinten Symbolik lächerlichen und trivialen Text gestaltete Mozart sein volksthümlichstes Werk. Es war ihm genug, daß derselbe die ihn begeisternden freimaurerischen Ideen verlebendigte, um mit heiligem Ernste seiner musikalischen Verklärung obzuliegen. Wie sehr ihm dieselbe am Herzen lag, das sagt uns die feierlich mysteriöse Pracht der von Licht und Glanz überfluteten Ouvertüre, des Einleitungsmarsches des zweiten Actes, der Priesterchöre, des Gesanges der geharnischten Männer, dem die alte Choralmelodie »Ach, Gott, vom Himmel sieh darein« alsCantus firmus dient. Nicht minder das innig gemüthvolle: »In diesen heil'gen Hallen« – wol der populärste von allen ernsten Gesängen der Welt. Der Schärfe der individuellen Charakteristik mußte allerdings das symbolische Wesen nothwendig Abbruch thun. So macht sich im Gegensatz zu »Figaro« und »Don Juan«, ja auch theilweise zu »Così fan tutte« und »Entführung«, deren dramatischerer Stoff einen ungleich stärkeren Ausdruck der Leidenschaft, eine feinere Detailausführung erheischte, hier mehr ein Allgemeineres, ein Grund- und Gesammtton geltend. Das Possenhafte und das Mystische eint sich dabei zu wunderbarem Zusammenklange, der seiner Natur nach ein echt deutscher ist. Was der Meister mit der »Entführung« begonnen, das führt er nun weiter, indem er der von ihm geschaffenen deutschen Oper einerseits eine reichere Formen- und Farben-Mannigfaltigkeit und -Freiheit, andererseits ein neues Element: das des Mystischen und Wunderbaren, hinzugewinnt. Sehen wir hier nicht alle Gattungen der Vocalmusik: vom[49] schlichten Volkslied bis zum complicirten Solo-und Chor-Ensemble und der Fuge, dem dramatisch-lyrischen Ausdruck dienstbar gemacht? Und ist die »Zauberflöte« nicht die Mutter aller späteren Zauber-und Märchen-, wie aller Priesteropern, vom »Unterbrochenen Opferfest« bis zu »Olympia« und »Jessonda«, geworden? Ist der »Don Juan« in dramatischer Beziehung der »Zauberflöte« weit überlegen, so reichte mit Beethoven doch schon Mancher der Letzteren den Preis, weil Mozart sich hier »als deutscher Meister« zeigte. Denn wenn er in seinen italienischen Opern das Erbe einer langen Tradition übernahm und durch eigenartige Ausbildung gewissermaßen zum Abschluß brachte, so tritt er mit der »Zauberflöte« auf die Schwelle der Zukunft und erschließt seinem Volke das Heiligthum der nationalen Kunst.

Inmitten der Arbeit an der »Zauberflöte« empfing Mozart einen Auftrag, der bei der seltsam geheimnißvollen Weise, in der ihm derselbe übermittelt ward, seine erregte Phantasie tief beschäftigte. Ein ihm unbekannter Bote, lang, hager, ernst, graugekleidet, überbrachte ihm einen anonymen Brief mit der Frage, um welchen Preis und innerhalb welcher Zeit er eine Seelenmesse zu vollenden geneigt sei? Die Aufgabe zog den Meister an. Er hatte sich, in dem Wunsche wieder im Kirchenstil thätig zu sein, einige Monate zuvor um die unbesoldete Stelle eines musikalischen Adjuncten an der Stephanskirche beworben und dieselbe auch mit der Anwartschaft auf das spätere Amt eines Domcapellmeisters erhalten. Nun theilte er seiner Frau den ihm willkommenen Antrag mit und daß es ihn verlange, mit allem Fleiß ein Werk auszuarbeiten, das seine Freunde und Feinde noch nach seinem Tode studiren sollten. Dann erfolgte seine Zusage mit der Forderung von fünfzig, nach anderer Lesart hundert Ducaten. Wieder[50] erschien der Bote, zahlte die bedungene Summe mit dem Versprechen einer späteren Zulage und bedeutete den Componisten, ganz nach seiner Stimmung und Laune zu schreiben, sich aber keine Mühe zu geben, den Besteller zu erfahren, da dies ja doch vergeblich sein werde.

