Achter Abschnitt.

Die Reise nach Leipzig.

1788–1789.

»Zur rechten Zeit durchbricht der Sonne Licht

Die finstre Nacht, und sie muß sich erhellen.«


Als Mozart trotz des außerordentlichen Erfolgs, den er mit dem »Don Juan« in Prag gehabt hatte, die Komposition einer zweiten Oper, wer weiß aus welchem Grunde, ausschlug, wandte man sich an Joseph Haydn, der damals noch in Esterhaz in Ungarn lebte und schon manche Oper geschrieben hatte, von der viel Rühmens gemacht worden war, mit der Bitte eine derselben für den nächsten Karneval nach Prag zu senden. Haydn hielt etwas auf seine dramatische Musik. Schon im Jahre 1781 hatte er an Artaria geschrieben: »Mons. Le-Gros, Directeur des Concert spirituel, schreibt mir ungemein viel Schönes von meinem Stabat mater, so alldort viermal mit großem Beyfall produzirt wurde. Die Herren wunderten sich sehr, daß ich in der Singcomposition so ausnehmend gefällig wäre, ich aber wunderte mich gar nicht, indem sie noch nichts gehört haben. Wenn sie erst meine Operette L'isola disabitata (Die wüste Insel) und meine letzt verfaßte Opera La fedeltà premiata (Belohnte Treue) hören würden! Denn ich versichere, daß dergleichen Arbeit in Paris noch nicht ist gehört worden, und vielleicht ebensowenig in Wien; mein Unglück ist nur, daß ich auf dem Lande lebe.« Und im Jahre 1784 meldet er von seiner »Armida«, sie sei mit lautem Beifall aufgeführt, und man erkläre sie für sein bestes Werk. Gleichwohl antwortet er jetzt dem Provinzialoberverwalter Roth in Prag, der ihm wohl auch den Erfolg des »Don Juan«[413] gemeldet hatte, in einer Weise, die ihn wie Mozart in das schönste Licht stellt. Er schreibt:

»Sie verlangen eine Opera buffa von mir. Recht herzlich gern, wenn Sie Lust haben, von meiner Singcomposition etwas für sich allein zu besitzen. Aber um sie auf dem Theater in Prag aufzuführen, kann ich Ihnen diesfalls nicht dienen, weil alle meine Opern zu viel auf unser Personale gebunden sind und außerdem nie die Wirkung hervorbringen würden, die ich nach der Lokalität berechnet habe. Ganz was anders wäre es, wenn ich das unschätzbare Glück hätte, ein ganz neues Buch für das dasige Theater zu componiren. Aber auch da hätte ich noch viel zu wagen, indem der große Mozart schwerlich jemanden anderen zur Seite haben kann. Denn könnt ich jedem Musikfreund, besonders aber den Großen, die unnachahmlichen Arbeiten Mozarts so tief und mit einem solchen musikalischen Verstande, mit einer so großen Empfindung in die Seele prägen, als ich sie begreife und empfinde, so würden die Nationen wetteifern ein solches Kleinod in ihren Ringmauern zu besitzen. Prag soll den theuren Mann festhalten, – aber auch belohnen; denn ohne dieses ist die Geschichte großer Genien traurig und giebt der Nachwelt wenig Aufmunterung zum ferneren Bestreben, weswegen leider! so viel hoffnungsvolle Geister darnieder liegen. Mich zürnt es, daß dieser einzige Mozart noch nicht bey einem kayserlichen oder königlichen Hofe engagirt ist. Verzeihen Sie, daß ich aus dem Geleise komme: ich habe den Mann zu lieb.«

Welch köstliche Worte! So wissen gleiche Geister einander zu schätzen. – Auch erfährt man hieraus von neuem, wie sehr Wien in der Tat Mozart vernachlässigte. Es wollte von seinen wundervollen Quartetten nichts wissen und ließ sich selbst den »Figaro« entziehen. Aber jetzt war der Ruhm, den der große Künstler in der Provinz errungen, bereits in die Hauptstadt gedrungen, und da im Publikum das Gerücht immer lauter wurde,[414] Mozart wolle Wien ganz verlassen, nach England gehen und dort die Mittel gewinnen, die ihm seine geliebte Kaiserstadt so ungerecht versagte, da überdies kurze Zeit vorher, am 15. November, der Altmeister Gluck sein tatenvolles, großes Dasein mit dem Tode beschlossen hatte, so fiel es dem Kaiser doch endlich ein, daß auch für Mozart etwas geschehen müsse. Aber anstatt ihm nun, wie es sich gebührt hätte, Glucks Stelle und sein Gehalt, das 2000 Gulden betrug, zu verleihen, ernannte er ihn zu seinem Kammermusikus und gab ihm ein Gehalt von – 800 Gulden. Das Dekret wurde am 7. Dezember 1787 ausgestellt. Mozart war wenig mit diesem Gehalt zufrieden, um dessen Betrag der Kaiser gerade den, den er am wenigsten hätte fragen sollen, den allmächtigen Kammerdiener Strack, der Mozarts Musik nicht liebte, gefragt hatte, und that wohl Recht, wenn er später, als er der Steuern wegen die Höhe seiner Einnahmen angeben mußte, neben die Zahl in die Liste einschrieb:


»Zu viel für das, was ich leiste,

Zu wenig für das, was ich leisten könnte.«


Denn seine Aufgabe war, für die Redouten in den Sälen der Hofburg die – Tanzmusik zu schreiben. Er, dessen Genius, soeben noch bewiesen hatte, was er vermochte, der soeben erst wieder das volle Bewußtsein seines Könnens erlangt hatte, mußte Tänze schreiben! Das war kaiserlicher Auftrag. Er erfüllte ihn pflichtgetreu und schrieb sogleich im ersten Fasching eine Reihe von Walzern, Menuetts und Kontretänzen, die freilich keinen besonderen musikalischen Wert haben, aber durch frische Melodik und belebende Rhythmik daran erinnern, daß Mozart die Faschingslust und vor allem das Tanzen selbst liebte und verstand.

Ihm lag natürlich zunächst nichts anderes im Sinne, als auch in Wien seine neue Oper zur Aufführung zu bringen, und eine solche Anordnung des Kaisers wäre ihm vielleicht lieber gewesen als die armselige Anstellung. Denn an den Auftrag zur[415] Komposition einer neuen Oper, der doch so gar nahe gelegen hätte, dachte der Kaiser bei Mozart nicht, während er in derselben Zeit einem Dittersdorf hintereinander mehrere solcher Aufträge gegeben hatte. Mozarts Musik entsprach eben nicht seiner Neigung, da er schon nach der Aufführung des »Figaro« sich gegen Dittersdorf geäußert hatte, Mozart pflege in seinen Theaterstücken die Sänger mit seinem vollen Accompagnement zu übertäuben, die leichten und gefälligen Melodien Martins sagten seinem Geschmacke ungleich mehr zu. Aber auch an eine Aufführung der bereits geschriebenen Oper war zunächst nicht zu denken. Da stand Salieri im Wege. Dieser hatte im Juni desselben Jahres in Paris seinen »Tarare« auf die Bühne gebracht und mit demselben, weil Beaumarchais einen Text geschrieben hatte, der durch Handlung, Dekoration und Kostüme sowie durch politische Anspielungen viel Anziehendes hatte, einen bedeutenden Erfolg errungen. Obgleich die Oper ein Gemengsel der widersprechendsten Elemente war, so hatte sie dem Kaiser doch gut gefallen und er befahl da Ponte, daß er sie italienisch bearbeite, damit sie zur Vermählung des Erzherzogs Franz gegeben werde. Sie wurde dann auch in der Musik vielfach geändert, denn es galt zunächst Martins »Baum der Diana«, der zu gleicher Zeit wie der »Don Juan« in Prag, in Wien die Gemüter entzündet hatte, zu verdunkeln, und so konnte es Salieri nicht wünschenswert sein, eine neue Oper von Mozart, dessen »Figaro« bei ihm noch in erschreckendem Andenken stand, vorher aufführen zu lassen, zumal das Publikum durch den Enthusiasmus der Prager auf diese Erscheinung sehr gespannt war. Am 8. Januar wurde dann der »Axur« – so war der Tarare umgetauft worden – als »Freispectakel« aufgeführt und gewann trotz seiner seltsamen Neuerungen durch rasch wiederholte Vorstellungen den Beifall des Publikums wie besonders des Kaisers, als dessen Lieblingsoper sie bezeichnet wird. Sie ward in diesem einen Jahre neunundzwanzig Mal aufgeführt.[416]

