16.

Der Zukunft schönster Stern.

[171] Es hat mit den Verhältnissen dieser Welt eine gar eigene Bewandtniß. Wie fühlt sich nicht manchmal der geistvolle Mensch beengt und gepreßt durch diese leidigen, sogenannten Verhältnisse; wie muß er nicht um derselben Willen gar oft alles Große und Hohe in sich zurückhalten, so daß er es am Ende gar nicht mehr erhalten kann! Indessen, so wie Reden eine Kunst ist, aber Schweigen eine viel größere, – so wie Befehlen schwer ist, aber Gehorchen meist noch schwerer, – so erweckt zwar auch Derjenige oft das Staunen der Menschen, der keck und kühn, frank und frei hinwegtritt über alle die Berge und Schranken der menschlichen Meinung und des Herkommens, wie ein Riese über die Alpen schreitet, als wären es Ackerbeete; aber unendlich größer ist doch wohl derjenige Mensch, der sich selbst durch inneren Gehalt über alle die kleinlichen äußeren Verhältnisse erhaben fühlt und sie nichts desto weniger achtet und ihnen Rechnung trägt, ohne sich doch von ihnen beherrschen zu lassen. Ein Solcher wird auch nie vergessen, daß der Mensch – aller Verhältnisse ohngeachtet – vermöge seines freien Willens, doch sein eigener Herr, Schöpfer seines Schicksals und seiner Bestimmung sein kann.

Mozart gehörte zu diesen großen und schönen Naturen. In ihm lag auch nicht eine Spur von Egoismus, während Seelengröße, die reinste Herzensgüte, Gemüthsfreiheit und eine unglaubliche Aufopferungsfähigkeit seinen Charakter schmückten. Er hatte Aloysia in dem Glauben an ihre Gegenliebe aufrichtig geliebt; von dem Momente an, in dem er erfahren, daß diese Liebe für ihn erblaßt und einer anderen Neigung[171] gewichen sei, verzichtete er auf sie. Er begriff die Macht der Verhältnisse, die hier obwalteten; aber indem er ihnen Rechnung trug, erhob ihn zugleich sein Selbstbewußtsein. Konnte Aloysia – ihm gegenüber – Lange den Vorzug geben, so fand er dies in seiner Bescheidenheit sehr natürlich; aber er mußte sich doch auch sagen: daß sie ihn dann weder verstanden, noch sein inneres Wesen erkannt habe.

Freilich würde dieses Loslösen von einem anderen Herzen nicht so leicht haben stattfinden können, wenn sich nicht die Bande, die ihn an Aloysia geknüpft, schon seit längerer Zeit etwas gelockert hätten. Der erste Stoß war das Geständniß gewesen: daß die Brieftasche, die Wolfgang um Weihnachten so geheimnißvoll erhalten hatte, und die doch ein verhülltes Bekenntniß inniger Liebe war, nicht von ihr herrühre. Dann kam Lange's Annäherung, das allmälige Ausbleiben der Briefe und endlich das Gespräch mit den Kindern. Auch die Zweifel, die zwischen seiner Abreise und Wiederkunft nach Mannheim lagen, hatten den Boden des Vertrauens unterminirt; jetzt hatte eine selbsterlebte Thatsache den ganzen Tempel in die Luft gesprengt. Immer bedeckten daher die Trümmer desselben sein Herz mit Schutt und Asche und brannten sich schmerzlich in dasselbe ein; aber er blieb Mann genug, sich über dieselben zu erheben, und dem Winke seines Genius folgend, verbiß Amadeus den Schmerz.

Die Nacht, die er nach jenem Zusammentreffen mit Aloysia und Lange hatte, blieb natürlich eine schlaflose; denn der Kampf mußte immer in der Seele ausgefochten werden. Als er mit sich im Reinen war, blieb nur noch die Frage: ob er gleich ohne jeden Besuch und officiellen Bruch abreisen solle oder nicht?

