17.

Idomeneus.

[178] Unser ganzes Leben hindurch haben wir immer nur die Gegenwart inne. Was dieselbe unterscheidet ist blos, daß wir im Anfange eine lange Zukunft vor uns, gegen das Ende aber eine lange Vergangenheit hinter uns sehen; sodann, daß Temperament und Charakter oft mit der Zeit Veränderungen erleiden, die uns das, was wir jedesmal die Gegenwart nennen, in verschiedenen Färbungen erscheinen lassen.

In der Kindheit verhalten wir uns mehr erkennend, als wollend. Aber gerade hierauf beruht ja jene Glückseligkeit des ersten Viertels unseres Lebens, in Folge welcher es nachher wie ein verlorenes Paradies hinter uns liegt.

Woher kommt dies? – Wir haben in der Kindheit nur wenige Beziehungen und geringe Bedürfnisse, also naturgemäß auch wenig Anregung des Willens: der größere Theil unseres Wesens geht demnach im allmäligen kindlichen »Erkennen« auf. Der Verstand ist, wie das Gehirn, welches schon im siebenten Jahre seine volle Größe erreicht, früh entwickelt, wenn auch nicht reif, und sucht unaufhörlich Nahrung, in einer ganzen Welt des noch neuen Daseins, wo Alles, Alles, mit dem Reize der Neuheit übergossen ist.

Hierin liegt denn auch der Grund, daß unsere Kinderjahre eine fortwährende Poesie sind.[178]

Dabei steht zugleich das Leben in seiner ganzen Bedeutsamkeit noch so neu, so frisch, so farbig und duftig und so ohne alle Abstumpfung seiner Eindrücke durch Wiederholung vor uns; daß wir, mitten unter unserem kindischen Treiben, stets im Stillen und ohne deutliche Absicht beschäftigt sind, an den einzelnen Scenen und Vorgängen, das Wesen des Lebens selbst, die Grundtypen seiner Gestalten und Darstellungen, aufzufassen.

Daher werden denn auch die Erfahrungen und Bekanntschaften der Kindheit und frühen Jugend nachmals die stehenden Typen und Rubriken aller späteren Erkenntniß und Erfahrung, gleichsam die Kategorien derselben, welchen wir alles Spätere unterordnen, wenn auch nicht stets mit deutlichem Bewußtsein.

So bildet sich schon in den Kinderjahren die erste Grundlage unserer zukünftigen Weltansicht, die dann später durch das Leben selbst ausgeführt und vollendet wird. Also in Folge dieser rein objektiven und da durch poetischen Ansicht, die dem Kindesalter wesentlich ist und davon unterstützt wird, daß der Wille noch lange nicht mit seiner vollen Energie auftritt, verhalten wir uns, als Kinder, bei Weitem mehr rein erkennend als wollend. Daher der ernste, schauende Blick mancher Kinder, welchen Raphael zu seinen Engeln – zumal denen der Sixtinischen Madonna – so glücklich benutzt hat. Durch dieses heitere und kindliche Schauen hält nun aber der jugendliche Geist alle jene Gestalten, welche Wirklichkeit und Kunst ihm vorführen, für eben so viele glückliche Wesen: er meint, so schön sie zu sehen sind, und noch viel schöner, wären sie zu »sein.« Demnach liegt die Welt vor ihm, wie ein Eden: und dies ist das Arkadien, in welchem wir Alle geboren sind.

Aber welche herrliche Natureinrichtung ist dies! Entsteht daraus nicht der Durst nach dem wirklichen Leben? Der Drang nach Thaten, nach hervorragenden großen und kühnen Werken? In diesem aber lernen wir dann die andere Seite der Dinge kennen, die des »Seins,« d.h. des »Wollens,« welches indeß leider bei jedem Schritte durchkreuzt wird. Und nun ..... nun .... kommt allmälig die Zeit der Täuschungen heran, nach deren Eintritt es heißtl'age des illusions est passé: und doch geht diese Zeit der Täuschungen und Enttäuschungen immer weiter und wird immer vollständiger.[179]

Ach! das ganze Leben ist wie eine große Theaterdecoration! In der Kindheit sehen wir sie bei poetischer Beleuchtung von Weitem und klatschen selig über ihre Schönheit in die Hände; – reif an Geist, stehen wir in der Sonnenhelle des Tags ihr ganz nahe, und .... erschrecken vor der Derbheit solcher Malerei!

Aber warum denn diese ewigen Täuschungen im Leben? Woher denn entstehen sie? Die reifere Jugend, das Jünglingsalter, bringt das Jagen nach Glück mit, in der festen Voraussetzung, es müsse im Leben anzutreffen sein. Daraus aber entspringt die fortwährend getäuschte Hoffnung und aus dieser die Unzufriedenheit. Gaukelnde Bilder eines geträumten, unbestimmten Glücks schweben, unter kapriziös gewählten Gestalten, uns vor, und wir suchen vergebens ihr Urbild. Dazu kommt noch, daß uns meistens das Leben früher durch die Dichtung, als durch die Wirklichkeit bekannt wird. Die von der Poesie geschilderten Scenen aber prangen dann – im Morgenrothe unserer eigenen Jugend – vor unserem Blick, und nun peinigt uns die Sehnsucht, sie verwirklicht zu sehen, .... den herrlich schimmernden, buntfarbigen Regenbogen zu fassen! So entstehen die Täuschungen, die allmälig unsere Stirne furchen, unser Haar bleichen, und .... selbst unser Herz zu brechen vermögen.

Ist daher der Charakter der ersten Lebenshälfte unbefriedigte Sehnsucht nach Glück, so ist der der zweiten: Besorgniß vor Unglück. Denn mit ihr ist, mehr oder weniger deutlich, die Erkenntniß eingetreten, daß alles Glück chimärisch, hingegen das Leiden real sei. Jetzt wird daher, wenigstens von den meisten Menschen, mehr bloße Schmerzlosigkeit und ein unangefochtener Zustand, als offenbares Glück erstrebt.

Wenn es, in unseren Jugendjahren, an unserer Thüre schellte oder klopfte, wurden wir vergnügt, denn wir dachten: nun käme die Freude, das Glück! Und in späteren Jahren? Da hatten unsere Empfindungen, bei demselben Anlasse, etwas dem Schrecken Verwandtes: wir riefen: »da kommt's!« .... aber wir meinten nicht mehr das Glück und die Freude, sondern das Unangenehme und das Unglück!

Freilich krönt dagegen den, durch die Erfahrungen des Lebens gereiften Mann zunächst Unbefangenheit. Er sieht die Dinge einfach, wie sie sind. Ihm ist das Leben wie ein gold- und farbenreich gestickter Stoff, von welchem er in der[180] Jugend die rechte Seite mit ihren Blumen und Arabesken sah; – jetzt, als Mann, hat er die Kehrseite in der Hand; sie ist nicht so schön, aber lehrreicher; weil sie den Zusammenhang der Fäden erkennen läßt.

So gehen wir bergauf und sehen den Tod nicht, weil er am Fuße der andern Seite des Berges liegt. Haben wir aber den Gipfel überschritten, dann werden wir den Tod, welchen wir bis dahin nur von Hörensagen kannten, wirklich ansichtig; wodurch – da zu derselben Zeit die Lebenskraft zu ebben beginnt – auch der Lebensmuth sinkt; so daß jetzt trüber Ernst den jugendlichen Uebermuth verdrängt und seinen Stempel Gestalt und Zügen aufdrückt. So ist es gegen das Ende des Lebens, wie gegen das Ende eines Maskenballs, wenn die Larven abgenommen werden: man wird müde, und sieht jetzt erst, wer Diejenigen waren, mit denen man während des Lebens in Berührung kam. Denn die Charaktere haben sich an den Tag gelegt, die Thaten haben ihre Frucht getragen, die Leistungen ihre Würdigung erhalten, und – alle Trugbilder sind zerfallen!62