Mozart mußte unterdessen die Wiener mit Tänzen unterhalten oder »seinen patriotischen Gefühlen durch ein Lied auf den Türkenkrieg Luft machen«, durch das »teutsche Kriegslied«: »Ich möchte wohl der Kaiser sein«, das er am 5. März für den beliebten Komiker Baumann in der Leopoldstadt schrieb. Vier Tage später aber steht jenes kleine Adagio in H-moll verzeichnet, in dem ein Schmerz lebt, der uns die innerste Seele bewegt, eine tiefe, ja düstere Melancholie wie das Weinen der Seele. Und doch wieder, wie beseligend und tröstend wirkt als ein Lichtschein von oben das Dis, das ganz am Schlusse so unvergleichlich schön eintritt! – Ja, Mozart war einer von den Menschen, denen die Sonne nie ganz verschwindet. Mag sie auch für Zeiten hinter die schwärzesten Wolken sich verbergen, er weiß, sie ist doch da und wird zur rechten Zeit wiederkehren.

Auch die häusliche Not begann jetzt aufs neue zu steigen. Eine Akademie für die im Fasching ein Konzert geschrieben wurde, vermochte ihr nicht abzuhelfen. Endlich aber befahl der Kaiser doch die Aufführung des »Don Juan«. Er war mit dem Erfolg seines Kammerkompositeurs in Prag sehr zufrieden und brannte, wie da Ponte sagte, vor Verlangen, die Oper zu hören. Mozart erhielt, wie aus der Theaterrechnung 1788–89 hervorgeht, 225 fl., da Ponte »für Componierung der Poesie zur Opera il Don Giovanni« 100 fl. Allein das half ihm wenig. Denn als die Oper am 7. Mai zuerst gegeben wurde, – gefiel sie nicht. »Alle Welt«, erzählt da Ponte, Mozart allein ausgenommen, war der Ansicht, das Stück müsse umgearbeitet werden. Wir machten Zusätze, änderten mehrere Stücke, und zum zweiten Male: »Don Juan« gefiel nicht! Dies hinderte den Kaiser aber nicht zu äußern: ›Dieses Werk ist himmlisch; es ist noch schöner als die Hochzeit des Figaro: aber es ist kein Bissen für meine Wiener‹. Ich erzählte Mozart diese Worte, der mir, ohne sich irre machen zu lassen, antwortete: ›Laßt ihnen nur Zeit, ihn zu ko sten!‹ Er irrte sich nicht. »Auf seinen Rath ließ ich den[417] Don Juan so oft als möglich aufführen; mit jeder Darstellung steigerte sich der Erfolg.«

Don Juan ward in diesem Jahre fünfzehnmal aufgeführt. Mozart hatte nur zwei Arien, die berühmte der Elvira: »Mich verläßt der Undankbare«, die des Ottavio: »Ein Band der Freundschaft« und ein komisches Duett zwischen Leporello und Zerline hinzukomponiert. Sie sind sämtlich Meisterstücke, gehören aber alle drei nicht eigentlich in den »Don Juan«. Auch scheinen sie keinen besonderen Eindruck auf die Wiener gemacht zu haben. Die ganze Erscheinung dieser Oper war ihnen eben ungewöhnlich. Allein überall war von derselben die Rede und überall wurde darüber hin und her gestritten. Auch Haydn befand sich damals in Wien und wurde eines Abends in einer großen Gesellschaft beim Grafen Rosenberg, in welcher die bedeutendsten Künstler und Kenner Wiens sich in der verschiedensten Weise über die Mängel und Gebrechen des »Don Juan« aussprachen, endlich auch um seine Meinung gefragt. Er antwortete: »Ich kann den Streit nicht ausmachen; aber das weiß ich, daß Mozart der größte Componist ist, den die Welt jetzt hat.«

Ob das wohl die Kritiker zur Ruhe brachte? – Schwerlich. Allein auch sonst hatte Mozart keinen Vorteil von der bedeutsamen Anerkennung dieses Mannes, er erhielt keinen Auftrag vom Kaiser und keinen Gewinn von den Aufführungen. Er war damals in einer sehr drückenden Lage, die ihn sogar an der Arbeit hinderte. Der einzige Freund in der Not war in diesen Monaten wie auch weiter bis ans Ende des Lebens sein Ordensbruder, der Kaufmann Puchberg, ein Mann, dessen Andenken wert ist fortzuleben, weil er in der Tat mit treuer Uneigennützigkeit an unserem Meister gehandelt hat. Mozart vermochte dieses edle Handeln mit nichts zu erwidern als mit der Liebe seines Herzens und hin und wieder mit einer Komposition für die Musikabende in Puchbergs Hause. Diesmal hatte er für ihn das reizende Trio in E-dur geschrieben. In dem[418] Schuldenverzeichnis, das nach Mozarts Tode angefertigt wurde, steht Puchberg mit 1000 Gulden, die ihm übrigens später ausgezahlt worden sind.

Am 17. Juni 1788 schrieb Mozart an ihn folgenden Brief, der den vollen Einblick in seine traurigen Verhältnisse und zugleich in seine Denkungsart gewährt:


»Verehrungswürdigster O.-B.


Liebster bester Freund! –


Die Ueberzeugung, daß Sie mein wahrer Freund sind, und daß Sie mich als einen ehrlichen Mann kennen, ermuntert mich. Ihnen mein Herz ganz aufzudecken, und folgende Bitte an Sie zu thun.

Ich will ohne Ziererei nach meiner angebornen Aufrichtigkeit zur Sache selbst schreiten.

Wenn Sie die Liebe und Freundschaft für mich haben wollten, mich auf 1 oder 2 Jahre mit 1 oder 2 tausend Gulden gegen gebührende Interessen zu unterstützen, so würden Sie mir auf Acker und Pflug helfen! – Sie werden gewiß selbst sicher und wahr finden, daß es übel, ja ohnmöglich zu leben sey, wenn man von Einnahme zu Einnahme warten muß! – Wenn man nicht einen gewissen, wenigstens den nöthigen Vorrath hat, so ist es nicht möglich, in Ordnung zu kommen – mit nichts macht man nichts.

Wenn Sie mir diese Freundschaft thun, so kann ich 1mo (da ich versehen bin) die nöthigen Ausgaben zur gehörigen Zeit folglich leichter entrichten, wo ich jetzt die Bezahlungen verschieben, und dann eben zur unbequemsten Zeit meine ganze Einnahme oft auf einmal hinausgeben muß;[419] 2do kann ich mit sorgenloserem Gemüth und freyerem Herzen arbeiten, folglich mehr verdienen.

Wegen Sicherheit glaube ich nicht, daß Sie einigen Zweifel haben werden. – Sie wissen so ungefähr wie ich stehe, und kennen meine Denkungsart. Wegen der Souscription (auf neue Werke) dürfen Sie keine Sorge haben; ich setze die Zeit nur um einige Monate mehr hinaus; ich habe Hoffnung, auswärtig mehrere Liebhaber zu finden als hier.

