XVIII.

1845.

Die Enthüllungsfeier des Beethoven-Monumentes zu Bonn.1

(Koncert-Reisen 1839/40–1847. Fortsetzung.)

Beethoven's Weltstellung. Zur Geschichte des Beethoven-Monumentes; Liszt's Hülfe. Die Festhalle. Betheiligung und Nichtbetheiligung seitens der europäischen Tonkünstler. Aufnahme in Bonn. Die Enthüllungsfeier. Verlauf des Festes. Verstimmungen gegen Liszt. Ein geräuschvolles Bankett. Seine Fest-Kantate. Stimmen der Kritik. Liszt's historisches Leitmotiv. Dankbarkeit seitens Bonn für Liszt.


Sie war das größte musikalische Ereignis des Jahres 1845 – ein Ereignis, welches musikgeschichtlich einzig dasteht. Denn es bedeutet eine erste europäische Vereinigung in der Verehrung eines Meisters, den Sieg des Genius über nationale Schranken. Heutigentags steht es fest: Beethoven ist der historische Centralpunkt der europäischen Musikentwickelung geworden; die Feier in Bonn war die feierliche Anerkennung dieser Stellung vor aller Welt. Dabei bleibt das dem großen Meister gesetzte Monument für alle Zeiten noch von einem besonderen Hauch umgeben, der, wie Weihduft heiligen Altar, es in der Liebe umweht, die ein Anderer, ebenfalls historisch Berufener, einem hohen Vermächtnis gleich, für jenen Großen in sich nährte. Liszt's Name wird für immer mit dem Bonner Denkmal auf das engste und innigste verknüpft bleiben. Ohne sein Eingreifen, ohne seine unbegrenzte Opferfreudigkeit, sein persönliches heroisches Eintreten für die hehre Sache hätte weder die Ausführung des Monuments[249] noch die Frage der damit verbundenen Enthüllungsfeier eine der Manen Beethoven's würdige Lösung gefunden.

Damals, als im Jahre 1835 am 17. December, dem Geburtstag Beethoven's, von einigen Verehrern des großen hingeschiedenen Meisters der erste Ruf erscholl, ihm ein Monument in seiner Vaterstadt zu setzen, lag der deutsche Wille noch überwiegend stark in Phantasie und Gemüth, weniger in der Thatkraft selbst, wie sie sich in dem mächtigsten Jahre der deutschen Geschichte, im Jahre 1870, eingesetzt und besiegelt hat. Robert Schumann konnte noch angesichts des Bonner Projektes die sentimentale Kleinbürgerlichkeit der Deutschen persiflirend schreiben:


»Das Mausoleum zukünftigen Andenkens steht leibhaftig vor mir – ein leidlich hoher Quader, eine Lyra darauf mit Geburts- und Sterbejahr, darüber der Himmel und daneben einige Bäume.«


Und Henry F. Chorley in London war berechtigt, seinen Landsleuten die einleitenden Vorarbeiten zu dem geplanten Denkmal, wie folgt, zu charakterisiren:2


»So traten sie zur Eröffnung einer Subskription zusammen, man plante, hielt Reden, ließ die Gläser klingen und sang – in der Vorbereitung der Sache selbst aber geringe Fortschritte machend. Dann ließ man die Sache einschlummern nach deutschem Brauch. Denn der Enthusiasmus dieses vielseitigen, vielfarbigen, vielvölkerigen Landes liebt ›bewegte Feste‹. Es ist fähig zu ebben, stille zu stehen, einzutrocknen, sobald sich der Selbstillustration des Witzes eine noch anziehendere Gelegenheit bietet, um von neuem – zu planen, zu reden, anzustoßen und zu singen.«


In diesem Stadium stand das mit Enthusiasmus begonnene Projekt, als Franz Liszt von Pisa aus 1839 dem Beethoven-Komité zu Bonn seine Vorschläge machte und sich schriftlich bei Berlioz hierüber aussprach.3 In dem früher4 citirten Brief fährt er fort:


»Wie Du weißt, ist Bartolini; der große Bildhauer Italiens, mir befreundet. Die zeitgenössische Bildhauerkunst verdankt ihm ihre schönsten Werke. Ich erinnere nur an die Gruppe ›Nymphe und der Skorpion‹ im Besitz des Prinzen von Beauvau, an die[250]Fiduccia in Dio‹, an die ›Charitas-Gruppe‹ im Palazzo Pitti, an die Denkmäler Demidoff's und Alberti's fürSanta Croce in Florenz und andere Werke.

Bartolini ist ein edeldenkender Künstler, der die Ungerechtigkeit des Schicksals und die Undankbarkeit der Menschen aus eigener Erfahrung kennt. Er ist gleich mir empört über den Schimpf, den man Beethoven's Gedächtnis zugefügt, und versprach mir die Arbeit sofort ins Werk zu setzen. In zwei Jahren wird das Marmordenkmal beendet sein können. Ich schrieb sogleich an das Komité und forderte es auf, die Subskription zu schließen, indem ich mich anheischig machte für das Fehlende einzutreten. Ich habe durchaus nicht die Absicht, irgend jemand zu nahe zu treten. Und keinen der Unterzeichneten will ich der Ehre berauben, zur Erbauung des Denkmals beigetragen zu haben. Nur die schon gesammelten Summen will ich vervollständigen, um die Vollendung dessen zu beschleunigen, was ich für uns als eine Pflicht erachte.

Das einzige Vorrecht, um welches ich bat, ist: die Wahl des Bildhauers treffen zu dürfen. Diese Arbeit einem Bartolini anvertrauen heißt so viel als sich versichern, daß sie eine eines Beethoven würdige werde.