Anfangs war Wolfgang dafür, Aloysia gar nicht mehr zu sehen; aber er brachte diesen Entschluß doch nicht über das Herz. Einmal hatte er den Eltern versprochen, die Mädchen zu besuchen und ihnen Briefe von Vater und Mutter zu überbringen; dann war er mit solcher Herzlichkeit und Innigkeit in die Familie Weber hineingewachsen, daß ein völliges Zerreißen dieser Bande ihm unmöglich war; ferner zog es ihn, Abschied von der guten und treuen Constanze zu nehmen, die sich immer so sehr für ihn interessirt hatte, und endlich mußte er einmal Aufschluß über die Brieftasche erhalten.[172]

Das waren also Gründe genug, um die Mädchen den kommenden Morgen aufzusuchen. Lange wollte er nicht sehen, und damit ihn keine Bitten und keine eigenen Schwächen von dem Entschluß: gleich nach diesem Besuche abzureisen, abhalten möchten, bestellte er den Wagen um zwölf Uhr vor des Herrn Capellmeister Cannabichs Wohnung.

Indeß das Schicksal schien ihm wieder entgegen sein zu wollen; Cannabich und Aloysia waren auf der Probe; nur Constanze empfing ihn .... aber .... mit welcher offenen und ehrlichen Freude und Herzlichkeit!

Sie konnte sich von ihrer Ueberraschung kaum erholen und zeigte in ihrer kindlichen Unbefangenheit ihr Glück so offenkundig, daß es Amadeus wunderbar berührte. So hatte er sich den Empfang bei Aloysia gedacht! – Nun, es war ja ihre Schwester, seine Schwester, bei der auch er sich immer so still glücklich und behaglich gefühlt. Freudig gab er sich, wie er war und vergaß fast, was er gewollt. Endlich .... nach hundert Fragen über seine Erfolge in Paris, sein jetziges Wohlergehen, die Eltern in Mannheim und andere Dinge, kam auch die Rede auf Aloysia. Da sah er denn freilich, daß schon die Nennung dieses Namens Constanze verwirrte. Da Mozart aber keine Umschweife liebte, auch keine Zeit hatte, solche zu machen, so ging er gerade auf sein Ziel los, und frug Constanze auf Ehre und Gewissen: wie es mit dem Verhältnisse Lange's zu Aloysia stehe?

Constanze erbleichte; man sah es ihr an, wie sehr es sie schmerzte, den Freund in seinen heiligsten Gefühlen zu verletzen; doch konnte sie auf seine Fragen nur mit der Wahrheit antworten. Sie sagte daher nach einigem Zögern:

»Wenn Sie es denn zu wissen verlangen, so muß ich es sagen, so wehe es mir thut.«

»Nun?«

»Sie lieben sich gegenseitig

Mozart blieb ruhig. »Ich wußte es!« – versetzte er dann trübe. – »Möge diese Liebe Aloysia glücklich machen, .... ich fürchte das Gegentheil.«

»Ich auch!« – rief Constanze – »und was werden Vater und Mutter sagen. Es ist allerdings wahr, daß das edle Gemüth der Schwester in dieser Liebe gewissermaßen eine Bestimmung des Himmels sieht. Sie will Lange durch dieselbe zu einem besseren Menschen machen und ihm nur dann ihre Hand reichen, wenn er es verdient.«[173]

»Daran erkenne ich das edle gute Herz Aloysia's!« – rief hier Amadeus bewegt aus. – »Aber so schön dieser Vorsatz ist, so gefährlich bleibt er.«

»Das ist auch meine Meinung.«

»Lange ist kein böser Mensch,« – fuhr Wolfgang fort – »aber er besitzt einen solchen Leichtsinn, daß selbst eine augenscheinliche Besserung bei ihm nie von Dauer sein wird. Er gehört zu den Menschen, die sich aus Leichtsinn und Egoismus eine eigne höchst bequeme Logik bilden. Was seine Natur nicht lassen kann und will, nennt er das Erlaubte; was gelingen kann: das Gute; was sein ›Ich‹ in's beste Licht stellt und ihm schmeichelt: das Rechte; was seinen Neigungen entgegen ist: das Abscheuliche; was sich mit einem Mäntelchen bedecken läßt: das Verzeihliche. Alle Fehler werden ignorirt, und der Himmel, der zürnen könnte, geleugnet. Das ist kein Mann für Aloysia