Nun habe ich Ihnen in einer Angelegenheit, die mir sehr wichtig ist, mein Herz ganz sehen lassen. – Nun sehe ich mit Sehnsucht einer Antwort, aber wirklich einer angenehmen Antwort entgegen und ich weiß nicht – ich kenne Sie einmal als den Mann, der so wie ich, wenn er anders kann, seinen Freund, aber wahren Freund gewiß unterstützt. – Wenn Sie vielleicht sobald nicht eine solche Summe entbehren könnten, so bitte ich Sie, mir wenigstens bis morgen ein paar hundert Gulden zu leihen, weil mein Hausherr auf der Landstraße so indiscret war, daß ich ihn gleich auf der Stelle (um Ungelegenheiten zu vermeiden) auszahlen mußte, welches mich sehr in Unordnung gebracht hat.

Wir schlafen heute das erstemal in unserm neuen Quartier, allwo wir Sommer und Winter bleiben; – ich finde es im Grunde einerley, wo nicht besser, ich habe ohnehin nicht viel in der Stadt zu thun, und kann, da ich den vielen Besuchen nicht ausgesetzt bin, mit mehrerer Muße arbeiten; und muß ich Geschäfte halber in die Stadt, welches ohnehin selten genug geschehen wird, so führt mich jeder Fiaker um 10 kr. hinein; um das ist auch das Logis wohlfeiler, und wegen Frühjahr – Sommer – und Herbst angenehmer, da ich auch einen Garten habe.

Das Logis ist – in der Währingergasse bei den 5 Sternen Nr. 135. Nun nehmen Sie meinen Brief – als[420] das wahre Zeichen meines ganzen Vertrauens gegen Sie, und bleiben Sie ewig mein Freund, wie ich sein werde bis ins Grab


Ihr wahrer innigster Freund

W.A. Mozart.


P.S. Wann werden Sie wieder bei Ihnen eine kleine Musique machen? Ich habe ein neues Trio geschrieben.«


Puchberg schrieb unter den Brief: »Den 17. Juny 1788 200 fl. gesendet.« – Das mochte denn die momentane Verlegenheit ein wenig abwenden. Und in diesen Wochen der Unruhe und Bedrängnis hatte er die Symphonie in Es geschrieben, den sogenannten »Schwanengesang«, über welche ein Meer von Wohllaut ausgegossen ist. »Liebe und Wehmut tönen in holden Geisterstimmen«, sagt E. Th. A. Hoffmann in seinen »Phantasiestücken«, »die Nacht geht auf im hellen Purpurschimmer und in unaussprechlicher Sehnsucht ziehen wir den Gestalten nach, die freundlich uns in ihre Reihen winkend in ewigem Sphärentanze durch die Wolken fliegen.«

Die Bewunderung vor der Künstlergröße dieses Mannes steigert sich, wenn man bei diesen Worten an die Klagen des obigen Briefes denkt, an den Wunsch mit sorgenloserem Gemüte, mit freierem Herzen arbeiten zu können! – Es ist, als habe die irdische Not nur stets das unvergängliche Teil in diesem Manne reiner hervorgetrieben. Denn welches Bewußtsein der Würde und Kraft des menschlichen Seins spricht aus der stolzen Pracht der Einleitung! Welches Selbstgefühl, welche frohe Tatkraft aus dem Allegro! Und wenn auch durch die Zaubertöne des Andante hin und wieder ein leiser Klang der Wehmut zieht, wie liegt doch im Hintergründe jener Herzensfrieden, der aus der Erkenntnis eines ewigen Waltens fließt, wie in den letzten Sätzen eine beseligende Freude, ein übersprudelnd frohes Leben, als wenn dieses Dasein niemals getrübt worden wäre![421]

Dieses Meisterstück einer Zeichnung der frohen Regung aller Kräfte, so wie es aus des Lebens Tiefen fließt, steht am 26. Juni 1788 in dem eigenhändigen Verzeichnis eingetragen. Am 27 erfolgt dann wieder ein Brief an Puchberg, aus dem zu ersehen ist, daß die Bedrängnis in den letzten Tagen keineswegs nachgelassen, sondern viel schwarze, schwarze Gedanken gebracht hatte, die er sich mit Gewalt ausschlagen mußte. Er schreibt:


»Verehrungswürdigster O.B.


Liebster, bester Freund!


Ich habe immer geglaubt, dieser Tage selbst in die Stadt zu kommen, um mich bei Ihnen wegen Ihrer mir bewiesenen Freundschaft mündlich bedanken zu können. Nun hätte ich aber nicht einmal das Herz, vor Ihnen zu erscheinen, da ich gezwungen bin Ihnen frey zu gestehen, daß ich Ihnen das mir Geliehene ohnmöglich sobald zurückzahlen kann und Sie ersuchen muß mit mir Geduld zu haben! – Daß die Umstände dermalen so sind und Sie mich nach meinem Wunsch nicht unterstützen können, macht mir viele Sorgen! – Meine Lage ist so, daß ich unumgänglich benöthigt bin Geld aufzunehmen. – Aber Gott, wem soll ich mich vertrauen? Niemanden als Ihnen, mein Bester! – Wenn Sie mir nur wenigstens die Freundschaft thun wollen, mir durch einen andern Weg Geld zu verschaffen! – Ich zahle ja gern die Interessen, und derjenige, der mir lehnte, ist ja durch meinen Charakter und meine Besoldung glaub ich gesichert genug. Es thut mir leid genug, daß ich in diesem Fall bin, ebendeßwegen wünschte ich aber eine etwas ansehnliche Summe auf einen etwas längeren Termin zu haben, um einem solchen Falle vorbeugen zu können. – Wenn Sie, werthester Bruder, mir in dieser meiner Lage nicht helfen, so verliere ich meine Ehre und meinen Credit, welches das einzige ist, welches ich zu erhalten wünsche. Ich baue ganz auf Ihre echte Freundschaft[422] und brüderliche Liebe, und erwarte zuversichtlich, daß Sie mir mit Rath und That an die Hand gehn werden. Wenn mein Wunsch in Erfüllung gehet, so kann ich frey Odem schöpfen, weil ich dann im Stande seyn werde, mich in Ordnung zu bringen und auch darinnen zu erhalten. – Kommen Sie doch zu mir und besuchen Sie mich, ich bin immer zu Hause; – ich habe in den 10 Tagen, daß ich hier wohne, mehr gearbeitet, als im andern Logis die 2 Monate, und kämen mir nicht so oft so schwarze Gedanken (die ich mir mit Gewalt ausschlagen muß), würde es mir noch besser von Statten gehen, denn ich wohne angenehm – bequem – und – wohlfeil. – Ich will Sie nicht länger mit meinem Gewäsch aufhalten, sondern schweigen und hoffen.


Ewig Ihr verbundener Diener, wahrer Freund u.O.W.

