2.

Am Hofe.

[26] Der Hof des Churfürsten Maximilian Joseph von Baiern feierte heute ein großes Fest; denn Seine königliche Hoheit, Prinz Clemens von Sachsen, Churfürst von Trier, war zum Besuche in München – d.h. eigentlich in Nymphenburg, wo der Hof residirte – angekommen. Glänzte doch damals dies schöne Lustschloß mit seinen wundervollen Gartenanlagen in seiner höchsten Pracht, nur von Schwetzingen – dem deutschen Versailles – übertroffen. Herrlich warf die große Fontaine ihren achtzig Fuß hohen Wasserstrahl vor dem Palast in die Lüfte, und dieser Palast selbst mit seinen fünf durch Gallerien verbundenen Pavillons, wie imposant erhob er sich an der Spitze des[26] weiten Parkes. Da waren prächtige Wasserbecken, Canäle, Wasserfälle und Springbrunnen, da prangten in Glanz und in Fülle Orangerien und Treibhäuser und versetzten den staunenden Fremden nach Italien und unter die Tropen; da bevölkerten Hirsche, Rehe, Fasanen, Schwäne, Kaninchen, selbst ganze Biber-Colonien die Parkanlagen; – da glänzte die Amalienburg durch ihre Spiegel und Gemälde; die 1716 von Max Emanuel erbaute Pagoden burg durch ihre wunderschönen Porzellanarbeiten, und die 1718 von demselben Churfürsten reizend hingestellte Badeburg mit den Bildnissen der sechszehn Maitressen, mit welchen Churfürst Carl Albrecht unter sanfter Musik im Bade herumschwamm.

War das nicht eine königliche Prachtentfaltung, wenn eine einzige unter den neunzehn großen Fontainen – die große Florafontaine – die hundert Schuh im Umfang hatte, sechszigtausend Gulden kostete?

War das nicht eine königliche Prachtentfaltung, wenn diese ganze Fontaine, der große und die acht kleinen Steinberge, die in dem Bassin standen und allen Statuen von Göttern, Menschen und Thieren, die sich auf und an diesen Bergen befanden, vergoldet waren?

War das nicht eine mehr als kaiserliche Prachtentfaltung, wenn Max Emanuel bei seiner Verheirathung mit der Erzherzogin Maria Antonia zu den bereits vorhandenen zwei großen Büffets von Gold ein neues goldenes Service anschaffte, das aus neun Dutzend goldenen Tellern und sechs Dutzend goldenen Schüsseln, ferner aus sechs Schalen, sechs Leuchtern, einem großem Gießbecken, zwei herrlich ausgearbeiteten Waschbecken, zehn Confectschalen, alles aus demselben edlen Metall, und zahllosen goldenen Löffeln, Messern und Gabeln, deren viele, gleich den Vorschneidemessern mit Edelsteinen besetzt waren, bestand?11

War das nicht mehr als kaiserliche Prachtentfaltung, wenn das Kleid, welches Ihre Churfürstliche Durchlaucht auf einem[27] Balle zu Venedig trugen, so über die Maßen mit den herrlichsten Edelsteinen besetzt war, daß es einen Schein und Glanz von sich warf, der die Augen bis zum Schmerzen blendete?12

War es nicht mehr als kaiserliche Prachtentfaltung, wenn Churfürst Carl Albrecht – Maximilian Josephs Vorfahr – ein Paradebett besaß, für dessen Stickereien und Verzierungen 21/4 Centner Goldes waren verschwendet worden, und das 800,000 Gulden kostete?13

War es nicht eine ächt königliche Prachtentfaltung, daß unter Max Emanuel, Churfürsten von Baiern, Tafel und Jagd gerade auf demselben Fuße eingerichtet waren, wie bei Ludwig XIV., König von Frankreich?

Waren doch damals täglich bei den Jagden gegen vierhundert Pferde auf den Beinen, die Jagdhunde gar nicht zu zählen! In Nymphenburg wimmelte der benachbarte, fünf Stunden lang bis nach Staremberg reichende Thiergarten von gehegtem Wilde: Hirschen, Rehen, Wildschweinen, Fasanen und Feldhühnern; auch am Staremberger See und in der Umgegend ward das Waidwerk betrieben. Mit stattlichem Gefolge, wie es die Wouvermann'schen Genrebilder noch vielseitig zeigen, zog man auch namentlich zur Reiherbaitze aus. Es wimmelte dabei von Hunden. Der Favorithund lag jederzeit zu Nymphenburg in einer Loge neben des Churfürsten Bett, zwölf andere Logen für Hunde befanden sich in dem anstoßenden Schreibsaal. Der Lieblingshund der – ebenfalls leidenschaftlich jagenden – Churfürstin Amalie, ruhte unter einem gelbdamastseidenen kleinen Zelte auf einem Kissen von gleichem Stoff.

Auch die Alchemie und Goldmacherkunst ward mit königlicher Freigebigkeit betrieben. So kostete der berüchtigte Abenteurer Conte Ruggiero den Churfürsten Max Emanuel sechszigtausend Gulden und ward noch dazu zum churbairischen Feldmarschall, Generalfeldzeugmeister, Etatsrath, Obristen über ein Regiment und Commandanten von München mit ungeheuren Gehältern ernannt.14 Noch größere Summen[28] fielen in die Hände eines Grafen Taufkirchen, der sich erboten hatte, so viel Geld zu machen, daß Baiern dafür zu klein sei. Aber nicht Baiern war für sein Geld zu klein, wohl aber der Beutel des Churfürsten für den goldgierigen Grafen.

Dreißig Millionen Schulden und ein ruinirtes Land waren das Resultat dieser Prachtentfaltung, dieses Glanzes, dieses Lebens im Style Ludwig XIV.

