Zehnter Abschnitt.

Das Meisterstück.

1779–1781.

»Gewitter reinigen die Luft, und dann

Sprießt alles reicher nur hervor.«


Bei einem Künstler, dessen Schaffen den Stoff bereits so merklich aus den Tiefen der eigenen Empfindung entlehnte, müssen die Erfahrungen des Herzens von noch größerer Wichtigkeit sein, als bei jedem anderen Menschen. Darum mag es nicht wunder nehmen, wenn wir die wenigen Spuren, die zu diesen Gebieten leiten, in Mozarts Leben mit so besonderer Aufmerksamkeit verfolgen. Und hier ist es ja um die Bildung des Menschen zu tun: die Bildung des Künstlers haben wir stets nur anzudeuten.

Wir sahen, der Kampf zwischen Pflicht und Neigung, den Mozart vor seiner Abreise von Mannheim zu bestehen hatte, war nicht gering. Alle Fibern seines leicht erregten Herzen wurden davon ergriffen. Und doch vermochte er gerade in diesen Tagen der inneren Not einen Brief zu schreiben, der mit Behagen in allerhand Späßen sich ergeht. Er ist an das »Bäsle« gerichtet und beweist, daß Wolfgangs Interesse an diesem Mädchen doch zumeist auf der lustigen Laune beruhte, die sie mit ihm teilte: was an zärtlicher Zuneigung nach der natürlichen Ordnung der Dinge dabei mit untergelaufen sein mochte, war jetzt durch eine andere, wahrhaft leidenschaftliche Neigung völlig aufgezehrt. Er schreibt:


»Mademoiselle, ma très chère cousine!«


Sie werden vielleicht glauben oder meinen, ich sey gestorben! – Doch nein, meinen Sie es nicht, ich bitte Sie – wie könnte[199] ich denn so schön schreiben, wenn ich todt wäre? wie wäre das wohl möglich? – Wegen meinem langen Stillschweigen will ich mich gar nicht entschuldigen, denn Sie würden mir so nichts glauben, doch was wahr ist, bleibt wahr, ich habe soviel zu thun gehabt, daß ich wohl Zeit hatte an das Bäsle zu denken, aber nicht zu schreiben, mithin hab ich es müssen lassen bleiben. Nun aber habe ich die Ehre, Sie zu fragen, wie Sie sich befinden und sich tragen? ob Sie mich noch können ein bischen leiden? ob Sie öfters schreiben mit einer Kreiden? ob Sie noch dann und wann an mich denken? ob Sie nicht zuweilen Lust haben sich aufzuhenken? ob Sie etwa gar böse waren auf mich armen Narren? ob Sie nicht gutwillig wollen Fried machen? – doch, Sie lachen. – »Victoria! Ich dachte wohl, daß Sie mir nicht länger widerstehen könnten, ja, ja, ich bin meiner Sache gewiß, obwohl ich in 14 Tagen gehe nach Paris. – In Augsburg kann man sich derweilen lustiger machen als hier; ich wollte wünschen, ich wäre bei Ihnen, damit ich mit Ihnen recht herumspringen könnte.« Und zum Schlusse beginnt er eine lange und breite Geschichte, worin ein Schäfer vorkommt, der elftausend Schafe über eine Brücke zu treiben hatte, und sie möge nur die Gewogenheit haben und warten, bis die Schafe drüben seien: »dann will ich Ihnen die ganze Historie erzählen.« Worauf dann wieder ein exemplarisch kindischer Schluß folgt.

Auch die »Duetti für Klavier und Violine«, die Mozart damals begann und in Paris endete, atmen noch ganz jene Fröhlichkeit, die aus der Harmonie des Innern fließt. Zumal die langsamen Sätze sind von einem Schmelz der Empfindung, wie sie nur aus einem innig befriedigten Herzen fließen kann. Aber bereits jene A moll-Sonate war von einem Ernste ergriffen, in dem der Kampf, ja die schmerzliche Erregung eines Inneren nachzittert, das ganz aus sich selbst herausgesetzt ist. Freilich gelingt es diesem seltenen Menschen auch in der Zeit stets, den Erzeugnissen seiner Phantasie den Stempel des Friedens aufzudrücken,[200] aus dem die wahre Schönheit fließt, und es ist in der Tat, als wenn die Einrichtung seiner gesamten Natur, die ihrer ursprünglichen Anlage nach von einer ungetrübten Harmonie war, selbst da, wo sie einmal durch trübe Erlebnisse gestört wird, gerade durch die Tätigkeit der schaffenden Phantasie immer wieder zum Gleichgewicht gelangte, so daß wir ihn nur dann ganz mißmutig sehen, wenn er nichts zu schaffen hat. Schaffen aber konnte er nur auf äußere Anregung hin: wie denn überhaupt ohne bestimmte Bestellung der Musiker jener Zeit die Feder niemals oder selten ergriff. Nun fehlte es in Paris an genügenden Bestellungen, auch späterhin ward nicht viel verlangt, und so ist das Jahr 1778 verhältnismäßig arm an Kompositionen.

Diesem Umstande mag es zuzuschreiben sein, daß die brütende Stimmung, die den jungen Meister in Paris so sehr beherrscht hatte, auch jetzt, als er auf der Reise ist, und trotz der Hoffnung auf das Wiedersehen der Geliebten, nicht ganz weichen will. Endlich aber kam ein kräftiges Gewitter und reinigte die drückende Atmosphäre.

Am 26. September hatte Wolfgang Paris verlassen, und zwar nicht, wie Grimm ihm versprochen, mit der üblichen Diligence, sondern mit einem Wagen, der zwölf Tage gebrauchte. Länger als acht Tage hatte Wolfgang das Fahren nicht ausgehalten und war in Nancy geblieben. Dort fand sich dann nicht sogleich Gelegenheit zur Weiterreise, und so kam er erst gegen Mitte Oktober in Straßburg an. Der Vater, der derweilen ohne alle Nachricht blieb, geriet in tödliche Unruhe. »Ich beichtete und communicirte sammt Deiner Schwester,« schreibt er, »und bat Gott inständigst um Deine Erhaltung; der beste Bullinger betet täglich in der heil. Messe für Dich«. In Straßburg gab Wolfgang mehrere Konzerte, die ihm jedoch so wenig eintrugen, daß er genötigt war, Geld beim Bankier aufzunehmen. Diese kleine Schuld machte ihm noch nach Jahren Unannehmlichkeiten, da sie durch einen Zufall nicht zur rechten Zeit bezahlt ward.[201]

Erst am 3. November konnte er weiterreisen, weil die Wege inzwischen durch Ueberschwemmung unfahrbar geworden waren. Er ging auf den Rat gereister Freunde über Mannheim. Dies hielt der Vater nun gar für den dümmsten Streich, den Wolfgang machen konnte. Webers und die meisten anderen Freunde waren ja bereits abgereist. Allein sein Herz hing an dieser Stadt mit den schönsten Erinnerungen. Er wohnte bei Madame Cannabich, und unter den Bekannten war »ein rechtes Gereiß« um ihn; denn: »sowie ich Mannheim liebe, so liebt auch Mannheim mich«. Und wie es nun seine Art war, überall, wo er weilte, sich wohl zu fühlen und Hoffnungen für die Zukunft zu fassen, so ließ er sich gar leicht von den Mannheimern überzeugen, der Kurfürst werde bald zurückkommen, denn er könne die Grobheit der Herren Bayern nicht ertragen, und dann werde auch Mozart angestellt werden. Wirklich fand sich bald Aussicht auf Verdienst und sogar auf dramatische Komposition. »Ich kann hier vielleicht 40 Louisdor gewinnen!« heißt es schon nach acht Tagen, – »freylich muß ich sechs Wochen hier bleiben, oder längstens zwey Monate. Die Seylersche Truppe ist hier, die Ihnen schon par renommée bekannt seyn wird; Herr von Dalberg ist Director davon, dieser läßt mich nicht fort, bis ich ihm ein Duodrama componirt habe.«

Allein der Vater will davon nichts wissen und bestimmt: »Beim Empfang dieses wirst Du abreisen!« – »Zwei Sachen,« schreibt er wenige Tage darauf, »sind, die Dir den Kopf voll machen und Dich in aller vernünftigen Ueberlegung hindern. Die erste und Hauptursache ist die Liebe zur Mlle. Weber, der ich ganz und gar nicht entgegen bin; ich wars damals nicht, als ihr Vater arm war, warum sollte ichs nun jetzt seyn, da sie Dein Glück und nicht Du ihr Glück machen kannst? Ich muß vermuthen, daß ihr Vater diese Liebe weiß, da es alle Mannheimer wissen, da es Herr Fiala (Flötist) von ihnen gehört, da es Herr Bullinger, der beym Grafen Lodron als Instructor ist, hier erzählte, da er[202] mit den Mannheimer Musicis auf dem Postwagen von Ellwang fuhr, und diese von nichts anderem mit ihm sprachen, als von Deiner Geschicklichkeit, Composition und Liebe mit Mlle. Weber.« In Salzburg werde er ja München so nahe sein, daß er leicht hinreisen könne; auch möge Mlle. Weber herüberkommen und bei ihnen wohnen. Fiala habe dem Erzbischof von ihrem Gesange erzählt, und so werde die Veranlassung nicht ausbleiben. »Sonderheitlich,« fährt er fort, »wird Dir die Antretung der hiesigen Dienste (ob es gleich jetzt die zweyte Ursache ist, die Dir den Kopf voll macht) die einzige si chere Gelegenheit seyn, wiederum nach Italien zu kommen, welches mir mehr im Kopf steckt als alles das Uebrige. Und diese Antretung ist ohnabänderlich nothwendig, wenn Du anders nicht den allerverdammlichsten und boshaftesten Gedanken hast, Deinen für Dich so besorgten Vater in Schande und Spott zu setzen. – Ich will, wenn Gott will, noch ein Paar Jahre leben, meine Schulden zahlen – und dann magst Du, wenn Du Lust hast, mit dem Kopf an die Mauer laufen; – doch nein! Du hast ein zu gutes Herz! Du hast keine Bosheit, Du bist nur flüchtig, – es wird schon kommen!«

Der treue Mann hatte viel Mühe, die Abneigung des Sohnes gegen Salzburg und seine Absichten auf andere Dinge zu überwinden. Wolfgang reiste zwar bald ab, aber auch jetzt nicht auf dem nächsten Wege. Er ging über Kaisersheim, weil der Reichsprälat von dort ihn als Reisekompagnon mitnahm: »er ist (obwohl er ein Pfaff ist) ein recht liebenswürdiger Mann.« Und weil nun dieser auch nach München fahren wollte, so wartete Wolfgang dessen Abreise ab und traf erst am Weihnachtstage dort ein. In Mannheim war ihm der Abschied recht schwer geworden. Madame Cannabich hatte sich als eine seiner besten und wahrsten Freundinnen erwiesen; bei seinem Weggehen frühmorgens war sie gar nicht einmal aufgestanden, weil sie nicht Abschied nehmen wollte und konnte, und er schlich sich still fort, um ihr das Herz nicht noch schwerer zu machen. Das Melodrama[203] aber nahm er mit, um es zu Hause umsonst fertig zu machen. Eine gleiche, ja eine unendlich höhere Freude versprach er sich in München.

Schon von Kaiserslautern aus hatte er nach Augsburg geschrieben:


»Ma très chère Cousine!


In größter Eyl und mit vollkommenster Reu und Leid und steifem Vorsatz schreibe ich Ihnen und gebe Ihnen die Nachricht, daß ich morgen schon nach München abreise. Liebstes Bäsle, sey kein Häsle, ich wäre sehr gern nach Augsburg, das versichere ich Sie, allein der Herr Reichsprälat hat mich nicht nach Augsburg gelassen und ich kann ihn nicht hassen, denn das wäre wider das Gesetz Gottes und der Natur, und wers nicht glaubt, ist ein –; mithin ist es halt einmal so. Vielleicht komme ich von München auf einen Sprung nach Augsburg, allein es ist nicht so sicher; wenn Sie so viel Freud haben mich zu sehen, wie ich Ihnen, so kommen Sie nach München in die werthe Stadt. Schauen Sie, daß Sie vorm neuen Jahr noch drinnen sind, so will ich Sie dann betrachten vorn und hint, will Sie überall herumführen, – doch nur eines ist mir leid, daß ich Sie nicht kann logiren, weil ich in keinem Wirthshaus bin, sondern wohne bey –, ja wo, das möchte ich wissen. Nun Spassus a part – just dessentwegen ist es für mich notwendig, daß Sie kommen – Sie werden vielleicht eine große Rolle zu spielen bekommen. Also kommen Sie gewiß.«

Und dann wieder ein Schluß, der die lustigste Laune verrät. Man sieht, er war voller Hoffnung. Und wie sehr wurde er getäuscht! Aloysia war ihm – untreu geworden. Er fand bei ihr die alte Gesinnung nicht mehr. Wolfgang trug nach der Sitte der damaligen Zeit wegen der Trauer um die Mutter an seinem roten Rock schwarze Knöpfe. In diesem Anzuge war er bei Webers eingetreten, und das soll der schönen Aloysia nicht gefallen haben. Außer dieser Notiz besitzen wir nur noch eine Bemerkung[204] eines Mannes, der später Mozarts Witwe geheiratet hat, des Etatsrathes Nissen. Er sagt: »Sie schien den, um den sie ehedem geweint hatte, nicht mehr zu kennen, als er eintrat. Deshalb setzte sich Mozart flugs ans Klavier und sang laut: Ich laß das Mädl gern, das mich nicht will.«

Wolfgang wohnte bei Webers, er hatte dort sogleich die freundlichste Aufnahme gefunden. Jetzt schlug dieses Ereignis in seine Seele! – Auch hatte der Vater geschrieben, er solle mit der nächsten Diligence von München abreisen und nicht versuchen, durch Cannabich weiteren Aufschub zu erwirken. Dieser war nun freilich nebst Raaff »mit Händen und Füßen« für ihn thätig. Allein des Vaters Befehl war bestimmt, und so entstand in Wolfgangs Seele zu den zerstörten Hoffnungen und der trüben Aussicht auf Salzburg noch die Besorgnis, der Vater, unzufrieden und verstimmt, werde ihn nicht freundlich empfangen. Da ward sein Herz zum Zerspringen voll. Hatte er wohl jemals mehr das Bedürfnis gehabt, sich an die Treue des Vaters anzulehnen, als jetzt, wo ihm der Boden unter den Füßen schwankte, weil er sah, daß die, die er so sehr geliebt, nicht mehr sein eigen war? Er schüttete sein Herz dem Flötisten Becke, seinem alten Freunde aus, und dieser machte die Erregung des jungen Gemütes nur noch größer durch die Vorstellungen, die er ihm von der Güte und Nachsicht seines Vaters gab. So war das Maß voll, und es liegt viel in den einfachen Worten, die Wolfgang nach wenig Tagen zum Vater sagte: »Ich habe niemalen schlechter geschrieben als diesmal, denn ich kann nicht, mein Herz ist gar sehr zum Weinen gestimmt. Ich hoffe, Sie werden mir bald schreiben und mich trösten.«

Worte waren nicht Mozarts Mittel, dem Herzen Luft zu machen. Was sich damals in seinem Inneren sammelte und wie ein Strom durch die Pforten des Herzens stürzte, das blieb in ihm verschlossen, das floß nicht in Tränen aus. Aber wohl ergoß es sich in den Jahren seines Lebens Tropfen für Tropfen in[205] die Gebilde seiner Phantasie, die bei ihm wie bei wenig Künstlern in Wahrheit mit dem Blute des Herzens genährt sind. Kein Wort der Klage geht über seine Lippen. Nur an die Liebe des Vaters denkt er in diesem schweren Augenblicke, und man kann kein schöneres Zeugnis über das Herz dieses Jünglings ausstellen, als jener Becke in einem Briefe an den Vater es thut: »Er brennt vor Verlangen, seinen liebsten theuersten Vater zu umarmen, welches sobald als es seine hiesigen Umstände erlauben, folgen wird; nur machte er mich selbst fast kleinmüthig, indem ich ihn seit einer Stunde kaum aus den Thränen bringen konnte. Er hat das allerbeste Herz. Nie habe ich ein Kind gesehen, das mehr Empfindung und Liebe für seinen Vater in seinem Busen trägt als Ihr Herr Sohn. – Sein Herz ist so rein, so kindlich, so aufrichtig gegen mich; wieviel mehr muß es nicht gegen seinen Vater seyn. Nur mündlich muß man ihn hören, und wer würde ihm nicht Gerechtigkeit widerfahren lassen, als dem besten Charakter, als dem redlichsten und eyfrigsten Menschen!«