»O, wie wahr!« – rief Constanze, und ihre von Thränen feuchten Augen ruhten mit wunderbarem Glanze auf Amadeus. Als dieser aber in ihr liebliches Gesichtchen blicke, bedeckte dasselbe ein dunkles Roth. Mozart gewahrte es und dachte an den Moment, da Constanze bei seinem Vorzeigen der Brieftasche die Schüssel hatte hinfallen lassen. Es durchzuckte ihn seltsam. Gedanken, die er damals hatte, stiegen neu in ihm auf und dem holden Mädchen, das neben ihm auf dem Sopha saß, näher rückend, sagte er in sanftem Tone, seine Hand leise auf die ihre legend:

»Liebe Constanze, ich muß in einer Stunde abreisen, denn ich kann und mag Lange hier nicht begegnen; aber ich habe noch etwas auf dem Herzen, das mich seit Monaten drückt und quält.«

»Und das wäre?« – frug unter wiederholtem Erröthen die Angeredete, indem sie die Augen verwirrt niederschlug und ihr Busen sich stürmisch hob und senkte.

»Es ist ein Geheimniß!« – sagte Mozart – »von dessen Enträthselung meine, vielleicht auch die Zukunft zweier Menschen abhängt.«

»Nun .... und?«

»Können Sie mir sagen, von wem jene Brieftasche war, die mir an dem letzten Weihnachten so geheimnißvoll zukam?«

»Eine Brieftasche?« ..... stotterte Constanze, und jetzt wechselte Blässe mit dem Purpur ihres Antlitzes.[174]

»Ja!« – wiederholte Amadeus – »eine Brieftasche von himmelblauer Seide, auf die eine freundliche Hand eine Landschaft gestickt hat. In der Mitte derselben steht unter Rosenhecken ein Altar, der einen Lorbeerkranz trägt, und um das Ganze schlingen sich die Worte ›Dem Verdienste die Krone‹ und ›Aus treuem Herzen‹. Kennen Sie diese Brieftasche?«

»Ich weiß nicht ......« – sagte Constanze immer verwirrter.

»O, Sie wissen es gewiß!« – rief Mozart, immer näher rückend, – »und kennen auch den Zettel, der dabei lag und den ›ein treues Herz‹ geschrieben und unterzeichnet!«

»Aber warum soll gerade ich ....«

»Constanze! Liebe gute Constanze!« – fuhr Mozart immer eifriger und glühender fort, denn es wurde nach einer langen Nacht Licht vor seiner Seele. – »Kennen Sie die Brieftasche? Diese Brieftasche!« – und er zog sie aus seinem Busen – »diese Brieftasche, die ich, seit ich sie empfing, auf meinem Herzen trage. Kennen Sie dieselbe? O, leugnen Sie es nicht, ....... ich sehe es, ich fühle es, sie ist von Ihnen? .... Eine unselige Täuschung ließ mich glauben, sie sei von Aloysia; aber schon damals, als Ihnen bei meiner ersten Frage die Schüssel entglitt und Sie erröthend und erblassend auf den Stuhl sanken, – schon damals ward ich irre. Sagen Sie es mir, Constanze, ist diese Brieftasche eine Liebesgabe aus Ihrer Hand? Ich beschwöre Sie, sagen Sie es mir, denn mein Leben, das Glück meiner Zukunft hängt davon ab!«

»Nun denn ....«

»Sie ist von Ihnen?«

»Ja!« – stammelte das Mädchen leise und sank schluchzend an die Brust des jungen Mannes, der sie fest an sich zog.