Ganz anders dachte freilich Maximilian Joseph. Er war in der That von dem edelsten Fürstenwunsche erfüllt – von dem Wunsche: ein glückliches Volk um seinen Thron zu erblicken. Vor Allem war nun dazu Wiederherstellung des zerrütteten Staatshaushaltes und das Tilgen der verzehrenden Landesschulden dringend nöthig. Er begann daher mit Aufhebung des unentbehrlichsten und allzu übermäßigen Prunkes und Trosses am Hofe. Er schränkte sogar sich selbst – Andern ein Beispiel – in seinen Bedürfnissen ein. Ja, beim Beginn seiner Regierung und im edlen Jugendfeuer faßte er sogar einen Entschluß, wie ihn vor alten Zeiten einst Herzog Heinrich von Landshut gefaßt hatte: in ein fremdes Land zu ziehen und fremde Dienste zu nehmen; damit der Hofstaat erspart und dem Volke geholfen werde.15

Aber was helfen die edelsten Entschlüsse, wo die Kraft und die Möglichkeit zur Ausführung fehlten! Mutter, Verwandte, Räthe, ja seine ganze Umgebung hinderten ihn nicht nur an der Ausführung dieses allerdings etwas extravaganten Entschlusses, – nein – sie thaten auch das Ihre, den alten Glanz des Hofes so viel als möglich wieder herzustellen.

Max Josephs Jugend fiel in die Zeit, in welcher die von Frankreich herüberkommenden Ideen der Philanthropie – hervorgerufen, gehegt und gepflegt durch die Encyklopädisten, durch einen Voltaire, Rousseau, Diderot, Holbach, Grimm u.s.w. – in Deutschland zu wirken anfingen, und wo Friedrich der Große in Preußen die Aufklärung in Schutz nahm. Der allgemeinen Atmosphäre dieses neuen Geistes vermochten nun die Jesuiten – und namentlich sein Hofmeister, der in Physik und Mathematik ausgezeichnete Jesuiten-Pater Daniel Stadler und sein Instructor in Staatssachen, der Professor Johann Adam Ickstatt, –[29] ihren Zögling nicht zu entziehen. Aber sie konnten seine Erziehung doch so leiten, daß der Prinz Judäa und Rom bei weitem besser als sein Vaterland kannte; sie konnten das, was sie an ihn bringen wollten, so wohl abzirkeln und so schlau zuwiegen, daß seine Sehnsucht, die Welt kennen zu lernen, um sie zu beglücken, unbefriedigt blieb. Hielt ihm ja doch sein Beichtvater fast täglich vor: »man müsse zeitlichen Dingen nicht allzufest obliegen und nie vergessen, daß mit größerem Wissen auch größere Verantwortung vor Gott erwachse.«

Eine an sich edle Natur ist indessen nicht so leicht zu untergraben. Inmitten eines verführerischen üppigen Hofes hatte sich Max Joseph sittenrein er halten. Unverdorben, aber auch unerfahren übernahm er, kaum achtzehn Jahre alt, die Regierung. Aber zwischen dieser Zeit und der Zeit, von der wir hier sprechen, lagen jetzt zweiunddreißig Jahre, und den nun fünfzigjährigen Mann hatte seine nächste Umgebung durch einen satanischen Kunstkniff längst zur völligsten Unselbstständigkeit herabgedrückt. Nichtswürdige Günstlinge hielten ihn nämlich unausgesetzt in der Furcht: man wolle ihn vergiften! und durch diese Furcht trieben sie ihn zu Allem, was sie wollten! So nur konnte es kommen, daß all' sein edles Wollen zu Nichte ward; so nur war es möglich, daß Baiern auch unter seiner Regierung im größten Elend, in der drückendsten Noth verblieb; so nur vermochten vornehme Blutsauger die Möglichkeit zu erlangen, ungestraft das arme Volk bis auf den letzten Blutstropfen zu plündern; so nur war der alte Gang in Hofhaltung und Staatshaushalt wieder einzuschlagen und durchzuführen gewesen.

Darum glänzte jetzt auch wieder der Hof zu München wie ein goldener Stern unter den deutschen Höfen; darum nahm Nymphenburg in der Zeit, von der wir handeln, auch wieder den alten Platz ein, und heute – wie schon erwähnt – feierte der Hof hier ein glänzendes Fest, denn Prinz Clemens von Sachsen, Churfürst von Trier, war zum Besuche eingetroffen.

Es war noch früh am Tage, aber schon herrschte ein ungemein reges Leben im ganzen Schlosse. Alles, was zur Dienerschaft gehörte, war in Bewegung. Im großen Gartensaal standen der Oberst-Hofmarschall und Oberst-Küchenmeister, Graf von Tattenbach und der Oberstsilberkämmerer, Max [30] Joseph, Graf von Törring, umgeben von einer Menge churfürstlicher Truchsesse, dem kleineren Adel angehörend, und theilten ihre Befehle aus; während die fünfundsechszig Bediensteten der Küche und des Kellers und die zwanzig Tafeldecker und Silberdiener in feierlicher Stille und ehrerbietiger Entfernung der Dinge harrten, die da kommen sollten.

Im Park und Garten waren der Hofgärtner, der Grottenmeister, der Marmorator und der Geometer mit einem Schwarm von Menschen beschäftigt, das Nöthige zu ordnen.

Die Wege, auf welche der Spätsommer nächtlicherweise auf's neue welke Blätter gestreut, wurden gereinigt; – die Wasserwerke noch einmal inspicirt; – die Bauten von Innen und Außen geschmückt. Gewinde von Laub und Blumen im und am Schlosse aufgehängt, die Statuen und Vasen des Parkes aber, wo es nöthig, gereinigt. Gleich lebhaft ging es in den Ställen zu. Zwar befand sich hier der Oberststallmeister, Graf Fugger-Kirchberg, nicht in eigener Person; – aber an seiner Stelle commandirte der Vice-Stallmeister seine 239 Stallbediensteten, wie ein alter guter General. Auch der Oberstjägermeister war höchster Befehle gewärtig, während von den 318 Kämmerern des Churfürsten fortwährend eine Menge von München her ankamen, und sich um den Oberstkämmerer, Grafen von Königsfeld, sammelten.