Es fällt ihm jetzt gar schwer aufs Herz, daß er die Rückkehr so lange verzögert, daß er so vieles versucht hatte, um überall anderswo als in Salzburg eine Anstellung zu finden. Denn jetzt war ja das Einzige, was ihn dazu bewogen, was ihn dazu berechtigt, eine Täuschung, eine Lüge vor ihm selbst. Und wenn auch der Vater sogleich antwortet, daß er eines zärtlichen Empfanges in der Heimat gewiß sein könne, daß man ihn nur gedrängt habe, weil das Anstellungsdekret schon vier Monate alt sei und sein langes Ausbleiben auch den Erzbischof ungeduldig mache, und wie man es nicht darauf ankommen lassen dürfe, daß dasselbe wohl gar zurückgezogen werde, so liegt doch in dem Briefe, den Wolfgang jetzt schreibt, mehr von einer Anklage als einer Entschuldigung. »Ich versichere Sie, mein liebster Vater, daß ich mich nun ganz zu Ihnen (aber nicht zu Salzburg) freue, weil ich durch Ihr letztes versichert worden bin, daß Sie mich besser kennen als vorhin!« sagt er. »Es war einmal keine andere[206] Ursache an der langen Verzögerung nach Hause zu reisen, an der Betrübniß, – die ich endlich, weil ich meinem Freund Becke mein ganzes Herz entdeckte, nicht mehr bergen konnte, – als dieser Zweifel. Was könnte ich denn sonst für eine Ursache haben? Ich weiß mich nichts schuldig, daß ich von Ihnen Vorwürfe zu befürchten hätte; ich habe keinen Fehler (denn ich nenne Fehler das, welches einem christlichen und ehrlichen Menschen nicht ansteht) begangen. Mit einem Wort, ich freue mich und verspreche mir schon im Voraus die angenehmsten und glücklichsten Tage – aber nur in Ihrer und meiner liebsten Schwester Gesellschaft. Ich schwöre Ihnen bey meiner Ehre, daß ich Salzburg und die Einwohner (ich rede von geborenen Salzburgern) nicht leiden kann, – mir ist ihre Sprache, ihre Lebensart ganz unerträglich.«

Das war freilich alles ganz wahr. Aber das andere ist auch wahr, daß sein Herz unter der verlorenen Liebe litt, und wohl noch mehr als unter dem Widerwillen gegen seine Vaterstadt und der Sorge um des Vaters Liebe. Und doch schließt dieser Brief in einer Weise, als wenn nichts Schmerzliches im Gemüte seines Schreibers lebte: »Mein Bäsle ist hier – warum? ihrem Vetter zu Gefallen? – das ist freylich die bekannte Ursache! allein – nu, wir werden in Straßburg davon sprechen, dessentwegen wünschte ich sehr, daß sie mit mir nach Salzburg gehen möchte. Sie geht gern; mithin wenn Sie Vergnügen haben, sie bei sich zu sehen, so haben Sie die Güte und schreiben gleich Ihrem Herrn Bruder, daß die Sache richtig wird – Sie werden, wenn Sie sie sehen und kennen, gewiß mit ihr zufrieden seyn, alle Leute haben sie gern.« Und auf der Rückseite schreibt das Bäsle: »Monsieur, mon très cher Oncle! Ich hoffe Sie werden sich nebst der Mademoiselle Cousine wohl befinden. Ich hatte die Ehre, den Herrn Sohn recht gesund in München anzutreffen; sein Will ist, ich sollte mit nach Salzburg, noch weiß ich aber nicht, ob ich die Ehre haben werde, Sie zu sehen« [Hier ist ein Tintenfleck, dazu hat Wolfgang bemerkt: »Das Portrait meiner Base,[207] sie schreibt in Hemdärmeln.«] »aber mein Vetter ist ein rechter Narr, das sehen Sie. Ich wünsche Ihnen, mon cher Oncle, recht wohl zu leben, der Mademoiselle Cousine 1000 Compliment.


Je suis de tout mon coeur

[Monsieur, setzt Wolfgang hinzu,

votre invariable cochon]

M.A. Mozartin.«


Machte sich so sein Gefühl in Späßen Luft? Und war dieses Treiben mit dem Bäsle eine Ableitung des Kummers, der an seiner Seele nagte? Gewiß ist, daß er dem Taumel des Schmerzes nicht verfiel. Und dann, wer weiß nicht, daß ein Herz, das um Liebe leidet, der Liebe am meisten zugänglich ist. Das Bäsle ging wirklich mit nach Salzburg und erleichterte ihm die ersten Wochen des dortigen Aufenthaltes, erleichterte ihm, ob es gleich nur ein kindisches Spiel war, das er mit ihr trieb, das Herz, das so ganz in sein Innerstes zurückgeschlagen war. Wir haben keine direkten Aeußerungen Mozarts über jene Tage, und die oben mitgeteilte Notiz Nissens zeigt nur, wie er seinem Stolz Genüge tat, aber nicht, wie sein Empfinden sich zu diesem Vorgange stellte. Daß er Aloysia liebte, wissen wir aus zahlreichen Bemerkungen früherer Briefe, – nur schade, daß die an sie selbst gerichteten nicht erhalten sind! – und daß die Täuschung dieses Gefühles bei ihm noch lange Wirkung tat, erfahren wir, wenn man dafür eine Bestätigung brauchte, an dem Worte, das er nach zwei Jahren, als er Webers in Wien wiederfand, an den Vater schrieb: »Bei der Langin war ich ein Narr, das ist wahr; aber was ist man nicht, wenn man verliebt ist! Ich liebte sie in der That und fühle, daß sie mir noch nicht gleichgültig ist – ein Glück für mich, daß ihr Mann ein eifersüchtiger Narr ist und sie nirgend hinläßt, und ich sie also selten zu sehen bekomme!« Aber auch jetzt äußerte sich sein Empfinden auf seine Art. Er schrieb wiederum eine Arie für Aloysia. Wie himmelweit verschieden[208] ist sie von jener, die in Mannheim das eben erwachende Liebesgefühl mit so schöner Wärme ausgesprochen hatte! Auch jetzt äußert sich sein eigenes Gefühl und zwar in dem Rezitative, das mit so besonders kräftigen und überraschenden harmonischen Wendungen ausgestattet ist. Allein die Arie selbst ist mehr von künstlerischen Absichten als von persönlicher Empfindung eingegeben. Schon die Wahl des Textes aus der Oper »Alceste«, mit deren Komposition so eben Schweitzer und mehr noch Gluck Ruhm erlangt hatten, beweist, daß sich diesmal der Künstler zeigen wollte, und ihm gelang es, beide Vorgänger, was die Erfindung anbelangt, zu übertreffen. Freilich der Ausdruck der Leidenschaft, das Dramatische ist bei Gluck bedeutender. Mozart wollte vorzugsweise sein Können und die Fähigkeiten der Sängerin zeigen. So hat die Arie eine Koloratur bekommen, die uns allerdings die Weber im glänzendsten Lichte sowohl wegen der fabelhaften Höhe wie der Beweglichkeit der Stimme zeigt, und dann wieder Stellen des getragenen Gesanges, die an das innige Gefühl erinnern, welches Mozart selbst an diesem Mädchen pries. Allein die Seele der Liebe wohnt nicht in diesen Tönen, – sie sind eine Huldigung, die der Sängerin gebracht wurde, nicht eine Gabe des Herzens an das geliebte Mädchen.

