Vorbericht.

Viele Jahre sind es, als ich für jene, welche sich von mir in der Violin unterweisen ließen, gegenwärtige Regeln niedergeschrieben hatte. Es wunderte mich oft recht sehr, daß zu der Erlernung eines so gewöhnlichen, und bey den meisten Musiken fast unentberlichen Instruments, als die Violin ist, keine Anweisung zum Vorscheine kommen wollte: da man doch guter Anfangsgründe, und absonderlich einiger Regeln über die besondere Strichart nach dem guten Geschmacke schon längst wäre benöthiget gewesen. Mir that es oft sehr leid, wenn ich fand, daß die Lehrlinge so schlecht unterwiesen waren: daß man nicht nur alles vom ersten Anfange nachholen; sondern viele Mühe anwenden mußte die ihnen beygebrachten, oder wenigstens nachgesehenen Fehler wieder abzuziehen. Ich fühlte ein grosses Beyleid, wenn ich schon gewachsene Violinisten, die sich manchmal nicht wenig auf ihre Wissenschaft einbildeten, ganz leichte Passagen, die etwa nur dem Striche nach von der gemeinen Spielart abgiengen, ganz wider die Meynung des Componisten vortragen hörte. Ja, ich erstaunte, wenn ich gar sehen mußte, daß sie auch bey mündlicher Erklärung des schon angezeigten Vortrages, und bey wirklicher Vorspielung desselben, dennoch das Wahre und Reine kaum, oder oft gar nicht erreichen konnten.

Es kam mir demnach in den Sinn, diese Violinschule dem Druck zu übergeben. Ich besprach mich auch wirklich mit dem Buchdrucker. Allein, so groß auch mein Eifer, der musikalischen Welt, so viel an mir ist, zu dienen, immer war; so zauderte ich dennoch mehr denn ein ganzes Jahr: weil ich zu blöde war bey so aufgeklärten Zeiten mit meiner geringen Bemühung an das Tageslicht zu tretten.

Endlich erhielt ich von ohngefähr Herrn Marpurgs Historisch-kritische Beyträge zur Aufnahme der Musik. Ich las seine Vorrede. Er sagt gleich anfangs: Daß man sich sich über die Anzahl musikalischer Schriften nicht zu beklagen habe. Er beweiset es auch, und beklagt unter andern, daß noch eine Anweisung zur Violin fehle. Dieß machte nun meinen schon vormals gefaßten Entschluß auf einmal wieder rege, und war der stärkste Antrieb diese Blätter sogleich in meine Vaterstadt an den Buchdrucker zu schicken.

Ob sie nun aber so abgefasset sind, wie es Herr Marpurg und andere gelehrte Musikverständige wünschen; dieß ist eine Frage, die nicht ich, sondern die Zeit beantworten kann. Und was könnte ich denn wohl auch davon sagen, ohne mich zu tadeln oder zu loben? das erste will ich nicht: denn es läuft wieder die Eigenliebe. Und wer würde mir doch glauben, daß es mein Ernste wäre? Das Zweyte läuft wider die Wohlanständigkeit; ja es läuft wider die Vernunft und ist sehr lächerlich: da jedermann weis, was für einen übeln Geruch das eigene Lob nach sich läßt. Wegen der Herausgabe dieses Buches werde ich mich wohl nicht entschuldigen dörfen: weil dieß, meines Wissens, die erste Anweisung zur Violin ist, welche öffentlich erscheinet. Wenn ich mich bey der gelehrten Welt entschuldigen sollte: so müßte es nur wegen der Art der Abhandelung und des Vortrages seyn.

Es ist noch vieles abzuhandeln übrig. Dieß ist der Vorwurf, den man mir vielleicht machen wird. Doch, was sind es für Sachen? Solche, die nur dazu gehören der schlechten Beurtheilungskraft manches Concertisten ein Licht anzuzünden, und durch Regeln des guten Geschmackes einen vernünftigen Solospieler zu bilden. Den Grund zur guten Spielart überhaupts habe ich hier geleget; das wird mir niemand absprechen. Dieß allein war auch itzt meine Absicht. Hätte ich alles das übrige noch vortragen wollen; so würde das Buch noch einmal so groß angewachsen seyn: welches ich doch hauptsächlich zu vermeiden gedachte. Mit einem Buche, welches dem Käufer ein bischen mehr kostet, ist sehr wenigen gedienet: und wer hat es nöthiger eine solche Anweisung sich beyzuschaffen, als der Dürftige, welcher nicht im Stande ist auf lange Zeit sich einen Lehrmeister zu halten? Stecken nicht oft die besten und fähigsten Leute in der grösten Armuth; die, wenn sie ein taugliches Lehrbuch bey Handen hätten, in gar kurzer Zeit es sehr weit bringen könnten?

Ich hätte freylich die in diesem Buche vorkommenden Materien noch viel weitläuftiger abhandeln, und nach dem Beyspiele einiger Schriftsteller, alles von andern Wissenschaften da und dort einschlagendes einmischen, sonderbar aber bey den Intervallen ein weit mehreres sagen können. Doch, da es meistens Sachen sind, die, theils zur Setzkunst gehören; theils oft mehr des Verfassers Gelehrsamkeit an den Tag zu legen, als dem Schüler zu nützen da stehen: so habe ich alles weggelassen, was mir das Buch hätte vergrössern können. Und eben der beliebten Kürze halben ist es geschehen, daß die im Vierten Hauptstücke mit zwoen Violinen angefangene Beyspiele nimmer so fortgesetzet, und überhaupts alle die übrigen Exempeln etwas kürzer sind angebracht worden.

Endlich muß ich frey gestehen, daß ich diese Violinschule nicht nur zum Nutzen der Schüler, und zum Behufe der Lehrmeister geschrieben habe: sondern daß ich sehr wünsche alle diejenigen zu bekehren, die durch ihre schlechte Unterweisung ihre Lehrlinge unglücklich machen; weil sie selbst solche Fehler an sich haben, die sie, wenn sie nur ihrer Eigenliebe auf eine kurze Zeit entsagen wollten, gar bald erkennen würden.


Decipit Exemplar Vitiis imitabile:

Horat. L. I. Epist. XIX.


Vielleicht werden sie dieselben in diesem Buche ganz lebhaft abgemahlet finden; und vielleicht wird mancher, wenn er es gleich nicht gestehet, durch das überzeugende Gewissen zur Besserung gerühret werden. Nur das will ich öffentlich verbetten haben, daß man nicht glaube, als hätte ich bey ein und andern Fehlern, die ich in diesem Buche verächtlich vorstelle, auf gewisse Personen geziehlet. Ich bediene mich hier der Worte, mit welchen sich Herr Rabener am Ende des Vorberichtes seiner satyrischen Schriften vor solcher Nachrede verwahret, und erkläre mich: daß ich niemand meyne, als dieienigen, welche wissen, wen ich gemeynet habe.


Omni Musarum licuit Cultoribus ævo

Parcere Personis, dicere de Vitiis.

Quæ si irascere agnita videntur.

Sen.


Salzburg, geschrieben den 26.

des Heumonats, 1756.

Mozart.

Quelle:
Leopold Mozart: Versuch einer gründlichen Violinschule. Wien (1922).
Lizenz:
Kategorien: