VII.

Paris. 1841.

(Koncertreisen 1840–1847.)

[95] Die Privatkoncerte 1840. Berlioz. Aristokratische Gegnerschaft. Thalbergiana. 20 Frank-Billete. Drei Koncerte 1841. Robert-Fantasie und »Mazeppa«. Zeitgenössische Kritik. Beethoven-Koncert. Anton Schindler's Gegnerschaft. – Liszt's Auffassung über Ordensverleihung.


Seit dem Jahre 1837 – seinem »Thalberg-Kampf« – hatte Liszt noch nicht wieder öffentlich in Paris gespielt. Das gespannte Verhältnis, in dem er sowohl zur Gesellschaft, als auch zur konservativen Künstlerpartei stand, hatte sich inzwischen nicht ausgeglichen. Der gesellschaftliche Bann lastete auf ihm, wie zur Zeit, als er 1835 Paris mit Genf vertauscht hatte. Und pianistisch kämpfte man nicht mehr im früheren Sinn: man hatte Thalberg die Palme gereicht. Und nur die beiden Privatkoncerte in den eleganten Sälen Erard (1840) hatten allen Staub wieder aufgewirbelt und die Parteien von Neuem wachgerufen. Die Presse war thätiger als je. War sie nach einer Seite ein mächtiger Hebel die Sache des Künstlers zu fördern, so legt sie nach anderer – geschichtlich – die Momente klar, um die es sich künstlerisch handelte.

Hector Berlioz hielt hierbei den großen Glockenstrang. Der König der Pianisten – »le Roi des Pianistes« – ist hier! rief er im »Journal des Débats« der Musikerwelt zu. »Und alldieweil es ihm diesmal unmöglich ist, Paris seine Aufwartung zu machen, wird er sich die Ehre geben, die Kunsthauptstadt der Welt bei sich zu empfangen zu einem musikalischen Fest – ganz nach Art der Könige: mit freiem Zutritt.«[96]

Nun muß man sich Paris vergegenwärtigen mit seinen hundert und aberhundert literarischen, musikalischen, überhaupt künstlerischen Notabilitäten – einem Staat im Staat –; dazu die große Menge der vornehmen Musikfreunde, die Legion der Pianisten, die allein auf fünfzehnhundert in jener Zeit geschätzt wurden, und über dies alles: das Sensationsbedürfnis der Seinestadt, das wie ein Dunstkreis alle Poren dieses Körpers durchdringt. Schon lange vor der für das verheißene Koncert – eine matinée musicale – anberaumten Stunde waren die Säle besetzt, die Haupt- und Seitengänge von Stehenden, unter ihnen Damen der besten Stände, gefüllt; sogar auf dem Korridor stand Kopf an Kopf.

Und als das Koncert vorüber war, da platzten die Maler, die Bildhauer, die Dichter, die Musiker aufgeregt auf einander. »Unerhört!« hörte man sie unter einander sagen. »Diese Farbenpracht! das Gesättigte des Tones! die Perspektive!« – »Ha, die Plastik!« rühmten die Männer der bildenden Kunst.

»Welche Phantasie – die Dialoge – die dramatische Gewalt!« riefen die Dichter dazwischen.

»Aber, meine Herren, haben Sie denn nicht gehört,« brachen die Musiker los, »da waren ja Soli von Flöten, Violinen und andern Instrumenten. Das ist kein Klavier mehr, so wenig als Paganini's Geige eine Geige war! Vielleicht eine geheime Mechanik –«

»Die Sache ist ganz einfach«, unterbrach ein Anderer; »nur weiß man nicht, wie es zu machen ist: zwei Finger spielen pianissimo, drei forte, die andere Hand mezzo-forte.«1

»Da weiß man nicht,« warf ein Kritiker ein, »über was man mehr zu erstaunen hat, über den Vortrag oder über die Finger. Vollendung ist alles. Entweder haben wir es mit einer unerhörten Keckheit zu thun oder – mit einem unerhörten Genie.«