W.A. Mozart.«


Wo bleibt hier der Leichtsinn, den man diesem Manne in der Behandlung der ökonomischen Dinge vorgeworfen hat! – Wahrlich, wem es so darum zu tun ist, seine Ehre auch nach dieser Seite hin zu wahren, wer so mit ernstem Willen bemüht ist, seine Verhältnisse in Ordnung zu halten, damit weder ihm noch seinem Hause Unrecht erwachse, der verdient einen andern Namen als leichtsinnig. Und doch fühlt sich Mozart, wie man aus den letzten Worten sieht, bei Leuten, die mit geschäftsmäßiger Sorgfalt ihre Sachen im Gange zu erhalten wissen und in ähnliche Verlegenheiten nicht leicht geraten, etwas unsicher. Es demütigt ihn, selbst dem Freunde gegenüber, mit solchen Dingen vor ihn zutreten, die freilich mit etwas wenig Geschäftsverstande leicht zu verhindern, aber einem Mozart abzuwehren kaum möglich waren. Nur daß sein Sinn so durchaus auf die höheren Dinge gerichtet war, ließ selbst sein bestes Bestreben, die gemeinen Dinge, auf denen doch der äußere Bestand unseres Lebens ruht, in Ordnung zu bringen, scheitern, und dies mögen andere tadeln. Vielmehr[423] erscheint das redliche Bemühen, das aus alle dem hervorgeht, bei diesem Manne so verehrungswürdig, daß man gern vergißt, wie wenig es ihm mit dem bloßen guten Willen gelingen konnte, seine Verhältnisse in Ordnung zu erhalten. Es folgt jeder Mensch dem Gesetze, das die Natur ihm eingegeben, und nur auf diesem Wege tut er das rechte. Mozarts ganzes Wesen war auf das künstlerische Schaffen gerichtet.

In jenen zehn Tagen der häuslichen Ruhe, wo er mehr gearbeitet hatte als sonst in zwei Monaten, war also die herrliche Es-dur-Symphonie fertig geworden. Aber die Frische der Natur, die Mozart jetzt nach Behagen in seinem Garten genoß, sollte die Schaffensgeister trotz aller äußeren Bedrängnis noch tiefer erregen. Nach wiederum vier Wochen, am 25. Juli, ward die G-moll-Symphonie als fertig in das Register eingetragen. Die G-moll -Symphonie! Dieser Triumph der orchestralen Kunst! – Aber hier sieht man auch, mit welch selbstbewußter Energie, wie fast trotzig der große Sinn des Künstlers gegen die Lebenshinderungen ankämpft. Es ist auch hier, wenn die Not des Alltagslebens, die ihn schier zu erdrücken drohte, erst recht das Bewußtsein der Mächte in ihm wachriefe, die den Menschen über alle diese Dinge emporheben, so daß er mit dem Blick der Sonne die Weite des Erdenlebens überschaute und über Not wie Freude erhaben die ewig schaffende Gewalt in sich verspürte. Welche Siegesgewißheit liegt in diesen Molltönen! Da ist kein Klagen, kein Jammern. Das Selbstbewußtsein steigert sich oft genug zum herzerquickenden Trotze gegen die Gewalten, die den Geist herabziehen wollen in den Staub des niederen Erdenbedürfens. Dieses Menuett, wie es in seinen wenigen Takten eine Welt der unermüdlich anstrebenden Kraft enthält! Und wie gar im Finale alles in einen stolzen, kraftmäßig sprudelnden Lebensübermut ausbricht!

Aber wieder kaum mehr als zwei Wochen später, am 10. August, steht auch die Jupitersymphonie fertig da und[424] beweist, daß selbst über jenes trotzige Anstreben hinaus noch ein höherer Zustand möglich ist, der völlige Sieg der bessern Natur. Ein majestätischer Siegesjubel liegt in diesem Allegro. Und welch unsäglich frohes Genießen jeder Gabe des Lebens in den Zauberklängen des Andante! Da ist's wirklich, als wenn alle Nachtigallen des Lebens schlügen, als wenn alles, was die Menschenseele in Freud und Leid bewegt, harmonisch ineinander klänge. Und wiederum schaut dann der Blick über der Erde ungemessene Weiten und erkennt die nicht endende Fülle der gegeneinander strebenden Mächte, die das Leben bewegen, die Dinge schaffen und ordnen. Und wiederum wird dieses Bild in majestätischer Macht und Fülle dargestellt, aber diesmal mit den eigensten Mitteln unsrer Kunst, die keine der Schwestern aufzuweisen hat. Das Finale ist ein Werk der Polyphonie, in dem die Wunder der Kunst aufgehäuft sind als wäre es ein Spiel. Mit zyklopischer Macht hantiert hier der Meister mit den Felsblöcken der größten kontrapunktischen Schwierigkeiten. Und doch ist ihm all dieses nur Symbol des unermeßlich reichen Bildes, das ihm das Leben gegeben, es ist Nachbildung der Mächte, die bis in die tiefsten Tiefen hinein sich zu bekämpfen scheinen und endlich doch sich miteinander versöhnen, ja gerade durch den ungeheuren Zwiespalt erst recht vermögen, das Rechte und Dauernde zu schaffen.

Hier zuerst zeigt Mozart den Tiefblick seiner deutschen Natur. Hier sind die auf den Grund der Dinge gehenden Anschauungen des germanischen Geistes. Und wie sich von selbst versteht, schließt sich der Meister hier auch eng an die Redeweise an, die dieser Geist des Germanen auch in der Tonkunst sich für sein Denken erfunden hatte. Er greift zur strengen Polyphonie. Aber wie anders belebt erscheinen bei ihm diese Mächte, die in den Themen gegeneinander streben, als bei den altdeutschen Meistern! Man sieht, er kennt den großen Händel und erinnert sich der Bachschen Fugen. Aber er kennt auch das Leben, und während jene abstrakt bleiben, werden seine Motive ein Abbild der lebendigsten[425] Kräfte, sowie sie die Wirklichkeit durchdringen und beleben, und es ist dieses Tonbild, das die Allbewegtheit des Menschenlebens bis in seine Tiefen durchschauen läßt, eine Schule aller jener Künstler geworden, die eben das Leben selbst darzustellen trachteten, in erster Linie der dramatischen.

Es war eben in dieser Zeit, wo Mozart wieder auf Händel aufmerksam geworden war und durch die Bearbeitung von »Acis und Galathea«, die er für die Musikaufführungen van Swietens gemacht hatte, mit der Art dieses Meisters nahe vertraut geworden war. In Mannheim freilich, als er noch ein Jüngling war, dem sich kaum erst des Lebens Freude zu erschließen begann, war er noch aus einer Probe fortgegangen, in welcher der »Messias« aufgeführt wurde, – weil sie vorher ein Magnificat des Abbé Vogler gemacht hatten, das fast eine Stunde dauerte. Aber jetzt hatten sich ihm durch mancherlei Erfahrung auch die tieferen Dinge erschlossen. Er, eine reiche Künstlernatur, die sich um das äußere Sollen wenig gekümmert hatte, war durch den Ernst der Wirklichkeit selbst von dem Wert der sittlichen Mächte überzeugt worden und begriff nun wohl auch besser die Geistesrichtung dieses musikalischen Repräsentanten der Nordgermanen, dessen hohe Kunst er schon längst verehrt hatte. Man erkennt aus der Pietät, mit der er die Bearbeitung dieser Werke vornimmt, wie er in ihm den ebenbürtigen, den großen Meister verehrt, und es bedürfte gar nicht der Ueberlieferung jenes Wortes: »Händel weiß am besten unter uns allen, was großen Effekt thut; wo er das will, schlägt er ein wie ein Donnerwetter!«, um uns zu überzeugen, daß Mozart auch hinter die Bedeutung jenes ethischen Geistes gekommen war. Die Schlußfuge jener Symphonie verriet es schon.

