6.

Ein schöner Abend.

[73] Ein Monat war seit dem Feste auf dem Mühlaue-Schlößchen vergangen, und was Niemand für möglich erachtet hatte, die kleine Weber – von der bis dahin keine Seele in Mannheim etwas gewußt – war nicht nur in der Oper »Samori« aufgetreten, sie hatte auch ungemein gefallen. Es ging ihr in der That nichts ab, als die »Action,« um auf jedem Theater als Prima-Donna erscheinen zu können.37

Aber dies Auftreten auf den schlüpfrigen Brettern der Bühne hatte in Aloysia's Wesen und Charakter nichts[73] geändert. Die mädchenhafte Schüchternheit mußte sie freilich ablegen, aber die anerzogene Bescheidenheit und das ächt jungfräuliche Wesen ihrer Seele blieben. Sie hatte dabei einen starten Haltpunkt an ihrem Lehrer, dem würdigen Freunde ihres Vaters, an dem Orchester-Director Wendling, unter dessen Obhut sie sich stellte und den sie ohnedem wie ihren Vater verehrte, da sie mit dessen Tochter Gustel aufgewachsen.

Daß Aloysia Sängerin geworden, ändere daher in dem stillen glücklichen Familienleben im Weberschen Hause nichts: auch nichts an ihr selbst, die in Kleidung und Erscheinung so einfach und kindlich blieb, wie zuvor, und der die Mutter auch im Hauswesen nichts nachgab. Die Küche freilich konnte sie der Stunden, Uebungen und Proben wegen, nur an einzelnen Tagen besorgen, und hier war es Constanze, die sie – unter der Anleitung und Oberaufsicht der Mutter – ablöste.

Aber beim Reinigen der Zimmer und des Hauses, beim Kleidermachen für sich und die Uebrigen, bei abendlichem Spinnen oder Stricken – insofern sie sich nicht auf der Bühne befand – blieb es ganz beim Alten. Und das war Aloysia auch recht: denn es hätte ihr auch ein Stück vom Leben gefehlt, würde sie, der alten Gewohnheit nach, nicht mehr in das Hauswesen haben eingreifen dürfen.

Nur größer und reifer erschien sie sich und Anderen; wie denn ihre Geschwister schon deswegen einen höheren Respect vor ihr hatten, weil sie in der Welt eine Stellung einnahm. Diese Stellung brachte vor der Hand freilich nichts ein; denn schon die Aufnahme am Conservatorium und der churfürstlichen Oper mußte bei der Jugend Aloysia's als eine große Gnade des Churfürsten angesehen werden. Aber trotzdem war sie doch einmal »Sängerin« und ..... welche Zukunft lag da der Glücklichen offen!

Nur der guten, treuen Mutter bangte es manchmal vor dieser Zukunft. Nicht als ob sie der sittlichen Festigkeit ihrer Tochter mißtraut hätte! .... aber es war eben doch, wie sie meinte: »ein gar strudliches Leben da draußen auf der Bühne!« und wenn sie sich gar dachte, daß ihre Aelteste einmal an ein anderes Theater in einer anderen Stadt kommen sollte, dann ward sie recht niedergeschlagen.

In solchen Stunden trat dann Herr Weber zu ihr, und legte ihr mit seinem klaren, ruhigen Verstande dar: wie es[74] doch eine wahre Gottesfügung für sie beide mit ihrem Haus voll Kinder sei, daß die Aloysia eine herrliche Stimme und so große musikalische Anlagen habe; wie es daher auch unchristlich erscheinen müsse, wenn man die Dinge nicht dankbar hinnehme, wie sie der liebe Gott gefügt. Das Mädel habe gute Grundsätze, und wenn es an diesen halte, so fürchte er nichts.

»Hast recht, Alter!« – pflegte dann Frau Weber zu sagen, indem sie sich mit der Schürze eine Thräne aus den Augen wischte – »hast recht! ich bin eben so ein einfältiges Weib, das immer gleich das Herz voll Sorgen hat .... und .... die Aloys ..... die ist mir eben an's Herz gewachsen!«

Das waren nun freilich die anderen Kinder nicht weniger; aber gerade die Sorgen, die sie um ihre Aelteste trug, machten sie ihr jetzt doppelt werth. Ob's nicht beim Vater auch so gegangen?