Ueberhaupt war die stundenlange Allee, die von München bis Nymphenberg führte, ungemein belebt, da der Hof – außer dem Prinzen Clemens von Sachsen – noch andere hohe Besuche hatte, die alle heute zu Jagd, Tafel, und Hofconcert eingeladen waren. Die Equipagen des in München wohnenden Adels und der Hof-Chargen rollten daher oft dicht hintereinander dem Lustschlosse zu, während Massen der schaulustigen Bürger den Weg zu Fuße angetreten hatten.

Unter diesen Equipagen befand sich auch die des Fürsten Zeil, ein schöner und neuer Wiener Wagen, in dessen einer Ecke der Fürst lehnte, während – im Gespräche mit ihm verloren – neben dem Fürsten der junge Mozart saß.

»Aber, mein lieber Mozart,« – sagte jetzt der Fürst – »warum wollen Sie denn nicht in fürsterzbischöflich Salzburgischen Diensten bleiben? Sie sind doch bereits als Concertmeister angestellt?«[31]

»Ja, Durchlaucht,« – versetzte Mozart mit ironischem Lächeln – »wenn man das eben eine Anstellung nennen kann.«

»Was ist denn Ihr Gehalt?«

»Mein Gehalt?« – wiederholte Mozart. – »Ich fürchte, Durchlaucht halten mich für einen Verleumder oder thörichten Schwätzer, wenn ich es sage.«

»Gewiß nicht! sprechen Sie nur ganz aufrichtig.«

»Nun denn, mein Gehalt als Concertmeister Seiner Fürsterzbischöflichen Gnaden von Salzburg ist .... zwölf Gulden dreißig Kreuzer

»Wie viel?« – sagte der Fürst, indem er sich ein wenig aufrichtete, da er sich verhört zu haben glaubte.

»Zwölf Gulden dreißig Kreuzer monatlich.« – wiederholte Mozart lachend, – »also per Jahr ganze hundert und fünfzig Gulden16

Der Fürst sah den jungen Musiker fragend an, während eine leichte Wolke über seine Stirne lief. Es mochte ihm der Gedanke gekommen sein, der junge Mann mache sich über ihn lustig. Amadeus aber errieth, was in seinem Begleiter vorging und sagte:

»Durchlaucht, ich begreife Ihr Staunen; aber ich bitte Sie, mir trotzdem, zu glauben. Die Sache ist wahr. Ich würde sie übrigens gar nicht erwähnt haben, wenn Sie mich nicht selbst aufgefordert hätten, aufrichtig zu sein, und ich nicht wüßte, daß ich mich Eurer Durchlaucht Wohlwollen mit dem vollsten Vertrauen hingeben kann.«

»Aber das ist ja entsetzlich!« – rief der Fürst.

»Und doch ist es nicht das Schlimmste bei meiner Stellung!« – fügte der junge Künstler hinzu, und ein Schatten flog über seine edlen Züge.

»Wie so?« – frug Fürst Zeil.

»Der Herr Erzbischof ist ein frommer Mann, und weiß, als solcher, daß die Welt voll des Argen ist,« – fuhr Mozart fort und schon spielte wieder ein ironisches Lächeln um seinen Mund. – »Um uns Musikern nun alle Gedanken an Hochmuth zu benehmen, welche weltliche Beifallsbezeugungen so leicht in uns erwecken, und um die Versuchungen[32] abzuschneiden, denen uns eine wohlgespickte Börse aussetzt, verweigert er uns nicht nur die Erlaubniß, Concerte geben zu dürfen, .... nein! .... er tractirt auch die Künstler seiner Capelle, wie die niedrigsten Diener, so daß sie täglich die beleidigendsten Beiwörter hören müssen, und dafür, Durchlaucht, bin ich – offen gestanden – nicht gemacht.«

»Sie haben recht!« rief der Fürst unwillig – »aber thun Sie mir den Gefallen, über diese Sachen gegen andere Schweigen zu beobachten. Der ganze hohe Adel wird dadurch compromittirt!«

»Fürst Zeil ist der erste Fremde, mit dem ich darüber rede!« – sagte Mozart mit leichter Verbeugung.

»Was ich Ihnen aufrichtig danke!« – versetzte jener.

»Indessen« – fuhr Amadeus fort – »ist das Alles doch noch immer nicht der Hauptgrund, warum ich Salzburg verlassen möchte.«

»Sonderbar?«

»Ich fühle das Bedürfniß nach einem größeren Wirkungskreise.«

»Das ist bei Ihren eminenten Talenten sehr erklärlich. Und da haben Sie Ihr Auge auf München geworfen.«

»Ja .... München oder Paris

Fürst Zeil lächelte geschmeichelt; dann sagte er freundlich: – »Was ich hier für Sie thun kann, soll geschehen. Außerdem haben Sie ja schon, trotz Ihrer Jugend, einen, man kann sagen, europäischen Ruf. Ich denke, der Churfürst wird sich freuen, wenn er Sie für seine Capelle oder Oper gewinnen kann.«

»Und in der That geht München ein tüchtiger Compositeur ab.«

»Wohl wahr! – Aber sagen Sie mir doch auch, welche Schritte Sie bereits hier gethan haben. Sie wissen, Graf Seeau und Freiherr von Berchem sind die Lieblinge des Churfürsten ...... Waren Sie schon bei beiden? Und wie ging es?«

»Schon am verflossenen Freitag sprach ich bei dem Herrn Grafen Seeau vor. Excellenz waren sehr freundlich, wußten schon, was ich beabsichtigte, und so entdeckte ich mich ihm ganz.«

»Und was sagte er?«

»Ich solle schnurgerade bei Seiner Churfürstlichen Durchlaucht Audienz begehren. Sollte ich indessen nicht ankommen,[33] so würde ich am besten thun, mich bei dem heutigen Feste durch Eure Durchlaucht wie zufällig vorstellen zu lassen.«

»Und Berchem, der alte Schelm, was antwortete der?«

»Er hatte wenig Zeit für mich!« – sagte Mozart, und wieder spielte um seinen Mund jener leichte Spott, – »denn eben, als ich in seine mit königlicher Pracht und orientalischer Ueppigkeit ausgestatteten Zimmer trat, meldete der Kammerherr, daß das warme Bad bereit sei.«