So saßen sie lange. Mozarts Küsse brannten auf Constanzens Stirne, sie aber weinte und lächelte durcheinander, wie ein überglückliches Kind.

»Sonderbare Fügung!« – sagte endlich Amadeus mit seiner weichen wohltönenden Stimme, und ein unendlich milder Glanz leuchtete aus seinen schönen tiefen Augen. – »Ihr Beide seid meinem Herzen von dem ersten Tage an, da ich Euch sah, fast gleich lieb gewesen, und doch hat sich meine Liebe verirrt. Aber was sie auf den falschen Weg führte,[175] führt sie auch zurück, und an dem Tage, da ich Aloysia verliere, gewinne ich meine Constanze

»Deine Constanze!« – wiederholte diese und blickte Amadeus mit einem Lächeln an, so hold, wie der schönste Maientag.

»So sei es!« – rief Constanze entzückt und beide besiegelten den Schwur ihrer Liebe mit einem langen heißen Kusse.

In diesem Augenblicke hörte man die Hausschelle gehen und Tritte sich nähern.

»Aloysia!« – rief Constanze, und Mozart sprang rasch auf. Gleichzeitig fuhr Mozarts Wagen vor.

Die Scene, die jetzt folgte, war eigenthümlicher Art. Aloysia war natürlich, als sie den Freund ansichtig wurde, sehr überrascht, im ersten Augenblicke selbst verlegen. Aber das fand sich bald, da das Leben an der Bühne ihr bereits Gewandtheit gegeben. Schnell fand sie den für ihre jetzige Stellung richtigen Ton, der mit Höflichkeit so viel Kälte verband, um sogleich dem jungen Manne zu sagen: daß das zärtliche Verhältniß zwischen ihnen abgebrochen sei.

Mozart mußte über diese diplomatische Weise innerlich lächeln; aber gerade, offen und ehrlich wie er war, bedurfte sein Herz einer entschiedenen Erklärung. Rasch trat er daher zu dem im Zimmer stehenden Claviere, öffnete es, präludirte und sang dann, indem er Aloysia mit heiterem Lächeln anschaute: »Ich laß' das Mädel gern, das mich nicht will!«61

Aloysia erröthete; da aber der Postillon vor dem Hause blies, Amadeus aufsprang und nach seinem Hute griff, blieb keine Zeit zu Erörterungen mehr.

»Leben Sie wohl, meine Damen!« – rief Mozart noch den beiden Mädchen zu. – »Möge der Himmel Sie in seinen Schutz nehmen und die Wünsche unserer Herzen zu einem schönen, glücklichen Ziele führen!«

Und er küßte beiden die Hand, eilte die Treppe hinab und warf sich in seinen Wagen. Der Postillon klatschte mit der Peitsche, die Pferde zogen an, und unter lustigem Horngeschmetter rollte der Wagen davon.

Edler Freund! wie viele Täuschungen bringst du mit nach Hause! ..... und doch, mitten unter den Trümmern deines großen Schiffbruches wieder ein Brett, das dich trägt, und[176] Hoffnungen, die Land verheißen. Ja gewiß, auch für dich gilt des Dichters Wort:


»Hoffnung auf Hoffnung geht zu Scheiter,

Aber der Mensch hofft immer weiter!«


So hoffe denn, große Seele; sonne dich jetzt im Strahle reinster, edelster Liebe; – kämpfe dabei fort gegen der Menschen elenden Neid, und des Lebens erbärmliche Noth; aber hüte dich nur, daß die Welt nicht einst mit blutendem Herzen die Worte auf dein Grab setzen muß:


»Deutsch war sein Lied und deutsch sein Leid,

Sein Leben Kampf mit Noth und Neid.

Der Kampf ist aus, er flieht den Ort,

Indeß sein Lied tönt ewig fort!«

Quelle:
Heribert Rau: Mozart. Ein Künstlerleben. Berlin 4[o.J.], S. 171-177.
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