Er ließ es sich wenigstens nicht merken; doch war das Ergebniß bei beiden Eltern das gleiche; ihr stilles Familienleben bekam – schon durch die Möglichkeit, Aloysia in kürzerer oder längerer Zeit verlieren zu können – einen noch höheren Werth für sie.

Und wie schön war es jetzt daheim im traulichen Stübchen, namentlich Abends, wenn da draußen ein kaltfeuchter Nebel die Straßen deckte, oder der rauhe Herbstwind an den runden Scheiben der Fenster gespenstisch klopfte und rüttelte. Dann saßen wohl die kleineren Kinder auf der Bank um den Ofen, in dem ein lustig Feuer knisterte, und verlasen Erbsen, Linsen oder Bohnen, während Johanna und Maria für sich und die Anderen warme Winterstrümpfe strickten, und die Mutter, Aloyse und Constanze – oft auch noch Wendlings Gust'l – ihre Spinnräder gar fleißig schnurren ließen. Das war so etwas für Vater Weber, der dann, in seinen Schlafrock gehüllt, die Zipfelmütze auf dem Kopfe, die lange Pfeife im Munde, so recht innerlich vergnügt im Zimmer auf und abging und dem Gesang oder Gespräch der Mädchen lauschte.

Nicht für Tonnen Goldes hätte Weber diese Stunden hergegeben; und wenn dann noch ein Freund, wie Wendling, dazu kam, so daß das Gespräch an Interesse gewann, dann war vollends Weihnachten und Vater Weber glücklich wie ein König.[75]

Auch heute Abend saß die Familie so bei einander. Der November hatte sich rauh angelassen und von dem Rhein her pfiff ein eisiger Wind, der mit Ungestüm an dem Erkerthürmchen schüttelte und rüttelte, so daß einzelne zerbrochene Schiefersteine krachend auf die Straße fielen und die alten Windfahnen sich schreiend drehten.

Ein feiner Regen schlug dabei gegen die Fenster, als klopften neckische Nachtgeister den Mädchen, die auch oft verstohlen hinblickten, wenn wieder so ein rechter Schauer anprallte.

»Das ist ein prächtiges Wetter!« – sagte jetzt Papa Weber, im Zimmer auf und ab schreitend, während er sich in seinen Schlafrock von geblümtem Zitz fester einwickelte und dichte Rauchwolken aus der langen Pfeife blies. – »Wie wohlig fühlt sich da der Mensch im warmen Stübchen und im Kreise der Seinen.«

»Gewiß!« – entgegnete die Mutter – »es kann nichts Trauteres geben. Nur kommt mir immer der Gedanke an die armen Menschen, die kein Obdach haben, oder durch Pflicht und Geschäft draußen gehalten werden.«

»Nun!« – meinte der Vater – »so ganz ohne Obdach dürften doch nur wenige sein, und wen Geschäft und Pflicht draußen hält, der ist auch gegen Wind und Wetter verwahrt und an die Strapazen des Lebens gewöhnt. Immerhin würde es mir Freude und Beruhigung sein, könnte ich in solcher Nacht irgend einem armen Menschen Obdach bieten. Aber es giebt noch andere Menschen, die mich an solchen Abenden dauern ....«

»Und die wären?«

»Die Alleinstehenden, die sich nicht, wie wir, an der Geselligkeit des Familienlebens erfreuen können.«

»Da hast du recht, Männchen!« – sagte Frau Weber – »denn über ein schönes Familienleben geht doch nichts in der Welt.«

»Und zwar,« – fuhr der Vater fort – »nicht nur in Beziehung auf Annehmlichkeit. Ein schönes Familienleben wird auch stets zur Pflanzstätte der Tugend, edler Wirksamkeit, vernünftiger Sparsamkeit und somit des höchsten und heiligsten Glückes.«

»Wer wüßte das mehr als wir Frauen zu schätzen!« – sagte die Mutter.[76]

»Und Ihr habt auch Grund genug dazu!« – meinte der Papa, vor Aloysia stehen bleibend und seine Hand liebevoll auf ihre Schulter legend. – »Merkt Euch das, Ihr Mädchen, dem Familienleben verdankt das Weib, was es ist. Was war es denn in den vorchristlichen Zeiten bei den meisten Völkern? – nichts, als eine Sclavin. Selbst bei den sonst so hochstehenden Griechen waren die Frauen von Allem ausgeschlossen, was über den engen Kreis ihres Hauswesens ging, und sogar im eigenen Hause auf die innersten Theile desselben, die Frauengemächer, beschränkt.«

»Und da durften sie auch den Vater nicht sehen?« – frug die kleine Sophie erstaunt.