Das ist das Bild unseres Lebens. Aber es giebt Ausnahmen: – große, gewaltige oder merkwürdige Erscheinungen, die ihr ureigenthümliches Wesen einen eigenen Weg führt. Eine solche Erscheinung aber war Wolfgang Amadeus Mozart. Kindheit und Jugend waren einerseits dem hier gegebenen Bilde des Lebens treu, und doch war das Originelle an der Jugenderscheinung Mozarts: daß das Kind, bei aller Kindlichkeit, wenigstens in musikalischer Beziehung, schon reif wie ein Mann war. Aber das doppelt Merkwürdige an dieser in ihrer Art ganz eigenen Erscheinung ist, daß sich die Sache in der zweiten Hälfte seines Lebens gerade umkehrte; d.h.: Mozart behielt als Mann die liebenswürdigste Kindlichkeit bei; .... ja er blieb in gar mancher Beziehung ein Kind durch sein ganzes Leben hindurch.

Der kleine sechsjährige Wolfgang spielt, was man ihm vorlegt, und weiß bereits, was man ihm erklären will. Dann sehen wir den Jüngling fast zwanzig Jahre unaufhörlich umherirren, die Länder besuchend, in denen es etwas gab, was er sich aneignen konnte; wobei er sich durch die Praxis mit dem musikalischen Genius der Nationen, welche sich nach[181] Geschmack und System von einander unterschieden, vertraut machte. Wie er sich hier in allen Stylen versucht! alle Weisen sich zu eigen macht! Er ist Italiener in Mailand, Franzose in Paris, Deutscher in Deutschland, Engländer in London, Melodist für das Publikum, Fugist vor dem Tribunale des Pater Martini, ... überall aber der große, geniale Virtuose und Componist!

Das war Mozart als Musiker bis in sein 25. Jahr. Was aber finden wir von nun an; – von der Zeit an, in der er von der elterlichen Autorität emancipirt, selbstständig dasteht; was finden wir, wenn wir da Mozarts Charakter studiren? .... Nach wie vor, den großen, genialen Musiker .... aber .... einen ganz neuen Menschen!

Wir finden diesen Charakter der Art, – sagt Oulibicheff – als wenn er aus einer Reihe psychologischer, aus den fabelhaften Arbeiten des Musikers gezogenen Folgerungen hervorgegangen wäre: eine ebenso fabelhafte Individualität, die Gabe einer reichen Phantasie, die ihm nach Belieben zu Gebot steht, vermittelst welcher er den Schlüssel zu einem Räthsel zu geben im Stande war, das sonst keinen gehabt hätte. Leicht entzündbare Sinne und ein philosophischer Geist; – ein von Zärtlichkeit überfließendes Herz und eine reizende Unbeständigkeit; – auf einer Seite Hang zum Vergnügen, eine Mannichfaltigkeit von Neigungen, die ein sanguinisches Temperament charakterisiren; auf der anderen Seite dagegen die hartnäckigste Beharrlichkeit in der Arbeit, die größte Tyrannei seiner musikalischen Leidenschaft, die bis zu einer Tod bringenden Uebertreibung geistiger Arbeit führt. Den Tag über vom Strudel sich hinreißen lassend, in dem er lebt: liebliche Mädchen und Frauen als leichter naschhafter Schmetterling umgaukelnd; und die Nacht bei dem Scheine einer Lampe hinbringend, welche der Dämon der Inspiration bis zum Anbruche der Morgenröthe angezündet hält; – abwechselnd überspannt und genial ausschweifend, hypochondrisch und drollig, fromm und dann wieder bis zur Ausgelassenheit lustig; – dabei gut, herzlich, liebenswürdig wie ein Kind, aber auch wie ein solches sorglos und unpraktisch für das Leben; daher eine ungemeine Gleichgültigkeit gegen Geld und Geldeswerth, – eine unaussprechliche Verachtung gegen alle Weltklugheit, oder vielmehr eine vollendete Unkenntniß ihrer Maximen; – eine rücksichtslose Freimüthigkeit, weil sie, wie bei Kindern, kein[182] Interesse kennt, irgend etwas zu verbergen; eine blinde Freigebigkeit und doch auch wieder nicht ein Funke irgend einer bösen Leidenschaft. So ohngefähr war Mozart, der unerklärbare Mensch, von seinem fünfundzwanzigsten Jahre an: denn erst von dieser Zeit an – nachdem die Bevormundung des alt gewordenen Vaters, die Leitung der Mutter und der Einfluß der ersten Liebe aufgehört – tritt sein Charakter, sich reich und voll entfaltend, mit seiner ganzen Ureigenthümlichkeit an das Licht.