»Ha, ha!« – sagte der Fürst Zeil lachend – »in welchem er sich von zarten Händen bedienen läßt. Man kennt das; da war freilich nichts zu hoffen. Und gingen Sie nicht wieder hin?«

»Doch! .... aber ....«

»Nun?«

»Eine Beamtenwittwe ließ durch ihre bildschöne sechszehnjährige Tochter eine Bittschrift um Wittwengehalt einreichen.«

»Und?«

»Ich warte mit der guten Mutter – die mir mit naiver Geschwätzigkeit ihr Schicksal mittheilte – zwei Stunden im Vorzimmer, bis das Töchterchen wiederkam. Es hatte etwas verweinte Augen und sah bleich aus, hielt aber ein Decret in der Hand, laut welchem der Mutter zwar kein Wittwengehalt aber – der Ersparung im Staatshaushalte wegen – die Stelle ihres verstorbenen Mannes selbst zugesagt war.«

Fürst Zeil schüttelte den Kopf. – »Den Wittwengehalt wird der gute Berchem besser finden, selbst zu beziehen!« – sagte er dann höhnisch. – »Aber was geht das uns an. Sagen Sie mir lieber, wie es nun Ihnen ging?«

»Ich konnte nicht mehr ankommen,« – versetzte Mozart – »der Herr Freiherr war müde und wollte schlafen.«

Es trat hier eine kleine Pause ein, die ziemlich drückend für den jungen Künstler war. Die nachdenklichen Mienen seines Gönners ließen ihn fast fürchten, daß er in der ihm eigenen Freimüthigkeit zu weit gegangen sei und somit einen Fehler gemacht habe, vor welchem ihn sein kluger und vorsichtiger Vater oft genug gewarnt. Umschweife und Winkelzüge waren indessen seinem offenen und ehrlichen Charakter so sehr zuwider, daß er im Inneren dachte: »Was liegt mir daran; ich kann nun einmal weder heucheln, noch bei Schlechtigkeiten schweigen. Wollen Sie mich Alle nicht, nun ..... die Welt ist ja noch groß!«[34]

Indessen war er diesmal wohl zu ängstlich gewesen, denn schon nach wenigen Minuten kam der Fürst mit der alten Leutseligkeit auf das bisherige Thema zurück, indem er sich nach den weiteren Besuchen Mozarts erkundigte:

»Nun!« – versetzte dieser, über die Unrichtigkeit seiner Vermuthung höchst erfreut – »ich wartete ferner dem Herrn Bischof von Chiemsee auf, der mir ebenfalls versprach, sein Möglichstes thun und namentlich mit der Frau Churfürstin sprechen zu wollen. Ebenso ging es bei Herrn von Moschitka und den Herren Grafen von Sailern und von Wiedt

»Da haben Sie allerdings Ihre Pflicht gethan!« – sagte jetzt Fürst Zeil. – »Und wenn die Herren ihr Versprechen gehalten und vorgearbeitet haben, so denke ich, daß wir heute reussiren.«

Sie nahten sich jetzt Nymphenburg, dessen prachtvolle Fontaine ihren haushohen Wasserstrahl stolz und imposant wie eine gewaltige silberne Säule in die Lüfte warf. Hundegebell und Hörnerschall ließ sich vernehmen. Zahllose Menschen aber lagerten in ehrerbietiger Entfernung von dem Schlosse, das im Innern durch die churfürstlichen Leibgarde-Hatschiere – deren Hauptmann Generalfeldmarschall-Lieutenant Graf Joseph Piosasque de Non war – und nach Außen durch die Leibgarde-Trabanten, unter dem Generalwachtmeister Seissel d'Aix, besetzt und bewacht wurde.

Die Wachen salutirten und die Equipage des Fürsten Zeil fuhr an.

»Aber wie jetzt?« – frug Mozart, als sie nun ausgestiegen.

»Das hängt ganz von Seiner königlichen Hoheit dem Prinzen von Sachsen ab!« – versetzte der Fürst. – »Nimmt dieser die Jagd an, so haben Sie den Morgen frei und können sich in unserem herrlichen Park nach Herzenslust ergehen; da für diesen Fall bis nach der Tafel an eine Vorstellung nicht zu denken ist. Dankt dagegen der Prinz für die Freuden Nimrods, so halten Sie sich hier im unteren Empfangsaale auf, damit ich zu jeder Minute nach Ihnen senden kann. Uebrigens rechnen Sie ganz auf mich!«

Und mit diesen Worten grüßte der Fürst freundlich mit der Hand und verschwand im Schlosse.

Der junge Mozart hatte nun Zeit und Muße genug,[35] dem tollen Treiben da außen zuzusehen, und da er in Hoftracht und durch den Fürsten Zeil eingeführt war, somit für einen fremden Cavalier galt, stand ihm Schloß und Park offen.

Es dauerte indessen nicht lange, so kam die Nachricht: die Jagd sei angenommen und eine Stunde später zog das wilde Heer in Saus und Braus und unter Hörnerklang und Hundegebell nach dem nahegelegenen schon erwähnten Thiergarten.

Mozart war froh. Die Vorstellung konnte ihm doch nicht entgehen und so lag nun ein schöner Tag vor ihm. Und schön sollte dieser Vormittag in der That werden; denn kaum hatte er eine der großen Alleen eingeschlagen, als ihm von einem Seitenwege her die munterste Gesellschaft von der Welt begegnete. Es waren mehrere Herren und Damen der churfürstlichen Capelle, welchen durch die Jagd ebenfalls ein freier Morgen geworden. Mozart aber kannte sie alle: Rossi, Becche, den allseitig gebildeten Consoli, den Vice-Capellmeister Johannes Krönner, der die Stellung, die er einnahm, mehr noch seiner genialen Grobheit als seinem Compositionstalente verdankte, Signora Rosina Pasquali, die schöne Schauspielerin Basse, und vor allen Dingen der erste Violinist, Wenzel Woticzka, der zugleich Kammerdiener des Churfürsten und dessen Vertrauter war.