Erst lange nach Mozart's Tode lüftete sich der Schleier des Geheimnisses, und es erwies sich, daß ein Graf Walsegg der Besteller war, der mit dem Requiem, welches er für sein eigenes Werk ausgab, das Andenken seiner verstorbenen Gattin feiern wollte. Die sich verdüsternde Phantasie des sonst so lebensfreudigen Künstlers aber erblickte in dem mysteriösen Auftrage eine Weisung von oben, des eigenen nahen Endes zu gedenken und sich den letzten und höchsten Dingen hinzugeben.

Eine ihm inzwischen zufallende neue Aufgabe: eine Festoper für Leopold II. Krönung zum böhmischen König in Prag, wurde zu schnellem Abschluß geführt. Binnen achtzehn Tagen ward »La clemenza di Tito« geschrieben und einstudirt. Freilich trägt die Musik den Stempel ihres eilfertigen Entstehens an der Stirn. Es sind die langen Arien, die Glanzduette, die obligaten und concertirenden Soloinstrumente, die steife, etikettemäßige Haltung, sogar die sopransingenden Liebhaber der Opera seria, wie sie einstmals die höfischen Feste verherrlichte. So süß und schmeichelnd die Melodik dieser Arien (wie Vitellia's »Nie wird mich Hymen«, oder Sextus' »Ach, nur einmal«), an denen wir uns heutigen Tages mehr im Concertsaal als auf der Bühne erfreuen: Charakterzeichnung und dramatisches Leben fehlen dem Ganzen wie keiner anderen von Mozart's Opern. Einzig das große erste Finale mit dem Capitolbrande zeigt dramatische Macht und Schlagkraft; hier tritt der Genius seines Schöpfers voll und ganz an's Licht und in sein Recht.

Ungeachtet der Verehrung, welche der Letztere in[51] Prag genoß, war der Erfolg des am 6. September 1791 mit aller Pracht zuerst aufgeführten Werkes ein geringer. Dies schlug Mozart um so mehr nieder, als er sich ohnehin unwohl und durch die übermäßige Anstrengung angegriffen fühlte. Mit Thränen und voll trüber Ahnungen nahm er bald darauf von den böhmischen Freunden Abschied, um in Wien die letzte Hand an Vollendung der »Zauberflöte« zu legen. Sie feierte am 30. September ihren Geburtstag. Der Beifall zwar floß anfangs so sparsam, daß Mozart blaß und bestürzt nach dem ersten Act Schikaneder's Trost in Anspruch nahm und nur mit Mühe zu bewegen war, am Schlusse dem Hervorrufe des Publicums Gehör zu schenken. Alsbald jedoch bewährte diese Tonsprache ihre ganze Allgewalt. Mehr als je zuvor ein musikalisches Kunstwerk sang sie sich in die Herzen unseres Volkes hinein. Das Geschenk, mit dem Mozart großmüthig einen Freund aus dem Elend errettete, gewann ihm mehr als eine andere seiner Thaten die begeisterte Liebe seiner Nation, die neben dem »Freischütz« keine populärere Oper als die »Zauberflöte« besitzt. Es war zugleich das letzte große Werk, das er hienieden vollendete.

