64. Mozarteum.

[56] München 11. Oct. 1777.

Warum daß ich bis dato nichts von Misliweczeck [vgl. Nr. 43] geschrieben habe? – Weil ich froh war, wenn ich nicht auf ihn denken durfte. Denn so oft die Rede von ihm war, mußte ich hören wie sehr er mich gelobt und welch guter und wahrer Freund er von mir ist! Und zugleich die Bedauerung und das Mitleiden! Man beschrieb ihn mir, ich war außer mir. Ich sollte Misliweczeck, einen so guten Freund in einer Stadt, ja in einem Winkel der Welt wo ich auch bin, wissen und sollte ihn nicht sehen, nicht sprechen? – Das ist unmöglich! Ich resolvirte mich also zu ihm zu gehen. Ich ging aber des Tags vorher zum Verwalter vom Herzogsspital und fragte ihn, ob er nicht machen könne, daß ich mit Misliweczeck im Garten sprechen könnte; denn obwohl mir alle Leute und auch Medici gesagt haben, daß da nichts mehr zu erben wäre, ich dennoch in sein Zimmer nicht gehen wollte, weil es sehr klein ist und ziemlich stark riecht. Er gab mir vollkommen recht und sagte mir, er ginge gewöhnlich so zwischen 11 und 12 Uhr im Garten spatziren; wenn ich ihn aber nicht antreffen sollte, so dürfte ich ihn nur herabkommen lassen. Ich ging also den andern Tag mit H.v. Hamm Ordenssecretair (von welchem ich nachgehends sprechen werde)[56] und auch mit meiner Mama ins Herzogsspital. Meine Mama ging in die Kirche und wir in den Garten. Er war nicht da, wir ließen ihn also rufen. Ich sah ihn von der Quere herkommen und erkannte ihn gleich im Gang. Hier ist zu merken, daß er mir schon durch H. Heller Violoncellist ein Compliment hat vermelden lassen und gebeten, ich möchte ihn doch vor meiner Abreise noch besuchen. Als er zu mir kam nahm ich ihn und er mich recht freundschaftlich bei der Hand »Da sehen Sie«, sprach er, »wie unglücklich ich bin!« Mir gingen diese Worte und seine Gestalt, die der Papa der Beschreibung nach schon weiß, so zu Herzen, daß ich nichts als halb weinend sagen konnte: »Ich bedaure Sie von ganzem Herzen, mein lieber Freund!« Er merkte es, daß ich gerührt war, und fing sogleich ganz munter an: »Aber sagen Sie mir, was machen Sie denn; man hat mir gesagt, Sie seyen hier, ich glaube es kaum; wie ist es denn möglich, daß der Mozart hier ist und mich nicht längst besucht hat.« – »Ich bitte Sie recht um Verzeihung, ich habe so viele Gänge gehabt, ich habe so viele gute Freunde hier«. – »Ich bin versichert daß Sie recht gute Freunde hier haben, aber einen so guten Freund wie ich, haben Sie gewiß nicht.« Er fragte mich, ob ich vom Papa keine Nachricht erhalten habe wegen einem Brief. Ich sagte: »Ja, er schrieb mir (ich war so confus und zitterte so am ganzen Leibe, daß ich kaum reden konnte) aber nicht ausführlich.« Er sagte mir dann, daß der Sgr. Gaetano Santoro Impresario von Neapel gezwungen war, aus impegni und protezione diesen Carneval einem gewissen Maestro Valentini die Oper vom Carneval zu geben; »aber auf künftiges Jahr hat er 3 frey; wovon eine mir zu Diensten steht. Weil ich also schon 6 mal zu Neapel geschrieben habe, so mache ich mir nichts daraus, die fatale zu übernehmen und Ihnen die bessere, nämlich die vom Carneval zu überlassen. Gott weiß es, ob ich reisen kann. Kann ich nicht, so schicke ich die Scrittur wieder zurück. Die Compagnie auf künftiges Jahr ist gut, lauter Leute, die ich recommandirt habe. Sehen Sie, ich habe so Credit zu Neapel, daß wenn[57] ich sage, nehmet diesen, so nehmen sie ihn.« Marquesi ist der Primouomo, welchen er sehr lobt und auch ganz München; Marchiani eine gute Prima Donna und ein Tenor, den ich nicht mehr nennen kann, welcher, wie er sagt, jetzt der beste in ganz Italien ist. »Ich bitte Sie, gehen Sie nach Italien, da ist man ästimirt und hochgeschätzt.« Und er hat wirklich Recht. Wenn ich es recht bedenke, so hab ich halt doch in keinem Lande so viele Ehre empfangen, bin nirgends so geschätzt worden wie in Italien, und man hat halt Credit, wenn man in Italien Opern geschrieben hat und sonderheitlich zu Neapel. Er hat mir gesagt, er will den Brief an Santoro mir aufsetzen, ich soll morgen zu ihm kommen und ihn abschreiben. Ich konnte aber unmöglich mich entschließen zu ihm ins Zimmer zu gehen, und wenn ich schreiben wollte, müßte ich es doch, im Garten könnte ich nicht schreiben. Ich versprach ihm also gewiß zu kommen. Ich schrieb aber folgenden Tags einen italienischen Brief an ihn, ganz natürlich: Ich könnte unmöglich zu ihm kommen, ich habe schier nichts essen und nur 3 Stunden schlafen können, ich war den Tag wie ein Mensch, der seine Vernunft verloren hat, er sey mir immer vor Augen etc. – lauter Sachen die so wahr sind als die Sonne klar ist. Er gab mir folgende Antwort: Lei è troppo sensibile al mio male; io la ringrazio del suo buon Cuore. Se parte per Praga gli farò una lettra per il Conte Pachta. Non si pigli tanto à cuore la mia disgrazia. Il Principio fù d'una ribaltata di Calesse, poi sono capitato nelle mani dei Dottori ignoranti, pazienza. Ci sarà quel che Dio vorrà. Er schickte mir den Aufsatz zum Brief an Santoro. Er hat mir auch bey ihm Briefe gezeigt, wo ich oft meinen Namen las. Man sagte mir, daß sich Misliweczeck sehr verwundert hat, wenn man hier von Becke oder dergleichen Clavieristen sprach; er sagte allzeit: »Es soll sich nur keiner nichts einbilden; keiner spielt wie Mozart; in Italien wo die größten Meister sind, spricht man von nichts als Mozart; wenn man diesen nennt, so ist alles still.« – Ich kann jetzt den Brief nach Neapel schreiben wenn ich will; doch je eher je besser. Ich möchte aber zuvor die Meinung vom allervernünftigen Hofkapellmeister[58] Herrn von Mozart wissen. Ich habe eine unaussprechliche Begierde wieder einmal eine Oper zu schreiben. Der Weg ist weit, das ist wahr; wir sind aber auch noch weit entfernt von der Zeit wo ich diese Oper schreiben sollte; es kann sich bis dorthin noch viel verändern. Ich glaube, annehmen könnte man sie doch. Bekomme ich unter der Zeit gar keinen Dienst, eh bien, so habe ich doch die Resource in Italien. Ich habe doch im Carneval meine gewisse 100 Ducaten; wenn ich einmal zu Neapel geschrieben habe, so wird man mich überall suchen. Es gibt auch, wie der Papa wohl weiß, im Frühling, Sommer und Herbst da und dort eine Opera buffa, die man zur Uebung und um nicht müssig zu gehen, schreiben kann. Es ist wahr man bekömmt nicht viel, aber doch etwas, und man macht sich dadurch mehr Ehre und Credit als wenn man 100 Concerte in Deutschland gibt, und ich bin vergnügter, weil ich zu componiren habe, welches doch meine einzige Freude und Passion ist. Nun, bekomme ich wo Dienste oder habe ich wo Hoffnung anzukommen, so recommandirt mich die Scrittura viel und macht Aufsehen und noch viel schätzbarer. Doch ich rede nur, ich rede so wie es mir ums Herz ist. Wenn ich vom Papa durch Gründe überzeugt werde, daß ich Unrecht habe, nun so werde ich mich, obwohl ungern drein geben. Denn ich darf nur von einer Oper reden hören, ich darf nur im Theater seyn, Stimmen hören – – o so bin ich schon ganz außer mir.