Und doch, wie zeigt sich gerade hier wiederum die eigentliche Künstlernatur. Er, der den äußeren Ernst des Lebens wohl begriffen hat und durchaus zu den Mitteln greift, in denen sich dieses Erbtum deutschen Geistes so recht vernehmlich ausspricht,[426] kennt doch noch ein Höheres als dieses. Ueber alles Sollen hinaus, das die ewige Beschränktheit des Menschen verrät, erkennt er die ewige Freiheit des Menschengeistes, und so wird ihm, echt künstlerisch, doch wiederum all dieser Ernst in seiner Darstellung zum gewaltigen aber heiteren Spiele: – so tief auch der Mensch ergriffen war, beim Schaffen siegt der Künstler. So geht der Lebensglanz und die innere Fülle dieser Polyphonie doch über jene alte Polyphonie hinaus in die Gebiete der echten Schönheit: – nicht mehr die gleichgültigen Naturkräfte sind es, die hier dargestellt werden, es sind die warmen lebenden Gewalten, die in dem Herzen des Menschen pulsieren und von diesem wahrhaftigsten Sitze des Lebens aus das Leben regieren. Es ist menschliches Wesen, menschliche Größe, die uns hier entzücken und sie gewähren uns gerade in dem Gefühle der tiefsten Abhängigkeit, das die Erhabenheit dieser Mächte erzeugt, das beglückende Bewußtsein der Freiheit. So fern wir uns in diesem wogenden Bilde der ewigen Mächte dem Ewigen selbst fühlen, so sehr fühlen wir uns ihm nahegerückt, – es trennt uns die Erhabenheit der Welt, die hier erscheint, nicht vom Göttlichen, nein, gerade sie führt uns zu ihm als zu unserem eigenen Selbst. Dies ist der eigentliche Endzweck auch der wahren Kunst, und wie herrlich erreicht ihn Mozart!

Allein noch mehr sollte sich seine Seele vertiefen und die Geheimnisse des Ewigen, das in seiner Phantasie so überaus lebendig lebte, auch in der Wirklichkeit ahnen, bis er gereist war, auch den Tiefsinn zu fassen, den der deutsche Geist in einem Johann Sebastian Bach offenbart hatte. Von diesen Mächten des Lebens hatte der Süddeutsche kaum eine Ahnung, und überhaupt im vorigen Jahrhundert ging die Trennung dieser beiden Hälften unseres Vaterlandes bis auf den Grund der gesamten Lebensanschauung. Erst heute nähert sich der Süden allgemach der Anschauungsweise des Nordens. Und der Süden wiederum trägt dem Norden seine frischere, unmittelbarere[427] Auffassung des Lebens selbst entgegen. Allein wie fern lag damals die Vermittelung dieser Gegensätze! Damals klafften sie schroff auseinander, und die Art, wie der Norddeutsche das Leben vernachlässigte, um dessen tieferen Sinn zu suchen, war der Weise des Südens, die sich an der lieblichen Erscheinung freute und durch die frohe Hingebung an sie das Leben selbst zu finden wähnte, durchaus widerwärtig. Auch Mozart war nicht anders und fühlte sich den »aufgeklärten« Protestanten gegenüber, die das Leben so sehr seines Zaubers entkleideten und doch dafür keinen Ersatz in höheren Dingen fanden, durchaus in der Fülle seiner harmonischen Natur, mit der er das Leben genoß, verstand und nachbildete.

Allein allmählich hatte er selbst zu denken begonnen, das heißt nach seiner Weise. Reflektieren, wie der Norddeutsche, konnte er nicht. Jedoch selbst umhergestoßen von des Lebens mannigfachen Leidenschaften, konnte er nicht umhin, manchmal zu bedenken, was wohl hinter der Summe aller der Erscheinungen, die uns quälen und erfreuen, als tieferer Sinn verborgen liege. Es ging ja dieser Zug damals durch ganz Deutschland, alle tieferen Geister waren von diesem Nachdenken ergriffen, und auch Mozart war ja nur aus diesem Grunde einem Orden beigetreten, der dieser Neigung Nahrung und Befriedigung gab. Und nun gar die nähere Bekanntschaft mit dem Tode, diesem »einzigen und wahrsten Freunde des Menschen«, dessen Bild gerade auf der höchsten Höhe seines Lebens vor seine Seele getreten war, warf ihn ganz und gar in sein Inneres zurück. Die »schwarzen Gedanken« drängten ihn immer mehr in ein Grübeln, dem er sich oftmals Stunden lang, ganz wie abwesend auf derselben Stelle sitzend, hingab, und dem selbst das frohe Schaffen, das ihn stets lindernd und befreiend durchs Leben begleitet hatte, nicht immer ganz ein Ende zu machen vermochte. Seine Seele vertiefte sich allgemach zu einer Innerlichkeit, die ihm auch jene tieferen Gründe des Menschenherzens erschloß,[428] welche im Norden unseres Vaterlandes ein neues Bedürfnis nach Höherem geschaffen hatten. Als er nun durch einen glücklichen Gang seines Lebens ganz nahe mit den Werken des Künstlers vertraut wurde, der diese Richtung des deutschen Geistes in ihrer ganzen Macht und Erhabenheit, in ihrer Herbheit und Tiefe ausgesprochen hat, mit dem großen Sebastian Bach, da lernte er von ihm sozusagen die musikalische Sprache der Weisheit. Und er fühlte sich erleichtert, daß er zu dem Vermögen, das frohe Leben in seinem tausendfachen Wechsel auszusprechen, nun auch die Fähigkeit gewann, seinem innerlichen Grübeln über den Zweck von »all der Qual und all der Lust« ebenfalls durch Aussprechen ein Ende zu machen: wir sehen eine Veränderung, eine Vertiefung mit ihm vorgehen, die von dem lebensfrohen, ewig jugendlichen Manne kaum jemand erwartet hatte, die aber erst den eigentlichen Mozart zeitigte.

Da es also unserem Meister wiederum schlecht ging und weder Lektionen noch Kompositionen den Bedarf des Lebens decken wollten, so daß er sich genötigt sah, seine Zuflucht zu Wucherern zu nehmen und Wechsel auszustellen, die ihm dann leicht das Doppelte kosteten, so richteten sich seine Gedanken wieder auf das Ausland, und sicherlich war es ihm eine willkommene Veranlassung, als sein Freund und Schüler, der Fürst Karl Lichnowsky, ihn aufforderte, mit ihm nach Berlin zu reisen. Lichnowsky bekleidete eine Stelle in der preußischen Armee und konnte Mozart bei dem musikliebenden und freigebigen König Friedrich Wilhelm II. vielleicht viel nützen. Mozart ergriff also mit Freuden diese Gelegenheit. War er doch ohnehin ein großer Freund des Reisens, das seine Schaffenskraft nach allen Seiten hin anregte und ihn überdies gerade jetzt aus der Widrigkeit der materiellen Bedrängnis heraus und zu neuen Quellen des Ruhmes und des Gewinnes führen konnte.

Die Briefe, die er jetzt schreibt, atmen jenes selige Gefühl der Freiheit, und mehr noch als durch dieses und durch die[429] Notizen, die sie über die Reise geben, sind sie für uns bedeutend durch die Enthüllungen, die sie über sein Herz bieten. Sind doch sie es, aus denen wir erfahren, wie rein, wie innig er seine Constanze liebte, mit der ihn freilich der Besitz eines reizenden Buben und mehr noch so manche Stunde der Not stets tiefer verbunden hatte. Das »Weiberl« wohnte derweilen bei dem Ordensbruder Puchberg auf dem hohen Markt. Wenige Tage nach seiner Abreise empfing sie von Prag aus folgenden Brief, der bereits der zweite war:


»Liebstes, bestes Weibchen!