Nachdem nämlich Amadeus – der Liebe Aloysia Webers entsagend, aber mit um so süßeren Fesseln an ihre Schwester Constanze geknüpft – München verlassen und seine Stelle als Hof- und Dom-Organist in Salzburg angetreten hatte, brachte er zwei Jahre unausgesetzt hier zu.

In dieser Epoche aber vollendete sich der große Umschwung als Mensch und Musiker in ihm; – jener große Umschwung, der, namentlich in künstlerischer Beziehung nach und nach die Ideen Mozarts von der alten Routine und dem Zusatze des Geschmackes der damaligen Zeit reinigte und ihn durch eine allmälige Läuterung zu jenen originellen, ebenso melodiereichen, als gründlichen Formen führte, die für immer der Typus des Schönen in der Musik sein werden. Die durch so viele schöne Blüthen angekündigte Frucht fiel endlich, in voller Reife prangend und durch ihren Duft berauschend, herab.

Mit dieser Zeit beginnt die classische Periode Mozarts, und zugleich die wichtigste und ohne Zweifel die letzte der großen Revolution in der Musik, im Sinne des richtig verstandenen Fortschrittes; man müßte denn außer der Melodie, der Harmonie, der Declamation und des Rhythmus, noch einmal ein neues Element in der Kunst entdecken, von dessen Existenz wir noch gar keine Ahnung haben.63

Aber wo und unter welchen für Mozart herrlichen und entzückenden Verhältnissen sollte sich auch dieser große Umschwung zuerst bekunden?!

Armselige Chikane gemeiner Seelen haben schon oft – nur zu oft – das Lebensglück edler und großer Männer untergraben; manchmal aber auch zerplatzen sie von einem Hauch der Luft, wie die Seifenblasen, die ein böser Junge dir in das Gesicht bläst!

[183] Abt Vogler konnte durch seine Intriguen und Charlatanerien den hoffnungsvollen jungen Mozart vom churpfälzischen Hofe in Mannheim vertreiben; aber er vermochte es nicht zu verhindern, daß Karl Theodor, jetzt Churfürst von Bayern, Wolfgang Amadeus ein wohlwollendes Andenken erhielt.

Karl Theodor war ja – abgerechnet seiner Schwächen in ehelicher Beziehung – immer noch einer der besten Fürsten der damaligen Zeit. Er hielt viel auf Künstler und Gelehrte, die in ihm oft einen freigebigen Mäcen fanden, beförderte Ackerbau und Industrie und suchte Recht und Billigkeit aufrecht zu erhalten. Am meisten aber that er für Musik. So war unter seiner Regierung das Orchester in München das beste in Europa, dem sich eine Gesellschaft ausgezeichneter Sänger und Sängerinnen anschloß. Zu den ersteren gehörten der Castrate Del Patro und der Sänger Raff, zu den letzteren Aloysia Weber und die Schwestern Dorothea und Lisette Wendling.

Der Churfürst gedachte nun in der That gar manchmal des jungen Maestro Mozart, und Cannabich, der jetzt Capellmeister in München geworden, wußte dies Andenken frisch zu erhalten und den Wunsch seines Fürsten: durch Mozart eine Oper für die Münchener Bühne componiren zu lassen, stets neu anzustacheln. Endlich gedieh dieser Wunsch zum Entschluß, und Wolfgang erhielt den ehrenvollen Auftrag: für den Münchener Carneval 1781 eine Opera seria zu schreiben.

Wer war entzückter, als Amadeus! .... Konnte ihm denn etwas Angenehmeres widerfahren? Seit drei Jahren ging er ja schon mit dem Gedanken um, eine solche Tonschöpfung in's Leben zu rufen, und nun sollte dies für das beste Theater Europa's geschehen! und wo? .... in München! wo die ihm von Mannheim aus so lieb gewordenen Familien Weber, Cannabich und Wendling wohnten .... in München, wo seine geliebte Constanze lebte.