»Doch! den Vater und den Gatten, aber diese allein!«

»Aber bei den Römern war es doch besser!« – meinte Aloysia.

»Nur um Weniges; und wenn unsere Vorfahren, die Germanen, eine gewisse heilige Scheu vor dem Weibe bewahrten, so blieb die Stellung des Weibes, dem Manne gegenüber, doch immer eine tief untergeordnete und gedrückte.«

»Und wie schrecklich müssen es erst die Frauen im Orient haben!« – sagte hier Constanze.

»Sie verbringen ihr Leben in geistiger und physischer Sklaverei, in schmutzigen oder goldenen Kerkern,« – fuhr der Vater fort – »wo aber Familienleben ist, da ist auch dem Weibe seine Würde gesichert; denn hier gerade hat es seinen Wirkungskreis.«

»Ja!« – meinte Aloysia – »wenn wir nur die Kraft und die Selbstständigkeit der Männer hätten. Ich fühle täglich, daß es mir durchaus nicht am guten Willen fehlt, um ganz Großes und Bedeutendes zu leisten, aber die Kraft, die Kraft mangelt!«

Vater Weber lächelte; dann trat er vor seine Aelteste, hob ihr Köpfchen in die Höhe, schaute ihr in die Augen und sagte:

»Ich dächte, meiner Aloysia fehlt es an Muth, Kraft und Zuversicht nicht.«

»Ist noch immer nicht das Rechte!« – rief diese, und ließ im Eifer ihr Spinnrad so kräftig schnurren, daß der Faden in ihren Fingern zerriß.

»Ist auch nicht nöthig!« – fiel jetzt die Mutter ein – »würde sonst, wie hier, mancher Faden im Leben zerrissen gehen. Dem Manne die Kraft, uns Frauen die Milde!«[77]

»Mir aus der Seele gesprochen!« – rief der Vater – »Wenn der am Mann hervorstechende Charakter die Kraft ist, so ward dem Weibe die Milde gegeben, an welche sich tausend andere herrliche Vorzüge knüpfen. Wenn die Kraft des Mannes den Drang zu wirken, – die Begierde nach Thaten, – das Streben nach Besitz, Ehre, Ruhm, Einfluß und Größe erzeugt, – wenn die Kraft des Mannes den Trieb nach Außen weckt, den Geist in die Ferne lenkt, .... so entkeimt der Milde des Weibes die sanftere Empfindung, die Anmuth und Schönheit, die Liebe mit den zarteren Regungen des Herzens, der stille Fleiß, das feinere Gefühl des Anstandes, die sanftere Ueberredung und jenes ganze, sowohl in freundlicher Heiterkeit, als in geheimnißvoller Ah nung webende, süße, unergründliche Wesen, das seine allgewaltige Zauberkraft auf alle ausübt, die ihm nahen.«

»Komm her, Alter!« – rief hier, Thränen der Freude im Auge, Frau Weber, – »komm her und hol' dir einen Schmatz für die so schöne als gerechte Anerkennung edler Weiblichkeit!«

Und Papa Weber that, was ihm befohlen war; – ja er that sogar noch mehr: er küßte alle seine Kinder der Reihe nach durch.

In diesem Augenblicke schellte es laut an der Hausthüre.

Alle horchten erstaunt; die Mutter aber rief: – »Ei du lieber Gott, wer mag denn das sein, der bei dem Wetter und so spät noch kommt!«

»Nun, spät ist es noch nicht,« – meinte der Vater – »es wird eben jetzt früh dunkel.«

»S'wird die Gustel sein!« – sagte Constanze.

»O nein! nein!« – erwiderte Aloysia, – »die ist viel zu furchtsam, um bei der Dunkelheit vom Kaufhaus bis hierher zu gehen.«

»Nun,« – sagte Vater Weber ruhig, – »es wird sich ja gleich zeigen, wer es ist; ich höre die alte Cathrine schon mit den Schlüsseln rasseln.«

Eine kleine Pause trat ein. Man hörte deutlich die alte Cathrine in ihren Schlappen die Treppe hinunterklappen, dann klirrte der Riegel, der Schlüssel drehte sich .... und jetzt vernahm man deutlich eine Männerstimme fragen: – »Genirt es auch nicht?«[78]

»Das ist Wendling!« – sagte der Vater. – »Aber wie kommt denn der dazu, zu fragen: ob's nicht genire; als ob er nicht zu hundertmalen noch weit später gekommen wäre?«

Aber die Antwort und der Aufschluß folgten sofort, denn deutlich hörte man nun zwei Personen die Treppe heraufkommen.