Und sie war es auch nicht mehr wert, daß ein Mozart für sie empfand. Freilich erfahren wir nicht, ob die Anerkennung, die ihrer jugendlichen Schönheit, wie ihrem Gesange, in München gezollt ward, ihr einen törichten Hochmut erweckte, – ob das Mädchen, das jetzt von vornehmeren und stattlicheren Verehrern umgeben war, den unscheinbaren jugendlichen Musiker zu unbedeutend fand. Jedenfalls ist ihre Handlungsweise ein Zeugnis, daß ihr Charakter nicht so beschaffen war wie Mozarts edler Sinn, und wir sehen, daß auch er nach einigen Jahren seinen Irrtum erkannte. Aber in diesem Augenblicke war sein Schmerz jung, und die Neigung nicht überwunden. Nur die große Lauterkeit seines Herzens brachte es mit sich, daß ihm auch diese Erfahrung[209] weder den Frieden der Seele noch den Glauben an die Menschen raubte. Vielmehr gerade dadurch, daß sich diese Liebe nun mit all ihrer poetischen Fülle in ihm fixierte, gewann er einen Schatz, aus dem er zeitlebens schöpfte, – das Mädchen, an dem sein Herz hing, hatte er verloren, aber die Liebe nicht. Sie blieb ihm, ein Kind der Schmerzen, aber an ihr erzog sich seine Seele, und es bedurfte nicht mehr vieler Erfahrungen, daß sich sein Inneres von den Wünschen des Lebens loslöste und auf die eigenen Füßen stellte. Und wenn wir auch trotz so mancher durchaus heiteren Komposition die nächste Zeit hindurch noch einen leichten Nebelflor um sein Haupt verbreitet sehen, – es währte nicht zwei Jahre, so brach die lichte Sonne wieder ganz hervor, und Sicherheit und Helle kehrten in sein Herz zurück.

Auf Aloysias Wegen aber strahlte nicht das Glück, nicht der Friede und Reichtum, der aus dem Bewußtsein des lauteren Herzens fließt. Erst als sie alt geworden, und Mozart längst tot war, wußte sie, was er gewesen, und erzählte gern von ihm und ihrer Freundschaft, und mit diesem Wiedererwachen der schönsten Jugendempfindung kehrte auch ihrem Herzen etwas von der Liebenswürdigkeit zurück, mit der Mozart sie wie jeden Nahenden zeitlebens beglückt hatte. Und jetzt auch erfreute man sich an ihrem fröhlichen anspruchslosen Wesen, ihrer Freiheit von allen gewöhnlichen Virtuosenlaunen in der Gesellschaft, ihrer Bereitwilligkeit, jedermann, bei dem sie nur einige Kenntnis und Liebe zur Musik sah, durch ihr Talent zu erfreuen. Es ist, als wenn ihr erst da etwas von dem Geiste aufgegangen wäre, mit dem Mozart sie geliebt hatte, es ist, als wenn ein Hauch seines Herzens hier noch selbst am entlaubten Stamme neue Blätter erzeugt habe. Doch dazwischen liegen Jahre der Torheit und des Irrens für diese Frau, und wir werden Mozart noch oft mit ihr in Berührung treten sehen. Einstweilen schied er von ihr mit dem Gefühle des Schmerzes, und seine Achtung erreichte niemals den Grad, mit dem er dem Mädchen bis dahin begegnet war.[210]

Desto größer war die liebende Verehrung, die der betrogene Jüngling, jetzt dem treuen Vater von neuem entgegentrug, wie der Eifer, mit dem er seiner Kunst, seinen Idealen nachging.

Der Empfang zu Hause mußte durch die Liebe, die ihm überall entgegenkam, sein Herz tief ergreifen. Fast zwei Jahre war er entfernt gewesen. Mit den freudigsten Hoffnungen entflog der goldene Vogel dem Käfig, er freute sich der Freiheit. Nun kehrte er, manch schöner Feder durch schnöde Hand beraubt, in denselben Käfig zurück und wußte nicht, wann er ihn wieder verlassen werde, sah keine Hoffnung dazu vor Augen. Er hatte gedacht, in der freien Welt Ruhm und Ehre, ja Schätze zu gewinnen. Er hatte sich redlich bemüht, und der Ruhm war nicht ausgeblieben. Aber Schätze brachte er nicht heim, – arm kehrte er zurück ins Vaterhaus, »arm am Beutel, krank am Herzen«. Die Mutter hatte er in der Fremde für immer zurückgelassen, – die Jugendliebe, so warm, so lebendig noch vor wenig Wochen, sie war ebenfalls zu Grabe getragen. Nirgends um sich her sah er Freude, nirgends eine lockende Zukunft. Wie mögen die Tränen geronnen sein, als er wieder in die Arme des treuen Vaters fiel! Wie mögen ihre Lippen verstummt sein, wie die Herzen geklopft haben! Alles war für seine Aufnahme sorglich vorbereitet, ein bequemer schöner Schrank und das Klavichord standen in seinem Zimmer, die Theresel hatte Kapaundeln in Menge gekauft, Graf Firmian hatte bereits seine Pferde antragen lassen, und auch Dr. Prexl sein schönes Bräundl zur Verfügung gestellt. Und wie viele andere Freunde begrüßten ihn mit Freude und Triumph! Dennoch rannen die Tränen, und dennoch war seinen Sinnen dumpf und sein Herz zum Brechen voll. Denn er sah nicht, was wir heute wissen, daß sich doch noch alles zum Besten wenden werde, daß die lange Reise mit all ihren Freuden und Leiden den Menschen wie den Künstler gereift hatte, und daß selbst die Abgeschlossenheit des Salzburger Lebens, in das er jetzt wieder eingezwängt wurde, die Kräfte des Künstlers[211] auswachsen lassen und ihn zu den höchsten Leistungen befähigen sollte.

Die ersten Wochen hindurch erheiterte und zerstreute ihn also das Bäsle, das neckische Zöfchen, das nach wenig Tagen im Hause des Oheims eintraf. Gewiß wurde auch manches alte Verhältnis mit Salzburger Freunden wieder angeknüpft, so daß es an fröhlicher Geselligkeit nicht fehlte. Allein die Hauptsache war der geringe Grad von Bildung und Achtung in betreff der Kunst, der Mozart in seiner Vaterstadt mißfiel. »Wenn ich in Salzburg spiele,« schreibt er später, »oder von meiner Composition was aufgeführt wird, so ist's als wenn lauter Tische und Sesseln die Zuhörer wären.« Sicherlich aber war auch die Art und Weise, wie der »Mufti« ihn behandelte, seinem Gemüte jetzt noch ungleich mehr verletzend als schon früher. Wir wissen nichts Näheres über diesen letzten Aufenthalt Mozarts in seiner Vaterstadt. Aber die Behandlung, die er später von diesem Herrn erfuhr, läßt einen Schluß darauf machen, daß auch jetzt nicht viel Erquickliches in diesem Verhältnisse lag. Zudem war der Groll, den der Erzbischof wegen jener plötzlichen Aufkündigung gegen seinen Kapellmeister hegte, durch dessen langes Zögern beim Antritte des neuen Amtes gewiß nicht gelindert worden. Auch gaben jene neuen Einrichtungen, die sowohl bei Hofe wie beim Gottesdienste den Musikstücken ein sehr kurzes Maß auferlegten, dem Komponisten wenig Aufmunterung zu dem, was ihm das Liebste war, und wobei er alle Not des Lebens vergaß, zum künstlerischen Schaffen. Er gesteht später, daß es ihm, obgleich er gewiß nicht den Müßiggang, sondern die Arbeit liebe, in Salzburg Mühe gekostet habe, zu arbeiten, daß er sich oftmals fast nicht dazu habe entschließen können: – »warum? weil mein Gemüt nicht vergnügt war«. Dabei drückte ihn immer das Gefühl, daß er durch diesen Aufenthalt an der Erfüllung seiner eigentlichen Aufgabe verhindert werde. »Wenn man seine[212] jungen Jahre so in einem Bettelort in Unthätigkeit verschlänzt, ist es traurig genug und auch Verlust!« sagt er.