Aber auch diese Wonne sollte ihm Anfangs in Frage gestellt und verbittert werden. Seine hochfürstliche Gnaden, der Herr Fürstbischof von Salzburg, waren nur sehr schwer dahin zu bewegen, seinen Hof- und Domorganisten die Erlaubniß zu geben, den churfürstlichen Antrag anzunehmen[184] und behufs der Composition einer Oper nach München zu gehen. Mit vieler Mühe erhielt Mozart einen Urlaub vonsechs Wochen.

Aber welche Seligkeit nun in München! Welcher herzliche Empfang bei den Freunden! Welch' Entzücken, Constanze wiederzusehen, zumal das Geheimniß, das über ihrem Verhältnisse schwebte, demselben einen ganz eigenen poetischen Reiz gab. Und nun denke man sich dabei einen Musiker, wie Mo zart, glühend im inneren Schöpfungsdrange, voll der großartigsten Ideen, ganz und gar von seiner Aufgabe erfüllt, von Liebe getragen und ..... von einem herrlichen Stoffe begeistert.

Diesen Stoff der neuen Oper hatte der Abbate Varesco geliefert; er war der griechischen Geschichte entnommen und trug den Titel: »Idomeneo re di Creto, osia Ilia e Idamante,« – zu deutsch: »Idomeneo, König von Creta, oder Ilia und Idamante.«

Mozart verschlang ihn mit Heißhunger. Sein Inhalt war folgender: Arbaces, der Vertraute von Idomeneo, König von Creta, hat die falsche Nachricht von dem Tode des abwesenden, auf den Oceanen umherirrenden Herrschers gebracht. Schmerzlich berührt von dieser Trauerkunde besteigt sein Sohn Idamante den Thron; aber er soll nun auch Hand und Herz vergeben, und zwar an Elektra, Agamemnons Tochter, die ihm zur Braut bestimmt ist, die aber in glühender Eifersucht Ilia, die Tochter des Königs Priamus, verfolgt, welche als Gefangene nach Creta geführt, von Idamante geliebt wird. Idamante aber, jetzt selbstständiger Herrscher, folgt dem Zuge seines Herzens und entscheidet sich für seine geliebte Ilia. Während nun die leidenschaftliche Elektra in Wuth und Verzweiflung ausbricht, die Stürme rasen und die Donner rollen, findet – von den Göttern erhört – Idomeneo die Ufer seines Reiches wieder. Aber, o furchtbares Geschick! Er hat Neptun gelobt, wenn er ihn glücklich heimführe, den Ersten, den er am Ufer begegne, ihm zu opfern, und .... dieser Erste .... ist sein Sohn.

Welch' großartige Motive bot schon dieser erste Act! Aber der Knoten schlingt sich noch fester.

Wie Agamemnon, behält Idomeneo sein unseliges Geheimniß für sich; und wie dieser möchte er das Opfer ersparen, gegen das sich sein Vaterherz empört. Darum soll [185] Idamante mit Elektra sich verbinden und nach dem griechischen Festlande entfliehen. Aber die Götter lassen sich nickt Hohn sprechen. Das gebrochene Gelübde zu rächen, sendet Neptun ein Ungeheuer, das, die Wogen des Meeres zu Schaum peitschend, Fluch und Verderben über Creta bringt. Es naht auf bergeshohen Wellen, Blitze zischen und der Donner, als Rächer des Meineides, rollt drohend, die Erde erschütternd, über Idomeneo's und der Seinen Häupter. Betäubt und entsetzt flieht das Volk.

Da führt der dritte Act den Oberpriester des Neptun zu dem Könige. Er entwirft Idomeneo ein Bild des Jammers, der das Volk zerreißt und zur Verzweiflung bringt, indem das von Neptun gesandte Ungeheuer die Gegend mit seinem Hauche verpeste und Tod und Verderben überall hinbringe. Da erwacht das Gewissen des Königs und sein Gelübde bekennend, beschließt er des theuren Sohnes Tod.