Mit allem Fleiß gab er sich nun ausschließlich der Förderung des Requiems hin. Schon vor der Prager Reise hatte ihn der graue Unbekannte wieder an dasselbe gemahnt. Nun schuf er Tag und Nacht ohne Rast noch Ruh', unbekümmert darum, daß er sich von häufigen Ohnmachten, von immer tieferer Erschöpfung, immer schwermüthigerer Stimmung überkommen fühlte. War es ein Wunder, daß seine zarte Natur endlich den unerbittlichen Anforderungen seines Geistes erlag? War doch sein Körper schwach und klein gebaut, wie auch sein Angesicht – so schildert ihn ein Freund – »wenn man das große feurige Auge ausnimmt, die Größe seines Genies nicht[52] ankündigte«. Er, der lebensfrohe Gesellschafter, der allzeit lustige Tänzer und Reiter und Billardspieler, mied jetzt die Kreise der Freunde; nur nach seiner Arbeit verlangte ihn. Vergebens waren Constanze's Bemühungen, ihn aufzuheitern. Selbst die Natur, die sonst befreiend auf ihn wirkte und ihn zum Schaffen anregte, stimmte ihn jetzt traurig. Während einer Spazierfahrt im Prater begann er von seinem nahen Tode zu reden und sagte mit Thränen im Auge, daß er das Requiem für sich selber schreibe. »Gewiß man hat mir Gift gegeben«, meinte er; »ich kann mich von diesem Gedanken nicht losmachen.« Die erschreckte Constanze nahm ihm die Partitur des Requiems weg und zog den Arzt zu Rathe. Auch erholte er sich wieder so weit, daß er für ein Logenfest die Cantate »das Lob der Freundschaft« zu componiren und deren Aufführung zu leiten im Stande war. Durch den Erfolg neu gehoben, forderte er das Requiem zurück. Doch nach wenig Tagen befiel ihn wiederum die frühere Melancholie und seine Kräfte schwanden mehr und mehr dahin. Dabei beschäftigte ihn unausgesetzt die begonnene Arbeit, die sein Schwanengesang werden sollte. »Mein Kopf ist verwirrt«, schreibt er einem Freunde, »ich sammle mich mit Mühe und kann das Bild dieses Unbekannten nicht von meinen Augen fortbringen. Ich sehe ihn fortwährend; er bittet, er drängt mich und verlangt mit Ungeduld das Werk. Ich arbeite weiter, weil die Arbeit mich weniger erschöpft als die Muße. Sonst habe ich nichts mehr zu fürchten. Ich merke an dem, wie ich mich fühle, daß die Stunde schlägt. Ich bin im Bereich des Todes. Ich bin zu Ende gekommen, ehe ich mich meines Talentes gefreut habe. Das Leben war aber dennoch so schön! Die Bahn eröffnete sich unter so glücklichen Auspicien; aber man kann sein Geschick nicht[53] ändern. Keiner bestimmt seine Tage, man muß sich ergeben, wie die Vorsehung will.«

So schuf er mit der Hast eines Sterbenden, den schon ein Hauch höheren Lebens umweht und der die kurzen, ihm noch beschiedenen Minuten für die Ewigkeit auszunutzen trachtet. Sein hohes Lied vom Tode, sein Anruf der allerbarmenden Liebe, die noch über dem Gericht und dem Ende aller Dinge steht, ist ein musikgewordenes Erlebniß seiner innersten Seele, sein wehmuthsvoller Abschied von dieser irdischen, seine lichte Vorahnung jener himmlischen Welt. Jeden beendeten Theil nahm er mit den Freunden, die ihm gerade zur Hand waren, durch. Auch als er nicht mehr vom Lager aufstehen konnte, noch am Nachmittag vor seinem Tode ließ er sich die Partitur auf sein Bett bringen. Er sang selbst den Alt, während anwesende Freunde die anderen Stimmen ausführten. Bei den ersten Tacten des rührend innigen Lacrimosa je doch überwältigten ihn die Thränen; er konnte nicht weiter. Obgleich er, wie er es selbst aussprach, den Tod als »den Schlüssel zu unserer wahren Glückseligkeit« ansah, fiel ihm der Abschied vom Leben nicht leicht. Mußte er nicht sein Weib und seine zwei kleinen Knaben8 unversorgt zurücklassen, eben jetzt, wo der Erfolg der »Zauberflöte« und Zusicherungen aus Ungarn und Amsterdam, welche ihm für einige zu liefernde Compositionen einen bedeutenden Jahresgehalt[54] boten, ihn aller Sorgen für die Zukunft zu entheben versprachen?