Morgen wird meine Mama und ich beim Misliweczeck im Garten mich und sich beurlauben. Denn er sagte schon neulich, wie er von mir gehört hatte, daß ich meine Mama in der Kirche abholen muß, wenn ich nicht gar so spectakulos wäre, so wäre es mir sehr lieb die Mutter zu sehen, die einen so großen Virtuosen geboren hat. – Ich bitte Sie mein allerliebster Papa, antworten Sie doch den Misliweczeck, schreiben Sie ihm so oft Sie nur Zeit haben, Sie können ihm keine größere Freude machen, denn der Mann ist völlig verlassen. Die ganze Woche kömmt oft kein Mensch zu ihm, er sagte mir: »Ich versichere Sie, es thut mir hier sehr fremd, daß so Wenige mich zu besuchen kommen. In Italien hatte ich alle Tage Gesellschaft.« Wenn sein Gesicht nicht wäre, so[59] wäre er völlig der nämliche, voll Feuer, Geist und Leben; ein wenig mager, natürlich, aber sonst der nämliche gute und aufgeweckte Mensch. Ganz München redet von seinem Oratorium Abramo und Isacco, das er hier producirt hat. Er hat jetzt bis auf etliche Arien eine Cantate oder Serenada fertig, auf die Fasten. Wie seine Krankheit am stärksten war, machte er eine Oper nach Padua. Da nutzt nichts; man sagt es auch hier selbst, daß ihn die Doctors und Chirurgi hier verdorben haben; es ist halt ein förmlicher Beinkrebs. Der Chirurgus Cuco, der Esel, hat ihm die Nase weg gebrannt; man stelle sich jetzt den Schmerz vor. Just jetzt ist Hr. Heller von ihm hergekommen. Ich habe ihm gestern, als ich ihm den Brief schrieb, meine Serenada von Salzburg für den Erzherzog Maximilian [Il rè pastore] geschickt; er gab sie ihm also mit.