Aber siehe! ein Schrei des Jubels erfüllt die Lüfte! Idamante, tief bewegt von des Volkes Jammer, hat das Ungeheuer aufgesucht und Creta durch seinen Heldenarm von ihm befreit. Dennoch stellt er sich im Tempel des Neptun zum Opfer bereit, während Ilia, seine Knie umschlingend, mit ihm zu sterben bereit ist.

Da löst das unsichtbare Orakel des Gottes der Meere den Knoten.

Idomeneo ist des Thrones verlustig. Idamante besteigt ihn an der Hand seiner geliebten Ilia, und während Elektra in Eifersucht und Wuth ihre Flüche über Creta sendet, segnet der schwer geprüfte Vater Reich und Kinder; das Volk aber ruft Amor und Hymen zur Beglückung des jungen Königspaares an.

Mozart erbebte bei dem Studium dieses Librettos bis in sein Inneres. Wie mit den Flügelschlägen der Begeisterung kam es über ihn. Betäubt, von kalten Schauern überrieselt, stand er da. Ueber seinem Haupte rollte der Donner, zuckten die Blitze, aus den himmelhoch aufschäumenden Wogen des Meeres ertönte die Stimme des Gottes, die die Erde beben macht und die Herzen vor Schreck und Entsetzen versteinert. Und mit dem Heulen des Sturmes und dem Brausen des Meeres tobte die Wuth der Eifersucht um die Wette, bis Liebe und Versöhnung wie die strahlende Sonne über Allen aufgeht und die Dissonanzen eines großen tragischen Geschickes, in reine, süße Accorde auflöst.[186]

Jetzt sah, jetzt hörte Mozart nichts mehr als seine Oper. Er hatte in Paris die Opern Glucks, und namentlich dessen »Iphigenia in Aulis« mit Entzücken gehört. Die gleiche ruhmvolle Bahn zu durchlaufen, war nun sein Entschluß; und gab sein Idomeneo nicht ein herrliches Pendant zu Glucks »Iphigenia?«

Auch hier großartige Erinnerungen an Troja; – auch hier ein Vater, der gezwungen ist, das Opferbeil über dem Haupte seines Kindes zu schwingen; – auch hier Thränen der Ilia, liebend und aufopfernd wie Iphigenie! Und Elektra's Wuth, das lebende Bild ihrer Mutter Klytemnestra; und um diese höchst tragischen Gestalten gruppirt sich eine durch den Zorn der Götter decimirte Bevölkerung, ein von einem furchtbaren Ungeheuer heimgesuchtes Königreich, Jupiter mit seinem Donner und Neptun mit den Vernichtung drohenden Wogen des Meeres. Welch' eine Aufgabe für den jungen Athleten, den es seit Jahren zu solch' einer großartigen Schöpfung drängt, und der sich endlich, in einem riesigen Wettstreite, mit dem großen Meister Gluck, dem berühmten Gründer der lyrischen Tragödie, messen darf!64

Amadeus arbeitete Tag und Nacht. Selbst seine hochgestellten Beschützer in München: die Gräfin Baumgarten, Graf Sensheim und Baron Lehrbach sahen ihn wenig. Nur in dem Weberschen Hause suchte er, wenn er geistig und körperlich ermattet war, Erholung, und in dem still bescheidenen Umgange mit Constanzen neue Begeisterung für seine Arbeiten. Aloysia, um jene Zeit etwas leidend, kam selten zum Vorschein, und da sie, ihres Unwohlseins wegen, auch auf der Bühne bis zu ihrer Herstellung dispensirt war, so sangen Dorothea und Lisette Wendling die Ilia und Elektra. Ihre begeisterte Aufnahme der einzelnen für sie componirten Arien erfrischte und ermuthigte dabei Wolfgang sehr, und selig schreibt er an seinen Vater: »Dorothea Wendling ist mit ihrer Scene Arci: contentissima, sie hat sie dreimal nach einander hören wollen.«

So baute sich rasch die Composition der beiden ersten Acte der Oper auf. Wolfgangs Blicke leuchteten immer kühner, immer seliger; aber selbst seine kühnsten Hoffnungen[187] wurden von dem Enthusiasmus übertroffen, mit welchem die Musiker und Kunstkenner Münchens die Proben dieser beiden Acte aufnahmen.