Der Jubel war daher nicht klein, als man sich begegnete. Mozart mußte sich sofort anschließen, und als er frug, wohin es denn gehe, erklärte ihm Krönner in seiner Manier: das solle er nur abwarten. Es sei ein Geheimniß Woticzka's, der versprochen habe, sie mit einem feinen Frühstück zu regaliren.

Ein feines Frühstück, eine heitere Gesellschaft, geniale Männer und hübsche liebenswürdige Frauen, wem sollte dies nicht willkommen sein, zumal, wenn man zwanzig Jahre und .... ein Wolfgang Amadeus Mozart ist? Frohsinn trägt ja der natürliche Mensch stets als leichten Zunder bei sich: denn Frohsinn ist die natürliche Stimmung eines gesunden Körpers, Geistes und Herzens.

So nahte man sich unter Lachen und Scherzen der berühmten Badeburg, die indessen damals für Niemand als den Churfürsten zugänglich war, und in deren Nähe sich selbst nicht einmal so leicht Jemand wagte, um nicht indiscret zu erscheinen. Alle waren daher erstaunt, als Woticzka sie gerade auf dieses Gebäude hinführte; fanden aber kaum Worte,[36] als er – nachdem er sich überzeugt, daß sie nicht gesehen würden – einen Schlüssel aus der Tasche zog, die Thüre öffnete und sie sämmtlich hineinschlüpfen ließ.

Aber ihr Erstaunen sollte noch auf die angenehmste Weise gesteigert werden, denn .... es erwartete sie hier Jemand ..... Dieser Jemand war aber Niemand anderes, als ein zierlich gedeckter Tisch, wohlgarnirt mit den feinsten Speisen und einer gehörigen Batterie Champagnerflaschen.

Das war eine Lust! Krönner aber rief bei diesem wonnevollen Anblick: – »Göttlicher Woticzka! Dein Name verdient in den Sternen verewigt zu werden. O! es ist doch schön, eines großen Herrn Vertrauter zu sein; man genießt dabei auch das Vertrauen großer Keller und excellenter Küchen!«

»So ist es!« – entgegnete Woticzka lachend – »aber nun hoffe ich, werdet auch Ihr Alle Euch des Vertrauens würdig beweisen, das ich in Euch setze, und nicht nur diese Festung im Sturme erobern, sondern auch ihre Batterien zum schweigen bringen und ihre Besatzung vernichten!«

»Hast du uns je vor so etwas zurückbeben sehen?« – rief Rossi.

»Nie!« – betheuerte mit komischer Emphase der Spender des Frühstücks.

»Nun denn an's Werk!« – riefen die Anderen. Rasch ward jetzt Platz genommen, Woticzka ließ die Pfropfen fliegen, Krönner aber – das erste Glas erhebend – rief:


»Mag die Weisheit immer

Unsre Mahle weih'n –

Aber laßt uns nimmer

Zu vernünftig sein.

Zuviel Weisheit machte

Manchen kalten Tropf.

Doch kein Froher lachte

Sich um Herz und Kopf!«


Und die Gläser klangen und der Wein erquickte die freudigen Heren.

»So ist es recht!« – sagte jetzt die Pasquali – »Heiterkeit ist das eigentliche Element unseres Daseins – soll es wenigstens sein; das Maestoso17 paßt ohnehin nur wenig in das kurze Liedchen des Künstlerlebens!«

»Und kann es etwas Höheres geben, als Freude?« – rief hier Mozart. – »Der Geist der Freude führte die[37] ersten Menschen einander spielend zu, wie Kinder, und einer der erfreulichsten Züge der Menschengeschichte – deren sie eben nicht gar viele aufzuweisen hat – ist der, daß fast alle Völker aus ihrem Dunkel durch Feste in die Gesellschaft eintreten: durch Tanz, Gelage, Musik, Possen und Schauspiele.«

»Darum,« – versetzte Consoli – »gaben die Römer dem Kinde Hilaritas eine Weintraube und Ente zur Seite, und in die eine Hand ein Ruder – die Mäßigung in der Freude andeutend – in die andere eine Schale, den Dank anzuzeigen, den wir den Göttern für die Himmelsgabe der Freude schulden!«

»Donnerwetter!« – rief hier Krönner in seiner genialgroben Manier. – »Kerl, werde mir nicht zu gelehrt. Sage lieber schlicht und einfach: Ein Leben ohne Freude ist eine weite Reise ohne Gasthaus.«

»Das ist freilich für dich ein entsetzlicher Gedanke!« – entgegnete Consoli lachend. – »Viel ästhetischer würde es doch klingen, wenn du zum Beispiel sagen wolltest; Frohsinn ist der Fallschirm an dem schaukelnden und gefahrvollen Luftballons des Lebens; denn Heiterkeit giebt Zutrauen auf sich selbst, Zutrauen aber giebt Muth und Muth Glück!«

»Und was meint Woticzka dazu?« – frug jetzt Krönner.

»Was ich dazu meine?« – wiederholte der Angeredete – »ich halte Freude, Frohsinn und Heiterkeit für helle Tapeten.«

»Was!« – riefen Alle.

»Für helle Tapeten!« – wiederholte Woticzka – »mit welchen wir die oft dunklen Stübchen in Herz und Kopf auskleiden müssen, damit wir nicht im Leben zu Melancholikern werden.«

»Nun, zum Teufel!« – rief Krönner. – »Dann bist du aber ein ebenso trefflicher Tapezierer als Violinist; denn sieh nur, wie freundlich es eben in unseren Gehirn- und Herzenskammern durch deine Kunst aussieht. Alles hell! Alles licht! Und die Bouquets, die du in deine Tapeten gewoben, heißen: liebenswürdige Weiber, gesunder Witz und vortrefflicher Champagner.«

»Ja! ja!« – sagte Consoli und füllte auf's Neue die Gläser. – »Und wenn das Herz hundert Thore hätte, wie einst Theben, so laßt die Freude durch alle hundert herein!«[38]

Und damit trank er sein Glas aus, schlich sich hinter die Pasquali und gab ihr einen herzhaften Kuß.