Ich werde Dir den Entwurf mittheilen, den er mir bald vorzulegen gedenkt. Zu seiner Ausführung werden nicht unerschwingliche Summen vonnöthen sein. Drei Koncerte in Wien, Paris und London werden ungefähr genügen. Der Rest wird sich wohl mit Gottes Hülfe aus der Tasche des ›vagabond infatigable‹, wie Du ihn nennst, ergänzen lassen. Wenn sich also kein von meinem Willen unabhängiges Hindernis in den Weg stellt, wird das Denkmal in zwei Jahren an Ort und Stelle sein5


Es standen jedoch viele unvorhergesehene Hindernisse im Wege und erst im August 1845 konnte das Denkmal der Mit- und Nachwelt übergeben werden. Nicht die Mitte trugen Schuld an dieser Verzögerung, sondern die Ausführung des Denkmals selbst. War man auch in Bonn hoch erfreut über die glückliche Wendung, welche das dem Versanden nahe Projekt nahm, so gerieth man zugleich über die von Liszt getroffene Wahl des Künstlers in keine geringe Verlegenheit. Dem Ah! der Bewunderung, welches seine Großherzigkeit auf aller Lippen trieb, folgte ebenso rasch, als seine Bedingung laut wurde, seitens deutscher Bildhauer und der Patrioten ein Schrei der Entrüstung. Gerade damals war Deutschland reich an hervorragenden Bildhauern: J.G. Schadow, Chr. Rauch,[251] E. Rietschel, E. Hähnel, L.M. Schwanthaler u.A. – alles Namen von großem und bewährtem Klang. »Wozu einen Italiener wählen, da doch die eigene Nation hinreichende Kräfte besitzt, um dem deutschen Beethoven das Monument zu arbeiten?!« rief es von allen Seiten. Im Lager der Künstler empfand man Liszt's Ansinnen als eine angethane Schmach, was allgemein ein Echo fand. Und sicherlich war Grund genug für diese Entrüstung. Angesichts der hochbedeutenden Künstler Deutschlands konnte und durfte nur von hier aus das Monument geschaffen werden zur Verherrlichung eines deutschen Genius.

Und doch scheint sich der Vorwurf der Taktlosigkeit, der sich gegen Liszt erhob, so ziemlich auf Null zu reduciren, wenn man sich erinnert, daß keiner aus der Mitte der Empörten, ja nicht einmal die gesammte Beethoven-Verehrung des großen Deutschland, das durchsetzte, was die Liebe und Verehrung des Einen, der kein Deutscher war, durchgetragen hat. Ließe dieser Einwurf sich auch damit entkräften, daß Beethoven's Werke der musikalischen Welt, die sowohl aus Franzosen, Engländern, Italienern, Ungarn, Russen, wie aus Deutschen sich zusammensetzt, gehören und es darum die Ehrensache Aller gewesen sei, ihm ein Denkmal zu setzen, so läßt sich diesem Argument wieder entgegenhalten, daß, wenn die außerdeutschen Nationen zur Herbeischaffung des Geldes – also der materiellen Mittel – rechtsbegründet waren, diese logischerweise dasselbe auch gegenüber den geistigen Mitteln sein mußten. In dem Vorschlag Liszt's konnte darum keine Ehrenkränkung des deutschen Künstler- und Nationalgefühls liegen, zu welcher man ihn aufzubauschen versuchte. War doch auch kurz vorher der Däne Thorwaldsen mit dem Modell zum Gutenberg-Denkmal zu Mainz betraut worden. Als Liszt Bartolini als den Meister seiner Wahl bezeichnete, war er einerseits einzig und allein dem mit nichts zu vergleichenden Eindruck gefolgt, den der weiße Marmor, von der Meisterschaft des Künstlers geformt, von seiner Inspiration durchhaucht, auf den Beschauer ausübt, dem Eindruck, den die Skulpturen Italiens auf die Gebildeten aller Nationen und aller Zeiten hervorgerufen haben und der Italien selbst zur Mutterstätte der Kunst erhoben hat, und andererseits dem sympathischen Zug für den Charakter und die geistige Richtung des großen Italieners.

Das Bonner Komité erklärte sich in seinem Antwortschreiben an Liszt nicht abgeneigt dessen Wahl anzuerkennen, wendete aber[252] ein, daß Marmor dem Witterungswechsel nicht günstig6 und ein Monument in Erz gegossen bereits beschlossen sei, das auch bezüglich des Kostenpunktes den Vorzug vor Marmor verdiene; es ersuche darum um eine Modell-Skizze von Bartolini, deren Genehmigung es sich vorbehalte. Liszt willigte ein; auch kam die Zeichnung eines Entwurfes Bartolini's dem Komité zu. Die Sache war noch nicht erledigt, als ersterer im Sommer 1840 selbst in Bonn eintraf. Der um das Beethoven-Monument hochverdiente Dr. H.K. Breidenstein, Mitglied des Bonner Komité's und Musikdirektor des Akademischen Gesangvereins, nahm bei seiner ersten Unterredung mit ihm Gelegenheit ihm vorzustellen: wie sehr seine Bedingung der ursprünglichen Absicht des Komité's in den Weg gekommen sei und wie es wohl getadelt werden dürfte, die Ausführung des Unternehmens einem fremden, ausländischen Künstler zu übertragen, da Deutschland in dieser Kunst Männer von europäischem Ruf aufzuweisen habe; überdies sei es nicht nur ursprünglich ihre Absicht gewesen, einen Konkurs unter Künstlern zu eröffnen, sondern dieselbe sei ausdrücklich vom König – Fr. Wilhelm IV. – gebilligt worden, was Beachtung fordere.7

Gegenüber diesen Gründen zog Liszt seine Bedingung zurück. Ebenso willigte er in den Vorschlag Breidenstein's: in Anbetracht daß die Mittel zu einem Monument in Erz annähernd bereits durch Sammlungen und Geschenke gesichert seien, sich mit einem einmaligen Beitrag, dessen Höhe er bestimmen möge, betheiligen zu wollen. Er nannte 10,000 Francs, laut Beitragsliste 2666 Thaler, ohne, falls es fehlen sollte, sich hierauf beschränken zu wollen. Die Kosten des Monuments waren auf 13000 Thaler berechnet, wonach Liszt über den fünften Theil der Gesammtsumme beigesteuert hat. Das genannte Kapital stellte er andern Tags bei einer Spazierfahrt nach Godesberg dem Komité in einer Anweisung auf das Haus Eskelles in Wien zur Verfügung.

Ein Aufruf an die Künstler der Plastik zur Einsendung von Skizzen und Modellen erfolgte hierauf im Oktober 1840. Der[253] Entwurf Ernst Hähnel's zu Dresden trug den Sieg davon, der Guß wurde dem Nürnberger Erzgießer Daniel Burgschmiet übergeben.

Im August 1845 endlich, nach vielem Hin- und Herzerren, war das Monument fertig an Ort und Stelle, seiner Inauguration harrend. Bei dieser selbst, wie bei dem ganzen Feste wurde Liszt die Seele und leitende Kraft. Er war 1840 dem Komité, das ihn zum Ehrenmitglied ernannt hatte, beigetreten. Nach seiner Idee durfte die Feierlichkeit nicht lokal, auch nicht exklusiv musikalisch oder exklusiv national bleiben: sie sollte dem Genius des großen Meisters entsprechend auf breiter Basis sich bewegen und einen internationalen Charakter tragen. Ein dreitägiges Musikfest, dessen Programm die Hauptrichtungen der schöpferischen Thätigkeit Beethoven's vertrete, sollte sich mit der Inauguration verbinden und hierzu Einladungen an die Tonkünstler und die Verehrer des Meisters aller Länder ergehen.

Und so geschah es auch. Die Zusammenstellung der Koncertprogramme bestand – mit Ausnahme der Fest-Kantate und des Inaugurations-Chores – aus Werken Beethoven's. Die Auswahl selbst war im Sinn des neunzehnten Jahrhunderts, d.i. im Sinne des Fortschrittes getroffen. Die schwerwiegende und den Ausgangspunkt der nach-Beethoven'schen Entwickelung der Tonkunst bildende Chor-Symphonie und die Missa solennis standen im Centrum der musikalischen Feier, um das sich andere Werke des Meisters: die C dur-Messe, Partien aus »Christus am Ölberg«, die C moll-Symphonie, die Coriolan- und Egmont-Ouvertüre, das Finale aus »Fidelio«, das Es dur-Koncert, ein Streichquartett, »Adelaide« u.a. gruppirten.

Die Komposition des Inaugurations-Chors wurde dem Musikdirektor der Bonner Universität Dr. Breidenstein übertragen, um die Fest-Kantate aber ersuchte das Komité selbstverständlich den Künstler, der um das Beethoven-Monument die meisten Verdienste sich erworben hatte und dem allein diese Ehre zukam: Franz Liszt.

In seine Hände und in die des gewiegten Kasseler Kapellmeisters Dr. Louis Spohr legte es auch den musikalischen Kommandostab. Letzterer dirigirte das erste Koncert mit der Chor-Symphonie und der Missa solennis, Liszt die C moll-Symphonie[254] und das Finale des »Fidelio«, welche im zweiten Koncert zur Aufführung kamen. Ebenso übernahm er hier den Vortrag des Es dur-Koncertes.

Mit diesen Vorbereitungen glaubte das Komité dem Feste ruhig entgegen sehen zu dürfen. Doch sollte es noch vor demselben Kalamitäten über Kalamitäten geben, die es aus seiner Sicherheit rissen und ganz Bonn in Aufregung hielten.

Der erste auf dem Platz war Dr. Liszt. Er traf schon in der letzten Woche des Monats Juli ein. Die getroffenen Vorbereitungen jedoch – das gewahrte sofort sein an das Große gewöhnter Blick – waren der Feier nicht angemessen. Man hatte die Reitbahn zur Aufführung der Koncerte gewählt und bereits geschmückt, ohne dabei an Akustik und eine große Zuhörerschaft, geschweige an eine auch nach außen hin festliche Repräsentation zu denken. In einer gelinden Verzweiflung besah Liszt alle in Vorschlag gebrachten Lokalitäten, wobei jedesmal die Komitéherrn meinten, man könne ihnen schon in kürzester Zeit ein festliches Ansehen geben. Schnell entschlossen erklärte jedoch Liszt: es müsse eine Festhalle noch gebaut werden. »Aber das Geld? und bis zum 11. August?!« riefen die Herren bestürzt unter einander.

»Dafür werde ich sorgen: ich werde jedes Deficit decken« – entgegnete Liszt rasch, was die Herrn, wenn auch nicht zur frohen Zustimmung, so doch zum Schweigen brachte.