Nun auf etwas anderes zu kommen. Gestern war ich mit der Mama gleich nach dem Essen bei den 2 Frl. von Freysingen auf einen Kaffee. Die Mama trank aber keinen sondern 2 Bouteillen Tyrolerwein. Um 3 Uhr ging sie aber wieder nach Haus um doch ein wenig herzurichten auf die Reise. Ich ging aber mit die 2 Frl. zum detto Hr. von Hamm, wo die 3 Frl. eine jede ein Concert spielte und ich eins von Aichnerprima vista und dann immer Phantasien. Der Frl. Hamm von Einfaltskasten ihr Lehrmeister ist ein gewisser geistlicher Herr, mit Namen Schreier. Er ist ein guter Organist, aber kein Cembalist. Der hat mir immer mit der Brille zugesehen. Er ist so ein trockener Mann, der nicht viel redet, er klopfte mich aber auf die Achsel, seufzte und sagte: »Ja, – Sie sind, – Sie verstehen – ja –, das ist wahr – ein ganzer Mann.« Apropos kann sich der Papa des Namens Freysingen nicht erinnern? – Der Papa der genannten 2 schönen Fräulein sagt, er kenne den Papa sehr gut, er habe mit den Papa studiert. Er erinnert sich noch absonderlich auf Messenbrunn, wo der Papa (das war mir völlig neu!) recht unvergleichlich auf der Orgel geschlagen hat. Er sagte: »Das war erschröcklich wie es unter einander ging mit den Füssen und Händen, aber wohl unvergleichlich; ja ein ganzer Mann! Bei meinem Vater galt er sehr viel. Und wie er die Pfaffen herumgefoppt[60] hat wegen dem Geistlich werden. Sie sehen ihm accurat gleich, wie er dort war, völlig. Nur war er ein wenig kleiner wie ich ihn gekannt habe.« Apropos noch Eins. Ein gewisser Hofrath Effeln läßt sich dem Papa unterthänigst empfehlen; er ist einer von den besten Hofräthen hier; er hätte schon längst Kanzler werden können, wenn nicht ein einziger Umstand wäre: das Luzeln. Wie ich ihn das erstemal bei Albert gesehen, so habe ich geglaubt, und auch meine Mama: Ecce einen erstaunlichen Dalken! – Stellen sie sich nur vor, einen sehr grossen Mann, stark, ziemlich corpulent, ein lächerliches Gesicht. Wenn er über das Zimmer geht zu einem andern Tisch, so legt er beyde Hände auf den Magen, biegt sie gegen sich und schupft sich mit dem Leib in die Höhe, macht einen Nicker mit dem Kopf und wenn das vorbey ist, so zieht er erst ganz schnell den rechten Fuß zurück, und so macht er es bey einer jeden Person extra. Er sagt er kennt den Papa tausendmal. – Nun werde ich noch ein wenig in die Comödie gehen. Nächstens werde ich schon mehr schreiben, ich kann unmöglich mehr, die Finger thun mir erstaunlich wehe.

München den 11. October. Nachts um 3/4 auf 12 Uhr schreibe ich folgendes: Ich bin in der Drittl Comödie gewesen, ich bin nur hineingegangen um das Ballet zu sehen, vielmehr Pantomime, welche ich noch niemals gesehen. Es war betitelt: das von der für Girigaricanarimanarischaribari verfertigte Ei. Es war sehr gut und lustig. – Wir gehen Morgen nach Augsburg dessentwegen, weil der Fürst Taxis nicht zu Regensburg sondern zu Tischingen ist. Er ist zwar dermalen auf einem Lustschloß, welches aber nicht weiter als eine Stunde entfernt ist von Tischingen. Meiner Schwester überschicke ich hier vier Präambula; in was für Ton sie führen, wird sie sehen und hören. An alle guten Freunde und Freundinen meine Empfehlung, absonderlich an den jungen Grafen Arco, Jungfr. Sallerl und meinen besten Freund Hr. Bullinger und ich lasse ihn bitten, er möchte die Güte haben und nächsten Sonntag bey der gewöhnlichen 11 Uhr Musik im Namen meiner eine autoritätische Anrede machen und allen Mitgliedern der Academie meine Empfehlung entrichten und[61] sie zum Fleiß ermahnen, damit ich nicht heut oder morgen zum Lügner werde, denn ich habe diese Academie überall angerühmt und werde es auch noch thun.

Quelle:
Mozarts Briefe. Nach den Originalen herausgegeben von Ludwig Nohl. Salzburg 1865, S. 56-62.
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