»Er ist nicht allein!« – brummte der Vater etwas ärgerlich über die Störung des schönen Abends; aber schon klopfte es auch, und auf sein: »Herein!« öffnete sich die Thüre.

Das war nun wirklich der alte Hausfreund Wendling; aber zu aller Erstaunen stand an seiner Seite ein wildfremder junger Mann, unansehnlich der äußeren Erscheinung nach, auch nicht schön gerade, aber von interessanten Zügen, hoher, nach den Seiten hervortretender Stirne, hübsch gebildetem Munde und tiefen sinnigen Augen.

Wendling aber, der sichtlich in der besten Laune war, rief heiter:

»Nicht wahr, Ihr Lieben, das heißt überraschen? Einmal bei dem miserablen Wetter – Ihr solltet nur sehen, wie unsere Mäntel und Hüte, die wir der alten Cathrine gelassen, durchnäßt sind, – dann bei Nacht und Nebel, und endlich in Begleitung eines fremden Besuchs!«

»Der für diese Unbescheidenheit sehr um Vergebung bitten muß!« – sagte mit einer höflichen Verbeugung der junge Mann, – »aber der Herr Orchester-Director –«

»Hat ihn mitgeschleift,« – fiel Wendling dem Jüngling in die Rede, – »weil er wußte, daß er der Familie Weber eine große Freude dadurch bereiten und auch dem jungen Herrn gewiß etwas Angenehmes erzeigen würde.«

»Jedenfalls sind uns die Herren herzlich willkommen!« – sagte jetzt Vater Weber, beiden auf gute deutsche Weise die Hand reichend und schüttelnd. – »Wendling weiß das von sich, und was Sie betrifft, junger Mann, so könnten Sie nicht besser in unserem kleinen stillen Kreise empfohlen sein.«

»Lieber Alter!« – rief hier der Orchester-Director mit so strahlender Miene, wie man sie gar nicht an ihm gewohnt war und klopfte dabei dem Hausherrn auf die Achsel, während er mit der andern Hand auf den jungen Mann deutete, – »der da braucht eigentlich gar keiner Empfehlung – sein Name und seine Leistungen empfehlen ihn genug.«

»Herr Director ....«[79]

»St!« – machte Wendling, während die ganze Familie in der größten Spannung auf den Jüngling sah, der in der That jetzt verlegen wurde.

»Und wen haben wir denn die Freude, zu begrüßen?« – hub jetzt die Mutter an.

Der junge Mann wollte sprechen, sein Begleiter aber hielt ihm den Mund zu:

»Nicht ein Wort!« – rief er dabei schalkhaft drohend, – »sie müssen rathen!«

Da sprang mit einemmale Aloysia wie begeistert von ihrem Stuhle auf, stieß ihr Spinnrad zurück und rief:

»Mozart! ich wette, es ist Herr Mozart

»So ist es,« – sagte Wendling lächelnd, und nun ging es an ein freudiges Begrüßen, denn dem Vater, der Mutter und den beiden älteren Töchtern war dieser damals schon in der musikalischen Welt so klangvolle Name wohl bekannt.

»Aber Mädel!« – sagte endlich Wendling zu Aloysia, – »woher hast du denn das errathen?«

Aloysia erröthete über und über; faßte sich aber schnell und meinte: es sei ihr wie eine Eingebung gekommen. Uebrigens habe man gestern schon bei der Aufführung davon gesprochen, daß der Herr Concertmeister Mozart im Theater sei.

»Und das war er auch,« – sagte Mozart, – »und hat sich recht glücklich geschätzt, Sie zu hören; denn Ihre Stimme ist von seltener Schöne und Reinheit.«

»Sie haben eine Anfängerin gehört und gesehen!« – meinte Aloysia bescheiden.