Anderntags war er mit dem am Kölner Dombau beschäftigten tüchtigen und energischen Architekten und Baumeister Zwirner zur Stelle. Ein zu einer Festhalle passend gelegener Gartenplatz war bald gefunden. Ebenso schnell waren die unter Zwirner's Leitung stehenden Arbeiter mit ihren Baugeräthschaften auf dem Platz, die Bäume wurden ausgegraben, der Grund geebnet, Bauholz von den Flößern auf dem Rhein herbeigebracht, in Köln Dekorationen gefertigt und wie ein Wunder über Nacht stieg die Festhalle gleich einem Märchenpalast aus dem Nichts empor.

Im Zeitraum von elf Tagen war sie fertig, ein Bau von zweihundert Fuß Länge und fünfundsiebzig Fuß Breite, achtzehnhundert Quadratfuß Flächenraum mehr enthaltend als der Gürzenich in Köln. Der Koncertsaal war länglich gebaut, an beiden Seiten von einem Säulengang mit je vierzehn Bogen eingefaßt. Reiche Guirlanden von Eichenlaub und Epheu umschlangen die Säulen, die Wände schienen dem Auge Marmor, die bläuliche Decke ein[255] Himmelszelt. Die Akustik war vortrefflich und schon am 8. August schwang Spohr, die erste Probe haltend, im Saale den Taktstock.

Mit der Erbauung der Halle waren jedoch die Kalamitäten noch keineswegs überwunden. Neue thürmten sich auf. Das Komité hatte öffentlich wie privatim Einladungen an Tonkünstler und Verehrer Beetho ven's erlassen, wobei gerade die privaten manches Unheil anstifteten. Ungeübt in der Vorbereitung großer Feste, möglicherweise auch in der Voraussetzung, daß dieser und jener doch nicht kommen werde, passirte es ihm, viele namhafte Künstler, unter ihnen z.B. auch den um Beethoven's Musik in Paris so verdienstvollen Habenek, mit ihren Einladungen ganz übersehen zu haben; andere wieder, die nicht übersehen waren, fanden die Einladung zu allgemein oder zu formell, für ihre Verdienste nicht genug persönlich auszeichnend – und die persönliche Auszeichnung, welche Rolle spielt sie bei öffentlichen Festlichkeiten! –, um es nicht als Ehrensache zu empfinden, durch Nichterscheinen zu glänzen. Kurz und gut, die meisten musikalischen Koryphäen fehlten. Nach einer Zusammenstellung von Berlioz hatten sich Spontini, Onslow, Auber, Halévy, A. Thomas, Habenek, Benedict, Mendelssohn, Marschner, Reißiger, R. Wagner, Pixis, Ferd. Hiller, Schumann, Krebs, L. Schlosser, die Gebrüder Müller, St. Heller, Glinka, Snel, Bender, Nicolai, Erckl, die Gebrüder Lachner, die Gebrüder Bohrer nicht an der Beethoven-Feier betheiligt. Auch aus Italien war kein Vertreter da.

Dennoch wurde sie von einem großen Theil der Verehrer des deutschen Meisters mit Jubelruf begrüßt. Und in der That, es war eine nahezu europäische Beethoven-Gemeinde, die sich in seiner Geburtsstadt ihm zu Ehren versammelte. Hunderte von Tonkünstlern, Musikfreunden, Dichtern und Gelehrten fanden sich aus allen Theilen Deutschlands, Frankreichs, Englands, Schottlands, aus Rußland, Holland und Belgien in der kleinen Rheinstadt zusammen, nur einzig und allein getrieben von glühendster Bewunderung für den mächtigsten der Tonfürsten moderner Zeit.

Auf eine derartige Versammlung hatte man in Bonn nicht gerechnet. Die Häuser waren mit Blumen geschmückt, die Flaggen wehten – allein die Gäste zu empfangen, sie unterzubringen, ein Programm für Koncerte und Versammlungen auszugeben, es ihnen[256] leicht und angenehm zu machen, hatte die Vorsorge des unerfahrenen Komité's übersehen. Die fremden Künstler, die tagelange Reisen nicht gescheut hatten – noch war kein die Entfernungen kürzendes Eisenbahnnetz über ganz Europa gezogen –, wußten kaum unterzukommen und zu den Proben und Koncerten zu gelangen. Als gar die Nachricht eintraf, einige gekrönte Häupter – der König Friedrich Wilhelm IV. nebst Gemahlin, begleitet von dem Prinzen und der Prinzeß von Preußen, sowie die Königin Victoria mit Prince Consort – gedächten der Feier beizuwohnen, stieg die Verwirrung noch höher. Auch hier schlug sich Liszt durch praktische Anordnungen helfend ins Mittel. Er war der Mittelpunkt, um den sich alles drehte, der einzige im Komité, der Energie an den Tag legte und dabei immer heiter und liebenswürdig war.8 Die »Cäcilie« berichtet: »Wie er zur Ermöglichung des Denkmals durch seine wirklich großartige Munificenz den mächtigsten Anstoß gegeben hatte, errettete er jetzt durch seine Erfahrung und Thätigkeit die Feier von der Schmach der Unbedeutendheit.«9

Wie bei den Festanordnungen, war er bei den Proben thätig. Breidenstein's Chöre waren, trotzdem er versicherte: »er sei der einzige Musikalische im Komité«, äußerst unzulänglich. Liszt erst regelte die musikalische Angelegenheit.10 Sein jugendlich begeisterter Eifer, erzählt Berlioz, durchlief die Reihen der Musiker, die Lauen feuerte er an, den Gleichgültigen suchte er Geschmack einzuflößen, auf Alle war er bestrebt etwas von seiner eigenen Begeisterung zu übertragen.