Alle lachten; die Signora aber schrie laut auf.

»Nun, nun!« – sagte Krönner. – »Machen Sie es nur nicht wie die Postmeisterin in Passau.«

»Wie so?«

»Als ihr ein französischer Courier hitzig zurief: ›Kuß! Kuß!‹ ward sie ganz zornig und schimpfte wie ein Rohrsperling. Aber sie hätte nicht so böse zu werden brauchen und dem Manne nur Zeit lassen sollen, sich zu erklären: ›Pardon Madame, nit Kuß auf die Mund, Kuß auf die Popo!‹ .... er wünschte nämlich ein Kissen!«

Ein schallendes Gelächter entstand; die Pasquali aber schlug dem Vice-Capellmeister zur Strafe mit ihrem Fächer auf den Mund, indem sie sagte:

»Krönner! Ihr seid doch immer ein abscheulicher Mensch, – – – ebenso abscheulich wie Consoli

»Ach liebe, beste Signora!« – entgegnete jetzt der Letztere – »nur hier keine Weisheit! Wir sind an einem den Göttern der Freude und der Lust geheiligten Orte, und – offen gesagt – da gehören wir lustiges Völkchen auch hin. Bei wem, als bei uns Künstlern, hat sich denn noch die göttliche Heiterkeit und die leichte Auffassung des Lebens erhalten, die die alten Griechen so hoch stellte? Wie Steinschichten der Erde uns die Gestalten der Lebendigen einer fernen Vorwelt in den Abdrücken zeigen, welche die Spur eines kurzen Daseins ungezählte Jahrtausende hindurch aufbewahren, so haben die Alten in ihren Comödien uns einen treuen und bleibenden Abdruck ihres heiteren Lebens und Treibens hinterlassen; so deutlich und genau, daß es fast den Schein erhält, als hätten sie es in der Absicht gethan, von der schönen und edlen Existenz, deren Flüchtigkeit sie bedauerten, wenigstens ein bleibendes Abbild auf die späteste Nachwelt zu vererben.«

»Nun!« – sagte Mozart – »da sollten wir diese uns überlieferten Hüllen und Formen nur wieder mit Fleisch und Bein ausfüllen, durch Darstellung jener alten classischen Stücke auf der Bühne, so tritt jenes längst vergangene heitere und geniale Leben wieder frisch und froh vor uns hin.«

»Ja!« – rief Consoli – »wie die antiken Mosaikfußböden, wenn sie benetzt werden, wieder im Glanze ihrer alten Farben dastehen.«[39]

»Ich dächte, es wäre noch gescheidter,« – sagte Rossi – »wir führten die schönen Lebensansichten der Griechen gleich im Leben ein.«

»Ha, ha!« – meinte Krönner – »er sieht sich schon in den Armen einer Aspasia.«

»Ich sehe der Aspasien viele hier!« – rief lachend Rossi, indem er auf die Bildnisse deutete, welche die Wände schmückten. – »Es scheint also, daß die heiteren Lebensansichten der Alten noch nicht ganz verloren gegangen sind.«

»Besätzen wir nur noch ihren Kunstsinn,« – sagte Mozart – »und wäre derselbe nur, wie einst in Griechenland und Rom, unter dem Volke verbreitet. Was sollte dies gerade den Künstlern zu gute kommen.«

»Ach was, das Volk!« – rief Krönner – »das hatte von jeher kein Urtheil. Narrenspossen, Trivialitäten und Schwindeleien sind seine Sache, und wo es auf wirklich Gutes hält, da geschieht es aus Nachahmung oder auf fremde Autorität hin.«

»Es ist wahr,« – sagte Consoli – »der Mangel an Urtheilskraft im Volke zeigt sich namentlich darin, daß in jedem Jahrhundert zwar das Vortreffliche der früheren Zeit verehrt, das der eigenen aber sehr oft verkannt und die diesem gebührende Aufmerksamkeit schlechten Machwerken geschenkt wird.«

»Ja wohl!« – fiel hier Krönner ein – »mit denen sich jedes Jahrzehent herumträgt, um vom folgenden dafür ausgelacht zu werden.«

»Aber was beweist das?« – fuhr Consoli fort. – »Es beweist, daß das Volk auch die längst anerkannten Werke des Genies, welche es auf Autorität hin verehrt, weder versteht, noch wahrhaft zu genießen weiß.«

»Das ist sehr natürlich!« – sagte Mozart. – »Wie die Sonne eines Auges bedarf, um zu leuchten, und die Musik eines Ohres, um zu tönen: so ist auch der Werth aller Meisterwerke in Kunst und Wissenschaft bedingt durch den verwandten Geist, zu dem sie reden.«

»Gewiß!« – versetzte die Pasquali – »und nur er besitzt das Zauberwort, wodurch die in solche Werke gebannten Geister rege werden und sich zeigen. Der gemeine Kopf steht vor ihnen, wie vor einem verschlossenen Zauberschrank oder vor einem Instrument, das er nicht zu spielen versteht, dem er daher auch nur ungeregelte Töne zu entlocken vermag.«[40]

»Ja!« – sagte Krönner – »darum sollte man gar der Narr nicht sein, etwas für das dumme Volk zu schaffen. Thut man es, kann es einem gehen, wie einem Feuerwerker, der sein lang und mühsam vorbereitetes Erzeugniß mit Enthusiasmus abbrennt, .... und hintendrein erfährt, daß seine Zuschauer Blinde waren.«

»Wenn es nun aber lauter Feuerwerker gewesen wären?« – frug Consoli lächelnd.