Und doch hatten auch diese beiden trüben Jahre, diese Zeiten des Druckes, ihr Gutes. Sie trieben den Jüngling tiefer in sein Inneres hinein, sie ließen ihn in das eigene Herz schauen und den reichen Stoff verarbeiten, den ihm an Leid und Freude das Leben in der Welt bereits gegeben hatte. Denn ob er gleich von Untätigkeit redet, diese Zeit ließ ihn doch eine Menge Werke schaffen: die letzten Vorübungen zu dem Meisterstück, mit der er sich jetzt bald die Freiheit vom Gesellenstande erkaufen sollte, um dann selbst Meister zu werden.

Wir haben die Werke nicht aufzuzählen, die in diese beiden Jahre fallen. Es genüge, daß jedes von ihnen mit dem reiferen Menschen den reiferen Künstler zeigt. Die Symphonien dieser Zeit bekunden bei reicherer Kontrapunktik die Vorteile des Mannheimer und Pariser Aufenthaltes: die einzelnen Instrumente sind mehr beseelt, und vor allem hat jeder der Bläser Sitz und Stimme in dem Parlamente bekommen. Im ganzen zeigt sich in ihnen eine Freiheit und Heiterkeit, die uns zweifeln lassen könnte, ob dieses Herz schon tiefe Wunden empfangen, wenn nicht manches Andante durch unendlich seelenvollen Gesang die Vertiefung des Innern verriete, die dem Menschen der Schmerz bringt. Aber selbst über dieser leisen Wehmut liegt ein Friede, der beweist, daß sich das Herz durch seine Leiden hindurchgerungen, und aus ihm springt dann auch oftmals das Kind der fröhlichsten Laune hell lachend hervor.

Schon im Mai war auch wieder einer jener närrischen Briefe ans Bäsle vom Stapel gelaufen: »Liebstes, bestes, schönstes, liebenswürdigstes, reizendes, von einem unwürdigen Vetter in Harnisch gebrachtes Bäschen oder Violoncellchen! Ob ich Johannes Chrysostomus Sigismundus Amadeus Wolfgangus Mozartus wohl im Stande seyn werde, den Ihre reizende Schönheit (visibilia und invisibilia) gewiß um einen guten Pantoffelabsatz[213] erhöhenden Zorn zu stillen, mildern oder zu besänftigen, ist eine Frage, die ich aber auch beantworten will. Besänftigen will I mo so viel sagen als Jemand in einer Sänfte sanft tragen – ich bin von Natur aus sehr sanft und einen Senft esse ich auch gern« u.s.w. Dann folgt eine Parodie nach jenem Gedichte Klopstocks, das von Franz Schubert so reizend in Musik gesetzt worden ist:


Eine zärtliche Ode.

Dein süßes Bild, o Bäschen,

schwebt stets um meinen Blick;

allein in trüben Zähren

daß Du es selbst nicht bist.

Ich seh' es, wenn der Abend

mir dämmert; wenn der Mond

mir glänzt, seh' ich's – und weine,

daß Du es selbst nicht bist.

Bei jenes Thales Blumen,

die ich ihr lesen will,

bei jenen Myrtenzweigen,

die ich ihr flechten will,

beschwör' ich Dich, Erscheinung:

auf und verwandle Dich,

verwandle Dich, Erscheinung,

und werd' – o Bäschen selbst!


Und er schließt: »Mein und unser aller Empfehlung an Ihren Herrn Hervorbringer und Frau Hervorbringerin. Adieu Engel! Mein Vater giebt ihm seinen onkelischen Segen und meine Schwester giebt ihm tausende cousinische Küsse. Adieu – adieu – Engel!«

Das ist der letzte Brief an das Bäsle, der erhalten ist. Er beweist, daß wieder viel Neckerei und auch etwas Zärtlichkeit zwischen den beiden vorgekommen war, und es scheint, daß sie diese Kurmacherei ernstlicher genommen hatte. Wenigstens glaubte, wie Jahn berichtet, später ihre Umgebung in der Art wie sie von ihm sprach, etwas von getäuschten Erwartungen hindurchklingen[214] zu hören. Sie redete nicht gern von dieser Zeit. Musikalisch war sie nicht, und so blieb ihr Mozarts eigentliche Bedeutung fern. Dieser aber fand in ihr nicht die tieferen Regungen, die ihm bei aller Lustigkeit die Grundlage des Seins waren. Das Bäsle starb am 25. Januar 1841 im hohen Alter von 83 Jahren.

Tieferen Gehalt als die obenberührten Instrumentalsachen bieten die Chöre zum Drama »König Thamos«, die ebenfalls damals entstanden. Sie sind später von Mozart selbst mit lateinischem Text versehen und so zu jenen Hymnen geworden, die, allgemein bewundert, den Maßstab für ihn als Kirchenkomponisten abgegeben haben. Zwar liegt in ihnen eine gewisse Feierlichkeit, wie selbst wenige seiner Kirchensachen haben, eine Gehobenheit der Empfindung, wie sie schöner nur in der »Zauberflöte« gefunden wird. Allein es hat doch der Komponist alles auf die theatralische Wirkung berechnet, und daher ist trotz aller ernsten Absicht mehr weltliche Würde als religiöse Tiefe in diesen Chören, die Mozart mit aller Liebe und Sorgfalt bis ins kleinste Detail ausgeführt hat, und die den Ernst der Empfindung bekunden, der bereits damals in seine Seele gedrungen war. Und doch sind einzelne Kirchenwerke aus jener Zeit, so sehr Hieronymus deren Umfang beschränkt hatte, ein ungleich tieferer Ausdruck jenes Gemütes, aus dem am Ende seiner Tage das Requiem floß.

Noch aber gab es eine fernere Gelegenheit, die Dinge los zu werden, die in seinem jugendlichen Inneren gohren. Der Theaterdirektor Schikaneder, den wir später näher kennen lernen werden, war in jenem Jahre mit seiner Truppe in Salzburg und wußte schon damals aus den Kräften Mozarts seinen Vorteil zu ziehen. Er war mit seiner Familie bekannt geworden und bald so befreundet, daß er sogar am Bölzlschießen teilnehmen durfte. Wolfgang komponierte ihm eine Arie, und sicher geschah es auch auf seine Anregung, daß der ehrliche Schachtner den Text zu[215] einer Operette verfaßte, die unter dem Namen »Zaide« bekannt geworden ist. Der Stoff regte Mozarts eigenes Empfinden an. Es handelte sich um zwei Liebende, die ähnlich wie in der »Entführung« durch die Leidenschaft eines Sultans getrennt worden waren. Hier konnte nun Mozart den ganzen Zauber seines Empfindens aussprechen: die Not der Liebenden, ihr Glück und ihr Leid und wieder ihre Freude. Er hatte ja das alles an sich selbst erfahren, und seine Gesänge gewinnen daher eine Zartheit, eine Innigkeit und dazu einen Adel und eine Grazie, in der sich schon der ganze Mozart zeigt, wie wir ihn kennen und lieben, die ganze schöne, feine, reine, liebeselige Seele. Diese Arie nebst den Instrumentalsachen und einigen Klaviersonaten, die von einem seltenen Zauber der wärmsten Empfindung sind, geben einzig Aufschluß über das innere Leben des jungen Künstlers. Man sieht, wie er allgemach mit dem fertig ward, was er innen und außen erlebt hatte, und selbst die widrige Umgebung stört die Harmonie und Heiterkeit seiner Seele nicht. Allein das waren nur Ergüsse seines persönlichen Empfindens, oder höchstens Vorarbeiten zu größeren Dingen, er sehnte sich nach Aufgaben auf umfassenderem Gebiete: er wollte eine große Oper schreiben. Mit der Schule war er längst fertig, er wußte, was die großen Meister der dramatischen Muse geleistet, er kannte ihre verschiedenen Richtungen, die alte italienische Weise wie die Neuerungen Glucks. Er brannte vor Begier nach einer großen Tat, in der er sich selbst als Meister erweisen, sich über alle hinausschwingen konnte. Und sie wird ihm.