Am Vorabend der Enthüllungsfeier – am 11. August – fand unter Louis Spohr's Leitung das erste Koncert mit der in jener Zeit noch kaum oder nur als »unmöglich« gekannten »Neunten« und der Missa solennis statt. Trotz der Nörgeleien – damals »Chikanen« betitelt – mit welchen ihn während der Proben und des Festes der anwesende Anton Schindler verfolgte – denn die Wahnidee, er sei der einzige Schlüssel zum Verständnis der Intentionen Beethoven's, trat bei ihm immer schärfer hervor und ließ ihn seine Bannbullen gegen jeden Dirigenten schleudern, der sich vermaß[257] ohne seine Aufschlüsse eine Symphonie des Meisters zu interpretiren, wie gegen Ries, Reißiger, Mendelssohn, Kreutzer, H. Dorn, Liszt (in Paris 1841)11 u.A. – und trotz der ungeheueren Schwierigkeit, die ein Orchesterkörper bot, der aus den Musikern der verschiedensten Städte12 zusammengesetzt war, ward die Aufführung eine vorzügliche. Die hervorragendsten Virtuosen rechneten es sich zur Ehre mitzuwirken. An der Spitze der Geiger stand Hartmann aus Köln, Möser und Holz aus Wien; der Anführer der Violoncelli war Ganz aus Berlin. Französische und belgische Künstler standen ebenfalls mit an den Pulten.

Am 12. August Vormittags 1/211 Uhr begann die Inaugurationsfeier. Schaaren von Fremden und Einheimischen sammelten sich in der Nähe des Domplatzes, um von da in feierlicher Prozession zum Münster zu ziehen, wo ihrer ein feierliches Hochamt mit den hehren Klängen der C moll-Messe von Beethoven wartete. Es war ein interessanter Anblick. Voran die Vertreter der Stadt, und dann in langem Zug die Vertreter des Geistes: die Professoren der Universität Bonn, sodann Künstler, Dichter und Schriftsteller verschiedenster Länder – alles Männer, auf deren Antlitz der Stempel geistiger Arbeit und der Genialität gedrückt war. Unter den Tonkünstlern befand sich: Spohr, Liszt, Meyerbeer, Berlioz, Lindpaintner, Chelard, Fr. Schneider, Moscheles, Hallé, Fétis, Schindler, der Freund Beethoven's Wegeler, Mangold, Rellstab, Jules Janin, Staudigl, Chorley u.A. Ihnen folgte, gleichsam Cortège bildend in ihrem bunt romantischen Gala, die gesammte Studentenschaft der Bonner Universität. Eine Truppe Schützen beschloß den Zug.

Während der Messe füllte inzwischen eine unabsehbare Volksmenge dichtgedrängt den Münsterplatz. Nur die für die Gäste errichteten Tribünen waren leer. Die Aufmerksamkeit war ebenso nach der Seite des Münsters, von wo der Festzug kommen mußte, wie nach einem in der Nähe der verhüllten Statue reich mit Teppichen behangenen Balkon, der für die königlichen Gäste bestimmt war, gerichtet. Nun kam der erstere. Ein Sängerchor postirte sich in[258] Front des Monumentes, ein Bataillon Schützen stellte sich auf, alles war bereit: noch aber fehlten die Herrschaften vom Schlosse Brühl. Nach langem Harren verkündigte ein Signal das landende Dampfboot. Einige Minuten später erschienen die Erwarteten auf dem Balkon.

Der lauten Begrüßung folgte eine Totenstille. Alle Blicke waren dem Monument zugewandt. Dr. Breidenstein bestieg die Rednerbühne und hielt eine kurze die Feier betreffende Anrede an die Anwesenden – eine kurze Gewehrsalve und unter Glockengeläute, dem Donner der Kanonen und tausendfachem Ruf der Menge fiel die Hülle.

Es war einer der erhabenen Augenblicke, welche mitzuerleben nur Wenigen das Geschick vergönnt, die bei den Bevorzugten aber unauslöschlich in der Erinnerung bleiben. Denn so gewaltige Momente auch das Staats- und Völkerleben bieten mag: die Huldigung, die eine kompetente Geistesmacht dem Genius bringt, wird immer zu dem Erhabensten gehören, das die Erde bietet. Und auch jetzt – ein Schauer ging durch die Menge und in den Augen der ernstesten Männer erglänzten Thränen. – Wer unter den Anwesenden noch des Glückes theilhaftig geworden, Beethoven persönlich gekannt oder gesehen zu haben, war angesichts der Statue betroffen von der Ähnlichkeit der Gesichtszüge, die von dem Bildner so meisterlich in Erz gebannt worden waren.

Als die Hülle gefallen, ertönte ein von Dr. Breidenstein komponirter Festchor. Während dessen näherten sich Mehrere der Statue. Der erste aber, der seine Schritte zu ihr lenkte, war er, dem die gegenwärtige Huldigung, gegen welche die größte dem lebenden Beethoven zu Theil gewordene – die Aufführung seiner Kompositionen zur Zeit des Kongresses in Wien – nur ein kleines Vorspiel genannt werden kann, am meisten zu danken war: Franz Liszt, einen Ausdruck auf dem Gesicht, der vielen unvergeßlich blieb. »Niemals – erzählt der Augenzeuge Chorley von dieser Scene13 – sah ich einen Ausdruck auf irgend einem Antlitz so edel und so hoheitsvoll strahlend, wie auf diesem.« –