»Hu!« – rief Krönner – »dann dürfte es ihm, namentlich wenn er etwas Ordentliches geleistet, gar den Hals kosten! Aber« – fuhr hier der Vice-Concertmeister fort und griff nach einer neuen Flasche Champagner – »lassen wir doch das dumme Volk und sein Urtheil, und wenn doch einmal vom ›Halsbrechen‹ die Rede ist, so helft mir lieber, dies bei den Flaschen zu thun. Der Wein ist kostbar und der Fasan hier nicht mit einem Königreiche zu bezahlen.«

»Seht nur, seht nur!« – rief jetzt die Pasquali – »wie er die Finger leckt und ihm der Mund bei der bloßen Witterung wässert. Lieber Mozart, wenn Sie einmal eine Oper schreiben, in der ein Gourmand vorkommt, ich bitte Sie – nehmen Sie Krönner zum Muster. Sehen Sie nur, wie er das Stückchen vom Fasane mit leuchtenden Augen verschlingt. O Krönner, singen Sie mir doch jetzt ihre Lieblingsarie!«

»Mn, ..... mn!« – brummte der Angeredete kopfschüttelnd; denn er hatte den Mund so voll, daß er nicht sprechen konnte.

Alle lachten, und Mozart versprach, sich die Scene merken zu wollen, die wirklich komisch war.

»Und dann!« – fuhr Signora Pasquali fort – »muß er eine Arie singen, in der nichts vorkommt, als Schildkröten, indianische Vogelnester, Bisonzungen, Bärentatzen und Biberschwänze!«

»Ja!« – rief Consoli jetzt mit leuchtenden Augen – »wißt Ihr auch, wen Krönner am meisten beneidet?«

»Nun?«

»Die Krebse, denn die bekommen jedes Jahr einen neuen Magen.«

»Das redet der Neid aus dir!« – sagte Krönner und schlürfte zwischen dem Kauen behaglich seinen Champagner.[41]

»O!« – sagte Woticzka – »beim Glase ist er noch ein größerer Feinschmecker. Als wir gestern bei unserem edlen Ferrandini ›Consiliarius et Camerae Director‹ zu Mittag speisten und ein herrlicher Rheinwein aufgesetzt wurde, roch und schmeckte er so auffallend an seinem Glase, daß der alte Herr endlich nach der Ursache frug. Was meint Ihr, was er dem Herrn Director zur Antwort gab?«

»Nun!«

»Der Wein sei köstlich ... habe aber einen Beigeschmack nach Leder und Eisen. Ich glaubte, der Schlag soll mich rühren. Consiliarius et Camerae Director lachten indessen sauer-süß und befahlen, den Wein sofort abzulassen ... als man das Faß untersuchte, lag ein Bund Schlüssel an ledernem Riemen darin!«

Allgemeine Heiterkeit folgte dieser Erzählung.

»Ach was!« – rief Krönner, ohne sich stören zu lassen. – »Ihr seid alle, wie ich, Tellerlecker, Schmecksbrätli, Maulvettern und Küchenmuhmen. Es lebe der Genuß!« und er intonirte: »Essen und tractirt zu werden, ist das größte Glück auf Erden!«

Und die Gläser klangen auf's Neue. Mozart aber, der noch ein Neuling bei solchen Dingen und namentlich im Trinken war, fing es an, gewaltig heiß zu werden. Indessen kamen die Röthe und Gluth, die sein Gesicht bedeckten, doch auch noch von etwas Anderem. Er saß nämlich neben der schönen Basse, und zwar dicht, denn das Zimmer und der Tisch waren klein.

Die Basse aber schien durch die Sprache ihrer allerliebsten Füßchen ersetzen zu wollen, was ihr sonst an Beredtsamkeit abging. Die Natur hat uns aber Alle mehr oder weniger zu Epikuräern gestempelt, und Amadeus durchrieselte es mit einer süßen Gluth, wenn die beiden Füße sich trafen und sanft an einander gelehnt blieben: hie und da folgten dann wohl auch die Ellenbogen und endlich, ganz leise ... leise ... die Kniee. Es war gut, daß man bald aufstand und in den Park zurückkehrte, wo die herrlichsten Alleen und die schönsten Bosquets die ausgelassene Gesellschaft aufnahmen. Versteht sich von selbst, daß Wolfgang seiner Tischnachbarin den Arm reichen mußte. Witz und Heiterkeit, Scherze und Neckereien verkürzten dabei die Stunden, so daß das Hallali der rückkehrenden Jagd der Gesellschaft noch viel zu frühe kam. Was[42] aber war da zu machen? Die Pflicht gebot, man mußte folgen und nach dem Schlosse zurückkehren, denn nach der Tafel hatte die Capelle zu thun. Mozart aber – noch ganz verwirrt von den schönen Stunden, die er eben verlebt – begab sich eiligst in den Empfangsaal, um jeden Winkes gewärtig zu sein, den Fürst Zeil ihm zukommen lassen werde. Allein auch hier war ihm eine Freude vorbehalten: denn er wurde von dem Marchese Malaspina erwartet, den er in Rom kennen gelernt und später in Mailand wiedergetroffen hatte. Malaspina aber – churfürstlicher Ehrenkämmerer – und jetzt in München lebend, wußte durch Fürst Zeil von dem Hiersein und dem Vorhaben des berühmten Cavaliere filarmonico, der schon vor Jahren ein Liebling, ja, der Stolz Italiens geworden. Er sprach Mozart daher unverhohlen seine Freude über das unerwartete Wiederfinden aus und erfüllte die Seele des jungen Mannes mit den freudigsten Hoffnungen. Was konnte denn, seiner Meinung nach, einem so musikverständigen Fürsten, wie Maximilian Joseph war, willkommener sein, als einen damals schon so berühmten Virtuosen und Componisten, wie Wolfgang Amadeus Mozart, seiner Capelle einzuverleiben.

Dreimal war Mozart jetzt in Italien gewesen, hatte für Mailand zwei Opern mit dem glänzendsten Erfolg geschrieben, war Ritter des goldenen Sporn, Mitglied der philharmonischen Academieen zu Bologna und Verona; hatte im Angesichte Europas die herrlichsten Gaben auf den Altären der Kunst niedergelegt, mit seinen Schöpfungen alle Zweige der Musik bereichert und in jedem derselben den berühmtesten Meistern seiner Zeit den Ruhm streitig gemacht – mußte da der Churfürst nicht stolz darauf sein, wenn er diesen Mann – dieses herrliche Genie für sich gewinnen konnte!