Heute Mittag um 1/22 Uhr sind wir glücklich hier angekommen; unterdessen hoffe ich, daß Du gewiß mein Briefchen aus Budwitz wirst erhalten haben. – Nun folgt der Rapport von Prag. – Wir kehrten ein beym Eichhorn; nachdem ich balbirt, frisirt und angekleidet war, fuhr ich aus in der Absicht, beym Canal zu speisen; da ich aber bey Duschek vorbey mußte, frug ich erstens dort an – da erfuhr ich, daß die Madame gestern nach Dresden abgereist sey!!! – – – Dort werde ich sie also treffen. Er speiste bei Leliborn, wo ich auch öfters speiste – ich fuhr also gerade dahin. – Ich ließ Duschek (als ob jemand etwas mit ihm zu sprechen hätte) herausrufen; nun kannst Du Dir die Freude denken. – Ich speiste also bei Leliborn. – Nach Tische fuhr ich zu Canal und Pachta, traf aber Niemand zu Hause an; ich ging also zu Guardasoni (Theaterdirektor), welcher es auf den künftigen Herbst fast richtig machte, mir für die Oper 200 Duk. und 50 Duk. Reisegeld zu geben. – Dann ging ich nach Haus um dem lieben Weibchen dies Alles zu schreiben. – Noch was; – Ramm (der Oboist aus München) ist erst vor acht Tagen von hier wieder nach Hause, er kam von Berlin und sagte, daß ihn der König sehr oft und zudringlich gefragt hätte, ob ich gewiß komme, und da ich halt[430] noch nicht kam, sagte er wieder: ich fürchte er kommt nicht. – Ramm wurde völlig bange, er suchte ihn des Gegenteils zu versichern. – Nach diesem zu schließen sollen meine Sachen nicht schlecht gehen. – Nun führe ich den Fürsten Lichnowsky zu Duschek, welcher uns erwartet und um 9 Uhr abends gehen wir nach Dresden ab, wo wir morgen abends eintreffen werden. – Liebstes Weibchen! ich sehne mich so sehr nach Nachrichten von Dir. – Vielleicht treffe ich in Dresden einen Brief an. – O Gott! mache meine wünsche wahr! Nach Erhaltung dieses Briefes mußt Du mir nach Leipzig schreiben. Adieu Liebe, ich muß schließen, sonst geht die Post ab. – Küsse tausendmal unsern Karl, und ich bin Dich von ganzem Herzen küssend


Dein ewig getreuer Mozart.


P.S. An Hr. und Fr. Puchberg alles erdenkliche, ich muß es schon auf Berlin sparen ihm zu schreiben, um ihm auch schriftlich unterdessen zu danken. Adieu, aimez moi et gardez votre santé si chère et précieuse à votre époux.«


Vermutlich hatte Puchberg wieder das Reisegeld vorgeschossen, und wie freundschaftlich benahm er sich jetzt wieder gegen Constanze! Diese hatte freilich an Nachrichten von ihrem Manne keinen Mangel. Schon nach drei Tagen läuft wieder ein Brief ein, und er strahlt von Liebenswürdigkeit, von zärtlicher Treue, als besäße dieser Mann keinen größeren Schatz auf Erden als sein liebes Weibchen. Am 13. April um 7 Uhr früh schreibt er aus Dresden:


»Liebstes, bestes Weibchen!


Wir glaubten Samstags nach Tisch in Dresden zu seyn, kamen aber erst gestern Sonntags um 6 Uhr Abends an; – so schlecht sind die Wege. – Ich ging gestern noch zu Neumanns,[431] wo Mde. Duschek wohnt, um ihr den Brief von ihrem Manne zu geben. – Es ist im dritten Stock auf dem Gange, und man sieht vom Zimmer jeden der kömmt; als ich an die Thüre kam, war schon Hr. Neumann da und fragte mich, mit wem er die Ehre hätte zu sprechen. Ich antwortete: ›Gleich werde ich sagen wer ich bin, nur haben Sie die Güte Mde. Duschek herausrufen zu lassen, damit mein Spaß nicht verdorben wird.‹ In diesem Augenblick stand aber schon Madame Duschek vor mir, denn sie erkannte mich vom Fenster aus und sagte gleich, da kommt jemand der aussieht wie Mozart. – Nun war alles voll Freude. – Die Gesellschaft war groß und bestand aus lauter meist häßlichen Frauenzimmern, aber sie ersetzten den Mangel der Schönheit durch Artigkeit. Heut geht der Fürst und ich zum Frühstück hin, dann zu Naumann, dann in die Kapelle.«

Hier müssen wir ihn unterbrechen und einschalten, daß der letztgenannte Naumann der Dresdener Kapellmeister war, der durch Opern und Kirchenmusik einen guten Namen hatte. Mozart scheint nicht besonderen Gefallen an ihm gefunden zu haben, und ebenso wenig Naumann an Mozart. Aber auch mit andern musikalischen Leuten ward Mozart durch die Familie Neumann bekannt, und darunter war vor allen Schillers Freund Körner, der Vater des Dichters von »Leyer und Schwert«. Mozart muß in diesem Hause viel verkehrt und an den liebenswürdigen Frauen große Verehrerinnen gefunden haben. Doris Stock, die Schwester von Körners Frau und einstens des bekannten Literaten Huber Verlobte, zeichnete den Kopf des Maestro damals mit Silberstift. Das Bildchen, jetzt ein Kleinod der Musikbibliothek Peters zu Leipzig, verrät in den feinen Linien des Profils sowie besonders in dem leuchtenden Blick viel von seinem eigentümlichen Wesen. Seine besondere Freundin aber war wieder die lebensfrohe Duschek, mit der er auch jetzt stets seine Scherze trieb. Schon in Prag, als der »Don Juan« fertig war, hatte er ihr eine Arie versprochen, und da er wie gewöhnlich[432] damit nicht zum Schreiben zu bringen war, so hatte sie ihn dort eines schönen Tages, als er sie in ihrem Weinberge besuchte, in das Gartenhaus gesperrt und ihn nicht eher herausgelassen, als bis die Arie fertig war. Mozart aber, um sich zu rächen, hatte auf die Worte: »Questo affanno, questo passo è terribile per me« eine verzweifelt schwere Reihe von chromatischen Intervallen angebracht und schwur, ihr die Arie nicht anders zu geben, als bis sie diesen Passus fehlerfrei vom Blatt sänge. Die Duschek tat es und erhielt die Arie, die ein Meisterstück schönen Gesanges ist. Auch jetzt wieder sang sie Mozarts Sachen mit Entzücken, und er ward nicht müde sie zu begleiten.

Aber alles das berührte sein Innerstes nicht. Wer vermag wohl Fremden zu sagen, wie im Herzen Freude und Leid sich regen? Das fühlt Mozart bei aller Heiterkeit jener Tage und fährt darum fort: »Liebstes Weibchen, hätte ich doch auch schon einen Brief von Dir! Wenn ich Dir alles erzählen wollte was ich mit Deinem lieben Portrait anfange, würdest Du wohl oft lachen. – Zum Beyspiel wenn ich es aus seinem Arrest herausnehme; so sage ich: Grüß Dich Gott Stanzerl! – grüß Dich Gott Spitzbub – Krallerballer – Spitzignas – Bagatellerl – schluck und druck! – Und wenn ich es wieder hineinthue, so lasse ich es so nach und nach hineinrutschen, und sage immer Nu – Nu – Nu – Nu! aber mit dem gewissen Nachdruck, den dieses so vielbedeutende Wort erfordert, und bey dem letzten schnell: Gute Nacht, Mauserl, schlaf gesund! – Nun glaube ich so ziemlich was Dummes (für die Welt wenigstens) hingeschrieben zu haben, für uns aber, die wir uns so innig lieben, ist es gerade nicht dumm. – Heute ist der sechste Tag, daß ich von Dir weg bin, und bey Gott mir scheint es schon ein Jahr zu sein. – Du wirst wohl oft Mühe haben, meinen Brief zu lesen, weil ich in Eile und folglich etwas schlecht schreibe. – Adieu Liebe, Einzige – der Wagen ist da – da heißt es nicht brav und der Wagen ist auch schon da – sondern male. – Lebe wohl und[433] liebe mich ewig, so wie ich Dich; ich küsse Dich millionenmahl auf das zärtlichste und bin ewig


Dein Dich zärtlich liebender Gatte

W.A. Mozart.