Das Koncert am Tage der Enthüllungsfeier stand in der Hauptsache unter Liszt's Leitung. Er dirigirte die C moll-Symphonie, das »Fidelio«-Finale und spielte das Es dur-Koncert. Nach[259] den Proben hatte ein Theil der zuhörenden Musiker, angeregt von Anton Schindler, für die C moll-Symphonie eine Niederlage befürchtet, die aber so wenig eintraf, wie die der »Neunten« unter Spohr. Liszt's Auffassung erwies sich als durchaus würdig, genial und lebendig.14 Nicht nur das. Die Musiker hörten zu ihrem Erstaunen und ihrer Überraschung das Scherzo und Finale genau, wie Beethoven es vorgeschrieben: beim Scherzo die Kontrabässe, die man, wenigstens am Pariser Konservatorium, wegzulassen pflegte, beim Finale keine Kürzung der Wiederholung. – DasEs dur-Koncert gestaltete sich ebenfalls zu einem Triumphe des gefeierten und des feiernden Meisters.15

Mittwoch, am 13. August – dem letzten Tag der Feierlichkeiten – fand das dritte Koncert statt. Die »Fest-Kantate« Liszt's sollte es eröffnen. Inzwischen war jedoch die Feststimmung ins Schwanken gerathen und es wollte scheinen, als wären mehrere Gäste nur gekommen, um sich und andern die Feier zu verderben. War der Mangel an Logis, die Ausbeutesucht gegenüber den Fremden schon von Anfang an ein Grund zur Unzufriedenheit, so wuchs letztere von Stunde zu Stunde. Es ist kein schönes Bild, welches die in- und ausländischen Berichterstatter von den Musikergästen zu Bonn entworfen haben. Laune, Neid, Mißgunst traten hervor und machten das letzte Koncert beinahe unmöglich. Störungen brachte der preußische Hof mit seinen Koncerten in Brühl und Stolzenfels, die Meyerbeer zu arrangiren beauftragt war. Manche der Künstler, die hier nicht zum Mitwirken gewählt wurden, sahen hierin eine Beleidigung und wollten nun auch bei dem dritten Koncert nicht mitwirken. Das gab ein unaufhörliches Hin und Her, ein ewiges Begütigen und Schlichten von Liszt's und wieder Aufreizungen von anderer Seite.

Gegen Liszt hatte sich ebenfalls ein Theil der Verstimmung gewendet. Warum seine Kantate aufführen, da doch andere Komponisten zugegen waren, die Psalmen, Hymnen, Kantaten, schöner als die seinige, mit sich führten? Man neidete ihm den Enthusiasmus, der an seine Fersen geheftet schien, sein Talent, ja selbst – daß man ihm für das Zustandekommen der Beethovenfeier Dank schuldete.16[260]

Schon am Tage vor dem Schlußkoncert hatte sich bei dem großen Festbankett im »Stern« diese Stimmung Ausdruck verschafft.17 Ohne zu wollen und in komischer Weise, von Liszt selbst veranlaßt, kam das in den Gemüthern liegende Gewitter zum Ausbruch. Das Souper war belebt, Toast folgte auf Toast. Der Improvisator Wolff brachte einen solchen, von ihm das »Kleeblatt« genannt, das den Dreiklang repräsentire: der Grundton Spohr, die Terz, die alles mit Liebe verbindet: Liszt, die Dominant, die alles zur schönen Auflösung führt: Dr. Breidenstein. Großer Jubel. Andere Toaste folgten. Nun erhob sich Liszt. Er sprach in seiner schnellen Weise, sprach deutsch und verwickelte sich. Seine Rede wies hin auf die Feier und daß alle Nationen Vertreter gesandt, dem Meister ihre Verehrung zu zollen. »Sie sollen leben – schloß er –, alle sollen leben – Holländer, Engländer, Wiener (!), die hierher wallfahrteten!«

Da erhob sich Chelard mit Ungestüm und schrie Liszt zu: »Vous avez oublié les Français.« Nun wogten die Stimmen wie Meeresfluth durcheinander – dafür, dawider. Ein französischer Journalist platzte los: man habe Louis Philipp nicht leben lassen und doch der Victoria ein Hoch gebracht: das sei eine Beleidigung. »Why«, rief ein Engländer dazwischen, »were none paid to the Emperor of China or the Cham of Tartary? They too had not been present at the ceremony and they had as little right to be forgotten as Monseigneur le Roi Citoyen!«

Liszt konnte mit Mühe zum Wort gelangen und gerieth dabei immer tiefer in ein Wortlabyrinth, bis er endlich den Erregten klar machte, »daß es ihm, der fünfzehn Jahre unter den Franzosen gelebt und ihnen so viel zu danken habe, nicht in den Sinn kommen könne sie zu verletzen: daß er auch die Ungarn nicht genannt, wozu gerade er keinen Grund habe.« Es half nichts Unfreiwillig hatte sein Toast das Signal gegeben. Der größere Theil der Herren und Damen zog sich vom Gastmahl zurück und überließ den Saal den Verheerungen und Wohlthaten des hereinbrechenden Gewitters.