So schwirrten die Stimmen des öffentlichen Urtheils durcheinander. Als der Künstler nun als Virtuos, nicht als Privatmann, 1841 Paris betrat, wurde er mit einer Redepracht empfangen, wie sie nur der Franzose, und auch da nur nationalen Leistungen und[97] Interessen gegenüber entfaltet. Paris hatte ihn zu lange zu den Seinigen gezählt, auch war er mit den Kreisen der Intelligenz und der Kunst viel zu eng ver bunden, als daß er jetzt, eine »europäische Celebrität,« nicht mit Emphase bewillkommnet worden wäre. Daneben arbeitete die Gegenpartei, eifrigst bestrebt jeden Erfolg schon im Voraus zu annulliren. Gleichwie in Leipzig, in London sich das Pro- und Contra-Liszt in zwei Zeitschriften gipfelte, so hier. Die »Gazette musicale« vertrat das Pro, »La France musicale« das Contra. Letztere, nach Heine's Beleuchtung, verschmähte es nicht, um den »Löwen zu stacheln, das kleine Kaninchen (Döhler) zu streicheln.«2

Der Künstler hatte jedoch noch andere als die musikalische Gegnerschaft zu überwinden. Seine sogenannte »Entführung« war durch die Rückkehr der Comtesse d'Agoult nach Paris von neuem der Stachel zur Opposition gegen ihn geworden. War es ihm auch gelungen sie mit ihrer Familie, insbesondere mit ihrem Bruder, dem Marquis Maurice de Flavigny, auszusöhnen, so konnte darum doch die Stimmung für ihn in den aristokratischen Gesellschaftskreisen keine entgegenkommende sein, abgesehen davon, daß die Aristokratie während der Jahre seiner Abwesenheit ganz thalbergianisch geworden war. Thalberg, der inzwischen mehrmals Paris besucht, hatte durch die Ruhe und Glätte seines Spiels die vornehme Welt sich errungen. Bei der Opposition gegen Liszt bildete sie den stärksten Verbündeten der literarischen und recensirenden Thalberg-Partei. –

Wie nun die Faschingsfreuden vorüber waren und Liszt sein erstes Koncert gegeben hatte, stand Alles urplötzlich anders. Wie eine platzende Bombe hatte es alle Berechnungen der Gegner zerstört – die pariser Koncertgeschichte hatte zu Liszt's Koncerten keine Vor- und Seitengänger. Und Berlioz konnte ausrufen: »Eine neue Ära in der Geschichte der Klaviermusik beginnt!«

Durch zwei Dinge hatte der Künstler schon vor dem Koncert imponiert und große Aufregung verursacht. Der Zutrittspreis zu seinen Koncerten betrug 20 Francs – ein Preis, der so alle Norm überstieg, daß er die heftigsten Diskussionen erfuhr. Seine Freunde riethen von dieser Besteuerung ab, nannten sein Vorgehen unklug, tollkühn; selbst Berlioz prophezeihte ihm eine Niederlage. Umsonst. Im ersten Moment hat diese Forderung des Künstlers bei seinem jedem Eigennutz und jeder industriellen Ausbeute abgewandten[98] Charakter etwas befremdliches. Stand er auch mit Recht auf Seite derer, welche die Wahrung des geschäftlichen Theils der Künstlerinteressen als eine wesentliche Bedingung der künstlerischen Thätigkeit, sowie der socialen Stellung der Künstler erachteten und verlangten, so war er doch in dieser Weise niemals vorgegangen. »Ich hatte nie übertriebene Preise,« äußerte er einstmals über diesen Punkt gegen mich, »weil mir derartiger Schwindel, sowie alle anderen Schwindeleien stets zuwider waren und sind.« – Paris gegenüber walteten besondere Gründe, die in der Opposition der Aristokratie und der Thalbergianer zu suchen sind. Der Künstler wußte sehr wohl, daß er wie ein Gott spielen könne und doch nicht als Sieger anerkannt werden würde, wenn nicht außer dem Außerordentlichsten der Kunstleistung die Macht der Persönlichkeit über die Verhältnisse triumphiren würde. Es galt, trotz jener Gesellschaftskreise, die ihm die Ebenbürtigkeit verweigerten, einen Sieg seiner Künstlerehre, der Sache, der Kunstideen, mit denen er sich identificirt hatte, es galt einen Sieg des Geistes über die Tradition und flache Arbeit der wenn auch glänzenden, doch nur technischen Erfindung und formellen Darstellung, wie sie Thalberg und die Virtuosen jener Zeit charakterisirten. In dem Selbstbewußtsein und Stolz seiner Souveränität warf er ihnen den Fehdehandschuh mit seiner Zwanzig-Francs-Diktatur hin.

Der andere Umstand, der auf Publikum und Presse nicht minder sensationell wirkte, war, daß der Künstler sich auf seine eigene Kraft stellte und sein Koncert nicht allein ohne Mitwirkung anderer Künstler gab, sondern auch sein Programm nur aus eigenen Arbeiten – Originalkompositionen und Übertragungen – zusammenstellte. Eine solche Idee hatte bis dahin in Paris noch niemand gedacht, noch ausgeführt. In Mendelssohn war wohl flüchtig der Gedanke aufgetaucht ein ganzes Koncert mit Ouvertüre, Gesangstücken und anderem Zubehör componiren zu wollen, doch blieb es bei dem Gedanken,3 der aber auch sonst im Vergleich mit Liszt's Durchführung von dieser abwich. Mendelssohn's Einfall bewegte sich in dem Rahmen der Koncerttradition – der Liszt's warf alle Koncerttradition um: dort waren symphonische und Sololeistungen[99] einem Orchester, einem Sänger und Instrumentalvirtuosen zur Ausführung übergeben – hier waren die zehn Finger eines Künstlers das Orchester, der Sänger und Virtuos zugleich. »Welche titanhafte Kraft!« rief die gesamte Presse, mit ihr ganz Paris aus. Liszt's schon mehrfach erwähnter römischer Versuch Klavierkoncerte zu geben, feierte jetzt hier seinen höchsten Sieg.

Das erste Koncert-Programm Liszt's bestand aus seiner Übertragung der Tell-Ouverture, seiner »Lucia-Fantasie«, aus den Übertragungen des »Ständchens« und »Ave Maria« dem »Mazeppa«, »Galop chromatique« und einer neuen Komposition: »Fantasie über Themen aus Robert der Teufel«. Diesem Koncert folgte ein zweites mit ähnlichem Programm und ein drittes für das Beethoven-Monument in Bonn mit ausschließlich Kompositionen des deutschen Meisters.

Mit diesen Koncerten hatte Liszt, sowohl als Virtuos wie als Komponist, die Palme – wenigstens für den Augenblick – errungen. Er hatte eine Universalität geistigen Vermögens und technischen Könnens in Verbindung mit einer Originalität entfaltet, die jeden Vergleich ausschloß und den Parisern den Beweis gab, daß Klavierspiel und Klaviermusik im Reiche der Poesie sich bewegend ein neues Zauberland betreten habe, daß im Gedanken die Herrschaft und Oberhoheit auch innerhalb der Tonkunst liege und zu finden sei. Letzteres manifestirte er als Komponist durch seine Robert-Fantasie und seine »Mazeppa-Etüde«.

Mit der


Fantaisie sur Robert le Diable4


setzen sich jene großen dem Koncertsaal und der Virtuosität gewidmeten Schöpfungen Liszt's fort, deren ideelle Richtung bereits ihre Darlegung gefunden hat.5 Hier ist keine Passage nur des Wohlklangs und ihrer selbst willen da. Figuren, Harmonien, das Verweben und Verarbeiten der Motive u.s.w. stehen unter dem Scepter der dramatischen Idee – hier ganz unter der Idee der Robert-Romantik Meyer beer's; das aber, was bei dieser willkürliches Phantasiespiel war, verwandelt sich im Geiste Liszt's zu einer phantastischen Dämonik, der wir vergeblich bei Meyerbeer nachspüren.

[100] Berlioz schrieb damals über sie, daß noch Niemand in dieser Art für Klavier komponirt habe, daß sie ebenso die kühnsten, wie die geistvollsten Kombinationen enthalte, daß ihre Form durchdacht und scharf, die Ausführung derselben tief und mannigfach sei, daß die harmonische Verknüpfung der Bertram-Arie des dritten Aktes und der Tanz-Arie des Nonnenballets, dieser beiden sich so widersprechenden Melodien, eine unglaubliche dramatische Wirkung hervorbringe. So Berlioz. Deutscherseits fand diese Komposition nicht minder in der Presse ihre Anerkennung. G.W. Fink z.B., welcher sie in Leipzig im December dieses Jahres von Liszt gehört hatte, hob bei ihr Eigenschaften hervor, die sich nur dem Genie vindiciren lassen.6