P.S. Wie führt sich unser Karl auf? Ich hoffe gut – küsse ihn statt meiner. An Hrn. und Fr. v. Puchberg alles Schöne. NB. Du mußt in Deinen Briefen nicht das Maaß nach den meinigen nehmen, bey mir fallen sie nur deswegen etwas kurz aus, weil ich pressirt bin, sonst würde ich einen ganzen Bogen überschreiben, Du hast aber mehr Muße. – Adieu.«


Und nach wenig Tragen erfolgt wieder ein Brief und wir können nichts tun, als ihn vollständig mitteilen. Der Leser mag seine Betrachtungen über diese Liebenswürdigkeit und reinste Herzensgüte selbst machen.


Nachts um halb 12 Uhr.


»Liebstes, bestes Weibchen!


Wie? – noch in Dresden? – Ja, meine Liebe, ich will Dir alles haarklein erzählen; Montags den 13., nachdem wir bei Neumanns Frühstück genommen hatten, gingen wir alle nach Hof in die Kapelle; die Messe war von Naumann (welcher sie selbst dirigirte) – sehr mittelmäßig; wir waren in einem Oratoire der Musik gegenüber; auf einmal stupfte mich Neumann und führte mich zu dem Herrn von König, welcher Directeur des plaisirs (der traurigen Churfürstlichen plaisirs) ist; er war außerordentlich artig und auf die Frage, ob ich mich nicht wollte bey Seiner Durchlaucht hören lassen, antwortete ich, daß es mir zwar eine Gnade sey, ich mich aber, da ich nicht von mir allein abhänge, nicht aufhalten kann. So blieb es. Mein fürstlicher Reisegefährte lud die Neumannschen sammt Duschek zu Mittage; unter dem Essen kam die Nachricht, daß ich den folgenden Tag als Dienstag den 14. Abends um halb 6 Uhr bey Hofe spielen[434] sollte. Das ist ganz was außerordentliches für hier; denn hier kommt man sonst schwer zu Gehör, und Du weißt, daß ich gar keinen Gedanken auf hier hatte. Wir hatten uns à l'hôtel de Pologne ein Quartett arrangirt. Wir machten es in der Kapelle mit Antoine Teyber (welcher wie Du weißt hier Organist ist) und mit Hrn. Kraft (Violoncellist von Fürst Esterhazy), welcher mit seinem Sohne hier ist, aus; ich gab bey dieser kleinen Musik das Trio, welches ich H.v. Puchberg schrieb; – es wurde so ganz hörbar exekutirt. Duschek sang eine Menge von Figaro und Don Juan. Des andern Tags spielte ich bey Hofe das neue Concert in D; folgenden Tags vor Mittag erhielt ich eine recht schöne Dose; wir speisten dann beim Russischen Gesandten, allwo ich viel spielte. Nach Tisch wurde ausgemacht auf eine Orgel zu gehen; um 4 Uhr fuhren wir hin; Naumann war auch da. – Nun mußt Du wissen, daß hier ein gewisser Häßler (Organist von Erfurt) ist; dieser war auch da; er ist ein Schüler von einem Schüler von Bach; seine Force ist die Orgel und das Clavier. Nun glauben die Leute hier, weil ich von Wien komme, daß ich diesen Geschmack und diese Art zu spielen gar nicht kenne. Ich setzte mich also zur Orgel und spielte. Der Fürst Lichnowsky (weil er Häßler gut kennt) beredet ihn mit vieler Mühe auch zu spielen; die Force von diesem Häßler besteht auf der Orgel in Füßen, welches, weil hier die Pedale stufenweis gehen, eben keine so große Kunst ist; übrigens hat er nur Harmonie und Modulationen vom alten Sebastian Bach auswendig gelernt, und ist nicht im Stande eine Fuge ordentlich auszuführen, und hat kein solides Spiel, ist folglich noch lange kein Albrechtsberger (später Lehrer Beethovens). – Nach diesem wurde beschlossen, noch einmal zum Russischen Gesandten zu gehen, damit mich Häßler auf dem Fortepiano hört. Häßler spielte auch. Auf dem Fortepiano finde ich nun die Aurnhammer ebenso stark, Du kannst Dir nun vorstellen, daß seine Schaale ziemlich sank. Nach diesem gingen wir in die Oper, welche wahrhaft[435] elend ist. Weißt Du wer auch unter den Sängerinnen ist? Die Rosa Manservesi. Ihre Freude kannst Du Dir vorstellen. Nach der Oper gingen wir nach Hause. Nun kommt der glücklichste Augenblick für mich; ich fand einen so lange mit heißer Sehnsucht gewünschten Brief von Dir Liebste! Beste! – Duscheks und Neumanns waren wie gewöhnlich da; ich ging gleich im Triumphe in mein Zimmer, küßte den Brief unzähligemale, ehe ich ihn erbrach, dann – verschlang ich ihn mehr als ich ihn las. – Ich blieb lang in meinem Zimmer, denn ich konnte ihn nicht oft genug küssen; als ich wieder zur Gesellschaft kam, fragten mich Neumanns, ob ich einen Brief erhalten hätte, und auf meine Bejahung gratulirten Sie mir alle herzlich dazu, weil ich täglich darüber klagte, daß ich noch keine Nachricht hätte. – Die Neumannschen sind herrliche Leute. – Nun über Deinen lieben Brief; denn die Fortsetzung meines hiesigen Aufenthaltes bis zur Abreise wird nächstens folgen.

Liebes Weibchen! ich habe eine Menge Bitten an Dich; – 1mo bitte ich Dich, daß Du nicht traurig bist;

2do daß Du auf Deine Gesundheit achtest und der Frühlingsluft nicht trauest.

3tio daß Du nicht alleine zu Fuße, am liebsten aber gar nicht zu Fuße ausgehest.

4to Daß Du meiner Liebe ganz versichert seyn sollst; – keinen Brief habe ich Dir noch geschrieben, wo ich nicht Dein liebes Portrait vor mich gestellt hätte. –

5to bitt ich Dich nicht allein auf Deine und meine Ehre in Deinem Betragen Rücksicht zu nehmen, sondern auch auf den Schein. – Sey nicht böse auf diese Bitte. – Du mußt mich eben deßhalb noch mehr lieben, weil ich auf Ehre halte.

6to et ultimo bitte ich Dich in Deinen Briefen ausführlicher zu seyn. – Ich möchte gern wissen, ob Schwager Hofer den Tag nach meiner Abreise gekommen ist? ob er öfters kommt so wie er mir versprochen hat; – ob die Langischen bisweilen[436] kommen? ob an dem Portrait fortgearbeitet wird? – Wie Deine Lebensart ist? – lauter Dinge, die mich natürlicherweise sehr interessiren – Nun lebe wohl, Liebste, Beste! – Denke, daß ich alle Nacht ehe ich ins Bett gehe eine gute halbe Stunde mit Deinem Portait spreche, und so auch beym Erwachen. – Uebermorgen den 18. gehn wir ab; – Du schreibst nun immer nach Berlin.

O stru! stri! ich küsse und drücke Dich 1095060437082 mahl (hier kannst Du Dich im Aussprechen üben) und bin ewig


Dein treuester Gatte und Freund

W.A. Mozart.