Doch dieses war noch keineswegs vergrollt, als andern Morgens – auf früh 9 Uhr war das Koncert anberaumt – Liszt[261] am Dirigentenpult stand, um mit seiner Fest-Kantate dasselbe zu eröffnen. Das Koncert selbst sollte von anwesenden Künstlern gegeben werden. Das Programm, spät entworfen, schwankend, war erst im letzten Moment fixirt worden. Es war 9 Uhr. Man erwartete mit Bestimmtheit die königlichen Herrschaften. Obwohl der König befohlen hatte mit dem Beginn der Aufführungen nicht auf seine Ankunft zu warten, zögerte Liszt dennoch. So ward es 1/24 Uhr. Die Musiker waren müde des Wartens, aber die Hauptsache war: Neid und Scheelsucht hatten kleinliche Intriguen gesponnen, die seinem Werke galten. Die Aufführung seiner Kantate war eine mißlungene. Orchester und Chöre, mit Ausnahme der Soprane, führten sie mit einer Nachlässigkeit und Ungenauigkeit durch, daß der böse Wille unverkennbar blieb. »Trotz der sehr mangelhaften Ausführung – berichtete Berlioz – trat die Superiorität dieser Komposition über alle sogenannten Gelegenheitswerke sofort dermaßen hervor, daß sogar die Erwartungen, welche man von den hohen Fähigkeiten des Komponisten hegte, weit übertroffen wurden.«

Der letzte Ton war noch nicht verklungen, der Taktstock noch in Liszt's Hand, als eine außerordentliche Bewegung die Ankunft der hohen Gäste nebst Gefolge verkündete. Da blitzte es in seinem Auge auf, kaltblütig und entschlossen raunte er den Musikern einige Worte zu, hob den Taktstock und – die Fest-Kantate begann zum zweiten Mal. Und in der That: dem gekränkten Komponisten ward sein Recht. Nichts Unähnlicheres war denkbar als diese beiden Aufführungen ein und desselben Werkes. So schlaff und farblos wie die erste gewesen war, so graziös und lebendig war die zweite. Ein stürmischer Applaus folgte und – es ist eine Thatsache! – dieselben Musiker, die ihm so widerhaarig waren, bliesen einen Tusch.

Mit dieser Kantate aber bewies Liszt, daß er das besaß, was einzig und allein man bei ihm nicht zu finden vermuthete: Styl in der Instrumentation sowohl, als in den andern Theilen der musikalischen Komposition.18 Die Partitur dieser


Fest-Kantate

zur Inauguration des Beethoven-Denkmals zu Bonn, für Chor, Soli und Orchester,

Gedicht von O.L.B. Wolff19[262]


das erste größere cyklische Werk Franz Liszt's, wurde nicht durch den Druck veröffentlicht. Es bleiben dadurch bezüglich ihrer nur die Urtheile der Berichterstatter jener Aufführung, die so ziemlich durchgehends das Werk als reich an schönen und bedentenden Momenten bezeichnen. August Schmidt, der Herausgeber der Wiener Allg. Musik-Zeitung20, berichtet über sie:


»Diese Festkantate ist das Produkt eines genialen Geistes. Fehlt auch dem Ganzen die Einheit der Idee, so läßt doch das Totale der Komposition etwas Außer gewöhnliches erkennen. Wer Liszt's Virtuosenleben überschaut, der mag sich wohl einen Begriff machen von den Kämpfen, die er in seinem Innern ausgekämpft.« – –

»Die Komposition liefert den überraschendsten Beweis seines richtigen Verständnisses in der praktischen Ausführung seiner Ideen. Mehrere Stellen würden dem geübtesten Kapellmeister in der Instrumentirung große Ehre machen. Er kennt die einzelnen Effekte der einzelnen Instrumente und wendet sie mit seltenem Scharfsinn an. Seine Vokalsätze sind Glanzpunkte dieses Werkes, ebenso interessant in der Konception, wie gewandt und der Wirkung der Singstimmen entsprechend in der Ausführung. Es finden sich Momente vor, die den rigorosesten Musikkritikern beifällige Zustimmung abnöthigen, – Stellen, die den Hörer gewaltig erfassen und ergreifen, harmonische Wendungen, Instrumental-Effekte, frappante Kombinationen, die ein tiefes gründliches Erfassen seines Vorwurfs bezeugen; – dann wieder Stellen, die abstoßen« etc.


Eingehender, auch auf den dichterischen Vorwurf, berichtete der Referent der Leipziger »Allg. Musikal. Zeitung.«21 Er schrieb:


»Es ist eine sehr gelungene, gediegene, schön instrumentirte Komposition, an der nur die häufige Anwendung der äußeren Grenzen der Höhe in der Singstimme (wie Beethoven in der Missa solennis, so bewegte sich auch Liszt, Überirdisches ausdrückend, am liebsten in der Höhe der Töne) auszusetzen wäre. Das Ge dicht von dem Improvisator Wolff ist schön und voller musikalischer Momente, welche Liszt alle recht glücklich aufgefaßt hat. – Ohne beurtheilend auf das Einzelne eingehen zu wollen, werde hier nur des pomphaften Eingangs mit dem fröhlichen Chor: ›Was versammelt hier die Menge‹ erwähnt; ferner des schönen Chores mit der wogenden Begleitung der Geigen. ›Gleich den Wogen des Meeres rauschen die Völker alle vorüber im Zeitenstrom‹; des charakteristisch wahren und ergreifenden Ausdrucks in: ›heute kommt was morgen fleucht‹ mit dem imposanten Schluß: ›Nur im Tod ist Fortbestehen‹; ferner des majestätischen heroischen Auftretens des Fürsten, den zu zeichnen der Komponist das schöne Andante des[263] großen B dur-Trios von Beethoven benutzt hat und es ganz vortrefflich der Feier angemessen instrumentirte.«


Liszt hatte den glücklichen Gedanken, aus dem Beethoven'schen Andante zu Ehr' und Ruhm des Meisters einen Hymnus zu gestalten, der bis zur majestätischen Apotheose sich emporschwingend die Kantate zum Abschluß bringt. Er hatte hiemit das Wesen des Beethoven'schen Genius charakterisirt und gleichsam durch sich selbst verherrlicht. – Mit diesem einfachen Vorgang hat Liszt der Tonkunst den Weg zu einem Mittel gefunden, welches zur Verkörperung von Ideen dient und insbesondere solchen historisches, auch charakteristisches Kolorit verleiht. Dieses Mittel fand bei ihm im Verlauf seines Schaffens vielfach ingenia ler und in einer für alle Zeiten mustergültigen Weise Anwendung, wie z.B. in der »Legende von der h. Elisabeth«, im Oratorium »Christus« u.a., wo er musikalische Motive und Themen aufnahm und verarbeitete, die historisch im Zusammenhang mit dem Stoff des Textes stehen. Allerdings gab dieses Verfahren seitens einer gegnerischen und beschränkten Kritik zu dem Mißverständnis Anlaß: »er könne die Themen nicht selbst erfinden, sondern müsse zu fremden greifen«, Liszt aber wurde durch dasselbe der Vertreter des »historischen Leitmotivs«, dessen Princip er fand und entwickelte.22 In seiner Beethoven-Kantate vom Jahr 1845 gab er demselben zum ersten Male Ausdruck.

Der bald nach der Bonner Aufführung der Kantate publicirte:


Klavierauszug für 4 Hände23

der Fest-Kantate etc. etc.


bestätigt die Urtheile der damaligen Presse.

Das letzterwähnte Koncert mit der Kantate Fr. Liszt's beschloß die Inaugurationsfeier des Beethoven-Monumentes zu Bonn.

Zu einem Beethoven-Album, das von Gustav Schilling proponirt und den Anwesenden zur Erinnerung bestimmt war, gab [264] Liszt seine Klavierpartitur des Trauermarsches aus der »Eroica« als Beitrag. Dasselbe erschien bei Cotta in Stuttgart.24

Nach dem Rechnungsabschluß des Beethoven-Komités endlich ergab sich trotz des Neubaues der Festhalle kein Deficit, wohl aber blieb ein kleiner Überschuß.

In Dankbarkeit für die großen Verdienste, welche sich Franz Liszt um das Denkmal und dessen Enthüllungsfeier erworben, beschloß der Magistrat der Stadt Bonn eine Straße daselbst Liszt-Straße zu taufen – eine andere erhielt den Namen Beethoven-Straße. Doch der Künstler lehnte diese Ehre ab.25

Als im Jahr 1870 Beethoven's hundertjähriger Geburtstag durch ein Musikfest in Bonn gefeiert wurde, da gedachte man nicht mehr seiner einstigen Verdienste, auch nicht der Ehrenschuld gegen ihn: die Leitung des Festes wurde seinem Gegner Ferdinand Hiller übertragen.

Fußnoten

1 Vom 11.–13. August. – Das Schriftchen »Erinnerungen an L.v. Beethoven und die Feier« etc. (Bonn 1845, B. Pleimes) nennt den 10.–12. August als Tage der Feier, die zeitgenössische Presse dagegen den 11.–13. August.


2 »Modern German music« II. volume. London, Smith, Elder & Co.


3 I. Bd. S. 548.


4 Ebendaselbst.


5 Liszt's »Gesammelte Schriften«, II. Bd. »Reisebriefe« etc. Nr. 12.


6 Einige Jahrzehnte später änderte sich über diesen Punkt die Meinung der Sachverständigen. Mehrere Monumente auf dem dortigen Friedhof sind in Marmor ausgeführt.


7 H.K. Breidenstein, »Festgabe« etc. zur Inauguration des Beethoven-Monuments.


8 August Schmidt: »W.A. Musik-Z.« 1845, Nr. 100 u.f.


9 »Cäcilie« 1845, Bd. XXV, S. 21.


10 August Schmidt: »W.A. Musik-Z.« 1845, Nr. 100 u.f.


11 »N.Z.f.M.« 1844, XXI. Bd., S. 43.


12 Köln, Aachen, Mainz, Koblenz u.a.


13 »Modern German music« II. vol. pag. 269.


14 »Die Enthüllung des Denkmals für Beethoven in Bonn«: »Allg. M. Ztg.« 1845, S. 592.


15 Vergleiche: »Wiener Allg. Musik-Ztg.,« 1845, Nr. 100 u.f. – »Cäcilie«, 1845, Bd. XXV, S. 21 etc.


16 Siehe: Berlioz »Gesammelte Schriften«, III. Bd.: »Musikfest zu Bonn«.


17 Nach Moscheles' Leben etc., II. Bd.; Chorley's »Modern German music« II. vol. u.a.


18 Nach Berlioz.


19 Dasselbe ist der »Festgabe« etc. H.K. Breidenstein's eingefügt.


20 1845, Nr. 100 S. 397, 402 u.f.


21 »Die Enthüllung des Denkmals etc.« 1845, S. 592 u.f.


22 Siehe: »Franz Liszt als Psalmensänger und die früheren Meister« von der Verfasserin. (Leipzig, Breitkopf & Härtel, 1886) S. 14.


23 1846: Mainz, B. Schott's Söhne.


24 Liszt's Übertragung wurde bald darauf, separat, von Mechetti in Wien verlegt. In der Gesammtausgabe von Liszt's »Klavier-Partituren der Symphonien Beethovens« ist dieselbe, abgerechnet einige die Ausführung betreffende Erleichterungen, unverändert beibehalten.


25 »A.M. Ztg.« 1845, S. 647.

Quelle:
Ramann, Lina: Franz Liszt. Als Künstler und Mensch, Band 2.1, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1887.
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