Indessen harrte der junge Künstler immer noch umsonst auf einen Wink seines hohen Gönners. Auch die Tafel begann, ohne daß er zur Vorstellung gelangen konnte. Die fürstlichen Personen speisten zusammen, der übrige Hof nahm an den Marschallstafeln von 280 Gedecken Platz, während die Hof-Capelle ausgezeichnet musicirte. Die Prachtentfaltung war dabei enorm, da auch das berühmte goldene Service in Function war, die Hatschiere zu Ehren des Prinzen von Sachsen, königliche Hoheit, die Wache im Innern des Saales hatten, und es von Truchsessen, dienenden Kammerherrn, Pagen und Bedienten wimmelte.[43]

Das flimmerte und blinkte in Gold und Silber und Edelsteinen, in prachtvoll gestickten Uniformen und gallonirten Livreen, daß Amadeus – der doch sehr viel derartiges gesehen – die Augen wehe thaten. Die Augen? ... hätte er das Elend, den Jammer und die Noth des Volkes gekannt, – wäre er jüngst nur eine Stunde früher an der »Kaisersmühle« gewesen .... das Herz hätte ihm hierbei brechen können.

Endlich erhoben sich die Fürsten, und der hohe Gast empfahl sich bis zur Stunde der Oper. Zugleich sah Amadeus, wie Fürst Zeil den Moment ergriff und sich dem Churfürsten näherte.

Sie sprachen lange mit einander, und da beide jetzt gerade den Saal entlang gingen, stellte sich Mozart so, daß sie an ihm vorbei mußten, und er von ihnen bemerkt werden konnte. Sein Herz schlug hoch: seine ganze Zukunft hing ja von der nächsten Minute ab. Ward er als Capell- oder Concertmeister oder auch als Compositeur am Churfürstlichen Hofe angestellt, so war ihm die Gelegenheit gegeben, das Herrlichste in allen Gebieten der Musik mit Ruhe und Muße und bei ehrenhafter Stellung leisten zu können. Seine Existenz war gesichert und ein Boden gefunden, von wo aus er seine großen Pläne, eine ächt deutsch und volksthümliche Oper zu gründen, mit Erfolg ausführen konnte.

Wie wollte er dies Glück Maximilian Joseph durch die schönsten Leistungen lohnen; – wie wollte er fleißig schaffen und wirken; – wie freute er sich schon im Geiste, mit seinem hohen Gönner und Wohlthäter den Ruhm theilen zu können, eine ganz neue Aera für die Musik heraufgeführt zu haben! Und – jetzt – jetzt trat der Churfürst heran.

»Mozart?« – frug er – »Fürstbischöflich-salzburgischer Concertmeister?«

»Zu dienen!« entgegnete der Angeredete mit freudeklopfendem Herzen. – »Eure Churfürstliche Durchlaucht erlauben, daß ich mich unterthänigst zu Füßen legen und meine Dienste antragen darf.«

Eine Pause entstand. Maximilian Joseph nahm eine Prise aus seiner goldenen Dose, dann sagte er:

»Ja, mein liebes Kind, es ist keine Vacatur vorhanden! – keine Vacatur vorhanden.«[44]

»Und sollten Churfürstliche Durchlaucht nicht eine bescheidene Stelle für einen so talentvollen jungen Mann schaffen können?« – frug hier Fürst Zeil.

»Ist jetzt noch zu früh!« – versetzte der Churfürst – »Er soll gehen, nach Italien reisen, sich berühmt machen. Ich versage ihm Nichts; aber es ist jetzt noch zu früh!«18

Und mit diesen Worten schritt Churfürstliche Durchlaucht weiter.

Mozart stand wie versteinert. Er wußte nicht, ob er wache oder träume. Sollte er recht gehört haben? »Er solle nach Italien gehen?« – nach Italien? wo er vor sechs und sieben Jahrenschon dreimal gewesen? .... dessen Liebling und Stolz er geworden?Er, den der Papst zum Ritter des Spornordens erhoben, – die Akademien von Bologna und Verona zu ihrem Mitgliede und Capellmeister gemacht? – der ....

Nein! es war unmöglich! so ganz unwissend konnte ja doch dieser musikliebende Mann über ihn nicht sein? Und doch! die Worte des Churfürsten klangen noch in seinen Ohren.

Es war die erste schmerzliche Enttäuschung, die Mozart traf. Aber das Gefühl seines inneren Werthes erhob ihn über jede Bitterkeit. Er kennt mich nicht, dachte der bescheidene junge Mann, – ich muß ihm beweisen, was ich leisten kann. Und von diesem Entschlusse durchdrungen, verließ er den Saal. Aber das Sonnengold des Tages war erblichen; – die Freude, die noch kurz vorher sein Herz so hoch bewegt, entflohen!

Ach! es ist etwas gar Schmerzliches um die ersten Täuschungen, und doch ertragen wir sie leichter, als die späteren; sind wir doch in der Jugend wie spielende Kinder auf einer reichen Blumenflur. Was liegt daran, wenn hier, wenn dort eine der herrlichen Blüthen zertreten wird, es lachen uns deren ja noch Tausende und Tausende entgegen. Aber später? später, wenn die Sonne des Lebens eine Blume nach der anderen verblühen sah und der Herbst unseres Daseins kaum noch hie und da ein Kind Flora's grüßt, dann ist es doppelt, ja dreifach schmerzlich, wenn der eiserne Fuß des Schicksals auch die letzten Blüthen vor unseren Augen niedertritt.[45]

Und wie ist es, wenn die Schatten länger werden und der Abend hereinbricht? – Ach, dann schaut des Menschen Auge so weit es reicht nur über die Eisfelder des Winters, unter deren weißer Leichendecke der große Friedhof aller seiner Hoffnungen liegt.

Quelle:
Heribert Rau: Mozart. Ein Künstlerleben. Berlin 4[o.J.], S. 26-46.
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