Mozart schwamm in einem Meere von Glückseligkeit, die sich auch in allen seinen Briefen an den geliebten Vater ausdrückte. Die Schmeicheleien der Großen, die Huldigungen der Standesgenossen, die berauschenden Regungen des Genius, der sich in seinem ersten Werte erkennt, das untrügliche Vorgefühl eines unsterblichen Ruhmes, und zu all' diesem noch die Liebe, die erwiederte Liebe, die glückliche Liebe; war das nicht in der That Alles, was die menschliche Seele von Seligkeiten auf einmal zu ertragen und zu kosten vermag? Und mußte ein so glänzender Erfolg, wie einer in Aussicht stand, nicht seinen sehnlichsten Wunsch: endlich eine ehrenvolle und hinreichende Anstellung in München zu finden, um mit seiner Liebe hervortreten und Constanze ehelichen zu können, die Erfüllung sichern?

Was lag ihm an dem Zweifel seiner Freunde: ob es ihm möglich sein werde, die Schönheiten seiner Composition im dritten Acte noch zu steigern, daß das Ende das Werk würdig kröne! Er wußte, er fühlte, daß er sich im dritten Acte noch überbieten werde, und strahlend in goldnen Buchstaben standen vor seiner Seele die Worte: »Finis coronat opus!« .... Und .... »Finis coronat opus!« – rief Amadeus aus, als er eines Morgens nach durchwachter Nacht und bei niedergebranntem Lichte, die Feder neben den noch nassen Notenblättern niederwarf!

»Sind Sie fertig zur großen Hauptprobe im Saale des churfürstlichen Schlosses?« – frug, bei Amadeus eintretend, vierzehn Tage später der Capellmeister Cannabich in seiner freundlichen und herzlichen Weise. Aber das Wort erstarb ihm fast auf den Lippen, als er Wolfgang noch im tiefsten Negligé vor seinem Schreibtische sitzend fand, eifrig beschäftigt, Noten zu lesen und hie und da einzelne Veränderungen auf den Blättern anzubringen.

»Wie?!« – rief Amadeus überrascht und erschrocken zu gleicher Zeit. – »Ist es denn schon so spät?«

»Es ist zehn Uhr!« – versetzte der Capellmeister – »und um halb elf Uhr soll die Probe Angesichts des Churfürsten und seines Hofes beginnen. Was in aller Welt hat Sie denn wieder sich und Alles um Sie her vergessen machen?« –[188]

»Ach!« – rief Wolfgang, sich schnell ankleidend, – »als ich diese Nacht von Webers nach Hause kam, wo Sie ja selbst die Vollendung meiner Oper mitfeierten, da war ich so aufgelegt, so begeistert ....«

»Kann mir's denken!« – sagte Cannabich schmunzelnd – »von Fräulein Constanzens Augen.«

»Warum nicht?!« – rief Mozart lachend – »sind sie nicht hübsch genug, um zu entzücken?«

»Allerdings! Sie würden einen Idamante für Ilia blind machen.«

»Nun denn, und ich bin kein Königssohn.«

»Und ich will wetten« – rief Cannabich – »ich weiß, was nun geschah.«

»Möglich!«

»Der Herr Mozart waren zu aufgeregt, um schlafen zu können, und arbeiteten wieder, gegen die Ermahnung aller Vernünftigen, die ganze Nacht hindurch!«

»So ist es!« – sagte Amadeus, indem er vor den Spiegel trat und hastig die Halsbinde anlegte. Cannabich aber rief unwillig:

»Sie hören nicht eher, bis Sie sich ruinirt haben. Das ewige Nachtwachen und Arbeiten in der Nacht kann ja der stärkste Mensch nicht aushalten; da muß ja das Nervensystem von Grund aus zerstört werden!«

»Aber bester Herr Capellmeister!« – sagte Mozart beschwichtigend – »ich kann ja nichts dafür.«

»Warum nicht?«

»Weil ich mich Anfangs nur hinsetzte, die Partitur der Oper noch einmal durchzugehen. Es ist mein erstes Werk, was ich selbst, als von Bedeutung erkenne; – können Sie es mir da verdenken, daß ich ihm die größte Sorgfalt widme?«