Der Beschluß des Dresdener Aufenthalts wird nächstens folgen. – Gute Nacht!«


Ueber dem Schreiben mußte es tief in der Nacht geworden sein. Aber konnte er mit seinem lieben Weibchen je genug plaudern? – Nach vier Tagen erfolgt schon wieder ein Brief und so von Woche zu Woche noch vier, die leider alle verloren gegangen oder in unbekannten Händen sind. So wissen wir nichts Genaues über den Aufenthalt in Leipzig, doch hat Friedrich Rochlitz, einer der lebhaftesten Verehrer Mozarts, viel einzelne Züge von ihm, die ihn als Künstler wie als Menschen charakterisieren und von denen wir bereits manche mitteilten, aufgezeichnet. Er lernte Mozart in dem Hause des Kantors Johann Friedrich Doles (1715–1797), eines Schülers vom alten Bach, wo Mozart hauptsächlich verkehrte, genau genug kennen. Auch hier entfaltete unser Meister wie überall, wo er unter Freunden und Verehrern war, die ganze Liebenswürdigkeit seiner Natur. Seine Unterhaltung in Ernst und Scherz war frei und seine Urteile über Kunst und Kunstgenossen unbefangen und offen. Bereitwillig diente er jedem mit seinem Können und war damit »nicht so kostbar wie manche andere Künstler«. Fast an jedem Abende war bald hier, bald[437] dort Kammermusik, besonders Quartett, wobei Mozart Klavier oder Bratsche spielte.

»Am 22. April«, berichtet ein Ohrenzeuge, »ließ er sich ohne vorausgehende Ankündigung und unentgeltlich auf der Orgel in der Thomaskirche hören. Er spielte da eine Stunde lang schön und kunstreich vor vielen Zuhörern. Der damalige Organist Görner und der verstorbene Kantor Doles waren neben ihm und zogen die Register. Ich sah ihn selbst, einen jungen, modisch gekleideten Mann von Mittelgröße. Doles war entzückt über des Künstlers Spiel und glaubte den alten Sebastian Bach, seinen Lehrer, wieder auferstanden. Mozart hatte mit sehr gutem Anstande und mit der größten Leichtigkeit alle harmonischen Künste angebracht und die Themate, unter andern den Choral Jesu meine Zuversicht aufs herrlichste aus dem Stegreife durchgeführt.« Zum Dank dafür ließ ihm nun Doles von seinen Thomanern Bachs achtstimmige Motette »Singet dem Herrn ein neues Lied« vortragen. Wie das auf seine Seele wirkte! – Voll von Händel, mit dem er sich das letzte Jahr hindurch sehr eingehend beschäftigt hatte und dessen vorzüglichste Werke er so inne hatte, als wenn er, wie Rochlitz sagt, lebenslang Direktor der Londoner Akademie zur Bewahrung der alten Musik gewesen wäre, trat er jetzt mit einem Male der Musik eines Mannes gegenüber, die ihn wie ein Meer des Lebens vollständig überstürzte und in seinem Geiste das Bild der Mächte erzeugte, die von Ewigkeit her die Welt bewegen und, sich um das leisere Tosen im Menschenherzen wenig kümmernd, doch so sehr Ruhe und Frieden in unsere Seele flößen. »Da ist doch einmal etwas, woraus sich etwas lernen läßt!« rief er voller Freude, und ließ sich nun sogleich, da er hörte, daß man hier noch mehrere solcher Motetten habe, sie alle geben. Und weil keine Partitur vorhanden war, so legte er die Stimmen rings um sich her, auf die Knie und auf die Stühle, vertiefte sich mit seiner Seele Suchen in ihr Studium und ließ[438] nicht nach, bis er sie durchgearbeitet hatte. Ja, er bat noch um eine Kopie derselben, die ihm Doles freudig gab.

Was da wohl in seine Seele einzog? – Hier hatte er mit einem Male Dinge ausgesprochen gefunden, an denen sein eigenes Innere arbeitete, und diese Töne taten die stärkste Wirkung auf sein Schaffen. Wir werden die Spuren davon bald deutlich erkennen. Und wie er damals innerlich beschäftigt war, deutet eine kleine Mitteilung von Rochlitz an. Nachdem jene Szene erzählt ist, wo Mozart sich gegen die »aufgeklärten« Protestanten so sehr seiner Kirche und ihrer Musik angenommen und von den religiösen Eindrücken seiner Jugend eifrig und mit Wehmut geredet hatte, heißt es weiter: »Dann wurde er plötzlich still, wurde bitter, trank vielen starken Wein und sprach kein vernünftiges Wort mehr. – Ueberhaupt verfiel er nicht selten aus der tollen Lustigkeit plötzlich in tiefes Nachdenken, so daß er ohne Teilnahme an der Gesellschaft nur gleichgülitge Antworten fast ohne Bewußtsein gab, dann in tief ernsten, häufig trüben und bitteren Betrachtungen sich erging, welche er wiederum durch Ausgelassenheit und Torheit zurückzudrängen suchte.«

In seinem idealen Streben vielfach getäuscht und im Gefühl des Druckes, das ihm die schmerzlichen Lebenserfahrungen täglich erhöhten, vielleicht etwas verbittert, suchte er in einer Ausgelassenheit, die der Wein steigerte, eine momentane Rettung von den trüben Gedanken. Allein trotzdem konnte er nichts so wenig leiden als sentimentale Schmerzseligkeit, – er kannte ja ein Tieferes als diese kleinen Erregungen des Lebens. Auch hiervon erzählt Rochlitz ein Beispiel, das zugleich die staunenswerte Fähigkeit zur Improvisation, die Mozart besaß, schlagend beweist: »Er speiste den Abend, ehe er nach Berlin abreiste, von wo er nach einigen Tagen zurückzukommen gedachte, bei Doles und war sehr heiter. Die Wirte, welche der Abschied traurig machte, baten ihn um eine Zeile von seiner Hand zum Andenken; er machte sich lustig über ihr ›Pimpeln‹ und wollte lieber schlafen[439] als schreiben. Endlich ließ er sich doch ein Stückchen Notenpapier geben, riß es in zwei Hälften, setzte sich und schrieb – nicht länger als höchstens 5–6 Minuten. Dann gab er dem Vater die eine, dem Sohne die andere Hälfte. Auf dem einen Blättchen stand ein dreistimmiger Kanon in langen Noten, ohne Worte, als man ihn sang, klang er herrlich, sehr wehmütig. Auf dem zweiten Papier stand ebenfalls ein dreistimmiger Kanon, aber in Achteln, sehr drollig. Als man nun bemerkte, daß beide zusammen gesungen werden könnten, schrieb er erst den Tert, unter den einen: ›Lebet wohl, wir sehn uns wieder!‹ unter den andern: ›Heult noch gar wie alte Weiber!‹ So wurden sie damals gesungen. Es ist nicht zu sagen, welch eine lächerliche und doch tief, fast ingrimmig einschneidende Wirkung dies auf uns alle machte; und irre ich nicht, auch auf ihn selbst, denn mit etwas wilder Miene rief er plötzlich: ›Adieu, Kinder!‹ und war fort.

Das ist noch der Humor früherer Zeit, – innerste Mischung von Freud und Leid, – aber schon in einer Form, die ihrer Art nach Bach angehört. Je mehr er nun sich auch im innern Wesen diesem Manne zuwandte, je mehr er an dem Faden dieser frommen Weisheit das Wesen der Dinge, den Zusammenhang des Lebens erforschte, desto mehr befreite seine eigene Seele sich von den Drängnissen des Lebens, und wir werden ihn fortan höhere Wege wandeln sehen. Das hatte der alte Sebastian Bach getan.«

Quelle:
Ludwig Nohl: Mozarts Leben. Berlin 4[um 1910], S. 409-440.
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