In München, wo es trotz aller Bemühungen Wolfgang bisher nicht gelungen war, eine Anstellung zu gewinnen, blieben seine Freunde nach wie vor für ihn tätig. Als man nun für den Karneval 1781 eine neue italienische Oper wünschte, fiel es nicht schwer, die Wahl auf Mozart zu lenken. Der Kurfürst und Graf Seeau kannten und schätzten ihn in gleicher Weise. Kaum war der Bescheid nach Salzburg gekommen, so ließ Mozart[216] alles liegen, Amt und Operette, und eilte frohlockend nach München. Den Urlaub durfte der Erzbischof nicht verweigern, er hatte feste Zusicherungen gegeben, sobald sich ein Auftrag finde, und war ja überdies dem bayerischen Nachbar Rücksicht schuldig. Ein Salzburger, Abbate Varesco, mußte das Textbuch verfertigen, welches Schachtner später ins Deutsche übersetzt hat. Es war »Idomeneo, il Rè di Creta«, das erste große Werk, mit dem Mozart in die Reihen der Unsterblichen eintrat.

Hier war eine würdige Aufgabe. Das Münchener Orchester kannte Mozart von Mannheim her. Es war das beste in Deutschland, ja in der Welt, und er durfte ihm etwas zumuten, um so mehr, als ihm die Mitglieder ja fast alle persönlich zugetan waren. Ebenso kannte er das Sängerpersonal. Dorothea Wendling war hervorragend, Elisabeth Wendling ebenfalls eine vortreffliche Künstlerin. Raaff war zwar »auf den alten Schlendrian so versessen, daß man Blut dabei schwitzen möchte«, aber ein ausgezeichnet geschulter Sänger. Den Kastraten dal Prato mußte Mozart freilich die ganze Oper lehren; »der Bub kann doch gar nichts«, sagt er, »seine Stimme wäre so übel nicht, wenn er sie nicht in den Hals und in die Gurgel nähme.« Allein er richtete sich darnach und brachte auch hier das Rechte zu stande. Der Stoff bot mannigfache und dramatisch nicht unwirksame Situationen, und wenn er auch nach der Weise der Opera seria mehr wie ein Arienbündel bearbeitet war, das durch den Faden einer Handlung zusammengehalten wird, so drang doch Mozart, der Glucks Opern gesehen hatte, darauf, daß Chöre in den Text hineinverwebt wurden und zwar so, daß sie ebenfalls an der Handlung Anteil nahmen. Und nun ging es ans Komponieren, mit einem Eifer, den wir begreifen, nachdem wir den jungen Aar solange in der Gefangenschaft sitzen gesehen haben. Diesen ersten Flug, den er wieder in die Welt tun durfte, wollte er nützen; er wollte sich wahrhaft als den königlichen Vogel zeigen, als den er sich fühlte. Sein Geist war von großen Ideen erfüllt,[217] sein Herz weit und frisch, seine Phantasie brannte in jugendlicher Lohe. Jetzt galt es so viel Ruhm zu gewinnen, daß er das verhaßte Salzburg für immer verlassen konnte. Er hatte lange »passen« müssen. In Mannheim, in Paris und wieder in Mannheim war ihm der Gaumen nach Komposition einer großen Oper gereizt worden. Jetzt hatte er die Trümpfe in der Hand, und er wollte sie ausspielen. Wir wissen heute, daß er es tat, daß es ihm gelang, daß er das Spiel gewann und mit ihm die goldene Freiheit.

Anfang November 1780 kam er in München an: »Glücklich und vergnügt war meine Ankunft.« Er wohnte in der Burggasse, in dem Hause, an dem heute eine Gedenktafel angebracht ist. Ein Teil der Musik war bereits fertig; diesen galt es jetzt einzustudieren und den Rest zu schreiben. Allerseits fand er wohlwollende Aufnahme. Graf Seeau war ihm in allem zu Willen. Zwar stritten sie zuweilen miteinander, aber dann ward Mozart grob: »sonst wäre ich nicht mit ihm ausgekommen.« Er erzählt: »Er hat mich letzten Sonntag nach dem Amte dem Kurfürsten en passant vorgestellt, welcher sehr gnädig mit mir war, indem er sagte: Es freut mich, Ihn wieder hier zu sehen. Und als ich sagte: daß ich mich beeyfern werde, den Beyfall Sr. kurfürstl. Durchlaucht zu erhalten, so klopfte er mich auf die Schulter und sagte: O daran habe ich keinen Zweifel, daß Alles sehr gut seyn wird. – A piano piano si va lontano!« So konnte er den Vater über den Erfolg der Oper vollkommen beruhigen.

Ende November war bereits der erste Akt probiert. »Die Probe,« schreibt er, »ist außerordentlich gut ausgefallen. Ich kann Ihnen nicht sagen, wie Alles voll Freude und Erstaunen war. Ich vermutete es aber nicht anders, denn ich versichere Sie, ich ging mit so ruhigem Herzen zu dieser Probe, als wenn ich auf eine Collation hinginge. – Graf Seinsheim sagte zu mir: Ich versichere Sie, daß ich mir sehr viel von Ihnen erwartet habe, aber das hab ich wahrlich nicht erwartet. Das Cannabich'sche[218] Haus und alle, die es frequentieren, sind doch wahre Freunde von mir. Als ich nach der Probe mit Cannabich (denn wir hatten noch vieles mit dem Grafen zu sprechen) zu ihm nach Hause kam, kam mir schon Mad. Cannabich entgegen und umarmte mich voll Vergnügen, daß die Probe so gut ausgefallen; denn Ramm und Lang kamen wie närrisch nach Hause. Die gute Frau, die wahre Freundin von mir, hatte unterdessen, da sie mit ihrer kranken Rose allein zu Hause war, tausend Sorgen wegen meiner. Ramm sagte mir (denn wenn Sie diesen kennen, werden Sie sagen, das ist ein wahrer Teutscher, der sagt Ihnen so alles ins Gesicht, wie er sich es denkt): Das kann ich Ihnen wohl gestehen, sagte er, daß mir noch keine Musique solche Impression gemacht hat, und ich versichere Sie, daß ich wohl fünfzig Mal auf Ihren Herrn Vater gedacht habe, was dieser Mann für Freude haben muß, wenn er diese Opera hört. Nun genug davon! – Mein Catarrh ist bey dieser Probe etwas ärger geworden. Man erhitzt sich halt doch, wenn Ehre und Ruhm im Spiele sind, man mag anfangs noch so kaltblütig seyn.«

Der Vater ermahnte ihn sich zu schonen, um so mehr da auch Nannerl gerade in dieser Zeit an einem Brustübel litt, bei dem man die Auszehrung befürchtete. Allein Wolfgang war im Strome der Arbeit nicht zu hemmen, und bald schreibt er: »Daß ich froh und gesund bin, werden Sie aus meinen Briefen gemerkt haben. Man ist doch froh, wenn man von einer so großen, mühsamen Arbeit endlich befreyet, und mit Ehre und Ruhm befreyet ist: denn fast bin ich es, – denn es fehlen nur noch drey Arien und der letzte Chor vom dritten Acte, die Ouvertüre und das Ballet – et adieu partie!« Welche Frische und Schaffenslust! Im Drang der Arbeit vergißt er Katarrh und alle Erinnerung an frühere Tage in München. Alosia lebte jetzt in Wien, sie war dort als erste Sängerin engagiert worden, und ihre Familie war mit ihr gezogen. Er erwähnt ihrer in diesen Tagen nur einmal nebenbei und als einer vortrefflichen Sängerin, daß man[219] glauben möchte, die Lust am Schaffen zehrte alles andere auf. Er hörte die berühmte Gertrud Elisabeth Mara in München und schreibt von ihr: »Sie hat gar nicht das Glück, mir zu gefallen, sie macht zu wenig, um einer Bastardina gleichzukommen (denn dies ist ihr Fach), und macht zu viel, um das Herz zu rühren wie eine Weber, oder eine vernünftige Sängerin.«