»Gewiß nicht! Aber Sie haben alles gethan ....«

»Ich fand noch gar Manches zu verbessern, und endlich« – rief Mozart hier strahlenden Auges, indem er Cannabich umarmte – »endlich, Herzens-Capellmeister, kam mir noch ein göttlicher Gedanke. Sie entsinnen sich im dritten Acte des Adagio, welches – nach dem Orakel des Neptun – in Triolen mit einem gedämpften Basse den Effect einer ungewissen und schwierigen chromatischen Modulation erhöht und sich endlich in dem C-Minore auflöst?«[189]

»Ob ich es weiß« – rief Cannabich begeistert – »es ist hinreißend schön, und kein Auge wird bei ihm ohne Thränen bleiben!«

»Nun denn, Freund,« – fuhr Mozart flammenden Auges fort, schon wieder das Ankleiden vergessend, – »da habe ich noch einen Chor hineingelegt .... einen Chor: ›O voto tremendo! Spectacolo orrendo!‹ – Ich sage Ihnen, der soll alle Herzen erbeben machen, wenn er mit seiner Grabesharmonie, bei bedeckten Pauken und durch Sordinen gedämpften Trompeten – wie das unüberwindliche Fatum selbst – groß und majestätisch daher schreitet.«

Und Mozart sprang an das Clavier und griff einige Accorde.

»Prachtvoll!« – rief Cannabich – »aber, Liebster, Sie vergessen schon wieder Churfürst und Probe!«

»Ja so!« – sagte Amadeus nach dem Schranke springend und in den Rock schlüpfend – »und über die Composition dieses Chores habe ich mich so vergessen, daß ....«

»Daß Sie die ganze Nacht nicht in das Bett kamen!«

»Ich bin in der That eben erst, als Sie eintraten, damit fertig geworden.«

»Und wie soll es heute damit auf der Probe gehen. Sie glauben doch nicht, daß die Choristen ....«

»Macht nichts. Wir lassen ihn heute ganz weg, dann wird sein Effect bei der Aufführung ein um so größerer sein.«

»Gut! vortrefflich!« – rief der Capellmeister, der jetzt Hand anlegte, Mozarts Anzug zu vollenden. – »Aber, junger Mann, Sie geben mir ein Versprechen?«

»Welches?«

»Nie mehr eine ganze Nacht durch zu arbeiten.«

»Ich bin jung, kräftig!«

»Jetzt noch, ja! aber ich als gereifter und erfahrener Mann, als ihr wohlmeinender Freund, sage Ihnen, daß Sie – wenn Sie aus diese Weise fortfahren – Ihr Leben untergraben. Sie werden, wenn Sie mich nicht hören, keine vierzig Jahre alt.«

In diesem Augenblick stieß Mozart einen leisen Schmerzensschrei aus und erblaßte.

»Was ist Ihnen?« – frug Cannabich bestürzt.

Aber schon hatte sich Mozart wieder gefaßt und sagte lächelnd:[190]

»Nichts, mein edler väterlicher Freund! Ich trage seit meiner Kindheit ein kleines goldenes Kreuz als Amulet auf meiner Brust. Bei der Hast, mit der ich mich anzog, mag es sich gedreht haben, und so ritzte es mir eben ein wenig die Haut. Sehen Sie .... ich blute! .... Aber gehen wir, es ist schon sehr spät.«

»Und Ihr Versprechen?«

»Und wenn ich es auch geben wollte!« – rief Mozart lachend – »ich kann es ja doch nicht halten. Wenn der Genius gebietet, muß der Staub gehorchen und wenn er zusammenbricht!«

Cannabich fühlte die Wahrheit dieser Worte wohl. Er schwieg daher; aber seine Blicke ruhten besorgt auf dem bleichen, überwachten Antlitze des neben ihm dahinschreitenden jungen Freundes. Mozart selbst aber war schon im Geiste mitten in der Aufführung seiner Oper.

Quelle:
Heribert Rau: Mozart. Ein Künstlerleben. Berlin 4[o.J.], S. 178-191.
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