»Einmal möchte ich doch noch meine, Zauberflöte' hören«, sagte er am Tag vor seinem Tode zu seiner Frau und summte mit kaum vernehmbarer Stimme den »Vogelfänger«. Und als gegen Abend seine Schwägerin Sophie kam, rief er ihr zu: »Gut, daß Sie da sind; heute Nacht bleiben Sie bei mir, Sie müssen mich sterben sehen!« Als sie aber seine trüben Gedanken abzuwehren versuchte, entgegnete er: »Ich habe ja schon den Todtengeruch auf der Zunge; ich rieche den Tod, und wer wird meiner Constanze beistehen, wenn Sie nicht bleiben?« Mit seinem Schüler Süßmayr, der die Recitative zum »Titus« geschrieben hatte, besprach er sodann die weitere Ausführung des in seinen Hauptzügen skizzirten Requiems, das von diesem denn auch nach seiner Weisung vollendet wurde. »Habe ich es nicht gesagt, daß ich es für mich schreibe?« sagte er, indem sein feuchter Blick zum letzten Male auf seinem Werke ruhte. Selbst als ihn kalte Umschläge auf seinen heißen Kopf des Bewußtseins beraubten, suchte er mit dem Munde noch die Pauken im Requiem auszudrücken. Gegen Mitternacht richtete er sich auf, seine Augen waren starr. Dann neigte er sein Haupt gegen die Wand und schien einzuschlummern. Fünf Minuten vor ein Uhr in der Frühe des 5. December 1791 war er verschieden.

Drei ärztliche Gutachten gaben in Widerspruch zu einander Gehirnentzündung, Frieselfieber, Wassersucht als Ursache seines Todes an.

Die von Jammer und Schwäche überwältigte Constanze fand in van Swieten einen Beistand. Er übernahm, als sie erkrankte, auch die Sorge für das Begräbniß. Da sich indeß nur sechzig Gulden im Nachlaß vorfanden – eine Schuldenlast von 3000 Gulden tilgte später[55] auf ein Gesuch der Wittwe der Kaiser – sparte man den Luxus eines eigenen Grabes: die Reste des großen Mozart wurden in eine Massengruft gesenkt. Mutterseelenallein trug man ihn am Nachmittag des 6. December unter Regen und Schneesturm hinaus auf den St. Marxer Friedhof. Die wenigen Freunde, die ihm das Geleit geben wollten, waren des Unwetters wegen nach der Einsegnung in der Stephanskirche oder am Stubenthor umgekehrt. Als die wieder genesene Constanze nachmals das Grab besuchen wollte, war inzwischen ein neuer Todtengräber angestellt, der ihr die Stelle nicht mehr anzugeben vermochte. Da, wo man dieselbe muthmaßte, zwar hat man dem Meister 1859 ein Denkmal errichtet, doch kennt Niemand mit Bestimmtheit die Stätte, da Mozart den letzten Schlaf schläft – nur in seiner eigensten Heimat, in seinen Werken dürfen wir den Genius suchen.

Was anders als ein Kampf mit Neid und. Noth war, abgesehen von seinem stillen Schaffensglück, das Leben dieses Reichstbegnadeten gewesen, dessen glanzvoll aufgehender Stern nahezu im Dunkel erlosch? – und doch lebt die Welt der Töne ein Jahrhundert lang von dem Licht, das von ihm ausging in segnenden Strahlen. Wen in diesem zwiespaltreichen Dasein darnach verlangt, den Tongeist zu citiren, der wie kein anderer Sinnliches und Geistiges zu vollkommener Harmonie zu verschmelzen verstand, der wird immerdar den hehren Namen Mozart anrufen![56]

Quelle:
La Mara (d.i.: Marie Lipsius): Musikalische Studienköpfe: Vierter Band: Classiker. Mit einer Lichtdruck-Tafel, Leipzig: Heinrich Schmidt & Carl Günther, 1880., S. 1,57,451.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Raabe, Wilhelm

Der Hungerpastor

Der Hungerpastor

In der Nachfolge Jean Pauls schreibt Wilhelm Raabe 1862 seinen bildungskritisch moralisierenden Roman »Der Hungerpastor«. »Vom Hunger will ich in diesem schönen Buche handeln, von dem, was er bedeutet, was er will und was er vermag.«

340 Seiten, 14.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon