14.

Der Wirth vom »Herrgöttle zu Mannheim.«

[160] Der Abend war hereingebrochen und Lange hatte eben seine Toilette vollendet. Er wollte in das Theater gehen, nicht um selbst zu spielen, sondern um zu hören und zu sehen, denn Aloysia Weber sang heute in Salieri's »Axur,« und Lange, ihr begeisterter Verehrer, verfehlte nie, sie singen zu hören.

Jetzt stand er vor dem Spiegel seines elegant eingerichteten Zimmers in der Kaufingerstraße zu München und warf noch einen letzten musternden Blick auf seinen Anzug. In der That! wer ihn so sah, mußte gestehen, daß es kaum einen schöneren jungen Mann geben könne. Die schlanke, zierlich gebaute und doch kräftige Gestalt, die regelmäßigen, feinen Gesichtszüge, die großen blauen Augen voll Feuer und Lebenslust, das blonde lockige Haar, das die edel gebaute Stirne leicht und gefällig umwallte, der geschmackvolle, nach der neuesten Mode gearbeitete Anzug .... alles dies vereinigte sich zu einem wirklich verführerischen Ganzen. Bei Gott, sie hatten nicht Unrecht, die Damen von Mannheim, wenn sie Lange den neuen »Adonis« nannten. Die Münchener Frauen und Mädchen aber waren auch nicht mit Blindheit ge schlagen und in den vier Wochen, die der junge Mann nun schon in Bayerns Hauptstadt weilte, hatte er bereits mehr Siege gefeiert, als mancher seiner Collegen in vier Jahren.

Dies beeinträchtigte ihn indessen nicht, auch der schönen, aber spröden Aloysia Weber den Hof zu machen. Denn wenn er mit den Anderen spielte und an Blumen brach, was[160] sich ihm – mit oder ohne Dornen – gab, so betete er hier an. Nicht als ob er die Absicht gehabt hätte, Aloysia wirklich zu heirathen, – wenigstens hatte er an so etwas noch gar nicht gedacht, – aber er konnte ohne sie und ihre Liebe nicht mehr sein. Ja! dem flatterhaften, leichtsinnigen jungen Menschen schien diese Liebe zu einem braven und edlen Mädchen gewissermaßen wie eine Heiligung seiner selbst. Er flüchtete in ihr Bereich, wenn ihm vor dem eigenen Leichtsinn schwindelte und fühlte sich über den Staub der Trivialität gehoben, wenn er in Aloysia's Augen einen Blick der Gegenliebe zu erhaschen glaubte; denn hier beschränkten sich seine Triumphe bis jetzt auf einzelne solcher Blicke.

Aber heute, heute! .... hoffte er etwas mehr zu erfahren. Das wo und wie war sein Geheimniß.

Darum hatte er auch heute mit ganz besonderer Aufmerksamkeit Toilette gemacht; – darum strahlte jetzt, als er sich zum Gehen wandte, sein Gesicht in solch triumphirender Freude. Da klopfte es an der Thüre. Schon den Hut auf dem Kopfe rief Lange: »Herein!« Die Thüre öffnete sich und vor ihm stand – o! er kannte ihn wohl, den Wirth zum »Herrgöttle« aus Mannheim, dem er hundert und fünfzig Gulden schuldete.

»Ah! ..« – rief jener freudig: – »Fröhlich Pfalz, Gott erhalt's! ... Da treffen wir ja gerade noch den Herrn zu Hause.«

Aber Lange verlor keinen Augenblick seinen göttlichen Gleichmuth; die rechte Hand in die Brust gesteckt, sagte er mit dem Grafen in Lessings »Minna von Barnhelm« in feierlichem Tone:

»Mein Herr! wir haben uns nie gesehen.« ....

»Doch! doch!« – rief erschrocken der Wirth, der glaubte, Lange wolle die Schuld ableugnen. – »Ich bin ja der Wirth vom ›Herrgöttle‹ und da haben Sie jeden Tag ....«

Aber Lange fuhr ganz ruhig in seiner Rolle fort:

»Doch bei dem ersten Anblick glaubte ich Sie zu erkennen. Ich wünschte, daß Sie es sein möchten. – Umarmen Sie mich, – Sie haben meine völlige Hochachtung. Ich bitte um Ihre Freundschaft.«

»Obligirt!« – entgegnete verlegen der Wirth, der »Minna von Barnhelm« so wenig kannte, als den Groß-Mogul. –[161]

»Ich wollte nur gehorsamst anfragen.«

»Fragen Sie!« – unterbrach ihn Lange.

»Ob es mir in München gefällt? Vortrefflich, mein Lieber. Das Leben ist hier äußerst angenehm. Mädchen, sage ich Ihnen, wie Gold, und Gold ....«

»Gold!« – rief der Wirth entzückt. – »Ich nehme Gold oder Silber, es ist mir ganz gleich.«

»Pfui!« – sagte Lange mit anscheinender Indignation – »das kann ich von Ihnen nicht glauben. Etwas nehmen, heißt stehlen .... und das werden Sie, der Wirth vom Mannheimer ›Herrgöttle‹, doch nicht thun wollen.«

»Ach, wer sagt denn das,« – versetzte jener – »ich wollte Sie nur bitten, mir Ihre Schuld ....«

»Meine Schuld?« – rief der pathetische Lange. – »Wissen Sie, was Major von Tellheim sagt?«

»Nein,« – versetzte jener – »ich habe nicht das Vergnügen ihn zu kennen.«

»Nun denn, er sagt: Eher soll Ihr Schatten Sie verlassen! Kommen Sie nur, wohin Sie wollen; zu wem Sie wollen. Ueberall, Bekannten und Unbekannten, will ich es erzählen, in Ihrer Gegenwart des Tages hundertmal erzählen: welche Bande Sie an mich knüpfen, – aus welchem grausamen Eigensinn Sie diese Bande trennen wollen!«

»Bande?« – sagte immer verlegener der Wirth – »ich weiß nicht, was Sie damit meinen .... ich habe nur diese Rechnung für sechs Monate, die Sie bei mir gespeist haben.«

»Irrthum!« – rief der junge Schauspieler – »ich habe nie Monate gespeist!«

»Aber sehr viel zu Mittag und Abend gegessen während sechs Monaten.«

»Wie können Sie das behaupten? habe ich nicht noch mehr getrunken?«

»Allerdings!«

»Nun denn, reden wir ernsthaft. Sehen Sie, der Philosoph in Merni's ›Cato‹ sagt: Der Mensch bedarf täglich Mittel, seinen Hunger und Durst zu stillen; er bedarf in den meisten Himmelsstrichen auch Kleidung, Wohnung und Erwärmung, das sind die Nothwendigkeiten des Lebens, mit welchen die glücklichen Kinder der Natur vollkommen zufrieden sind ...[162] aber .... der Sohn der Cultur bedarf noch mehr, der will noch Bequemlichkeiten, angenehmes Leben, Ueberfluß, und so vermehren sich seine sogenannten Bedürfnisse in's Unendliche!«

»Aber ....«

»Die Natur reicht nicht mehr aus; also greift ihr die Arbeit oder die Industrie unter die Arme.«

»Alles gut, aber ....«

»Nun sehen Sie, mein guter Herr, ich bin auch ein Sohn der Cultur. Meine Arbeit ist die Kunst. Das Unangenehme aber ist, daß bei gar Vielen der Ertrag der Arbeit nicht mit den Cultur-Bedürfnissen übereinstimmt. Hier heißt es so recht:


Nicht mögen sie das hohe Streben fassen,

Das zum Olymp den Sohn Apollo's zieht,

Der, Göttern gleich, mit Göttern liebt zu prassen

Und wie die Hölle stets das ›Zahlen‹ flieht.«


»Ja!« – rief hier der Wirth, dem jetzt die Geduld ausging – »daß Sie das Zahlen fliehen, weiß ich. Sie haben mich immer vertröstet; aber wenn Sie heute nicht herausrücken, so werden Sie, so leid es mir thut, mit dem Schuldthurm Bekanntschaft machen müssen.«

»Bah!« – rief Lange. – »Kein Wort von Gefängniß, Marinelli! Hier ist die Strenge der Gesetze mit der Achtung gegen unbescholtene Tugend leicht zu vereinigen.«

Aber der »Herrgöttleswirth« ward jetzt in der That unangenehm. Der gutmüthige Ausdruck seines Gesichtes verlor sich und die Pfälzer Derbheit schien die Oberhand gewinnen zu wollen.

»Ich heiße nicht Marinelli,« – sagte er daher verdrießlich – »sondern Steiner, und was Sie mit Tugend wollen, begreif' ich auch nicht. In Mannheim hat man nichts von dergleichen an Ihnen gespürt.«

»El, ei!« – rief Lange lachend – »kennen Sie denn nicht den Spruch:


Eine junge Magd ohne Lieb'

Und ein Markt ohne Dieb,

Ein junger Mann ohne Schulden,

Alte Gläubiger mit viel Gedulden.

Alte Scheunen ohne Mäuse,

Alte Pelze ohne Läuse,

Alte Böcke ohne Bart,

Sind nicht .... natürlicher Art!«
[163]

»Ich wünschte, Sie wären beim Teufel mit Ihren Versen!« – rief jetzt der Wirth – »so haben Sie es mir auch schon in Mannheim gemacht. Kann man denn gar kein vernünftiges Wort mit Ihnen reden.«

»So viel Sie wollen!« – entgegnete der Künstler – »aber dann dürfen Sie auch weder von Rechnung noch von Schulden, am wenigsten aber von Bezahlen sprechen; denn da finde ich gar nichts Vernünftiges darin.«

»Ich aber desto mehr!« – rief der Wirth – »und ich glaube, die Gerichte werden meiner Ansicht sein. Also, wollen Sie zahlen?«

»Ja!« – sagte Lange fest.

»Nun, das ist schön von Ihnen!« – versetzte der Wirth vom »Herrgöttle« beruhigter – »so ....

»Aber« – fuhr Lange fort – »wenn ich auch will, ich kann nicht.«

»Und warum nicht?«

»Weil ich mit dem lustigen Brenner in ›Camoens‹ sagen muß:


Frei bin ich wie der Aar im Aetherblau,

Frei von der Last der königlichen Bürden,

Frei von dem Willen einer bösen Frau,

Frei auch von Geld und Gut und eitlen Würden.

Stülpt meine Taschen um, laßt nackt mich geh'n,

Auch nicht ein Pfennig ist bei mir zu seh'n!«


Lange hatte, während er seine leeren Taschen umstülpte und ausschüttelte, die letzten Worte mit so unnachahmlicher und unwiderstehlicher Komik gesagt, daß der Wirth vom »Herrgöttle zu Mannheim« trotz seines Aergers lachen mußte.

»Aber was mach' ich denn da?« – rief er jetzt – »ich muß doch mein Geld haben.«

»Freundchen!« – sagte Lange schmeichelnd – »haben Sie noch etwas Geduld. Sehen Sie, Geduld ist eine so schöne, echt christliche Tugend.«

»Aber ich kann doch nicht ewig Geduld haben?«

»Ausgezeichnet wäre dies allerdings, aber wenn ›ewig‹ zu lange ist, noch ein paar Monate:


Die Zeit ist reich, oft reicher als man glaubt,

Wenn sie Minuten, Tage, Jahre raubt,

Giebt sie die Schätze, Welten, Hoffnungsgrün,

Ja Silber selbst ... in deinen Locken hin.«
[164]

»Eine schöne Aussicht!« – sagte der Wirth. – »Aber mit dem verdammten Schnacken bringen Sie mich immer herum. Und klagen wird auch nichts helfen, das sehe ich schon, und kostet noch mein gutes Geld! Also Sie versprechen mir ...«

»Was Sie wollen!«

»Und halten

»Was ich kann.«

»Nun denn diesmal noch auf einige Monate. Aber dann ....«

»Dann? .... Wie sagt Lodovico in Othello zu Cassio:


Euch dann, Herr Gouverneur,

Liegt die Bestrafung dieses Teufels ob;

Bestimmt die Zeit, den Ort, die Art; – o schärft sie!

Ich geh' an Bord und will die schwere That

Mit schwerem Herzen künden dem Senat!«


»Ihr seid ein Narr, mein Herr!« – rief jetzt halb ärgerlich, halb gutmüthig der Wirth, Hut und Stock ergreifend – »ich aber bin jedenfalls noch ein viel größerer, sonst hätt' ich Euch nicht geborgt.«

Und mit diesen Worten verließ der Inhaber des »Herrgöttle von Mannheim« das Zimmer des Schauspielers.

Lange lachte ihm, ein Schnippchen schlagend nach; dann rief er freudig:

»Wieder eine gewonnene Schlacht!« – und sich auf den Weg nach dem Theater machend, sang er mit fideler Miene:


»Für Borgen sorgt das Leben,

Ein Thor ist der, der sorgt!

Noch giebt's ja Lieb und Reben

Und – manchen Freund, der borgt.«

Quelle:
Heribert Rau: Mozart. Ein Künstlerleben. Berlin 4[o.J.], S. 160-165.
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