»Gesehen .... ja!« – versetzte Mozart mit der ihm eigenen Offenheit, – »aber gehört habe ich eine durchgebildete Sängerin. Ihre Schule ist ausgezeichnet, und wenn es mit der Action noch besser geht, können Sie getrost überall als Primadonna auftreten!«

Aus dem Munde eines anderen gleich jungen und der Familie gleich fremden Mannes hätte dies Urtheil unzweifelhaft etwas anmaßend geklungen und die Familie vielleicht zurückgestoßen; aber schon der Ton, mit welchem es ausgesprochen wurde, voll derselben herzlichen Offenheit und Geradheit, die sich in den Zügen des jungen Mannes widerspiegelte, ließ ein Verkennen der guten Absicht nicht zu. Außerdem ruht in genialen Männern immer ein geheimes Etwas, das auf andere gewöhnlichere Menschen dominirend einwirkt. Ihre Seelen[80] fühlen instinktiv die Nähe eines mächtigeren Geistes und beugen sich ihm willig, schon ehe dies naturgemäße Sichunterordnen ihnen zum Bewußtsein wird.

So war es auch hier, während das wirklich liebenswürdige Wesen des jungen Mannes ausgleichend und gemüthlich anziehend wirkte. Dazu kam, daß die gegenseitigen Naturen wie für einander geschaffen schienen: Offenheit zu Offenheit, Geradheit zu Geradheit, heiterer Sinn zu gleicher Unbefangenheit und Wohlwollen zu Wohlwollen.

Da war es denn freilich kein Wunder, daß Mozart schon nach einer halben Stunde rein vergessen hatte, wo er war; – »zu Hause,« so fühlte er sich wenigstens, während ihn die Weberschen behandelten, als sei er mit ihnen auferzogen und ein Glied der Familie. Auf Wendlings Mahnung hatte Amadeus einige von ihm componirte Arien mitgebracht, die wurden jetzt von Aloysia gesungen und von ihm begleitet.

Das war eine Pracht! .... Vater Weber blies vor Entzücken Rauchwolken aus seiner Pfeife, als wolle er den ganzen Olymp mit Wolken versehen; – der Orchester-Director strahlte vor Seligkeit wie ein Verzückter; – Mama hatte Thränen der Freude im Auge und die Kinder saßen wie in der Kirche!

Als aber nun vollends Aloysia die Arie mit den entsetzlich schweren Passagen, die Mozart seiner Zeit in Italien für die berühmte De Amicis geschrieben, mit einer überraschenden Vortrefflichkeit vorgetragen, da war auch Amadeus vor Entzücken und Bewunderung außer sich. Alles vergessend sprang er vom Instrumente auf, erfaßte des Mädchens beide Hände und indem er rief: »Wundervoll, dafür muß ich dem Mädel ein Schmatzerl geben!« – küßte er sie ohne Umstände.

Alles lachte laut auf; der kleine Hermann aber klatschte wie toll in die Hände und rief, sich wie ein Kreisel drehend:

»Jetzt kriegt die Aloys einen Bart! sie hat sich küssen lassen!«

Aloysia selbst war blutroth geworden und so erschrocken, daß sie sich zur Mutter flüchtete; der Vater aber – der sonst in solchen Dingen keinen Spaß verstand – erkannte recht gut die Harmlosigkeit, die in der Sache lag und rief lachend: »Einen Kuß in Ehren, kann Niemand wehren!«[81]

Um dem Dinge indessen rasch eine andere Wendung zu geben, und ihre Aelteste aus der Verlegenheit zu reißen, befahl die kluge Mutter jetzt, an das Abendbrod zu denken; und wie der Blitz waren Aloysia und Constanze verschwunden, erstere um den Tisch zu decken, letztere um die Küche – so gut es in der Eile gehen wollte – zu besorgen.

Die Männer sprachen unterdessen über Musik, und so kam man auch auf einen damals in Mannheim sehr angesehenen und später in der musikalischen Welt sehr berühmten und viel berüchtigten Mann, den Abt Vogler.

Weber lobte ihn, der Orchester-Director aber blieb bei seiner alten Behauptung: Abt Vogler sei ein musikalischer Charlatan. Endlich sollte Mozart aus einer vorliegenden Thatsache entscheiden. Wendling sagte nämlich, indem er einen großen Anschlagzettel aus seiner Tasche zog:

Herr Conzertmeister Mozart, was ist der Musiker und Componist, der mit großen Buchstaben in dem Programm für sein Concert seine neuesten Tonschöpfungen also ankündigt:

»Ein Seegefecht. – Der Fall der Mauern von Jericho. – Das Ausstampfen des Reises in Afrika.38«

Hier unterbrach Mozarts heiteres Gelächter die Vorlesung.