Dagegen steigerte sich im Gelingen dieser Arbeiten, deren eine nach der andern stets mit lautestem Lob begrüßt wurde, auch das Gefühl seiner künstlerischen Bedeutung. Als der Vater ermahnt: »Ich empfehle Dir bey Deiner Arbeit nicht einzig und allein für das musikalische, sondern auch für das ohnmusikalische Publikum zu denken: – Du weißt, es sind hundert Ohnwissende gegen zehn wahre Kenner; vergiß also das sogenannte Popolare nicht, das auch die langen Ohren kitzelt«, antwortet Wolfgang: »Wegen dem sogenannten Popolare sorgen Sie nichts, denn in meiner Opera ist Musik für alle Gattung von Leuten – ausgenommen für lange Ohren nicht.« Und so sicher fühlte er sich in seiner Arbeit, daß er, der so außerordentlich gefällig war, sich den Eigentümlichkeiten, ja den Schwächen der Sänger anzubequemen, bei solchen Dingen, die er für richtig hielt, nicht um einen Zoll breit vom Platze wich. So schreibt er von dem herrlichen Quartett, in dem allein mehr und tieferes dramatisches Leben ist als in mancher ganzen Oper, und das zuerst den Genius der dramatischen Muse in seiner vollen Größe zeigt: »Mit dem Quartett habe ich jetzt meine liebe Noth gehabt. Das Quartett, je öfter ich mir es auf dem Theater vorstelle, je mehr Effekt macht es mir, und hat auch allen, die es noch so am Klavier gehört haben, gefallen. Der einzige Raaff meint, es wird nicht Effekt machen; er sagte es mir ganz allein non c'è da spianar la voce – es ist zu lang. Als wenn man in einem Quartett nicht viel mehr reden als singen sollte! Dergleichen Sachen versteht er gar nicht. Ich sagte nur: ›Liebster Freund! Wenn ich nur eine Note wüßte, die in diesem Quartett zu ändern wäre, so würde ich es sogleich thun; allein –[220] ich bin noch mit keiner Sache in dieser Oper so zufrieden gewesen wie mit diesem Quartett, und hören Sie es nur einmal zusammen, dann werden Sie gewiß anders reden. Ich habe mir bey Ihren zwei Arien alle Mühen gegeben Sie recht zu bedienen, werde es auch bey der dritten thun und hoffe es zu Stande zu bringen; – aber was Terzetten und Quartetts anbelangt, muß man dem Compositeur seinen freyen Willen lassen.‹ Darauf gab er sich zufrieden.« Ja nach der Probe fand er sich sogar mit Vergnügen betrogen und zweifelte nun auch nicht an dem guten Effekt.

Dieses Quartett ist dasjenige Stück der Oper, in dem Mozart die Forderung Glucks, daß in der Oper jede Empfindung und Situation ihrer Wahrheit gemäß treffend ausgedrückt werden müsse, auf eine Weise erfüllt, die selbst diesen Meister staunen machen mußte, weil sie das, was er selbst in der Zeichnung der einzelnen Personen und Empfindungen geleistet hatte, nun auf das Ensemble mehrerer Personen, die von einer ähnlichen Stimmung beherrscht werden, in einem Umfange anwendet, den Gluck nicht so vermocht hätte. Denn dieses setzt außer der Sicherheit, mit der Glucks großer Sinn die wahre Empfindung erkannte und den rechten Ton dafür fand, noch jene Beherrschung der kontrapunktischen Mittel jener Kunst voraus, die allein im stande ist, mehrere Personen nach ihrer Individualität sich bestimmt äußern zu lassen und sie doch zugleich in demselben Rahmen zusammenzufassen. Daß nun aber Mozart neben der Weise, wie er diese Aufgabe weit über Gluck hinaus löste, seinen Tongängen stets noch die Schönheit des Melodischen gab und dem Ganzen jenen unbeschreiblichen Zauber des Klangs, das war eben Folge teils seiner angeborenen Art, alles mit Adel, Anmut und Wohlklang vorzutragen, teils seiner Bildung in der italienischen Schule. So ist es kein Wunder, wenn diese Musik damals einen ganz ungemeinen Eindruck machte.

»Die letzte Probe ist herrlich gewesen,« schreibt Wolfgang, »sie war in einem großen Zimmer bey Hof. Der Kurfürst war[221] auch da. Dieses Mal ist mit dem ganzen Orchester (versteht sich das im Opernhause Platz hat) probirt worden. – Nach dem ersten Acte sagte mir der Kurfürst überlaut Bravo, und als ich hinging, ihm die Hand zu küssen, sagte er: ›Diese Oper wird charmant werden, Er wird gewiß Ehre davon haben.‹ – Weil er nicht wußte, ob er so lange da bleiben kann, so mußte man ihm die concertirende Aria und das Donnerwetter zu Anfang des zweyten Act machen. Nach diesem gab er mir wieder auf das freundlichste seinen Beyfall, und sagte lachend: ›Man sollte nicht meynen, daß in einem so kleinen Kopfe so was Großes stecke.‹ Er hat auch den andern Tag früh beym Cercle meine Opera sehr belobt.« – »Ich war ganz surprenirt«, hatte er, wie Mozart später erfuhr, den Abend nach der Probe gesagt: »noch hat mir keine Musik den Effect gemacht – das ist eine magnifique Musik.«

Nun erinnere man sich aber auch der Macht der Doppel-Chöre, wie beim Sturm das Volk zusammenläuft. Becke schrieb an den Vater, daß »dieser Chor so stark wäre, daß er Jedem, auch in der größten Sonnenhitze, eiskalt machen müßte.« Das war damals ganz neu. Aber ist nicht noch heute die Wirkung dieselbe? – Da merkt man Glucks machtvolle Persönlichkeit, von der hier freilich das Rauhe und Ungelenke völlig getilgt ist. Und Ende Dezember schreibt Wolfgang: »Der dritte Act wird wenigstens so gut ausfallen, als die beyden ersten; ich glaube aber unendliche male besser, und daß man mit Recht sagen könne: finis coronat opus.« Er spannte sich aufs höchste an: »Kopf und Hände sind mir vom dritten Akt voll, daß es kein Wunder wäre, wenn ich selbst zu einem dritten Akt würde. Der allein kostet mehr Mühe als eine ganze Opera, denn es ist fast keine Scene darin, die nicht äußerst interessant wäre.« Es ist dabei auch die unterirdische Stimme, welche das Orakel erteilt, und die Wirkung war die gehoffte. Dann hatte er noch obendrein die »verwünschten Tänze« zu schreiben, die ihm so viel zu schaffen machten, daß er nichts anderes, nicht einmal an sein Befinden denken konnte, und[222] am 18. Januar endlich heißt es: »Laus Deo, nun hab ich's überstanden!«

Unterdessen rückte der Tag der Aufführung heran, der nach mancherlei Hinaussetzungen endlich auf den 29. Januar fest bestimmt wurde. Der Ruhm der Musik war schon längst nach Salzburg gedrungen, Becke hatte davon geschrieben, andere davon erzählt, und der Herr Dr. Prexl ließ Wolfgang das »ohnaussprechliche Vergnügen ausdrücken, mit welchem er vernommen, daß er den Salzburgern so große Ehre mache«. Mehrere von ihnen reisten nach München, um bei der Aufführung zu sein. Auch der Vater, der »sich auf das vortreffliche Orchester wie ein Kind freute«, wollte mit der Schwester kommen. Nur wartete er, bis der Erzbischof, der nach Wien reisen sollte, abgegangen war; er mochte sich keiner abschlägigen Antwort aussetzen. Dem Nannerl wäre beinahe ein Strich durch die Rechnung gemacht worden, weil sie wegen des Todes der Kaiserin Maria Theresia im Trauerkostüm erscheinen mußte. »Wegen dem schwarzen Kleid,« schreibt der Vater, »war Deine Schwester sehr verlegen. Das alte ist so abgetragen, daß es nicht mehr zu gebrauchen; sie hat also heut sich entschlossen, ein ganz neues ihr machen zu lassen, und es ist der Grosdetour schon beym Schneider; es wird ihr auf etliche und 70 fl. zu stehen kommen. Sie hofft der Kurfürst wird es bezahlen müssen.« Das letzte ist in Chiffern geschrieben.