»Die ausschweifendste Willkür, die mit dem Schwierigsten wie mit Kinderspiel umspringt, ist mit so viel unheimlicher Konsequenz verbunden, sagt er, daß es uns bei seinem Vortrag dieses äußersten Bravourphantastischen fast ergangen wäre wie dem Jüngling, der halb willig sich von der Nixe in den Abgrund ziehen läßt. Wer nicht dämonischer Natur ist, wird's doch nicht treffen, wenn er auch die Noten noch so gut lernt.«


Die letzteren Worte: »Wer nicht dämonischer Natur ist, wird's doch nicht treffen etc. etc.« sollten, nebenbei bemerkt, als Fingerzeig für viele die Robert-Fantasie spielenden Pianisten beigedruckt werden. An der Kritik jener Zeitgenossen selbst ist noch kein Jota zu ändern.

Nicht minder als die »Robert-Fantasie« zündete die »Mazeppa-Etüde«, welche bezüglich Liszt's inneren Dranges nach charakteristischen Stoffen und der Darstellung poetischer Ideen von besonderem Interesse ist. Aus einer kleinen Etüde seines Opus 1 (Douze Etudes etc.) hervorgegangen wurde sie die Grundlage seiner der Weimar-Periode angehörenden großen symphonischen Dichtung gleichen Namens mit dem ihr als Programm beigegebenen Gedicht: »Mazeppa« von Victor Hugo. Konnte auch in dem Rahmen der Etüde die in diesem Gedicht gezeichnete Charakteristik sich nicht an das Einzelne wie auf der breiten Basis des symphonischen Satzes hingeben, so war sie dennoch eine scharf durchgebildete, die den allgemeinen Charakter des fürchterlichen Mazeppa-Rittes in Tönen wiedergiebt, während das symphonische Gedicht den Mazeppa zum Träger einer Idee – worauf wir später zurückkommen werden – erhebt und dieser Ritt selbst mehr als[101] Illustration des Martyriums des Helden eine sekundäre Stellung einnimmt. Das brennende Kolorit der »Mazeppa-Etüde«, der wilde Schmerz des Unglücklichen, das dahin sausende Roß,


»deß' Hufe den bebenden Boden stampften,

daß er Funken ergoß –«,


erweckte bei seinen Hörern Grauen und Bewunderung. »Nicht Liszt's zarte Finger, die Kunst selbst läutete Sturm!« rief ein Referent aus.

Der Erfolg des Mazeppa läßt sich nur mit dem seiner Übertragung des Schubert'schen »Erlkönigs« vergleichen – ebenso der Stoff selbst, namentlich nach dämonischer Seite hin. Ja es läßt sich annehmen, daß der »Erlkönig« an dem Dasein »Mazeppa's« ein geheimer Mitarbeiter gewesen ist. Doch verstehe man recht: nicht, daß der »Erlkönig« Liszt's Vorbild als Komposition war, sondern: daß die hier in verlockend-zauberischem Gewande auftretende Dämonik die wild-entfesselte des Geschickes, wie sie die Mazeppasage charakterisirt, als ihren Gegensatz in Liszt hervorgelockt hat. Hier, im Dämonischen, besteht in diesen beiden so verschiedenen Kompositionen eine Verwandtschaft; eine, die sich ergänzt, wie weiblich und männlich. Die Annahme, daß der »Erlkönig« Schubert's den »Mazeppa« Liszt's herausgefordert hat, liegt um so näher, als Liszt's Schubert-Kultus in der Zeit, als er die »Mazeppa- Etüde« komponirte, seinen ersten glühenden Aufschwung nahm und er gerade auch damals den »Erlkönig« dem Klavier übertrug. Die Erlkönig-Übertragung gehört nach Früherem seinem Aufenthalt in Nohant, die Komposition der »Mazeppa-Etüde« dem in Bellaggio an.

Obwohl Liszt diese Komposition schon in verschiedenen Städten mit Erfolg vorgetragen hatte, so war sie doch erst in seinen Pariser Koncerten im vollen Sinn des Wortes sensationell. Berlioz schrieb über sie in der »Gazette musicale«:


»Der episodische Gesang desselben ist prachtvoll, und Mazeppa's Charakter tritt in seiner wilden Größe um so schärfer hervor, je treuer zu gleicher Zeit die grausame Handlung, die Schrecken, die verzweiflungsvollen Anstrengungen des scheuen Renners gezeichnet sind. Beide Stücke – die Robert-Fantasie und der Mazeppa – sind voll der ergreifendsten Effekte und neuer unwiderstehlicher Eindrücke.«


Das Publikum war von beiden wie elektrisirt. Niemand dachte mehr an eine Opposition; selbst seine verhärtetsten Gegner applaudirten – freilich, wie Berlioz' kaustische Weise sie zeichnete,[102] »um hingerissen von dem Zauber seines Spiels, besiegt von seiner Übermacht fortzugehen, zwei Stunden darauf ihre systematische Opposition wieder aufzunehmen und endlich bei der ersten besten Gelegenheit wieder zu kommen, zu hören, zu bewundern und zu applaudiren.« Einige machten den Versuch, Thalberg den Parisern ins Gedächtnis zurückzurufen und Liszt's Macht über seine Hörer durch seine Technik zu erklären.

»Nutzloses Geschäft die Macht seines Genies im Machwerk suchen zu wollen!« ruft ihnen Berlioz zu. »Genug, Liszt hat keinen Rivalen! Ich finde diese Macht – ich möchte sagen – in einer divinatorischen, in einer hinreißenden, oft bis zur äußersten Grenze vorgehenden Sensibilität, die – es ist wahr – wohl manchmal die strenge Interpretation gewisser, nur besonnene und formelle Ausführung verlangender Werke beeinträchtigt, die aber auch allein den Künstler zur höchsten Höhe poetischer Begeisterung tragen kann.«

Trotz der hohen Eintrittspreise strömte das Publikum in seine Koncerte. Die Räume konnten die Menschen nicht fassen. Der Enthusiasmus war grenzenlos. Hingerissen, berauscht von der Macht seines Spiels und seiner Kompositionen, in Ekstase versetzt wußten sich seine Hörer kaum zu fassen – man lachte, weinte, man umarmte sich.

Ein besonders denkwürdiges Koncert war sein drittes am 24. April7, welches dem Bonner Beethoven-Monument galt. Liszt hatte die magere Spende, welche vor zwei Jahren von dem Dirigenten der Konservatoriumskoncerte zu gleichem Zweck nach Bonn gesandt worden war, noch nicht vergessen können. Die durch sie ausgesprochene Indolenz gegen den großen Meister hatte ihn empört. Nun bot er alles auf, ein großes Koncert, das zugleich eine Art Erinnerungsfeier bilden sollte, zu veranstalten. Was Habenek nicht hatte gelingen wollen, erreichte er, und ein der Elite des Geistes und der Gesellschaft angehörendes vornehmes Publikum füllte die Räume des Konservatoriumsaals, in welchem unter Mitwirkung des Konservatoriumorchesters das Koncert abgehalten wurde, – trotzdem »l'ami de Beethoven«8, Anton Schindler, dessen[103] Anmaßung die zeitgenössischen Künstler über die richtige Auffassung und Vortragsweise der Kompositionen Beethoven's belehren wollte, zornentbrannt darüber war. Wie vordem Louis Spohr bezüglich der Direktion der A dur-Symphonie, so schulmeisterte er jetzt Liszt bezüglich des Vortrags der Klavierwerke des Meisters. Aber – »Lieber Freund,« hatte ihm heiter der große Künstler geantwortet, »Sie sind ein Philister und Pedant.« –

»Nemesis,« schrieb hierauf Anton Schindler, indem er Liszt's Beethoven-Vorträge denuncirte, »was zögerst Du so lange, solchen Frevel an der himmlischen Tonkunst zu bestrafen?« –9

Das Programm zum obigen Koncert bestand lediglich aus Kompositionen von Beethoven. Berlioz dirigirte. Die Ouvertüre opus 124 »Die Weihe des Hauses«, welche bis jetzt noch in keinem Pariser Koncertsaal zu Gehör gekommen war, eröffnete das Koncert; ein den großen Tondichter feierndes Gedicht von Deschamps, gesprochen von dem Schauspieler Geffroy, folgte ihr; hierauf: dasEs dur-Koncert, die Klavierübertragung »Adelaide«, die Sonate opus 47 für Klavier und Violine (Liszt und Massart), und endlich die »Pastoral-Symphonie«.