»Was das für ein Mann ist?« – wiederholte er dann; – »Ihr lieben, guten Herren: so was kann nur ein Narr oder Charlatan thun!«

»Hab' ich's nicht gesagt!« – versetzte Wendling triumphirend; – »wenn mir einer, wie Abt Vogler, sagte, er mache in drei Wochen einen Compositeur und in sechs Monaten einen Sänger! so erkläre ich ihn für den größten Schwindler und Windbeutel der Welt.«

»Nun,« – sagte Wolfgang ruhiger, – »ich bin begierig, ihn kennen zu lernen und seine Musik zu hören. Ohne eigene Prüfung urtheile ich nicht gern. Es giebt auch Menschen, die ihre Originalität bis zur Bizarrerie treiben.«

»Und unter Bizarrerie und Paradoxen den Charlatanismus verbergen!« meinte Wendling.

»Wie alt ist er denn?« frug jetzt Mozart.

»Achtundzwanzig Jahre.«

»Und seine Geschichte?«

»Er kam seiner Zeit miserabel und ohne einen Kreuzer nach Mannheim, producirte sich auf dem Clavier und machte[82] ein Ballet. Man hatte Mitleiden und der Churfürst schickte ihn nach Italien. Als Vogler zurückkam, wurde er geistlich und durch geheimen Einfluß sogleich Hofcaplan. Er producirte hierauf ein Miserere, welches nicht zu hören war, da Alles falsch ging und an dem man daher auch, wie ganz natürlich, nicht viel loben konnte. Das verdroß ihn, er ging zum Churfürsten und beklagte sich, daß das Orchester ihm zum Trotz schlecht spiele; mit einem Wort: er wußte es so gut herum zu drehen – spielte auch so kleine ihm nutzbare Schlechtigkeiten und Intriguen mit Weibern – daß er Vice-Capellmeister wurde. Jetzt glaubt er, es gebe nichts Besseres und Vollkommeneres als ihn.«39

»Werden Sie ihn besuchen?« – frug hier Weber.

»Nein!« – sagte der junge Mann entschieden. – »Wenn es sich so verhält, wie der Herr Orchester-Director sagt, nicht! So willig und freudig ich mich vor wahrem Verdienste beuge, so wenig ist es mir gegeben, vor Männern der Art zu kriechen.«

»Das ist brav!« – rief Wendling und drückte Mozart die Hand.

Jetzt aber kam auch die Mutter wieder heran und rief die Herren zu Tische: »Was Gott heute bescheert hat!« – sagte sie dabei zu dem fremden Besuche – »bei uns geht es halt bürgerlich und einfach her.«

»Wie bei uns zu Hause, Frau Registrator!« – versetzte Mozart.

Und einfach war das Abendbrod in der That: Kartoffeln in der Schale und Milch für die Kinder – die großen Mädchen eingerechnet; für die Männer noch eine Platte Schinken und einige Flaschen Oberländer Wein.

Aber das schmälerte die Heiterkeit nicht. Mozart namentlich war sehr lustig, und unterhielt die ganze Gesellschaft durch witzige Erzählungen und besonders auch durch seine Fertigkeit, in drolligen Versen zu sprechen. Nach dem Abendbrod phantasirte er noch längere Zeit zu aller Entzücken auf dem Clavichord und als man sich erst spät trennte, gestanden sich Alle: lange keinen so vergnügten Abend verlebt zu haben.

Warum aber saß Aloysia noch so lange ohne sich auszukleiden an dem Fenster ihrer Mansardenkammer und schaute[83] durch die kleinen runden Scheiben in die dunkle regnerische Nacht hinaus? .... Sie wußte es wohl selbst nicht. Es war ihr so eigenthümlich zu Muthe. Froh, ja fast selig ... und doch wieder so eng, daß sie Herzklopfen bekam.

»Aber warum kommst Du denn nicht zu Bett?« – frug nun schon zum drittenmale und halb im Schlafe Constanze, die mit Aloysia das Lager theilte.

»Weil ich noch so aufgeregt bin!« – antwortete die Gefragte ... und die Schwester drehte sich herum und schlief sanft ein.

Quelle:
Heribert Rau: Mozart. Ein Künstlerleben. Berlin 4[o.J.], S. 73-84.
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