Am 25. Januar reisten sie ab und trafen also zur rechten Zeit ein. Sie wohnten bei Wolfgang. So war nichts über die Aufführung zu schreiben, und deshalb wissen wir nicht, wie sie ausgefallen. Allein nach dem Erfolg der Proben und der Spannung, mit der das Werk erwartet wurde, zu urteilen, muß die Aufnahme auch von seiten des Publikums eine glänzende gewesen sein. Und es ist zu gestehen, daß die italienische Weise, die ja damals die ganze Welt beherrschte, durch Mozart in ihrem Kern erfaßt war und bereits in diesem Werke einen Abschluß erhielt, der ihrer Alleinherrschaft die Grenze setzte. Kein Italiener später hat wieder[223] die Höhe erreicht, in der Mozart, der von Jugend auf in der welschen Musik zu Hause war, und für dessen Natur sie also das Gewohnte war, im »Idomeneo« schwebt. Zauber des Klanges, Zartheit und Anmut der Melodik, feinste Rhythmik und vollendetste Form – alles ist einzig in dieser Oper und hat überdies noch einen viel reicheren, tieferen, ernsteren Gehalt, zumal durch die volle Instrumentation. Allein nicht ebenso ist in dieser Oper schon durchweg das dramatische Element durchgedrungen, das Glucks Reformen bezweckten. An dieser Seite hinkt der »Idomeneo« und ist daher von der Bühne verschwunden, obgleich er mehr schöne Musik enthält als alle Gluckschen Opern zusammengenommen. Das einzige Quartett vermag ihn nicht zu halten. Diese Aufgabe sollte Mozart erst lösen, nachdem er durch des Lebens Fügung noch tiefer in das Leben hineingetaucht worden war. Aber wenn es auch noch eine mehr einseitige Richtung war, die im »Idomeneo« verfolgt ward, in dieser wenigstens hatte Mozart gezeigt, daß er ein Meister sei, der alle Vorgänger überflügelte. Das wußte er selbst, und es machte ihm den Busen höher schwellen. Die eigene Schöpfung begeisterte ihn, er fühlte die Macht seines Genius, und zwar auf einem höchsten Gebiete der Kunst. In solcher Stimmung, die ihm von neuem die Glorien der Zukunft zeigte, war es, daß er im Dezember an seinen Vater geschrieben hatte: »Apropos! Wie ist es denn mit dem Erzbischof? Künftigen Montag wird es sechs Wochen, daß ich von Salzburg weg bin. Sie wissen, mein liebster Vater, daß ich nur Ihnen zu Liebe in Salzburg bin; denn, bey Gott, wenn es auf mich ankäme, so würde ich, bevor ich diesmal abgereiset bin, an dem letzten Decret den ..... und meine Entlassung begehrt haben; denn mir wird, bey meiner Ehre, nicht Salzburg, sondern der Fürst und die stolze Noblesse alle Tage unerträglicher. Ich würde also mit Vergnügen abwarten, daß er mir schreiben ließe, er brauche mich nicht mehr. Ich würde auch bei der großen Protection, die ich dermalen hier habe, für gegenwärtige und zu künftige Umstände gesichert[224] seyn, Todesfälle ausgenommen, für welche Niemand stehen kann und welche aber einem Menschen, der ledig ist, keinen Schaden bringen. Doch – Ihnen zu Liebe Alles in der Welt, – und leichter würde es mir noch ankommen, wenn man doch nur bisweilen auf eine kurze Zeit weg könnte, um Odem zu holen. Sie wissen, wie schwer daß es gehalten hat, dieses mal wegzukommen, ohne große Ursache ist gar kein Gedanke, es ist zum Weinen, wenn man daran gedenkt. Kommen Sie bald zu mir nach München und hören Sie meine Opera, – und sagen Sie mir dann, ob ich Unrecht habe, traurig zu seyn, wenn ich nach Salzburg denke.«

Er sollte freilich nicht dahin zurückkehren. Allein es mußten doch noch ganz andere Beweggründe als das Bewußtsein seines Könnens dazu kommen, ehe er sich entschloß, die Schranken zu durchbrechen, die ihn von einem freien Streben nach seinen Zielen trennten. Einstweilen trachtete er nur so insgeheim, in München eine Stellung zu gewinnen. Der Vater hatte geschrieben: »Was anbelangt wegen der sechs Wochen, so bin ich entschlossen, mich gar nicht zu rühren, noch Etwas zu melden; sollte aber eine Rede an mich kommen, so bin ich entschlossen zu antworten, daß wir es verstanden hätten, daß Du sechs Wochen nach componirter Opera wegen Probe und Production in München Dich aufhalten könntest, indem ich nicht vermuten konnte, als glaubten Seine Hochf. Gnaden, daß eine solche Opera in sechs Wochen componirt, abgeschrieben und aufgeführt werden könnte u.s.w.« Nun ließ sich Wolfgang auch von seinen Messen etwas schicken und schrieb sogar trotz des Drängens der Opernarbeit noch ein großes Kyrie, das seine wehmütig ernste Stimmung mit außerordentlichem Wohllaut ausspricht und eine besonders selbständige und reich ausgeführte Orchesterbegleitung hat. Zudem ließ er, um die Vortrefflichkeit der dortigen Kapelle in ein recht glänzendes Licht zu setzen, eine Serenade für Blasinstrumente aufführen, die er wohl schon zu diesem Zwecke in Salzburg geschrieben hatte. Sie hat unter den sieben Stücken, aus denen sie besteht, ein Adagio,[225] in welchem, wie Otto Jahn sagt, ein ernstes und tiefes Gefühl den höchsten Ausdruck der Schönheit gewonnen hat, den Mozart jemals erreichte.

Doch gelang es ihm auch jetzt nicht, eine Anstellung zu finden. Nach der Aufführung der Oper durfte er freilich dort bleiben und sich mit seinen Freunden vergnügen; der Erzbischof war noch in Wien. So genoß er den Verkehr mit befreundeten Menschen, die für sein Herz wie für sein Bestreben Verständnis hatten, nach Kräften. Solange ihn die Oper beschäftigte, war er nirgend hingekommen als zu »dem Cannabichschen« und mochte sich wohl dort manche Stunde des Abends durch Späße und Lachen mit der schönen Rose, die derweilen sechzehn Jahre alt geworden war, den ermüdeten Geist ausspannen. Dann, als Vater und Schwester in München waren, erholte er sich mit ihnen bei den Vergnügungen des Karnevals, die freilich in München nicht viel bedeuteten. Vielleicht hier und da ein maskierter Ball, auf dem Wolfgangs Hanswurstlaune sich wieder im Springen, Necken und Tanzen Genüge thun konnte! – Und doch meinte er sich noch gegen den Vater darüber entschuldigen zu müssen, er, der sich so unerhört viel zugemutet und es mit Glanz durchgeführt hatte. »In München, das ist wahr,« schreibt er nach sechs Wochen von Wien aus – »da hab ich mich zuviel unterhalten – doch das kann ich bey meiner Ehre schwören, daß ich, bevor die Opera in Scena war, in kein Theater und nirgends als zum Cannabichschen gekommen bin. – Daß ich hernach zu lustig war, geschah aus jugendlicher Dummheit; ich dachte mir: wo kömmst Du hin? nach Salzburg! mithin mußt Du Dich letzen!«

Da, mitten in diesen Possen jugendlicher Ausgelassenheit – denn weiter war es nichts – traf ihn, um Mitte März, der Befehl des Erzbischofs, sogleich nach Wien zu kommen. Hieronymus wollte dort in dem vollen Glanze eines geistlichen Fürsten auftreten. »Heute um 9 Uhr,« hatte der Vater bereits im Januar geschrieben, »sind die acht schönen schwarzen Schecken[226] nach Wien abgegangen. Sechs waren in eine Chaise mit dem Controleur und einem Koch eingespannt, versteht sich die Schecken, nicht die Menschen auch; der Cassel geht, wie ich höre, als Cammerportier mit, und vielleicht läßt er den Cecarelli und Brunetti nachkommen.« Das waren ein Kastrat und einer von der Kapelle. Und wenn der Erzbischof mit seinen musikalischen ›Bedienten‹ glänzen wollte, so durfte freilich sein Mozart nicht fehlen. So kam dieser nach Wien in die Bahn, wo er die Ziele seines Lebens erjagen und erreichen sollte, und kaum hatte er diese Bahn betreten, da war sein Geschick entschieden. Er kam nicht nach Salzburg zurück. Die Wanderjahre waren beendet.[227]

Quelle:
Ludwig Nohl: Mozarts Leben. Berlin 4[um 1910], S. 195-228.
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