Das Koncert war ein selten gelungenes; jeder Vortrag voll Würde und Weihe, getragen von Beethoven'schem Geiste. Nur ein kleiner, das Auditorium und seinen Enthusiasmus für den Virtuosen kennzeichnender Zwischenfall störte letzteren. Liszt hatte das Es dur-Koncert mit überwältigender Kraft und Tiefe der Poesie vorgetragen. Das Publikum war begeistert – ein Blumenregen überschüttete den Künstler und die Wogen des Beifalls wollten sich nicht legen. Die Begeisterung verlangte den Künstler nochmals zu hören und stürmisch rief sie – nach der »Robert-Fantasie«. Wie ein verwundeter Löwe geberdete sich Liszt bei diesem Verlangen.[104] Er achtete nicht der Schmeichelei, welche in demselben für ihn selbst lag: seiner Beethoven-Feier war etwas genommen, er hatte das Programm Beethoven gewidmet, kein Ton eines andern Komponisten sollte heute gehört werden – er wollte nicht spielen. Mit Mühe drängten ihn seine Freunde an das Instrument. Zähneknirschend setzte er sich, dabei die Worte hervorstoßend: »Je suis le serviteur du public, cela va sans dire!«

Dieses Koncert bildete für diese Saison den Schluß seines öffentlichen Auftretens in Paris. Überschüttet mit Lorbeeren, getragen von Enthusiasmus, war er wieder der Sieger, der Gefeierte, der Begehrte. Sensation, Aufregung im Kunstleben, im Salon, in der Presse. Bilder von ihm, Büsten,10 Medaillons in allen Formaten und Ausführungsarten an den Fenstern der Kunstmagazine, wie in allen Rangklassen der Salons. Seine Bonmots, seine geistreichen, oft beißenden Aperçus gingen von Mund zu Mund. Der Anekdoten, die ihn ebenso als Geißel der Arroganz hinstellten, wie sein stolzes Freiheits- und Selbstgefühl charakterisirten, war kein Ende. In dieser Zeit war es, daß Louis Philippe nach einer Begegnung mit ihm in den Salons Erard durch Liszt's Namen, welcher auf der Liste der mit dem Kreuz der Ehrenlegion auszuzeichnenden Personen stand, eigenhändig einen Strich zog. Der Künstler nahm diesen königlichen Federstrich sehr gleichmüthig hin, und die dem Königbürgerthum noch immer abholden Künstler- und aristokratischen Kreise applaudirten ihm.

Doch war Liszt's Name nicht erst während seines gegenwärtigen Besuchs der Seinestadt auf diese Liste gesetzt worden. Eine Notiz der »Gazette musicale« hatte schon vor einem Jahr auf eine eventuelle Dekoration des Künstlers mit den Worten hingedeutet: »M.M. Liszt et Cramer demandent la Legion d'Honneur.« Demandent: »baten« – dieses Wort verletzte den Künstler, der gerade in London war, dermaßen, daß er sich sogleich an die Redaktion wandte und um öffentliche Widerrufung derselben ersuchte.

»Mir wollte es immer scheinen, schrieb er, als dürften derartige Auszeichnungen angenommen, doch nie »erbeten« werden.«11[105]

Damals waren seine Ansichten über Ordensverleihungen republikanisch – Ordensverachtung gegenüber höfischer Ordenskriecherei. Doch brachte ihn sein Freund Fürst Lichnowsky auf eine weniger extreme Anschauung, und er faßte sie als eine Auszeichnung auf, die an und für sich den Werth des Künstlers weder erhöhen noch bestimmen kann, aber eine berechtigte officielle Anerkennung seiner Verdienste ist, eine Ansicht, der sich in früheren Jahren seine Ordensverachtung noch beimischte. »Die Orden,« äußerte er damals gegen den jungen Grafen d'Appony in Paris, »lassen sich mit den Maîtressen der Kavaliere vergleichen: Plus d'honneurs que d'honneur.« Traten auch so schroffe Äußerungen später nicht mehr hervor, so bewahrte er sich doch trotz der Freunde, die seinen Ansichten entgegen arbeiteten, seine eigene Meinung, wie aus folgender Stelle eines Briefes an Belloni, datirt April 1848, hervorgeht:


»...par rapport à la question du ruban, vous savez qu' à cet égard j'ai toujours gardé quelques nuances de sentiment, quelques réserves d'opinions, directs ou indirects, contrairement au sentiment, et à l'opinion même de ceux de mes amis (en petit nombre) qui m' ont le plus influencé. –


Den Orden der Ehrenlegion hat Liszt dennoch erhalten im Jahre 1844/45. Die Macht seiner Freunde und die öffentliche Meinung waren stärker als der Wille des Königs.

Fußnoten

1 Liszt's Unabhängigkeit der Finger, die ein technischer Ausgangspunkt seiner pianistischen Errungenschaften ist – damals eine ganz neue Idee –, erwähnt auch Mendelssohn in den Briefen an seine Mutter, desgl. Chorley »Athenaeum« 1840, Mai 16th; desgl. der Pariser Berichterstatter (d'Ortigue?) der »Augsb. Allgem. Ztg.« 1840, Mai. »Gazette music. d. Paris« u.v.a. In allen derartigen Momenten dürfte das Material zu einer Geschichte unseres heutigen Klavierspiels nach technischer Seite zu suchen sein.


2 Augsb. »Allgem. Ztg.« 1841. Nr. 119 Beilage.


3 Diese Idee Mendelssohn's dürfte eine ideelle Vorausnahme der in unserer Zeit, insbesondere von H.v. Bülow mit den Meiningern eingeführten Koncerte sein, deren jemaliges Programm aus Kompositionen nur eines Meisters bestand.


4 Edirt 1841: Schlesinger in Paris und Berlin.


5 I. Bd. Kap. XX, S. 395 u.f.; II. Bd. Kap. I.


6 »Allgemeine Musikalische Zeitung« 1841, S. 1113.


7 Die Leipziger »Allgemeine Musikalische Zeitung« bezeichnet irrig den 25. April als den Koncerttag.


8 Heine behauptete, diese erläuternde Bezeichnung habe A. Sch. seinem Namen auf Visitenkarten gedruckt beigefügt.


9 Siehe: Schindler's Beethoven-Biographie (Ausgabe 1845) 2. Nachtrag, S. 78. – Er fand Liszt's Vorträge Beethoven's, Weber's, Schubert's »Schauder-erregend«.

Bezüglich Liszt's Wirken zur Errichtung des Beethoven-Monuments ist ebendaselbst S. 72 u.f. zu lesen:


»Liszt's Verfahren mit den Werken Beethoven's, Weber's und Schubert's ist der Superlativ aller Verirrungen etc. – – Und ein solch muthwilliger Zertrümmerer aller symmetrischen Formen, folglich auch des inwohnenden Geistes, hilft mitbauen an dem ehernen oder steinernen Monument Beethoven's in Bonn? O ungeheure Ironie! – Ja, mein edler, glorreicher Freund Beethoven, Du brauchst wirklich mehr als ein solches Monument, wenn es mehr als einen Liszt gäbe! –«


10 Von J.P. Dantan 1840 büstiert. – Medaillon von Bovy. – Ary Scheffer's Portrait Liszt's durch Stich vervielfältigt etc. etc.


11 Der Originalbrief lautet:


Monsieur le Redacteur!


Permettez-moi de reclamer contre une assertion inexacte de votre avant dernier numero:

»M.M. Liszt et Cramer demandent la Legion d'Honneur etc.«

Je ne sais si M. Cramer (qui vient d'être nommé) a effectivement demandé la croix.

En tous cas, je pense que vous applaudirez comme tans à une nomination si parfaitement légitime.

Quand à moi, si'l est vrai que mon nom est figuré sur la liste des candidats, cela n'a pu être qu' entièrement à mon insu.

Il m'a toujours semblé que ces sortes de distinctions ne pouvaient être qu'acceptées, mais jamais »demandées«.

Agréez Monsieur le Redacteur etc.


Londres, 14. Mai 1840. Fr. Liszt.

Quelle:
Ramann, Lina: Franz Liszt. Als Künstler und Mensch, Band 2.1, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1887.
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